Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


KAZ/302: Seehofers Hau-ab-Gesetz und die Krise der SPD


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 367, Juni 2019
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

Nur der Abgrund kann uns retten!
Seehofers Hau-ab-Gesetz und die Krise der SPD


Ein schlechtes Wahlergebnis (oder auch mehrere) ist für eine Partei kein Grund, in den Strudel einer gewaltigen Krise zu geraten. Wahlergebnisse sind allerhöchstens ein Barometer des Klassenkampfes, das die politische Reife (oder Unreife) der Arbeiterklasse anzeigt.

So sieht die größte selbstverschuldete Krise der SPD seit 1945 aus: Man wirft sich und die ganze Partei der äußersten Reaktion vor die Füße, man tritt alle Reste von demokratischen Prinzipien, von Gedanken der Völkerfreundschaft, von Menschlichkeit und Moral in den Staub, nur um rechtzeitig vor dem Zusammenbruch der Großen Koalition die eigenen Pfründe zu retten. So hat die Bundestagsfraktion der SPD gehandelt, als sie Seehofers rassistisches "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" mit verabschiedet hat.

Verraten hat sie damit nicht nur die Tausende, die in unser Land kommen, weil sie Schutz vor Bürgerkrieg, Verfolgung, Tod und Folter suchen. Die rechtlos sind, die nicht mal wählen dürfen (und damit uninteressant sind für die Spießer, die nur auf Stimmenfang sind). Verraten haben sie die eigenen Parteimitglieder, die unermüdlich unterwegs sind, um doch noch irgendwie diese Partei zu retten. Über hundert Sozialdemokraten haben in einem Offenen Brief vor der Verabschiedung dieses Gesetzes gewarnt. Die Bundesvorstände der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF, in ihr sind alle weiblichen Parteimitglieder organisiert), der Jungsozialisten (Jusos, dort sind alle Parteimitglieder bis 35 Jahre organisiert), der AG Migration und Vielfalt und der Juristinnen und Juristen in der SPD haben eine Erklärung gegen dieses Gesetz abgegeben.

Ganz zu schweigen von der Unmasse von Protesten, Erklärungen, offenen Briefen von demokratischen, antifaschistischen Organisationen und Einzelpersonen. Und nun hat sich herausgestellt: Das Gesetz muss noch durch den Bundesrat, weil die Mehrheit der Landesregierungen juristische Bedenken hat. Die Mehrheit der Landesregierungen wird von der CDU geführt!(*)

Was kann besser belegen, dass dieses Gesetz ein Meilenstein auf dem Weg zur Zerstörung der bürgerlichen Demokratie ist, dass die Krise der SPD eine Krise der Demokratie ist, dass durch Rechtlosigkeit und staatlichen Rassismus der Weg zum Faschismus geebnet werden soll. Das zeigte sich auch schon in der Form, wie bei der Verabschiedung der Bundestag (das einzige staatliche Organ, das wir überhaupt wählen können) überfahren wurde. Es war höchste Eile geboten (angeblich), Diskussion, Nachdenken, Abwägen war unerwünscht. Und warum diese Eile? Die Sommerpause steht bevor! Und unsere schöne deutsche Sommerpause wäre uns am Ende noch durch nicht abgeschobene Flüchtlinge versaut worden! Ironie beiseite - der wirkliche Grund war: Dieses Machwerk sollte auf jeden Fall noch vor dem Absturz der Großen Koalition durchgeboxt werden, um die SPD keine Minute zur Ruhe kommen zu lassen.

Was bedeutet dieses Gesetz:
  • Menschen, die abgeschoben werden sollen, die nicht mal im Verdacht einer kriminellen Handlung stehen, sollen in normale Gefängnisse zusammen mit Straftätern eingesperrt werden. Diese Bestimmung ist illegal, sie widerspricht dem EU-Recht.
  • Es wird eine Duldung zweiter Klasse für Ausreisepflichtige eingeführt, falls sie nicht so spuren, wie es die Ausländerbehörden wünschen, mit Arbeitsverbot, Wohnsitzauflage, Leistungskürzung.
  • In den Ämtern gelten die Termine der Abschiebungen als "Dienstgeheimnis". Ein Verstoß - z.B. durch einen Beamten, für den die Vokabeln Mitgefühl und Solidarität noch keine Fremdwörter sind - kann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis geahndet werden. Von einer demokratischen Kontrolle gegen die Ämterwillkür kann da überhaupt keine Rede sein - die Abschiebungen sollen künftig ungestört, in aller Stille stattfinden.
  • Selbst für die jämmerlichen Flüchtlingsunterkünfte galt bisher die im Grundgesetz verankerte Unverletzlichkeit der Wohnung. Das ist aufgehoben - die Polizei kann ohne Gerichtsbeschluss Unterkünfte stürmen und jederzeit Menschen rausholen, um sie in Krieg, Folter und Tod zu schicken, um Familien zu trennen.
  • Entzug von Sozialleistungen für Asylbewerber, die bereits in einem anderen EU-Staat anerkannt wurden - auch wenn in diesem anderen Staat menschenunwürdige Zustände in den Flüchtlingslagern herrschen.
  • Ein zentrales "Ausländerregister" sorgt für den "gläsernen Ausländer", den nahtlosen Übergang letztlich auch zum gläsernen Inländer.
  • Selbst anerkannte Asylbewerber können in ihrer Freizügigkeit eingeschränkt werden.

