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MARXISTISCHE BLÄTTER/586: Das Hackenknallen der Atlantiker


Marxistische Blätter Heft 1-15

Das Hackenknallen der Atlantiker

Von Klaus Wagener


Die Kehrtwende kam einigermaßen überraschend. Noch im Oktober 2011 hatte Hillary Clinton in Foreign Policy "America's Pacific Century" ausgerufen: "Die politische Zukunft wird in Asien entschieden, nicht in Afghanistan oder Irak, und die Vereinigten Staaten werden im Mittelpunkt des Geschehens sein." Für Clinton markierte das Ende des Irak-Kriegs und der Rückzug der US-amerikanischen Kampftruppen aus Afghanistan einen "Wendepunkt". Nachdem man 10 Jahre lang immense Ressourcen in diese Kriegsschauplätze investiert habe, würde es die vordringliche Aufgabe der amerikanischen Staatsmacht sein, diplomatisch, ökonomisch strategisch und "auf andere Weise" in die asiatisch-pazifische Region zu investieren. Die Region vom indischen Subkontinent zu den Westküsten der beiden Amerikas beherberge die Hälfte der Weltbevölkerung, die stärksten Potentiale der globalen Ökonomie und die wichtigsten aufstrebenden Mächte: China, Indien und Indonesien. Der Raum sei zur Schlüsselregion der Globalpolitik geworden.

2012 hatte Zbigniew Brzezinski in seinem Buch "Strategic Visions" sich dem geostrategischen Problem eines weiteren Niedergangs der USA und des gleichzeitigen Aufstiegs der Volksrepublik China zur führenden ökonomischen Macht im Zeitrahmen bis 2025 gewidmet. Brzezinski formuliert für die USA das Ziel, eine Art strategisches Containment mit Hilfe der traditionellen Verbündeten, aber auch unter Einschluss Russlands und der Türkei zu formieren. Gerade einmal 15 Jahre nach der erlangten globalen Souveränität der "einzigen Weltmacht" atmet das Buch die Ängste des bevorstehenden epochalen, globalen Umbruchs. Ängste, die einen Verbündeten Russland selbst ihm, dem Dinosaurier des Kalten Krieges, akzeptabel erscheinen lassen. Die Frage lautet: Welches Russland?

Im Fadenkreuz

Jedenfalls kaum das jetzige. Eher ein Russland, wie es unter Jelzin als Wilder Osten für die Abenteurer der Wallstreet, der Energie-Riesen und des Pentagon offen stand. Die USA haben nach eigener Aussage 5 Mrd. Dollar in die Hand genommen, um der Ukraine "die Zukunft zu sichern, die sie verdient", wie Frau Nuland so elegant formulierte. Der US-geführte Putsch auf dem Maidan brächte Russland, im Falle eines NATO-Vormarsches bis Charkiw, in eine Position als "hätten wir, grob gesagt, die militärische Situation des Frühjahrs 1943 wieder hergestellt, als die deutsche Wehrmacht noch die ganze Ukraine besetzt hielt - nach Stalingrad, aber vor Kursk", wie der Osteuropa-Experte Reinhard Lauterbach registriert. Allerdings wäre hinzuzufügen, bei anderer Waffentechnologie als vor 70 Jahren. Heute wäre die damit verbliebene Angriffs-Distanz zu Moskau eine Sache von Minuten. Die USA haben den ABM-Vertrag gekündigt. Zusammen mit dem in Alaska, Polen, Tschechien und Rumänien stationierten und noch zu stationierenden Raketen-Abwehrsystem (NMD) nähert sich das Pentagon wieder der im Kalten Krieg frühzeitig verlorenen Erstschlagfähigkeit. Oder glaubt dies zumindest, angesichts der immensen dafür investierten Kosten. Der offiziell genannte Schurke, Iran, gegen den sich NMD richteten soll, verfügt bekanntlich, auch wenn der israelische Ministerpräsident seit mehr als einem Jahrzehnt anderes behauptet, über keinerlei derartiges Angriffspotential. "Wir stellen die Raketenabwehr nicht zurück", so Hillary Clinton 2009, "wir verwirklichen die Raketenabwehr rascher, als es die Bush-Regierung plante. Und wir stellen ein umfangreicheres System auf." Was das - wie realistisch diese Wette auf die Technik auch immer sein mag - bedeuten kann, davon vermitteln die Städte Hiroshima und Nagasaki eine gewisse schwache Ahnung.

