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MARXISTISCHE BLÄTTER/602: Carolus Wimmer - "Ihr wisst viel und seid nicht korrupt."


Marxistische Blätter Heft 5-15

"Ihr wisst viel und seid nicht korrupt."

Ein Gespräch von Olaf Matthes mit Carolus Wimmer über die Strategie der Kommunistischen Partei Venezuelas(1)


MBl: Die linke Regierung von Präsident Nicolas Maduro kann auch auf die Unterstützung der Kommunistischen Partei zählen. Allerdings gehört Deine Partei dem Kabinett nicht mit Ministern an. Wie würdest Du das Verhältnis zur bolivarischen Regierung generell beschreiben?

Carolus Wimmer: Es ist ein komplett anderes als es bei früheren Regierungen der Fall war. Wir haben die Aufgabe, konkrete Vorschläge zur Lösung bestimmter Probleme zu machen und können uns nicht nur auf das Kritisieren beschränken. Darum ist unsere Rolle sogar in gewisser Hinsicht schwieriger geworden als früher. Früher, das heißt vor dem Regierungswechsel Ende der 1990er Jahre, konnten wir einfach nur kritisieren. Da waren wir gegen alles, was die bürgerlichen Regierungen taten. Jetzt müssen wir immer noch gegen vieles sein und vieles kritisieren, aber zugleich stehen wir in der Pflicht, einen konkreten Verbesserungsvorschlag zu unterbreiten. In gewissem Maße haben wir auch die Möglichkeit der direkten Einflussnahme in unserer politischen Arbeit. Wir haben so beispielsweise auf den unterschiedlichen Ebenen in den jeweiligen Parlamenten unsere Abgeordneten. Außerdem stellen wir einige Bürgermeister. Insgesamt gehören acht der 335 Bürgermeister in Venezuela der PCV an oder sind enge Verbündete unserer Partei. Das ist natürlich auf den ersten Blick nicht viel, im Moment könnten wir aber auch nicht mehr leisten. Dies bedeutet dennoch, dass wir in diesen acht Municipios beweisen müssen, dass wir nicht nur Kritik und Vorschläge aufbieten können, sondern auch im kleinen Rahmen zu konkreten Erfolgen in der Politik fähig sind. Das ist auch für uns als Lernprozess in der Partei wichtig. In einem normalen bürgerlichen Staat hätten wir keinen Platz und keine Gelegenheit, sowas praktisch zu lernen. Auch deshalb sind diese kleinen Erfolge im Moment für uns als Partei sehr wichtig. Und in dieser Hinsicht sind die Dinge definitiv einfacher geworden als früher. Wir haben, auch Maduros 2013 verstorbenem Vorgänger Hugo Chávez sei Dank neue Möglichkeiten, die früher undenkbar gewesen wären. Hierbei bleibt für uns eine Kontinuität zentral: Der Leninismus für uns als Organisation ist wichtig, wir sind eine leninistische Partei. Das heißt, dass Du beispielsweise nicht nur das offene Auftreten in Form von Gewerkschaftsarbeit übst, sondern Du musst auch lernen, diskreter zu handeln. Die Kader und die Genossen müssen geschützt werden, insbesondere da wir in der ständigen Gefahr eines imperialistischen Angriffs leben. Uns ist als Partei klar, dass wir nicht ewig darauf vertrauen können, in einer bürgerlichen Demokratie zu leben. Es könnte vielmehr plötzlich ein illegaler Kampf nötig werden. So wie er 1973 nach dem Putsch plötzlich in Chile nötig wurde. Aus Chile müssen wir lernen - und aus so vielen anderen schlechten Erfahrungen, die in Lateinamerika mit den USA gesammelt wurden. Darum wir sind eine marxistisch-leninistische Partei.

MBl: Der Putsch gegen die Regierung Allende ist nun 42 Jahre her. Vor 13 Jahren konnte bei Euch als positives Gegenbeispiel der Putschversuch unter Führung des damaligen Industriellenchefs Pedro Francisco Carmona Estanga niedergeschlagen werden. Wie betrachtet Ihr die chilenische Erfahrung im Vergleich zum aktuellen bolivarischen Prozess?