Einen "Katalog der Grausamkeiten" nannte Ulla Jelpke (Partei Die Linke) in ihrer Bundestagsrede dieses Gesetz.

130 Mitglieder der SPD-Fraktion haben mit Ja gestimmt, 8 mit Nein, und 14 haben sich gar nicht erst beteiligt. Unter den 14 Abgeordneten waren einige Prominente, die sich die gepflegten Hände in Unschuld waschen: Katarina Barley, Sigmar Gabriel (der gerade im Handelsblatt einen weiteren Rechtsruck der SPD gefordert hat), Hubertus Heil, Karl Lauterbach, Andrea Nahles (die entgegen ihrer Ankündigung ihr Bundestagsmandat noch nicht niedergelegt hat).

Die SPD-Führung hat sich der CSU ausgeliefert, arbeitet intensiv an der Zerstörung der eigenen Partei. Und prahlt noch damit, dass sie durch diesen "Kompromiss" ein Einwanderungsgesetz durchgekriegt hat - will heißen für das Kapital brauchbare Einwanderer können kommen und bleiben, für alle anderen heißt es: "Hau ab!". Und damit ist für die, die bleiben dürfen, auch gleich geklärt, dass sie ihre Brauchbarkeit für das Kapital tagtäglich beweisen müssen.

Weder das Kapital noch die äußerste Reaktion - ob CSU oder AfD oder sonstiges schwarzbraunes Gesockse - werden das der SPD danken. Im Zweifelsfall bekommt sie ihren Tritt, heißt es "Hau ab, SPD!", wie 1933, als selbst kapitaltreueste Opportunisten der SPD sich illegalisiert und sogar im KZ und unter dem Strang wiederfanden. Man glaubt nicht gern, dass das wieder geschehen kann. Auch vor 1933 haben das viele nicht geglaubt.

Mit Recht heißt es in der Erklärung der Bundesvorstände von Jusos - Juso-Hochschulgruppen - ASF - AG Migration und Vielfalt - ASJ:

"Diese Maßnahmen würden zu einer weiteren Entrechtung und Ausgrenzung von Geflüchteten führen und verschlechtern absehbar die gesellschaftliche Stimmung ihnen gegenüber. Aus unserer Sicht muss die Sozialdemokratie die Würde und Gleichheit aller Menschen achten, auch derer, die nach Deutschland geflüchtet sind, weil sie zu Hause nicht mehr sicher leben können. An dieser Maxime muss sich daher auch ihre Asylpolitik messen lassen.

Wir fordern euch, die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion deshalb eindringlich auf, das Eilverfahren zu stoppen und dem Gesetz nicht zuzustimmen.

Dieses in unserer Partei hochumstrittene Vorhaben trifft bei uns nicht nur an vielen Stellen auf Widerspruch in der Sache. Es birgt auch das Potenzial, unsere Partei in einem äußerst sensiblen Moment noch weiter auseinanderzutreiben."
(asf.spd.de/aktuelles/aktuelles/news/nein-zum-geordnete-rueckkehr-gesetz/06/06/2019/ gesehen am 14.06.2019)

Es kann uns nicht egal sein, ob die SPD völlig vor die Hunde geht. Vereinigen wir uns mit den Vielen in der SPD, die noch so denken, wie in dieser Erklärung ausgeführt. Kämpfen wir gemeinsam für die Gleichheit vor dem Gesetz, damit wieder Klarheit geschaffen wird darüber, dass die Menschen in dieser Gesellschaft nur in einem ungleich sind: in ihrer Klassenlage. Und dass für Gleichheit kämpfen heißt: Den Klassenkampf führen, dem Faschismus den Weg versperren, das Kapital zum Teufel jagen!

E.W.-P.

* Am 28.06.2019 - kurz vor Drucklegung dieser Ausgabe - hat der Bundesrat das Gesetz dann doch abgenickt. Bestehende juristische Bedenken bei den Landesregierungen wurden mehrheitlich über Bord geworfen.

*

Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 367, Juni 2019, S. 25-26
Herausgeber und Verlag:
Gruppe Kommunistische Arbeiterzeitung, Selbstverlag
Anschrift: KAZ-Redaktion, Reichstraße 8, 90408 Nürnberg
Tel. und Fax: 0911/356 913
E-Mail: gruppeKAZ@kaz-online.com
Internet: www.kaz-online.de
 
KAZ erscheint viermal jährlich.
Einzelpreis: 1,50 Euro
Normalabo: 10,00 Euro, Sozialabo: 7,70 Euro.
Förderabo: mindestens 20,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang