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ROTFUCHS/090: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 136 - Mai 2009


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

12. Jahrgang, Nr. 136, Mai 2009



Inhalt
Schlag nach bei Marx!
Gläubiger und Schuldner zugleich
Zörgiebels Blutmai 1929
Aufmarsch in St. Egidien
Die Entscheidung des Reinhold Vogel
Die sich einst über Güstrow mokierten
Die Schlacht bei Böllberg
Ehre den Standhaften!
Steine aus dem Glashaus
Die DDR und der Terrorismus
Eine Fabel, nicht von La Fontaine
Gebet eines Kapitalisten
Sorbe und DDR-Patriot: Jan Cyz
Angies "Baustellen"
Gewonnen und doch verloren
Ein rosafarbener Bombodrom-Fan
Starker Tobak
Raus aus dem Büßerhemd!
Kulturschändern den Spiegel vorgehalten
Das Platzen der "Gorbimanie"
Rendezvous auf der Augustusbrücke
RF-Extra Feuer des Prometheus
RF-Extra Hinweise für Volksaufklärer
Mit Gott zum Teufel
Krippen in der Kaserne
Südafrika am Wendepunkt?
Griechenland: Signale vom KKE-Kongreß
Vor 90 Jahren: Gründung der Komintern
Ghana: Nkrumahs Erbe lebt
Australien: Trauer um Peter Symon
Bolivien: Evo Morales hält Kurs
Fauler Zauber um Okinawa
Spanien 1936: Arbeitergymnasien
Zbigniew Wiktors China-Buch
Louis Fürnberg zum 100.
Das Wunder von Bruchstedt
Späte Entschuldigung bei Pete Seeger
Bilderstürmer im Visier
Ein Festgeschenk für Bastelfreunde
Archies Lebensgefühl
Leserbriefe
Grafik des Monats

Raute

Unsere und ihre Jubiläen

Die Behauptung, 2009 sei schlechthin das Jahr der Jubiläen, weil jetzt grundverschiedene historische Ereignisse um 20, 50, 60, 70 oder gar 90 Jahre zurückliegen, führt in die Irre. Hierbei handelt es sich um die Geschichtsbetrachtung von Schmetterlingssammlern, deren seriöse Kompetenz für Falter wir damit nicht in Abrede stellen. Wir folgen lieber dem alten Grimmschen Ratschlag: die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Soll heißen: Nur das Bewahrenswerte lassen wir in unsere Gefühlswelt eindringen.

Was die Jahrestage betrifft, so gibt es die einen und die anderen. Wir sind politisch nicht farbenblind. Rot bleibt rot, und schwarz bleibt schwarz, von braun ganz zu schweigen.

Und noch etwas: Wir lassen uns nicht vor den Karren derer spannen, die derzeit durch Deutschlands Regierende mit Steuermilliarden überhäuft werden. Wir orientieren uns weder auf Leute vom Schlage des Freiherrn von und zu Guttenberg noch auf die Ackermanns sämtlicher Bonusstufen. Wir stehen für jene ein, von welchen alle Werte der Erde geschaffen werden, um die man sie aber im Wege der durch Marx entdeckten Mehrwertaneignung betrügt. Anders ausgedrückt: Wir vertreten das riesige Lager der tatsächlichen Arbeit-Geber, die hierzulande groteskerweise als Arbeitnehmer bezeichnet werden, nicht aber das kleine Häuflein großkapitalistischer Arbeit-Nehmer, die in der Maske von Arbeitgebern auftreten. Verdrehte Welt. Man sollte eine Milchkuh nicht mit einem Vampir verwechseln. Klassengegner bleibt Klassengegner.

Zur Jubiläumsfrage. Was haben wir eigentlich mit ihren Jubelfeiern am Hut? Sie haben nicht der deutschen Novemberrevolution gedacht, wohl aber der 1919 entstandenen Weimarer Republik gehuldigt, von der - bei durchaus positiven verfassungsrechtlichen Ansätzen - es hieß: Der Kaiser ging, die Generäle blieben. Und mehr: Das deutsche Kapital, das dann Hitler ans Ruder brachte, feierte vor dem großen 29er Absturz seinen bis dahin steilsten Aufstieg. Man nannte die Ära nicht ohne Grund die "goldenen zwanziger Jahre".

Die hierzulande Herrschenden haben auf 60 Jahre Grundgesetz angestoßen, das nicht einmal eine Verfassung ist - und schon gar keine vom Volk legitimierte. Sie erhoben ihre Pokale auf den 60. Jahrestag der BRD, des Spalterstaates der deutschen Monopole, in den wir mit dem Anschluß geraten sind. Eine Republik, über deren genaues Geburtsdatum gerätselt wird. Sie haben die Gläser gefüllt, um sich auf die 60. Wiederkehr des Gründungstages der NATO zuzuprosten - jener auf Angriffskriege getrimmten Militärkoalition imperialistischer Mächte, die in Jugoslawien, Irak und Afghanistan eine breite Blutspur gezogen hat, auch wenn nicht alle Mitgliedsstaaten daran beteiligt waren. Sie werden am 1. September, an dem Hitler-Deutschland vor 70 Jahren Polen überfiel, Krokodilstränen vergießen und dabei ebensowenig in die Tiefe gehen, wie sie es bei der Wertung der "Männer des 20. Juli" tun, die sie als Verkörperung des "deutschen Widerstandes" ausgeben, während ganz andere die Hauptlast getragen haben.

Höhepunkt solcher "Gedenkkultur" dürfte der 9. November werden, wenn die Sieger auf Zeit in Erinnerungen an den "Mauerfall" schwelgen. Die Preisgabe der DDR-Staatsgrenze bildete den Auftakt zur konterrevolutionären Liquidierung der ostdeutschen Friedensrepublik.

Übrigens haben sich auch Politiker der Linkspartei - wir denken dabei nicht nur an den ideologischen Sachsensumpf, auf den ein 20-Thesen-Papier hinwies -, weit aus dem Fenster gelehnt. Die im Weimarer Nationaltheater abgespulte Pauschalhuldigung der ersten deutschen Republik als Nonplusultra der Demokratie offenbarte den Trend. Ihn bestätigte auch die Leipziger Konferenz zur Lobpreisung des Grundgesetzes, das heute gegen die Erben seiner "Väter" verteidigt werden muß, sowie zur Schmähung der durch Plebiszit beschlossenen Verfassung der DDR. Diese Selbstentwaffnung einer linken Partei, die im Kampf gegen die faschistoide Drohung dringend gebraucht wird, schwächt das Lager der Demokraten.

Was sind Jubiläen, die wir als unsere betrachten? Dazu rechnen wir die revolutionären Siege von China über Vietnam bis Kuba. Seit nahezu 60 Jahren besteht die mächtige fernöstliche Volksrepublik. Seit einem halben Jahrhundert ist die sozialistische Karibikinsel der Leuchtturm Lateinamerikas. Die DDR wurde - wir datieren sie nur bis zum 18. März 1990 - nicht älter als 40. Aber sie hat ungeachtet ihres ruhmlosen Abgangs nicht an historischer Strahlkraft verloren. Vier Jahrzehnte entzog sie dem Kapital in einem Drittel Deutschlands die politische Macht und das ausbeuterische Eigentum. Das haftet in der Erinnerung von Millionen. Auch nicht wenige, die 1989 schwankten oder dem Feind Beifall zollten, beklagen angesichts des Verlorenen und des über sie Gekommenen heute den Verlust ihrer Heimat. Zu spät. Doch nicht für immer. Die Deutsche Demokratische Republik wirkt weiter. Neue Generationen werden sich am Fanal des 7. Oktober 1949 aufrichten und orientieren, wenn das Trauma der Niederlage längst überwunden ist.

Klaus Steiniger

Raute

Was man bereits im "Kapital" erfahren kann

Schlag nach bei Marx!

Derzeit wird von Spezialisten der bürgerlichen Ökonomie in Gemeinschaft mit aufgescheuchten Politologen über Ursachen und Auswirkungen der kapitalistischen Überproduktions-, Finanz- und Systemkrise herumgerätselt. Man entwickelt sogenannte Hilfs- und Konjunkturprogramme, um derartige "Pannen" in Zukunft zu vermeiden. In all diesen erregten Debatten wird des öfteren wieder Karl Marx, teils mit Sachverstand, teils mit antikommunistischen Phrasen verbrämt, ins Feld geführt. Der Professor für Zeitgeschichte, Herr Arnulf Baring, verstieg sich in einer Diskussionsrunde bei "Maischberger" sogar zu der Feststellung, Marx hätte zu diesem Thema nichts gesagt. Andere meinen, man sollte sich bei ihm Rat holen, damit so etwas nicht noch einmal geschehe.

Marx hat das kapitalistische Finanzsystem seiner Zeit sehr gründlich analysiert und Krisen als dessen immanenten Bestandteil dargestellt. Er schreibt: "In einem Produktionssystem, wo der ganze Zusammenhang des Reproduktionsprozesses auf dem Kredit beruht, wenn da der Kredit plötzlich aufhört und nur noch bare Zahlung gilt, muß augenscheinlich eine Krise eintreten, ein gewaltsamer Andrang nach Zahlungsmitteln. Auf den ersten Blick stellt sich daher die ganze Krise nur als Kreditkrise und Geldkrise dar. Und in der Tat handelt es sich nur um die Konvertibilität der Wechsel in Geld. Aber diese Wechsel repräsentieren der Mehrzahl nach wirkliche Käufe und Verkäufe, deren das gesellschaftliche Bedürfnis weit überschreitende Ausdehnung schließlich der ganzen Krise zugrunde liegt. Daneben aber stellt auch eine ungeheure Masse dieser Wechsel bloße Schwindelgeschäfte vor, die jetzt ans Tageslicht kommen und platzen; ferner mit fremdem Kapital getriebne, aber verunglückte Spekulationen; endlich Warenkapitale, die entwertet oder gar unverkäuflich sind, oder Rückflüsse, die nie mehr einkommen können." (Karl Marx. Das Kapital, Bd. III, Dietz-Verlag 1951, S. 534)

Doch nicht nur diese Ursachen und Zusammenhänge, sondern auch, wie man versuchen könnte, der Krise beizukommen, hat Marx vorausgesehen. Er schreibt an gleicher Stelle weiter: "Das ganze künstliche System gewaltsamer Ausdehnung des Reproduktionsprozesses kann natürlich nicht dadurch kuriert werden, daß nun etwa eine Bank, z. B. die Bank von England (oder der Staat, Einfügung des Autors), in ihrem Papier allen Schwindlern das fehlende Kapital gibt und die sämtlich entwerteten Waren zu ihren alten Nominalwerten kauft." (a.a.O., S. 535)

Auch die globale Verflechtung und deren Auswirkungen wurden von Marx erkannt und beschrieben, obwohl diese zu seiner Zeit noch in den Kinderschuhen steckten. Dazu heißt es: "Die Zahlungsbilanz ist in Zeiten der allgemeinen Krise gegen jede Nation, wenigstens gegen jede kommerziell entwickelte Nation, aber stets bei einer nach der anderen, wie in einem Rottenfeuer, sobald die Reihe der Zahlung an sie kommt, und die einmal, z. B. in England ausgebrochene Krise drängt die Reihe dieser Termine in eine ganz kurze Periode zusammen. Es zeigt sich dann, daß alle diese Nationen gleichzeitig überexportiert (also überproduziert) und überimportiert (also überhandelt) haben, daß in allen die Preise aufgetrieben waren und der Kredit überspannt." (a.a.O., S. 537)

Zum anderen ist es natürlich vergeblich, bei Marx nach einem Rettungsanker für die Vermeidung solcher Krisen zu suchen. Die Ursachen dafür sind in den anarchisch wirkenden objektiven Entwicklungsgesetzen der Profitwirtschaft zu suchen, die vor allem vom Grundwiderspruch der kapitalistischen Produktion genährt werden; nämlich vom Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der privaten Form der Aneignung der Produkte durch den Eigentümer der Produktionsmittel. Der Kapitalist eignet sich den von der ganzen Gesellschaft geschaffenen Reichtum an.

Erst der Sozialismus überwindet diesen Widerspruch. Zum gesellschaftlichen Charakter der Produktion kommt die gesellschaftliche Aneignung und Verteilung der Produkte.

Dr. oek. Werner Kulitzscher

Raute

BRD-Banken sind Gläubiger und Schuldner des Staates zugleich

Verwirrende Berichte über Finanzkrise, Schieflage oder Zusammenbruch von Banken jagen einander.

Als unbedarfter Mensch fragt man sich unwillkürlich, was da eigentlich los ist.

Meinen zugegebenermaßen unzureichenden Kenntnissen zufolge ist eine Bank ein Institut, dem man Geld zur Aufbewahrung und Verwaltung übergibt, das man zur Zeit nicht benötigt und für spätere Verwendungszwecke ansammeln möchte. Man hat also bei der Bank ein Guthaben. Dieses und das Geld von vielen anderen Bürgern oder Gruppen von ihnen verwaltet die Bank. Sie tut aber so, als wäre es ihr eigenes Geld und verleiht es, ob mit oder ohne Kenntnis der Guthabenbesitzer an andere. Von diesen wiederum nimmt sie Gebühren für den Geldverleih, so in der Regel zwischen 8 und 35 %.

Den dadurch hereinkommenden Betrag kassiert sie ein. Sie hat natürlich auch Ausgaben, z. B. für Verwaltungszwecke und "bescheidene" Managergehälter. Von dem durch Einsatz fremden Geldes erzielten Gewinn gibt die Bank einen geringfügigen Anteil, in der Regel 1 bis 4 %, an die Guthabenbesitzer ab, von denen sich ihr Gewinn herleitet.

Nun kommt es natürlich auch vor, daß die Bank das Geld, das ihr nicht gehört, an faule oder klamme Kunden ausleiht, die es nur zögerlich oder überhaupt nicht zurückzahlen.

So geschah es z. B. mit den USA-Hypothekenbanken.

Das Geld der deutschen Einzahler wurde hier in ein schwarzes Loch geschüttet. Eigentlich haben die Banken das ihnen gar nicht gehörende Geld glatt veruntreut. Obwohl das keiner beim Namen nennt, handelt es sich um eine klassische Straftat.

Der Staat solle helfen, ertönt der große Schrei. Dessen Repräsentanten, die über Parteienlisten in ihre Ämter gelangten, erklären sich natürlich sofort dazu bereit. Nach den Wahlen hatten sie allerdings geschworen, genau das Gegenteil dessen tun zu wollen, nämlich Schaden von den Bürgern abzuwenden.

