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KAZ/321: Eike Kopf - Schatten unter der Lampe, Teil 2


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 370, Februar 2020
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

Schatten unter der Lampe (Teil 2)
Vorlesung zu den Bänden II/15 (Das Kapital Bd. 3) und I/5 (Die deutsche Ideologie)

von Eike Kopf



"Schatten unter der Lampe" war ein Diskussionsbeitrag, besser gesagt eine Vorlesung, von Prof. Eike Kopf auf einem Treffen im Zentralen Übersetzungsbüro beim ZK der KP Chinas in Beijing am 4. April 2019 mit dem neuen (westdeutschen) Leiter der MEGA-Arbeitsstelle bei der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Ein Blick auf die deutschen Mitglieder der Redaktionskommission und des Wissenschaftlichen Beirates der neuesten erschienenen Bände der MEGA (seit 2017) zeigt, dass auch in diesem Bereich eine Art Delegitimierung und Okkupation der DDR praktiziert wurde - wie auch an allen Universitäten und Hoch- und Fachschulen der DDR. Das hat auf spezifische Weise verdeutlicht, dass Klassen und Klassenkampf gegenwärtig reale Erscheinungen sind.

Im ersten Teil der Vorlesung (s. KAZ 369[1]) schildert Eike Kopf seinen persönlichen Bezug zur Herausgabe der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) und wie die Herausgabe der Werke unserer größten Vordenker in die Hände der DDR-Einverleiber geriet. Der zweite Teil zeigt nun, welche Verheerungen an unserem Erbe angerichtet werden.


Verwundert lasen wir - sozusagen als das letzte Wort der Herausgeber der MEGA2[2] zur Zweiten Abteilung "Das Kapital" und Vorarbeiten - in der Einführung die Wertung von Herrn Bertram Schefold aus Frankfurt am Main:

"I. Der Dritte Band: Herkunft und Wirkung:
Karl Marx' dritter Band des 'Kapitals', obwohl nicht mehr von ihm selbst herausgegeben, ist unter den mit seinem Verfassernamen versehenen Werken das fachökonomisch bei weitem reichste. Erst seine Kenntnis erlaubt, die zuvor auf einer höheren Abstraktionsebene abgeleiteten ökonomischen Aussagen auf die konkreten Phänomene der kapitalistischen Entwicklung zu beziehen. Der erste Band leistet eine einzigartige und umstrittene (?) Grundlegung der Wert- und Geldtheorie, ausgehend von einer so nur bei Marx vorfindlichen Wertformenanalyse. Er konstruiert ein begriffliches Gerüst, um die Verteilung von Löhnen und Gewinnen als Ergebnis eines Ausbeutungsprozesses deuten (?) zu können. Bestimmte Aspekte des geschichtlichen und institutionellen Wandels im Rahmen der kapitalistischen Entwicklung werden herausgegriffen (?), mit den Bezeichnungen 'Produktion des absoluten Mehrwerts' und 'Produktion des relativen Mehrwerts' belegt, mit weit ausgreifenden wirtschaftshistorischen Ausführungen illustriert und bis zur Darstellung des wirtschaftlichen Konzentrationsprozesses entwickelt, um zu zeigen (?), dass sich die Konkurrenz in der Tendenz aufhebt und am Ende ein Übergang in eine neue Wirtschaftsform gefunden werden muß. (Soll damit die Einführung zum Band I/5 von 1983 korrigiert werden?)

