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GRASWURZELREVOLUTION/1743: Ruslan Kotsaba - "Ich gehe lieber ins Gefängnis, als in den Bürgerkrieg"


graswurzelrevolution Nr. 427, März 2018
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

"Ich gehe lieber ins Gefängnis, als in den Bürgerkrieg"
Solidaritätskampagne für den ukrainischen Kriegsdienstverweigerer Ruslan Kotsaba

von Lothar Eberhardt und Gernot Lennert


Ruslan Kotsaba ist ein Journalist, der mit Handy und Lence-Camera arbeitet und postwendend sein Material fürs Netz verarbeitet und postet. Ein Blogger, der über 2000 Filme auf seinem Youtube-Kanal zu Themen hochgeladen hat, die ihn beschäftigen. Er lebte mit seiner Familie in der West-Ukraine. Jetzt wohnt er aus Sicherheitsgründen in Kiew.


Ruslan Kotsaba wurde wiederholt von Nationalisten, Faschisten und sogenannten "Hilfspolizisten" aus den Reihen der S14, des Regiments Asow und des Rechten Sektors öffentlich im Rahmen seiner journalistischen Arbeit angegriffen, zuletzt Mitte Dezember 2017 auf offener Straße und bei einer Internet-Fernseh-Sendung Anfang Februar 2018.

Ruslan engagierte sich in der Orangenen Revolution 2004 und in der Majdan-Bewegung. Er tritt für eine andere Ukraine ein, jenseits von Block-Denken, Oligarchen-Herrschaft und Korruptionsskandalen. Der bekennende Christ gehört der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche an. Im griechisch-katholischen Bevölkerungsteil in der West-Ukraine ist traditionell der ukrainische Nationalismus am stärksten verankert.

Die griechisch-katholische Kirche entstand unter polnischer Herrschaft aus der Union von Teilen der Orthodoxen Kirche mit der Katholischen Kirche. Liturgisch und kulturell ist diese Unierte Kirche orthodox geprägt, sie gehört aber zur Katholischen Kirche.


Kriegsdienstverweigerung:

Ruslan Kotsaba rief dazu auf, den Kriegsdienst zu verweigern, sich der Mobilmachung zu entziehen und zu desertieren.

Er arbeitete in leitender Stellung als gut ausgebildete Verwaltungsfachkraft bei der regionalen Fischerei-Behörde in seiner Heimat-Region im Westen der Ukraine. Das "institutionelle Mobbing" mit Umbildung der Institution, der er vorstand, führte letztendlich zu seiner Entlassung. Seither arbeitete er als Journalist.

Seit Frühjahr 2014 herrscht Bürgerkrieg. Die Regionen in der Ost-Ukraine wurden ruiniert, die Ideologie der Guten und der Bösen zur Staats-Raison. Nationalistische und separatistische Kräfte und geopolitische Interessen auswärtiger Mächte halten den Krieg mit seiner Zerstörungskraft und der damit verbundenen sozialen Katastrophe in Gang.

In dem aufgeheizten politischen Klima fasste Ruslan Kotsaba den Entschluss, zu verweigern, nachdem er als einer der wenigen akkreditierten Berichterstatter aus dem "antiterroristischen Kampfgebiet" in der Donbas-Region, in der überdurchschnittlich viele Menschen russischsprachig sind, zurückkam.

In seiner Video-Botschaft im Januar 2015 an den Präsidenten Poroschenko, für den Ruslan Kotsaba in den Wahlen zuvor in der Hoffnung gestimmt hatte, so die Demokratie zu stärken, richtete er sich an die Öffentlichkeit: "Ich weiß, dass die Mobilisierung unter Kriegsrecht erklärt wird. Ich möchte euch alle davor warnen. Lieber gehe ich ins Gefängnis, als jetzt in den Bürgerkrieg zu gehen und meine Landsleute, die im Osten leben, zu töten ... Ich werde an diesem Bruderkrieg nicht teilnehmen." (1)


Recht auf Meinungsäußerung und Kriegsdienstverweigerung (KDV)

Für seinen Aufruf wurde er wegen "Landesverrat" und "Behinderung der rechtmäßigen Aktivitäten der Streitkräfte der Ukraine" im Februar 2015 in Untersuchungshaft genommen. Amnesty International erkannte ihn sofort als "Gefangenen des Gewissens" an.

