iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 340 - Januar/Februar 2014
Editorial zum Themenschwerpunkt
Eigentor Brasilien - vom Elend eines Global Players
»Was bedeutet es, Schriftsteller zu sein in einem Land in der Peripherie der Welt, einem Ort, wo der Begriff Raubtierkapitalismus ganz bestimmt keine Metapher ist?« Mit diesen Worten begann der brasilianische Autor Luiz Ruffato seine kritische Festrede zur Eröffnung der Buchmesse in Frankfurt. Dort sollte das Gastland Brasilien gefeiert werden, jenes schon vom Schriftsteller Stefan Zweig beschworene »Land der Zukunft«. Ein Land, in dem sich laut Ruffato der Mythos von Toleranz und einer friedlichen 'Vermischung der Rassen' trotz tief eingeschriebener kolonialer Gewalt immer noch hält. Ein Land, in dem Wohnen, Bildung, Gesundheit und Erholung nach wie vor ein Privileg einer Minderheit sind, das gleichzeitig aber Unsummen für sportliche Großereignisse verpulvert.
Doch von den gewaltigen sozialen Spaltungen wollte bis vor kurzem weder die fußballbesoffene Weltöffentlichkeit noch der politische Mainstream Brasiliens etwas wissen. Das änderte sich erst, als im Juni 2013 lang angestauter Unmut aufbrach und bei landesweiten Massenprotesten während des Confederation Cups kritische Stimmen laut wurden. Hunderttausende gingen auf die Straßen, sie forderten mehr Ausgaben für Bildung und das Gesundheitssystem, ein bezahlbares öffentliches Nahverkehrssystem und die Bekämpfung der Korruption.
All das geschieht in einem Land, das in den letzten Jahren zur sechstgrößten Wirtschaftsnation der Welt avancierte und derzeit riesige Staudammprojekte im Amazonas umsetzt. Indem Brasilien Megaevents wie die Männerfußball-WM 2014 und Olympia 2016 ins Land holte, unterstrich es seinen Anspruch, künftig als Global Player im Reigen der Supermächte mitzuspielen. Doch hinter den Erfolgsmeldungen vom Aufstieg Brasiliens gerieten dessen soziale Kosten aus dem Blick.
Unser Dossier beleuchtet Brasiliens Weg in seinen verschiedenen Facetten und will dazu motivieren, einen Blick hinter die Kulissen der glamourösen Großevents zu werfen. Herausgeben wird es von KoBra (Kooperation Brasilien e.V.) und dem iz3w (informationszentrum3.welt). Die beiden organisatorisch unabhängigen Informationsprojekte eint nicht nur die gemeinsame Nutzung eines Hinterhauses in der Freiburger Kronenstraße, sondern auch ein von Luiz Ruffato formulierter Anspruch: »Die Perpetuierung von Unwissen als Herrschaftsinstrument, Markenzeichen jener Elite, die bis vor ganz Kurzem noch an der Macht war, lässt sich eindämmen.«
Unsere AutorInnen gehen der Frage nach, wie Brasilien sich in diesen Tagen verändert. Sie zeigen Ausschnitte aus den gut vernetzten brasilianischen sozialen Bewegungen und informieren über die Beweggründe für deren Proteste. Wir haben uns erlaubt, mit den großen Gegensätzen Brasiliens auch visuell zu spielen: Auf der einen Seite stehen die Protestbilder der Medienguerilla-Gruppe Mídia Ninja. Auf der anderen Seite zeigen wir Hochglanzmotive, wie sie inner- und außerhalb Brasiliens kursieren, und die ein beschönigendes Brasilienbild zeichnen.
die redaktion
Das Dossier wurde mit Mitteln des BMZ gefördert. Herzlichen Dank!
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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 340 - Januar/Februar 2014
Eigentor Brasilien
vom Elend eines Global Players
Mit der Ausrichtung der Männer-Fußball-WM im Juni 2014 und der Olympischen Sommerspiele 2016 unterstreicht Brasilien seinen Anspruch, künftig ein Global Player zu sein. Doch hinter den Erfolgsmeldungen vom Aufstieg Brasiliens zur sechstgrößten Wirtschaftsnation der Welt geraten die sozialen Kosten aus dem Blick. Die Spaltung zwischen Arm und Reich wächst, Umweltprobleme verschärfen sich, und Minderheiten bekommen nicht die Rechte, die ihnen zustehen.
