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LICHTBLICK/166: Knastneubau Heidering-Großbeeren


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 342 - 1/2010

Knastneubau Heidering-Großbeeren


Seit Jahren gehen in Deutschland und in Berlin die Straftaten zurück. Das hat in Deutschland zur Folge, dass sich die Gefängnisse leeren. Eine gute Nachricht, so möchte man meinen.

Doch ausgerechnet die Hauptstadt widersetzt sich diesem Trend. Haftzeiten werden tendenziell bis zum Endstrafentermin abgesessen. Dabei ist bekannt, dass Reststrafaussetzung zur Bewährung meist eine positive Wirkung auf das Gelingen von Resozialisieren und damit auf künftige Straffreiheit entfaltet. Der ehemals Gestrauchelte kann das ihm entgegengebrachte Vertrauen als Wohlwollen und als Versöhnungsangebot der Gesellschaft ansehen.

Die Statistik zu vorzeitiger Entlassung auf Bewährung zum 2/3-Zeitpunkt zeigt, wie Berlin grell als rotes Schlusslicht leuchtet.

Damit den verantwortlichen Politikern nicht die Gefangenen ausgehen, haben sie auch noch vorsorglich paradoxer Weise beschlossen, für einst 80 Millionen Euro eine neue Anstalt zu bauen. Zudem wird sie, wie üblich noch bevor der erste Spatenstich erfolgt, teurer. Nun soll das Bauvorhaben schon 120 Millionen kosten. Zur Begründung des Neubaus gab man der Öffentlichkeit vor, einen dringenden Bedarf nach neuen Haftplätzen zu haben. Doch die Gefängnisse sind in Berlin nur noch zu 97% ausgelastet.

Seit Grundsteinlegung im Sommer 2009 hat sich auf der Baustelle nichts getan, weil eine Baufirma gegen die Vergabe von Arbeiten an eine konkurrierende Firma klagt. Wer denkt, dass sich dieser Bau in Berlin befindet, irrt gewaltig. Nur weil das Land Berlin abseits von der Stadt ein Grundstück besitzt, musste man dort die Standortbestimmung vornehmen.

Nach amerikanischem Vorbild entsteht das Gefängnis in JWD (janz weit draußen). In Amerika abgelegen in der Wüste, in Berlin jenseits der Stadt auf den ehemaligen Rieselfeldern in Brandenburg. Die Böden dieser Felder sind kontaminiert. Sie befinden sich südlich der Stadt Berlin beim idyllischen Großbeeren.

Doch warum so weit weg? Die Ausgegrenzten sind dort auf Feld und Flur nicht sichtbar. Im schönen Großbeeren jedoch könnte das Gefängnis die Wirtschaft ankurbeln. Denn für 600 Gefangene entstehen zugleich 250 Arbeitsplätze. Das stärkt die Infrastruktur. Industriebetriebe profitieren davon. Und - ach - das Wichtigste für die Medien: Dieses schöne neue Gefängnis entlastet die aus den Nähten platzende JVA-Tegel. Endlich endet die menschenunwürdige Unterbringung von Gefangenen im Haus I.

Das Kuriose kommt zuletzt: In genau jenem Brandenburg sind von 2308 Haftplätzen nur 1576 belegt. Und die Zahl der Straftaten sinkt stetig, von Jahr zu Jahr. Wer rechnet, stellt fest, dass 700 Plätze überflüssig sind.

Das brachte die Brandenburger auf die fürsorgliche Idee, diese Plätze den Berlinern anzubieten (vgl. Berichte der Berliner Zeitung und des Tagesspiegels vom 21./22. Januar 2010).

Ja, sie würden sogar ein ganzes Gefängnis für die Berliner leer räumen. Zwar etwas außerhalb von Berlin, aber der Unterschied sei ja lediglich, dass sich die Haftplätze dann nördlich, statt südlich von Berlin befinden würden. Das ist so schlecht nicht, oder?

Zu Bedenken wäre auch, dass die 5100 Berliner Haftplätze nicht voll ausgelastet sind.

Wozu aber dann an der neuen Anstalt festhalten? Gefordert ist politische Flexibilität. Doch Justizsenatorin Gisela von der Aue hält das Angebot aus Brandenburg für unredlich. Sie sagt, nach einer gesetzlichen Vorlage sollen die Berliner Gefangenen heimatnah untergebracht werden.

So? Wenn das stimmt, müssten zuerst die Begriffe überprüft und somit geklärt werden. Denn unmittelbar einsichtig ist doch wohl, dass das Umland von Berlin, hier das Land Brandenburg, sehr wohl heimatnah ist. Warum sonst soll dort das neue Gefängnis entstehen?

Und wann wird dem Land Berlin auffallen, dass auch in Berlin die Zahl der Straftaten zurückgehen und deshalb immer weniger Menschen in ein Gefängnis verbracht werden müssen?

Das Untersuchungsgefängnis Moabit ist bereits jetzt bei weitem nicht mehr nur mit Untersuchungsgefangenen belegt. Wenn dieser Trend sich fortsetzt, steht auch bald in Berlin das erste Gefängnis leer. Mit mehr Entlassungen zur Bewährung und Reststrafenaussetzung wären wir auf dem besseren Weg.


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Quelle:
der lichtblick, 42. Jahrgang, Heft Nr. 342, 1/2010, Seite 14
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2010