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LICHTBLICK/237: Mehr Internet im Vollzug wagen


der lichtblick - Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 376 - 3/2018

Mehr Internet im Vollzug wagen!

Plädoyer für eine Internetnutzung durch Gefangene


Seit Einführung des Bundesstrafvollzugsgesetzes im Jahre 1976 ist genug Zeit vergangen, um einen kritischen Blick auf die bisherigen Entwicklungen im Bereich der Internetnutzung durch Inhaftierte zu werfen. Wir hörten von einem Pilotprojekt in der JVA Heidering, dort sollen bereits 30 Tablets (mit sehr begrenzter Installation) an Inhaftierte ausgegeben worden sein. Damals berichteten viele Zeitungen darüber, mittlerweile herrscht Stillschweigen darüber. Wie ist dieses Projekt vorangekommen?

Die Frage zur Chance der medialen Neugestaltung darf nicht ungenutzt bleiben. Die fortschreitende Digitalisierung sollte auch im Strafvollzug Einzug halten (der Justizsenator möchte das auch so umsetzen), um dem Konflikt zwischen Resozialisierung und Sicherheit der Allgemeinheit sowie den sich daraus ergebenden Gestaltungsgrundsätzen in den Anstalten Ausdruck zu verleihen. Die Interaktion mit den Lesern des Lichtblicks beschränkt sich somit auf ein Minimum. Es mutet an wie Flaschenpost mitten im Ozean.

Mit einer Internetanbindung erhält die Redaktion eine bessere und schnellere Resonanz und ist damit zu weniger Improvisation gezwungen. Relevante Dokumente sind leichter zugänglich und verfügbar. Die Quellenbeschaffung ist nicht mehr so mühsam und ein Netzauftritt mit einer Homepage kann selbständig gestaltet werden. Aber nicht nur eine Redaktionsgemeinschaft, sondern auch andere Inhaftierte können einen Internetzugang nutzen. Schließlich führt vor allem das Fehlen von Fertigkeiten im Umgang mit Internetanwendungen vielfach in die soziale Isolation. Sicherlich, vereinzelt wurden Computerkurse, die ein Basiswissen vermitteln, angeboten, doch meistens während der Arbeitszeiten, sodass viele Insassen daran gar nicht teilnehmen konnten. Es liegt auf der Hand, dass widerstreitende Gestaltungsprinzipien zum Ausgleich gebracht werden müssen. Auf der einen Seite muss die Anstalt einen ordnungsmäßig funktionierenden und sicheren Vollzug gewährleisten, auf der anderen Seite hat sie den Vollzug so zu gestalten, dass sie dem Verhältmäßigkeitsgrundsatz und dem Angleichungsgrundsatz Rechnung trägt.

Unter den Kommentaren zum § 2 StVollzG steht zu den Chancenverbesserungen: "Wenn der Gefängnisaufenthalt Teil eines sozialen Abstiegsprozesses ist, muss nach Möglichkeiten gesucht werden, Prozesse der Aufwärtsmobilität in Gang zu bringen". Zur Chancenverbesserung gehört unserer Meinung nach auch die Annäherung an die Außenwelt, durch eine teilweise Internetanbindung. Wenn schon die sogenannte Entlassungsvorbereitung kaum umgesetzt wird, dann könnten die Verantwortlichen darüber nachdenken, die digitalen Kompetenzen der kurz vor der Entlassung Stehenden zu erweitern. Auch die Tegeler Inhaftierten hätten gerne ein Tablet.

Die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten des Internets sind für das gesellschaftliche Zusammenleben in der heutigen Zeit unverzichtbar geworden, ohne dass erhebliche Nachteile zu befürchten wären. Die alltags- und situationsgerechte Kommunikation und die Bedürfnisse der Inhaftierten haben sich ebenfalls stark verändert.

Jedem ist bekannt, dass es hierzu diverse Kontrollmechanismen gibt, die die Sicherheitsbedenken ausschließen. Gemessen an diesen Erwägungen erscheint eine Implementierung in das Vollzugssystem zum Zwecke einer wirkungsvollen Wiedereingliederung unausweichlich.

N.K.

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Quelle:
der lichtblick, 50. Jahrgang, Heft Nr. 376 - 3/2018, Seite 81
Unzensierte Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Redaktionsgemeinschaft der lichtblick
(Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel)
Seidelstraße 39, 13507 Berlin
Telefon: 030/90 147-23 29
Fax: 030/90 147-21 17
E-Mail: gefangenenzeitung-lichtblick@jva-tegel.de
Internet: www.lichtblick-zeitung.com
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2018

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