Carolus Wimmer: Die Frage der Bündnispolitik ist eine ganz wichtige Lehre aus diesen Erfahrungen. Erinnern wir uns: Allende war in der Unidad Popular zum Schluss alles andere als unumstritten. In seiner Sozialistischen Partei diskutierte man ja sogar seinen Ausschluss. Zugleich standen dort die Zeichen auf bewaffneter Kampf. Allende hingegen wollte die Wahlen. In solchen Situationen müssen wir als Kommunisten die klarste Vision anbieten. Wir müssen, selbst als kleine Partei - wir haben in Venezuela nicht die Größe und das Gewicht der KP Chiles, die eine mächtige Partei war - fähig sein, diese Bündnispolitik fortzusetzen, ohne unsere Prinzipien aufzugeben. Wir müssen darauf achten, dass wir wirklich revolutionär und dialektisch handeln und in keine Falle geraten. Als KP verfolgen wir quasi zwei parallele Linien in der Bündnispolitik: Wir haben zum einen den 2011 gegründeten Großen Patriotischen Pol. Das ist ein breites und zum Teil schwieriges Bündnis verschiedener Parteien. Die Inhalte dieser Allianz sind der Antiimperialismus und die Frage der Souveränität unseres Landes. Daneben besteht parallel der Revolutionäre Volksblock, den man im engeren Sinne als Linksbündnis bezeichnen kann. Hier ist man sich darüber einig, dass man für den Sozialismus kämpft.

MBl: Wie vertragen sich diese beiden Linien, von denen Du sprichst, miteinander?

Carolus Wimmer: Als revolutionäre Partei können wir nicht nur bei den Reformen stehen bleiben. Wir sind uns vielmehr im Klaren darüber, dass das antiimperialistische Bündnis in dieser Hinsicht an seine Grenzen stößt. Unsere Forderungen müssen aber auch über den Tag hinaus weisen. Dabei können wir nicht einfach abwarten und auf die nächste Etappe hoffen. Dann kann es nämlich passieren, dass unsere Partei plötzlich angegriffen wird und wir nicht vorbereitet sind. Man sagt über die Kommunistische Partei häufig: "Ihr seid die Etappenpartei." Das sind wir natürlich nicht. Aber wir schauen uns jeden Moment des Kampfes genauestens an und handeln dementsprechend. Im Großen Patriotischen Pol müssen wir eine geduldige Arbeit leisten, auch wenn man in konkreten Fragen nicht immer gleicher Meinung ist. Im Moment haben wir als KP den Vorteil, dass wir praktisch mit allen anderen Kräften im Bündnis sprechen können. In einem großen Bündnis gibt es immer wieder Streit zwischen Organisationen, deren Vertreter dann nicht miteinander kommunizieren. Das bedeutet für uns eine Menge ideologische Arbeit und auch innerparteiliche Bildungsarbeit, da es vorkommen kann, dass man von anderen angegriffen wird. Aber mit Hinblick auf die gesamte Geschichte unserer Partei lässt sich sagen, dass wir eine gute Zusammenarbeit mit den anderen Kräften haben. In Caracas arbeiten wir zum Beispiel auch gut mit den Tupamaros zusammen. Aber es gibt auch Bundesstaaten, wo das Bündnis nicht so gut funktioniert. Wenn es zu Streitigkeiten kommt, weil man sich plötzlich über die Interpretation von Lenin oder von Rosa Luxemburg uneinig ist, dann schreiben wir uns die Lösung dieser Fragen in unsere Aufgabenliste.

MBl: Und wie verortet sich die PCV selbst im venezolanischen Parlamentarismus?

