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GRASWURZELREVOLUTION/1755: Offener Brief - "Ich brauche einen Ort zum Leben"


graswurzelrevolution 428, April 2018
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

"Ich brauche einen Ort zum Leben"
Offener Brief der indonesischen Umweltaktivistin Gunarti an HeidelbergCement

von Gunarti


Die indonesische Bäuerin und Umweltaktivistin Gunarti gehört zu den Samin, einer anarchistischen Ökogemeinschaft, die in Zentraljava lebt und schon zur Zeit der niederländischen Kolonialherrschaft auf gewaltfreien Widerstand gegen staatliche Vereinnahmung setzte. Ein Jahr ist es her, dass Gunarti Deutschland besucht hat (siehe GWR 420, Sommer 2017. www.graswurzel.net/420/gunarti.php).

Aktuell verteidigen die Samin ihr Land am Kendeng-Gebirge gegen Zementunternehmen, die das Karstgebirge für noch mehr Profite ausbeuten wollen. Mit kreativen Protestformen, wie z.B. öffentlichen Einzementierungsaktionen, haben die Menschen am Kendeng-Gebirge viel Aufmerksamkeit und Solidarität aus dem In- und Ausland erfahren. Eines der Unternehmen, von deren Fabrikplänen die Menschen am Kendeng Gebirge bedroht sind, ist Indocement. eine Tochterfirma von HeidelbergCement. Deswegen hat Gunarti 2017 auf der Aktionärsversammlung an das Gewissen von Management und Aktionären appelliert. Doch das Unternehmen verfolgt weiter seine expansiven Pläne. Gunarti wendet sich deshalb nun in einem Brief erneut an das Unternehmen. Der hier in einer leicht gekürzten Version veröffentlichte Brief wurde aus dem Javanischen ins Deutsche übersetzt. Er richtet sich an Bernd Scheifele, Vorstandsvorsitzender von HeidelbergCement und an die Aktionäre des Unternehmens.

Gunartis Brief

"Friede sei mit euch, meine Brüder und Schwestern in (...) Deutschland. (...) Mit diesem Brief möchte ich, Gunarti, Angehörige der indigenen Gruppe der Sedulur Sikep [auch Samin genannt], folgendes mitteilen:

Für meine Brüder und Schwestern, die Aktionäre von HeidelbergCement: Indocement, das Unternehmen, das mit eurer Unterstützung versucht, in unserem Gebiet Fuß zu fassen, verbreitet zunehmend Unruhe und sorgt dafür, dass Eure Brüder und Schwestern hier am Kendeng-Gebirge leiden.

Brüder und Schwestern, die Ihr Aktionäre von HeidelbergCement seid: Hört mich an und versucht, den Schmerz und die Tränen unserer Herzen nachzuempfinden, die aufgrund Eurer Aktionen entstehen. Diese Aktionen, obwohl bisher nur im Planungsstadium, haben schon so viel Zerstörung gebracht.

Alles Geld auf der Welt kann diese Zerstörung nicht wieder gut machen. Ich möchte euch nicht erniedrigen. Aber ich muss euch die Wahrheit mitteilen.

Ich bin ein Mensch. Ihr seid Menschen. Wir sind alle Menschen und damit Geschwister, auch wenn unsere Sprachen und die Farbe unserer Haut unterschiedlich sind. Auch die Orte, an denen wir leben, sind verschieden.

Um zu überleben, brauchen wir alle die gleichen Dinge. Ich und auch Ihr braucht Leben. Um zu leben, brauchen wir: Gesundheit, Ruhe, das Lebensnotwendige: Kleidung, Essen, einen Ort zum Wohnen, wir müssen säen und ernten.

Geld kann uns nicht zufrieden machen. Geld können wir nicht essen. Was wir essen können sind Pflanzen, die uns Mutter Erde schenkt. Meine Mutter Erde und Deine Mutter Erde ist dieselbe. Der Ort an dem ich lebe, was ich esse und trinke, stammen von dieser Mutter Erde. Das Wasser, welches Ihr trinkt, ist das gleiche Wasser, das ich trinke und das gleiche Wasser, das andere Menschen trinken. Ich brauche, genau wie Ihr, einen Ort zum Leben.

Ich habe Euch nie gestört und Euch nie gedroht. Daher möchte ich Euch bitten, auch mich nicht zu bedrohen. Ohne Mutter Erde und die Luft, die Euch umgibt, könnt Ihr nicht sein. Ich atme, Ihr atmet. Wir brauchen Luft zum Atmen in unserem Lebensraum, um leben zu können.

