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GRASWURZELREVOLUTION/1824: Magical Anti-Atommüll-Tour - ein USA-Reisebericht


graswurzelrevolution 434, Dezember 2018
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Magical Anti-Atommüll-Tour
Ein USA-Bericht

von Kerstin Rudek


In Eigeninitiative und unterstützt von amerikanischen Nichtregierungsorganisationen war Kerstin Rudek im September 2018 als Referentin drei Wochen an der Ostküste der USA sowie in Texas unterwegs. Die langjährige Aktivistin der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg hielt dort auf Einladung von Tim Judson vom Nuclear Information and Resource Service (NIRS) (1) Vorträge, nahm an Pressekonferenzen sowie einer Infotour mit einem Castormodell und zahlreichen Veranstaltungen teil. Für die GWR hat sie den folgenden Reisebericht geschrieben. (GWR-Red.)


Auch die Amerikaner*innen wissen nicht, wohin mit dem Atommüll. Die problematischen Endlagerpläne in Yucca Mountain sind Jahrzehnte im Verzug. Alternativ sind Endlager in Texas und New Mexico von Seiten der Regierung denkbar - konkrete Ergebnisse gibt es noch nicht.

Dennoch soll der Atommüll von der Ostküste - wo sich die meisten Atomkraftwerke und Zwischenlager der USA befinden - Tausende von Meilen nach Texas und New Mexico transportiert werden.

Ich habe auf vielen Veranstaltungen über die Risiken der Transporte sowie den Stand der Diskussion um ein Endlager in Deutschland und den Widerstand in Gorleben informiert.

Thema war auch das neue Märchen der weltweiten Atomlobby, Atomkraft könne dem Klimawandel Einhalt gebieten.

Darin sind sich die amerikanische und wendländische Initiative einig: Keine Kohle, kein Atom, Klimaschutz gelingt nur durch Erneuerbare Energien.

Tim Judson und ich sind Teil der Don't nuke the climate Kampagne (2), die zum Weltklimagipfel im Dezember in Katowice (Polen) Proteste gegen neue Atomkraftprojekte in die UN Verhandlungen trägt.

Unterschiede

Die Unterschiede der Ausgangssituationen in beiden Ländern könnte kaum größer sein: hier Atomausstieg mit noch sieben restlichen Atomkraftwerken - drüben in den USA 98 Atommeiler am Netz und eine breite Akzeptanz für eine Zukunft der Atomkraft. Und dennoch gibt es so viele Parallelen in der Realität der Atomkraft - eine völlig unzureichende Zwischenlagerung, keine Pläne oder belastbaren Ergebnisse für eine so genannte Endlagerung. Großes Erstaunen. über die ehemalige Uranabbaustätte Wismut mit vielen Tausend Strahlenopfern, wann immer ich davon berichte.

Das Hauptanliegen meiner Reise mit Aktiven des Citizen Awareness Network, (3) den nukebusters, in New England und der SEED Coalition, (4) in Texas war das Schaffen von Aufmerksamkeit für anstehende Atommülltransporte und das Diskutieren über die Atommüllverwahrung. Während der ersten Woche in New England, unsere Tour führte von Montpelier über Brattleborro, Greenfield und Boston nach Plymouth, stand die Transporteproblematik im Vordergrund. Unsere Bilder der starken, bunten, kreativen und entschlossenen Castorproteste sagten manchmal mehr als meine tausend Worte. Es gibt in der BRD Zwischenlager - drei zentrale in Ahaus, Lubmin und Gorleben und weitere dezentrale an zahlreichen AKW. In den Vereinigten Staaten lagern die abgebrannten Brennelemente unter freiem Himmel mit dünnen Betonummantelungen an den AKW, zum großen Teil inmitten von Wohngebieten.

Es gibt keine Zwischenlager. Dass auch wir nicht zufrieden sind mit Zwischenlagern, die lediglich Witterungsschutz bieten, aber keinen gegen Strahlung in die Umgebung, Flugzeugabsturz und Terrorangriffe erweckte Verständnis.

In der zweiten Woche durch Texas stand die Sorge, zur Atommüllkippe der gesamten USA gemacht zu werden, im Mittelpunkt. Houston, El Paso, Midland, San Antonio, Andrews and Dallas: Texas ist so groß wie die BRD. Jeden Tag haben wir eine Pressekonferenz und eine öffentliche Veranstaltung gemacht und meistens kam noch ein Treffen mit den lokal Aktiven dazu.

In den USA gab es ein favorisiertes Endlagerprojekt, Yucca Mountain in Nevada, 100 Meilen nordwestlich von Las Vegas. Von 1951 bis 1962 Wurden in der Heimat der Western Shoshone und Paiute "Indianerstämme" mehr als 900 Atomwaffentests durchgeführt. Von 1987 bis 2001 gab die Regierung der Vereinigten Staaten fast sieben Milliarden Dollar aus, um Yucca Mountain zum Endlagerstandort zu deklarieren, das für hochradioaktiven Atommüll für die nächsten zehntausend Jahre zur Lagerung vorgesehen sein sollte. Dieses Projekt gilt zur Zeit als geologisch ungeeignet und technisch gescheitert, der Kongress hat jegliche Finanzmittel für Yucca Mountain gestrichen.

Die Firma Waste Control Specialists (WCS) hat den Transport von 40.000 Tonnen abgebrannter Brennelemente über tausende Meilen nach Texas zur Zwischenlagerung beantragt.