Wenn vom Staat die Rede ist, sind in Wahrheit immer wir gemeint. Wir sollen den Spekulanten, die unser Geld verzockt haben, als Steuerzahler auch noch zu Hilfe eilen!

Wir hören erstaunt, die Staatsverschuldung solle weiter erhöht werden. Ein normaler Mensch wie Du und ich bemüht sich stets, nur so viel auszugeben, wie er eingenommen hat. Einnahmen und Ausgaben müssen sich die Waage halten. Der Staat aber gibt einfach mehr aus, als er hat. (Ich meine natürlich die Leute, die in seinem Namen auftreten.) Dabei hat der Staat ja schon genug Ausgaben: Er muß in Afghanistan Krieg führen, Kampfschiffe am Horn von Afrika stationieren und obendrein noch vor Libanons Küsten patrouillieren - alles ziemlich weit weg von Helgoland und Sylt.

Jeder muß verstehen, daß bei solchen Belastungen natürlich kein Geld für eine Angleichung der Einkommensverhältnisse im Osten an die des Westens dasein kann.

Der Staat benötigt also mehr Geld, als er hat. Woher nimmt er es? Er leiht es sich bei den Banken. Hier schließt sich der Kreis: Der Staat gibt den Banken Geld, damit diese nicht Bankrott machen. Das Geld dazu leiht er sich von ihnen, um seine zusätzliche Ausgaben decken zu können. Die Banken geben das Geld aber nicht ohne weiteres. Sie verlangen Zinsen. So zahlt der Staat gleich zweimal: Er nimmt Kredit auf, um diesen dann an die Kreditgeber weiterzureichen.

Wie man sieht, handelt es sich um einen Teufelskreis.

Reinhard Wecker, Falkensee

Raute

Als Zörgiebel Berliner Arbeiter niedermähen ließ

Der Blutmai 1929

Das "Jahr der Gedenktage" wurde Anfang Januar 2009 im Weimarer Nationaltheater eingeleitet. Auf getrennten Veranstaltungen gedachten einerseits Offizielle der BRD und Thüringens und andererseits die Partei Die Linke der Nationalversammlung von 1919. Außenminister Steinmeier betonte, der Aufstand der Kommunisten in Berlin habe damals den Umzug nach Weimar erzwungen, und da vor allem diese Bösewichte - wie die Rechten - nie Frieden mit der Weimarer Demokratie machten und die SPD "bis zum bitteren Ende bekämpften", sei diese hoffnungsvolle Republik schließlich untergegangen. Auch die Linkspartei zeigte sich ergriffen. Ihre Veranstaltung hieß "Festakt zur Geburtsstunde unserer Demokratie". Immerhin war auf einer Internetseite die Frage zu finden, ob das nicht eine Distanzierung gegenüber Rosa Luxemburg sei, die ja nach eigenen Worten, ungeachtet ihrer Ansicht, die KPD solle sich an den Parlamentswahlen beteiligen, "auf dem Boden des revolutionären Kampfes gegen die Nationalversammlung" stand. Antwort: "Die (also Rosa Luxemburg) hätte da auch reden können, wenn sie nicht ermordet worden wäre." So ist es wohl erlaubt, bezüglich "unserer Demokratie" zu fragen, ob da noch Dummheit waltet oder schon Zynismus.

Bei der Geburt der Weimarer Republik standen konterrevolutionäre Gewalt und vielfacher Mord Pate. Ebenso verhielt es sich, als ihr Ende eingeläutet wurde. Der Untergang begann nicht erst mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im Oktober 1929. Es waren - ein halbes Jahr zuvor - die Flammenzeichen des "Blutmai" in Berlin, die, nach einigen zu Unrecht als "goldene Zwanziger" verklärten Jahren kapitalistischer Konjunktur, Illusionen über den Charakter dieser Staatsmacht jede Grundlage entzogen.

Was war geschehen? Der Berliner Polizeipräsident Zörgiebel (SPD) hatte im September 1928 das Redeverbot für Adolf Hitler aufgehoben und andererseits im Dezember politische Versammlungen unter freiem Himmel verboten. Als gezielte Provokation wurde dieses Versammlungsverbot vor dem 1. Mai bekräftigt. Man zog 13 000 Polizisten zusammen und kasernierte sie, um "kommunistische Gewaltpläne zu durchkreuzen". Es ging darum, den Roten Frontkämpferbund und die KPD zu verbieten. Die Polizeiführung wußte, daß sie log, denn eben jener Zörgiebel hatte am 16. April in einer internen Lageeinschätzung mitgeteilt, die Demonstrationen in Berlin würden nach dem Willen der KPD "einen friedlichen und unbewaffneten Charakter tragen".

Am 1. Mai überfielen scharfgemachte Polizeieinheiten die Arbeiter auf dem Weg zu den Kundgebungen. Widerstand flammte auf. Vor allem der Wedding, Neukölln und Mitte wurden für drei Tage zum Schlachtfeld. Panzerautos, mit Maschinengewehren bestückt, zogen gegen Steine werfende Demonstranten auf. Die Polizei feuerte 11.000 Schüsse ab. Der erste Tote war Max Gmeinhardt, ein SPD-Genosse und Mitglied des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, der - nach der Rückkehr von einer Kundgebung seiner Partei im Sportpalast - der Aufforderung, das Fenster zu schließen, nicht rasch genug nachkam. Der letzte, am 3. Mai Erschossene, ein neuseeländischer Journalist, hatte wahrscheinlich die gebrüllten Polizeibefehle nicht richtig verstanden. Er hieß Charles Mackay. Insgesamt wurden 33 Zivilisten umgebracht und 198 verletzt. Von den 47 Polizisten, die in Mitleidenschaft gezogen worden waren, hatte keiner eine Schußwunde, wie es bei einem "Aufstand" wohl zu erwarten gewesen wäre. Im panischen Bestreben, die Tatsachen zu kaschieren, wurde dann auf einen Polizisten mit einer Schußverletzung an der Hand verwiesen, die er sich, wie rasch eingestanden werden mußte, jedoch zuvor, offenbar beim Waffenreinigen, selbst zugezogen hatte.

Es gab keinerlei amtliche Untersuchung der Gewaltorgie. Kein Polizist wurde angeklagt. Alfons Goldschmidt, Hans Litten, Alfred Döblin, Heinrich Mann und Carl von Ossietzky initiierten aber einen überparteilichen Ausschuß, der die Vorgänge analysierte. Ergebnis: Von 1228 Festgenommenen stand nur etwa ein Zehntel direkt oder indirekt mit der KPD in Verbindung. Lediglich 89 waren Mitglieder des Roten Frontkämpferbundes. Dennoch wurde dieser verboten. Das angepeilte KPD-Verbot kam 1929 angesichts des Sturms der nationalen und internationalen Proteste, die der Blutmai auslöste, nicht zustande. Doch das Strickmuster der Lüge vom kommunistischen Aufstand haben die Nazis beim Reichstagsbrand im Februar 1933 nicht erst erfinden müssen.

Nun litten Sozialdemokraten und Kommunisten in den Zuchthäusern und Konzentrationslagern gemeinsam unter dem faschistischen Terror und waren gehalten, Bilanz zu ziehen - die einen über die Rolle ihrer SPD in Regierungsverantwortung, die anderen über den weit verbreiteten Trugschluß von 1929, die Maiereignisse hätten bewiesen, in Deutschland herrsche bereits der Faschismus. Es kann nicht übersehen werden, daß die verhängnisvolle Losung des "Sozialfaschismus", verschärft auf die Linken in der Sozialdemokratie bezogen, erst auf dem 10. Plenum des Exekutivkomitees der Komintern im Juli 1929 unter direktem Bezug auf die Berliner Ereignisse ausgegeben wurde. Es geschah unter dem Eindruck der Massenempörung über das Vorgehen der Polizei. Die Berliner, namentlich in den Bezirken der Innenstadt, hatten ja mit eigenen Augen gesehen, wie Arbeiter umgebracht wurden. Sie machten nicht zuletzt deshalb die KPD in den folgenden Wahlen zur stärksten Partei der Hauptstadt. Nur so ist auch zu erklären, daß ein im November 1929 von Erich Weinert und Hanns Eisler verfaßter Agitationssong über Nacht zur Hymne wurde: "Der Rote Wedding". Denn stimmte es etwa nicht, wenn nun gesungen wurde: "Der herrschenden Klasse blut'ges Gesicht, / der Rote Wedding vergißt es nicht, / und die Schande der SPD!"

Halten wir fest: Es war eine schwerwiegende Fehlleistung, wenn nun oft anständige SPD-Genossen als "kleine Zörgiebels" beschimpft wurden. Die Kommunisten haben in ihrem Aufruf vom 11. Juni 1945 auch dazu Stellung genommen: "Wir deutschen Kommunisten erklären, daß auch wir uns schuldig fühlen, indem wir trotz der Blutopfer unserer besten Kämpfer infolge einer Reihe unserer Fehler nicht vermocht haben, die antifaschistische Einheit der Arbeiter, Bauern und Intelligenz entgegen allen Widersachern zu schmieden ... ." Ein entsprechendes parteioffizielles selbstkritisches Bekenntnis der bundesrepublikanischen SPD steht bis heute aus. Es ist in Zeiten permanenter antikommunistischer Hetze auch nicht zu erwarten.

Die KPD hatte am 1. Mai 1929 der Polizei gegenüber die Losung ausgegeben: "Schlagt nicht, schießt nicht!" Die Rufe wurden im Blut erstickt. Die Demonstranten des Jahres 1989 riefen: "Keine Gewalt!" Wenigstens die Anständigeren unter den "Bürgerrechtlern" sollten, da kein Schuß gefallen ist, den prinzipiell anderen Charakter der sozialistischen Staatsmacht der DDR zur Kenntnis nehmen. Erst recht sollte man das von der Partei die Linke erwarten. Aber wie kann sie das, wenn sie Weimar 1919 als die "Geburtsstunde unserer Demokratie" feiert?

Prof. Dr. Götz Dieckmann

Raute

Wie "linkes" Vorpreschen den gemeinsamen Kampf behinderte

Aufmarsch in St. Egidien

In Gedanken steht mir das Jahr 1932 vor Augen. Damals war ich elf Jahre alt. In unserer Familie herrschte freudige Erregung, denn in St. Egidien sollte eine Großkundgebung gegen die drohende faschistische Gefahr stattfinden. In unserem Ort hatte Hitler seinen Freund, den Fabrikanten Wolf, besucht und dabei unter Einheimischen viele Anhänger gefunden. Drei Lastkraftwagen, voll besetzt mit SS-Männern, begleiteten ihn stets als Personenschutz-Eskorte.

Fotos von dieser Visite des "Führers" der Faschisten wurden anschließend durch örtliche NSDAP-Mitglieder wie Heiligtümer aufbewahrt und dann - nach Hitlers Machtantritt im Januar 1933 - ins Rathaus sowie andere staatliche Einrichtungen gebracht, wo man sie als Bekenntnis zur "nationalen Sache" ausstellte. Der Sohn des Fabrikanten, Helmut Wolf, gehörte übrigens später zum Wachkommando des Konzentrationslagers Buchenwald und kehrte nach 1945 aus begreiflichen Gründen nicht nach St. Egidien zurück. Um sich wirksam der drohenden Machtübertragung an die Nazis entgegenzustellen, verständigten sich die Parteivorstände von SPD und KPD ausnahmsweise darüber, in dieser von den Hitleranhängern dominierten Ortschaft eine gemeinsame Großkundgebung durchzuführen.

So einen Aufmarsch hatte die Gemeinde noch nie erlebt. Wir Kinder waren ganz aus dem Häuschen. Die uniformierten Reichsbannerleute, die Genossen des Roten Frontkämpferbundes, Anhänger der Antifa, viele Arbeiter aus dem industriellen Ballungsgebiet Zwickau, Ölsnitz, Lugau, Lichtenstein und anderen Orten begaben sich mit ihren Kapellen zum Stellplatz. Deren Spiel und der Gesang der Marschkolonnen versetzten uns in festliche Stimmung. Wir waren ganz begeistert.

Während dieser antifaschistischen Einheitsbekundung stimmte plötzlich eine Gruppe des RFB jenes damals bekannte Lied an, dessen Text u. a. lautete: "Hat auch ein Severing den RFB verboten, wir leben doch, marschieren trotz Verbots." Das war natürlich ein frontaler Angriff auf den preußischen SPD-Innenminister.

An der nächsten Brücke über den Lungwitzbach, der mitten durch St. Egidien fließt, bewegten sich die Kolonnen des Reichsbanners, die Genossen der SPD, Konsumgenossenschaftler, SAJ-Mitglieder und Arbeitersportler zur anderen Seite des Ortes und zurück zum Stellplatz. Nur der kleinere Teil setzte nunmehr den Marsch fort.

Mit dieser "linken" Provokation wurde unüberlegt und sektiererisch eine mit viel Mühe vorbereitete große antifaschistische Gemeinschaftsaktion unterlaufen, wodurch die Genossen in ihrem Handeln gegen die heraufziehende Gefahr eines Nazisieges weit zurückgeworfen wurden. Ein Vorkommnis, das auch für heutige Generationen wichtige Lehren vermittelt.

Manfred Wulf, Glauchau

Raute

Mit Engels-Zungen

"Es konnte mir nicht in den Sinn kommen, den landläufigen Jargon einzuführen, in welchem deutsche Ökonomen sich auszudrücken pflegen, jenes Kauderwelsch, worin z. B. derjenige, der sich für bare Zahlung von andern ihre Arbeit geben läßt, der Arbeitgeber heißt, und Arbeitnehmer derjenige, dessen Arbeit ihm für Lohn abgenommen wird. Auch im Französischen wird travail im gewöhnlichen Leben im Sinn von ,Beschäftigung' gebraucht. Mit Recht aber würden die Franzosen den Ökonomen für verrückt halten, der den Kapitalisten donneur de travail, und den Arbeiter receveur de travail nennen wollte."

Friedrich Engels im Vorwort zur dritten Auflage des "Kapitals" von Karl Marx (7. November 1883)

Raute

Am 8. Mai begehen wir zum 64. Mal den Tag der Befreiung vom Faschismus durch die Rote Armee. Aus der RF-Redaktion, die sich in jener Karlshorster Straße befindet, wo Hitlers Generäle vor Marschall Shukow und den Vertretern der westlichen Alliierten bedingungslos kapitulierten, senden wir allen Lesern und Kampfgefährten einen herzlichen Gruß.

