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IZ3W/187: Rezension - Faulsein statt dummschwätzen


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe Nr. 315 - November/Dezember 2009

Faulsein statt dummschwätzen

Von Martina Backes


Längst wird der Klimawandel von der Wirtschaft als Chance begriffen: Technische Innovationen könnten mittels Dematerialisierung und Energieeffizienz zu Klimaschutz führen - bei gleichzeitigem Wachstum der Wirtschaft. Mit Nobelpreisen geadelte Theorien, die diese Vorhersage zu belegen glauben, gibt es genug. Politische Kräfte, die sich auf die Erfinder derlei Prognosen berufen, ebenfalls - kurz vor der Klimakonferenz in Kopenhagen erst recht.

Endlich gibt es nun aber auch ein Buch, das mit dem Mythos aufräumt, technologische Entwicklung könne im Bündnis mit dem Marktliberalismus das Klima retten. Wir Schwätzer im Treibhaus entlarvt die Buchhaltungstricks der marktliberalen Klimaretter ebenso wie deren irreführende Prognosen. Vom Kohlendioxidhandel - also dem Geschäft mit 'Luftverschmutzungsrechten' - über angebliche Kompensationen - die auch schon mal als Katalysator industriellen Wachstums fungieren - bis hin zur Verschiebung von Industrieproduktionen - die weiterhin fossile Energieträger wie Erdöl, Erdgas und Kohle verbrauchen - in die Dritte Welt: Der Wissenschaftsjournalist Marcel Hänggi zeigt konsequent, warum all diese Instrumente nicht zum Rückgang der Klimagase führen. Dabei widerlegt er die markteuphorischen Klimaretter gerne mit ihren eigenen Argumenten und den Denkfehlern ihrer eigenen (Un)logik, um dann - und darum ist das Buch so lesenswert - den Blick auf jene gesellschaftlichen Dimensionen des Klimawandels zu lenken, der den meisten KlimaspezialistInnen abhanden gekommen ist.

Hänggi verweist auf die meist versteckte globale Ungerechtigkeit der klimapolitischen Bilanzierungen, etwa wenn die in Indien produzierten und hier konsumierten Wegwerfartikel die Klimabilanzen am Ort der Produktion belasten. Er kritisiert gesellschaftliche 'Selbstverständlichkeiten' wie das automobile Leben, ohne deren Infragestellung keine Lösungen gefunden werden können. Hänggi zeigt, wo die wissenschaftlichen Grundlagen der Klimapolitik in Kosten-Nutzen-Analysen gefangen und blind für Verteilungsungerechtigkeiten sind.

Während viele OptimistInnen behaupten, technisch sei der Wandel zu einer klimaneutralen Gesellschaft längst möglich, sagt Hänggi das Gegenteil: Die Fixierung auf Technik verhärtet zugleich die energieaufwändigen und automobilen Lebensgewohnheiten und verschärft damit die Ursache des Problems. Ohne den Ausbruch aus Denk- und Lebensgewohnheiten, so sein Fazit, sind gerechte Lösungen für den Klimawandel nicht zu haben. Er plädiert für andere Raum- und Verkehrsstrukturen, nicht für individuellen Verzicht, sondern für gesellschaftliche Brüche. Wie zum Beispiel mehr Faulheit als eine Form der Entschleunigung der Produktion.

Marcel Hänggi:
Wir Schwätzer im Treibhaus - Warum die Klimapolitik versagt
Rotpunktverlag, Zürich 2008. 290 Seiten, 21,50 Euro


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 315 - November / Dezember 2009


THEMENSCHWERPUNKT:
Digitale Welten - SoftWares und das Internet

Über 1,2 Milliarden Menschen weltweit und über die Hälfte der EU-BürgerInnen nutzen inzwischen das Internet. Die IT-Kommunikation wird in gelegentlich aber immer noch in überirdischen Metaphern beschrieben: "Nur gut, dass man das Internet nicht hören kann, denn allein das chinesische Netzgeschnatter wäre wohl laut genug, um das gesamte Universum zum Einsturz zu bringen", schreibt Christian Y. Schmidt in seinem neuen China-Buch "Bliefe von dlüben". Die Volksrepublik steht mit über 300 Millionen registrierten InternetnutzerInnen weltweit an erster Stelle derer, die spielen, chatten, posten und bloggen, "was die Tasten hergeben".

Wenn vom Süden und dem Internet die Rede ist, muss man auch über die "digitale Kluft" sprechen. Da schon heute in absoluten Zahlen rund 60 Prozent der InternetnutzerInnen im Süden leben, ist eine weitere entscheidende Frage zur digitalen Welt, wie die digitale Kommunikation im Süden genutzt wird. Und gerade in autoritären Regimes spielt das Internet eine wichtige Rolle für dissidente Sichtweisen: Freiheitsbestrebungen, die im politischen Raum scheitern, lassen sich im Netz kaum unterdrücken.

