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MARXISTISCHE BLÄTTER/474: Münchner "Sicherheitskonferenz" - Etikettenschwindel für eine Kriegstagung


Marxistische Blätter Heft 1-11

Die Münchner "Sicherheitskonferenz":
Etikettenschwindel für eine Kriegstagung

Von Claus Schreer


Ein Bündnis aus mehr als 80 Organisationen aus der Antikriegsbewegung mobilisierte auch in diesem Jahr wieder zu den Protesten gegen die so genannte Sicherheitskonferenz in München. Die Großdemonstration gegen diese Kriegstagung der NATO fand am Samstag, den 5. Februar statt. (Aktuelle Informationen unter: www.sicherheitskonferenz.de)

Gebetsmühlenartig beteuern die Veranstalter der Siko jedes Jahr, auf dieser Militärtagung treffe sich die "Internationale Sicherheitsgemeinschaft" und - so der Konferenzleiter Wolfgang Ischinger - auf der Siko gehe es ausschließlich darum, "wie der Frieden auf der Welt gesichert werden kann". Mit der Realität hat diese schönfärberische Selbstdarstellung allerdings rein gar nichts zu tun.

Das zeigt sich schon an der Zusammensetzung der Tagungsteilnehmer, an den Finanziers und an den Konferenzthemen dieser Tagung. Im Münchner Nobelhotel Bayerischer Hof treffen sich fast ausschließlich Außen- und Militärpolitiker der NATO-Staaten, hochrangige NATO-Generäle und Vertreter aus der Wirtschaft und der Rüstungsindustrie. Zweck der Konferenz ist es, die gemeinsamen Interessen der NATO-Bündnispartner und militärstrategische Ziele untereinander abzustimmen. Vor allem aber ist die Siko eine medienwirksame Propaganda-Veranstaltung für die Kriegspolitik der NATO und der EU.

Laut offizieller Teilnehmerliste kamen im vergangenen Jahr von den rund 320 TeilnehmerInnen mehr als 280 aus NATO- und EU-Mitgliedsländern. Weitere 20 kamen aus mit der NATO verbündeten oder von ihr abhängigen Staaten (z. B. aus Afghanistan, Pakistan, Mazedonien, Ukraine, Israel, Ägypten). Insgesamt gehörten mehr als 90 Prozent aller KonferenzteilnehmerInnen zur Großfamilie der NATO und der EU. Zwei Drittel der TeilnehmerInnen gehörten zum Politisch-Militärisch-Industriellen Komplex: Es waren Minister und Beamte aus den Militär- und Außenministerien, ranghohe NATO-Militärs, Manager und Vorstände großer Wirtschafts-, Finanz- und Rüstungskonzerne oder Experten militärstrategischer Institute aus den USA und der EU.

Rein formal ist die Münchner Sicherheitskonferenz natürlich keine Veranstaltung der NATO oder der EU. Sie ist aber auch nicht die Privatveranstaltung der jeweiligen Konferenzchefs. 1962 wurde sie als "Wehrkundetagung" von der Adenauer-Regierung ins Leben gerufenen. Seitdem ist die Bundesregierung Drahtzieher und Finanzier der Siko. Sowohl der frühere Tagungsleiter Horst Teltschik als auch der neue Konferenzchef Wolfgang Ischinger wurden von der Bundesregierung auf ihre Posten berufen.

Heute ist die Sicherheitskonferenz das wichtigste internationale Forum, um die Militärpolitik Deutschlands mit den NATO-Verbündeten abzustimmen. Die Bundesregierung bezeichnet die Münchner Sicherheitskonferenz als "eine der bedeutendsten sicherheitspolitischen Konferenzen weltweit", die die Partnerschaft Deutschlands mit der NATO als "feste Säule unserer Außen- und Sicherheitspolitik" stärke. Mitglieder der Bundesregierung würden diese "herausragende Plattform" nutzen, um "deutsche sicherheitspolitische Auffassungen international zu vertreten und für sie zu werben".