Militärstrategisch betrachtet erinnert einiges an die Situation des "NATO-Doppelbeschlusses" von 1979, an die Stationierung von Erstschlags- bzw. "Enthauptungs"-Waffen wie Pershing II und BMG-109 Tomahawk. Sieg im Atomkrieg. "Victory is possible". Das atomare Schlachtfeld wäre Europa gewesen. Es wäre es wieder.

Putsch und Sanktionen

Mit dem Kiewer Putsch haben die USA ihre Entschlossenheit deutlich gemacht, ihr Eskalationsszenario gegen Russland (zunächst noch) in Form eines Bürgerkriegs bis an die Schwelle der direkten militärischen Konfrontation unmittelbar an der russischen Grenze zu fahren. Die Schüsse auf dem Maidan sowie der Abschuss von MH 17, von wem auch immer begangen, dienten, wieder einmal als eine Art Sender Gleiwitz, dazu, die unmittelbare Machtergreifung der Putschisten sowie die Verhängung von Sanktionen seitens der USA und der EU zu legitimieren. Damit ist "Strategic Visions" Makulatur, es sei denn, es man gibt der Spekulation auf eine "bunte" Revolution eine Chance, die eine "prowestliche" Regierung á là Jelzin in den Kreml putscht. Der Versuch des russischen Präsidenten, die mit ausländischem Geld finanzierten NGOs zu kontrollieren, ist, nach den Kiewer Erfahrungen, nicht gerade unbegründet.

Russland ist durch diesen US-geführten Expansionismus an seiner südwestlichen Flanke militärstrategisch massiv bedroht. Im Worst-Case droht ihm der Hafen der Schwarzmeerflotte Sewastopol, sowie die gesamte Krim verloren zu gehen. Neben der strategischen Strangulation (Zugang zum Schwarzen bzw. Mittelmeer) eine tiefe psychologische Demütigung. Die Festung Sewastopol hatte im zweiten Weltkrieg einer faschistischen Belagerungsarmee von 200.000 Mann (600 Geschützen, bis zu 800 mm), dazu dem VII. Fliegercorps (600 Flugzeugen), vom 30 Oktober 1941 bis 4. Juli 1942 widerstanden. Die Krim ist seit 1783 russisch. Der Chruschtschow-Erlass 1954 lediglich ein innersowjetischer Verwaltungsakt. Kein Wunder, dass der russische Präsident die Notbremse zog.

Über die militärische Dimension hinaus, zeigt der Wirtschaftskrieg des "Westens" erhebliche Wirkung. Insbesondere der etwa 30-prozentige Preisverfall auf den Rohöl-Märkten, welchen die USA, auch mit Hilfe ihrer Vasallen in der OPEC, durchzusetzen in der Lage waren, mindert die russischen Einnahmen. Finanzminister Siluanow bezifferte die Sanktions-Einbußen mit etwa 40 Mrd. Dollar und die Öl-Preis-Verluste mit 90-100 Mrd. Dollar. Zusammen etwa 7 Prozent der gesamten russischen Wirtschaftskraft. Dazu kommt eine Kapitalflucht in Höhe von etwa 80 Mrd. Dollar. Die Folgen für die Konjunktur und die künftige Prosperität dürften beträchtlich werden.

EU- und NATO-Mitglied Ukraine?

In der EU und Deutschland löst der US-Schwenk auf einen harten Konfrontationskurs alles andere als Jubelstimmung aus. Die Perspektive eines weiteren, bankrotten EU-Mitglieds oder Quasi-Mitglieds mit 45 Millionen Menschen, dem dazu ein Full-Scale-Bürgerkrieg mit internationalem Beteiligungs- und Erweiterungspotential droht, ist angesichts der ohnehin vorhandenen Probleme in EU/Euroland nicht gerade das, was sich als Silberstreif am Horizont deuten lässt. Entsprechend hysterisch kreischt der Propaganda-Apparat der Atlantiker. Schon die bisherigen Zerstörungen des von Kiew geführten Bürgerkriegs haben Infrastruktur und Produktionsanlagen gerade im industriellen Teil des Landes massiv geschädigt. Die Industrie-Produktion ist dramatisch eingebrochen. Die Kohleproduktion sank gegenüber dem Vorjahr um fast 60 Prozent. Die Staatsschulden schießen steil nach oben. Um 73 Prozent innerhalb eines Jahres. Um die Putschregierung über den Winter zu bringen, hat der IWF Finanzhilfen von 19 Mrd. Dollar ins Spiel gebracht. Wollte man den Frontstaat Ukraine tatsächlich zu einer Art EU-Schaufenster gegenüber Russland u.a. ausbauen, müsste Brüssel/Berlin noch ganz andere Summen in die Hand nehmen. Der im Januar zurück getretene ukrainische Premier Asarow hatte letzten Herbst schon mal die Zahl von mindestens 160 Mrd. Euro ins Spiel gebracht. Dies gilt insbesondere dann, wenn es den "Rebellen", besser den "russisch-sprechenden Ostukrainern, die nicht regiert werden möchten von einer Sammlung von Verbrechern, Abkömmlingen ukrainischer Nazis und in den IWF und die EU verliebten Oligarchen" (Karel van Wolferen), gelingen sollte, stabile staatliche Strukturen zu errichten. Damit verbliebe EU/Deutschland ein vom Krieg menschlich, ökonomisch und finanziell zerrüttetes Agrarland. Aber auch im Falle eines Scheiterns, also der Fortführung des Krieges bis zu dem von den USA offenbar anvisierten endlosen bitteren Ende, wären die Perspektiven kaum besser.

