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LICHTBLICK/228: Der soziale Tod in einer JVA!


der lichtblick - Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 374 - 1/2018

Der soziale Tod in einer JVA!

Wenn sich Freunde von einem Straffälligen abwenden, kann es schnell einsam werden und die gesellschaftliche Isolation droht.


"Was, den gehst du noch besuchen?" hörte ich neulich im Besucherzentrum. Der Satz stammt von einem ehemaligen Sportkameraden, die allesamt im selben Verein waren. Einer von ihnen ist jetzt Insasse in der JVA-Tegel. So wie diese Menschen denken nicht wenige in unserer Gesellschaft. Die soziale Ächtung erfolgt vielfach noch vor der Verhandlung. "Es stand ja in der Zeitung" ist auch einer jener Sätze, die ich oft gehört habe und die selten dämlich sind. Eine Vorverurteilung par excelence, die sehr schnell gefällt wird, wenn die eigenen Horizonte überschaubar sind. Diese Menschen machen sich nicht die Mühe, einige Aspekte zu hinterfragen. Sie gehen auch nicht in den Gerichtssaal, um Details zu erfahren. Es wird allgemein alles übernommen und die Meinungsbildung ist damit recht zügig abgeschlossen.

Im Gesetz gibt es den Paragrafen des "rechtlichen Gehörs". Dieses Recht zur Anhörung wird von den meisten dieser Menschen missachtet. Der Beschuldigte hat keine Stimme mehr. Später gibt man dem Angeklagten nicht die Möglichkeit seine Sichtweisen zu erläutern. Seine Briefe werden von seinen Freunden nicht beantwortet. "Mit so einem" möchte man nichts mehr zu tun haben. Die Loslösung aus dem realen Leben erfolgt abrupt und ohne Begründung. Es ist praktisch wie ein gesellschaftlicher Tsunami. Ein Freund sagte mir einmal im Besucherzentrum in Moabit: "Ich verurteile dich nicht. Das macht der/die Richter/in". Er hat sich aber sehr wohl Gedanken zu den Umständen gemacht und mich weiterhin besucht und auch gezielte Fragen gestellt. Was passiert aber, wenn der Gefangene ins soziale Abseits geschoben wird und er nach mehreren Haftjahren keine sozialen Bindungen nach "draußen" hat? Er erhält vermutlich eine schlechte Sozialprognose, seine Familie oder seine Freunde haben ihn fallen gelassen, obwohl er noch vor kurzem Teil ihrer Gesellschaft war. Oder die Ehefrau des Verurteilten, die einen Betrieb hat und nun von vielen Kunden gemieden wird, weil eine pauschale Mitverantwortung impliziert wird.

Es gibt natürlich auch Rückfällige (auch mehrfach), die die Warnungen ihrer Familienmitglieder oder ihrer Freunde in den Wind geschlagen haben. Die Ehefrau, die eindringlich mahnte: "Bei der nächsten Inhaftierung wird es keine Besuche mehr von mir geben. Ich mache das alles nicht noch mal mit". Ich muss dazu sagen, dass der Mitgefangene, der mir diese Begebenheit erzählte, schon sehr alt war und erhebliche Zeit in Gefängnissen verbracht hatte. Aber auch er fand wieder dauerhaften Anschluss nach draußen und hat sich später integriert. Trotzdem ist die soziale Isolation nicht zu übersehen, sie fängt meistens schon recht früh an. Andererseits berichten erfahrene Inhaftierte von tragfähigen und langjährigen Bindungen, die auch oder gerade eine Haftzeit überstehen. Übersetzt heißt das: "Wenn ich früher ein Arschloch war, wird sich jetzt auch niemand um mich kümmern", oder "so schlecht kann ich ja nicht gewesen sein, sonst würde mich keiner mehr besuchen".

Man befindet sich als Gefangener in einem permanenten Abhängigkeitsverhältnis. In Zeiten der digitalen Medien bekommt die Thematik vom "sozialen Tod der Straffälligen" noch einen ganz anderen Blickwinkel. Wie äußern sich Angehörige und Freunde in den sozialen Medien und wie wird was im Netz gelöscht. Die Medien als Brandbeschleuniger? Bin ich für alle Ewigkeit der Straftäter? Wie fühlt sich das für den Inhaftierten an, und wen hat er als Sprachrohr? Deshalb sind Beziehungen außerhalb der Mauern auch so wichtig. Aber um die heiklen Geschichten im Netz zu eliminieren, müssen schon dauerhafte Anstrengungen unternommen werden. Was Zusammenhalt und Treue wirklich bedeuten erfährt der Gefangene erst, wenn er in Haft ist. Es ist beachtlich, was Angehörige und Freunde für Opfer bringen, gleichwohl welcher Art, und so zeigen sie nachhaltig, wie sie zu dem Inhaftierten stehen. Oder anders ausgedrückt: Das menschliche Herz hat eine fatale Neigung, nur etwas Niederschmetterndes Schicksal zu nennen. (A. Camus).

N. K.

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Quelle:
der lichtblick, 50. Jahrgang, Heft Nr. 374 - 1/2018, Seite 33
Unzensierte Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Redaktionsgemeinschaft der lichtblick
(Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel)
Seidelstraße 39, 13507 Berlin
Telefon: 030/90 147-23 29
Fax: 030/90 147-2117
E-Mail: gefangenenzeitung-lichtblick@jva-tegel.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2018

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