Themen im Schwerpunkt:
Im Netz von Clans - Global verteilte Gemeinschaften statt globaler Gesellschaft + Internet-Vernetzung für Weltverbesserer + to be bangalored... - Internationale Arbeitsteilung in der Softwareindustrie + Copy light - Freie Software und globale Emanzipation + Agender, Bigender, Genderqueer - Feministische Auseinandersetzungen um das Internet + "Das Internet wird überbewertet" - Interview mit John Bwakali über Indymedia Kenya + "Schluss mit dem Kulturpessimismus" - Interview mit Geert Lovink über die neuen Kommunikationsmittel

Weitere Themen im Heft:

Politik und Ökonomie:
Mexiko: Arbeitskampf Contra Continental + Erfolgreiche Skandalisierung - Das NoBorder-Camp auf der griechischen Insel Lesbos + Migration: Ohne Sprachzertifikat kein Ehegattennachzug + Menschenrechte: Erfahrungen mit Kinderrechten in Guatemala und Indien + Chile: Geschichtspolitik um den 11. September + Drogenpolitik: Die ekuadorianische Regierung zwischen Repression und Liberalisierung

Kultur und Debatte:
Film: Der Regisseur Barry Barclay und das indigene Kino aus Neuseeland + Vergangenheitspolitik: Der Berliner Streit um die Ausstellung "Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg" + Nationalsozialismus: Interview mit Raffael Scheck über sein neues Buch "Hitlers amerikanische Opfer"



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INHALTSÜBERSICHT

Hefteditorial: Schlimmer geht's immer!


Politik und Ökonomie

Arbeitskämpfe: Contra Continental
Ein mexikanischer Arbeitskampf fordert deutsche Gewerkschaften heraus Interview mit Lars Stubbe

NoBorder: Erfolgreiche Skandalisierung
Das NoBorder-Camp auf der griechischen Insel Lesbos
von Miriam Edding

Migration: »Ihr wollt uns nicht«
Ohne Sprachzertifikat kein Ehegattennachzug
von Katja Giersemehl

Menschenrechte: Die Ohnmacht des Rechts
Erfahrungen mit Kinderrechten in Guatemala und Indien
von Manfred Liebel

Chile: Erinnern, um zu vergessen
Geschichtspolitik um den 11. September in Chile
von Sebastian Sternthal

Drogenpolitik: »Legt euch nicht mit Ekuador an!«
Die Drogenpolitik der Regierung Correa zwischen Repression und Liberalisierung
von Linda Helfrich


Schwerpunkt: Digitale Welten

Editorial

Im Netz von Clans
Global verteilte Gemeinschaften statt globaler Gesellschaft
von Karsten Weber

Internet-Vernetzung für Weltverbesserer
von Sascha Klemz

to be bangalored - or not to be
Internationale Arbeitsteilung in der Softwareindustrie
von Vaba Mustkass und Winfried Rust

Copy light
Freie Software und globale Emanzipation
von Stefan Meretz

Agender - Bigender - Genderqueer
Feministische Auseinandersetzungen um das Internet
von Tanja Carstensen

»Das Internet wird überbewertet«
Interview mit John Bwakali über Indymedia Kenya

»Schluss mit dem Kulturpessimismus!«
Interview mit Geert Lovink über die neuen Kommunikationsmittel


Kultur und Debatte

Film: Der Wegbereiter
Barry Barclay und das indigene Kino aus Neuseeland
von Ulrike Mattern

Vergangenheitspolitik: Erinnerung als Politikum Der Berliner Streit um die Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg«

Nationalsozialismus: »Sie wurden einfach erschossen«
Interview mit Raffael Scheck über sein Buch »Hitlers afrikanische Opfer«

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


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Quelle:
iz3w Nr. 315 - November / Dezember 2009
Copyright: bei der Redaktion und den AutorInnen
Herausgeberin: Aktion Dritte Welt e.V. - informationszentrum 3. welt
Postfach 5328, Kronenstr. 16a (Hinterhaus)
79020 Freiburg i. Br.
Tel. 0761/740 03, Fax 0761/70 98 66
E-Mail: info@iz3w.org
Internet: www.iz3w.org

iz3w erscheint sechs Mal im Jahr.
Das Jahresabonnement kostet im Inland 31,80 Euro,
für SchülerInnen, StudentInnen, Wehr- und
Zivildienstleistende 25,80 Euro,
Förderabonnement ab 52,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2009