Dieser Erste Band hat lange für sich allein gewirkt, dank der vollendeten Gestaltung durch Marx selbst, und er konnte damit den Anschein erwecken (?), als Grundlage des geplanten Gesamtwerks auch den Schlüssel zum Verständnis der kapitalistischen Erscheinungswelt zu bieten. Marx selbst glaubte dies, insofern er seine Ableitungen für zwingend hielt: Auf der geschaffenen Grundlage hätten der Zweite und der Dritte Band auch von anderen geschrieben werden können. Jedenfalls fügte (?) der zweite Band die Theorie der Kapitalzirkulation und die Theorie der sektoralen Entwicklung (vermutlich gemeint die Abteilungen I und II, also die Produktion von Produktionsmitteln und die Produktion von Konsumtionsmittel - E.K.) hinzu, so dass im Rahmen des dritten Bandes die Schlussfolgerungen entwickelt werden konnten: Obwohl das Kapital immer dort angelegt wird, wo es im Verhältnis zum Vorschuss den höchsten Gewinn abwirft, so dass eine uniforme Profitrate sich bilden muss, obwohl deshalb die relativen Produktionspreise von den relativen Arbeitswerten abweichen, lässt sich der Gesamtprofit als eine Umverteilung des gesamten Mehrwerts verstehen. Er wird also weiterhin durch die Ausbeutung erklärt, obwohl die Verwandlung des variablen Kapitals in den Lohn und der Arbeitswerte in die Produktionspreise diesen Ursprung verdeckt. Und obwohl jede technische Veränderung des Produktionsprozesses, die es dem Unternehmer bei gegebenen Preisen erlaubt, billiger zu produzieren und deshalb mehr abzusetzen oder bei konstantem Verkaufspreis höhere Gewinne zu erzielen, vorteilhaft ist, so dass es, von den Preisen her betrachtet, ebenso sinnvoll sein kann, beim Kapitaleinsatz wie beim Arbeitseinsatz zu sparen, ist mit der Marxschen Theorie (also nicht mit der realen Entwicklung - E.K) von der Produktion des relativen Mehrwerts die Tendenz gesetzt (?), einen immer höheren Kapitaleinsatz in Kauf zu nehmen, um die sich im Ausbeutungsprozess als sperrig erweisenden Arbeitskräfte einzusparen, so dass mit steigender organischer Zusammensetzung, wenn die Mehrwertrate nicht entsprechend gehoben werden kann, die Profitrate fallen muss.

Weil also der Übergang zum Preissystem im Dritten Band sich für Marx als ein Formwechsel darstellen lässt, der die grundlegenden, auf der Ebene der Werttheorie entwickelten Relationen zwischen den gesamtwirtschaftlichen Größen nicht wesentlich verändert, besteht für Marx (?) tatsächlich ein Ableitungszusammenhang, der verbürgt, dass, was im ersten Band als Kern des kapitalistischen Prozesses dargestellt werden muss (?), sich gemäß dem dritten Band auch auf der Oberfläche zeigt. Insofern konnte Marx es erstaunlich gelassen mitansehen, wenn seine Entwürfe für den zweiten und den dritten Band liegen blieben, denn der Entwurf des Ganzen war im ersten Band angelegt: Es handelte sich nur darum (?- E.K.), ihn zu entwickeln.

Wir wissen (?- E.K.) heute, dass sich Marx an der entscheidenden Stelle dieser Ableitung geirrt hat: Die Transformation von Werten und Preisen lässt sich nicht in Strenge so durchführen, dass sich der Gewinn legitim und allgemein als umverteilter Mehrwert darstellt. Selbstverständlich ist die Marxsche Ableitung dadurch nicht in allen Einzelheiten widerlegt. Wenn sich in einer Beweiskette irgendwo ein Fehler (?) nachweisen lässt, muss die Schlussfolgerung vielleicht nur modifiziert (?) werden, sind einzelne korrekte Ableitungsschritte vielleicht doch für die Theorie (?) interessant. Die Feststellung eines solchen Fehlers (?) steht also am Anfang, nicht am Ende einer kritischen Aufarbeitung des Werks, das dann freilich kein Ganzes mehr (?) darstellt."[3]

Schefold reiht sich in die seit 1867 entstandene lange Schlange der Marx-Kritiker ein, die dem Marx eine subjektivistische, willkürliche Konstruktion vom Beginn der Analyse der Wertformen unterstellen: "Der erste Band leistet (...) umstrittene Grundlegung der Wert- und Geldtheorie, ausgehend von einer so nur bei Marx vorfindlichen Wertformenanalyse. Er konstruiert (!? - E.K.) ein begriffliches Gerüst, um (!? - E.K.) die Verteilung von Löhnen und Gewinnen als Ergebnis eines Ausbeutungsprozesses deuten zu können."[4]

