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KAZ/286: Marxistische Ökonomen tagten in Berlin


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 364, September 2018
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

Marxistische Ökonomen tagten in Berlin

von R. Corell


Zum 13. Forum der WAPE (World Association for Political Economy = Welt-Assoziation für Politische Ökonomie) kamen in Berlin vom 16. bis 18. Juli etwa 150 marxistische Wissenschaftler aus aller Welt zusammen. Ausschlaggebend für den Tagungsort Berlin waren der 200. Geburtstag von Karl Marx sowie der bevorstehende 100. Jahrestag der Ermordung Rosa Luxemburgs. Demgemäß war als Thema der Konferenz gewählt: "Karl Marx und Rosa Luxemburg: Denken, Vermächtnis und heutige Bedeutung."

Inspiriert wurde die Gründung der WAPE 2006 von Prof. Cheng Enfu von der Akademie für Marxismus der CASS (Chinese Academy of Social Sciences = Chinesische Akademie der Gesellschaftswissenschaften), dem heutigen Vorsitzenden von WAPE. Die Bedeutung einer verstärkten marxistischen Theorieforschung war durch Hu Jintao, dem damaligen Vorsitzenden der KP China, auf einer Tagung des Politbüros im Mai 2005 unterstrichen worden. Dazu sollte der Austausch mit westlichen Marxisten organisiert und gefördert werden. Corell und weitere Genossen aus dem Umkreis der KAZ hatten 2010 mit der WAPE Kontakt hergestellt im Zusammenhang mit der Arbeit an der KAZ-Artikelserie bzw. dem Buch "Die Große Proletarische Kulturrevolution - Chinas Kampf um den Sozialismus". Sie wurden zum Forum in Suzhou/VR China eingeladen. Die Treffen und der Austausch mit den Freunden und Genossen der WAPE erwies sich als fruchtbar, auch weil hier die ideologischen Waffen des Marxismus-Leninismus geschärft werden in der Auseinandersetzung mit neuen pseudo-marxistischen Tendenzen. Genossen aus sozialistischen Ländern, aus imperialistischen Ländern und aus unterdrückten Nationen lernen in der kritischen Auseinandersetzung voneinander.

Beim diesjährigen Forum war deshalb auch die starke Präsenz von Wissenschaftlern aus der VR China und Indien hervorstechend. Die chinesischen Teilnehmer berichteten über die Auseinandersetzungen vor allem mit neoliberaler Ideologie in ihrem Land und leisteten facettenreiche Beiträge, um deren Einfluss zurückzudrängen. Zum hohen Niveau der chinesischen Teilnehmer hat sicher auch die Neuformierung bzw. Neuausrichtung von "Schulen des Marxismus" an den Universitäten im Land beigetragen, die seit 2017 von Partei und Regierung verstärkt vorangetrieben werden.

Über zwanzig Teilnehmer aus Indien ermöglichten durch ihre Vorträge einen Einblick in die Probleme des Riesenlands und seine Klassenkämpfe, die zu ihrer Lösung ausgefochten werden. Gerade in Indien, wurde hervorgehoben, ist die Klassenfrage vielfach überdeckt durch krasse Segmentierung in Kasten, Religionsgemeinschaften, Ethnien u.a. In der Vorbereitung der Konferenz war vier indischen Teilnehmern das Visum zur Einreise in die BRD durch die deutsche Botschaft in Neu-Delhi verwehrt worden. Nach hartnäckigen Interventionen bei Botschaft und Außenministerium - nicht zuletzt durch Gesine Lötzsch (PDL) - wurden schließlich die Visa erteilt und drei der "Verbotenen" konnten schließlich doch noch am Forum teilnehmen.

Weitere Teilnehmer kamen aus Japan, den USA, Lateinamerika, Australien, Russland, Israel und aus vielen Ländern Europas, darunter Jenny Clegg, Jean-Claude Delauney, Henri Houben. Über 20 kamen aus der BRD aus dem Spektrum PDL, DKP und Kommunistische Arbeiterzeitung, darunter eines der Gründungsmitglieder von WAPE, Prof. Dr. Eike Kopf. Die deutsche Vizepräsidentin von WAPE, Prof. Christa Luft, war entschuldigt.