Analog hat die Firma Holtec den Transport von 100.000 Tonnen nach New Mexico beantragt, dies wäre das größte Atommülllager weltweit. Für die dortige Lagerung des hochradioaktiven Mülls gibt es kein Konzept, lediglich die Transporte und die Sammlung sollen so erfolgen.

Die Nuclear Regulatory Commission (NRC) hat eine Einwendungsfrist für Bürger*innen bis zum 19. Oktober eingeräumt, die aufgrund der Beschwerde von Bürgerinitiativen just bis zum 19. November verlängert wurde. Wir haben während unserer Anti-Atommüll-Tour Tausende von Einwendungen gesammelt, insgesamt wären von den Transporten 218 Millionen Anwohner*innen der Bahnstrecken im Fünf-Meilen-Radius betroffen.

In den Wochen nach meiner Rückkehr von der Anti-Atommüll-Reise in den USA hat es mehrere Ereignisse gegeben, die darauf schließen lassen, dass die weltweit organisierte Atombande erneut eine Offensive für Atomkraft plant. Zunächst ein Treffen in Amsterdam, um die europäische und internationale Atomgemeinde zu briefen, der Atomausstieg in Deutschland sei ein Riesenfehler und das Zurückfahren der europäischen Atomkraftwerke müsse verhindert werden. Dann die nuclear pride in München, wieder initiiert vom amerikanischen Michael Shellenberger, der so gerne Graswurzel wäre, aber leider nur Kunstrasen ist. Hintergrund ist, dass der Atommafia das Geld knapp wird - nun versuchen sie Atomkraft zur Erneuerbaren Energie zu erklären und wollen an die Fördertöpfe zur Bewältigung des Klimawandels.

Das ist makaber, denn Atomkraft verhindert, dem Fortschreiten des Klimawandels entgegenzuwirken. Atomkraft ist zu dreckig, zu gefährlich, zu teuer, zu langsam, nur unter Menschenrechtsverletzungen zu praktizieren und verhindert richtige Lösungen. Wir werden auch in diesem Jahr beim Weltklimagipfel in Katowice vom 2. bis 14. Dezember als internationale Kampagne Dont Nuke The Climate (5) dafür sorgen, dass die Fassade, die Atombefürworter in schillernden Farben malen, bei unserem leichten Kratzen in sich zerbröselt.

Wir haben die realistische Chance, in den nächsten zehn Jahren einen weltweiten Atomausstieg zu erkämpfen. Wenn die Atombande die kommenden 20 Jahre übersteht, dann haben wir sie noch lange am Hals. Doch jetzt ringen sie mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten und haben ein echtes Zeitproblem, sie sind einfach nicht gut aufgestellt. Viele Atomprojekte scheitern, meist aus finanziellen Gründen.

Der Atomausstieg in Deutschland wird als Vorbild von vielen Amerikaner*innen bewundert. But it's complicated. Dass es eine Urananreicherungsanlage in Gronau gibt und eine Brennelementefabrik in Lingen, die vom Atomausstieg ausgenommen sind und unbefristete Betriebsgenehmigungen haben, wusste kein Mensch, den ich traf in den USA. Aber das ist ja auch in der BRD erst seit wenigen Jahren einem relevanten Teil der Öffentlichkeit bekannt.

Die Atomfirmen und die Atomlobby arbeiten seit Jahrzehnten global vernetzt auf allen Kontinenten grenzüberschreitend.

Es ist wichtig, dass wir starke Standortinitiativen sind, die ihre Hausaufgaben machen und lokal aktiv und erfolgreich sind.

Nur reicht es im Zeitalter der Globalisierung und des Neoliberalismus nicht mehr, sich darauf zu beschränken. Die Probleme sind allerorts die gleichen, die Lösung liegt im Austausch und Lernen voneinander und miteinander. Mit der Atomkatastrophe von Tschernobyl haben viele von uns hautnah erlebt, dass es außerdem nichts nützt, lediglich den Heimatreaktor oder das heimatliche Nukleare Entsorgungszentrum zu verhindern, weil Radioaktivität keine Grenzen kennt. Unser Credo "Stilllegung aller Atomanlagen weltweit" gelingt, wenn wir uns gegenseitig international den Rücken stärken und strategisch zusammenarbeiten. Der Gorleben-Widerstand hat in den vergangenen vier Jahrzehnten sehr viel überregionale und internationale Unterstützung bekommen. Bis heute reisen regelmäßig Menschen und Gruppen ins Wendland, um sich über die Anti-Atom-Bewegung hier zu informieren.

Mein Wunsch ist es, auch etwas zurückzugeben, die Solidarität, die uns all die Jahre begleitet und getragen hat, ist für mich eine große Motivation für internationale Vernetzungen. Auf meiner Reise sind mir so viele Menschen so open minded begegnet! Es hat mich beeindruckt, wie groß das Interesse, an dem, was wir machen, ist. Ich möchte dafür werben und dazu einladen, einander mehr zuzuhören und einander mehr zu erzählen.

Wir sind schon bis hierher gekommen. Weiter geht's!


Anmerkungen:
1) https://www.nirs.org/
2) www.dont-nuke-the-climate.org/
3) www.nukebusters.org/
4) www.seedcoalition.org/
5) www.dont-nuke-the-climate.org/de/

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Quelle:
graswurzelrevolution, 47. Jahrgang, Nr. 434, Dezember 2018, S. 6
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2019

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