Er kommt abschließend zu dem Urteil: "Die Marxsche Werttheorie hat sich als nicht haltbar erwiesen.[5] Ihre suggestive (! - E.K.) Kraft und ihre synthetische Funktion im Marxschen Gesamtwerk bürgen dafür, dass man sie im Rahmen des Marxschen 'Riesenwerks' auch künftig gleichwohl studieren wird. Ob die heute vor allem mit dem Namen Sraffas verbundenen Theorieelemente sich neben Marx und der Neoklassik als eine selbständige dritte Kraft bewähren werden oder ob sie nur der analytischen Rekonstruktion von Elementen der Marxschen Theorie und einer spezifischen Kritik an der Neoklassik dienen, scheint zur Zeit noch offen. Die jahrzehntelang erstrebte Synthese von Sraffa und Keynes, die einmal begonnen wurde, um Marx zu überwinden, wurde weder vollendet noch aufgegeben."[6]

Einführungen in ein Werk müssten sich auf das vorliegende Werk beziehen. Das vorliegende Werk heißt:

"Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie. Von Karl Marx. Dritter Band Buch II:
Der Gesammtprocess der kapitalistischen Produktion.
Herausgegeben von Friedrich Engels. Hamburg
Verlag von Otto Meissner. 1894."
[7]

Das Titelblatt widerspiegelt ebenso wie der Bericht von Friedrich Engels über seine Bearbeitung des Manuskripts von Marx für den Druck, angefangen von der mühsamen Entzifferung des Originals in eine leserliche Kopie bis hin zur eigentlichen Redaktion und eigenen Zusätzen, die durch eckige Klammern gekennzeichnet oder eigenverantwortliche Noten, die mit seinen Initialen versehen sind.[8]

Anschließend erörtert Engels ausführlich seine Aufgabenstellung an interessierte bürgerliche Ökonomen im Vorwort zum II. Band des "Kapitals" "nachzuweisen, 'wie nicht nur ohne Verletzung des Werthgesetzes, sondern vielmehr auf Grundlage desselben, eine gleiche Durchschnittsprofitrate sich bilden kann und muß'."[9]

Engels hat also nicht etwa ein für eine Druckerei fertiges Manuskript des dritten Bandes des "Kapitals" von Marx weitergegeben, sondern ein druckreifes Manuskript mit Zusätzen usw. erarbeitet. Er hat also keinen geringen Anteil am Zustandekommen; der Band mit seinen wichtigen ökonomischen Entdeckungen zur Distribution des produzierten und die Zirkulation erfolgreich durchlaufenen Mehrwerts wäre ohne Engels' Arbeit nicht erschienen. Aber das ist für den Verfasser der Einführung zum Band II/15 der MEGA2 Bertram Schefold folgende Ausführung wert: "Versucht man nicht eine historische Rekonstruktion, sondern hält sich an den Text, insbesondere den von Engels' Zusätzen befreiten, fällt die vom ersten bis zum dritten Band durchgehende Verschränkung der Darstellung des kapitalistischen Prozesses durch die Beschreibung der wechselnden Formen, die der Wert annimmt, mit den jeweils bei gegebenen Formen feststellbaren Strukturen auf. Aus der Wertformanalyse des ersten Bandes wird das allgemeine Äquivalent und, vermittelt durch historische Tat, das Geld abgeleitet. Damit entsteht eine Struktur des Geldumlaufs, die zur Aufstellung der Quantitätsgleichung und zur Hinterfragung der Quantitätstheorie führt.[10] Der dritte Band setzt die Wertformenanalyse fort, indem Werte sich in Preise, Mehrwert in Profit, Zins und Unternehmergewinn verwandeln, und in noch feinerer Zersplitterung entstehen Formen wie die Dividende, verschiedene Formen der Renten, in der Weiterführung durch Hilferding der Gründergewinn.[11] Für den Kapitalismus als historisches Gewächs scheint es nach Marx keine geschlossene Theorie zu geben."[12]

Im fett hervorgehobenen Passus liegt "des Pudels Kern", d.h. wird Schefolds Absicht klar.

