Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GRASWURZELREVOLUTION/1226: Zum Geburtstag der Zeitschrift "Die Aktion" (1911-1932)


graswurzelrevolution 364, Dezember 2011
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Hundert Jahr "ehrlicher Radikalismus"
Zum Geburtstag der Zeitschrift Die Aktion (1911-1932)

von Philippe Kellermann


"Bei vollkommener Unabhängigkeit von Rechts und von Links ist 'Die Aktion' eine Tribüne, von der aus jede Persönlichkeit, die Sagenswertes zu sagen hat, ungehindert sprechen kann. 'Die Aktion' hat den Ehrgeiz, ein Organ des ehrlichen Radikalismus zu sein."
Franz Pfemfert/Die Aktion
(1911)


Hundert Jahre ist es nun her, da trat mit Die Aktion eine der interessantesten Zeitschriften, die die linksradikale Bewegung im deutschen Sprachraum je besaß, in die Geschichte ein. Im Grunde ein Ein-Mann-Unternehmen Franz Pfemferts, der selbst von ihr als seinem "Tagebuch" sprach - und tatkräftig von seiner Frau Alexandra Ramm-Pfemfert unterstützt wurde.

Die Aktion versammelte vor dem Ersten Weltkrieg wichtige AutorInnen der expressionistischen Bewegung und verband deren künstlerisch-subversive Stoßkraft gegen bierseliges Spießertum mit einer radikalen politischen Haltung, die sich allem voran in Pfemferts Artikeln gegen den Reformismus der SPD kundtat, darin gipfelnd, dass dieser jeder revolutionäre Geist abgesprochen wurde, um schließlich 1922 zu resümieren: "Vom ersten sozialdemokratischen Stimmzettel bis zum Kriegspatriotismus führt ein gerader Weg!"

Im Ersten Weltkrieg auf der Linie eines strikten Antimilitarismus liegend, veröffentlichte Die Aktion z.B. unter der Rubrik "Dichtungen vom Schlachtfelde" Darstellungen des Krieges, die nichts beschönigten, wie auch nüchtern abgedruckte Todesanzeigen den Irrsinn des Abschlachtens illustrierten. Nach dem Ersten Weltkrieg unterstützte Die Aktion die rätekommunistische Bewegung.

Wenn nun auch die Literatur in den Hintergrund trat - das "Caféhaus (...) von der Fabrik" als Bezugspunkt abgelöst wurde (Lutz Schulenburg), blieb der rebellisch-anarchische Geist Pfemferts stets erhalten.

Es ist dieser 'Geist', der Pfemfert, dessen Aktion im Übrigen als erste Zeitschrift in Deutschland die Verfassung der russischen föderativen Sowjetrepublik druckte, zum kritischen Beobachter der Entwicklung in Russland werden ließ. Sein rätekommunistischer Standpunkt - anscheinend war es Pfemfert, der den Begriff 'Rätekommunismus' kreiert hat! - bringt ihn schnell in einen "unaufhebbaren Gegensatz zu Lenins Bolschewismus" (Lutz Schulenburg).

Im Namen eines wahren Bolschewismus - der für ihn Räteherrschaft bedeutete - kämpfte Pfemfert unnachgiebig gegen die "gefährlichsten Antibolschewisten" Lenin, Trotzki und Genossen und die sich herausbildende Parteiherrschaft der Bolschewiki sowie deren Versuche, eine neue, zentralistische Internationale (Komintern) aufzubauen.

Allerdings stand er Lenin, den er nach der Revolution scharf und öffentlich attackierte, aufgrund seiner vermeintlichen Bedeutung für die Russische Revolution stets etwas ambivalent gegenüber, wofür ihn wiederum Emma Goldman kritisierte.

Noch heute ist Die Aktion jedenfalls eine wertvolle Quelle für frühe linke Bolschewismuskritik, wie sie im Umkreis der AAU oder der KAPD formuliert wurde, allen voran von Otto Rühle. Und es war die Aktion, in der James Broh Anfang der 20er Jahre vom "rote[n] Faschismus, der von Moskau besoldet" werde, sprach, wie auch Pfemfert 1949 den Stalinismus als der "Nazipest (...) gleichartige Seuche" beschrieb.

Dies nur für die, welche die Totalitarismustheorie als Erfindung bürgerlicher Wissenschaftler nach dem Zweiten Weltkrieg betrachten.

