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GRASWURZELREVOLUTION/1683: Anarchistisches Kulturdenkmal in München eingeweiht


graswurzelrevolution Nr. 421, September 2017
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Anarchistisches Kulturdenkmal in München eingeweiht
In Gedenken an Gustav Landauer (geboren am 7. April 1870 Karlsruhe - ermordet am 2. Mai 1919 in München)

von Dr. Siegbert Wolf


Am 29. Juni 2017 wurde die Gustav Landauer-Gedenkstele auf dem Alten Teil des Münchner Waldfriedhofs - Gräberfeld 95, feierlich errichtet.


Sie ist an einem der Hauptwege gelegen und nicht zu übersehen - ein weiterer bedeutender geschichtsträchtiger Erinnerungsort (nicht nur) für die anarchistische/anarchosyndikalistische Bewegung.(1)

Für die Schaffung des Denkmals zur Erinnerung an den Kulturphilosophen, Schriftsteller, Initiator zahlreicher anarchistischer Projekte und bedeutenden Theoretiker des deutschsprachigen Anarchismus Gustav Landauer, setzte sich die "Initiative zum Wiederaufbau eines Gedenksteins für Gustav Landauer auf dem Münchner Waldfriedhof" um den Systemischen Berater und Musiker Peter Kühn und den Historiker und Autor vorliegender Zeilen - seit 2008 Herausgeber der "Ausgewählten Schriften" Landauers - mit Verve ein.(2)


Die Geschichte des Gustav-Landauer-Grabmals(3)

Gustav Landauer war während der der ersten Müchner Räterepublik Kulturminister. Infolge der blutigen Niederschlagung der Revolution in Bayern am 2. Mai 1919 in München-Stadelheim wurde der damals 49jährige Räterevolutionär brutal ermordet. Nachdem seine Tochter Charlotte (1894-1927) die Exhumierung ihres Vaters aus einem Massengrab durchgesetzt hatte, erfolgte die Kremierung seines Leichnams und die Aufbewahrung seiner Sterblichen Überreste in der Urnenhalle des Schwabinger Nordfriedhofs. Familienangehörige, FreudInnen und Bekannte, u.a. Anita Augspurg, Martin Buber, Auguste Hauschner, Lida Gustava Heymann, Max Kronstein, Hugo Landauer, Adolf Otto, Rudolf Rocker und Helene Stöcker, bemühten sich um eine würdige Grabstätte. Hierzu erteilte Charlotte Landauer dem Münchner USPD-Stadtrat Fritz Weigel im Frühjahr 1922 die Vollmacht, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Dieser kaufte daraufhin eine Grabstelle im Waldfriedhof der bayerischen Landeshauptstadt. Da der Münchner Stadtrat die kostenlose Überlassung des Grabplatzes für Gustav Landauer ablehnte, wurde die Kaufsumme von den GrabmalinitiatorInnen zur Verfügung gestellt - die Laufzeit betrug fünfzehn Jahre, also bis 1938.

Vor allem AnarchistInnen und SyndikalistInnen, darunter zahlreiche Ortsgruppen der "Freien Arbeiter-Union Deutschlands" (FAUD), engagierten sich für die Beisetzung der Urne und die Errichtung eines würdigen Denkmals für Gustav Landauer. So stammt der erste öffentliche Aufruf zur Sammlung der dafür notwendigen finanziellen Mittel im Herbst 1922 von der der "Freien Arbeiter-Union Deutschlands" (FAUD) angeschlossenen syndikalistischen Arbeiterbörse München.

Im Frühjahr 1923 erfolgte im Rahmen einer Gedenkfeier die Beisetzung der sterblichen Überresten in einen eigens dafür angefertigten Betonsockel auf dem Waldfriedhof. Zum Denkmalfundament gehört eine Eichentafel mit der schlichten Inschrift: "Hier ruht Gustav Landauer"

Mittels Spendenaufrufen, Verkauf von Postkarten, gedruckten Sammelmarken der "Freien Arbeiter-Union Deutschlands" in München sowie eines "Gustav Landauer-Gedenkstein-Komitees" gelang es 1925 auf dem Alten Teil des Waldfriedhofs ein Landauer-Denkmal zu errichten. Aus dem Betonsockel, in dem die Urne mit der Asche Gustav Landauers einbetoniert ist, ragt eine mehr als fünf Meter hohe Muschelkalkpyramide mit gotischen Kapitellen in schlichtem Naturstein, die von oben durch eine blaue Glasscheibe in einem schrägen Schacht gebrochen ist. Die Inschrift des Denkmals, ein Zitat aus Landauers programmatischem Hauptwerk "Aufruf zum Sozialismus" (1911), lautet: "Jetzt gilt es noch Opfer anderer Art zu bringen, nicht heroische, sondern stille unscheinbare Opfer, um für das rechte Leben ein Beispiel zu geben."(4) Und darunter: "1870 Gustav Landauer 1919".

Unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wird das Denkmal Landauers auf dem Waldfriedhof zerstört. Zuvor beschließt der Münchner Stadtrat auf Antrag der Stadtratsfraktion der NSDAP in seiner Sitzung vom 22. Juni 1933, das Grab Landauers "als erloschen" zu erklären sowie den Abbruch des Denkmals und die Beseitigung der Asche vorzunehmen. Diese Entscheidung erfolgte im Rahmen eines städtischen Beschlusses über den Abriss der Grabstätten sämtlicher kommunistischer, anarchistischer und syndikalistischer RevolutionärInnen. Die Urne mit Landauers sterblichen Überresten wurde der Münchner Israelitischen Kulturgemeinde kostenpflichtig übergeben.

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus und dem Ende des 2. Weltkriegs errichtete die Stadt München das bis heute bestehende Gemeinschaftsgrab für Gustav Landauer und seinen Freund Kurt Eisner (1867-1919), erster sozialistischer Ministerpräsident Bayerns, auf dem Neuen Israelitischen Friedhof, Garchinger Straße.


Initiative zum Wiederaufbau

Die Anfang 2015 von Peter Kühn und mir ins Leben gerufene "Initiative zum Wiederaufbau eines Gedenksteins für Gustav Landauer auf dem Münchner Waldfriedhof" startete mit einem entsprechenden öffentlichen Aufruf(5), einer umfangreichen Unterschriftensammlung und Öffentlichkeitsarbeit in linken und bürgerlichen Medien.(6)

Zum Gelingen unserer öffentlichen Kampagne trug überdies der persönliche Kontakt zum Münchner Stadtrat Thomas Ranft von der Fraktion "Freiheitsrechte, Transparenz und Bürgerbeteiligung" bei.

Bereits im Frühjahr 2015 votierte der Ältestenrat der Landeshauptstadt München unter dem Vorsitz von Oberbürgermeister Dieter Reiter einstimmig für die Errichtung einer Stele zum Gedenken an Gustav Landauer auf dem Waldfriedhof. Dieses Votum des Ältestenrates bestätigte der Stadtrat dann in seiner Vollversammlung vom November 2015 ebenfalls ohne Gegenstimme. Aus städtischen Etatmitteln wurden hierfür 20.000,- Euro bereit gestellt.

Das Stadtarchiv München und die Städtischen Friedhöfe der bayerischen Landeshauptstadt sahen es aus Pietätsgründen und auch aus praktischen Erwägungen für nicht zielführend an, den Gedenkstein für Gustav Landauer auf seinem ursprünglichen Grab (Sektion 95, Alter Teil) zu errichten. Beschlossen wurde, den Gedenkstein zwar im Gräberfeld 95, jedoch in einem unbelegten Bereich in exponierter Lage unmittelbar am Hauptweg aufzustellen. Um den historischen Kontext zu bewahren, sollte die Inschrift des ursprünglichen Grabmals wieder eingraviert werden.

Des Weiteren wurde entschieden, keine Replik des ehemaligen Grabsteins zu erstellen, sondern einen Wettbewerb ohne gestalterische Vorgaben mit Münchner BildhauerInnen und SteinmetzInnen auszuloben. Eine Jury, bestehend aus VertreterInnen der Stadtratsfraktionen (darunter Thomas Ranft) sowie FachjurorInnen der Städtischen Friedhöfe München und dem Stadtarchiv, entschied dann im Frühjahr 2016 über die eingereichten Entwürfe: Zum Zuge kam die Vorlage des Bildhauers Markus Knittel.

Das gelungene Ergebnis stellt eine freistehende, über 2,50 Meter hohe Stele dar. Als Material wurde gebürsteter Lavabasalt gewählt. Es symbolisiert mit seinem Weg vom Erdinnern zur Oberfläche die Beharrlichkeit, mit der sich Gustav Landauer lebenslang für seine freiheitlichen Ideen und gesellschaftlichen Vorstellungen engagiert hat. Der Stein, gegen Vandalismus imprägniert, ist in der Mitte in zwei Hälften gespalten, um den BetrachterInnen den gewaltsamen Tod Landauers im Zuge der Niederschlagung der bayerischen Revolution im Frühjahr 1919 plastisch vor Augen zu führen. Die beiden Stelenhälften sind mit einer blauen Glasplatte verbunden, die mit Glaspulver gestrahlt wurde. Die Platte trägt die vormalige Grabinschrift: "Jetzt gilt es noch Opfer anderer Art zu bringen[,] nicht heroische[,] sondern stille[,] unscheinbare Opfer, um für das rechte Leben ein Beispiel zu geben."

