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MARXISTISCHE BLÄTTER/395: Zwischen Klima-Kriegen und "Green New Deal"


Marxistische Blätter Heft 3-09

Imperialismus und Klima-Politik
Zwischen Klima-Kriegen und "Green New Deal"

Von Hans-Peter Brenner


"Si vis pacem - para bellum". Als "Lateiner", der später den mit Fremdwörtern und lateinischen Versatzstücken gespickten Tiraden des "großen Vorsitzenden" F. J. Strauß so wenig entgehen konnte wie andere Zeitgenossen, habe ich in jenen fernen 70-er Jahren auch diesen Spruch mehrfach von FSJ vernommen.

Gegen die "Roten" mit ihren "gigantischen" Panzerarmeen, bräuchte Europa (inclusive die Bundeswehr) eine eigene atomare Streitkraft. Mit Verfügungsrecht auch durch die westdeutsche Bundesregierung - versteht sich. Auch etwas kleinformatigere Atomwaffen dürften es sein - z. B. Atomgranaten für das Heer, die man auch von Panzern oder Kanonen aus abschießen könnte. Alles - so die Straußsche Logik, der auch seine Nachfolger im Amt des Kriegsministers folgten - die von Hassels und Stoltenbergs, die heute keiner mehr kennt - war nur dazu gedacht, "den Frieden zu bewahren": die Kriegsvorbereitung und die Wiedereinführung des Kriegsdienstes.

Später, als er wegen Korruptionsvorwürfen als Kriegsminister gescheitert war und doch nach wenigen Jahren sein politisches "Come Back" als Finanzminister erlebte, schien er sich ein Stücken mehr an die Realität der realen Kräfteverhältnisse in Europa angepasst zu haben.

"Pacta sunt servanda" hieß es dann nach Abschluss der von Strauß vorher bis aufs Messer bekämpften "Verträge von Moskau und Warschau", die die Nachkriegsgrenzen in Europa endlich bestätigten und die Beziehungen zwischen der BRD und der DDR und den Status von West-Berlin regelten.

Lang ist das her: Strauß ist tot, das Ende der DDR und der politischen Nachkriegsordnung, das historische Scheitern des ersten sozialistischen Anlaufs in Europa hat er nicht lange überlebt.

"Si vis pacem, para bellum?" - gilt der Satz über Straußens Tod hinaus?

Ja gewiss, so hat die NATO, haben G. Schröder und J. Fischer die militärische und staatliche Zerschlagung des ehemaligen sozialistischen Jugoslawien gerechtfertigt. Und so liefen und laufen doch auch die Argumentationen, wenn es um die Aggressionskriege gegen den Irak, Afghanistan - und demnächst vielleicht auch gegen den Iran - geht.


"Si vis klimatem, para bellum!"

Seit dem letzten NATO-Gipfel muss man den zynischen Topos der römischen Imperatoren und deren geistigen Nachfolger noch um einen Begriff erweitern. Selbst FJS war seinerzeit noch nicht darauf gekommen.

Die moderne Variante müsste lauten "Si vis aut Pacem aut climatem, para bellum. Willst Du Frieden oder Klimaschutz, dann bereite den Krieg vor.

Der bereits seit 2 Jahren in der militärstrategischen Debatte und Expertisen der EU immer wieder auftauchende Terminus "erweiterter Sicherheitsbegriff" ist jetzt endlich auch dort angekommen, wohin er schon bei seiner Ersterwähnung ankommen sollte: in der offiziellen Kriegszieldefinition durch die NATO.

Zwar waren die politischen Ergebnisse des NATO-Gipfeltreffen in Straßbourg wegen der Konzentration der Berichterstattung auf die Auseinandersetzungen und Krawalle auf den Straßen und auf den internen Krach mit der Türkei medial zur absoluten Nebensache geworden, doch es ist ein absolutes "Muss", genauer hinzusehen, welche langfristigen Optionen die NATO beraten und beschlossen hat.