Ein Jahr dauerte es, bis am 5. Februar 2016 gegen Ruslan vor dem Gericht im westukrainischen Iwano-Frankiwsk der Prozess eröffnete wurde. Er nutzte die folgenden Gerichtstermine direkt aus dem Käfig heraus, dort gehalten wie ein "wildes Tier", für Video-Botschaften mit Appellen zur Meinungs- und Pressefreiheit und für das Recht auf KDV. Der als "Vaterlandsverräter" Diskreditierte fordert die Regierung auf, mit den Separatisten Gespräche aufzunehmen und nicht den Bruderkrieg fortzusetzen.

Er kritisiert, dass er als "krimineller" und nicht als politischer Gefangener im Gefängnis sitzt. Für Kotsaba ist es ein Stellvertreter-Krieg zwischen Washington und Moskau und eine große humanitäre Katastrophe mit weitreichenden geopolitischen Folgen. (2)


Freilassung auf internationalen Druck

Anfang Juli 2016 kam es zur Freilassung aus menschenunwürdigen Haftbedingungen. Dass es soweit kam, dazu beigetragen haben die Soli-Tour seiner Frau durch deutsche Städte, die Lobby-Arbeit mit Amnesty International, Gespräche mit der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung Bärbel Kofler (SPD) und Vertretern des Auswärtigen Amtes, politische Positionierungen von Mitgliedern des Bundestags und aus dem Europarat, weltweite Solidaritätsbekundungen und die Kampagne von DFG-VK, Connection e.V. und War Resisters' International zu ihm.

Das Berufungsgericht in Iwano-Frankiwsk hat das Verfahren eingestellt und seine Freilassung verfügt.

Das Verfahren war aber noch längst nicht zu Ende. An Kotsaba sollte ein Exempel statuiert werden.


Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin?

In der Ukraine gab es bisher über 7500 Strafverfahren, weil Menschen den Kriegsdienst verweigerten. Sie wurden der "Wehrkraftzersetzung" beschuldigt, angesichts der Bruder-Kriegs-Situation desertierten und tauchten sie unter. Viele gingen ins Ausland, davon stellten einige Anträge auf politisches Asyl.

Ende November 2017 gab es Razzien gegen sogenannte Wehrpflichtige in Nachtclubs. Dort wurden direkt Einberufungsbescheide zugestellt und die Kriegsdienstunwilligen zur Unterzeichnung gezwungen, denn in der Ukraine ist die Einberufung erst durch Unterschrift des "Wehrpflichtigen" gültig.

Der "Agent Putins" im politisch-öffentlichen "Sprech", ist in seinem Selbstverständnis ein "Agent des Friedens" mit tiefer religiöser Motivation, worin sein So-Handeln-Müssen mitbegründet liegt: "Jeder normale Christ ist Pazifist und bedingungslos gegen Krieg."

Er sieht sich diesem "göttlichen Gebot" verpflichtet, Das Land zu verlassen käme ihm wie Verrat vor.

Er will eine demokratische Ukraine. Dafür kämpft er alltäglich in seinem Tun mit Mikrofon, Kamera und in Worten.


Gerichtsbarkeit

Das Verfahren wurde vom Obersten Gericht für Zivil- und Strafsachen der Ukraine im Juni 2017 wieder aufgehoben und an das Berufungsgericht Iwano-Frankiwsk zurückverwiesen. Die Strafprozessordnung sei nicht eingehalten worden, insbesondere die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweismittel seien nicht vollständig geprüft worden.