Die Siko wird deshalb auch seit Jahrzehnten großzügig aus dem Etat des Bundesverteidigungs-Ministeriums und des Bundes-Presse-Amtes finanziert. 2009 wurde die Konferenz mit einer Finanzspritze von rund 430.000 Euro gesponsert. Der Einsatz von Bundeswehr und der Bundespolizei während der "Sicherheitskonferenz" (2009 waren es 330 Bundeswehr- und 213 Bundespolizeikräfte) kostete noch einmal 580.000 Euro. Insgesamt also wird diese NATO-Kriegstagung mit über einer Million Euro aus Steuermitteln finanziert. Aber auch die Rüstungskonzerne lassen sich nicht lumpen. Die beiden Drei-Gänge-Menüs bei der letzten Siko waren von EADS und Krauss-Maffei gesponsert.

Neu seit dem Amtsantritt Ischingers vor zwei Jahren ist die enge Verkoppelung der wirtschaftlichen mit den politisch-militärischen Führungseliten. Ischinger hat ein neues Kooperationsgremium aus Vertretern internationaler Wirtschafts- und Finanzkonzerne geschaffen, das an der Planung, Finanzierung und Durchführung der Sicherheitskonferenz mitwirkt. Vorsitzender dieses Siko-Beratergremiums ist der Vorstandsvorsitzende der Linde AG, Wolfgang Reitzle. Entsprechend groß ist seitdem die Zahl der Top-Manager und Chefs internationaler Wirtschaftskonzerne, die rund 40 Teilnehmer - zusätzlich zu den Vertretern der Rüstungsindustrie und von Wirtschaftsberatungsunternehmen - stellten.

Zentrale Themen sind seit Jahren der NATO-Krieg in Afghanistan, Ressourcensicherung, die militärische Zusammenarbeit zwischen den USA und den EU-Staaten sowie Absprachen über die laufenden Kriegseinsätze.


Atomare Abrüstung als Feigenblatt ...

Im vergangenen Jahr stand - um der Konferenz einen friedenspolitischen Anstrich zu geben - auch die atomare Abrüstung auf der Tagesordnung. Die Redner zu diesem Thema übertrafen sich gegenseitig mit unverbindlichen Lippenbekenntnissen für "eine Welt ohne Atomwaffen", über ernsthafte Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen, wurde jedoch erwartungsgemäß nicht geredet. Die atomare Abrüstung steht - entgegen allen Beteuerungen Obamas oder Westerwelles - gar nicht auf der Agenda der NATO-Staaten.

Im Mittelpunkt der Tagung standen dagegen, wie schon im Jahr davor, die unverhohlenen Kriegsdrohungen gegen den Iran. Unwidersprochen verkündete US-Senator Joe Lieberman: "Wir müssen uns entscheiden: Entweder für harte Wirtschaftssanktionen, damit die Diplomatie funktioniert, oder wir stehen vor einem militärischen Eingreifen."


... und Trommeln für die Fortsetzung des Afghanistan-Krieges

Die mediale Aufmerksamkeit, die die Siko jedes Jahr genießt, ist geradezu das ideale Forum für Propagandareden, zur Rechtfertigung der NATO-Besatzung und der NATO-Eskalationsstrategie im Afghanistankrieg.

Schon im Vorfeld machte sich Konferenzleiter Wolfgang Ischinger für die Aufstockung der Bundeswehrtruppen in Afghanistan stark. "Die militärischen Kräfte", sagte er, müssten "deutlich verstärkt werden ... ein Scheitern der Mission und eine Schwächung der NATO darf deutsche Politik nicht zulassen". Denn die Folge "hiervon" wäre ein "ein Reputationsverlust Deutschlands in der NATO". Das war dann auch der Tenor aller Redner auf der Konferenz: Die NATO dürfe in Afghanistan nicht scheitern und mit der von US-Präsident Obama beschlossenen "neuen Afghanistan-Strategie" sei die "internationale Gemeinschaft" jetzt auf dem richtigen Weg.

