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IZ3W/226: Zentralamerika - Politik der harten Hand - Ungleiche Sicherheit und sichere Ungleichheit


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe Nr. 320 - September/Oktober 2010

ZENTRALAMERIKA
Politik der harten Hand
Ungleiche Sicherheit und sichere Ungleichheit in Zentralamerika

Von Rosa Lehmann und Malte Lühmann


Gewalt und Kriminalität etwa durch Jugendbanden treten als drängende Probleme für die Gesellschaften der zentralamerikanischen Länder immer mehr in den Vordergrund. Doch die dominanten repressiven Strategien tragen nicht zu ihrer Eindämmung bei. Statt an den Ursachen zu rütteln, setzen die Eliten weiter auf sozialen Ausschluss benachteiligter Gruppen.


Nach dem Ende der zentralamerikanischen Bürgerkriege sind Kriminalitätsraten und Gewaltniveaus in der Region keineswegs zurückgegangen. Sie werden in den drei Ländern des Triángulo Norte (Guatemala, Honduras, El Salvador), aber auch in Mexiko als wichtigste politische Probleme diskutiert. Dabei bestimmen neben Drogenkartellen so genannte Maras - (Jugend-)Banden nach dem Vorbild US-amerikanischer Gangs - als TäterInnengruppe den aktuellen Sicherheitsdiskurs. Diese werden mitunter als »die ernst zunehmendste Herausforderung für den Frieden in der Region seit dem Ende der mittelamerikanischen Bürgerkriege« bezeichnet. (1) Diskursiv werden die Marer@s als gefährlich, wild und bestialisch stilisiert, was sich sowohl in den Medien als auch in Gesetzestexten niederschlägt. Staatliche Reaktionen sind repressive Maßnahmen, deren klare Botschaft sich schon in den Namen nationaler Programme in den letzten Jahren widerspiegelt - in Guatemala ist es der Plan Escoba, in El Salvador der Plan Mano Dura und in Honduras die Operación Libertad. Mit einer »Politik der harten Hand« sollen Freiheit und Sicherheit gewährleistet werden. Die Frage ist nur: Sicherheit vor was, warum und für wen?

Die Verschiebung der Prioritäten staatlicher Politik, bei der die Herstellung von Sicherheit als vorrangiges Ziel auf die politische Agenda gesetzt wird, findet ihre Begründung in der Zunahme (organisierter) Kriminalität. Durch diese Versicherheitlichung des 'Mara-Problems' werden militärische Mittel in den Vordergrund gerückt und Möglichkeiten einer politischen Bearbeitung der Problematik an den Rand gedrängt.


Bekämpfung der Armen ...

Konzeptionell verweist schon die als bedroht dargestellte BürgerInnensicherheit (Seguridad Ciudadana) auf Mechanismen von sozialer Exklusion. Im Zentrum steht die Sicherheit jedes Bürgers und jeder Bürgerin vor Kriminalität und zwischenmenschlicher Gewalt. Marginalisierte Gruppen wie ökonomisch benachteiligte Jugendliche aus den Barrios, Drogenabhängige, aber auch informelle StraßenhändlerInnen, bestimmte ethnische Gruppen oder ImmigrantInnen gelten dabei weniger als 'BürgerInnen', sondern werden zu 'Kriminellen', die die Sicherheit gefährden. Zudem ist die Begegnung mit dem staatlichen Repressionsapparat für diese Gruppen in Zentralamerika der fast einzige Kontakt mit dem Staat, da kaum öffentliche Gesundheitseinrichtungen vorhanden sind und die Quote der Schulabbrecher aufgrund ökonomischer Zwänge und Perspektivlosigkeit sehr hoch ist. Gegen diese No-Ciudadanos (Nicht-BürgerInnen) wird im Rahmen der Seguridad Ciudadana ein hartes Vorgehen gerechtfertigt. Oft genügt es in den Ländern des Triángulo Norte bereits, eine Tätowierung (ein identitätsstiftendes Symbol der Maras) zu tragen, um Opfer von Polizeischikanen und willkürlichen Verhaftungen zu werden. In El Salvador wurden in den letzten Jahren beispielsweise 'Mara-Gesetze' verabschiedet, die eine höhere Bestrafung für minderjährige Gang-Mitglieder möglich machen oder Mord - ein als typisch betrachtetes Verbrechen der Banden - als einen Akt organisierter Kriminalität fassen, der somit mit anderen Strafen versehen werden kann als 'normaler' Mord. (2)