Die NATO hat ein neues strategisches Konzept in Auftrag gegeben, das sie beim nächsten Gipfel 2010 in Lissabon offiziell verabschieden will. Die jetzige ausformulierte NATO-Strategie ist zehn Jahre alt und gilt nicht mehr als angemessen. Mittlerweile ist die Allianz mit über 77. 000 Soldaten auf drei Kontinenten "out of area" im Einsatz und bekämpft den "Terror" ebenso wie "Piraten" vor der Küste Somalias.

"Kern des Bündnisses" soll auch künftig die Beistandsverpflichtung in Artikel 5 bleiben. Richtet sich dies früher (formal) gegen die "Sovvvjjettts" (Adenauer) und deren "Hiwis" vom verblichenen Warschauer Pakt, so kommt nebst "islamischen Fundamentalisten und ähnlichem Gesocks" nun ein unheimlicher, nicht mehr so berechenbarer "Feind" hinzu: der Klimawandel bzw. dessen Folgewirkungen für die "Sicherheit" der imperialistischen Kernländer. Als "neue Aufgabe" der NATO wird nun offiziell "die Verhütung von Konflikten in Folge des Klimawandels" verstanden.

Der NATO-Gipfel von Straßbourg übernahm damit Forderungen, die EU-Experten bereits im Frühjahr 2007 und 2008 in die Strategiedebatte der europäischen imperialistischen Staaten eingebracht hatten: "Si vis klimatem, para bellum!"


Die Zeit zerrinnt uns zwischen den Fingern

Die Auseinandersetzungen um vom Klimawandel bedrohte Wasserressourcen, die prognostizierten großen Völkerwanderungen aus nicht mehr für das menschliche Leben geeigneten Dürregebiete oder aus überschwemmten Küstenregionen infolge des zu erwartenden weltweiten Meeresspiegelanstieges werden als künftige Bedrohung der "atlantischen Sicherheit" eingeschätzt. Damit wird Klimapolitik endgültig zum Bestandteil zur Militär- und Kriegspolitik.

Ob das die internationalen Klima-Experten in ihrer Gesamtheit schon begriffen haben?

Mag sein, dass die meisten es noch nicht verstanden haben. Denn sonst wäre die fast gleichzeitig wie der NATO-Gipfel in Bonn tagende UN-Vorbereitungskonferenz für die am Jahresende in Kopenhagen geplante neue UNO-Klimakonferenz vielleicht anders abgelaufen. In Kopenhagen soll eine Nachfolgeregelung für das alte Kyoto-Protokoll, eine neue Vereinbarung über eine abgestimmte globale Klimapolitik, verabschiedet werden.

Die über eine Woche tagenden 3000 Klimaexperten in der alten Bundeshauptstadt sollten dafür erste inhaltlich Eckpunkte festlegen. Auf zwei weiteren Treffen sollen diese konkretisiert und in einer Beschlussvorlage für Kopenhagen gipfeln.

Herausgekommen ist praktisch nichts! Es gab deshalb scharfe Kritik in vielen Medien an der "Unfähigkeit" der Konferenzteilnehmer.

Doch war der Verlauf dieser Versammlung von Konferenz-Profis denn tatsächlich so überraschend? Deutete sich nicht schon im Vorfeld an, dass mit dem Einstieg der USA in die internationale Klima-Konferenzdiplomatie noch längst nicht die "Kuh vom Eise" sein würde? War denn nicht klar, dass es zwischen den imperialistischen Hauptmächten - inklusive Russland - und den sogenannten "Schwellenländern" (Indien, China,. Brasilien, etc.) logischer Weise noch kein Einvernehmen geben würde, wie viel Mengen von CO2-Emissionen man sich auch künftig wechselseitig zugestehen würde?

