Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GRASWURZELREVOLUTION/1086: Moorburg - Bäume besetzen, statt Kohlekraftwerke bauen


graswurzelrevolution 347, März 2010
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Bäume besetzen, statt Kohlekraftwerke bauen

Besetzung in Moorburg wird zum Politikum


Am 3.12.2009 machten sich dunkle Gestalten auf den Weg zum Gählerpark in Hamburg Altona. Im Morgengrau durften Uniformierte mit silbernen Sternen feststellen, dass zwei AktivistInnen aus dem Stadtteil sich im Wipfel einer Eiche niedergelassen haben. Die Meldung ging durch die Medien: Bäume aus Protest gegen Kahlschlag und gegen Vattenfalls Kohlekraftwerk besetzt.


Bald kamen weitere AktivistInnen hinzu. Am 18.12.2009, dem Tag der großen "Recht auf Stadt"-Demo richteten sich ein Dutzend UmweltaktivistInnen ebenfalls im Gählerpark ein. Mit dabei waren Robin Wood-AktivistInnen.

Inzwischen balancieren sieben Plattformen hoch in den Bäumen. Die BesetzerInnen lassen sich vom Schnee und Dauerfrost nicht abschrecken. Ihre Hartnäckigkeit lässt den Streit um den Bau des Kohlekraftwerks Moorburg zum Politikum werden. Die Hamburger Grünen, die für die Baugenehmigung verantwortlich sind, geraten in die Defensive. Vattenfall verliert die Geduld und will die Bäume endlich fällen und die "Moorburgtrasse" bauen.


Hintergrund

In Moorburg baut der Stromgigant Vattenfall mit Genehmigung des schwarz-grünen Senats ein neues und extrem klimaschädliches 1.600 MW Kohlekraftwerk. Dazu ist es auch erforderlich, dieses Kraftwerk mit einer neuen Leitung an das Fernwärmenetz der Hansestadt anzuschließen. Andernfalls könnte das Kohlemonster nicht mit voller Leistung betrieben werden und wäre für Vattenfall nicht rentabel zu betreiben. Deshalb will der Konzern eine rund zwölf Kilometer lange Fernwärmetrasse bauen, die vom neuen Kohlekraftwerk Moorburg quer durchs Hafengebiet und Altona bis nach Diebsteich führen soll. Insgesamt sollen rund 400 Bäume der Fernwärmeleitung zum Opfer fallen. Die BaumbesetzerInnen im Gählerpark stehen dieser Moorburgtrasse im Weg.

Über acht Millionen Tonnen Kohlendioxid wird diese Dreckschleuder künftig Jahr für Jahr in den Hamburger Himmel blasen und damit das Klima doppelt so stark belasten wie der gesamte Straßenverkehr in der Hansestadt. Ursprünglich sollte Moorburg lediglich als Ersatz für das alte Heizkraftwerk Wedel neu gebaut werden. Tatsächlich bringt das Kohlemonster mehr als die doppelte Leistung des Kraftwerks in Wedel und ist damit völlig überdimensioniert.

Weiter blockieren Kohlekraftwerke wie das im Bau befindliche Klimamonster Moorburg den für den weltweiten Klimaschutz dringend erforderlichen Umbau der Energieversorgung. Kohlekraftwerke rentieren sich aufgrund der hohen Kapitalkosten beim Bau nur dann, wenn sie mindestens 40 bis 50 Jahre am Netz sind. Damit schreiben Kohlekraftwerke die CO2-Emissionen langfristig auf hohem Niveau fest. Gleichzeitig sorgen sie für ein Überangebot an Strom. Dadurch werden Investitionen in erneuerbare Energien unrentabler.