Diese Null-Toleranz-Politik soll jegliche Ausdehnung von kriminellen Netzwerken und organisierter Kriminalität sowie die Verbreitung von jugendlicher Delinquenz im Keim ersticken. Dabei wird kaum zwischen organisiertem Verbrechen, jugendlicher Delinquenz oder anderer Kleinkriminalität unterschieden. Lösungsansätze zielen dementsprechend nicht auf die sozialen Grundlagen von Kriminalität und Gewalt ab, sondern auf deren direkte, repressive Bekämpfung. Dabei wäre es notwendig, verschiedene Arten von Kriminalität auch unterschiedlich zu bearbeiten. Eine Strategie, die eine erhöhte öffentliche Präsenz von Militär und Polizei, den Abbau von BürgerInnenrechten, die Kriminalisierung sozial schwacher und ausgeschlossener Gruppen sowie die massive Verletzung von Menschenrechten zur Folge hat, führt letztlich zur »Bekämpfung der Armen statt [zur] Bekämpfung der Armut«. (3)

Das Beispiel Zentralamerikas zeigt einmal mehr, dass die Politiken der 'harten Hand' und die Get Tough-Strategien keineswegs zur Verringerung von Kriminalität und Gewalt führen. Darüber hinaus gedeihen die kriminellen Netzwerke in den Gefängnissen weiter. Ohne Aussicht auf Rehabilitation, bleibt den Inhaftierten keine Möglichkeit, als sich in der Hierarchie der Gangs weiter nach oben zu arbeiten. Notwendig wäre jedoch eine Repolitisierung und damit Entsicherheitlichung sozialer Konflikte. Sicherheit - hier verstanden als die Abwesenheit von personaler und struktureller Gewalt - kann nicht durch Politiken der Versicherheitlichung für alle Sektoren der Gesellschaft erreicht werden.

Neben radikalen Reformen politischer Institutionen, um eine Bearbeitung sozialer Probleme zu gewährleisten, ist eine integrative Behandlung der Kriminellen daher unabdingbar, ebenso die Prävention. In Nicaragua etwa liegt der Schwerpunkt bei der Eindämmung von Gewalt auf Prävention und Rehabilitierung. Dort unterstützen staatliche Stellen die Reintegration straffällig gewordener Personen in ihren Herkunftsgemeinden. Außerdem existieren in den Gefängnissen Beschäftigungsangebote wie Arbeit und Kunstprojekte. Dies ist zwar sicherlich nicht der einzige Grund dafür, dass Nicaragua eine drei- bis viermal niedrigere Mordrate hat als die nördlichen Nachbarstaaten (8 auf 100.000), jedoch können die Wirkungen solcher Programme kaum übersehen werden.


... zur Sicherung von Herrschaft

(Gewalt-)Kriminalität ist in erster Linie ein Phänomen an der Oberfläche, welches das tiefer liegende Problem der sozialen Ungleichheit lediglich überdeckt. Natürlich sollten die teilweise äußerst brutale Gewalt von Banden und Drogenkartellen sowie das in Mittelamerika bestehende Maß an Kriminalität und die damit einhergehende Angst und Verunsicherung keinesfalls unterschätzt werden. Jedoch ist die repressive Sicherheitspolitik nicht als bloße Bearbeitung von Gewalt und Kriminalitätsproblemen zu analysieren, sondern als eine Form von Herrschaftssicherung, mit der (ungleiche) soziale Verhältnisse stabilisiert und abgesichert werden. Die diskursive Verteufelung und repressive Bearbeitung von Maras und anderen 'sicherheitsgefährdenden' Akteuren dient letztlich dazu, zugrunde liegende Probleme wie Armut, soziale Ausschlussmechanismen und Perspektivlosigkeit großer Bevölkerungsteile unangetastet lassen zu können.


