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MARXISTISCHE BLÄTTER/569: Der Krieg vor Vietnam - Teil 2


Marxistische Blätter Heft 2-14

Der Krieg vor Vietnam
Teil 2 und Schluss

Von Rainer Werning



"Die Fähigkeit, 'bis an den Rand' zu gehen, ohne dass es zum Krieg kommt, ist die notwendige Kunst. Wer sie nicht meistert, gerät zwangsläufig in den Krieg. Wer versucht, davonzulaufen, wer Angst vor dem Abgrund hat, ist verloren. Wir mussten in den Abgrund schauen - als es um die Ausweitung des Krieges in Korea ging, als es um unser Eingreifen in Indochina ging, als es um Formosa ging."

US-Außenminister John Poster Dulles in einem Interview von 1956 (zit. nach: Boesch/Schläpfer 1997: 249).


Noch am 25. Juni 1950, an jenem Tag, da in den frühen Morgenstunden erste nordkoreanische Panzereinheiten in Richtung der südkoreanischen Metropole Seoul vorgerückt waren, brachten die USA den Vorschlag für eine Korea-Resolution in den UN-Sicherheitsrat ein. Die damals von den USA dominierten Vereinten Nationen unternahmen keinen Versuch, wenigstens die nordkoreanische Seite anzuhören und stimmten umgehend der Forderung Washingtons zu, mit einem eigenen Truppenkontingent Rhee Syngman zu unterstützen und "die Aggression Nordkoreas"zu stoppen. Ein Akt, der dadurch erleichtert wurde, weil die Sowjetunion den Sicherheitsrat seit Januar 1950 boykottierte - aus Protest gegen die Weigerung Tschiang Kai-Sheks, seinen Sitz im Sicherheitsrat an die Volksrepublik China abzutreten, Ein Veto blieb demzufolge aus und die USA bekamen am 27. Juni 1950 ein UN-Mandat, in Korea einzugreifen.

US-Präsident Harry S. Truman hatte allerdings bereits ohne Einwilligung der Vereinten Nationen Besatzungstruppen von Japan nach Südkorea verlegt, deren Löwenanteil fest davon überzeugt war, dass ihm in Korea-allenfalls ein wenige Wochen dauerndes "Abenteuer"bevorstand und deshalb lediglich leichtes Gepäck mitzunehmen sei (Downing 1999). So standen dem Süden Koreas die USA bei, die ihrerseits das Kommando über eine aus 15 Staaten bestehende UN-Streitmacht innehatten. Die UN-Truppen sollten de jure als multilateraler Schirm der US-Intervention in Korea fungieren. Faktisch aber blieben deren Truppen dem US-Befehl unterstellt - sehr zum Verdruss des damaligen UN-Generalsekretärs Trygvie Lie.

Während seinerzeit in westlichen Hauptstädten argumentiert wurde, Nordkorea habe einen "Überraschungsangriff" durchgeführt, fragte der rührige US-Publizist Isidor F. Stone, wie sich unbemerkt etwa 70.000 Mann und mindestens 70 Panzer an vier verschiedenen Orten gleichzeitig in Marsch setzen konnten, wo doch noch hochrangige US-Politiker und -Militärs wenige Tage zuvor den 38. Breitengrad inspiziert hatten. Und, so Stone weiter, wie und warum vermochte US-Präsident Truman binnen kürzester Zeit, bereits am 27. Juni, die Entscheidung zu treffen, dass die US Streitkräfte sofort in den Kriegsgeschehen eingreifen sollten? Überhaupt war es ein Politikum, dass im aufgewühlten antikommunistischen Klima des in Washington grassierenden McCarthyismus die New Yorker "Monthly Review Press" Stones Buch "The Hidden History of the Korean War" (Die verborgene Geschichte des Koreakrieges) 1952 veröffentlichte, nachdem zuvor über zwanzig Verleger abgewinkt hatten, dieses gegen den Stachel löckende Opus zu publizieren. Ähnlich erging es dem Werk "This Monstrous War" aus der Feder des investigativen australischen Publizisten Wilfred G. Burchett. Diesem 1953 erschienenen sehr kritischen Koreabuch widerfuhr allerdings das "Pech", dass das eigens in die USA verschiffte Kontingent an Exemplaren direkt nach der Anlandung konfisziert und vernichtet wurde - es passte partout nicht in die Zeit der McCarthy-Ära.

Wie eine Feuerwalze rollten die Kriegsmaschinerien beider Seiten mehrfach über die koreanische Halbinsel hinweg - mal in Nord-Süd-Richtung, dann wiederum in Süd-Nord-Richtung, Als diese Truppen unter dem Befehl von General Douglas MacArthur, dem Oberkommandierenden der US-Streitkräfte im Fernen Osten, den Yalu, den Grenzfluss zwischen Nordkorea und der Volksrepublik China, erreichten, ließ das in Beijing die Alarmglocken schrillen. Die chinesische Führung schickte am 19. Oktober 1950 Freiwilligenverbände nach Nordkorea, um dort - so die offizielle Version - "Krieg zum Widerstand gegen die USA und zur Hilfe für Korea" zu führen. Auf diese Weise galt es, die erst wenige Monate zuvor errungene Souveränität der Volksrepublik zu wahren und im Sinne des Reziprozitätsprinzips den nordkoreanischen GenossenInnen nunmehr ihrerseits politisch und militärisch beizustehen, von denen noch bis vor Kurzem einige Zehntausende auf Seiten der chinesischen Volksbefreiungsarmee in der Mandschurei gekämpft hatten. Nordkorea unterstützte außerdem die Sowjetunion mit Panzern und anderem Militärgerät und Moskau stellte China zinsgünstige Kredite bereit, Zum späteren Zeitpunkt stimmte Stalin auch dem Einsatz von MIG-15-Bomberpiloten zu, deren Existenz während der Kriegshandlungen strikter Geheimhaltung unterlag. Diese Piloten flogen in chinesischen Uniformen und mit koreanischen Hoheitszeichen Einsätze gegen US-amerikanische Jagdbomber.

Erst nach zähen, immer wieder unterbrochenen Verhandlungen kam es am 27. Juli 1953 in dem unwirtlichen Ort Panmunjom auf der Höhe des 38. Breitengrads zum Waffenstillstandsabkommen. Die Demarkationslinie entsprach in etwa derjenigen, wie sie vor Kriegsbeginn verlaufen war. Unterzeichnet wurde das Abkommen lediglich von Nordkorea, der Volksrepublik China und dem US-amerikanischen General Mark W. Clark im Auftrag der Vereinten Nationen. Südkoreas Präsident Rhee Syngman hingegen weigerte sich nicht nur, das Abkommen zu unterschreiben. Er wollte den Krieg fortsetzen. Erst als die US-Regierung einem bilateralen Sicherheitspakt zustimmte, ihr in Südkorea stationierter Oberbefehlshaber auch die Kommandogewalt über die südkoreanischen Truppen übernahm und der südkoreanischen Seite beträchtliche Wirtschaft-, Finanz- und Militärhilfe in Aussicht gestellt wurden, erklärte sich auch Rhee bereit, die Waffenstillstandsklauseln wenigstens zu respektieren. Entlang der entmilitarisierten Zone (DMZ) sorgte fortan eine Waffenstillstandskommission (Military Armistice Commission, MAC) dafür, dass der fragile Frieden gewahrt wurde. Dieser Kommission gehörten Beobachter neutraler Staaten (Schweden und die Schweiz für Südkorea, Polen und die Tschechoslowakei für Nordkorea) an, die jeweils auf der entsprechenden Seite der Grenze stationiert waren.