Widerstand

Gegen das sich im Bau befindliche Kohlekraftwerk wurden in der Vergangenheit zahlreiche Protestaktionen an der Baustelle durchgeführt. Die AktivistInnen hatten jedoch Schwierigkeiten ihrem Protest Gehör zu verschaffen. Die Baustelle liegt in einem abgelegenen Industriestadtteil. Es gibt nur wenige Zufahrtswege dorthin. Die Polizei hat es unter solchen Bedingungen einfach, angekündigte Protestaktionen mit Gewalt im Keim zu ersticken. Die DemonstrantInnen, die es auf das Gelände geschafft haben, wurden von Vattenfall wegen Hausfriedensbruch angezeigt und kriminalisiert. Andere Aktionen wurden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, es war schwierig die Presse dorthin, ins Niemandsland, zu holen. Als Vattenfalls Trassenpläne bekannt wurden, sahen viele UmweltschützerInnen in diesem Bauvorhaben die Achillesferse des Riesen Vattenfall. Ohne die Fernwärmetrasse, kein Kohlekraftwerk, denn das Kraftwerk Moorburg ließe sich nicht rentabel bewirtschaften. Der Protest dagegen ist eine unverhoffte Möglichkeit, den Widerstand in die Stadt zu tragen und Vattenfall Probleme zu bereiten.


Politische Zuspitzung

Das Konzept ging auf! Es liegt u.a. an dem politischen Klima in Hamburg. Der Bau der Trasse ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Stadt Rechte von AnwohnerInnen bei der Planung großer Bauvorhaben missachtet, einseitig Wirtschaftsinteressen berücksichtigt und städtisches Grün vernichtet. Dies ist kein Einzelfall in Hamburg, aus diesem Grund sind die Moorburg-GegnerInnen im Bündnis "Recht auf Stadt" aktiv.

Der BUND Hamburg hat zudem - stellvertretend für die EinwohnerInnen, die sich in der Initiative "Moorburgtrasse stoppen" organisiert haben - eine Klage gegen die ohne Beteiligung der Bevölkerung vom schwarz-grünen Hamburger Senat erteilte Baugenehmigung eingereicht. Ganz im Sinne von Vattenfall und Umweltbehörde hat das Verwaltungsgericht die Klage gar nicht erst angenommen. Der Umweltverband hat Beschwerde eingelegt, eine Entscheidung steht noch aus. Die Proteste der Initiative Recht auf Stadt, der Widerstand hoch in den Bäumen sowie der Streit vor Gericht haben das öffentliche Interesse für das Anliegen der MoorburggegnerInnen geweckt. An der Baumbesetzung verläuft kaum ein Tag ohne Interviews mit Pressevertreterinnen oder Austausch mit Schulklassen. Diese Öffentlichkeit bringt die Grünen in Bedrängnis. Anlässlich einer öffentlichen Podiumsdiskussion Ende Januar erklärte der grüne Vertreter von der Umweltbehörde, nun ein Gespräch über Alternativen zur Trasse mit Vattenfall führen zu wollen. BeobachterInnen sehen diesen Schritt als verzweifelten Versuch der Grünen, das Gesicht in Sachen Kohlekraftwerk nicht endgültig zu verlieren. An die Macht sind die Hamburger Grünen ja mit dem Versprechen, das Kohlekraftwerk Moorburg zu verhindern.

Auf die Politik von Oben und auf die Gerichte will sich keiner der BesetzerInnen im Gählerpark verlassen. Und die Bevölkerung zeigt, dass sie diese Form des Protestes für richtig hält: PassantInnen bringen Getränke und Nahrungsmittel vorbei, mit der Initiative "Moorburg stoppen" trifft man sich, um gemeinsam Tag X-Pläne - was tun wenn die Kettensägen kommen - zu schmieden.

Wie es weiter gehen wird, kann man schon erahnen. Eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes ist in den kommenden Tagen zu erwarten. Die AktivistInnen gehen davon aus, dass erneut im Sinne des Profits entschieden wird. Sie bereiten sich auf eine baldige Räumung vor. Aus gesicherten Quellen weiß man, dass die Ausschreibungen für die Baumfällungen abgeschlossen sind.

"Wir werden keinen Baum freiwillig her geben", sagen die AktivistInnen, die Ihre Aktion bereits als Erfolg bewerten. "Vattenfall haben wir die Suppe versalzen! Noch ist die Trasse nicht gebaut, noch ist der Kohlekraftwerk nicht in Betrieb! Die Baumbesetzung ist nur der Anfang."

Eichhörnchen


*


Quelle:
graswurzelrevolution, 39. Jahrgang, GWR 347, März 2010, S. 6-7
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
Tel.: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net

Die "graswurzelrevolution" erscheint monatlich mit
einer Sommerpause im Juli/August.
Der Preis für eine GWR-Einzelausgabe beträgt 3 Euro.
Ein GWR-Jahresabo kostet 30 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2010