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LICHTBLICK/172: Der Trend, der unter die Haut geht - Tattoos


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel - 2/2010

ESSAY
Der Trend, der unter die Haut geht: Tattoos



In der Bevölkerungsgruppe der 18- bis 25-jährigen ist es fast jeder Dritte, bei den 26- bis 35-jährigen jeder Fünfte: tätowiert. Tendenz: steigend.

Ob modisches Arschgeweih, die zierliche Rose auf dem Knöchel, der Drache, der Furcht einflößend und kraftspendend auf dem Rücken thront oder die von ewiger Liebe kündenden Herzchen - vielgestaltige und vielfarbige Tätowierungen verzieren die Körper von Bankern, Filmsternchen, Hausfrauen und Studenten, von der hübschen Nachbarin ebenso wie von dem alternden Polizisten. Die Körperkunst hat ihren Milieucharakter endgültig abgestreift und ist schwer in Mode. Schon in vor- und frühgeschichtlicher Zeit tätowierten sich die Menschen. Auf der Leinwand "Körper" wurden besondere Ereignisse im Leben des Trägers verewigt: der Eintritt in das Erwachsenenalter, die erfolgreiche Jagd nach einer besonderen Beute, eine absolvierte Reise oder eine bestimmte Tätigkeit in der Stammesgemeinschaft. Diese rituellen Tätowierungen findet man auch heute noch bei vielen Eingeborenenstämmen. In der neueren Zeit waren jedoch meist nur Angehörige bestimmter Personengruppen tätowiert: beispielsweise Seeleute, Soldaten, Sklaven, Strafgefangene; und die Motive ihrer Tätowierungen hatten maritimen, militärischen oder subkulturellen Bezug. Bei den Sklaven zeigten Tattoos gar die Besitzverhältnisse ähnlich einem Brandmal.

In den 90er Jahren begann der Siegeszug des Tattoos mit überwiegend gleichartigen Mode-Tribals, heute geht der Trend zu großflächigeren und bedeutungsvolleren Tätowierungen: 60 Prozent entscheiden sich für ein Tattoo, das größer als 300 Quadratzentimeter ist (etwa ein Handteller) und vom Träger individuell entworfen wird, beziehungsweise nach dessen Vorgaben vom Tätowierer gestaltet wird. So ziert die Wade der Tochter ein Bildnis ihrer verstorbenen Mutter, auf dem Oberarm des Automechanikers "arbeitet" ein PS-starker V8, auf dem Nacken des Ravers dreht sich eine LP - oder Sinnbilder für Charaktereigenschafen werden unter die Haut gestochen: der starke Löwe, die listige Schlange, der bösartige Dämon, die unnahbare Geisha.

"Die Kunden lassen sich ein Tattoo machen, das sie an bestimmte Orte und Zeiten, an Personen oder Dinge, die für sie im Leben wichtig sind, erinnert. Die meisten wissen genau, was sie wollen und das fertige Tattoo gibt ihnen Kraft, Zuversicht und Liebe. Es hilft ihnen oft, im Alltag besser klarzukommen.", so fasst es Nikki, Tätowiererin in einem Berliner Tattoo-Studio, zusammen. Sie weist aber auch auf Risiken hin: "Das Tattoo ist für immer. Man sollte sich genau überlegen, ob einem mit 50 noch das bonbonfarbene Bambi auf der schlaffen und faltigen Haut gefällt."