Vor dem eigentlichen Programm war eine Stadtführung geboten, die u.a. an die Humboldt-Universität führte, an der Marx studiert hatte. Zum Abschluss legten die Teilnehmer auf dem Friedhof der Sozialisten rote Nelken auf die Gräber von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Ernst Thälmann u.a.

Das Forum in Berlin wurde eröffnet mit dem Pflanzen eines Ginkgo-Baumes auf dem Gelände der gastgebenden Hochschule für Wirtschaft und Recht. Conny Renkl trug in deutsch und englisch das wunderbare Gedicht von Goethe, "Ginkgo Biloba" aus dem "West-östlichen Diwan" vor, ein Schmankerl der Dialektik und eine Liebeserklärung an die Zusammengehörigkeit von Orient und Okzident. Nach der Eröffnung durch den Vorsitzenden Prof. Cheng kamen die Vertreter der Hochschule und des dort angesiedelten Instituts für Internationale Politische Ökonomie zu Wort. Es folgten Vertreter der unterstützenden Organisationen, der Marx-Engels-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Nach ihnen kam auch Hans-Peter Brenner, der stellvertretende Vorsitzende der DKP, zu einem gehaltvollen Grußwort ans Rednerpult. Die Medienpartnerschaft hatte die jungeWelt übernommen (s. auch den Bericht von Arnold Schölzel)

Die Diskussionen in den Panels spiegelten auch die unterschiedlichen Strömungen in der Linken "im ökonomischen Gewand": Versöhnung mit dem Keynesianismus oder der neu angestrichene Reformismus, jetzt Transform genannt, oder auch seminarmarxistische und trotzkistische Einflüsse waren erkennbar, mit denen sich die marxistisch-leninistisch orientierten Kräfte zu messen hatten. Klare Grenzen ziehen und solidarisch sich auseinandersetzen, die Widersprüche anerkennen und sich entwickeln lassen, um sie fassbar zu machen - das war auf dieser Konferenz zu spüren.

Die Abschlusserklärung im Kasten weiter unten - ist ein Kompromiss. Sie enthält dennoch wertvolle Feststellungen zur Orientierung und schließt:

"Marx wies darauf hin, dass der Kapitalismus nicht ewig dauern würde. Seine Widersprüche würden schließlich dazu führen, dass er durch eine höhere Gesellschaftsform ersetzt wird, in der der durch Arbeit geschaffene Reichtum unter allen geteilt wird, anstatt von einer kleinen wohlhabenden Klasse angeeignet zu werden. Dieser Übergang wird erreicht durch die Kämpfe der Opfer kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung. Diese Erwartung einer anderen Welt wird auch weiterhin viele Menschen auf der ganzen Welt anspornen."

Den Abschluss des Forums gestalteten Gina und Frauke Pietsch mit ihrem fulminanten Programm zu Marx und Luxemburg, das mit dem gemeinsamen Singen der Internationale beendet wurde.

Nach dem erfolgreichen Abschluss dieses Forums wird die Gründung einer deutschen Sektion von WAPE geprüft. Bei Interesse bitte melden: herzog-schmidt@t-online.de

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Karl Marx und Rosa Luxemburg: Denken, Vermächtnis und heutige Bedeutung

Abschlusserklärung des 13. Forums der Welt-Assoziation für Politische Ökonomie (WAPE) in Berlin, 16.-18. Juli 2018

Karl Marx, geboren vor zweihundert Jahren, hinterließ ein Vermächtnis von Ideen, die heute noch so aktuell sind, wie zu seiner Zeit. Rosa Luxemburg, eine führende Marxistin des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, hat wichtige Beiträge zur marxistischen Theorie geleistet, die auch heute noch relevant sind.

Marx' Ideen sind in jedem Teil der Welt relevant. In den entwickelten kapitalistischen Ländern bieten die Ideen von Marx die beste Grundlage, um die sich entwickelnden Bedingungen zu verstehen, mit denen die arbeitenden Menschen konfrontiert sind, und um Strategien zu entwickeln, die über den Kapitalismus hinausgehen. In den sich entwickelnden kapitalistischen Ländern sind marxistische Ideen die notwendige Grundlage, um die Hindernisse für die wirtschaftliche Entwicklung und den Weg zum Sozialismus zu analysieren. In den Ländern, die über den Kapitalismus hinausgewachsen sind, sind marxistische Ideen essentiell, um einen Weg in Richtung Sozialismus und Kommunismus zu finden.

