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POLITISCHE BERICHTE/119: Ausländerzentralregister verstößt gegen Diskriminierungsverbot


Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik
Nr. 1 am 15. Januar 2009

Europäischer Gerichtshof
Ausländerzentralregister verstößt gegen Diskriminierungsverbot

Von Christiane Schneider


Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 16.12.08 entschieden (Az. C524/06), dass das deutsche Ausländerzentralregister gegen das Gleichbehandlungsgebot und den Erforderlichkeitsgrundsatz verstößt.


Das Ausländerzentralregister (AZR) - 1953 in Köln geschaffen, aber erst 1994 auf eine gesetzliche Grundlage gestellt - erfasst inzwischen die Datensätze von fast 24 Millionen Menschen. Damit ist es eine der größten staatlichen Informationssammlungen in Deutschland überhaupt. Sie versetzt die Behörden in die Lage, Entscheidungen, etwa über Polizeimaßnahmen, Abschiebung etc. durch Direktabruf der gespeicherten Daten ohne Heranziehung der Akten treffen zu können. Eingespeichert werden die Fahndungsdaten aus INPOL und dem Schengener Informationssystem; gespeichert werden auch Verdachtsdaten, die z.B. die Geheimdienste liefern. Direkten Online-Zugriff auf die Datenbank haben rund 6.000 Stellen, darunter u.a. alle Ausländerbehörden, Polizei, Zoll, Geheimdienste, Staatsanwaltschaften, die Bundesagentur für Arbeit usw. Jede dieser Behörden kann im AZR nach einem Menschen ohne deutschen Pass per Suchvermerk-Ausschreibung fahnden lassen. Unter dem harmlosen Begriff "Gruppenauskunft" werden der Polizei und Geheimdiensten Rasterfahndungen ermöglicht. Insbesondere die sogenannten Sicherheitsbehörden können den teilweise hochsensiblen Datenbestand ohne effektive Kontrollen abrufen und nutzen.

2001 hatte das Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde abgelehnt mit der Begründung, die Beschwerdeführer müssten zunächst vor die Untergerichte ziehen. Einer, der Österreicher Heinz Huber, tat genau das und klagte vor dem Verwaltungsgericht Köln auf Löschung seiner im AZR gespeicherten Daten. Er bekam Recht, doch die Bundesregierung legte Berufung ein. Die nachfolgende Instanz allerdings hielt das Ausländerzentralregister für grundgesetzwidrig und legte die Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vor.

Das jetzt ergangene Urteil ist, trotz Einschränkungen, ein Erfolg. Dem EuGH zufolge rechtfertigen Gründe der "inneren Sicherheit" nicht, Informationen nur über Nichtdeutsche systematisch zu sammeln und elektronisch verfügbar zu halten. Das verstoße gegen das Diskriminierungsverbot und damit gegen das Gemeinschaftsrecht. Das bedeutet in der Konsequenz, dass die Bundesregierung zumindest für EU-Staatsangehörige den Sicherheitsbehörden eine systematische Datensammlung und -abfrage verwehren muss. Ein zentrales Ausländerregister, so das Gericht, dürfe nur solche personenbezogenen Daten erhalten, die zur Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften unbedingt erforderlich seien. Statistische Zwecke erforderten lediglich eine anonymisierte Erfassung und keinen personenbezogene. Auch rechtfertigten ausländerrechtliche Zwecke ein Zentralregister nur, wenn die gespeicherten Angaben wirklich zu diesen Zwecken benötigt werden (derzeit werden mehr Angaben gespeichert) und wenn nicht ein dezentrales Register ebenso effektiv ist. Inwieweit das AZR mit diesen Vorgaben vereinbar ist, sollen nun die deutschen Gerichte entscheiden.

Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit begrüßte das Urteil und forderte die unverzügliche Löschung aller Daten von Unionsbürgern, die nicht zur Durchführung aufenthaltsrechtlicher Maßnahmen erforderlich seien. Bürgerrechtler gehen einen Schritt weiter und fordern die Abschaffung des Ausländerzentralregisters.


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Quelle:
Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik
Ausgabe Nr. 1, 15. Januar 2009, Seite 8
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2009