Carolus Wimmer: Im bürgerlichen politischen Leben ist es typisch um Parlamentsplätze zu kämpfen und zu sagen: "Wir fordern soundso viele Abgeordnete." Wir sind gegen eine solche Herangehensweise. Bei der letzten Parlamentswahl 2010 wurde nur ein kommunistischer Abgeordneter gewählt, unser Generalsekretär Oscar Figuera. Mehr haben wir im Bündnis auch nicht gefordert. Das hat zum Teil bei unseren Bruderparteien im Ausland Verwunderung ausgelöst. Wir sagen konkret aus unserer eigenen Erfahrung, auch aus schlechten Erfahrungen heraus, dass wir im Moment nicht genügend Kader für diese Aufgaben haben. 2005 wurden acht kommunistische Abgeordnete gewählt. Wir haben dann gemerkt, dass das eher schädlich war. Es brachte uns natürlich infolge der Abgeordnetengelder mehr finanzielle Mittel und mehr Beziehungen. Aber unser Arbeitsschwerpunkt liegt bei der Arbeiterklasse und nicht im Parlament. Jeder Abgeordnete zieht drei oder vier Kader mit, die beispielsweise als Mitarbeiter gebraucht werden. Und diese Kader haben wir in dieser Größenordnung einfach nicht. Darum haben wir bei der Wahl 2010 gesagt, dass ein Abgeordneter ausreichend ist. Das bedeutet, dass wir im Moment die Möglichkeit haben im Parlament zu sein und diese Möglichkeit auch nutzen wollen. Das ist immer noch ein bürgerliches Parlament, aber die Position der Kommunisten soll dort Vertreten sein. Im Moment stellen wir sogar drei Abgeordnete. Bei uns in Venezuela gilt das System, dass falls ein Abgeordneter aus dem Parlament ausscheidet, ein Ersatzmann oder eine Ersatzfrau nachrückt. In einem Fall wurde eine Abgeordnete aus dem bolivarischen Lager Ministerin und einer unserer Genossen rückte für sie nach. Dasselbe galt als eine Parlamentarierin zur Gouverneurin gewählt wurde. Derzeit haben wir also drei Abgeordnete, aber wir haben zu Beginn der Legislaturperiode 2o1o mit einem angefangen.

MBl: Wie stellt sich die PCV zu den kommenden Wahlen auf?

Carolus Wimmer: Auf einer Sitzung des Zentralkomitees wird die Kandidatenfrage Thema sein. Grundsätzlich verstehen wir uns nicht als Wahlpartei. Wir haben das aber auch immer selbstkritisch analysiert. Einerseits kritisieren wir die Wahl, andererseits nehmen wir an ihr teil. Natürlich hat man weniger Erfolg, wenn man etwas nicht mit voller Energie macht. Deshalb haben wir auch gesagt: Wir glauben natürlich nicht an den bürgerlichen Parlamentarismus, aber wenn wir an den Wahlen teilnehmen, dann müssen wir schauen, dass wir alles ausnutzen, und nicht nur in den letzten Wochen vor dem Wahltermin ein paar Plakate kleben oder sowas. Die Leute müssen vielmehr unsere Politik kennenlernen, die Kader müssen die besten Kader sein - nicht nur innerhalb der Partei, sie müssen auch außerhalb und von unseren Bündnispartnern anerkannt werden. Das ist keine leichte Aufgabe. Wir können beispielsweise nicht einfach sagen "Der Carolus ist der Beste", wenn alle anderen sagen "Der ist unsympathisch oder den kennt keiner". Dann hat man auch keinen Erfolg. Wir wählen unsere Kandidatinnen und Kandidaten auf Grundlage der an der Basis geleisteten Arbeit aus. Die letzte Entscheidung liegt beim Zentralkomitee. Da sind wir leninistisch. Auf jeden Fall haben wir in dieser Hinsicht nun viele Möglichkeiten, obwohl der - allerdings geschwächte - Antikommunismus immer noch existiert. Wir haben Zugang zu den Medien, teilweise selbst zu bürgerlichen. Die wollen uns natürlich für ihre Zwecke missbrauchen, das heißt, um Stimmung gegen die Regierung zu machen: Da wir eine kritische Partei sind, glauben sie, sie könnten unsere Kritik gegen die Regierung nutzen. Wir aber versuchen eine Regierung zu erreichen, in der das Gewicht der Arbeiterklasse dominiert. Das bedeutet, dass wir stärker werden müssen. Denn wir können nicht von den kleinbürgerlichen Kräften erwarten, dass sie - quasi entgegen ihrem eigenen Klasseninteresse - alles, was wir kritisieren, zum Positiven ändern. Mit Maduro ist nun ein Genosse Präsident, der aus der Arbeiterklasse und aus der Gewerkschaftsarbeit kommt. Wir haben zu ihm einen guten Draht.

MBl: Welches Ansehen genießt die Kommunistische Partei in der venezolanischen Gesellschaft?