Raute

Als ein SPD-Genosse zum Vorkämpfer der Arbeitereinheit wurde

Die Entscheidung des Reinhold Vogel

Zwölf Jahre stand in der Gestapo-Leitstelle Magdeburg eine Karteikarte: Vogel, Reinhold, Sozialdemokrat, ehemaliger Bürgermeister, Kreisausschußmitglied, Marxist von überörtlicher Bedeutung.

Unter Bebel hatte er zur Partei gefunden, 1908 das erste Mal an einer Hauptversammlung teilgenommen. Noch herrschte das Dreiklassenwahlrecht. Parteiarbeit zog unweigerlich Repressalien nach sich.

Dann kam 1918 die Revolution. Viele Illusionen wurden nicht zuletzt von rechten Sozialdemokraten geweckt. Einer sprach am 1. Mai 1919 in der SPD-Kneipe von Alwine Otto: "Auf die Fenster und Türen! Spielt heute den Sozialistenmarsch mit Pauken und Trompeten! Die Revolution hat gesiegt!"

Vogel ahnte weder, daß diese Revolution schon verloren war, noch daß er selbst, 27 Jahre später, wieder an einem 1. Mai, abermals nach einem verlorenen Krieg, es sein würde, der vor seiner Dorfgemeinschaft eine Bilanz historischer Erfahrungen zu ziehen hatte. Daß er Anteil haben sollte an der ersten wirklichen und siegreichen Revolution in diesem Land.

1920, Kapp-Putsch, Generalstreik auf allen Höfen, bewaffnete Arbeiter marschierten, zwangen die Reaktionäre zum Rückzug.

Vogel rückte in das Gemeindebüro ein, wurde am 4. Mai 1924 Amts- und Gemeindevorsteher. Ummendorf entwickelte sich unter seiner Leitung zum vorbildlichen Ort. Soziale Einrichtungen entstanden, von denen andere Dörfer nur träumten.

Aber rechte sozialdemokratische Politik, mitgetragen allzu lange auch von Vogel, oft im Widerstreit mit seinen linken Genossen, erlaubte den Vormarsch des Faschismus. Ungebrochen blieb die Macht der Ausbeuter. Folgen: Inflation, Weltwirtschaftskrise, das "Stempeln". Weithin gellte der Ruf der Schwarz-Weiß-Roten: "Fangt den roten Vogel! Rupft ihn!" Und er begriff, daß es sich zu wehren galt. Am 31. Juli 1932 rief er die Einwohner auf, sich - so wörtlich - gegen die "entmenschten Nazi-Horden" zu stellen, sich von den "Mordgesellen" zu trennen. "Seien wir jetzt bereit und entschlossen, für unsere Freiheit, für unsere Staatsbürgerrechte das Letzte, was man uns gelassen hat, zu opfern!", schrieb er. Zu spät schon. Vor seinem Hause marschierten sie auf mit ihrem stereotypen "Deutschland erwache!". 1933 wurde er, seines Mandates beraubt, aus dem Amt gejagt.

Zwölf Jahre später wurde der Geächtete mit der Befreiung wieder Bürgermeister. Er übernahm ein furchtbares Erbe, stand vor schier unlösbaren Aufgaben. Von alter Popularität konnte er nicht lange zehren. Er hatte jetzt neu zu beweisen, daß er auf der Höhe der Zeit stand. Er bewies es. Am 12. April 1945 ging er mit zwei Genossen und einer weißen Fahne den Amerikanern entgegen, um das Dorf zu übergeben. Im Rücken wußte er die scharf geladenen Waffen der letzten werwolf-wilden Hitlerdeutschen. Es waren schwere Stunden, diese am Kilometerstein 13,0, andere dann am 6. Mai 1945, als er am Grab des 1943 erhängten Polen Josef Zmuda mit dem Kranz seines Dorfes stand, wieder andere am 19. September 1945, als er 400 Umsiedlern voranschritt, sie in eine neue Heimat führte.

Lehrgeld hatte er bezahlt wie wenige und seine Lektionen gelernt. Die entscheidende Konsequenz, die Krönung seines Lebenswerkes war: die Einheit mit den kommunistischen Klassenbrüdern herzustellen und fortan zu hüten wie den eigenen Augapfel.

Er hat sich zu dieser Einheit bekannt, sie mit durchgesetzt, seinen Namen in die Waagschale geworfen, als wenig westlich von uns bereits die Reaktion aus allen Rohren gegen diese Einheit schoß. Viermal hat er zu ihr ja gesagt, hat die Einheitspartei der deutschen Arbeiterklasse mitbegründet - in seinem Dorf, als Delegierter in der Kreisstadt, auf Bezirksebene, schließlich auch auf Landesebene Sachsen-Anhalts in Halle. Er saß da, beriet Seite an Seite mit Willi Schaper, Bernard Koenen, Alois Pisnick und Walter Ulbricht. Sein Verdienst: Er kam nicht allein in die neue Partei, sondern mit all seinen sozialdemokratischen Genossen, den jüngsten wie den ältesten. Und sie alle trafen ihre unumstößliche Entscheidung ehrlichen Herzens.

Unvergänglich ist diese Tat. Nicht zu vergleichen mit allen Flugblättern, die er zuvor verfaßte, mit keiner Straße, keiner Schule, keiner Wasserleitung, keinem Sportplatz, die er bauen ließ. Auch nicht mit der sechsbändigen Dorfchronik, die seine Hinterlassenschaft ist. Für all das gebührt ihm Dank.

Einst hatte er auf Reformen und Stimmzettel gesetzt und von vielem, was er aufrichtete, waren allein Scherben geblieben. 1945 legte er dann das Beil an die Wurzel der alten "Ordnung". Das begann er mit der Bodenreform, setzte es fort als leidenschaftlicher Fürsprecher der Vereinigung. Und er wußte an seiner Seite Freunde: die sowjetischen Genossen in Uniform, von denen er später immer wieder mit größter Hochachtung sprach.

Am 1. Mai 1946 sah man sie alle vereint den größten Sieg feiern, der hier je zu vermelden war: die Schaffung der SED. Reinhold Vogel hielt die Festansprache, und alle um ihn waren voller Stolz, Mut und Optimismus.

Karl Schlimme

Raute

Die sich einst über Güstrow mokierten

Als Bundeskanzler Helmut Schmidt und DDR-Staatsratsvorsitzender Erich Honecker am 13. Dezember 1981 in Güstrow zusammentrafen, waren in der mecklenburgischen Kreisstadt - übrigens auf ausdrücklichen Wunsch der westlichen Seite - besondere Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden. Es fehlte nicht an einschlägigem Personal. Hinzu kamen Mobilitätsbeschränkungen, Ausweiskontrollen und Fensteröffnungsverbote im historischen Zentrum - dem durch die Gäste besuchten Areal. Dort fand gerade ein Weihnachtsmarkt der etwas besonderen Art statt. Die Claqueure für den eigenen Chef hatten rechtzeitig ihre Plätze eingenommen, ebensowenig zufälliges Jubelpublikum für den Bundeskanzler wurde - Erfurt im Hinterkopf - prophylaktisch ferngehalten. - Die Güstrower Abriegelung war sicher kein Glanzstück der DDR. Sie sorgte damals weltweit für negative Schlagzeilen. Am lautesten aber rauschte es im Bonner Blätterwald. Dort sah man einmal mehr die "Menschenrechte" in Gefahr.

Doch der "Belagerungszustand", der über Klein-Paris verhängt worden war, erwies sich als etliche hundert Hutnummern kleiner als das, was unlängst die NATO zu bieten hatte. Bei deren Jubiläumsgipfel in Baden-Baden und Strasbourg zogen 25.000 auf Anhieb prügelbereite, maskierte und bis an die Zähne bewaffnete deutsch-französische Polizisten mit schwerer Technik auf. Das sonst so vertuschungsgeübte BRD-Fernsehen überschlug sich förmlich in Begeisterung darüber, daß die Händeschüttler Obamas und anderer NATO-Größen "sorgfältig ausgewählt" und beide Stadtkerne "hermetisch abgeriegelt" gewesen seien.

"Trittbrettfahrer" von solcher Hünengestalt dürften den Güstrowern vor Augen geführt haben, wie zwergenhaft es im Dezember 1981 bei ihnen zugegangen ist.

K. S.

Raute

Sozialdemokratische Polizeioffiziere gaben den Schießbefehl

Die Schlacht bei Böllberg

Es sollte eine triumphale Machtdemonstration der Sieger werden. Nach der Niederlage der revolutionären Arbeiterbewegung im Herbst 1923 beabsichtigten die monarchistischen und militaristischen Organisationen der Weimarer Republik - Stahlhelm, Kyffhäuserbund, Jungdeutscher Orden, Werwolf und ähnliche Verbände - einen großen Aufmarsch in glänzenden Uniformen, mit Fahnen und Bannern, Kapellen und Spielmannszügen. Geplant waren Reden und die Einweihung eines Denkmals für das kaiserlich-preußische Idol Helmut von Moltke. Eingeladen hatte man dazu abgetakelte adlige Hoheiten und Niederlagengenerale des Weltkrieges, allen voran Ludendorff. Das Spektakel, das man "Deutscher Tag" nannte, sollte am 10. und 11. Mai 1924 in der Saalestadt Halle stattfinden. Diese bildete das Zentrum des Regierungsbezirks Halle-Merseburg und war zugleich die Hochburg der revolutionären Kräfte des deutschen Proletariats.

Schon im Vorfeld der Veranstaltung wurden die Arbeiter Mitteldeutschlands als "verkommenes Gesindel" beschimpft. Die Reaktionäre drohten, jeden Widerstand gegen den Aufmarsch niederzuknüppeln und zusammenzuschlagen.

Man bereitete die Demonstration gründlich vor. Alle verfügbaren Unterkünfte und Säle der Stadt wurden angemietet. Reichliche Spenden der Industrie und des Adels finanzierten Fahrgelder, Quartiere und Verpflegung. Und die Organisatoren vergewisserten sich des Beistandes und der Unterstützung der Behörden, also des preußischen Innenministers Severing (SPD), des Oberpräsidenten der Provinz Sachsen Hörsing (SPD), des Regierungspräsidenten von Merseburg Bergmann (SPD) und des halleschen Polizeipräsidenten Runge (SPD). Diese ließen 16 Hundertschaften der Sicherheitspolizei (Sipo) und die Polizeischule Burg, ausgerüstet mit Infanteriewaffen und Panzerautos, in Halle zusammenziehen.

Die Arbeiterschaft der Saalestadt und ihrer Umgebung wollte diese dreiste Provokation nicht einfach hinnehmen. Die Bezirksorganisationen der KPD und des KJVD, unterstützt von der Zentrale der Partei, sowie das Bezirkskartell des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) riefen zu einem "Deutschen Arbeitertag" am 11. Mai nach Halle auf. Vorgesehen wurden Kundgebungen im Volkspark, auf dem Minerva-Sportplatz sowie an den Gräbern der im März 1921 von der Sipo ermordeten proletarischen Kämpfer auf dem Gertrauden- und auf dem Südfriedhof. Dazu lud man Abordnungen nicht nur aus Mitteldeutschland, sondern aus dem ganzen Reich ein. Da die Behörden den "Deutschen Tag" genehmigt hatten, mußten sie notgedrungen auch den "Arbeitertag" gestatten, allerdings mit Verboten und strikten Auflagen. So durften keine geschlossenen Kolonnen aufmarschieren und keine Fahnen und Transparente mitgeführt werden. Außerdem erlaubte man nur eine einzige Kundgebung auf der Rennbahn.

Diese Polizeiverordnung galt natürlich für die Teilnehmer des "Deutschen Tages" nicht. Sie zogen in großen Marschblöcken durch die Straßen, angeführt von einer Kompanie der Reichswehr und eskortiert von berittener Polizei. Die Militaristen durften ihre Fahnen entrollen, darunter schwarz-weiß-rote mit dem Hakenkreuz. Wurden sie vorbeigetragen, legten sozialdemokratische Polizeioffiziere die Hände zum Gruß an die Tschakos. Allerdings zeigten sich die Veranstalter enttäuscht, denn statt der angekündigten 250.000 Teilnehmer waren nur etwa 15.000 eingetroffen. So mußten sie auf die Schnelle Krieger- und Schützenvereine des näheren Reviers sowie die Korpsstudenten der Universität mobilisieren.

Demgegenüber rückten am 11. Mai die Proletarier in Massen an, voran die Leuna-Werker und die Chemiearbeiter aus Bitterfeld. Tausende kamen aus Leipzig, Magdeburg, Berlin, aus Sachsen und Thüringen, aus dem Ruhrgebiet, dem Vogtland, von der Wasserkante. So fiel den Machthabern nichts anderes ein, als in den Morgenstunden den "Arbeitertag" doch noch zu verbieten. Die Polizei sperrte sämtliche Zufahrtsstraßen nach Halle, brachte dort Maschinengewehre in Stellung und ließ ihre Panzerautos auffahren. Sie stoppte Züge in Merseburg, Ammendorf, Bitterfeld und sogar auf freier Strecke, zwang die Arbeiter auszusteigen, durchsuchte sie. Auch Lastkraftwagen wurden an der Weiterfahrt gehindert. Arbeiter, denen es gelang, sich in die Stadt durchzuschlagen, und Hallenser, die zu den Kundgebungsorten gehen wollten, wurden von rechten Schlägertrupps überfallen und mißhandelt. Die Polizei ließ es nicht an Brutalität fehlen, verhaftete viele der Männer und Frauen, verschleppte sie in ihr Präsidium und in die Reilkaserne.

Die Arbeiter ließen sich den staatlichen Terror und die Schikanen nicht gefallen. An verschiedenen Orten fanden Protestkundgebungen statt, formierten sich Demonstrationszüge. Einer vereinte beim Ortsteil Böllberg Tausende. Sie waren durch die Polizei an der Kasseler Bahn am Weiterfahren gehindert und in einem Kessel vor Böllberg aufgehalten worden. Als sich die Kolonne dennoch in Bewegung setzte, eröffneten die Uniformierten ohne Vorwarnung gezielt das Feuer. Zwei Demonstranten starben sofort, sechs erlitten schwere Verletzungen. Nun setzten sich die Arbeiter aktiv zur Wehr, griffen die Sipos an und entwaffneten etliche von ihnen. Es begann ein Feuergefecht, das über zwei Stunden dauerte, ein weiteres Todesopfer und viele Verwundete forderte. Es endete erst, als den Arbeitern die Munition ausging. Die Polizei, die inzwischen Verstärkung erhalten hatte, nahm brutal Rache, verhaftete zahlreiche Demonstranten, trieb sie in die Brauerei am Böllberger Weg und mißhandelte sie bestialisch. Selbst Arbeitersamariter, an ihren Rot-Kreuz-Binden erkenntlich, wurden rücksichtslos angegriffen.

