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IZ3W/171: Rezension - "Zwischen Gottesstaat und Demokratie. Handbuch des politischen Islam."


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 311 - März/April 2009

Gegen den Pauschalverdacht

Von Tanja Kurreck


Mit "Zwischen Gottesstaat und Demokratie" ist ein Handbuch des politischen Islam gelungen, das gegen die homogenisierende Darstellung des Islam angeht, Klischees entkräftet und die vielen Gesichter des politischen Islam differenziert und kritisch zu zeigen vermag. Herausgegeben wurde es mit Hilfe zahlreicher StudentInnen von den Wiener WissenschaftlerInnen Thomas Schmidinger und Dunja Larise. Sie alle haben offensichtlich akribisch recherchiert.

Begrifflichkeiten wie Säkularismus, Staatlichkeit, Integralismus und Fundamentalismus werden geschichtlich hergeleitet. Gerade die beim letzten Begriff zitierte Definition des Duden von 1982 (»streng bibelgläubige theologische Richtung im Protestantismus in den USA, die sich gegen Bibelkritik und moderne Naturwissenschaft wendet«) erscheint dabei wie ein Fingerzeig. Herausgearbeitet wird, dass Fundamentalismen nicht zwangsläufig zum Islam gehören. Sie existieren in vielen religiösen Richtungen, korrelieren nicht automatisch mit Gewalt und äußern sich weder zwangsläufig in politischen Programmen noch hebeln sie zwangsweise einen säkularen Staatsapparat aus. Diese Schlussfolgerungen werden gemeinhin zu leichtfertig gezogen. Das AutorInnenteam definiert fundamentalistische Gruppierungen im Islam als Gruppen, die sich an einer besonders rückwärts gewandten wörtlichen Auslegung des Korans orientieren, ohne aber politisch aktiv sein zu müssen.

Gekonnt dargestellt werden mehr oder weniger stark organisierte Gruppierungen in Deutschland und Österreich, die jeweils eine Richtung des politischen Islam vertreten. Ihre historischen und ideologischen Wurzeln werden aufgezeigt, Verbindungen der Gruppierungen untereinander nachvollzogen, Inhalte der Bewegungen kritisch diskutiert und offen gelegt. So erhalten die LeserInnen Einblick in die heterogene islami(sti)sche Szene. Deutlich wird, dass die zunehmende Ideologisierung des Islam und die »Islamisierung des Islam« eine Tendenz ist, die zuallererst Muslime trifft und ein Problem in deren Alltag darstellt. Durch einige wenige Extremisten sehen sich viele gemäßigte Gläubige, die sich oftmals kritisch mit der Politisierung des Islams auseinandersetzen, in eine Verteidigungsposition gedrängt, obwohl sie mit politischen Bestrebungen ihrer Glaubensbrüder nichts zu tun haben. Sie müssen sich innerhalb der muslimischen Gemeinde positionieren, gleichzeitig stehen sie oftmals unbegründet unter dem Pauschalverdacht der Mehrheitsgesellschaft. Dies geschieht auch, weil fundierte Informationen über die muslimischen Gesellschaften viel zu dünn gesät sind.

Die Hintergrundinformationen des Handbuches reichen weit über »den Islam« in Deutschland und Österreich hinaus. Es ist keine leichte Kost, der Erkenntnisgewinn aber enorm.


Thomas Schmidinger/Dunja Larise (Hg.):
Zwischen Gottesstaat und Demokratie. Handbuch des politischen Islam.
Paul Zsolnay Verlag, Wien, 2008. 320 Seiten, 19,90 Euro.


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 311 - März/April 2009


Wenn die Nacht am tiefsten... - Macht und Alltag im Iran

Iran steht derzeit wegen seines Atomprogramms im Mittelpunkt außenpolitischer Debatten. Unser Themenschwerpunkt fragt nach den Herrschaftsverhältnissen im Inneren. Wie mobilisiert das Regime der Mullahs Unterstützung in der Bevölkerung? Was unterscheidet den iranischen Islamismus von anderen Islamismen? Wie verfährt das Regime mit Minderheiten? Und wo gibt es welche Ansätze für Widerstand?

Trotz des verbreiteten Unmuts gibt es im Iran keine starke organisierte Oppositionskraft. Wie auch? Oppositionelle Parteien haben im politisch-religiösen System der Mullah-Republik keine Chance. Politische Bewegungen und Minderheiten sind jedoch trotz aller Repression aktiv. Sie kämpfen vor allem auf der Alltagsebene für Bewusstseinsveränderungen, weil sie noch nicht in der Lage sind, die Machtfrage zu stellen. Ihnen gilt unsere Empathie und Solidarität, und ihnen widmet sich dieser Themenschwerpunkt.


Heft - Editorial: Der Anfang vom Ende

Politik und Ökonomie

Israel - Palästina: Gelegenheit für die US-Regierung
von Ghassan Khatib

Wird Palästina gespalten bleiben?
von Yossir Alpher

Simbabwe: Eine akademische Sünde
Verheerende Zustände an den Universitäten
von Christopher Phiri

Entwicklungspolitik: Alte Freunde
Das Scheitern politischer Konditionalität in Togo
von Björn Gutheil

Nationalsozialismus: »Wir waren nicht mehr als Nummern«
Biografische Notizen von schwarzen Häftlingen im KZ Neuengamme von Rosa Fava


Schwerpunkt: Macht und Alltag im Iran

Editorial zum Themenschwerpunkt

Die Andersdenkenden
Zwischen Hoffnung und Resignation
ein Brief von Soussan Sarkhosh

Bastion der Freiheit
Die Studentenbewegung im Iran
von Ali Schirasi

Die andere Hälfte
Iranische Frauen und ihre Bewegung für Freiheit und Emanzipation
von Chahla Chafiq

Zwangsweise loyal
Iranische Jüdinnen und Juden als Spielball der Politik
von Thomas Schmidinger

Utopie versus Apokalypse
Selbstverständnis und Verfolgung der Bahai im Iran
von Wahied Wahdat-Hagh

Die Republik der Ayatollahs
Vom Auf- und Abstieg der politischen Theologie Khomeinis
von Jörn Schulz

»Die Revolutionsgarden sind das Machtzentrum«
Interview mit Ali Alfoneh über das System der Islamischen Republik Iran


Kultur und Debatte

Debatte: Fersengeld statt »satanische Verse«
Die Fatwa gegen Salman Rushdie hat bis heute Folgen
von Udo Wolter

Kunst: Jeder Blick verrät seinen Standort
Perspektiven auf Kunst aus Afrika
von Sebastian Stein

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


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Quelle:
iz3w Nr. 311, März/April 2009
Copyright: bei der Redaktion und den AutorInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2009