Von den gewaltigen Problemen wollte bis vor kurzem weder die fußballbesoffene Weltöffentlichkeit noch der politische Mainstream Brasiliens etwas wissen. Das änderte sich erst, als im Juni 2013 lang angestauter Unmut aufbrach und bei Massenprotesten kritische Stimmen laut wurden. Hunderttausende gingen auf die Straßen, sie forderten mehr Ausgaben für Bildung und Gesundheit, bezahlbaren öffentlichen Nahverkehr und die Bekämpfung der Korruption. Das gemeinsam mit KoBra (Kooperation Brasilien e.V.) herausgegebene Dossier will dazu motivieren, einen Blick hinter die Kulissen der glamourösen Großevents zu werfen.
BEITRÄGE IM DOSSIER:
Editorial zum Dossier
Traum oder Alptraum?
Brasiliens Metamorphose vom sozialen Vorzeigeland zum Polizeistaat
von Verena Glass
»Das Neue ist immer schwierig«
Interview mit Eduardo Pereira über die Proteste in Brasilien
Alles Ninja, oder was?
Brasiliens alternative Medienlandschaft im Umbruch
von Nils Brock
Grobes Foulspiel
Die WM unterhöhlt die Rechte der Stadtbevölkerung
von Adrian Mengay und Maike Pricelius
»40 Jahre sind genug!«
Deutsch-brasilianische Kooperation zwischen Solidarität und Atomgeschäften
von Christian Russau
Schönfärbendes Weißwaschen.
Das postkoloniale Brasilien ist keineswegs eine egalitäre Regenbogennation
von Sarah Lempp
Latinos, das sind die anderen
Brasilien hat ein kompliziertes Verhältnis zu Lateinamerika
von Dawid Danilo Bartelt
Konflikte exportieren
Das Agrarprojekt ProSavana in Mosambik wiederholt brasilianische Fehlentwicklungen
von Fátima Melio
Dumping mit Hühnerfleisch
Brasilien bedrängt Agrarmärkte im südlichen Afrika
von Stefan und Andreas Brocza
Brasilien, Land des Fußballs
Debatten über einen identitätsstiftenden Mythos
von Thomas Fatheuer
Einfach Spitze!
Eine kleine Polemik über das Bedürfnis nach Brasilienbildern
von Simon Brüggemann
Luiz Ruffatos Romane über die Marginalisierten
Rezensionen
von Anne Reyers und Judith Felizita Säger
Zeitschriften - Bücher - Multimedia
WEITERE THEMEN IM HEFT:
Hefteditorial
Politik und Ökonomie:
Südsudan: Rückkehr oder Vertreibung?
Die "Returnees" in Juba
von Ulrike Schutz
Mexiko: »Sie schenkten uns dieses Haus«
Modelldörfer in Chiapas stoßen auf Kritik
von Anne Haas
Erster Weltkrieg: »Die Front ist die Hölle«
Im Ersten Weltkrieg wurden Millionen Kolonialsoldaten eingesetzt (Teil 1)
von Karl Rössel
Umfangreiche Literaturliste zum Thema Afrika im Ersten Weltkrieg
von Oliver Schulten
Indien: Nicht still halten, nicht schweigen
Frauenproteste in Indien
von Maya Subrahmanian
»Das dominante Konzept von Sexualität in Frage stellen«
Interview mit Vibhurti Patel
Gesundheit: Weibliche Genitalverstümmelung...
ist kein "afrikanisches" Problem
von Oliver M. Piecha
Antiziganismus: Zum Davonlaufen
Roma in Serbien und im Kosovo
Langfassung mit Bilderstrecke
von Albert Scherr und Elke Scherr
KULTUR UND DEBATTE:
Musik: Fuerte, rapido, duro
Wie Punk zu einer globalen Jugend- und Protestkultur wurde
von Ingo Rohrer
Buch & Film: Von Freunden und Feinden
Schlaglichter auf Israel
von Gaston Kirsche
Literatur: Klagelied für Teheran
Amir Hassan Cheheltans Roman über die "Stadt ohne Himmel"
von Azadeh Hatami
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Quelle:
iz3w Nr. 340 - Januar/Februar 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2013