In Halle war es vielen Arbeitern gelungen, sich zu ihrem traditionellen Versammlungsort, dem Volkspark, durchzuschlagen. Auch hier rückten vier Polizeihundertschaften an und kesselten die Versammelten ein. Dank deren Besonnenheit kam es zu keinen schweren Zwischenfällen, zumal die sozialdemokratischen Polizeioffiziere drohten, Feuerbefehl zu erteilen. Die Eingeschlossenen mußten jedoch bis nach Mitternacht im Kessel ausharren.

So endete am 11. Mai 1924 die von den Machthabern entfesselte Schlacht bei Böllberg. Man zählte drei tote Arbeiter, viele Verwundete und 467 Festgenommene. Als Antwort der Arbeiterklasse des Bezirks Halle-Merseburg entstanden an vielen Orten Gruppen des Roten Frontkämpferbundes. An der Jahreswende 1924/25 gehörten ihm 4300 Mitglieder an, der Roten Jungfront sogar 7500. Damit wurde die RFB-Bezirksorganisation zur stärksten in ganz Deutschland.

Günter Freyer

Raute

Potsdams "neue Eliten" tilgten antifaschistische Straßennamen

Ehre den Standhaften!

Der Bezirk Potsdam bestand aus großen staatlichen Waldflächen, die bis an den Rand der Stadt heranreichten. Von Süden stieß das Naherholungsgebiet Ravensberge vor. Bei einer unserer Wanderungen zum Großen Ravensberg bemerkten wir Baumaschinen und - besonders übel - Holzfäller. Wie sich herausstellte, wurde hier der Bau einer neuen Siedlung begonnen. Axt anzulegen an die Lunge des Volkes, an den Wald, fanden wir empörend. Schon Ende 1980 waren die ersten Wohnungen bezugsfertig. Eines Tages bot man auch uns die Möglichkeit "altersgerechten Wohnens" an - ohne Kachelöfen und Kohleschleppen, mit Zentralheizung und Warmwasser. Wir fühlten uns damals überhaupt nicht "alt" (meine Frau war erst 56, ich 66). Wir stiegen sehr bald von unserem hohen Naturschutzroß, erlagen dem Opportunismus des Komforts, zogen im Februar 1981 in die Waldstadt II um.

Mit der Zeit gewann sogar die Hochachtung vor dieser Leistung die Oberhand, eine komplette Stadt mitten im Wald aufzustellen, mit Einkaufsmöglichkeiten - schon gut, nicht zu vergleichen mit den später über uns gekommenen Supermärkten -, mit Krippen und Kindergärten (zum Teil fanden sich für diese später keine "Betreiber"), einer Filiale der Deutschen Post (inzwischen abgewickelt), einem Seniorenheim, einer Berufsschule, einer Bibliothek und einer Buchhandlung, die ebenfalls dem Anschluß nicht standgehalten hat. Ein Sportplatz für die nahegelegenen Schulen, sogar ein kleiner Schulgarten konnte am Waldrand geschaffen werden. Auch an einen Jugendklub "Otto Nagel" hatten die Projektanten gedacht. Vor der Stadtverwaltung stand die Aufgabe, den völlig neuen Straßen, gestrigen Waldwegen, Namen zu geben. Am Bahnhof Drewitz hatten wir bereits ein "Musikerviertel", später kam ein Filmviertel hinzu. Hier konnte es natürlich keine Gustav-Noske- oder Philipp-Scheidemann-Straßen geben. Man entschloß sich, Kämpfer des antifaschistischen Widerstandes zu ehren. Um Mißverständnissen vorzubeugen - bei allem Respekt: Es handelte sich nicht um den "deutschen Widerstand" der "Männer des 20. Juli 1944", sondern um jene, welche schon zu Beginn der 30er Jahre aktiv gegen den Faschismus gekämpft hatten.

Der Zutritt von der Heinrich-Mann-Allee führte gleich beim Betreten der Waldstadt II in die Otto-Grotewohl-Straße. Nach endloser Wiederholung des Satzes von "der Freiheit als der Freiheit der Andersdenkenden" bot sich der parlamentarischen Kommission zur Straßenumbenennung Gelegenheit, die Glaubwürdigkeit der "neuen Eliten" über diese bei Rosa Luxemburg abgekupferte Devise zu bestätigen oder aufzugeben. Die Parlamentarier entschieden sich gegen den "Andersdenkenden" Otto Grotewohl, denn von den Nazis geächtete Antifaschisten wurden nun ein zweites Mal an den Pranger gestellt.

Im Übereifer der politischen Auseinandersetzung flankierte die PDS diese schändliche Entscheidung, indem sie eine einstige Pionierleiterin ins Gefecht schickte, die sich für den Vereinigungsparteitag im April 1946 - angeblich namens der PDS-Mitglieder - "entschuldigte". Ein absurder Vorgang. Sich für die Handlungen anderer zu "entschuldigen" heißt sie entmündigen, es sei denn, es geht um einen demenzkranken Verwandten, was ja auf die Frauen und Männer im Berliner Admiralspalast nun wirklich nicht zutraf.

Die Bruno-Rehdorf-Straße wurde in Sonnentaustraße umbenannt, womit ein weiterer Sozialdemokrat geächtet wurde. In den entscheidenden ersten Tagen des Jahres 1933 hatte eine Gruppe von SPD-Mitgliedern erkannt, daß die Stillhaltepolitik ihrer Führung den Widerstand gegen die Hitlerdiktatur blockierte, daß Hitler nicht - wie es die SPD-Spitze vorhersagte - "bald abwirtschaften" werde. Bruno Rehdorf sah die Notwendigkeit des Widerstandes gegen die Hitlerdiktatur - immerhin 11 Jahre vor dem 20. Juli 1944! Das antifaschistische Potential war so stark, daß trotz Ausnahmezustandes zwei große Demonstrationen von Babelsberg (dem Roten Nowawes) nach Potsdam stattfanden. Die erste richtete sich gegen die von Papen errichtete Diktatur der Harzburger Front, die zweite unmittelbar gegen die Hitler-Ernennung. Auch Bruno Rehdorf war dabei - gerade das haben ihm die heutigen Revisionsrichter nicht verzeihen können. Die vor "Toleranz" strotzende Kommission löschte kurzerhand seinen Namen.

Der Nestor unter den Geehrten war Robert Neddermeyer. Er wurde 25 Jahre nach seinem Tode ebenfalls geächtet. Die Straße heißt jetzt Moosfenn. Solche Namen muten wie Wegweiser auf einer Landesgartenschau an. Wir haben inzwischen einen Kiefernring und ein Schlangenfenn, dazu einen Jagenstein und einen Ginsterweg. Der Antifaschist Franz Brünning wurde per Moosglöckchenweg eliminiert.

Robert Neddermeyer war - das muß man zugeben - tiefrot. Als Dreißigjähriger nahm er 1918 am Aufstand der Kieler Matrosen der kaiserlichen Flotte teil - gerade das erschien der Kommission besonders anrüchig.

1920 wurde Neddermeyer Mitglied der KPD. Er war Delegierter des V. Weltkongresses der Komintern. In der Zeit der faschistischen Diktatur wurde er mehrfach verhaftet.

Über Kurt Laube lernte ich die Trägerin "meines" Straßennamens Antonina Stemmler noch persönlich kennen. Laube war der Prototyp des gestandenen RFB-Mannes aus Nowawes, der den Spanienkrieg als Frontoffizier, die Deportation nach Frankreich, die "republikanischen" und die faschistischen Konzentrationslager, die bewaffnete Selbstbefreiung von Buchenwald als aktiver Kämpfer miterlebt hatte. Ihm konnte keiner das Wasser reichen. Im Gegenzug ließ er sich allerdings auch nichts sagen, war sozialistisch-aufmüpfig. Nach der Rückkehr vom Ettersberg begann er als Sekretär des Einheitsausschusses, um schließlich als Redakteur einer Betriebszeitung, der "DEFA-Blende", zu enden. Damals bewohnte er mit Frau und Sohn - der hieß ebenfalls Kurt - ein Reihenhaus in der Wagnerstraße. Dort versammelte sich regelmäßig ein kleiner Kreis, meistens Spanienkämpfer, um - fern von Parteiversammlungen - offen Entwicklungen in der DEFA, in der DDR kritisch zu bilanzieren. Die Teilnehmer waren Suchende wie wir alle.

In eben diesem Kreis lernte ich Antonina kennen - eine bewundernswerte, schlichte Frau. Nach dem Franco-Putsch fand sie den Weg in das republikanische Spanien. Sie meldete sich, bereits 44jährig, bei den Internationalen Brigaden als Krankenschwester. So ist sie mir in Erinnerung geblieben: sehr menschlich, unscheinbar, kameradschaftlich, bei allem Jammer der Feldlazarette verklärt heiter.

Im Rückblick gewinnt man, spätestens mit der Ersetzung des Straßennamens Antonina Stemmler durch "Zum Kahleberg" den Eindruck, daß es den Umbenennungskommissionen überhaupt nicht um einzelne, sondern um pauschale Abrechnung ging. Hier erfolgte keine Prüfung von Fall zu Fall, sondern "Delegitimierung" um jeden Preis. Dem heraufziehenden Neofaschismus konnte diese mit freiheitlich-rechtlichen Planierraupen geschlagene Schneise nur den Weg bahnen. Da ist das angebliche Überraschtsein, wo er denn herkäme, reine Demagogie. Ebenso lügnerisch wird behauptet, er entwickle sich "in der Mitte der Gesellschaft". Nein, auch bei diesen prinzipienlosen Bilderstürmern muß eindeutig der Nährboden gesucht werden. Da hilft es wenig, daß uns in Potsdam vorerst noch einige nach Antifaschisten benannte Straßen erhalten geblieben sind. Wir sollten ungeachtet aller Widrigkeiten unsere doppelt - erst von den Hakenkreuzlern, dann von den "Demokraten" - geschmähten Kameraden in Ehren halten.

Walter Ruge

Raute

Ergänzendes zur Polemik um die erste ND-Kolumne Schorlemmers

Steine aus dem Glashaus

Nach interessanten Veröffentlichungen, diese Thematik betreffend, möchte ich das zu Pfarrer Schorlemmers erster ND-Kolumne Gesagte noch durch einige Bemerkungen ergänzen. Weitgehend realistisch dürfte seine - indes keineswegs neue - Sicht sein, daß die DDR auch an ihren eigenen Widersprüchen zugrunde gegangen ist. Allerdings sollte man die Tatsache nicht ignorieren, daß ihr Gegner das Seine zu diesem Untergang beigetragen hat. Das ergibt sich aus der Natur antagonistischer Systeme. Obwohl auf die DDR abzielend, liest sich Schorlemmers Beitrag wie eine Parodie auf den Kapitalismus in den Farben der BRD. Zu fast keinem der von ihm bemühten Kriterien, welche die Nacktheit des Kaisers belegen sollen, fehlt ein entsprechendes Gegenstück in der BRD. Zwar meinen manche Linke, daß wir im eigenen Stall aufräumen müßten, bevor wir über andere sprechen dürften. Haben sie die letzten 20 Jahre verschlafen? Viele Menschen im Osten besitzen ein Recht darauf zu vergleichen, was sie hatten, was ihnen versprochen wurde und wohin sie geraten sind. Auch deshalb, weil die meisten der einstigen Propheten inzwischen wohlbestallt abgetaucht sind.

Friedrich Schorlemmer wendet sich vehement gegen den "roten Militarismus". Er hat ja zu DDR-Zeiten schon mal ein Schwert in eine Pflugschar umgeschmiedet. Heute würde er allerdings mit seinen Jüngern eine ganze mittelalterliche Rüstkammer benötigen, ohne befürchten zu müssen, dabei arbeitslos zu werden. Dafür sorgt schon der qualitative Unterschied zwischen beiden deutschen Armeen. Die "rote" beteiligte sich nicht an Angriffskriegen und erhob keinen Anspruch auf weltweites Agieren. Es ist schon ein Treppenwitz der Geschichte, daß es ausgerechnet Schorlemmers SPD war, welche die Teilnahme der BRD am Angriffskrieg auf Jugoslawien zu verantworten hat. Fällt unserem Pfarrer da nicht ein, daß die Existenz des "roten Militarismus" solches bis zu seinem Ende verhindert haben könnte? Heute verteidigt man die BRD am Hindukusch und sonstwo, rückt man sie damit zunehmend ins Visier von Vergeltungsschlägen. Eines ist so sicher wie das Amen in der Wittenberger Kirche: Das kapitalistische System läßt seine Waffen nicht "einfach fallen und gibt den Machtlöffel friedlich ab", falls seine Truppen einmal gegen das eigene Volk eingesetzt werden.

Muß man angesichts der von den Gesundbetern in Politik, Wirtschaft und Medien der BRD noch vor wenigen Monaten verharmlosten Systemkrise voller Häme über die ökonomisch schwächere DDR herziehen? Hier sprechen die Fakten für sich. Obwohl es im Westen "regelmäßig Toilettenpapier und Zahnbürsten ..., Obst und Gemüse" usw. in Hülle und Fülle gibt, funktioniert die Ware-Geld-Beziehung nicht so richtig, "türmen die Jugend und bestausgebildete Bürger scharenweise" in Länder mit günstigeren Lebenschancen.

Wenn Schorlemmer der Meinung ist, daß sich der Markt "nicht mit Marx beherrschen" läßt, fragt sich: Geht es in der BRD etwa ohne Marx besser? Wer in diesem Land das Sagen hat und es ohne Marx ruiniert, dürfte inzwischen wohl erwiesen sein. Im Sozialismus gab es - Schorlemmer zufolge - "für schlechte Arbeit gleiches Geld", im Kapitalismus gibt es für gleiche Arbeit oftmals schlechteres Geld. Der qualitative Unterschied: Das kann existenzvernichtend sein! Die Tatsache, daß sich um die "ziemlich marode Industrielandschaft" der DDR zahlreiche inzwischen mit der Krise ringende Wirtschaftsunternehmen der BRD balgten, rundet das Bild ab. Hinzu kommt, daß die Medien ununterbrochen über Skandale und Korruptionsfälle berichten, die zeigen, was Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit alles zustande bringen. Dabei geht es um ganz andere Größenordnungen, als es sie jemals in der DDR hätte geben können.