So befindet sich - im Hinblick auf das chinesische Bild in der Überschrift der vorliegenden Abhandlung - im Schatten unter dem Boden der wissenschaftlichen Lampe MEGA2 das "letzte Wort" der Zweiten Abteilung "'Das Kapital' und Vorarbeiten" mit dem Urteil: "Die Marxsche Werttheorie hat sich als nicht haltbar erwiesen."

Friedrich Engels hatte im Januar 1877 am Ende des ersten Kapitels der "Einleitung" zu "Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft" festgestellt: "Diese beiden großen Entdeckungen: die materialistische Geschichtsauffassung und die Enthüllung des Geheimnisses der kapitalistischen Produktion vermittelst des Mehrwerts verdanken wir Marx. Mit ihnen wurde der Sozialismus eine Wissenschaft ..."[13]

Aber wie nichtig ist diese Meinung von Engels im Vergleich zum Urteil der höchsten wissenschaftlichen Instanz des Autors der Einführung des Bandes II/15 der MEGA2, mit dem eine der vier Abteilungen dieser neuesten Ausgabe abgeschlossen wird? Damit soll sozusagen die politökonomische Hälfte des Marxismus ausgerechnet mit Hilfe der MEGA2 ad absurdum geführt werden.

Für die andere, die philosophische Hälfte bot der Band I/5 der MEGA2, worin die Manuskripte von Marx und Engels zur materialistischen Geschichtsauffassung im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Kritik der Position Ludwig Feuerbachs ediert werden, Gelegenheit.

1894 hatte Wladimir Iljitsch Uljanow (Lenin) geschrieben, dass die materialistische Geschichtsauffassung als "Grundidee" des Kommunistischen Manifestes eine geniale These war, die seit dem Erscheinen des "Kapitals" zu einer wissenschaftlich bewiesenen These geworden war und gleichbedeutend mit wissenschaftlicher Soziologie sei.[14] Auch bezeichnete er das "Manifest der Kommunistischen Partei" vom Februar 1848 als erstes Dokument des wissenschaftlichen Sozialismus.[15]

Lenin war das Manuskript "Die deutsche Ideologie" nicht bekannt; es wurde erstmals vollständig 1932 in deutscher Sprache (MEGA1, Bd. I/5) und 1933 in russischer Sprache (1. russische Ausgabe der Werke von Marx und Engels) veröffentlicht. Hätte er das Manuskript gekannt, hätte er es sozusagen als Geburtsurkunde des wissenschaftlichen Sozialismus oder - was inhaltlich dasselbe ist - der wissenschaftlich begründeten Ideenlehre (mit ihren philosophischen, ökonomischen und politischen Hauptbereichen) der Arbeiterklasse und ihrer verbündeten Werktätigen bezeichnet.

Das gefällt vermutlich der MEGA2-Arbeitsstelle der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin nicht, denn sie macht den Marx-Engels-Forschern aus der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik - selbstverständlich nicht direkt[16] - den in der "Pressemitteilung vom 27. November 2017: Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA). I. Abt., Bd. 5: Karl Marx/Friedrich Engels: Deutsche Ideologie. Manuskripte und Drucke. (...) Berlin 2017" formulierten Vorwurf: "Die im Staatsmarxismus (? - E.K.) kanonisch (?- E.K.) vertretene Auffassung lautet(e), dass Marx und Engels in der 'Deutschen Ideologie' den historischen Materialismus ausgearbeitet und damit in diesem großen Werk zugleich die philosophischen, theoretischen Grundlagen des Marxismus und der marxistischen Partei formuliert hätten. Die grundlegenden Leitsätze des historischen Materialismus würden insbesondere in der Auseinandersetzung mit Ludwig Feuerbach entwickelt. (Exemplarisch formuliert wird diese Position etwa im Vorwort des von den Instituten für Marxismus-Leninismus in Moskau und Berlin herausgegebenen und bis heute weit verbreiteten Band 3 der 'Marx-Engels-Werke', der die 'deutsche Ideologie' enthält. - E.K.) Allerdings haben Marx und Engels auf die Publikation dieses vermeintlich grundlegenden Werkes verzichtet. (? - E.K.)" (S. 1)