Es wäre blauäugig gewesen von dieser Bonner Vorbereitungskonferenz schon substantielle Ergebnisse zu erwarten. Gleichzeitig wäre es aber auch ein unnötiger Pessimismus, nun in ein Katastrophenszenario einzustimmen, wonach es bis zum Stattfinden der Kopenhagener Konferenz nicht mehr gelingen werde, zu einem Nachfolgeabkommen für Kyoto zu kommen.

Dafür sind die Planungen der NATO, der G-20 und die Diskussions- und Entscheidungsprozesse in den wichtigsten EU-Staaten und in den USA doch viel zu weit in Richtung eines etwas "grüneren" Kapitalismus vorangeschritten. Nicht zuletzt auch aus solchen militärstrategischen Überlegungen, wie sie mit dem "erweiterten Sicherheitsbegriff" verbunden sind.


Washingtoner "Klima-Gipfel": kein Grund zur Entwarnung

Es wird ein "Kopenhagen-Protokoll" geben. Darauf einigten sich jetzt auch die auf Einladung von B. Obama in Washington zusammen getrommelten Umweltminister von 17 Staaten.

Gewiss ist dies im Vergleich mit der schon selbstmörderischen klimapolitischen Ignoranz der Bush-Regierung ein Fortschritt. Doch ist damit der "Green New Deal", der neue Kontrakt über einen grünen Kapitalismus, mehr oder minder abgesegnet und wird nun "alles wieder gut"?

Selbst die sich wie eine Obama-Fan-Truppe aufführenden Vertreter der Bundesregierung. an der Spitze Bundesumweltminister S. Gabriel, konnten ihr Unzufriedenheit über die nach internationalem Diskussionsstand völlig unzureichende und der Dramatik nicht angemessene "neuen Umweltpolitik" der US-Regierung nicht verheimlichen.

In einem von der "Süddeutschen Zeitung" am 27. April zitierten "Positionspapier" des Gabriel-Ministeriums heißt es: "Die derzeit in Washington diskutierten Klimaschutzziele reichten nicht aus, um die Treibhausgas-Emissionen bis 2020 ausreichend zu senken."

Die Obama-Administration fällt in der Tat weit hinter die nach Experten-Meinung bereits unzureichenden UN-Ziele zurück, die - gemessen am CO2-Ausstoß von 1990 - eine Senkung der Emissionen bis 2020 um ein Viertel vorsehen.

Die US-Regierung spricht dagegen von einem Zeitabschnitt bis 2050. Der Verlauf des Washingtoner Klimagipfels hat an dieser Position der US-Regierung nichts Wesentliches verändert. Als "Kompromiss" wird nun gefeiert, dass die Obama-Regierung für das Jahr 2020 eine 15 Prozent-Reduktion angeboten hat. Sie verband dies aber gleichzeitig mit der Forderung, die weiter gehende Reduktionsziele bis zu 20 Prozent nicht verbindlich auf ein festes Jahresdatum festzulegen, sondern Abweichungen bis zu 10 Jahren zu akzeptieren.


Der Klimawandel beschleunigt sich weiter

Die Zeit "drängt" jedoch nicht nur, die Zeit, in der gehandelt werden muss, zerrinnt der Menschheit quasi zwischen den Fingern. Der Deutsche Wetterdienst warnte jetzt, wie so viele andere professionelle Institutionen, erneut (Tagesschaumeldung vom 28.4.) dass der Klimawandel nicht nur irreversibel geworden ist, sondern sich zunehmend beschleunigt. Die Prognosen von gestern sind heute schon wieder überholt. Und es trifft eben nicht nur "arme Eisbären" und "arme Küstenhewohner" in Bangla Desch.

Der Klimawandel findet hier bei uns statt und diejenigen die sich wegen des "heißesten April" seit Einführung der offiziellen Wetterbeobachtung freuen, leben wie die sprichwörtlich Blinden nach dem Motto "Nach uns die Sintflut".