Es läßt sich trefflich über Menschenrechte schwadronieren. Vor allem dann, wenn man anderen deren angebliches Fehlen vorhält. In meinem Verständnis sind die Menschenrechte ebenso universell wie die Einheit politischer und sozialer Grundrechte. Das wird in diesem Land bei ständiger Selbstbeweihräucherung meist vergessen.

Nicht ohne Grund qualifizierte Amnesty International den Menschenrechtsbericht der Bundesregierung als "Menschenrechtsmärchen" ab. Wer das zweifelhafte Vergnügen hatte, mit einer ARGE dieses Landes infolge von Hartz-IV in Berührung zu kommen, erfährt, was man in der BRD unter Menschenwürde versteht. Wer sich in einer schwierigen Lebenslage befindet, wird obendrein diskriminiert, ja sogar häufig kriminalisiert.

Da bliebe noch der Dauerbrenner "Stasi". Ganz gleich, ob man Machtsicherung durch Geheimdienste billigt oder nicht, mich stört, daß Herrn Schäubles Mannen meine Telefongespräche belauschen, meinen Computer durchforsten oder mich optisch ins Visier nehmen. Wenn Mehdorns Konzern gleich Hunderttausende Mitarbeiter durchleuchtet, wird das als Bagatelle abgetan. Höchstens die Medien leben eine Weile davon. Und morgen passiert das gleiche im nächsten Konzern. Für eine flächendeckende Überwachung braucht man heute nicht einmal mehr Geheimdienste, die ja im Rechtsstaat lediglich Daten speichern. Das neue Wort dafür heißt "Datenabgleich".

Da fehlten also in der DDR die Gleichheit vor dem Gesetz und die Gewaltenteilung. Indes erleben wir fast täglich, wie in der BRD Gutbetuchte wie Ackermann, Hartz, Zumwinkel u. a. solchen Zuschnitts vor den Gerichten gleicher sind als Otto Normalverbraucher.

Zuzustimmen ist Herrn Schorlemmer, daß der Sozialismus als "emanzipatorische Idee" am Ende seine "Motivations- und Mobilisierungskraft" weitgehend verloren hatte. Aber anzunehmen, Gorbatschow habe den Sozialismus "mit freiheitlichen Ideen" reformieren und retten wollen, halte ich angesichts der Selbstzeugnisse dieses Mannes für, gelinde gesagt, naiv. Das gleiche gilt für jene damaligen Bürgerrechtler, deren vorgebliche Ideale sich mit der Teilhabe an den Pfründen der heutigen Gesellschaft erledigt hatten.

Fast alles, was Herr Schorlemmer der DDR als Defizite ankreidet, ist aus seiner Sicht in der BRD vorhanden. Hat er sich aber schon einmal die Frage gestellt, warum deren Gesellschaft dann trotzdem nicht funktioniert? Mit der Zufriedenheit der Bürger als "beste Sicherheit eines Staates" sieht es ungeachtet eines gewissen Wohlstandes und ohne äußere Feinde wohl immer schlechter aus.

Was bleibt, ist die "große Freiheit", die für viele lediglich eine Worthülse darstellt, solange sie nicht sozial untersetzt wird.

Schorlemmer verschweigt nicht, daß er das "weltweit herrschende kapitalistische Wirtschaftssystem (als) globale, existentielle Gefahr" betrachtet. Er fordert deshalb die Sammlung, Organisierung und Vernetzung all der Kräfte, "denen es am Herzen liegt, Verhältnisse zu schaffen, in denen der Mensch kein erniedrigtes, beleidigtes und verächtliches Wesen ist". Potentielle Verbündete grenzt er dabei sicherheitshalber gleich einmal aus.

Mein Fazit lautet: Auch der Kaiser dieser Tage steht nackt da. Doch die Bernsteinsche Theorie vom Weg als Ziel, die abermals als die neueste Mode angepriesen wird, greift schon seit 100 Jahren nicht. Und das Traumgebilde vom Reich Gottes auf Erden steht seit mehr als 2000 Jahren in den Sternen.

Es dauert sicher noch lange, bis eine gerechte Gesellschaft den Kapitalismus ablösen wird. Das dürfte ohne erbitterte Auseinandersetzungen um Weg und Ziel nicht abgehen. Die Lehren aus dem ersten sozialistischen Anlauf in Europa und der dabei erlittenen Niederlage sollte man dabei ohne Häme und Arroganz in Betracht ziehen.

Harry Pursche, Leipzig

Raute

Genug zu haben, ist Glück,
mehr als genug zu haben, ist unheilvoll.
Das gilt von allen Dingen,
aber besonders vom Geld.

Laotse

Raute

Wie das MfS den Staat und dessen Bürger vor Anschlägen schützte

Die DDR und der internationale Terrorismus

Zeit ihres Bestehens war die DDR durch die gegnerische Propaganda dem Vorwurf ausgesetzt, sie sei Drahtzieher, Mentor, Förderer, Unterstützer und Täter des "internationalen Terrorismus". Waren der Wirksamkeit dieser Lüge durch die sozialistische Staatengemeinschaft lange Zeit Grenzen gesetzt, so hofften und hoffen die Restauratoren des Kapitalismus mit ihrem zeitweiligen Sieg in Europa, auch diese Behauptung als gültige "Wahrheit" etablieren zu können.

Wie war das wirklich?

1. Zunächst einmal ist nach einem international gültigen Maßstab für Terror und Terrorismus zu fragen. Denn nur eine von der Mehrheit der Staaten - und zwar unabhängig vom jeweiligen gesellschaftlichen System - akzeptierte, also völkerrechtlich verbindliche Regelung gestattet zu bewerten, ob ein Staat, dessen Organe oder Bürger der Verstrickung in terroristische Aktivitäten verdächtig sind. Gab es diesen international gültigen Maßstab überhaupt? Offensichtlich nicht. Nicht einmal hinsichtlich des Begriffs bestanden oder bestehen bis heute übereinstimmende Positionen, obwohl er wie kein anderer als Kampfbegriff herhalten muß. An einer tatsächlichen Klärung besteht seitens des Imperialismus kein Interesse. Als Abgeordnete der Linkspartei im Bundestag auf eine diesbezügliche kleine Anfrage am 14. November 2006 eine Antwort der Bundesregierung erhielten, bestätigte sich diese Feststellung erneut (Deutscher Bundestag, Drucksache 16/3412).

2. Warum konnte der "Westen" verbindliche Regelungen nicht gebrauchen? Schon mit dem "russischen Wunder" der frühen Jahre der Sowjetmacht, dann mit dem absehbaren Sieg der Roten Armee über den faschistischen Aggressor orientierten sich die Metropolen des Imperialismus auf einen gnadenlosen Kampf gegen die UdSSR und deren Verbündete. Da diese Konfrontation - auch in deren Selbsterhaltungsinteresse - kein heißer Weltkrieg werden durfte, wurden Stellvertreterkriege und -aktionen unterhalb dieser Schwelle in Szene gesetzt, um den "Kommunismus" Stück für Stück "zurückzurollen". Man entfesselte den Kalten Krieg. Dazu gehörten auch sehr unterschiedliche terroristische Aktionen, die nicht selten geheimdienstlich gesteuert wurden. Eine klassen- und systemindifferente, also übergreifende völkerrechtliche Festlegung, was unter Terrorismus oder Terror zu verstehen sei, wäre dabei ein Hindernis gewesen.

Immerhin wurden von den imperialistischen Staaten einschließlich der BRD nahezu alle nationalen und sozialen Befreiungsbewegungen als "terroristisch" bezeichnet. Demgegenüber betrachteten die sozialistischen Staaten deren Kampf als gerecht und unterstützenswert. Das bedeutete keineswegs, alle Aktionen und Verhaltensweisen dieser Bewegungen gutzuheißen.

Andererseits konnten sich Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen, die Einrichtungen oder Bürger sozialistischer Staaten auf terroristische Weise angriffen, stets westlichen Wohlwollens erfreuen. Sie waren in den Augen ihrer Auftraggeber natürlich keine Terroristen. Wie wäre es sonst zu erklären, daß die Ostbüros von CDU, SPD und FDP, das Kuratorium Unteilbares Deutschland, die Organisation Gehlen (später BND), die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU), der Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen (UfJ), der Rundfunk im Amerikanischen Sektor (RIAS) und andere Diversions- und Terrorzentralen ihren Heiligenschein bis heute behalten durften! Hätte diese den gegensätzlichen Klassen- und Systeminteressen entsprechende Praxis bei Vorliegen einer völkerrechtlich verbindlichen Terrorismusdefinition, die zweifellos eine auf das Allgemeinste beschränkte Kompromißformel gewesen wäre, überhaupt beeinflußt werden können? Im Grundsätzlichen wohl kaum, im Detail wäre das vom jeweiligen Kräfteverhältnis inner- und außerhalb der UNO abhängig gewesen.

3. Der DDR ist folglich überhaupt nichts vorzuwerfen. Vor ihrer Führung stand die Pflicht, die Bevölkerung der Republik unbedingt vor durch Terror oder Terrorismus verursachten Schäden zu bewahren. Als Terrorist wurde betrachtet, wer aus politischen Motiven unter Einsatz von Gewalt die DDR oder deren Verbündete angriff und/oder einen solchen Angriff plante bzw. organisierte. Terror war nach dem geltenden politischen Verständnis eine Methode der Einschüchterung und Unterdrückung, die durch Gewalt Furcht und Schrecken verbreiten sollte. Demgegenüber ist der individuelle Terror eine dem Marxismus-Leninismus fremde, revolutionären Zielen abträgliche Taktik. Typisch für ihn sind Mordanschläge und ähnliche Mittel, um politische Ziele zu erreichen.

Der weiße Terror hingegen manifestiert sich in systematischen und massenhaften Verfolgungen, Folterungen und Tötungsverbrechen. Er ist ein Instrument der Konterrevolution und des Faschismus im Kampf gegen die Arbeiterklasse, deren Parteien und Verbündete.

In den Paragraphen 101/102 des Strafgesetzbuches der DDR hieß es, Terror sei "eines der schwersten Verbrechen gegen unsere sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung". Im 1981 erschienenen Wörterbuch der Kriminalistik liest man die Formulierung: "Durch bewaffnete Anschläge, Geiselnahmen, Sprengungen, Brandlegungen, Zerstörungen, Havarien und andere Gewaltdelikte, darunter auch individuellen Terror gegen staatlich oder gesellschaftlich aktiv tätige Bürger der DDR, sollen Widerstand hervorgerufen, das gesellschaftliche Leben desorganisiert, Aktivitäten für den sozialistischen Staat gelähmt und allgemeine Unruhe und Unsicherheit erzeugt werden."

4. Die sozialistischen Schutz- und Sicherheitsorgane hatten demgemäß die Aufgabe, gegen die DDR und deren Bündnispartner gerichtete oder geplante Anschläge aufzuklären, nach Möglichkeit vorbeugend zu verhindern und erforderlichenfalls zu bekämpfen. Die Angriffe terroristischer Gegner waren mithin zu paralysieren. Dafür war in der DDR primär das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), Abwehr und Aufklärung, im Schwerpunkt die Linie Terrorabwehr, zuständig.

Wie man im Rückblick sagen kann, wurde dieser Auftrag in Ehren erfüllt. Deshalb überschatteten nicht - wie in der kapitalistischen BRD - ständige Angst vor Anschlägen und eine hochgepeitschte Terrorismushysterie, die nur zum weiteren Ausbau des Überwachungsstaates dienen soll, die öffentliche Wahrnehmung.

Eine wesentliche gesellschaftliche Bedingung für die hohe Wirksamkeit der Terrorabwehr war der Umstand, daß Aktivitäten dieser Art in der DDR keinerlei unkontrollierte Publizität eingeräumt wurde. Denn Terror nährt sich insbesondere von öffentlicher Darstellung, Schreckensszenarien, spektakulären Aktionen und damit verbundener medialer Aufmerksamkeit. Dafür bot die DDR keine Basis.

Auch deshalb war und ist das Geschrei der Sieger auf Zeit nach Bestrafung von Angehörigen der Terrorabwehr reines Rachegebrüll ohne begründete Substanz, weil das Handeln des sozialistischen deutschen Staates auch in bezug auf Terror und Terrorismus den internationalen Kriterien eines Rechtsstaates entsprach. Die Abrechnung erfolgte und erfolgt allein nach den Maßstäben und Auslegungen des der DDR feindlich gegenüberstehenden gesellschaftlichen Systems der BRD. Der Begriff Klassen- und Siegerjustiz ist auch hier voll anwendbar.

Dr. Udo Stegemann

Raute

Eine Fabel, nicht von La Fontaine

In der Vogelrepublik herrschte große Aufregung. Die von einer Pinguinin geführte Koalition aus Schwarzspechten, Kolkraben und hektischen Gimpeln lag im Streit. Der Mindestlohn für Wald- und Wurmarbeit war noch nicht vom Tisch. Die Vogel- und Flugsteuer stieg und stieg, die Inflation grassierte, und des öfteren hatte man versucht, die Diäten am Volk vorbei zu erhöhen. Dauernd streikten irgendwelche Vogelscharen, z. B. für umfassendere Flugräume, und die Brieftauben verweigerten die Postzustellung. Und nun sollte auch noch ein neuer Waldpräsident gewählt werden. Der bisherige hatte, ohne Federn zu lassen, sein Amt glanzlos wahrgenommen und empfahl sich für eine weitere Sitzperiode. Den Kolkraben und Schwarzspechten fiel es nicht schwer, ihn erneut zu nominieren und entsprechende Stimmung zu machen. In ihrem Vogelkleinhirnverständnis hofften sie nun darauf, der ohnehin am Waldboden liegenden Demokratie vertrauend, daß sich auch die sonst so kooperativen Gimpel ohne Wenn und Aber ihrem Vorschlag anschließen würden, zumal sie bei Umfragen in der Vogelwelt inzwischen sehr weit hinten lagen.

Nichts von dem geschah jedoch. Ein Teil der Gimpel holte eine alte Idee aus der Schwinge, und benannte abermals den stolzen Schwan für diesen Posten. Das wäre kein Problem gewesen, wenn der nicht auch noch auf die Zustimmung oppositioneller Federkräfte angewiesen wäre.

Die Grünspechte hielten sich zurück und warteten zunächst auf Signale vom übrigen Waldvolk.

Die Stieglitze mit ihrem auffallend gelben Flügelband zwitscherten über Radio Westerwelle lautstark ihren Unmut ins Land, nicht ohne zugleich ihr Einverständnis mit dem Kolkrabenbewerber zu signalisieren.