1971 hieß es im Wissenschaftlichen Apparat des (für die Diskussion im Wissenschaftlichen Rat für Marx-Engels-Forschung der DDR gedruckten, nicht im Buchhandel erhältlichen - E.K.) Probebandes der MEGA2, S. 399/400: "'Die deutsche Ideologie' (...) nimmt im Herausbildungsprozess der revolutionären Weltanschauung der Arbeiterklasse einen besonderen Platz ein. Erstmalig behandelten Marx und Engels die Grundfragen der materialistischen Geschichtsauffassung und formulierten wichtige Erkenntnisse des wissenschaftlichen Kommunismus. Sie machten gesellschaftliche Verhältnisse und Prozesse in Vergangenheit und Gegenwart für eine wissenschaftliche Untersuchung zugänglich und begannen, dem Streben der revolutionären Arbeiterbewegung nach einer kommunistischen Gesellschaft wissenschaftlichen Ausdruck zu verleihen.

Marx und Engels deckten in der 'Deutschen Ideologie' die allgemeinsten Bewegungsgesetze der menschlichen Gesellschaft auf. Sie gingen an die Untersuchung des Lebensprozesses der Menschen materialistisch heran und bestimmten ihn als konkret-historisches Verhältnis des Menschen zur Natur und konkret-historisches, sozial-bedingtes Verhältnis der Menschen zueinander. Sie entdeckten, dass die Produktionsweise des materiellen Lebens den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess der Menschen bedingt. Es gelang ihnen, den gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und den Produktionsverhältnissen nachzuweisen und den Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen als Haupttriebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung zu bestimmen. Gleichzeitig skizzierten sie die Hauptphasen der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft und begannen mit der Ausarbeitung der Theorie der ökonomischen Gesellschaftsformation."

In diesem Probeband der MEGA2 waren die mehrjährigen Ergebnisse der Rekonstruktion des hinterlassenen und im Internationalen Institut für Sozialgeschichte Amsterdam aufbewahrten Manuskriptes, die in der "Neuveröffentlichung des Kapitels I des I. Bandes der 'Deutschen Ideologie' von Karl Marx und Friedrich Engels" im Heft 10/1966, S. 1192-1254 der "Deutsche(n) Zeitschrift für Philosophie" des VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften publiziert worden waren.

Die Bearbeiter von MEGA2 I/5 urteilten dazu und zur Darbietung im Probeband der MEGA2 folgendermaßen: "Der Band 3 der 'Marx-Engels-Werke' markiert den Gipfelpunkt des Versuchs, im Zuge der Edition der Manuskripte zur 'Deutschen Ideologie' ein abgeschlossenes Werk zu rekonstruieren, das als Gründungsschrift des historischen Materialismus gelten sollte.

Diesem Versuch war jedoch kein langer Bestand beschieden (...) und es zeigte sich, dass die seit MEGA1 I/5 bestehende Anordnung der Manuskripte zum Kapitel 'I. Feuerbach' Folge einer editorischen Manipulation war."[17]

So erschien - wie im Schatten unter der Lampe MEGA2 - nach jahrelangen Überarbeitungen 2017[18] endlich MEGA2 I/5 (219,- Euro kostet der Band!) wie eine akribische kommentierte Druckfassung des von Marx und Engels hinterlassenen Bündels von handschriftlichen Entwürfen, inhaltlichen Einschüben und Hinzufügungen der materialistischen Geschichtsauffassung. Man findet inhaltlich wichtige Aussagen nur, wenn man parallel zum Textband die verschiedenen Rubriken im Apparatband mitliest.