Aber nicht nur ästhetische Gründe sprechen gegen eine lebenslange Markierung: Bei mehr als zwei Dritteln der frisch Tätowierten treten Hautreaktionen auf wie Bläschen und Rötungen, jeder Zehnte klagt nach der etwa vierwöchigen Ausheilungsphase über gereizte Haut, Jucken, Brennen oder ähnliches Unwohlsein. Und selbst Langzeitfolgen wie Aufquellen der dekorierten Regionen beim Duschen, Rötungen beim Sonnenbaden und andere unspezifische Symptome treten bei jedem 20sten Tätowierten auf. Dies ergaben Untersuchungen der Hautklinik der Universität Regensburg. Aber noch vor weitaus gravierenden Folgen warnen Mediziner und Behörden eindringlich: Niemand weiß, was die in die Dermis eingebrachten Farben im Körper anrichten. Vielfach wurden - und werden! - gar bekannte und verbotene Giftstoffe, beispielsweise gefährliche krebserzeugende aromatische Amine unter die Haut tätowiert. Viele Farben haben die gleiche Basis wie Autolacke und Druckertinten, sie enthalten Schwermetallverbindungen beziehungsweise sie zerfallen unter Einwirkung von UV-Licht in Zellgifte wie Azelenhydrochlorid oder verschiedene Kohlenwasserstoffe. Und gewiss ist: Teile der Farben werden aus der Haut in andere Bereiche des Körpers fortgetragen und "wüten" dort. Auch die Tätowierer selbst wissen nicht, was in den von ihnen verwendeten Farben steckt. Erst seit dem 01. Mai 2009 gibt es in Deutschland eine Verordnung, die besonders gefährliche Bestandteile in bunten Tattoofarben verbietet. Schwarze Farben aber basieren nach wie vor aus Rußpartikeln, die durch unvollständiges verbrennen von Rohöl, Teer oder Autoreifen hergestellt werden.

Die beim Tätowieren bestehende Infektionsgefahr - beispielsweise mit Hepatitis oder HIV - ist bei strikter Einhaltung der strengen Hygienevorschriften gering. Diese Hygienevorschriften - die in Deutschland jedoch nicht behördlich reguliert sind - umfassen unter anderem die Verwendung steriler / sterilisierter Nadeln und Maschinen, das Tragen von Handschuhen, die Desinfektion von Arbeitsflächen, die Verwendung von Einmal-Farbtöpfchen, etc. Von der Möglichkeit, ein unliebsam gewordenes Tattoo wieder zu entfernen - immerhin 5 Prozent aller Tätowierten wollen das später -, raten Experten ab. Zwar können Laser, indem sie die in den körpereigenen Zellen eingeschlossenen Farbpigmente mit Licht beschießen und dadurch erhitzen, die Farben "auflösen", aber je nach Farbe gelingt dies nicht immer und die gespalteten Pigmente können in noch gesundheitsschädigendere Stoffe zerbrechen. Diese Folgen und Risiken führen zu einem Tätowierverbot in bundesdeutschen Justizvollzugsanstalten - muss doch der Strafvollzug für das körperliche Wohl der Insassen Sorge tragen.

Tätowiert aber wird im Gefängnis - hinter verschlossener Tür - trotzdem.

Die identitätsstärkende und rollenfestigende Funktion der Tätowierung ist gar im Gefängnis - mangels anderer Symbole und Differenzierung - besonders ausgeprägt. Im Jugendstrafvollzug ist das Tätowieren zudem oft eine gruppendynamische Handlung, bei der sich mehrere Insassen nacheinander ein Tattoo stechen lassen. Bei ausländischen Gefangenen dienen spezifische Motive auch der Symbolisierung von Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Bande.

Im Gefängnis wird überwiegend mit selbst gebastelten Maschinen, unzulänglichen Materialien bei unzureichender Hygiene tätowiert. Um jedoch Gesundheitsschäden zu vermeiden, sollten die beim Tätowieren üblichen Standards unbedingt eingehalten werden: Maschine und Arbeitsflächen mit Frischhaltefolie abkleben, Nadeln und Führung sorgfältig desinfizieren, nur handelsübliche Tattoofarben verwenden - diese in Einmal-Farbtöpfchen geben -, Papierhandtücher zum Abwischen verwenden und Handschuhe tragen.

Das frisch gestochene Tattoo bedarf auch einiger Aufmerksamkeit: Austretendes Blut und Wundwasser abwischen, Heilsalbe auftragen (wie Bepanthen oder Panthenol), den sich bildenden Schorf geschmeidig halten - aber nicht "einweichen" -, nicht länger duschen, nicht übermäßig schwitzen, nicht sonnenbaden.

Hält man sich an diese Mindestanforderungen, minimiert man die möglichen Probleme. Besser beraten ist jeder, wenn er sein gewünschtes Tattoo nach der Haft von Fachleuten in einem Tattoo-Studio stechen lässt.

Hat man die Wahl des Motivs zudem gut bedacht, kann ein Tattoo eine wahre Freude fürs Leben sein. Giftige Farbsubstanzen können die Freude daran aber verderben.

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Quelle:
der lichtblick, 42. Jahrgang, 2/2010, Heft Nr. 343, S. 38-39
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2010