Beschwiegene Massaker

In den ersten Kriegswochen und -monaten gab es nur sehr wenige couragierte JournalistenInnen, die ein gänzlich anderes Bild des Krieges zeichneten, das nicht den in West wie Ost gleichermaßen kolportierten Schwarz-Weiß-Schemata entsprach. Ihre Berichte, sofern sie überhaupt veröffentlicht wurden, bildeten die Ausnahme. Sensible Kriegskorrespondenten schockierte vor allem, dass die US-amerikanischen Soldaten alle KoreanerInnen abschätzig "gooks" nannten und ihr Weltbild zutiefst rassistisch und manisch-antikommunistisch geprägt war. "Gooks" galten als "schlitzäugige Untermenschen" und "Freiwild". Charles Grutzner, der damals für die New York Times aus Korea berichtete, empörte "dass aus Furcht vor Infiltration und Unterwanderung hunderte südkoreanischer Zivilisten, Frauen wie Männer, von US-Truppen und Polizeieinheiten der Republik Korea einfach niedergemetzelt wurden." Keyes Beech, ein US-amerikanischer Kollege, schrieb: "Gegenwärtig ist es nicht gut, Koreaner zu sein, denn die Yankees zielen auf sie. Nervöse, in Panik geratene amerikanische Soldaten sind jederzeit bereit, Koreaner zu erschießen."

James Cameron, der aus Korea für die Londoner Picture Post berichtete, beschrieb im Spätsommer 1950 seine Eindrücke über ein Lager in der Hafenstadt Busan, das er als "südkoreanisches Konzentrationslager" bezeichnete: "Ich habe Belsen gesehen, doch das hier ist schlimmer. Diese Menschenmenge - zu nichts verurteilt, nicht einmal angeklagt, Südkoreaner in Südkorea, die man lediglich für 'unzuverlässig' hält. Es sind Hunderte von ihnen - bis auf Skelette abgemagert, Marionetten mit ergrauten Gesichtern, in Ketten gelegt und aneinander gebunden, zur Schau gestellt in klassisch orientalischer Manier der Unterwerfung kauernd, wie Fötusse im Dreck liegend. Neben diesem mittelalterlich anmutenden Marktplatz hielten sich in sicherer Entfernung amerikanische Soldaten auf die die Szenen lässig beäugten und fotografierten. Mich empörte das dermaßen, dass ich die UN-Kommission darüber informierte. Dort teilte man mir lapidar mit: 'Nun gut, das ist erschütternd. Doch vergessen Sie bitte nicht - es sind Asiaten, mit unterschiedlichen Verhaltensweisen, allesamt sehr schwierig.' Ich kochte vor Wut, was selten genug passierte. Alles haben wir sorgfältig recherchiert und in Wort wie Bild festgehalten. Fast hatte es mich meinen]ob gekostet." Das Magazin Picture Post druckte diesen Beitrag ihres Korrespondenten Cameron allerdings nicht ab. In der Redaktion führte das zu einem "Miniaufstand" und für die Zeitschrift bedeutete es das Ende.

Am Rande eines Dritten Weltkriegs

In pausenlosen Einsätzen klinkte die US Air Force aus B-29-Bombern ihre tödliche Fracht aus und beschränkte sich nicht nur auf großflächiges Dauerbombardement. Vor allem war es der bis April 1951 amtierende Oberbefehlshaber der kombinierten US- und UN-Streitkräfte, General Douglas MacArthur, der überdies mit dem Einsatz atomarer und chemischer Waffen gedroht hatte. "In postum veröffentlichten Interviews behauptete MacArthur", notierte der US-amerikanische Koreaexperte und an der University of Chicago lehrende Geschichtsprofessor Bruce Cumings, "einen Plan ausgearbeitet zu haben, mit dem er den Krieg innerhalb von zehn Tagen gewonnen hätte: 'Ich hätte mehr als 30 Atombomben über das gesamte Grenzgebiet zur Mandschurei abgeworfen.' Anschließend hätte er am Yalu, dem Grenzfluss zwischen Nordkorea und China, eine halbe Million nationalchinesischer Soldaten - die sich nach ihrer Niederlage 1949 aus dem kommunistischen China nach Taiwan abgesetzt hatten - eingesetzt und dann zwischen dem Japanischen und dem Gelben Meer einen mit radioaktivem Kobalt verseuchten Landgürtel geschaffen. Da Kobalt zwischen 60 und 120 Jahre aktiv bleibt, wäre dann 'mindestens 60 Jahre lang keine Invasion über Land nach Südkorea von Norden aus möglich gewesen'. MacArthur war überzeugt davon, dass die Russen angesichts dieser extremen Strategie nichts unternommen hätten: 'Mein Plan war bombensicher'" (Cumings 2004).

