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OSSIETZKY/772: Fleischfresser-Politik


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 19 vom 14. September 2013

Fleischfresser-Politik

von Volker Bräutigam



Vier Jahre lang zierte Ilse Aigner, CSU, das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Künftig will sie landespolitisch walten. Mit dieser Belastung müssen dann die Bayern fertig werden, doch die gesamte Republik hat ebenfalls keinen Grund zum Fröhlichsein. Auch nach dem 22. September wird sich kein fähiger Politiker für mehr Mitweltschutz engagieren, für gesündere Nahrungsmittel, für tauglichere Dienstleistungen. Schon der Name des Ministeriums vernebelt dessen wahre Funktion: die Interessen der Bauernlobby und der Nahrungsmittelindustrie zu pflegen und allenfalls lasch mit den weitgehend konträren Ansprüchen der Verbraucher zu harmonisieren. Keine der Bundestagsparteien scheint begreifen zu wollen, daß ernährungspolitischer Verbraucherschutz, ökologisch-extensive Landwirtschaft und umfassender Tierschutz zusammengehörige, sich gegenseitig bedingende und gewichtige Politikziele sind.

Zum Instrumentarium gegen den Hunger in der Welt gehört die Verringerung des maßlosen Fleischkonsums in den reichen Industrieländern. Statt entsprechende programmatische Konsequenz zu entwickeln, reduzierten Bündnis90/Die Grünen die Problematik auf einen billigen Wahlkampfgag: Allen öffentlichen Kantinen sei ein wöchentlicher "Veggi-Day" zu verordnen. Prompt zogen CDU-Politiker Vergleiche zum Eintopftag der Nazis, den der Vegetarier Hitler 1933 einführen ließ. Die mörderische Kausalität der Fleischproduktion für den Welthunger geriet bei dem schwachsinnigen Geschrei über "Zwangsernährung" aus dem Blick. Dümmer ging's nimmer ...

Zur rationalen Argumentation einige wenige Vergleichsdaten aus Mitteleuropa: Für ein Kilo Fleisch werden bis zu neun Kilo Getreide verfüttert. Ein Hektar Land erbringt 43 Tonnen Kartoffeln, aber nur 1,8 Tonnen Rindfleisch. Nebenbei: Für ein Kilo Fleisch auf der Ladentheke werden in Deutschland 20.000 Liter Trinkwasser verschwendet, für ein Kilogramm Weizen braucht man hingegen nur 50 Liter.

Ein sehr simpler Vergleich der Nährwerterträge je Hektar: bei Rinderhaltung 2,4 Millionen Kilokalorien und 520 Kilogramm Proteine; bei Kartoffelanbau 29,3 Millionen Kilokalorien und 860 Kilogramm Proteine, wobei dieses pflanzliche Eiweiß höherwertig ist als das tierische Protein. Noch entschiedener spricht für die Kartoffel ihr reicher Gehalt an Vitaminen und Spurenelementen.

Jedes Jahr werden 355.000 Quadratkilometer Regenwald für Acker und Weideland gerodet, exportorientiert für Futtermittelanbau und Fleischproduktion; eine Fläche so groß wie ganz Deutschland. Nach Berechnungen der Welternährungsorganisation FAO reicht eine Halbierung des Fleischkonsums in den Industrieländern aus, den Welthunger zu besiegen. Stattdessen sterben jährlich allein 2,6 Millionen Kinder unter fünf Jahren am Hunger. Wir maßlosen Fleischfresser tragen die Hauptschuld.

Weitere wesentliche Zusammenhänge nur angedeutet: spekulationsbedingte Preisexplosion für Getreide, künstliche Verknappung, Kriegsgefahr. Fleischproduktion, Energieverbrauch, Natur- und Klimaschutz. Landaufkauf und Landraub in der Dritten Welt, Vertreibung, Elendsflucht. Das wird nicht nur hingenommen, es ist gewollt, da eine Voraussetzung der elitären Fleischproduktion für die Erste Welt. Schließlich ein grundsätzlicher Aspekt: Tierschutz und die Würde des Menschen.

Alle, die sich am Wahlspektakel vom 22. September beteiligen wollen, sollten sich auch für die Landwirtschafts-, Tierschutz- und Verbraucherpolitik der Parteien interessieren. Einige Verbände, zum Beispiel die "Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt", haben "Wahlprüfsteine" zusammengestellt. Schlaglicht darauf:

CDU, CSU, FDP und die Partei Die Linke (im weiteren PDL) sind gegen legislative Mittel zur Verringerung des Fleischkonsums. Unionsparteien und FDP sind gegen ein Qualzucht-Verbot (es beträfe zum Beispiel sogenannte Turbo-Milch-Kühe und Geflügel zur Fleischproduktion). SPD, Grüne und PDL wollen zwar eine Kennzeichnungspflicht für Fleisch und Milch aus Massentierhaltung. Aber deren unverzügliches und vollständiges Verbot verlangt keine einzige Partei, auch keine der nicht im Parlament vertretenen. Käfighaltung verbieten will "schnellstmöglich" nur die PDL; die anderen haben es angeblich ebenfalls vor, SPD und Grüne aber erst vom Jahr 2023 an, Union und FDP gar erst ab 2035. Den Sankt-Nimmerleins-Tag zu nennen wäre aufrichtiger gewesen.