Maras mit Zukunftsperspektive

Wichtig ist zudem eine Analyse der Demokratisierungsprozesse in der Region. In den zentralamerikanischen Staaten ging die Ausweitung formal-demokratischer Partizipationsmöglichkeiten nicht mit dem Abbau struktureller Ungleichheiten einher. Während der Demokratisierungsdruck durch die Erhöhung formaler politischer Partizipation gestiegen ist, festigten neoliberale Umstrukturierungen von Politik und Wirtschaft die soziale Exklusion. Dies verhindert, politische Partizipationsmöglichkeiten auch tatsächlich wahrnehmen zu können. (4) Die ungerechte Verteilung von landwirtschaftlichen Nutzflächen gepaart mit einer verstärkten Exportorientierung der Landwirtschaft und einer Öffnung der Märkte im Zuge der Freihandelsabkommen mit den USA und der EU bedeuten für viele KleinbäuerInnen in der Region, ihren Lebensunterhalt noch schlechter als vorher bestreiten zu können. So genannte Naturkatastrophen, deren Folgen meist durch fehlende Präventionsmaßnahmen gerade für ohnehin schon sozioökonomisch schwache Bevölkerungsgruppen gravierend sind, tun neben fehlendem Zugang zu Bildung, Gesundheit und gesicherten Arbeitsverhältnissen ihr übriges, dass Arbeitsmigration oder die Mitgliedschaft in einer kriminellen Gruppe als teilweise schon frühzeitig anvisierte Zukunftsperspektiven in Betracht gezogen werden.

Die Forderungen und Proteste sozialer Bewegungen und Organisationen werden derweil zunehmend kriminalisiert, etwa wenn sich in Guatemala die BewohnerInnen ländlicher Gemeinden gegen gesundheits- und umweltschädliche Minenprojekte zur Wehr setzen. Von staatlichen 'Sicherheits'-Organen begangene Menschenrechtsverletzungen werden hingegen äußerst selten konsequent verfolgt. Hier wären Debatten über notwendige, für die politischen und ökonomischen Eliten schmerzhafte Politiken der Umverteilung sowie ein demokratischer Umbau der Justiz angebracht. Doch mit dem Fokus auf eine bestimmte Form öffentlicher bzw. BürgerInnen-Sicherheit werden diese verhindert. Die zentralamerikanischen Eliten, die nicht nur über die ökonomische und politische Herrschaft verfügen, sondern auch die Medien kontrollieren, versuchen über die Erzeugung eines (Un-)Sicherheitsdiskurses neue Legitimationsressourcen für die Beibehaltung des Status quo zu erschließen. Ohne die Bearbeitung tiefer liegender Probleme wie Ungleichheit und Perspektivlosigkeit kann die (Gewalt-)Kriminalität nicht dauerhaft vermindert werden. Ohnehin sind für die meisten MittelamerikanerInnen die sozioökonomischen Verhältnisse der eigentliche Grund für ein unsicheres Leben.


Malte Lühmann studiert Global Political Economy an der Uni Kassel und ist Beirat der Informationsstelle Militarisierung. Rosa Lehmann ist Politikwissenschaftlerin und Ethnologin und arbeitet zurzeit beim Arnold-Bergstraesser-Institut Freiburg. In San Petro Sulas, Honduras


Anmerkungen

(1) Ana Arana (2005): How the Street Gangs took Central America. In: Foreign Affairs, Vol. 84, No. 3, May-June 2005, S. 99. [Übers. d. AutorInnen]

(2) Vgl. dazu ausführlicher Peter Peetz (2008): Discourse on Violence in Costa Rica, El Salvador and Nicaragua. Youth, Crime, and the Responses of the State. In: GIGA Working Papers No. 80, S. 28ff.

(3) Loïc Wacquant (2009): Bestrafen der Armen. Zur neoliberalen Regierung der sozialen Unsicherheit. Opladen/Farmington Hills. Verlag Barbara Budrich.

(4) Vgl. hierzu Ingrid Wehr (2008): Von der low-intensitiy democracy zur Staatsbürgerschaftsdemokratie? In: Lateinamerikaanalysen. Nr. 20/2. Hamburg: Institut für Lateinamerika-Studien, S. 96-124.


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 320 - September/Oktober 2010


Themenschwerpunkt:
Die Zukunft im Nacken - Was bewegt Zentralamerika?

Die zentralamerikanischen Staaten gelten oft als "Bananenrepubliken". Früher kontrollierten dort US-amerikanische Fruchtkonzerne zusammen mit oligarchischen Familien nicht nur Produktion und Handel mit dem Hauptexportgut Bananen, sondern vergaben auch politische Posten. Bis heute gelten die zentralamerikanischen Staaten als korrupt und politisch instabil.

Während ein Großteil der Bevölkerung damals weder etwas zu sagen noch zu beißen hatte, ist heutzutage wenigstens ersteres formal gegeben. Alte und neue Eliten haben jedoch nach wie vor großen Einfluss auf Medien und Politik. Auch wenn offiziell Demokratie herrscht: Problematisch wird es immer dann, wenn die Bevölkerung mehr Mitbestimmung und zaghafte soziale Reformen fordert. Unser Themenschwerpunkt befasst sich mit aktuellen Lebensrealitäten in Zentralamerika, mit Arbeitsmigration, Sicherheitsdiskursen, Freihandelsabkommen, zweifelhaftem Naturschutz und vielem mehr.