Die "Pulverisierung" - das heißt: die atomare Verwüstung - grenznaher chinesischer Städte, um angeblich den Krieg in Korea abzukürzen: das ging selbst US-Präsident Harry S. Truman zu weit. Nach einem Krisentreffen mit MacArthur auf der Pazifikinsel Wake gab Truman am 11. April 1951 vor der internationalen Presse die Absetzung MacArthurs bekannt und schloss seine Erklärung mit den Worten: "Wir bemühen uns, einen Dritten Weltkrieg zu verhindern." (Address by President Truman About Policy in the Far East) Fortan hatte General Matthew B. Ridgway das Sagen, während es für MacArthur, dessen Biograph William Manchester ihn später einen "egomanischen amerikanischen Cäsar" nannte, die tiefste Demütigung seines Lebens bedeutete.

"Als Nachruf auf diesen entfesselten Luftkrieg", schrieb Cumings mit Bezug auf die John Poster Dulles Papers (Oral History Curtis LeMay, 28. April 1966), "sei noch die Schilderung seines Erfinders, General Curtis LeMay [Chef des Strategischen Luftkommandos - R.W.], zitiert. Über den Beginn des Krieges sagte er 1966 in einem Interview: 'Wir schoben beim Pentagon sozusagen eine Mitteilung unter der Tür durch, die in etwa lautete: 'Lasst uns doch fünf der größten Städte in Nordkorea niederbrennen - sie sind nicht besonders groß -, und damit dürfte die Angelegenheit dann beendet sein.' Nun, als Antwort kam das empörte Geschrei von vier, fünf Leuten: 'Ihr werdet eine Menge Nichtkombattanten töten', und: 'Nein, das ist zu schrecklich. Doch dann haben wir innerhalb von etwa drei Jahren jede Stadt in Nordkorea und auch in Südkorea niedergebrannt. Tja, über einen Zeitraum von drei Jahren kann man das offenbar kopieren, aber ein paar Menschen zu töten, damit das gar nicht erst passiert, das können viele Leute eben nicht verkraften'". (Cumings 1990)

Vermächtnisse des Krieges

Wie so häufig in seiner Geschichte, wurde Koreas Lage dem Land zum Verhängnis. Eingekeilt zwischen den übermächtigen Nachbarn China und der Sowjetunion (Russland) und nur durch eine schmale Meerenge vom besiegten Japan entfernt, wo die US-Streitkräfte das Sagen hatten, bildete die koreanische Halbinsel im äußersten Südosten des asiatischen Kontinents einen geo- und militärstrategisch bedeutsamen Brückenkopf, der insbesondere während des beginnenden West-Ost-Konflikts zur Nahtstelle des Kalten Krieges wurde. Gegen Kriegsende handelte Washington gemäß dem Kalkül: Wenn schon nicht das ganze Korea, so sollte wenigstens dessen südlicher Teil zusammen mit Japan fest in den militär-politischen Einflussbereich der USA integriert und in ein Bollwerk gegen die Sowjetunion und die junge Volksrepublik China verwandelt werden.

Der bereits erwähnte US-Publizist I.F. Stone zitierte in diesem Zusammenhang General James A. Van Fleet, der als Oberbefehlshaber der 8. US-Armee anlässlich des Korea-Besuchs einer philippinischen Delegation im Januar 1952 erklärt hatte: "Korea hat sich als ein Segen erwiesen. Es musste ein Korea geben, ob nun hier oder anderswo in der Welt." Für die USA, wo dieser Krieg anfangs "Korean Conflict" (Koreanischer Konflikt) genannt und später als "Polizeiaktion" beziehungsweise "begrenzter Krieg" deklariert wurde, bedeutete der Krieg eine tiefe Zäsur. Er markierte nämlich den Beginn der Herausbildung eines weltumspannenden Netzwerks von Luftwaffenstützpunkten und Marinebasen und eines stets machtvoller werdenden militärisch-industriellen Komplexes. Der Krieg bestärkte aus Sicht der USA auch die Notwendigkeit der bereits 1947 entworfenen Truman-Doktrin mitsamt drastisch erhöhten Militärausgaben, um fortan überall dort zu intervenieren, wo es galt, tatsächliche oder vermeintliche sowjetische Einflusssphären zunächst "einzudämmen" (policy of containment) und später "zurückzudrängen" (rollback). Regional gewann diese Politik bereits ein Jahr nach Ende des Koreakrieges an scharfen Konturen, als am 8. September 1954 in der philippinischen Hauptstadt Manila unter US-amerikanischer Ägide die SEATO als "südostasiatisches Pendant" zur NATO aus der Taufe gehoben wurde.