Zu einem Verbot von betäubungslosen Amputationen (s. u.a. meine Beiträge "Fieses aus der Milchwirtschaft", Ossietzky 10/10, "Fieses vom Geflügelhof", Ossietzky 11/10 und "Fieses aus der Schweinemast", Ossietzky 21/10) sind SPD, Grüne und PDL wohl bereit, Union und FDP jedoch "eher nicht". Ähnlich stellen sich diese Parteien zur strikten Regelung qualfreier Tiertransporte und dem Verbot experimenteller Vivisektionen. Nur SPD, PDL und Grüne sind dafür, endlich die Tierschutz-Verbandsklage zu ermöglichen. Aber alle im Parlament vertretenen Parteien sind gegen Ausbau und Stärkung der Veterinärbehörden und damit gegen wirksamere Kontrollen im Sinne des Tierschutzes.

Die Praxis: Im brandenburgischen Haßleben beispielsweise wurde kürzlich eine der größten Schweinezucht- und -mastanlagen Europas genehmigt. Mit Standplätzen für mehr als 36.000 Tiere. Wird die gigantische Tierfabrik in Betrieb genommen, dann fällt die gleiche Fäkalienmenge an wie die einer Mittelstadt mit 40.000 Einwohnern. Die zuständigen Landesminister für Umwelt (PDL) und Landwirtschaft (SPD) segneten das Projekt ab, beriefen sich dabei auf Bundesgesetze, wuschen ihre Hände in Unschuld und verschwiegen, daß sie mit Rücksicht auf den Mehrheitswillen der Bevölkerung und den Schutz der Umwelt den Anlagenbau sehr wohl hätten verhindern können.

Die Stickstoffbelastung der Böden in Deutschland liegt laut einer Studie des Forums Ökologisch-Soziale Landwirtschaft (FOS) mit 96 Kilogramm pro Hektar weit über der ohnehin schon hohen (nicht sanktionsbewehrten, daher belanglosen) Obergrenze von 60 Kilogramm/Hektar. Der Schadstoffeintrag ins Grundwasser bewirkt, daß in weiten Teilen der Republik die für Trinkwasser geltenden Grenzen der Stickstoff-, Phosphat- und Uranbelastung deutlich überschritten werden. Ursache ist die rücksichtslose Überdüngung, Schuld sind die Intensiv-Landwirtschaft und vor allem die Massentierhalter. Politisch verantwortlich die tatenlosen Aigners und Konsorten.

Eine angesichts der resultierenden Kosten mehr als begründete Abgabe von nur zwei Euro pro Kilo Stickstoff je Hektar würde das Rindfleisch um sieben Prozent verteuern, Schweinefleisch um 2,5 Prozent. Erwartbare Wirkung: Ein Konsumrückgang um 3,5 Prozent beim Rindfleisch sowie um 2,5 Prozent beim Schweinefleisch. Nicht viel, aber ein Anfang. Ökologisch, ernährungs- und besonders gesundheitspolitisch solide begründbar ließe sich die Abgabe sogar auf bis zu 15 Euro festsetzen.

Entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt, wäre es durchaus möglich, unseren Fleischkonsum mit fiskalischen Mitteln zu reduzieren. In sozial gerechter Weise gelänge dies allerdings nur unter anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Vermutlich auch nur mittels Rationierung des Fleischbezugs. Wünschenswerter wäre ein neues, auf umfassender Information in Schule und Öffentlichkeit beruhendes Konsumentenverhalten, flankiert von steuerlichen Eingriffen. Beispiel: Wie die meisten Lebensmittel werden Fleischerzeugnisse mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent belastet. Bei üblichen 19 Prozent würde der Fleischpreis um circa elf Prozent steigen, mit Bremswirkung auf den Konsum.

Laut Statistischem Bundesamt wurden im ersten Quartal dieses Jahres in Deutschland 1.722.000 Tiere weniger geschlachtet beziehungsweise konsumiert als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Im zweiten Quartal war der erfreuliche Trend allerdings schon wieder vorbei: Der Fleischverbrauch stieg, weil die Supermarktketten mit kräftigen Preissenkungen den Umsatzrückgang konterten. Das regt die Parteien trotzdem nicht zum Nachdenken über ordnungspolitische Maßnahmen an, zum Beispiel über ein Verbot des Fleischverkaufs in Supermärkten und Discount-Läden. Es wäre gesundheitspolitisch vernünftig, den Umsatz des mit Hormonen und Antibiotika belasteten, labberigen Billigfleischs zu kappen, ein bedeutender Schritt sowohl für den Verbraucher- wie auch für den Tierschutz. Die notwendige kalte Dusche fürs mit Wurst und Bier ruhiggestellte und eingelullte Wahlvolk.

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Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Sechzehnter Jahrgang, Nr. 19 vom 14. September 2013, Seite 671 bis 674
Herausgeber: Dr. Rolf Gössner, Ulla Jelpke, Prof. Dr. Arno Klönne,
Otto Köhler, Eckart Spoo
Redaktion: Katrin Kusche (verantw.), Eckart Spoo
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2013