Die Fraktion der Rotkehlchen mit einem Gutteil von Wendehälsen stand startbereit. Sie hatten in letzter Zeit landesweit gepunktet, und ausgerechnet ihre Stimmen wollte der Schwan nun auch auf seine Seite ziehen.

Damit begann ein heftiger Vogelstreit. Die Kolkraben und Schwarzspechte pochten es von allen Stämmen, daß damit für den Wald die rote Gefahr heraufzöge. Daß sich unterdessen die Braungefiederten formierten, interessierte sie kaum. Die Obergimpel beteuerten immer wieder im Brustton der Überzeugung, ein Zusammenfliegen mit den Rotkehlchen sei völlig ausgeschlossen. Zwar hatte das einer von ihnen nach den Wahlen in Gebietswäldern schon mal ganz anders gesehen. Doch wen interessiert es, wenn in der Politik, dem Feld des Vergessens, gelogen wird, daß sich die Bäume biegen.

Dem Volk der Vögel mit den fleißigen Schwalben, den gewitzten Spatzen, den bedächtigen, inzwischen überalterten, nicht mehr so gern gesehenen Käuzen und Eulen, den trillernden Lerchen, Berg- und Baumpiepern, den eifrigen Meisen und Finken sowie den fleißigen Enten und Gänsen bleibt das alles ohnehin schnuppe. Ihren Präsidenten dürfen sie ja sowieso nicht wählen.

Dr. Jürgen Audehm

Raute

Gebet eines Kapitalisten

Unser Vater KAPITAL, der Du bist von dieser Welt, allmächtiger Gott, der du den Lauf der Flüsse veränderst und Berge durchstichst, der Du Erdteile voneinander trennst und Nationen zusammenkettest, Schöpfer der Waren und Quelle des Lebens, der Du Königen und Untertanen, Arbeitern und Unternehmern befiehlst - Dein Reich werde errichtet auf Erden.

Gib uns Käufer in Menge, die unsere Waren abnehmen, die guten wie die schlechten. Gib uns notleidende Arbeiter, die ohne Murren die härteste Arbeit und den niedrigsten Lohn annehmen. Gib uns Gimpel, die auf den Leim unserer Prospekte gehen. Gib, daß unsere Schuldner ihre Schulden völlig an uns abzahlen. Führe uns nicht in das Zuchthaus, sondern befreie uns von dem Bankrott, und verleihe uns ewige Renten. Amen.

Paul Lafargue (1842-1911)

Das Gebet haben wir Lafargues Satire "Die Religion des Kapitals" (1890) entnommen.
Er war ein französischer Arbeiterführer, der Schwiegersohn von Karl Marx und Mitglied der I. Internationale.

Raute

Dr. Jan Cyz war 1945 erster Landrat im befreiten Bautzen

Sorbe und Patriot der DDR

Daß über die Zeit von 1945 bis 1949 und die DDR nicht nur in einer "Fußnote" der deutschen Geschichte berichtet werden dürfte - dafür sorgt schon das Vermächtnis unzähliger Erbauer des neuen Lebens. Auch das des Antifaschisten und Demokraten Jan Cyz (Johann Ziesche), eines sorbischen Patrioten katholischen Glaubens und sozialistischer Überzeugung, der zu den Wegbereitern der DDR gehörte.

1898 als Sohn eines Kleinbauern geboren, erlebte er frühzeitig Hunger und Elend. In den Ersten Weltkrieg gezwungen und in französische Gefangenschaft geraten, entwickelte der junge Mann früh politisches Bewußtsein, das sich gegen die Ausbeuterklassen richtete. Besonders quälte ihn die doppelte Unterdrückung seines sorbischen Volkes, die sich nach dem Machtantritt der Faschisten ins unermeßliche steigerte. Bereits während seiner Gymnasialzeit, auf die ein selbstfinanziertes Studium an der Prager Karls-Universität mit anschließender Promotion folgte, beteiligte er sich aktiv am Kampf für Demokratie und Humanismus. Das führte Cyz zum Antifaschismus. Widerstand und Haß auf die Herrschenden brachten ihm wiederholte Haft und geheimpolizeiliche Überwachung ein, was ihn nicht vom Handeln gegen das Hitlerregime abhielt. Seine Flucht aus einer Zelle des Dresdner Polizeipräsidiums erfolgte während des angloamerikanischen Bombardements der Elbestadt im Februar 1945. Cyz hielt sich in seiner Lausitzer Heimat versteckt, bis sowjetische und polnische Truppen diese erreichten.

Gemeinsam mit anderen sorbischen Antifaschisten nahm er sofort Verbindung zu den Befreiern auf. Er stand mit an der Spitze jener, welche die sowjetische Besatzungsmacht baten, die seit 1912 bestehende und 1937 verbotene sorbische Organisation Domowina wieder zuzulassen. Diesem Wunsch wurde schon am 17. Mai 1945 entsprochen.

Für Jan Cyz blieben seine Kontakte zur Roten Armee nicht ohne Konsequenzen. Schon im Mai suchte er täglich die Bautzener Kommandantur auf, wo Wichtiges mit ihm beredet wurde. Die verantwortlichen Offiziere vertrauten dem sorbischen Widerstandskämpfer und brachten schnell in Erfahrung, daß er im weiten Umkreis einen guten Namen hatte. Am 25. Mai 1945 wurde er als Landrat in Bautzen eingesetzt. Zum ersten Mal übte ein fortschrittlicher Sorbe eine solche Funktion aus, in die er später auch demokratisch gewählt wurde. Nun nannte er sich Vorsitzender des Rates des Kreises. Durch persönliche Kontakte - meine Mutter gehörte zu seinem Mitarbeiterstab - lernte ich Jan Cyz als verständnisvollen, zielstrebig arbeitenden Leiter kennen. Von ihm erfuhr ich auch, wie er mit den Schwierigkeiten des Anfangs fertig geworden ist. Ohne Auto, lange sogar ohne Telefon, war er als Landrat, den Rucksack geschultert, auf einem alten Fahrrad im Kreis unterwegs, um das Leben zu normalisieren.

In Bautzen stand die ersten Tage kein Brot, worauf Einheimische und Flüchtlinge verzweifelt warteten, zur Verteilung bereit. Ab 18. Mai konnten dann zunächst pro Person wöchentlich 1700 g Brot, 150 g Fleisch oder Wurst, 125 g Fett und 25 g Ersatzkaffee ausgeliefert werden. Während der Erntesaison mußten in den Gemeinden Feldwachen aufgestellt werden, um den Diebstahl des Gewachsenen zu verhindern.

Doch es ging aufwärts! Einen Lebenswunsch konnte sich Dr. Cyz erfüllen, als er an der Spitze der Kreiskommission die Bodenreform vollziehen half. Im Kreis Bautzen wurden 82 Betriebe mit mehr als 100 ha und 57 bisher von bekannten Nazis bewirtschaftete Höfe mit insgesamt 26 214 ha enteignet und an Landarme und Landlose sowie an Umsiedler übergeben.

Kurz vor seinem Tode äußerte der frühere Landrat: "Es ist mir heute noch eine Genugtuung, daß die Durchführung der Bodenreform zur Sache aller Werktätigen des Kreises wurde. Mit Stolz erfüllt mich, daß jahrhundertealtes Unrecht durch die entschädigungslose Enteignung der Großgrundbesitzer, Naziaktivisten und Kriegsverbrecher sowie die Übergabe des Bodens als schuldenfreies, unveräußerliches Eigentum an Landarbeiter und Kleinbauern überwunden werden konnte."

Doch auch auf anderen Gebieten der Umgestaltung und des demokratischen Neubeginns setzte sich Jan Cyz mit ganzer Kraft ein. Der Volksbildung mußte ein humanistischer Charakter verliehen werden. Das bedeutete, Nazilehrer zu entlassen, Werktätige als Neulehrer zu gewinnen und zu qualifizieren. Es ging auch darum, durch die Faschisten gemaßregelte und fernab der Lausitz eingesetzte sorbische Pädagogen heimkehren zu lassen und neue sorbischsprachige Lehrer heranzubilden. Die Wirtschaft mußte wieder angekurbelt und die Sollerfüllung gesichert werden. Das Augenmerk war nicht zuletzt auch darauf zu richten, den durch Feinde des Aufbaus der antifaschistisch-demokratischen Ordnung geplanten und verursachten Schaden so gering wie möglich zu halten.

Überaus wirksam waren die Anstrengungen des Domowina-Funktionärs Jan Cyz, mit seinem persönlichen Einsatz die Organisation der sorbischen Bürger zu stärken, damit sie ihren Platz in der neuen Gesellschaft der DDR zum Wohle des Staates finden und nutzen konnte. An der Ausarbeitung des ersten Sorbengesetzes, das der Sächsische Landtag schon 1948 beschloß, hatte Dr. Cyz großen Anteil.

Sein unermüdliches Wirken ging an der durch faschistische Gewalt ohnehin beeinträchtigten Gesundheit des Politikers nicht spurlos vorüber. Dennoch setzte er seine Arbeit im Rahmen des Möglichen fort. Nach dem Ausscheiden als Ratsvorsitzender betätigte er sich als Schriftsteller, Historiker, Redakteur und Leiter der sorbischen Druckerei. Er stand bis zuletzt der jungen Generation als Pate und Ratgeber zur Verfügung, was ihm deren Verehrung einbrachte.

Mit hohen staatlichen Auszeichnungen wurden die Leistungen von Dr. Cyz anerkannt. Er erhielt den Vaterländischen Verdienstorden in Gold und die höchsten Dekorationen der Domowina. Die Sorbische Sprachschule in Milkel trug seinen Namen ebenso wie Kollektive in Industrie und Landwirtschaft oder kulturelle Einrichtungen.

Als Jan Cyz am 21. September 1985 starb, nahmen Tausende von ihm Abschied. Andere ehrten ihn in Feierstunden und gedenken heute seiner am Familiengrab auf dem Bautzener Protschenbergfriedhof.

Im 60. Jahr der Gründung des ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates besteht besonderer Anlaß, dieses sorbischen Patrioten der DDR dankbar zu gedenken.

StR Helge Tietze, Bautzen

Raute

Schlaglöcher im bundesdeutschen Demokratie-Pflaster

Angies "Baustellen"

Altkanzler Helmut Schmidt hat im Fernsehen festgestellt, die Demokratie der BRD sei "defizitär". Konkreter wurde er nicht, da der Moderator - wie in solchen Fällen üblich - sofort das Thema wechselte. Leipzigs Gewerkschaftschef Günther bemängelte, die wirklichen Probleme des Landes würden "kaschiert". Auch er durfte keine Beispiele nennen. Eine freimütige Debatte über solche Themen scheint nicht erwünscht zu sein, geht es hier doch um Unerledigtes, was man auch als "Baustellen" bezeichnen könnte, auf denen nichts mehr geschieht, obwohl die Arbeiten noch längst nicht abgeschlossen sind.

Man will solche klaffenden Wunden aus dem Wahlkampf heraushalten. Die CDU spielt sich allerdings als kühne Krisenbewältigerin auf, um Wähler auf ihre Seite zu ziehen.

Als Übel Nr. 1 ist das Konstrukt Hartz IV zu betrachten. Eine dringende Nachbesserung wird verweigert, obwohl die Widerspruchsstellen und Sozialgerichte buchstäblich überrannt werden. Tausende Rechtsanwaltskanzleien sind auf Kosten des Steuerzahlers neu eingerichtet worden, um des Andrangs Herr zu werden. Denn allein die Leipziger ARGE registrierte im Vorjahr 17.600 Widersprüche!

Eine zweite "Baustelle" ist die unsoziale Machtwirtschaft, geprägt durch Hungerlöhne oder völligen Lohnwegfall, Erpressung unbezahlter Überstunden und moderne Sklavenhalterei.

Drittens erfolgt eine enorme Zunahme der Kriminalität. Charakteristisch dafür sind Massenbetrügereien im Wirtschaftsverkehr sowie die Vernichtung von Firmen und Arbeitsplätzen. Eine überforderte Justiz, die sich eines schrottreifen Strafgesetzbuches zu bedienen gezwungen ist, steht mit dem Rücken zur Wand.

Viertens findet ein Milchpreiskrieg gegen die Bauern statt, der auf Existenzvernichtung zielt.

Weitere "Baustellen" wären unschwer im Kultur- und Sportbetrieb aufzufinden. Auch von Ärzten, Lehrern, Handwerksfirmen, Einzelhändlern, Gastronomen, Taxifahrern und anderen Dienstleistern dürfte Frau Merkel kaum gute Karten bekommen. Bei den einfacheren Tätigkeiten liegt das Einkommen häufig in der Nähe des Existenzminimums. Langzeitarbeitslose und Neurentner aus der liquidierten Industrie erhalten seit einigen Jahren regelrechte Armutsbezüge, wobei sich dieser Trend noch verschärft.

Bei der praktischen Umsetzung der vielgepriesenen und lauthals proklamierten "Wirtschafts- und Sozialunion" geht es seit langem kaum voran. Im Gegenteil: Die östlichen Bundesländer sind im Einkommensvergleich mit den westlichen deutlich abgehängt, wobei sich die Schere zwischen Arm und Reich sogar noch weiter geöffnet hat. "Sicherheitspolitisch" dreht es sich angeblich um Friedensbewahrung, allerdings mit kriegerischen Mitteln. Dabei wird der Flughafen Leipzig-Halle als Umschlagplatz für US-Militär aus und nach Irak voll eingebunden.

Frau Merkel läßt keine Gelegenheit aus, sich in den Medien und auf außenpolitischem Parkett zu spreizen. Schon vor Beginn des offiziellen Wahlkampfes drängt sie sich überall mit ihren zauberhaften bunten Jacken ins Bild. Viele verwechseln das mit Profil. So dürfte es wohl Stimmen bringen. Damit der erhoffte Wahlsieg der Merkelschen Mittelmaßpartei Wahrheit wird, sind die Verhüllungstechniker eifrig dabei, die hier skizzierten "Baustellen" maximal zu verhängen, um die Wahlfreude harmlos-verzückter Zuschauer des Spektakels nicht zu trüben.

Joachim Spitzner

Raute

Gewonnen und doch verloren

Unlängst fand in Alt-Marzahn eine Lesung zu dem vor kurzem erschienenen Buch von Prof. Werner Bahmann "Gewonnen und doch verloren" statt. Die Stühle waren lange vor Beginn besetzt, viele Interessenten fanden keinen Platz mehr. Der Autor entschuldigte sich mit dem Hinweis, die Einladung habe eigentlich einer Buchlesung gegolten, nicht aber einer verspäteten Betriebsversammlung.