Die Propagandamasche von der "Abzugsperspektive" werden die NATO-Strategen auch auf der kommenden "Sicherheitskonferenz" wieder der Öffentlichkeit präsentieren, ebenso wie das Märchen von der NATO als "einzigartige Wertegemeinschaft ... zur Gewährleistung unserer gemeinsamen Verteidigung ... die den Grundsätzen der Freiheit, der Menschenrechte und der Rechtstaatlichkeit verpflichtet ist". Mit diesen blumigen Worten beginnt das neue "Strategischen Konzept", das die NATO-Regierungschefs Ende November in Lissabon beschlossen haben und das man uns auf der Siko als Strategie zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens verkaufen wird.


Das Tagungsprogramm für Februar 2011

Inzwischen hat Siko-Chef Ischinger gegenüber der Deutschen Presseagentur die Themen und Redner für die diesjährige NATO-Tagung angekündigt. Danach soll, neben Afghanistan, der Gefahr eines Cyber-War sowie der Nichtweiterverbreitung nuklearer Waffen, diesmal auch die "weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise und der damit verbundene finanzpolitische Machtzugewinn von ehemaligen Regionalmächten" auf der "Sicherheitskonferenz" behandelt werden. Zu diesem Thema sind Weltbank-Präsidenten Robert Zoellick, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und der US-Investor George Soros eingeladen, um mit den anwesenden Militärstrategen über "Zukunftsperspektiven" zu debattieren.

Das Schwerpunktthema in diesem Jahr soll jedoch die NATO-EU-Russland Kooperation sein. Dazu werden Bundeskanzlerin Angela Merkel, Russlands Außenminister Sergej Lawrow, der britische Premierminister David Cameron sowie EU-Ratspräsident Herman van Rompuy reden. Die im neuen Strategischen Konzept der NATO beschlossene "strategische Partnerschaft mit Russland" soll offensichtlich zu weiteren konkreten Vereinbarungen führen. Den USA und den EU-Staaten geht es dabei um die Einbindung Russlands in die Kriegsführungs-Strategie der NATO.

Konferenzleiter Ischinger sieht die bevorstehende Sicherheitskonferenz, auf der die militärische Zusammenarbeit zwischen NATO und Russland voran gebracht werden soll, "als Markstein auf dem Weg zu einer neuen euroatlantischen Sicherheitsordnung". Europa, Russland und die USA werden von den gleichen sicherheitspolitischen Bedrohungen konfrontiert, erklärt er. Dies erfordere eine "engere Zusammenarbeit zwischen den drei Machtzentren".


Die militärische Kooperation mit Russland ist keine Alternative zur NATO

Der nicht nur von der NATO, sondern auch von Moskau angestrebte USA-EU-Russland-Pakt ist ein bisher kaum beachtetes Thema, mit dem sich Kommunisten, Linke und die Antikriegsbewegung aber dringend beschäftigen müssen, weil bereits die derzeitige NATO-Russland-Zusammenarbeit ihre negativen Auswirkungen zeigt.

Russlands Präsident Medwedjew hat bereits 2009 der NATO einen "Euro-Atlantischen Sicherheitsvertrag" vorgeschlagen, der den ganzen nördlichen Globus von Vancouver bis Wladiwostok einschließen soll. Auf der letzten "Münchner Sicherheitskonferenz", sagte der russische Außenminister Lawrow zur Erläuterung der Moskauer Initiative: "Wir können ein festes Fundament errichten für ein gemeinsames Vorgehen der USA, der EU und Russlands in den internationalen Angelegenheiten."

Schon heute demonstriert Moskau seine Bereitschaft, mit der NATO gemeinsame Sache zu machen. So hat Russland im so genannten Atomkonflikt mit dem Iran nicht nur den von der US-Regierung initiierten Sanktionsbeschlüssen im Weltsicherheitsrat zugestimmt, sondern auch die vertraglich vereinbarte Lieferung von Luftabwehrraketen an den Iran gestoppt. Zudem sichert Russland mit dem in Lissabon erweiterten Transitabkommen den Nachschub für die NATO-Truppen in Afghanistan und liefert gleichzeitig Hubschrauber an die vom Westen an der Macht gehaltene afghanische Marionettenregierung.