Kein Wunder, dass sich die Begeisterung in engen Grenzen hält. "Gegen das, was es braucht, um die Ukraine am Leben zu halten, war die Griechenlandhilfe ein Klacks. Das sind völlig andere Dimensionen", warnt selbst CDU/CSU-Fraktionsvize Michael Fuchs. Der Winter hat begonnen. Russisches Erdgas muss bezahlt werden. Die Kriegsrüstung und die dringend erforderlichen anderen Einfuhren ebenso. Die Hrywnja ist im freien Fall. In wenigen Wochen dürften die letzten Währungsreserven zu Ende gehen, die Goldreserven sind ebenfalls stark geschmolzen. Ohne IWF und EU läuft dann in diesem "Fass ohne Boden" gar nichts mehr.

Sieg der Atlantiker

Angesichts der düsteren Perspektiven ist die Haltung der Bundesregierung verwunderlich. Durch die Sanktionspolitik verliert nicht nur Russland, sondern - im Gegensatz zu den USA - auch die EU schon jetzt erheblich an Einnahmen. Der Exportweltmeister allein in 2014 etwa 7 Mrd. Euro. Der deutsche Maschinenbau fürchtet um Einbußen von 40 bis 50 Prozent. In nicht wenigen Firmenzentralen besteht die Sorge, dass hier Absatzmärkte dauerhaft wegbrechen. Es geht um Zehntausende Arbeitsplätze. Und das in einer konjunkturellen Situation, in der das Wirtschaftswachstum in der EU/Eurozone allenfalls im statistischen Unschärfenbereich liegt und die Außenmärkte des Exportweltmeisters spürbar an Dynamik verloren haben. Trotz dieses massiven Interessengegensatzes haben sich die "Atlantiker" mit ihrer Konfrontationsstrategie klar durchgesetzt.

Das Einschwenken auf den Kurs der Washingtoner Falken signalisiert eine eklatante Schwäche des deutsch/europäischen Imperialismuskonglomerats. Dieser erstaunliche Mangel an Kohärenz und Eigenständigkeit dürfte nur begrenzt den nun verstärkt ins Blickfeld gerückten atlantischen Pressure-Groups zuzuschreiben sein. Zum einen dürfte die mangelhafte Integrationsfähigkeit des nun deutsch-geführten EU-Projekts, zum anderen die trotz aller Zentralbank-Billionen weiterhin unbewältigte Große Krise und drittens die zunehmende Infragestellung der "westlichen" Global-Hegemonie einen eigenständigen europäischen Politikansatz verunmöglichen.

Gründe

Zum Ersten. 22 Jahre nach den Verträgen von Maastricht ist die EU von der für die Rolle eines Global Players notwendigen Voraussetzung einer gemeinsamen Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik ebenso weit entfernt wie von einer kohärenten Außen- und "Sicherheitspolitik". Die konzerngesteuerten Partialinteressen (race to the bottom), welche einer weiteren Integration bislang im Wege standen, dürften sich mit der Sozialdemontage im Krisenverlauf eher verstärken als abschwächen. Die signifikante Stärkung "Europa-kritischer" und "rechtspopulistischer" Parteien und Organisationen ist ein deutliches Symptom. So hat auch die breite Stimmung gegen das US-initiierte, kapitulantenhafte Russland- bzw. Putin-Bashing der Bundesregierung und des sie stützenden Medien-Mainstreams einen eher nationalistischen Unterton. Der Rückgriff auf die EU erscheint vielen da realistischerweise wenig hilfreich.

