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LICHTBLICK/242: Vater-Kind Gesprächsgruppe?


der lichtblick - Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 380 - 3/2019

Strafvollzug Familie
Vater-Kind Gesprächsgruppe?

Wir meinen, es gibt zu wenig Hilfsangebote. Die Angehörigen von Inhaftierten werden kaum beachtet. Sie müssen ihr Leben weiterhin meistern und finden wenig Unterstützung.


Das Einsperren und Bestrafen eines straffälligen gewordenen Menschen ist in unserer Gesellschaft verfassungsgemäß. Der Gesetzgeber toleriert keine Rechtsbrüche. Dafür gibt es Gesetze, Gerichte und Gefängnisse. Aber müssen die Unschuldigen gleich mitbestraft werden? Was ist mit den Rechten schutzbedürftiger Kinder? Im Artikel 6 des Grundgesetzes heißt es wörtlich: "Die Ehe und Familie stehen unter besonderem Schutz des Staates."

Während die durch ein Verbrechen geschädigten Personen, durch den Staat und durch verschiedene Hilfsorganisationen Schutz und Betreuung erhalten, werden Familienangehörige von Inhaftierten meist vergessen und manchmal sogar bewusst ignoriert. Die Kinder und (Ehe)-Partner der Insassen sind die Unschuldigen und vergessenen Opfer einer Straftat und erhalten nicht die angemessene und notwendige Unterstützung, die wünschenswert wäre.

Gefangene und deren Angehörige haben nun einmal keine Lobby, da schlägt der vollzugliche Habitus voll durch.

Für sie gibt es viel zu wenig Hilfsangebote oder individualisierte Unterstützung. Viele Familien gehen durch die Inhaftierung eines Elternteils kaputt oder müssen unter erschwerten Bedingungen um ihr Überleben kämpfen. Sehr oft werden hierbei den Kindern die wahren Gründe der Inhaftierung verschwiegen. In ihren Köpfen herrscht eine permanente Ungewissheit über die Ursache und Dauer der zwangsweisen Trennung und damit eine unklare Zukunft mit vielen Ängsten. Die Kleinsten sind traurig und ziehen sich meist zurück, sie entfliehen in ihre eigenen Fantasiewelten. Einsamkeit, Trauer, Schuld- und Schamgefühle führen bei ihnen zu traumatischen Belastungen.

Beträchtliche Verhaltensauffälligkeiten und seelische Nöte sind nicht selten zu beobachten. Kinder sind durch diese familiäre Situation emotional extrem belastet. Völlig unbewusst klammern sie sich an den verbliebenen, meist gestressten Elternteil, denn auf der sozialen Ebene kommt es zum Verlust einer wichtigen Bezugsperson, zu Entfremdung, Ausgrenzung oder Stigmatisierung. Sehr oft ergibt sich durch den Verlust des sozialen Status und der sozialen Kontakte eine Verschiebung in ungünstigere Milieus.

Für die Inhaftierten ist die Aufrechterhaltung der sozialen Bindungen im Vollzug sehr eingeschränkt und nur erschwert möglich. Der Kontakt beengt sich nur auf wenige Besuche im Monat, Briefe und auf gelegentliche Telefonate. Es bleibt kaum Zeit und für Raum Gefühle und Nähe.

Landesweit fehlen Initiativen für eine familiensensiblere Gestaltung des Strafvollzugs. Hierzu fehlt es jedoch in der Realität an Regelungen auf Bundesebene und Absprachen zwischen den Bundesländern. Eine feste Beziehung zu Angehörigen und zu den Kindern kann eine Motivation sein, neue Lebensperspektiven zu entwickeln und sich in die Gesellschaft zu integrieren. Regelmäßiger Kontakt zur Familie bietet Rückhalt und ist ein wesentlicher Baustein zur Wiedereingliederung.

Aus Gesprächen mit Inhaftierten haben wir erfahren, dass es häufig Schwierigkeiten bei der Umsetzung eines Langzeitbesuches (3,25 Stunden in Tegel) gibt. Die Bedingungen sind sämtlichen Insassen hinlänglich bekannt (Reststrafe 3 Jahre und innerhalb der letzten 6 Monate keine Disziplinareinträge), aber die Handhabung erfolgt meist sehr restriktiv. Übersetzt heißt das, dass oftmals im Privatleben des Insassen herumgeschnüfelt wird, was verständlicherweise auf wenig Toleranz trifft. Man könnte auch meinen, dass so Inhaftierte mit möglichst wenig Außenweltkontakten gezüchtet werden.

Es bleibt auf jeden Fall Klärungsbedarf dahingehend, was die Normalität des Strafens betrifft. Kurzum: Müssen dem Insassen unnötig Steine in den Weg gelegt werden, wenn er Angehörige oder Freunde, in einem anderen Rahmen, sehen will? Wir hoffen, dass viele Inhaftierte schlau genug sind, ihre Bedürfnisse umzusetzen und sich für Lösungen zu engagieren. Gewiss die "Pfarrer-Sprechstunde" ist so eine Möglichkeit, die genutzt werden kann, aber wie sieht es mit einer "Vater-Kind-Gruppe" aus? Aus anderen Anstalten in Deutschland wird berichtet, dass so etwas installiert wurde und es läuft.

Ein Ansatz wäre die Auswahl von Inhaftierten, die Kinder unter 12 Jahren haben und deren Verhältnis zur Kindesmutter normal ist. Vorausgesetzt der Vollzugsverlauf gibt es her, wäre der nächste Schritt, dass die Treffen strukturiert werden mit Vorschlägen wie: Basteln, Spielen, Gespräche etc. Der gedankliche Unterbau muss stimmen, damit die schwierige Situation der betreffenden Kinder minimiert werden kann. Noch liegen wahrscheinlich zu wenig vollzugliche Erkenntnisse vor, um eine Vater-Kind-Gruppe zu formieren, aber das kann sich schnell ändern, indem der Gestaltungswille zur Initiative auf den Weg gebracht wird. Wir sind der Meinung, dass das ein Baustein zur Wiedereingliederung sein könnte, das der Familie zu gute kommt und ein Vorteil für den Zusammenhalt der familiären Bindung ist. Das Verständnis der Angehörigen in solch einer belastenden Lage vorausgesetzt, könnte damit ein neues Kapitel der Wiedereingliederung einläuten.

N. K.

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Quelle:
der lichtblick, 51. Jahrgang, Heft Nr. 380 - 3/2019, Seite 40-41
Unzensierte Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Redaktionsgemeinschaft der lichtblick
(bestehend aus Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2019

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