Themen des Schwerpunkts:
Aufgeputscht - Reform und Reaktion à la Centroamérica + Vom Fußballkrieg zur regionalen Integration - Migration in Zentralamerika + "Er soll zurückkehren" - Auswirkungen der Migration in Todos Santos + Politik der harten Hand - Ungleiche Sicherheit und sichere Ungleichheit + Schutzlos im Schutzgebiet - Repressive Formen des Naturschutzes + "Der totale Naturschutz" - Interview zu Landkonflikten in einem nicaraguanischen Naturschutzgebiet + Assoziierung oder Neokolonialismus - Interview über den Widerstand gegen Freihandelsabkommen mit der EU + Sin Nombre - Film über Jugendliche ohne Chance + Auf halbem Weg zum Himmel - Film über Proteste gegen ein Massaker


INHALTSÜBERSICHT


Hefteditorial: Die Niebelungensaga


POLITIK UND ÖKONOMIE

Entwicklungszusammeanarbeit I: Ins Netz gegangen
Die NRO-Fazilität Afghanistan entzweit Hilfsorganisationen
von Jan Bongers

Entwicklungszusammenarbeit II: Ach so, deswegen!
Eine Glosse über wirkungsorientiertes M&E in der EZ
von Olaf Reetland

Türkei: Erdogans Drahtseilakt
Die AKP-Regierung instrumentalisiert die Israel-Krise
von Luisa Seeling

Nepal: Hoffen auf bessere Tage
Was ist aus Nepals Aufbruch in die Demokratie geworden?
von Tina Sanio und Julia Odumuyiwa

Kirgistan: Programmierte Gewalt
Die Massaker haben eine lange Vorgeschichte
von Wladimir Sgibnev

Iran: Die Deutschen und der Iran
Ein Streitgespräch zwischen MdB Gernot Erler und Buchautor Matthias Küntzel

Debatte: Nach dem Neoliberalismus ist vor ...
Was ist aus der Linken in Lateinamerika geworden?
von Ulrich Brand, Bernd Beier, Albert Sterr, Oscar Vega, Wolf-Dieter Vogel und Britt Weyde


SCHWERPUNKT: ZENTRALAMERIKA

Alles Bananenrepubliken oder was?

Aufgeputscht
Reform und Reaktion à la Centroamérica
von Tobias Lambert

Vom Fußballkrieg zur regionalen Integration
Migration in Zentralamerika
von Volker Hamann

»Er soll zurückkehren«
Auswirkungen der Migration in Todos Santos
von Natalie Wegmann

Politik der harten Hand
Ungleiche Sicherheit und sichere Ungleichheit
von Rosa Lehmann und Malte Lühmann

Schutzlos im Schutzgebiet
Repressive Formen des Naturschutzes
von Rosa Lehmann und Peter Clausing

»Der totale Naturschutz«
Landkonflikte in einem nicaraguanischen Naturschutzgebiet
Interview mit Eileen Mairena Cunningham

Assoziierung oder Neokolonialismus?
Interview mit Carlos Aguilar über den Widerstand gegen Freihandelsabkommen mit der EU

Film: Sehnsucht nach dem besseren Leben
»Sin Nombre« zeigt Jugendliche ohne Chancen von Katharina Lange

Film: Auf halbem Weg zum Himmel
Ein Dorf prozessiert gegen ein Massaker
von Saskia Walther


KULTUR UND Debatte

Nationalsozialismus: »Das Werk des Propheten vollenden«
Die Propaganda der Nationalsozialisten in die arabisch-islamische Welt
von Vera Henßler

Gerettete Schätze: Wissenschaft ist Politik
Ein kunsthistorischer Blick ins antike Afghanistan
von Katja Behrens

Fotojournalismus: Der dokumentarische Moment
Die Ausstellung »Kunduz, 4. September 2009« geht neue Wege
von Felix Koltermann

Film: Auch in Kinshasa wird Weltmusik gespielt
von Martina Backes

»Singen ist wie zweifach Beten«
Interview mit dem Filmemacher Martin Baer

Islam: Den Koran neu denken
Ein Nachruf auf Nasr Hamid Abu Zaid
von Thomas Schmidinger

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


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Quelle:
iz3w Nr. 319 - September/Oktober 2010, S. 26-27
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2010