Man lese jedoch in Marx' Brief, den er sozusagen in der letzten Phase der Bemühungen um die Drucklegung der Manuskripte am 28. Dezember 1846 an Pawel W. Annenkow geschrieben hat: "Was ist die Gesellschaft, welches immer auch ihre Form sei? Das Produkt des wechselseitigen Handelns der Menschen. Steht es den Menschen frei, diese oder jene Gesellschaftsform zu wählen? Keineswegs. Setzen Sie einen bestimmten Entwicklungsstand der Produktivkräfte der Menschen voraus, und Sie erhalten eine bestimmte Form des Verkehrs (commerce) und der Konsumtion. Setzen Sie bestimmte Stufen der Entwicklung der Produktion, des Verkehrs und der Konsumtion voraus, und Sie erhalten eine entsprechende soziale Ordnung, eine entsprechende Organisation der Familie, der Stände oder der Klassen, mit einem Wort, eine entsprechende Gesellschaft (société civile). Setzen Sie eine solche Gesellschaft voraus, und Sie erhalten eine entsprechende politische Ordnung (état politique), die nur der offizielle Ausdruck der Gesellschaft ist. (...) Die soziale Geschichte der Menschen ist stets nur die Geschichte ihrer individuellen Entwicklung, ob sie sich dessen bewußt sind oder nicht. Ihre materiellen Verhältnisse sind die Basis aller ihrer Verhältnisse. Diese materiellen Verhältnisse sind nichts anderes als die notwendigen Formen, in denen ihre materielle und individuelle (! ein Individuum wie z.B. einen Politiker, Richter, Lehrer, jedes denkende Wesen charakterisierende - E.K.) Tätigkeit sich realisiert."[19] Was ist das, wenn nicht eine starke, aber geniale Kurz- oder Zusammenfassung der vorangegangenen gemeinsamen Arbeit mit Engels am Kapitel "Feuerbach"? Und man lese Engels' 1886 mit direkter Bezugnahme auf das 1845/46 erarbeitete Kapitel "Feuerbach" veröffentlichte Rezension "Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie".[20]

Wo stünden wir hinsichtlich der weltanschaulichen Entwicklung von progressiven gesellschaftlichen Kräften wichtiger Regionen der bewohnten Erde, hätte es die editorischen Anstrengungen nicht gegeben, die 1932 zum Band I/5 von MEGA1 und 1958 zum 3. Band der größten deutschsprachigen Ausgabe der "Marx/Engels Werke" (die MEGA2 ist die editorische Basis, eine originalsprachige wissenschaftliche Ausgabe) sowie zur "Neuveröffentlichung des Kapitels I des I. Bandes der 'Deutschen Ideologie' von Karl Marx und Friedrich Engels" im Heft 10/1966, S. 1192-1254 der "Deutsche(n) Zeitschrift für Philosophie" des VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften geführt haben?

Der Band I/5 der MEGA2 ist eine akademische Publikation. Man vergleiche die erwähnten entsprechenden redaktionellen Einführungen zur "Deutschen Ideologie" im Probeband der MEGA2 von 1971 mit der im Band I/5 der MEGA2 von 2017.

Im letzteren ist die zweite von Engels 1877 genannte Marxsche Entdeckung enthalten. Sachlich und logisch gesehen gelangt die Philosophie der Gesellschaft und ihrer Geschichte zu dem Resultat, dass es Basis- und Überbaubereiche gibt.

Die reale Basis der Gesellschaft ist auch der logische Ausgangspunkt der ökonomischen Analyse der Herstellung der Ware ("Das Kapital", Bd. 1), ihrer Rückverwandlung in Geld auf dem Markt ("Das Kapital", Bd. 2) und der Verteilung von Teilen des eingenommenen Geldes an indirekt an der Produktion beteiligte kapitalistische Funktionäre wie Bankiers, Grundeigentümer u.a. ("Das Kapital", Bd. 3). Wenn also das erste Buch entwickelte, wie der Mehrwert produziert wird, und das zweite wie er realisiert wird, so weist uns das dritte nach, wie er verteilt wird. Es ist gerade die Spaltung des Mehrwerts in seine einzelnen Unterabteilungen: industrieller Profit, Handelsgewinn, Zins, Grundrente und deren Aneignung durch die verschiedenen Interessenten, worin die Gesamtbewegung des Kapitals augenfällig und als entscheidende Macht an die Oberfläche der kapitalistischen Gesellschaft tritt. Die Gesetze dieser Spaltung und Verteilung unter Industrielle, Warenhändler, Geldhändler, Kredithändler, Spekulanten, Grundeigentümer wurden hier von Marx im Einzelnen nachgewiesen.[21]