Über 16 Monate hatte sich der Prozess in monatlichen Gerichtsverhandlungen hingezogen. Die Staatsanwaltschaft hat über 60 Zeugen benannt. Viele erschienen nicht vor Gericht. Ruslan saß unter "mörderischen" Haftbedingen im Knast. Zermürbungstaktik.

Im Dezember 2017 erklärte sich das Gericht in Iwano-Frankiwsk für befangen. Beim nächsten Gerichtstermin am 31. Januar 2018 im 25 km entfernten Rajongericht Bohorodtschany hat der Richter Bytkiwskyj seine Befangenheit erklärt, weil er 1999 in der Naturschutz-Staatsanwaltschaft tätig war und Ruslan zu dieser Zeit Chef der Gebietsfischereiinspektion war.

Als nächstes sollte das Gericht in Dolyna, ebenfalls in der Oblast Iwano-Frankiwsk, über den Fall entscheiden. Auch dieses Gericht entschloss sich am 20. Februar, das Verfahren an die Staatsanwaltschaft in Kiew zurückzuverweisen. Das Gericht rügte, dass die Anklageschrift nicht der Strafprozessordnung entspreche. Die Staatsanwaltschaft in Iwano-Frankiwsk hat jetzt die Möglichkeit, die Anklage zu überarbeiten, und könnte sie neu einreichen. Ruslans Befürchtung, für den Fall, dass er wieder in Untersuchungshaft kommt: "Das überlebe ich nicht!"


Politische Unterstützung:

Ruslan Kotsaba, der zum Bundeskongress der DFG-VK im November 2017 als Gast und Referent zur Situation der Menschenrechte geladen war, erhielt, vermittelt durch Bundestagsabgeordnete, eine Einladung für Mitte Januar nach Straßburg zum Europarat, um über die Arbeitsbedingungen von Journalisten und seine Position zum "Antiterror-Einsatz auf der Geschäftsgrundlage der Oligarchen" zu reden, wobei es um Waffenhandel, Organhandel und das alltägliche Sterben in der Ukraine im geopolitischen Wettbewerb geht.

Bei einer Veranstaltung in Mainz sagte er: "Meine Ängste vor der Regierung habe ich im Gefängnis verloren, obwohl ich wieder eingesperrt werden kann." Er bezeichnete die Situation als "humanitäre Katastrophe".

Für Ruslan Kotsaba macht das menschliche Leid, das aus den Kampfhandlungen der "antiterroristischen Operation" und aus der Tatsache resultiert, dass 350.000 Menschen als Soldaten erfasst sind, die "Revolution der Würde" des Majdan für eine offene Gesellschaft zunichte. Sein Resümee: In den Köpfen der Menschen ist der Krieg viel schrecklicher, weil er erst dann endet, wenn diejenigen, die diesen Krieg erfanden, nicht mehr sind.

Der Fall Kotsaba, die Situation politischer Gefangener in der Ukraine und die Willkür des Justizapparats sind im Westen nur bedingt bekannt. Oppositionelle werden für vogelfrei erklärt.

Ruslan Kotsaba ist ein Kämpfer für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, für Willens-, Meinungs- und Pressefreiheit. Es ist zu hoffen, dass seine internationale Bekanntheit dazu beiträgt, ihn zu schützen. Eine Klage zu seinem Fall liegt dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor.

Freiheit für Ruslan Kotsaba!


Lothar Eberhardt (Berliner Initiative "Freiheit für Ruslan Kotsaba")
Gernot Lennert (Landesgeschäftsführer DFG-VK Hessen)


Anmerkungen:
(1) Videobotschaft: https://www.youtube.com/watch?v=6NlCtID6PEo
(2) https://www.youtube.com/watch?time_continue=20&v=FWQC90RNKTE


Weitere Infos:

https://de.connection-ev.org/view.php?s=Ukraine
www.dfg-vk-hessen.de/aktuell/ruslan-kotsaba/
https://www.facebook.com/berlinerinifreiheitruslankotsaba

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Quelle:
graswurzelrevolution, 47. Jahrgang, Nr. 427, März 2018, S. 4
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2018

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