Zum Zweiten. Die herrschende Krisenlösungsstrategie in den kapitalistischen Hauptstaaten sucht die zentrale Krisenursache, die Kapitalüberakkumulation (vulgo: Ungleichheit) auszuklammern und zu erhalten. Die schwankenden Großzocker werden seither mit Steuergeldern stabilisiert und die fehlenden Realprofite aus den Zentralbank-Billionen generiert. Dies erfordert, bei Beibehaltung eines globalisierten Finanzmarktes, eine mehr oder weniger koordinierte Aktion aller an diesem Spiel beteiligten Großakteure (FED, EZB, BoE, BoJ, etc.(1)) Ein auch nur ansatzweises Infragestellen dieses neoliberalen "Rettungsverbundes" dürfte in den Regierungskanzleien schwere Folgen befürchten lassen.

Zum Dritten. Ohne den US-Machtapparat stünde die EU der zunehmenden Infragestellung des imperialen Raum- und Interessenanspruchs vielfach recht hilflos gegenüber, so dem auf den "Arabischen Frühling" folgenden, islamischen Fundamentalismus mit seiner bislang wirkmächtigsten Ausformung, des IS. Französische Sozialisten, wie britische Laborabgeordnete und deutsche Grüne sind (Irak, Libyen, Syrien) zwar mit den Kampfjets schnell bei der Hand. Aber nur wenn der Große Bruder USA im Hintergrund vermutet wird. Eine derartig weitreichende und komplexe Gemengelage, wie sie sich beispielsweise nun nach den desaströs gescheiterten, US-geführten Irak- und Afghanistan-Kriegen im Bereich der MENA-Staaten(2) abzeichnet, überfordert ganz offensichtlich selbst die "Einzige Weltmacht", von einem Alleingang der krisengeschüttelten Europäer erst gar nicht zu reden. Geopolitisch bleibt die Kontrolle der "Strategischen Ellipse"(3) aber vorrangiges imperialistisches Ziel. Ein Schwenk hin zu einer stärker eigenständigen oder gar eurasischen Option erscheint aus vielerlei Hinsicht (geostrategisch, ökonomisch, finanz- und währungspolitisch) den deutsch/europäischen Eliten (noch) nicht realistisch. "So ist die Fähigkeit des Westens geschrumpft, Impulse zu setzen und Koalitionen zu bilden. Auf globaler Ebene ist so ein Führungsvakuum entstanden." (Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP: "Neue Macht. Neue Verantwortung." S. 16) Ein "Führungsvakuum", das offensichtlich dort, wo andere die Kosten tragen, durch verstärkte Aggressivität wettgemacht werden soll.

So haben die - entgegen der ursprünglichen Projektion 2025 - vorschnell kriegs- und krisen-geschwächten USA ziemlich deutlich werden lassen, dass sie ein Abweichen von ihrem anti-russischen Kreuzzug kaum tolerieren werden. Das Ukraine-Abenteuer hat nicht nur die Funktion, den strategisch-politischen und ökonomischen Spielraum Russlands, als eines Hauptakteurs auf dem Eurasischen Kontinent, einzuengen und das Land in eine Art Dauerkonflikt hinein zu ziehen, sondern auch den Nebeneffekt, die europäischen Vasallenstaaten wieder stärken an sich zu binden, sie wieder in so etwas, wie eine "unbedingte Solidarität" zu zwingen. Die Sanktionsbeschlüsse sind so etwas wie die Nagelprobe auf die "Bündnistreue". Auch Frau Merkel hat den Kotau vor der Weltmacht vollzogen.

Das von der SWP beschriebene "Führungsvakuum", genauer, die im Kriegs- und Krisenverlauf rasch abnehmende Integrationskraft des Westens" und die zunehmende Anwendung repressiver Herrschaftsmethoden (militärisch, politisch und ökonomisch) hat weltweit, so auch Eurasien, die Suche nach alternativen Wirtschafts- und Bündnisstrukturen verstärkt, aber noch zu keinen, die westliche Dominanz ernsthaft in Frage stellenden, Ergebnissen geführt. Die Eurasische Wirtschaftsunion EAWU (Belarus, Kasachstan, Russland) hat eine Wirtschaftskraft von 2,4 Bio Dollar, in etwa ein Sechstel des EU-BIP. Immerhin gibt es einige "GUS"-Beitrittskandidaten und auch Vietnam und die Türkei haben Interesse signalisiert. Ein erheblich größeres Potential liegt bei der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ). Die SOZ besteht aus China, Kasachstan, Kirgisien, Russland, Tadschikistan und Usbekistan und umfasst geographisch und demographisch den größten Regionalwirtschaftsraum der Erde. Gelänge die Integration einiger Staaten, die sich bislang mit einem Beobachterstatus begnügen, wie Afghanistan, Indien, Iran, Mongolei, Pakistan, so bündelte dieser Raum auch die quantitativ weltgrößte Wirtschaftskraft und verfügte über immense Rohstoffressourcen. Die SOZ hat dazu eine militärische Komponente, die auch schon in gemeinsamen Großmanövern trainiert wurde. Und selbst hier unterhält das NATO-Land Türkei eine Dialogpartnerschaft.