Jedoch wird eine solche Argumentationsfolge aus den in Rede stehenden theoretischen Ergebnissen nun von der Leitung des Langzeitforschungsvorhabens MEGA2 - um im Bilde zu bleiben: im Schatten unter der Licht verbreitenden "Lampe" MEGA2 - seit 1990 neu (d.h. dem Wesen nach bürgerlich) deutungshoheitlich als "staatssozialistisch" und "kanonisch" bezeichnet. Unter den Namen von Marx und Engels werden demgegenüber von S. 875-910 Auffassungen bürgerlicher Ökonomen verbreitet.

Um im bildlichen Vergleich der oben gesetzten Überschrift zu bleiben, komme ich zu dem Ergebnis: Unter der hell leuchtenden wissenschaftlichen "Lampe" MEGA2 haben sich in den Bänden II/15 und I/5 Gegner des Marxismus-Leninismus und des sozialistischen Aufbaus versammelt. Im Band II/15 geschieht das sogar auch mit unter meinem Namen auf dem Titelblatt, obwohl die von mir verfasste Einführung unbesehen nicht angenommen wurde und ich keinen Entwurf der abgedruckten Einführung gesehen habe.

Die Konterrevolution von 1989 hat dem deutschen Imperialismus, der in Europa den zweiten Weltkrieg ausgelöst hatte, ohne einen Schuss abgeben zu müssen, in Gestalt der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik eine solche Eroberung gebracht hat, dass er nun wieder stärker als die Siegermächte von 1945, seine feindlichen Brüder Großbritannien und Frankreich, geworden ist. Die Europäische Union ist eine wesentlich von Deutschland geprägte imperialistische Macht und positioniert sich immer stärker gegen die Russische Föderation und bei immer mehr Gelegenheiten auch gegen die Volksrepublik China.

Systematisch werden die Basis- und Überbaubereiche im Osten der BRD, in der DDR, unterworfen - auch unsere MEGA2!

Müssen wir solche Kommentare und Einführungen als Institution beim ZK der KPCh auch noch verbreiten? Ich bin der Meinung: nein!

Es ist jedoch kaum anzunehmen, dass die bereits in Wirkung getretene internationale Ausstrahlungskraft der philosophischen und der ökonomischen Grundlehren von Marx und Engels, deren 200. Geburtstage 2018 und 2020 begangen wurden und werden, entwickelt und publiziert in zahlreichen Ausgaben der "Deutschen Ideologie" und des "Kapitals", durch die Manipulatoren aufgehalten werden kann.

Beijing, den 1.3.2019


Anmerkungen

[1] Hier ist uns bei der Endredaktion der Fehler unterlaufen, dass die drei Pünktchen, die der Autor bei Beginn jedes Abschnitts eingefügt hatte, den Eindruck vermitteln konnten, dass wir den Beitrag gekürzt hätten, die drei Pünktchen also als Auslassungszeichen verwendet hätten. Dies ist nicht der Fall. Der Beitrag von Eike Kopf wird hier ungekürzt veröffentlicht.