Der Meeresspiegel stieg wegen der Erwärmung des Polareises und der Gletscherschmelze laut DWD zwischen 1961 und 2003 jährlich durchschnittlich um 1.8 Millimeter pro Jahr. "Von 1993 bis 2003 waren es aber schon 3,3 Millimeter pro Jahr - und dieser Trend hat sich bis heute fortgesetzt", erklärte der DWD-Präsident in der besagten "tagesschau"-Sendung. "Das ist das Zehnfache des mittleren Wertes der vergangenen 6000 Jahre."

Als Konsequenz werden laut DWD die Klimaforscher ihre bisherigen Szenarien für den Anstieg des Meeresspiegels um bis zu 60 Zentimeter bis 2100 nach oben korrigieren müssen. "Es gibt Studien, die sogar 1,50 Meter bis zu diesem Zeitpunkt für möglich halten", warnte der DWD-Präsident. Von einem solchen Szenario besonders betroffen seien die Küstenregionen Deutschlands.

Doch von den Wetterextremen in den künftig immer heißer werden Sommermonaten werden Hunderttausende und Millionen in den vor Hitze brütenden Großstädten betroffen sein. Neue Szenarien, die dies für Frankfurt und andere Ballungsräume durchgerechnet haben (Frankfurter Rundschau vom 29.04.09), machen deutlich, welche gewaltigen und kostspieligen städtebaulichen und architektonischen Veränderungen notwendig werden, um das Leben halbwegs erträglich zu halten.


Die 2 Grad-Celsius-Toleranz-Grenze kippt

Doch wie die allerneuesten Studien und Prognosen, die jetzt in der neuen Ausgabe der US-amerikanischen Zeitschrift "Nature" (Band 458) veröffentlicht wurden, zeigen, ist damit zu rechnen, dass die bisher vorhergesagte, durch den CO2-Ausstoß verursachte durchschnittliche globale Temperaturerhöhung von zwei Grad Celsius, die zugleich auch als maximale Toleranzgrenze betrachtet wird, nicht zu halten sein wird. "Wenn das Risiko, das Zwei-Grad-Ziel zu überschreiten, unter 25 Prozent bleiben soll, dann darf die Welt zwischen 2000 und 2050 nicht mehr als eine Billion Tonnen Kohlendioxid ausstoßen," erklärte einer der Autoren, M. Meinshausen vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

Ein Drittel dieser gewaltigen Menge wurde aber bereits seit der Jahrtausendwende emittiert. Bei unveränderten Emissionen würde dann nicht 2050 der kritische Punkt erreicht, sondern bereits 2030. (Süddeutsche Zeitung vom 30.04.09). Deshalb dürfte ab sofort insgesamt nur noch ein Viertel der jetzigen verbrauchten fossilen Brennstoffmengen verbrennen. Das erscheint absolut illusionär. Damit steht aber auch zugleich die 2-Grad Celsius-Marke auf der Kippe.

Viel wichtiger als das Lamentieren über die "vergeudete Zeit" wäre, ein weltweites Forderungsprogramm aus den sozialen und ökologischen Bewegungen, aus den Gewerkschaften und den linken, sozialistischen und kommunistischen Parteien und Organisationen zu entwickeln, an dem die kommenden Beschlüsse von Kopenhagen sich messen lassen müssen.

Wenn dort nur ein leicht grün angemalter Kapitalismus zum künftigen Modell des globalen Produzierens, Konsumierens, Transportierens, und Kommunizierens - ohne eine wirkliche Beschränkung der Macht der Energie-, Automobil-, Agrar-, Nahrungsmittel- und anderer Großkonzerne, den wirklichen Schädlingen für Umwelt, Tiere und Menschen, herauskäme, dann müsste wir uns wirklich große Sorgen um unsere weitere Überlebensperspektive machen.


Hans-Peter Brenner, Dr., Bonn, Dipl.Psychologe, MB-Mitherausgeber


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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 3-09, 47. Jahrgang, S. 13-16
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2009