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GLEICHHEIT/6643: Sächsische Regierung plant Polizeistaat


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Sächsische Regierung plant Polizeistaat

Von Christopher Lehmann
15. Mai 2018


Neben Bayern, wo der Landtag heute trotz heftiger Proteste ein neues Polizeigesetz [1] beschließen will, plant auch Sachsen neue Schritte zum Aufbau eines Polizeistaats.

Die Koalition aus CDU und SPD, die in Dresden regiert, hat am 17. April 2018 den "Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Polizeirechts des Freistaates Sachsen" zur Anhörung freigegeben. Eine endgültige Version soll bis zum August erarbeitet und in den sächsischen Landtag eingebracht werden. Läuft alles nach Plan, tritt das Gesetz in der zweiten Jahreshälfte 2019 in Kraft.

Der sächsische Entwurf weist starke Parallelen zum neuen bayrischen Polizeigesetz auf, das die Befugnisse, die Ausrüstung und die Bewaffnung der Polizei massiv ausweitet und demokratische Grundrechte einschränkt. In Sachsen sollen unter anderem eine neue Hilfspolizei geschaffen und die Ausweitung der Befugnisse der Polizei sowie der Datenverarbeitung gesetzlich verankert werden.

Die sächsische Landesregierung bekennt sich ganz offen dazu, demokratische Grundrechte einzuschränken. In Paragraph 10 des Dokuments zählt sie völlig ungeniert auf, welche " auf Grund dieses Gesetzes eingeschränkt werden" können: die Grundrechte auf "Leben und körperliche Unversehrtheit", "Freiheit der Person", "Wahrung des Brief-, Post-, Fernmeldegeheimnisses", "Freizügigkeit", "Versammlungsfreiheit", "die Unverletzlichkeit der Wohnung" und "das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung".

Auch eine militärische Bewaffnung der Polizei ist vorgesehen. So soll das sächsische SEK (Sondereinsatzkommando) mit "Maschinengewehren und Handgranaten" ausgestattet werden. Neue Munition soll "den Betroffenen ... überwältigen, ohne ihn dabei tödlich zu verletzen". Gemeint sein dürften Gummigeschosse und Taser.

Die Beamten sollen körperliche Durchsuchungen durchführen und "ohne Einwilligung des Betroffenen" Blutproben entnehmen dürfen, wenn die Gefahr einer "Übertragung von besonders gefährlichen Krankheitserregern" besteht.

Wohnungsdurchsuchungen sollen künftig auch in der Nachtzeit erfolgen dürfen, beispielsweise "zur Abwehr von Gefahren für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, ... wenn auf Grund von Tatsachen anzunehmen ist, dass 1. dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabreden, vorbereiten oder verüben oder 2. sich dort Straftäter verbergen", oder "wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für bedeutende Sach- oder Vermögenswerte erforderlich ist".

Außerdem soll das Ordnungsamt zu einer Hilfspolizei umgerüstet und Mitarbeiter der "Staatsministerien", der "Landratsämter, Kreisfreien Städte und Gemeinden" als "Polizeibehörden" ebenfalls erweiterte Befugnisse erhalten.

Neben der Hochrüstung der Polizei soll ein flächendeckender Überwachungsstaat errichtet werden. Die schwarz-rote Koalition will die Video-Überwachung an öffentlichen Orten ausbauen und "durch den Einsatz technischer Mittel zur automatisierten Kennzeichenerkennung Kraftfahrzeugkennzeichen sowie Informationen über Ort, Zeit und Fahrtrichtung erfassen". Die Kraftfahrzeugkennzeichen sollen "sofort und unmittelbar mit polizeilichen Datenbeständen" automatisiert abgeglichen werden können.

Bei der Einrichtung heimlicher Kontrollbereiche sollen diese nicht mehr, wie bislang, öffentlich bekannt gemacht werden, wenn "der Kontrollbereich nicht für länger als 48 Stunden bestimmt wird". Beamte der Polizei und auch Mitarbeiter der Polizeibehörden sollen im Dienst mit sogenannten Body-Cams ausgestattet und die Überwachung von Journalisten und Beratungsstellen ermöglicht werden.

Die Polizei soll auch die Befugnis erhalten, "ohne Wissen der betroffenen Person deren Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen". Telefongespräche sollen zukünftig nicht nur abhörbar sein, sondern sogar durch die Beamten unterbrechbar. Das beträfe nicht nur einzelne Telefone, sondern komplette Funkzellen und alle darin aktiven Mobiltelefone.

Neben der Ortung will das sächsische Innenministerium umfangreiche Datensätze aus den Telefonen auslesen. Das betrifft u.a. die Geräte- und Kartennummer und Bewegungs-, Verbindungs- und Bestandsdaten. Das können Name, Adresse, Kontodaten und Geburtsdatum sein sowie PIN und PUK-Nummer des Handys, die IP-Adresse oder auf dem Gerät gespeicherte Passwörter.

Die Bewegungsfreiheit von Verdächtigten kann massiv eingeschränkt werden. Ab Sommer 2019 soll es neben individuellen Kontakt- und Aufenthaltsverboten auch Aufenthaltsgebote durch elektronische Fußfesseln für einen Zeitraum von bis drei Monaten geben.

Auch soll die Ausweisungspflicht für die Polizeibeamten ausgehebelt werden. Im Entwurf heißt es, die Ausweisungspflicht der Beamten gelte nicht, "wenn die Umstände es nicht zulassen".

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretzschmer (CDU) will so einen rechtsfreien Raum schaffen und der Polizei uneingeschränkte Handlungsfreiheit gewähren. "Ich vertraue der Polizei Sachsen", erklärte er. "Die gut ausgebildeten Beamten sind für unsere Sicherheit im Einsatz und tragen dabei große Verantwortung. Das verdient den vollsten Respekt und Rückhalt der Gesellschaft - und keine Namen oder Nummern, die sie bei ihren Einsätzen und vor allem danach ganz privat angreifbar machen."

Dass es bei dem neuen Gesetzesverschärfung in keiner Weise um die "Sicherheit" der sächsischen Bevölkerung geht, macht der Dresdner Polizeipräsident deutlich. Er zeigte sich erleichtert über die Bestrebungen der Landesregierung, das sächsische Polizeigesetz zu verschärfen. Er begrüßte die Aufrüstung der Polizei unter Hinweis auf "Herausforderungen wie die Flüchtlingskrise, die vorher nicht planbar sind". Auch wenn es den Anschein habe, dass die Kriminalität zurückgehe, müsse "die innere Stabilität in einem gut funktionierenden freiheitlich-demokratischen Land ausgerüstet sein."

Doch die herrschende Klasse bereitete sich nicht auf einen möglichen Anstieg der Kriminalität vor, sondern auf aufbrechenden Klassenkämpfe. Während Deutschland sozial wieder so ungleich ist wie 1913 2, vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, und in der Bevölkerung eine immense Opposition gegen Sozialabbau, Krieg und die Remilitarisierung vorherrscht, macht sich die Bourgeoisie Sorgen um die "Sicherheit" der kapitalistischen Ordnung. Sie hetzt gegen Flüchtlinge, um ihre rechte Politik zu legitimieren.


Anmerkungen:
[1] https://www.wsws.org/de/articles/2018/05/14/poli-m14.html
[2] https://www.wsws.org/de/articles/2017/12/22/ungl-d22.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 15.05.2018
Sächsische Regierung plant Polizeistaat
http://www.wsws.org/de/articles/2018/05/15/sach-m15.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2018

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