[2] MEGA1 ist die ab 1927 im Auftrag des Marx-Engels-Instituts Moskau (das 1924 auf Anregung Lenins gegründet worden war) herausgegebene erste originalsprachige Ausgabe der Werke von Marx und Engels. Als Herausgeber fungierte die Marx-Engels-Archiv Verlagsgesellschaft m.b.H. Frankfurt a. M. Die Werke, Schriften, Briefe und Dokumente befanden sich im Parteiarchiv der SPD, dem sie nach dem Willen von F. Engels nach dessen Tod übergeben worden waren. Bis zum Verbot der SPD am 2.5.1933 gelang es den Archivmitarbeitern, den Marx-Engels-Nachlass über Dänemark bzw. Prag (erster Emigrationsort des Parteivorstands der SPD) zu bringen und dann in Paris wieder weitgehend zusammenzufassen. Die in Leipzig bereits gesetzten Teile wurden per Schiff nach Leningrad transportiert, wo sie ausgedruckt wurden und im Verlag für fremdsprachige Literatur erschienen sind. So erschienen von 1927 bis 1935 (Engels' 40. Todestag) 7 Bände der ersten Abteilung, die die Werke von Marx und Engels (außer dem "Kapital", das die zweite Abteilung bilden sollte) und ein gesonderter Band mit dem "Anti-Dühring" und der "Dialektik der Natur" von Engels. Nach den gleichen Prinzipien wurde 1939-1941 erstmals Marx' ökonomisches Manuskript aus den Jahren 1857/1858 "Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie" (in der Marx-Engels-Forschung auch erster Rohentwurf des "Kapitals" genannt) in Moskau herausgegeben. Das wurden international anerkannte Ausgaben. Die erste MEGA blieb dennoch unvollendet.

Seit 1975 erscheint auf der Grundlage von Beschlüssen der KPdSU und SED die zweite Gesamtausgabe der Werke von Marx und Engels, hier als MEGA (2) bezeichnet, die bis 1990 im Dietz Verlag Berlin und seitdem von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung Amsterdam unter dem Dach der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben wird.

[3] MEGA2 II/15, S. 871/872.

[4] Ebenda, S. 871.

[5] Hervorhebung von Eike Kopf.

[6] MEGA2 II/15, S. 909/910.

[7] MEGA2, Bd. II/15, S. 3 (Kopie des Titelblattes - E. K.).

[8] Siehe ebenda, S. 7.

[9] Ebenda, S. 11. Vgl. MEGA2, Bd. II/13, S. 21, Zeile 23-25.

[10] Siehe Carlo Boffito: Teoria della moneta. Torino 1973.

[11] Siehe Bertram Schefold: Rudolf Hilferding und die Idee des organisierten Kapitalismus. In: Kommentarband ("Vademecum") zur Faksimile-Augabe der 1909 erschienenen Ausgabe von Rudolf Hilferding: Das Finanzkapital. Düsseldorf 2000. S. 5-32.

[12] MEGA2, Bd. II/15, S. 896.

[13] Karl Marx/Friedrich Engels: Werke (nachfolgend: MEW). Bd. 20. Dietz Verlag Berlin 1962, S. 26.

[14] Siehe W. I. Lenin: Was sind die 'Volksfreunde' und wie kämpfen sie gegen die Sozialdemokraten? In: W. I. Lenin: Werke. Bd. 1. Dietz Verlag Berlin 1963, S. 123-138.

[15] Siehe z. B. ebenda, Bd. 6, S. 190; Bd. 8, S. 59; Bd. 18, S. 576; Bd. 21, S. 56.

[16] Bis zum Beitritt der DDR zur BRD 1990 hatten sie immerhin bereits 40 Bände der MEGA2 veröffentlicht.

[17] Einführung. In: MEGA2 I/5, S. 791.

[18] Bereits 14 Jahre zuvor war das Kapitel "Feuerbach" im Marx-Engels-Jahrbuch 2003 vorab publiziert worden!.

[19] MEW, Bd. 27, S. 453 (deutsche Übersetzung) bzw. MEGA2 III/2, S. 71.33-39 (französisches Original).

[20] Siehe MEGA2 I/30, S. 122-162 bzw. MEW, Bd. 21, S. 259-307.

[21] Siehe die Annonce des Verlegers Otto Meißner im "Börsenblatt für den deutschen Buchhandel ..." Leipzig. Nr. 265 vom 14. 1894, S. 7208/7209.

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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 370, Februar 2020, S. 37-40
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2020

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