Doch Scherz beiseite: Es ging um weit mehr als um eine aufschlußreiche Publikation. Im Mittelpunkt standen das Leben vieler fleißiger Menschen und die Biographie eines hochtalentierten Forschers, wie sie nur ein Staat vom Charakter der DDR ermöglichen konnte. Befähigten Ingenieuren wie Werner Bahmann war es zu verdanken, daß ihr kleines Land zu den führenden Industrienationen aufstieg. Es sind die Erinnerungen eines Chefkonstrukteurs der Schleifmaschinenproduktion, die Schilderung zähen Ringens des großen Kollektivs der volkseigenen Berliner Werkzeugmaschinenfabrik (BWF) in Marzahn unter ihrem damaligen Betriebsdirektor, dem antifaschistischen Widerstandskämpfer Fred Dellheim. Dabei ging es sowohl um höchste Arbeitsproduktivität als auch um die Zufriedenheit der weltweiten Kundschaft.

Nach der Einverleibung der DDR in die BRD wurde um den Erhalt des Unternehmens und seiner Arbeitsplätze gerungen. Es ging vor allem darum, die Werkzeugmaschinenfabrik nach der räuberischen Privatisierung durch die Treuhand und der 1993 vollzogenen Übernahme durch die Hamburger Körber AG vor der Liquidierung zu bewahren, die 2004 dennoch erfolgt ist.

Der Vortrag Prof. Bahmanns wurde mit Dias zu Spitzenerzeugnissen aus DDR-Zeiten, die im Außenhandel hohe Preise erzielten, überaus interessant gestaltet. In seiner bescheidenen Art schilderte der Autor den entschlossenen, letztlich aber erfolglosen Kampf um den Erhalt des Standorts Marzahn. Die Antwort der Körber AG fiel eindeutig aus: Das mit der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin gemeinsam entwickelte gewinnbringende Projekt des Fertigungszentrums STRATOS "müsse" zur weiteren "Vervollkommnung" in die Schweiz verlagert werden. Mit einem Federstrich wurde so der einstige DDR-Vorzeigebetrieb BWF plattgemacht.

Die lebhafte Diskussion zu Bahmanns Vortrag offenbarte die weiter bestehende Verbundenheit zwischen früheren Leitern und anderen Angehörigen des längst zerschlagenen Betriebskollektivs. Unter den in die Debatte "Eingreifenden" sah man den 91jährigen einstigen Hauptmechaniker Gerhard Rose und den langjährigen Ökonomischen Direktor Jürgen Weinert sowie viele andere, die den Stolz auf ihren damals volkseigenen Betrieb und ihre eigene Lebensleistung erkennen ließen. Es lohnt sich, das im Verlag am Park in der edition ost erschienene Buch (16,90 €) zu erwerben.

Dr. Werner Liebig

Unser Autor war stellvertretender Sekretär des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) u. a. mit dem Verantwortungsbereich Maschinenbau.

Raute

Die zwei Herzen in der Brust des SPD-Abgeordneten Ditmar Staffelt

Ein rosafarbener Bombodrom-Fan

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach schwingt Totalitarismus-Peitsche

Starker Tobak

Unser Leser Dr. Dieter Hetsch aus Halle hatte nach anfänglichem Schweigen des Adressaten eine kurze, aber aufschlußreiche Korrespondenz mit dem Briefbeantworter des SPD-Bundestagsabgeordneten und Gesundheitsexperten Prof. Dr. Lauterbach. Genosse Hetsch stellte sie uns, da von allgemeinem Interesse, zur Verfügung. Er schrieb an das MdB:

Sehr geehrter Herr Prof. Lauterbach,

wie bereits in meinem Brief vom 6.12.08 gesagt, hat mir die Einschätzung des Bildungssystems und des Gesundheitswesens der Bundesrepublik in Ihrem Buch "Der Zweiklassenstaat" außerordentlich gefallen. Mit Sachkenntnis haben Sie eine kritische Analyse vorgenommen, der ich voll zustimme.

Allerdings bleiben viele Ihrer Schlußfolgerungen halbherzig. Offensichtlich hatten Sie nicht den Mut zu sagen, daß das abgewickelte Bildungssystem und das zerschlagene Gesundheitswesen der DDR viele der von Ihnen dargestellten Mängel nicht aufwiesen und eigentlich als Impuls für die Verbesserung der bundesdeutschen Systeme hätten dienen können.

Da ich Jahrzehnte als Lehrer an der Universität Halle gearbeitet und mich auf wissenschaftlichem Gebiet intensiv mit Fragen von Einheitlichkeit und Differenzierung, speziell mit der Förderung von Hochbegabungen, beschäftigt habe, hatte ich Ihnen den Vorschlag unterbreitet, sich bei einer passenden Gelegenheit mit mir über diese Problematik zu unterhalten. Daß Sie als vielbeschäftigter Abgeordneter auf diesen Vorschlag nicht eingehen, kann ich ja verstehen, aber die Antwort Ihres persönlichen Referenten, die ich auf Nachfrage endlich am 19.2.09 erhielt, war dann doch starker Tobak.

Dort heißt es nämlich: "Täglich gehen bei uns mehrere hundert e-mails ein. Daher konzentrieren wir uns vorrangig darauf, die Zuschriften aus Karl Lauterbachs Wahlkreis Köln-Leverkusen zu beantworten. Ihre Zuschrift blieb somit unbeantwortet, nicht weil sie ein 'heißes Eisen' beinhaltet, sondern weil sie aus Halle kam. Auch wenn Ihre Zustimmung zu seinem Buch sehr erfreulich ist, muß ich Ihnen leider mitteilen, daß bei seinen Vorschlägen zur Reform des Sozialstaats in keiner Weise die DDR Pate gestanden hat. Karl Lauterbach lehnt jede Form von Totalitarismus ab und ist ein uneingeschränkter Verfechter von Demokratie und sozialer Marktwirtschaft. Daher können DDR-Systeme niemals Vorbild für Reformen in Deutschland sein."

Nach dieser Reaktion habe ich mich entschlossen, Ihnen in Form eines offenen Briefes zu antworten.

Sehr geehrter Herr Prof. Lauterbach,

offensichtlich sind Sie bei Ihren Analysen nicht bis zum Wesen der Dinge vorgedrungen. Die Ursachen für die von Ihnen beschriebenen Mängel des Bildungswesens und des Gesundheitswesens der Bundesrepublik liegen ja gerade darin, daß Bildung und Gesundheit zur Ware gemacht wurden, daß man schon von einer regelrechten Gesundheitsindustrie sprechen muß. Wenn Sie uneingeschränkter Verfechter der "sozialen Marktwirtschaft" sind, bleiben all Ihre Versuche, das System zu reformieren, hilflose Gesten. Nebenbei gesagt, ich finde es unsachlich, in einem Disput die Totalitarismus-Peitsche zu ziehen. Wenn ich mit gleicher Münze heimzahlen wollte, müßte ich sagen, daß Ihre Fernsehauftritte nur ein PR-Gag sind, um Wähler aus der linken Ecke zu holen.

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Hetsch

Raute

Für ein selbstbewußtes Bekenntnis zum deutschen Friedensstaat

Raus aus dem Büßerhemd!

Bürger, der Du einst in der Deutschen Demokratischen Republik lebtest, hast Du noch immer nicht begriffen, wo Du Dein Leben verbracht hast? Es wird langsam Zeit, daß Wissen und Fühlen darum in Deinem Gehirn und in Deinem Herzen ankommen! Nimm die Kampagne der Medien endlich in Dir auf: Die DDR - das waren Mauer und Staatssicherheit, SED-Diktatur und Mangelwirtschaft. Vergiß diese Schrecken niemals, auch wenn die Boden- und Bildungsreform, die Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher, das lücken- und kostenlose Gesundheitssystem sowie die flächendeckende Betreuung in Kindergärten und Krippen, die hochproduktive Großraumwirtschaft auf dem Lande, Arbeit für jedermann sowie durchgängig verstaatlichte Industriebetriebe und Banken die Grundlagen dieses untergegangenen Landes bildeten.

Du, Bürger aus der DDR, kannst jetzt endlich vollkommen glücklich sein. Du darfst in der freiheitlich-demokratischsten Grundordnung der Welt leben. Daran solltest Du immer denken und Arbeit im Niedriglohnsektor, als Leiharbeiter, Hartz-IV-Bezieher und Ein-Euro-Job-Verrichter sowie die Schrumpfung von Löhnen und Gehältern, Ungleichbehandlung von Frauen im Arbeitsleben ohne Murren hinnehmen. Denn Freisein geht über alles.

Wenn Du diese Freiheit erhalten willst, dann wählst Du CDU, SPD, FDP oder Grüne, deren Vertreter im Bundestag - ohne sich zu schonen - den von Dir erarbeiteten Reichtum verläßlich von unten nach oben weiterreichen. Diese Elite hat das Geld, das Dir zusteht, leider verspekuliert, denn Investieren bringt zur Zeit nicht den erhofften Gewinn. Zwar ist die Finanzblase geplatzt, aber es gibt ja Dich. Mit Deinen Steuergeldern wird schon dafür gesorgt werden, daß das Spiel des Kapitalismus noch einmal von neuem beginnen kann.

Ach, Du meinst, man könne ja auch die Partei Die Linke wählen? Das ist sicher nicht von der Hand zu weisen, denn sie wird bestimmt dafür plädieren, daß Menschen wie Du und ich etwas sozialer abgefedert werden und die Herren der Marktwirtschaft, Bankiers wie Versicherungsbosse, keine Millionen-Bonusse mehr abfassen. Und Du meinst vielleicht, die "Linke" werde schon das Andenken an die andere - unsere - deutsche Republik zwar sehr kritisch, aber erhobenen Hauptes in Ehren halten.

Ich habe da so meine Zweifel, wenn ich mir die Äußerungen einiger ihrer Sprecher anhöre. (Vom Bundesvorstand bemerke ich sowieso nichts, agiert der überhaupt?) Da wird von führenden Genossen pausenlos darüber palavert, wie undemokratisch doch die Deutsche Demokratische Republik eigentlich gewesen sei, deren soziale, friedliebende Politik mit ein paar Nebensätzen bedient wird.

Es wäre schon hilfreich, wenn in Talkshows und Reden endlich keine Büßerhaltung mehr eingenommen würde, sondern ein selbstbewußtes Bekenntnis zum Friedensstaat auf deutschem Boden an ihre Stelle träte. Und was die parlamentarische Demokratie im Kapitalismus betrifft - verschleiert sie nicht hervorragend das wirkliche Wesen dieser menschenverachtenden Gesellschaftsordnung?

Ingrid Glow, Demmin

Raute

Ausstellung zu Werden und Untergang des Palasts der Republik

Kulturschändern den Spiegel vorgehalten

Unter dem Motto "Der Palast lebt - trotz alledem" wird gegenwärtig eine Ausstellung in der Ladengalerie der Tageszeitung "junge Welt", Torstraße (Nähe Alexanderplatz) gezeigt. Veranstalter ist der Freundeskreis Palast der Republik.

Zur Vernissage am 14. April sprachen Hans Modrow und der Architekturtheoretiker Prof. Bruno Flierl.

Seit seiner Gründung vor nunmehr zwei Jahren entwickelte der Freundeskreis, dem bundesweit inzwischen etwa 150 Mitglieder angehören, unterschiedlichste Aktivitäten zur Erinnerungspflege an dieses echte Volkshaus der Deutschen Demokratischen Republik. Die Mitwirkenden verstehen sich als Erben des Palastes. In den 14 Jahren zwischen der Eröffnung (1976) und der Schließung (1990) sowie in der Zeit der interimistischen Nutzung (2004 bis 2005) besuchten annähernd 70 Millionen Menschen diese Einrichtung. Die Besucherzahlen bezeugen die Beliebtheit des Ortes bei Alt und Jung.

Für DDR-Bürger und ihre Gäste aus allen Himmelsrichtungen wurden die Palastaufenthalte zu unvergeßlichen Erlebnissen. Um so verwerflicher war der zweifelsfrei politisch motivierte Abrißbeschluß des Bundestages der BRD vom 19. Januar 2006. Die im Dezember 2008 abgeschlossene restlose Zerstörung des wertvollen Bauwerks war ein Kulturverbrechen ersten Ranges. Symbolisch für die Absicht, jegliche Erinnerung an den deutschen Friedensstaat aus dem Gedächtnis der Menschen zu tilgen, steht der Abriß. Doch der Palast lebt in der Erinnerung derjenigen, welche ihn kennenlernten, weiter. Und die ihn nicht kannten, erfahren im nachhinein, welche Schätze unbarmherziger imperialistischer Vernichtung hier zum Opfer gefallen sind. Das ins Bewußtsein zu heben, ist das Hauptanliegen des Freundeskreises.

Was erwartet den Besucher der Ausstellung? Wir skizzieren die Vorgänge auf dem Berliner Schloßplatz in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, stellen den Palast in seiner Komplexität dar und dokumentieren den schändlichen Umgang von BRD-Politikern mit diesem Bau im angeblich vereinten Deutschland.

Umfangreiches Bildmaterial veranschaulicht alle Phasen vom Beginn der Ausschachtungsarbeiten bis zum Abriß. Dazu hat Rudolf Denner als Vorsitzender des Freundeskreises eine mehrere tausend Fotos umfassende Sammlung angelegt. Einige Bilder sind großformatig zu sehen, andere in eigens für die Exposition angefertigten Bildmappen.

Auch akribisch zusammengestellte Filmdokumentationen liegen vor. Während der Abrißphase wurden auf der dem Palast gegenüberliegenden Spreeseite eindrucksvolle Zeitzeugen-Interviews geführt und filmisch aufbereitet. Der ehemals leitende Palastmitarbeiter Klaus Wons führte die Gespräche mit bisher etwa 30 bekannten Persönlichkeiten, unter ihnen Hans Modrow, Bruno Flierl, Heinrich Fink, Klaus Huhn und anderen. Einige dieser Interviews werden in Ausschnitten gezeigt. Der Fototeil der Ausstellung besteht aus etwa 50 Großaufnahmen, darunter vom Palastaufbau, dem Leben im Haus des Volkes, den Protesten gegen dessen Abriß, der Zwischennutzung und der Demontage.

Mit einer Finissage wird die Ausstellung am 15. Mai abgeschlossen werden.