Unterstützt hat die Aktion immer wieder Verfolgte der Bolschewiki, sie veröffentlichte Schriften der ins Exil vertriebenen linken Sozialrevolutionäre und über all die Jahre hinweg immer wieder anarchistische Schriften, deren Studium nachdrücklich empfohlen wurde.

Es ist schwer möglich, in einigen kurzen Sätzen den Facettenreichtum und die Bedeutung der Aktion kenntlich zu machen. Wenn aber z.B. im Gefolge von 1968 die Forderung erhoben wurde, den Betroffenen selbst das Wort zu erteilen - so durch die von Foucault gegründete Gruppe Gefängnisinformation -, kann darauf verwiesen werden, dass Pfemfert schon 1924, bei dem Versuch, eine autonome, proletarische Erinnerungsliteratur zu fördern, geschrieben hat: "Erzählet euer Leben, euer Denken und Fühlen, euer Erwachen und euer Wollen."

Als Hinweis auf interessante, auch heute noch wichtige Debatten sei auf die Auseinandersetzungen zwischen Pfemfert und Brupbacher über Föderalismus/Zentralismus und Parlamentarismus aus dem Jahre 1922 verwiesen oder auf die heftig geführte Diskussion um Otto Rühles Artikel "Der autoritäre Mensch und die Revolution" (1925), bei der die Frage nach dem Verhältnis von Erziehung und Herrschaft sowie die Rolle der Psychologie für den Klassenkampf im Zentrum stand.

Mit der Aktion kann Pfemfert als ein anschauliches Beispiel für "gelebte Unbestechlichkeit" gelten (Lutz Schulenburg), eine Unbestechlichkeit und ein "Mut, ganz allein zu stehen" (Kurt Kersten), die einen Großteil seiner Anziehungskraft erklären dürfte.

Freilich musste Pfemfert, wie so viele andere mit den Jahren immer mehr ernüchtert, feststellen, dass "[u]nsere Begriffe von Moral, Ethik etc. (...) in dieser Welt einfach lächerlich" sind. Dass er dies an einen Anarchisten, nämlich Rudolf Rocker, schrieb, sagt einiges über diese "Bremse, die sich mit Vorliebe Parteipferden auf die Nase setzte und sie durch ihren Stich zum Scheuen oder wenigstens zum Schäumen zu bringen" versuchte (Karl Otten), aus.

Und so bleiben nur die Würdigung - auch die Kritik selbstverständlich, die aber einen anderen Rahmen erfordern würde - und die Hoffnung, dass es zukünftig, im Anschluss an Die Aktion immer mehr "Organ[e] zur Lockerung des autoritären Geistes" (Lutz Schulenburg) geben wird.

Ein Organ, das sich dieser Aufgabe verschrieben hat, ist die sich seit 1981 direkt in die Tradition Pfemferts stellende Zeitschrift Die Aktion, die in der Edition Nautilus erscheint. Ihr gelingt - wie auch der GWR - so manche erfolgreiche Lockerungsübung.


Literatur:

Pfemfert: Erinnerungen und Abrechnungen. Texte und Briefe. Herausgegeben von Lisbeth Exner und Herbert Kapfer. München, o.J.

Franz Pfemfert: Ich setze diese Zeitschrift wider die Zeit. Sozialpolitische und llteraturkritische Aufsätze. Herausgegeben von Wolfgang Haug. Darmstadt/Neuwied, 1985.

Ursula Walburga Baumeister: Die Aktion 1911-1932. Publizistische Opposition und literarischer Aktivismus der Zeitschrift im restriktiven Kontext. Erlangen/Jena, 1996.

Julia Ranc: Alexandra Ramm-Pfemfert. Ein Gegenleben. Hamburg, 2003.

Lutz Schulenburg: 'Franz Pfemfert. Zur Erinnerung an einen revolutionären Intellektuellen', in: Die Aktion. Heft 209. Hamburg, 2004.


*


Quelle:
graswurzelrevolution, 40. Jahrgang, Nr. 364, Dezember 2011, S. 18
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
Tel.: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net

Die "graswurzelrevolution" erscheint monatlich mit
einer Sommerpause im Juli/August.
Der Preis für eine GWR-Einzelausgabe beträgt 3 Euro.
Ein GWR-Jahresabo kostet 30 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2011