Dialektik

Schon bevor der deutsche Kapitalismus seine nationale und dann imperialistische Form erreichte, begann das Nachdenken über eine, wenn man so will, landgestützte, eurasische Expansionskonzeption. Im erklärten Gegensatz zu den seegestützten britischen und französischen Vorreitern. Das Anfang des 20. Jh. entwickelte, biologisierte Lebensraumkonzept ging in zwei furchtbaren Kriegen unter. Die (west)deutsche Bourgeoisie konnte ihre Pfründe nur durch die Unterwerfung unter die Dominanz der westlichen Siegermächte, letztlich durch die Proskynese vor dem Dollar und dem Pentagon retten. Aus Feinden wurden binnen Wochen Verbündete.

Mit dem Vietnam-Krieg geriet der Dollar, die unangefochtene Machtposition der USA unter Druck. Der Goldstandard, die festen Wechselkurse fielen. 1972 wurde der Europäische Wechselkursverbund gegründet, 1979 das Europäische Währungssystem. Es folgten Maastricht, die EU und der Euro. Damit hatte die alte europäische WK I.-Option des deutschen Imperialismus Form angenommen. Allerdings auf Basis eines angenommenen allseitigen ökonomischen Vorteils und nicht unter dem ultimativen Druck des militärischen Sieges, wie etwa, nicht gelungen, in den Weltkriegen oder, gelungen, im amerikanischen Bürgerkrieg. Die auf diese Weise keineswegs ausgeräumten nationalen Partialinteressen verhindern bis heute die Formulierung eines strategischen, eigenständig-kohärenten, europäischen Politikansatzes. In der Krise ist zwar die Bundesrepublik zu dominanten Führungsmacht aufgestiegen. Zu einem souverän-integrativen Hegemon ist sie aufgrund des parvenühaften Klassenegoismus ihrer Großbourgeoisie nicht geworden, der mittlerweile kulturbildend in die ganze Gesellschaft diffundiert ist. Ein Auseinanderbrechen der EU ist (bislang) nur durch die Entschlossenheit der EZB verhindert worden. Das EU-Konzept steht mehr in Zweifel als jemals zuvor. Und mit einer eventuellen Mitgliedschaft der Ukraine vor seiner Überdehnung.

Kaum auf dem Höhepunkt seiner nach dem Zweiten Weltkrieg größten Machtentfaltung droht dem deutschen Imperialismus wieder ein schwerer Rückschlag. Da er die kritische Masse als eigenständiger Global Player nicht erreichen kann und sein fragiles Konstrukt williger Auxiliarmächte in der schweren See der globalen Krise zu zerbrechen droht, muss er fürchten, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil seiner Interessen den radikalisierten geostrategischen Interessen des innerlich morbiden, aber militärisch hochgerüsteten Hegemons geopfert werden. Die Dialektik der imperialen Einheit eines weltbeherrschenden "Westens" bei gleichzeitigem Widerspruch, der Konkurrenz der partialen Einzelinteressen, hat in den 25 Jahren ihres Bestehens gewaltige Veränderungen erzeugt. Sie hat die Basis zu einem "Umschlagen" von einer unipolaren zu einer multipolaren Welt gelegt. Dies zu verhindern, mobilisiert der US-Imperialismus alle Kräfte. Aus den Verbündeten sind Konkurrenten geworden, aber noch keine Gegner. Und wie es aussieht, gelingt es den USA, die Europäer noch einmal in ihr leckes Kanonen-Boot zu ziehen. Der "Rest der Welt" wird es sehr genau beobachten.


Klaus Wagener, Dortmund, MB-Redaktion


Anmerkungen

(1) Abkürzungen für die Zentralbanken der USA, EU, Großbritanniens und Japans

(2) Abkürzung für Middle-East and North Africa (Nahost und Nordafrika)

(3) Die Bezeichnung strategische Ellipse meint ein Gebiet, das sich "vom Nahen Osten über den Kaspischen Raum bis in den Hohen Norden Russlands erstreckt". Darin befinden sich etwa zwei Drittel der weltweit bekannten natürlichen Erdöl- und Erdgaslagerstätten, die sich momentan wirtschaftlich fördern lassen (Reserve).

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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 1-15, 53. Jahrgang, S. 60-66
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2015

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