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GLEICHHEIT/7049: Krankenhausschließungen gehen trotz Covid-19-Pandemie weiter


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Krankenhausschließungen gehen trotz Covid-19-Pandemie weiter

Von Sybille Fuchs
1. April 2020


Obwohl wegen der Corona-Epidemie jedes Krankenhausbett in Deutschland benötigt wird, stehen etliche Krankenhäuser vor der Schließung.

Gerade im ländlichen Bereich, in dem die medizinische Versorgung durch die Schließung von Arztpraxen ohnehin gefährdet ist, werden weitere Krankenhäuser geschlossen. Damit wird der Plan einer Bertelsmannstudie [1] vom vorigen Jahr, der zufolge von rund 1400 Krankenhäusern weniger als 600 erhalten bleiben sollen, in die Praxis umgesetzt. Die absurde Begründung dafür lautet, dass die Versorgung so optimiert werden könne. Den kleinen, wohnortnahen Kliniken fehlten sowohl das ausgebildete Personal als auch die notwendige Geräteausstattung.

Statt die kleineren Krankenhäuser besser auszustatten und das medizinische Personal, insbesondere die Pflegekräfte, besser zu bezahlen, ziehen Krankenhausträger, darunter viele private, kirchliche und kommunale, die Schließung vor.

Wie die WSWS am 30. März berichtete [2], zeigen sich heute allenthalben die katastrophalen Folgen der Kürzungs- und Privatisierungspolitik der letzten 30 Jahre. Das Gesundheitswesen wurde insbesondere nach der Einführung der Abrechnung nach Fallpauschalen nicht mehr an den Bedürfnissen der Bevölkerung ausgerichtet, sondern an der Erwirtschaftung von Profit.

Für die Krankenhäuser wurde der Anreiz gesetzt, Kapazitäten abzubauen. Ganze Häuser oder Abteilungen wurden geschlossen, die heute dringend benötigt werden. Kliniken, die versuchten gegenzusteuern, gingen reihenweise in die Insolvenz, mussten schließen oder wurden verkauft. Wobei der neue Träger inzwischen oft ebenfalls die Schließung erwägt, weil nicht genügend Profit erwirtschaftet wird.

Beim Abbau von sogenannten Überkapazitäten überleben vor allem die Krankenhäuser, die Kooperationen eingehen und sich auf Leistungsbereiche konzentrieren, mit denen sie Geld verdienen können.

In diesem System wurden bereits zahlreiche Kliniken in die Insolvenz getrieben. Allein im Zeitraum von 1991 bis 2017 verringerte sich die Anzahl der Krankenhausbetten um ein Viertel. Die Zahl der Kliniken verringerte sich deutschlandweit von 2400 im Jahr 1991 auf heute 1400.

Wegen der Corona-Krise fordern das Robert-Koch-Institut und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Krankenhäuser jetzt auf, Betten für Intensivpatienten zu räumen und Plätze aufzustocken. Umso absurder ist es, dass einige Kliniken vor der Schließung stehen.

So soll das Krankenhaus in Havelberg (Sachsen-Anhalt) trotz des Widerstands der dortigen Bevölkerung schließen. Die Beschäftigten erhalten in diesen Tagen ihre Kündigungen.

Das Krankenhaus in Lehnin ist mit 55 Betten das kleinste in Brandenburg. Wie die Ärztezeitung berichtet, soll dieses Krankenhaus mit seiner Fachabteilung für Innere Medizin geschlossen werden. Erhalten bleiben soll einzig die Reha-Klinik. Dadurch würde auch die am selben Standort betriebene Rettungsstelle schließen. Allein die im Krankenhaus ansässige Palliativmedizin soll als "besondere Einrichtung" mit 10 bis 15 Betten weiterbetrieben werden. Doch auch hier gibt es Widerstand - auch mit Hinweis auf die Corona-Krise.

Die Loreley-Kliniken in St. Goar und Oberwesel (Rheinland-Pfalz) stehen ebenfalls vor dem Aus. Der christliche Hauptgesellschafter, der Krankenhaus- und Altenheimkonzern Marienhaus, hält die beiden Krankenhäuser für unrentabel. Eine Übernahme durch das Rote Kreuz scheiterte aus demselben Grund. Die betroffenen Kleinstädte St. Goar und Oberwesel sowie die neue Verbandsgemeinde Hunsrück-Mittelrhein als Mitgesellschafter möchten sie dennoch erhalten. Vor einigen Tagen hängten Anwohner Betttücher als Zeichen ihres Protests aus den Fenstern.

Die kommunalen Gesellschafter der Kliniken hatten vorgeschlagen, die Krankenhäuser auch für die Behandlung von Corona-Patienten einzusetzen. Dies wurde vom rheinland-pfälzischen Gesundheitsministerium abgelehnt. Denn Notaufnahme und Intensivversorgung der Loreley-Kliniken seien schon Anfang 2020 geschlossen worden.

Es ist aber nicht einzusehen, warum sie nicht wieder geöffnet werden können. Anderenorts werden entsprechende Noteinrichtungen in Messehallen oder ähnlichem geschaffen, um die Versorgung von Covid-19-Patienten sicherzustellen. Am 9. April soll laut Marienhaus-Sprecher bei einer weiteren Gesellschafterversammlung eine endgültige Entscheidung fallen.

Auch im Saarland arbeitet der Marienhauskonzern an Plänen, Kliniken zu schließen oder zusammenzulegen. Das Marienkrankenhaus St. Wendel, die Marienhausklinik Ottweiler und die Marienhausklinik St. Josef Kohlhof in Neunkirchen arbeiten bereits seit Jahren im Verbund Saar-Ost eng zusammen. Jetzt arbeitet die Marienhaus Unternehmensgruppe an einem Konzept, um den Standort in Ottweiler zu schließen und mit der Klinik in St. Wendel zu einem Krankenhaus zu verschmelzen. Grund dafür sei ein erheblicher Gebäudesanierungsstau an dem Klinikstandort Ottweiler.