Carolus Wimmer: Insgesamt ist die Arbeit für die Kommunistische Partei sehr motivierend. Es ist bei uns in Venezuela wahrscheinlich viel leichter als in Deutschland, als Kommunist mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, mit den Arbeitern zu sprechen, mit den Menschen in den Dörfern zu sprechen. Das heißt nicht unbedingt, dass die Menschen uns sofort wählen, das ist etwas anderes. Für die normale Frau oder den normalen Mann von der Straße sind die Parteien im Revolutionären Volksblock manchmal schwer zu unterschieden: Es sind ja auf den ersten Blick alle gegen Kapitalismus, gegen Imperialismus, für den Sozialismus und so weiter. Das wiederum macht es nicht leicht, aber wir den Kampf gewinnen - zusammen den anderen Bündnispartnern und nicht gegen die anderen. Als Partei haben wir großen Zuwachs. Natürlich kommt es auch vor, dass man Mitglieder wieder verliert, weil man sie nicht genug betreut hat. Hier macht sich auch die Konkurrenz zu den anderen linken Kräften bemerkbar. Die PSUV ist eben die Regierungspartei. Das verleiht ihr eine entsprechend anziehende Stellung. Aber dennoch gibt es immer mehr Leute, die auf jeden Fall politisch und moralisch bei uns sind - sogar in den Streitkräften. Hierzu eine kleine Anekdote: In Chile wurde vor einiger Zeit ein Seminar der KP Chiles über das Thema "Streitkräfte" organisiert. Ich wurde gefragt, ob jemand aus Venezuela zu diesem Thema referieren könnte. Ich bin dann mit einem Konteradmiral aus Venezuela dort hingefahren. Ich habe ihn erst in Santiago de Chile kennengelernt. Ich kannte ihn vorher nicht. Es war ein sehr verhaltener Gesprächsanfang. Keiner von uns wollte dem anderen zu viel von sich selbst preisgeben und gleichzeitig doch möglichst viel über den anderen erfahren. Und plötzlich fragte er mich: "Von welcher Partei kommst Du?" Ich antwortete ihm: "Ich bin von der Partei, die die Babys frisst." Und die direkte Reaktion von diesem Militär, der auf meine ironische Antwort nicht vorbereitet war, lautete: "Das ist wunderbar. Ihr wisst viel und seid nicht korrupt." Er hätte auch ein Antikommunist sein können, aber er hat meine Bemerkung begriffen und seine Antwort darauf war so spontan, dass ich daraus schließe, dass dies eine Meinung über uns ist, die in gewissen Kreisen der Armee geteilt wird. "Ihr wisst viel" ist vielleicht etwas übertrieben, aber die Aussage ist wahrscheinlich im Verhältnis zu anderen Parteien zu sehen, deren politische Arbeit nicht so umfänglich ist wie die unsrige. Und "Ihr seid nicht korrupt" ist für uns in der Tat ein wichtiges Prinzip. Wer sich nicht an diese Maxime hält, kann nicht Mitglied unserer Partei sein.

MBl: Welches Wahlergebnis erwartet die KP vor diesem Hintergrund?

Carolus Wimmer: Wir hoffen natürlich auf ein einigermaßen akzeptables Wahlergebnis. Vor ein paar Jahren kamen wir auf fast 500.000 Stimmen, das war ein großer Erfolg, über den viele erstaunt waren. Es war uns aber auch bewusst, dass das nicht "unsere" Stimmen sind. Damals waren es kritische Stimmen, die von der PSUV kam. Anhänger und Mitglieder der PSUV, die mit ihrer eigenen Partei nicht zufrieden waren und sich bei der Wahl nicht enthalten wollten, haben die KP gewählt. Bei den darauffolgenden Wahlen sind wir dementsprechend wieder abgesunken. Darum müssen wir solche Wahlergebnisse immer genau analysieren, damit man nicht an einem Tag himmelhoch jauchzend und am nächsten dann zu Tode betrübt ist. Als Marxist muss man - was nicht leicht ist - alles möglichst wissenschaftlich analysieren.

MBl: Vielen Dank für dieses Interview. Wir wünschen der Kommunistischen Partei, allen bolivarischen politischen Kräften und der venezolanischen Bevölkerung viel Erfolg.


Anmerkung

(1) Das Gespräch mit Carolus Wimmer, dem internationalen Sekretär der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV) führte UZ-Redakteur Olaf Matthes im Juni 2015 in Frankfurt/Main. Ein Teil des Interviews, der unter anderem die Taktik der rechten Opposition und die wirtschaftliche Entwicklung Venezuelas behandelte, erschien in der UZ vom 26. Juni 2015 und ist hier nicht noch einmal abgedruckt.

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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 5-15, 53. Jahrgang, S. 24-27
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2015

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