"Eine fünf Jahre währende Revolution und Konterrevolution eskalierte zum Koreakrieg, ein letzter und grausamer Schritt zur Zerschlagung der Arbeiten und Bauernrevolution, die auf die Niederlage der Japaner im Zweiten Weltkrieg folgte." (Kim 2000)

So komplex "die innerkoreanischen Konfliktkonstellationen und daraus resultierende schroffe Klassengegensätze (vor allem zwischen der armen ländlichen, bäuerlichen Bevölkerung und Großgrundbesitzern) nach 1945 auf der Halbinsel waren, so kompliziert gestaltete sich in den Nachkriegsjahren in Folge der von den Siegermächten USA und Sowjetunion gezogenen Trennlinie entlang des 38. Breitengrads eine gesamtkoreanische Sozial- und Wirtschaftspolitik. Höchst unterschiedliche Ideologien und Perspektiven in Nord wie Süd sowie eben solche Behandlungen ehemals pro-japanischer Kollaborateure begünstigten zusätzlich eine tiefe Spaltung der Gesellschaft, deren Machtzentren in Seoul und Pjöngjang jeweils für sich exklusiv politischen Führungsanspruch reklamierten - mit fatalen Konsequenzen, zumal im Rahmen des eskalierenden Kalten Krieges.

Die ungelösten Klassengegensätze schürten einen zunehmend erbittert ausgetragenen Bürgerkrieg, der vom Sommer 1950 bis Sommer 1953 internationalisiert wurde. Was Washington zuvor als "imaginäre Linie" entlang des 38. Breitengrads konzipiert hatte, wurde in Korea indes nicht als eine die Nation durchschneidende Trennlinie verstanden oder gar akzeptiert, In diesem Zusammenhang hob Bruce Cumings (unter anderem mit Verweis auf den US-amerikanischen Bürgerkrieg) mehrfach hervor, dass schwerlich "Koreaner in koreanisches Territorium einmarschieren" und dieses "besetzen" konnten. Bis heute besteht der Konflikt als Relikt des Kalten Krieges mit einer etwa 240 Kilometer langen und vier Kilometer breiten, beschönigend so genannten "demilitarisierten Zone" fort. Doch de facto ist dies die weltweit bestbewachte, höchstmilitarisierte und konfliktträchtigste Region, wo sich noch immer waffenstarrend über eine Million Soldaten, inklusive mehrerer Tausend US-amerikanischer GIs, gegenüberstehen. Während der Krieg in Südkorea schlicht "6-25" genannt wird, was sich auf das Datum des "Ausbruchs" beziehen soll, gilt er in Nordkorea als "Vaterländischer Befreiungskrieg". Man darf gespannt sein, wann es zu ersten wissenschaftlichen Austauschprogrammen zwischen nord- und südkoreanischen AkademikerInnen kommt, deren Forschungsgegenstand die innerkoreanische Aufarbeitung des Koreakrieges ist - jenseits etatistischer Kalküle und ideologisierender Verblendungen.