Die Schließung des Krankenhauses in Ottweiler gefährdet angesichts der Corona-Infektionen von Mitarbeitern im Krankenhaus St. Wendel, das nur noch akute Notfallpatienten aufnehmen kann, die regionale Versorgung.

Im Saarland bahnt sich eine erhebliche Ausdünnung der gesamten Krankenausdichte an. Im Sommer soll das Caritas Krankenhaus in Lebach mit 450 Mitarbeitern und 183 Planbetten schließen. Von der Politik wurde eine Diskussion über eine sogenannte Nordsaarlandklinik angestoßen. Dadurch sind sowohl das Krankenhaus in Losheim als auch Krankenhäuser im rheinland-pfälzischen Hermeskeil (eine Einrichtung der Marienhaus Unternehmensgruppe) bedroht.

Der Vorstand der Marienhausstiftung macht die "massiv verschärften Vorgaben des Bundes" dafür verantwortlich, dass immer mehr kleinere Krankenhäuser ums Überleben kämpfen: Immer neue Personal- und Strukturvorgaben, die Ausgliederung des Pflegebudgets oder jetzt noch das neue Reformgesetz über den Medizinischen Dienst (MD), der die Abrechnungen der Krankenhäuser prüft.

Die Reform sieht für Krankenhäuser hohe Strafgebühren von 300 bis zu 30.000 Euro vor, die schon bei geringen Fehlern in der Abrechnung von Leistungen fällig werden, z.B. wenn eine Blutdruckmessung bei der Dokumentation vergessen, aber trotzdem abgerechnet wurde. Grundsätzlich sind 10 Prozent der Gesamtkosten zu zahlen. Das kann bei Operationen mit Komplikationen und langer Verweildauer leicht in die Hundertausende gehen.

Die komplizierten Abrechnungspraktiken erfordern zudem wertvolle Zeit der Ärzte und des Pflegepersonals, die zurzeit dringend für die Betreuung und Versorgung von Patienten gebraucht würden.

Die Cusanus-Trägergesellschaft Trier hat angekündigt, das Caritas-Krankenhaus in Lebach (Saarland) zu schließen. Bei einer Protestkundgebung vor dem Gebäude forderten Mitarbeitervertreter/innen und Verdi ein Eingreifen des Staates, um die Gesundheitsversorgung und die Arbeitsplätze zu sichern. Verdi denkt nicht daran, für die Verteidigung der Arbeitsplätze zu kämpfen, fordert einen Sozialtarifvertrag und Interessenausgleichund richtet einen zahnlosen Appell an die öffentliche Hand, ihre Verantwortung wahrzunehmen.

Die Krankenhäuser im Kreis Heinsberg (NRW), der von der Covid-19-Krise am stärksten betroffen ist, schlugen in der letzten Woche Alarm, weil sie durch die MD-Reform eine neue, unter Umständen existenzbedrohende Kostenwelle auf sich zukommen sehen.

Das Krankenhaus in Riedlingen (Kreis Biberach, Baden-Württemberg) wird bereits zum ersten April geschlossen, drei Monate früher als geplant. Nach Angaben des Betreibers Sana stehe ab April nur noch eine Ärztin zur Verfügung, alle anderen seien spätestens bis zu diesem Termin ausgeschieden.

Zahlreiche Fachkliniken, die mit ihren Einrichtungen und 120.000 Beschäftigten auch zur Abmilderung der Corona-Krise beitragen könnten, sehen sich in der Existenz bedroht, weil ein Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Jens Spahn vorsieht, dass Krankenhäuser geplante Operationen und Behandlungen absagen müssen. Sie werden massive Einbußen haben, die durch die vorgesehene Erstattung von 400 bis 500 Euro pro Belegungstag nicht aufzufangen seien. Fachkliniken rechnen pro Belegungstag mit bis zum Vierfachen des von Spahn vorgesehenen Betrags.

Auch Rehakliniken, die nach geplanten, aber ausgesetzten Knie-, Hüft- oder Wirbelsäulenoperationen die Nachbehandlung und Rehabilitation sichern sollen, haben durch die Verschiebung große Einbußen. Die Anzahl dieser Einrichtungen ist durch die Kürzungen im Gesundheitswesen der letzten Jahrzehnte bereits stark zurückgegangen und würde sich durch die geplanten Maßnahmen voraussichtlich weiter verringern.

Die Covid-19-Pandemie hat überdeutlich gemacht, dass die herrschende Klasse und ihre Politiker nicht in der Lage sind, die sichere Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitseinrichtungen und dem entsprechenden Personal zu gewährleisten. Jegliche Profitorientierung und Privatisierung, alle Kürzungen im Gesundheitsbereich der letzten Jahrzehnte, deren tödliche Folgen jetzt sichtbar werden, müssen rückgängig gemacht werden. Kliniken und Einrichtungen müssen in öffentliches Eigentum umgewandelt und unter Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung gestellt werden, um ausschließlich dem Wohl der Gesellschaft zu dienen.


Anmerkungen:
[1] https://www.wsws.org/de/articles/2019/07/23/bert-j23.html
[2] https://www.wsws.org/de/articles/2020/03/30/gesu-m30.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 01.04.2020
Krankenhausschließungen gehen trotz Covid-19-Pandemie weiter
https://www.wsws.org/de/articles/2020/04/01/kran-a01.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2020

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