Die Wegseite der Stele ist zusätzlich mit wichtigen Lebensdaten versehen: "Gustav Landauer/Geboren Am/7. April 1870/Schriftsteller/Und Politiker/Theoretiker/Und Aktivist Des/Anarchistischen/Sozialismus/Gegner Des/Militarismus/ Mitglied Der/Münchner/Räteregierung/ 1919/Wurde Am/2. Mai 1919/In Stadelheim/Brutal Ermordet".

Neben dem soeben (wieder) errichteten Denkmal für Gustav Landauer auf dem Waldfriedhof existieren heute in der bayerischen Landeshauptstadt weitere Erinnerungsorte für diesen bedeutsamen deutschsprachigen Libertären: Die Gedenktafel(7) am Gebäude des städtischen Fremdspracheninstituts (Amalienstraße) sowie das bereits erwähnte Gemeinschaftsgrab von Gustav Landauer und Kurt Eisner auf dem Neuen Israelitischen Friedhof.


ANMERKUNGEN:

(1) Hierzu:
http://raete-muenchen.de/gustav-landauer-stele-am-waldfriedhof

(2) Vgl. den Aufruf von Peter Kühn und Siegbert Wolf zum "Wiederaufbau eines Gedenksteins für Gustav Landauer auf dem Münchner Waldfriedhof" (2015). Veröffentlicht auf: haGalil.com, 05. April 2015/16 Nisan 2015: "Gedenken an Gustav Landauer" und auf der Verlagswebsite: www.edition-av.de: Gustav Landauer, Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Siegbert Wolf. Lich/ Hessen: Verlag Edition AV, 2008ff.

3) Zur Geschichte des Landauer-Denkmals siehe: Siegbert Wolf, Das Gustav Landauer-Denkmal in München (2015). Veröffentlicht auf: haGalil. com, 05. April 2015/16 Nisan 2015: "Gedenken an Gustav Landauer" und auf der Verlagswebsite: www.edition-av.de: Gustav Landauer, Ausgewählte Schriften.

4) Zuletzt als textkritische Ausgabe des Erstdrucks: Gustav Landauer, Aufruf zum Sozialismus. Ein Vortrag (1911). In: Ders., Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Siegbert Wolf. Band 11. Lich/Hessen: Verlag Edition AV, 2015, S. 155.

(5) Siehe Anmerkung 2.

(6) Judith Dauwalter, Initiative will Gustav Landauer-Denkmal setzen (02.04.2015), (www. br.de/nachrichten/oberbayern/inhalt/initiative-landauer.de) (aufgerufen am 22.05.2017); Jakob Wetzel, Zur Erinnerung an einen Anarchisten. Eine Initiative will am Waldfriedhof einen Gedenkort für Gustav Landauer schaffen - bis 2019 soll er fertig sein. In: Süddeutsche Zeitung, 10.04.2015; WET, Stele für Landauer. In: Ebd. 02.03.05.2015; Gabriel Kuhn, Gustav Landauer Monument in Munich to be Reerected (www.pmpress.org/content/article.php/20150507221237967) (aufgerufen am 22.05.2017); Dominique Bourel, Un mémorial pour Landauer. In: L'Histoire, Nr. 412, Juni 2015, S. 17.

(7) Die Inschrift lautet: Gustav Landauer 1870-1919 Philosoph, Übersetzer, Autor und für kurze Zeit Volksbeauftragter für Volksaufklärung, wurde nach dem Ende der Münchner Räterepublik als Radikalsozialist und gewaltloser Anarchist am 2. Mai 1919 in München-Stadelheim ermordet." Des Weiteren erinnert seit 2006 in München gemäß des Beschlusses des Stadtbezirkes Schwabing-West aus dem Jahre 2002 ein "Gustav-Landauer-Bogen" - von der Therese-Studer-Straße nach Westen und u-förmig zurück - an den kommunitären Anarchisten.
https://www.strassenweb.de/m%C3%BCnchen/gustav-landauer-bogen-1982993.html),
(www.strassenkatalog.de/str/gustav-landauer-bogen-80797-muenchen-schwabing-west.html) (aufgerufen am 30.06.2017).

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Quelle:
graswurzelrevolution, 46. Jahrgang, Nr. 421, September 2017, S. 19
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2017

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