1. Marx entwickelte einen Weg, menschliche Gesellschaften als sich im Laufe der Zeit entwickelnd zu verstehen, wobei technologische Entwicklungen und Klassenkonflikte zu den Hauptantriebskräften des Wandels gehören. Wir haben immer wieder gesehen, wie neue Technologien die Gesellschaft umgeformt haben. Die Eisenbahn, elektrische Energie, Kraftfahrzeuge und in jüngster Zeit neue Kommunikations- und Informationsverarbeitungstechnologien haben die Art und Weise, wie Menschen leben, verändert. Gleichzeitig stritten verschiedene Gruppen und Klassen über die Verteilung der Vorteile neuer Technologien. In einigen Zeiten konnten die arbeitenden Menschen durch kollektive Maßnahmen einen Teil der Vorteile erhalten, während sich in anderen Zeiten eine kleine Gruppe die meisten oder alle Vorteile aneignete. Das jeweilige Resultat dieser Auseinandersetzungen und Entwicklungen prägt den Charakter einer Periode.

2. Marx erhellte die komplexe Wechselwirkung zwischen ökonomischen Entwicklungen, politischen Entwicklungen und Entwicklungen im Bereich der Ideen. Seine Behauptung, dass der wirtschaftliche Wandel den Wandel in den beiden anderen Bereichen vorantreibt, kann dazu beitragen, viele Wesenszüge der historischen Entwicklung zu erklären. Zur gleichen Zeit wies Marx' subtile Analyse darauf hin, dass politische Aktion und Kampf um Ideen auch Auswirkungen auf den ökonomischen Bereich ausüben. So wird der Lauf der Geschichte nicht nur von ökonomischen Kräften bestimmt; unter bestimmten Bedingungen können Menschen, motiviert durch Ideen, politische Maßnahmen ergreifen, um eine gerechtere Gesellschaft zu erreichen.

3. Marx hat zuerst den Begriff des "Kapitalismus" vorgeschlagen und eine Analyse und Kritik des Kapitalismus entwickelt, die sich bewährt hat. Er wies auf den historisch progressiven Aspekt des Kapitalismus hin, der in seiner Tendenz liegt, die Entwicklung der menschlichen Produktivkraft zu fördern, während die Kapitalisten in einem von Konkurrenz geprägten Umfeld nach Profiten streben. Er beleuchtete den entscheidenden negativen Aspekt des Kapitalismus - dass er auf der Ausbeutung der Lohnarbeiter basiert, die den Reichtum der Gesellschaft produzieren. Er zeigte auf, wie die fundamentalen Beziehungen des Kapitalismus eine Reihe schädlicher sozialer Konsequenzen nach sich ziehen.

4. Marx hat gezeigt, dass das äußere Erscheinungsbild von Freiheit und Gleichheit im Kapitalismus aus den vordergründigen Beziehungen des Marktes resultiert, während die zugrunde liegende Kernbeziehung des Kapitalismus, das Verhältnis von Kapital und Arbeit im Produktionsprozess, eine Beziehung der Ausbeutung gegründet auf Herrschaft und Unterordnung, ist.

5. Marx hat gezeigt, dass der Kapitalismus, der die Mehrheit der Bevölkerung davon abhängig macht, sich einen Arbeitsplatz zu sichern, um für das Überleben einen Lohn zu erhalten, in der Regel nicht in Lage ist, für alle die notwendigen Arbeitsplätze zu schaffen. Die Reservearbeitsarmee, das heißt die Erwerbslosigkeit, schafft für Millionen von Menschen grausame Bedingungen; sie ist aber ein Produkt des normalen Funktionierens des kapitalistischen Arbeitsmarktes. In solch seltenen Zeiten der Vollbeschäftigung erhalten die Arbeiter "zu viel" Verhandlungsmacht, um den Anforderungen der Aneignung von Mehrwert aus ihrer Arbeit durch das Kapital zu genügen, was zur Wiederherstellung der Reservearmee von Arbeitslosen führt.