Das Wasser, das lebt und unser Leben sichert, wird versiegen, weil das Gebirge, dem es entspringt, für die Zementherstellung abgebaut werden soll. Die Flächen, auf denen wir jetzt leben und Landwirtschaft betreiben, sollen der Zementproduktion weichen. Und das, obwohl Zement nicht schmeckt. Unsere Kinder und Enkel werden sich nicht von Zement ernähren. Was sie essen werden, sind Reis, Gemüse, Fisch, Brot und andere Nahrungsmittel, die wir aus der Natur erhalten. Was wir trinken werden, was wir zum Waschen verwenden werden, ist klares Wasser, nicht Abwasser. Was wird das Schicksal unserer Enkel sein, wenn wir nur arroganten und protzigen Wünschen gehorchen?

Die Zementfabrik, die Ihr in Pati/Zentraljava zu errichten plant, bedroht tausende Hektar Land, hunderte Wasserquellen und die Lebensgrundlage von Millionen Menschen. Wie viele Opfer soll es noch geben? Habt Ihr jemals darüber nachgedacht? Wie würdet Ihr Euch fühlen, wenn dieses Schicksal Euren Familien drohen würde?

Wenn ich zum Beispiel plötzlich täte, was Ihr tut? Würdet Ihr einfach aufgeben? Oder würdet Ihr Euren Familien helfen?

Ihr und ich, wir sind Geschwister! Ich weiß, dass Ihr an eurem Sieg vor Gericht festhaltet. Von mir aus, haltet daran fest.

Aber, erinnert Euch daran, dass das Land und das Wasser am Kendeng Gebirge nicht dem Gericht gehört. Es gehört mir und den Menschen, die am Kendeng-Gebirge leben. Und mein Land, meine Natur und mein Wasser verkaufe ich nicht! Ich erhalte es - jetzt und für meine Enkel. Deshalb bitte ich Sie in Kendeng keine Fabrik zu errichten. Das ist meine erste Bitte.

Die zweite Bitte, die ich habe: ich erinnere Euch als meine Brüder und Schwestern daran, dass Eure Betriebsgenehmigung [die des indonesischen Tochterunternehmens] bis zum 8. Dezember 2017 lief. Ich bitte euch, Euer Tochterunternehmen aufzufordern, sich diese Erlaubnis nicht bei den lokalen Behörden verlängern zu lassen. Die Planung eures Vorhabens hat hier schon genug Konflikte ausgelöst. Wir sind Brüder und Schwestern und Ihr als meine Geschwister werdet mitleiden, wenn einer von uns leidet.

Herr Scheifele und meine Brüder und Schwestern, die Aktionäre: Hört das Weinen meines Herzens. Es weint um Mutter Natur, die uns gibt, was wir zum Leben brauchen.

Meine Geschwister ... befreit mich und meine Geschwister in Kendeng von diesen lebensbedrohlichen Ungeheuern. Eure Pläne haben hier schon viele Ungeheuer hervor gebracht.

Bitte zieht Euer Tochterunternehmen zurück. Bitte gebt Eure Absichten auf, mich und Eure Brüder und Schwestern und alle anderen Lebewesen in Kendeng zu töten.

Auch wenn die Fabrikpläne in Kendeng annulliert werden sollten, so werde ich dafür beten, dass Ihr keinen Geldmangel erleidet. Ich werde auch dafür beten, dass Ihr immer genug Geld für Essen und Kleidung habt.

Meine Geschwister, bevor es zu spät ist, erzwingt Euer Vorhaben nicht weiter. Ich weiß nicht welche Last Eure Enkel eines Tages tragen werden, wenn Ihr entscheidet, hier ein Zementwerk zu erbauen. Jedes Jahr erzielen eure Fabriken Überschüsse. So viel, dass es kaum noch gezählt werden kann. All dieser Zement-Überschuss kann nicht gegessen werden. Auch Euren Enkeln wird er nicht schmecken.

Es gibt nur eine Erde. Lasst sie uns gemeinsam bewahren. Dann wird die Erde auch uns Menschen bewahren.

Bitte gebt euer Kapital nicht her für Indocement in Pati. So dass Euer Geld nicht vergebens investiert wird und von Menschen benutzt wird, die Euch berauben. (...)

Ich hoffe, Ihr könnt mich verstehen. Ich hoffe, Ihr zieht in Erwägung, Euch sofort aus Pati (Zentraljava, Indonesien) zurückzuziehen"

Gunarti. Januar 2018

Übersetzung: Südostasien-Informationsstelle
https://www.asienhaus.de/soainfo/
und Watch Indonesia www.watchindonesia.org/?lang=de

Der Protest geht weiter und wird auch im Mai 2018 wieder nach Heidelberg getragen. Es braucht auch Eure Solidarität!

Aktuelle Informationen findet ihr auf:
https://www.facebook.com/saminvs.semen/ oder auf direkte Nachfrage über savekendeng@gmx.de

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Quelle:
graswurzelrevolution, 47. Jahrgang, Nr. 428, April 2018, S. 12
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2018

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