"Vom 25. Juni 1950 bis zum 27. Juli 1953 (die Zeitspanne der offenen Kriegshandlungen - RW)", hieß es in dem am 23. Juni 2001 in New York verkündeten Urteil des Korea International War Crimes Tribunal unter dem Vorsitz des ehemaligen US-Justizministers Ramsey Clark "kamen nach konservativen westlichen Schätzungen über 4,6 Millionen Koreaner ums Leben, einschließlich drei Millionen Zivilisten im Norden und 500.000 Zivilisten im Süden der Halbinsel." Zirka 40.000 UN-Soldaten (davon 36.000 US-Amerikaner) verloren in Korea ihr Leben. Wenngleich in der Vergangenheit die Opferzahlen der chinesischen Freiwilligenverbände mit weit über 300.000 Personen angegeben wurden, bezifferten chinesische Behörden diese Ende Oktober 2010 mit lediglich 183.108 Soldaten und Offizieren - unter ihnen auch Mao Zedongs ältester Sohn Mao Anying (180.000 Chinese volunteers died in Korean War - Bericht der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua vom 27. Oktober 2010).

In keinem vorangegangenen Krieg war die Zahl der zivilen Opfer so hoch wie im Koreakrieg. Ganze Landstriche waren auf Jahre verwüstet, Deiche gezielt von amerikanischen Kampfbombern gesprengt worden. Sämtliche größeren Städte glichen Ruinenlandschaften. Allein in der Hauptstadt Pjöngjang waren bei Kriegsende nur knapp ein halbes Dutzend Häuser halbwegs unversehrt geblieben. In Korea wurden mehr Napalmbomben abgeworfen als später in Vietnam. Und ihre Wirkung war verheerender, weil es im Norden Koreas mehr Ballungszentren mit einer größeren Bevölkerungsdichte und mehr innerstädtische Industrieanlagen gab als in Nordvietnam. "Unmittelbar nach der Befreiung begann der Kalte Krieg", erinnerte Hwang Sok-Yong, Südkoreas bedeutendster zeitgenössischer Schriftsteller, in Gesprächen mit dem Autor im Sommer 2005, "der eigentlich bis zu Beginn der 1990er Jahre andauerte. Und mit dem Krieg kam die Teilung unseres Landes. Das Tragischste war, dass das alltägliche Leben stets durch Unterdrückung und Bevormundung geprägt war und unsere Familien zerrissen blieben. Nord- und Südkoreaner mussten Jahre lang auf rauchenden Kanonenrohren ihren Reis kochen."

Profiteure des Krieges waren paradoxerweise die Hauptaggressoren des Zweiten Weltkriegs - Japan und (West-)Deutschland. In jenen Jahren sorgte der Krieg für eine signifikante Steigerung des Wirtschaftswachstums (vor allem in der Investitions- und Konsumgüterindustrie), was im beschaulichen Bonn den Begriff "Korea-Boom" unter Ökonomen und Politikern gleichermaßen zur Lieblingsvokabel des einsetzenden Wirtschaftswunders werden ließ. So konnten bislang unausgelastete Kapazitäten im Maschinen- und Fahrzeugbau genutzt sowie chemische und elektrotechnische Produkte aufgrund einer gesteigerten Nachfrage viel rascher und in größerem Umfang als in Friedenszeiten umgesetzt werden. Gegenüber dem Jahr 1950 verdoppelte sich 1952 allein das BRD-Exportvolumen von annähernd 8,5 Mrd. DM auf knapp 17 Mrd. DM.

Gleichzeitig führten die "Ereignisse" in Korea (siehe Kasten) dazu, dass sich in der jungen Bundesrepublik Deutschland sowie in zahlreichen Ländern des Westens der Antikommunismus zur Staatsideologie auswuchs. So endete schließlich im Sommer 1956 das von der Adenauer-Regierung im November 1951 eingeleitete Rechtsverfahren gegen die Kommunistische Partei Deutschland nach knapp fünfjährigem juristischem Tauziehen mit einem vom 1. Senat des Bundesgerichtshofes verkündeten KPD-Verbot. Überdies forcierte der Koreakrieg die feste Westintegration der BRD und die von alten Militaristen ersehnte Wiederbewaffnung und Aufstellung einer neuen Armee - der Bundeswehr.


Rainer Werning, Dr., Bonn, Politikwissenschaftler und Publizist, Dozent und Lehrbeauftragter

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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 2-14, 52. Jahrgang, S. 105-110
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2014