6. Marx hat gezeigt, dass der Kapitalismus einen starken Antrieb hat, Kapital zu akkumulieren, d.h. die kapitalistischen Produktions- und Tauschprozesse im Laufe der Zeit zu erweitern und auszuweiten. Während dieser Prozess in der Frühphase der wirtschaftlichen Entwicklung zum wirtschaftlichen Fortschritt beitragen kann, gerät er durch die Entwicklung der Produktivkräfte ab einem bestimmten Zeitpunkt in direkten Konflikt mit den Produktionsverhältnissen, die auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruhen. Dieser Widerspruch zeigt sich in periodischen Wirtschaftskrisen.

7. Marx' Analyse des Kapitalismus zeigte, dass die periodischen Wirtschaftskrisen, in denen Millionen ihren Arbeitsplatz verlieren, kleine Unternehmen in Konkurs gehen und wesentliche öffentliche Dienstleistungen aufgrund des Rückgangs der Steuereinnahmen reduziert werden, keine zufälligen Ereignisse sind, sondern aus den Widersprüchen des Kapitalakkumulationsprozesses entstehen. Wirtschaftskrisen breiten sich im Kapitalismus aus. Diese krisenhaften Widersprüche zeigen sich auch in der beschränkten natürlichen Ressourcenbasis und der begrenzten Kapazität der natürlichen Umwelt, die Abfallprodukte der Produktion einfach zu absorbieren. Heute droht der Drang, endlos Kapital anzusammeln, das Überleben der menschlichen Zivilisation zu gefährden, da die entstehenden Kohlenstoffemissionen die globalen Temperaturen in den Gefahrenbereich treiben.

8. Marx' "Kreislauf des Kapitals", Modell des kapitalistischen Prozesses, das die Bewegung des Kapitals in Echtzeit abbildet, vom Kauf von Produktionsmitteln und Arbeitskraft mit Geldkapital, über die Produktionsphase bis zum Austausch des Endprodukts gegen Geld, ist die mächtigste Grundlage für die Analyse der Widersprüchlichkeit des kapitalistischen Prozesses und seiner verschiedenen Krisentendenzen.

9. Marx' Ideen legten die Grundlage für die Analyse des Phänomens Imperialismus, eine Analyse, die von Rosa Luxemburg, V.I. Lenin und andere Marxisten weitergetrieben wurde. Die marxistische Analyse des zeitgenössischen Imperialismus zeigt, dass dieser nicht aus einer falschen Politik der Regierungen, sondern aus der grundlegenden Dynamik des kapitalistischen Prozesses stammt. Die Suche nach Profit und der Antrieb, Kapital zu akkumulieren, zwingen dazu, Märkte und natürliche Ressourcen auf der ganzen Welt zu kontrollieren und Sphären, um Kapital anzulegen, zu suchen. Alle diese Motive treiben die Staatsregierungen in den großen kapitalistischen Ländern dazu, die Herrschaft über so viele Teile der Welt wie möglich auszuüben, um günstige Bedingungen für die kapitalistische Produktion, den Verkauf, die Investitionen und die Gewinnung von Rohstoffen zu sichern. Der Imperialismus führt nicht nur zur Beherrschung der schwächeren Länder durch die herrschende Klasse der stärksten Länder, sondern führt auch zu Konflikten und Kriegen, die einen schrecklichen Tribut fordern.

10. Marx wies darauf hin, dass der Kapitalismus nicht ewig dauern würde. Seine Widersprüche würden schließlich dazu führen, dass er durch eine höhere Gesellschaftsform ersetzt wird, in der der durch Arbeit geschaffene Reichtum unter allen geteilt wird, anstatt von einer kleinen wohlhabenden Klasse angeeignet zu werden. Dieser Übergang wird erreicht durch die Kämpfe der Opfer kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung. Diese Vision von einer anderen Welt wird auch weiterhin viele Menschen auf der ganzen Welt anspornen.

Übersetzung: Ernst Herzog

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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 364, September 2018, S. 31 - 33
Herausgeber und Verlag:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. September 2018

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