Diese Unterstützungsleistungen Moskaus tragen aber weder zu einer Entschärfung des Atomstreits mit dem Iran noch zur Beendigung des Afghanistankrieges bei. Im Gegenteil. Die NATO erhält von Russland Rückendeckung für ihren Konfrontationskurs gegenüber dem Iran und für die Fortsetzung des Afghanistan-Krieges. Ein USA-EU-Russland-Pakt ist für alle anderen Länder der Welt sicher keine erstrebenswerte Perspektive. Sie werden sich dadurch eher noch weit mehr bedroht sehen als bisher.


Mogelpackung: Truppenabzug aus Afghanistan

Zum Afghanistankrieg sollen der afghanische Präsident Hamid Karsai. der pakistanische Außenminister Shah Mahmood Qureshi und der NATO-Oberkommandierende James Stavridis in München sprechen, die Konferenzleiter Ischinger offensichtlich als Garanten für den Frieden in Afghanistan ansieht. Er selbst hat gegenüber dpa eindringlich vor "Abzugsszenarien" gewarnt. "Innenpolitische Opportunitätsüberlegungen", d. h. die Kriegsablehnung der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland, dürften "für Rückzugspläne nicht ausschlaggebend sein, sondern allein die Lage in Afghanistan selbst", womit nichts anderes gemeint ist als ein "stabiles", dem Westen willfähriges Regime, das den USA und der EU dauerhaften Einfluss in Zentralasien garantiert.

Die zentrale Forderung bei unserer Großdemonstration gegen die NATO-Kriegstagung am 5. Februar ist dagegen der sofortige Abzug der Bundeswehr und aller anderen NATO-Truppen aus Afghanistan, denn jeder Tag, den dieser mörderische Krieg länger dauert, und jeder Mensch, der ihm zum Opfer fällt, ist einer zuviel.


Friedenspreis für Völkerrechtsbruch und Kriegsverbrechen

Wie schon in den vergangenen Jahren werden die Siko-Veranstalter auch in diesem Jahr wieder die sogenannte "Friedensmedaille", den Ewald-von-Kleist-Preis, vergeben. In der offiziellen Begründung heißt es zwar: Mit dem Preis würden Persönlichkeiten ausgezeichnet, "die sich in besonderer Weise für internationalen Frieden und die Konfliktbewältigung eingesetzt haben", tatsächlich ist die Siko-Medaille jedoch nichts anderes als ein Kriegsverdienstorden.

Unter den Preisträgern der vergangenen Jahre war bereits zwei Mal Javier Solana. Er war als NATO-Generalsekretär 1999 einer der Hauptverantwortlichen für den Aggressionskrieg gegen Jugoslawien und anschließend als EU-Außenbeauftragter der maßgebliche Architekt der EU-Militarisierung. Weitere Preisträger waren der als Kriegsverbrecher bekannte US-Präsidentenberater Henry Kissinger und der US-Senator und Hardliner McCain, der sich um die gewaltsame Durchsetzung imperialer Interessen besonders verdient gemacht hat. Außerdem wurde, stellvertretend für die im Ausland eingesetzten NATO-Interventionstruppen, ein kanadischer Soldat mit der Friedensmedaille ausgezeichnet.

Seit 2002 demonstrieren jedes Jahr in München Tausende gegen die NATO-Kriegstagung. Und das ist gut so, denn die NATO ist heute die größte Bedrohung für alle Länder auf dem Globus, die auf ihrer Souveränität bestehen und nicht bereit sind, sich den Wirtschafts- und Vorherrschaftsansprüchen der westlichen Großmächte zu unterwerfen. Die Friedens- und Antikriegsbewegung muss dafür sorgen, dass diese Proteste nicht abreißen und dass der Widerstand gegen die verbrecherische NATO-Kriegspolitik stärker wird.


Claus Schreer, München, Mitarbeiter des ISW


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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 1-11, 49. Jahrgang, S. 16-20
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2011