Dieter Lämpe, Hoppegarten

Raute

Warum die Zweifler am Moskauer "Hoffnungsträger" recht hatten

Das Platzen der "Gorbimanie"

An der jüngsten Frankfurter Buchmesse nahm auch Gorbatschow teil. Man stellte dort die ersten fünf Bände seiner "Gesammelten Werke" vor. 22 sollen es insgesamt werden. Der Mann will unbedingt als Wegbereiter der Niederlage des europäischen Sozialismus in die Annalen der Geschichte eingehen. Da der Verlag vorgesehen hat, in die Zusammenstellung ausgewählte Schriften Gorbatschows aus seiner gesamten Zeit als Politiker aufzunehmen, kann die Leserschaft gespannt sein, wie diese zurechtfrisiert werden, um in das heutige Programm der Antikommunisten zu passen.

Die Antworten, die Gorbatschow in Frankfurt auf Fragen des Publikums gegeben hat, waren weder Fisch noch Fleisch. Nur fünf Fragen waren zugelassen. Der Renegat, der sich einst als Kommunist ausgab und feiern ließ, drehte und wand sich wie ein Aal. Ein politischer Scharlatan, gelangte er zu verwirrenden Formulierungen.

Wie wurde Michail Sergejewitsch doch gefeiert, als er nach ganz oben vorstieß! Endlich habe die junge Generation den Stab in der politischen Führung übernommen, nachdem man Breshnew, Andropow und Tschernenko zu Grabe getragen hatte, hieß es erwartungsvoll. Als Gorbatschow seine Glasnost (Offenheit) und Perestrojka (Umbau) verkündete, stieß das zunächst auf Sympathie und Interesse. Aber es gab auch Skeptiker von Anfang an. Sie glaubten nicht an den "Wundermann" und sollten recht behalten.

Fragwürdige Konzeptionen, unüberlegtes Handeln, Voluntarismus, Preisgabe marxistisch-leninistischer Prinzipien, Geschichtsklitterung ohne Skrupel, Negierung der vom Imperialismus ausgehenden Gefahr, Duldung der verräterischen Außenpolitik Schewardnadses, eines anderen Renegaten, trugen entscheidend zum Niedergang des Sozialismus in Europa bei. Gorbatschows Kurs stärkte die antisozialistischen Kräfte in der UdSSR und anderen sozialistischen Ländern und leitete Wasser auf die Mühlen der Konterrevolution, die am Ende dieses Prozesses den Sieg davontrug.

Die Volksrepublik China beweist demgegenüber deutlich, daß die keineswegs konflikt- und risikolose Entwicklung des Sozialismus zu einer reifen Gesellschaft nur über die Brechung des Widerstands der alten Kräfte führt. Obwohl die Verfechter des Neuen einem ökonomisch starken, international organisierten Klassenfeind gegenüberstehen, ist deren Sieg bei Einhaltung der durch die Klassiker umrissenen Leitlinien durchaus möglich.

Der Sozialismus hätte sich auch in Europa behaupten können. Sein Ende wurde vor allem durch "die eigenen Leute" unter maßgeblichem Einfluß des "Erneuerers" Gorbatschow und seiner Clique herbeigeführt, wobei neben subjektiven auch objektive Faktoren eine große Rolle spielten.

Wie tief Michail Sergejewitsch gesunken ist, verdeutlichten seine Antworten auf der Buchmesse. Daß der Aufbau des Sozialismus die Ausschaltung monopolkapitalistischer Kräfte, die Vergesellschaftung der Industrie, der Banken, des Verkehrswesens und der Energieversorgung ebenso wie die Errichtung der politischen Herrschaft der Arbeiterklasse zur Voraussetzung hat, ist Gorbatschow längst entfallen. Er verstieg sich zu der Dümmlichkeit, den kleinkarätigsten Präsidenten in der Chronik der USA - George W. Bush - als Sozialisten zu apostrophieren, da dieser ja sogar Banken unter Staatskontrolle habe stellen wollen.

Die Systemfrage steht für den einstigen Generalsekretär der KPdSU überhaupt nicht. In seinem Urteil geht es allein um die Rettung der ohne den Kapitalismus zum Untergang verurteilten Menschheit. Lenin unterstellt er groteskerweise, die herangereiften Bedingungen für die Revolution nicht gesehen zu haben, ja er behauptet sogar, der Führer der Bolschewiki habe sie auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben wollen.

Lächerliches bot er auch zur "deutschen Frage". Die Verantwortung für den Anschluß der DDR an die BRD trügen ganz andere als er, z. B. "jener Mann, der ihn Mitte Januar 1990 angerufen" hätte, dessen Name ihm angeblich aber nicht mehr einfallen wollte. Es handelte sich offensichtlich um Hans Modrow, der telefonisch und später im Vier-Augen-Gespräch mit Gorbatschow über das Schicksal der DDR konferierte. Damals war es ja noch üblich, sich beim "großen Bruder" Rat zu holen, wie unter internationalen Gesichtspunkten zu verfahren sei. Als Modrow damals aus Moskau zurückkam, brachte er von Gorbatschow die schockierende Losung "Deutschland einig Vaterland" mit. Offensichtlich hatte man sie ihm in Moskau aufgedrängt.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß Gorbatschow sein Spiel mit der BRD-Führung abgekartet hatte. Den "Reformern" an der Spitze der im Niedergang befindlichen UdSSR war eine weiterbestehende DDR ein Dorn im Auge. Sie paßte nicht in deren Pläne. Prinzipienlos verschacherte Gorbatschow unter Bruch des Völkerrechts den sozialistischen deutschen Staat. Der schmutzige Handel war perfekt. Die Bruderküsse mit den Vertretern der DDR fanden ihr Ende. Jetzt wurde der Kanzler des deutschen Imperialismus über Nacht zum Duzfreund des Mannes im Kreml.

Und wie steht es mit der Bundeskanzlerin Merkel? Auch sie dürfte der Renegat, der sich inzwischen zum Multimillionär gemausert hat, in sein Herz geschlossen haben. Vielleicht erfahren wir das ja noch. Angela, die sich einst in der Sowjetunion qualifizierte, könnte dann wenigstens "Bolschoe spassibo" sagen.

Dr. Rudolf Dix

Raute

Wie aus höflichem Abtasten ein hitziges Wortgefecht wurde

Rendezvous auf der Dresdner Augustusbrücke

Hier geht es nicht um das Weltkulturerbe Oberes Elbtal, sondern um deutsch-deutsche Befindlichkeiten. Eines Nachmittags spazierte ich in unserer "Vorzeigestadt" über die berühmte Augustusbrücke, wo sich seit geraumer Zeit viele Touristen aus dem Westen ins ostdeutsche Hinterland hineinwagen.

Von einem schicken, offenbar bürgerlichen älteren Ehepaar wurde ich höflich um Auskunft gebeten, ob die ehemalige Zigarettenfabrik Yenidse - "diese Moschee dort an der Elbe" - wohl eine arabische, türkische oder persische sei und ob sich die Muslime hier schon genauso breitmachten wie am Rhein. Bereitwillig gab ich Auskunft: "Im einstigen Deutschen Reich kam jede dritte Zigarette aus Dresden, und die vermeintliche Moschee war in Wirklichkeit die frühere Zigarettenfabrik Yasmatzi." Weiter ging die Fragerei über den Erlweinspeicher, das Opernhaus, die Gemäldegalerie und das Wettiner Residenzschloß bis hin zu sozialistischen Zweckbauten aus der DDR. Ich stellte mich aller Neugier und erwähnte auch, selbst am Wiederaufbau Dresdens tatkräftig mitgewirkt zu haben. Aus dem höflichen Frage-Antwort-Spiel entwickelte sich dann aber fast unvermeidlicherweise eine nicht mehr ganz so zurückhaltende Diskussion.

Als ich den Gästen aus dem Westen nämlich kundtat, ich wüßte nicht, was die Stadtoberen mit diesem oder jenem neuen Bauwerk im Auge hätten, weil sämtliche Zeitungen von mir abbestellt worden seien, da sie - bis auf eine, "RotFuchs" genannt - die Unwahrheit sagten, schmolz die zur Schau gestellte Liebenswürdigkeit dahin. Erwarteten die beiden von mir untertänige Dankbarkeit dafür, daß unser schönes Dresden wieder (durch ihr Geld!) auferstehe und erblühe? Ich ereiferte mich: "Schauen Sie sich doch genau um! Fast alle hiesigen Amtsträger stammen aus westlichen Gefilden. Ebenso die meisten Hausbesitzer. Wir müssen unsere Miete jetzt auf westdeutsche Konten überweisen." Die Sozialeinrichtungen, wie das Sachsenbad, die Mehrzahl der Industrieunternehmen - so auch das Sachsenwerk -, kleine Gewerbebetriebe sind allenthalben flächendeckend vernichtet. Unsere Leistungen werden herabgewürdigt (angeblich haben wir alten Bauarbeiter nur Schmons hingestellt), zählte ich der Reihe nach auf.

Damit hatte ich eine Bannmeile deutschdeutscher Höflichkeit überschritten. Ich spürte, wie plötzlich blanker Haß aufloderte. Klassenkampf war angesagt. Der vorher feine Herr polterte hitzig los: "Man hätte Euch alle Häuser, einfach alles abnehmen müssen ... Man sieht doch, wie Ihr die Stadt habt verkommen lassen, wie unfähig Ihr ward, die Wirtschaft voranzubringen und Wohlstand zu schaffen!" Ziemlich entsetzt über diesen Ausbruch entgegnete ich: "Unsere Häuser sahen leider nicht so geleckt aus wie Eure, doch bei Sport, Kultur, Bildung, Kindern und Jugend, Gesundheit und Sozialem war die angeblich marode DDR gewiß nicht kleinlich." Hier mischte sich die Gattin in den Schlagabtausch ein: "Sehen Sie, genau das war ja Ihr Fehler. Die Kinderbetreuung gab's kostenlos, aber für Haussanierung und Autos blieb kein Geld übrig."

Ich beschwor sie: "Gute Frau, das ehrt doch sogar im nachhinein die verblichene DDR, wenn sie sich so fürsorglich um Menschen statt um Sachen bemühte. Unser Alltag war eben nicht so schrecklich, wie man das heute in den Gazetten lesen kann. Trotz überfließender Supermärkte und allerlei Glitzerkram erinnern sich immer mehr Menschen an die humane Wirklichkeit ihres Staates." So beendeten wir unser harmlos begonnenes Gespräch ... verärgert, erregt, sogar feindselig. Aus anfänglicher Höflichkeit war ein hitziges Wortgefecht geworden. Das Ehepaar zog in Richtung "Goldener Reiter" - "Goldenes Zeitalter" ab, ich nahm den entgegengesetzten Weg mit dem Gefühl, daß doch noch viel Frust in der deutschen "Wiedervereinigung" steckt.

Mit dem RF weiß ich eine argumentative Hilfe an meiner Seite. Ich meine z. B. den blendenden Beitrag Walter Ruges in Nr. 133, in dem er ohne viel Aufwand und Theorie mit Leichtigkeit zu überzeugen weiß. Als ich seinen Artikel las, erinnerte ich mich sogleich an das überhebliche und rigorose Ehepaar, dem ich im letzten Sommer begegnet war. Alles muß sich rechnen! - das ist die Fasson solcher Leute. Kinderkrippen und -gärten, Kantinen, Klub- und Kulturhäuser, Kegelbahnen der Betriebe rechneten sich nach diesem Maßstab natürlich nicht.

Ein Produkt muß mit niedrigsten Kosten hergestellt und mit höchstem Gewinn abgesetzt werden. Das ist die einzige Logik der vom Kapitalismus genormten Gehirne. Begreift das doch endlich, Ihr Hinterwäldler aus dem Osten!

Den Satz Walter Ruges "viele Minuten, ja Stunden hat man da seinem sozialistischen Vaterland gestohlen", kann man übrigens insofern relativieren, als auch in der Alt-BRD die Devise galt: Freitag nach eins macht jeder seins.

Gewiß, manche Arbeitsbummelei bei uns war wirklich arg. Doch wenn mir die bourgeoise Dame auf der Augustusbrücke vorwarf, wir wären in der DDR nicht fleißig und effizient genug gewesen, hätten die Substanz aufgezehrt und damit den Zusammenbruch selbst herbeigeführt, dann steht diesem Manko auf der Habenseite ein DDR-Arbeitsvertrag gegenüber, bei dem es im Kleingedruckten hieß: in Verwirklichung des Rechts auf Arbeit!

Das Damoklesschwert der Arbeitslosigkeit, die menschenfeindliche Ausbeutung, die das Wesen des Kapitalismus ausmachen, gab es bei uns nicht. In den Augen von Kapitalisten war das sicher der größte Makel, für die überwiegende Mehrheit aber eine Errungenschaft.

Wenn durch "effiziente" Geldwirtschaft eine Handvoll superreich wird, während Millionen arm bleiben, macht diese Art des Wirtschaftens keinen Sinn. Man muß stets das Gesamtbild im Auge behalten.

Danke, Walter Ruge, für die Erkenntnis, die Du mir vermittelt hast. Mögest Du noch lange für uns am Leben bleiben, viel aufschreiben und der Jugend als Vorbild dienen!

Hans Morgenstern

Raute

RF-Extra

Brief eines in den 80er Jahren Geborenen an Alte und Junge

Das Feuer des Prometheus

Liebes "RotFuchs"-Team! Diesen Brief habe ich geschrieben, nachdem ich immer wieder zu Euren Veranstaltungen gegangen bin - begeistert, aber zu der Feststellung gezwungen, mit Abstand der Jüngste zu sein. Oftmals fragen sich die im Saal Anwesenden auch, weshalb die Jugend nicht erreicht wird. Dazu fielen mir einige Gedanken ein, die ich Euch zukommen lassen möchte. Vielleicht kann ich damit den einen oder anderen Denkanstoß und einen Beitrag liefern, der aus dem Herzen meiner Jugend entspringt.

Ich frage mich immer wieder, wie viele Menschen den Satz "Das Sein bestimmt das Bewußtsein" gelesen und überdacht haben. Ich tue das angesichts der Lethargie, die ich in den Gesichtern der meisten sehe, welche einst am Aufbau eines Landes mitwirkten, das - wenn schon nicht die beste, so doch die bessere - Alternative zu dem ist, was sich heute Deutschland nennt.

Wieso kommt eigentlich ein junger Kerl wie ich (in den 80ern geboren) auf die dreiste Idee, sich so etwas zu fragen und dann auch noch die Mehrzahl der anderen zu kritisieren?

Um verständlich zu machen, warum die Kommunikation zwischen Jungen und Alten oftmals nicht klappt, möchte ich folgendes voranstellen: Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen jenen, welche nach 1989 geboren wurden, und denen, die nach 1949 zur Welt kamen und in der DDR aufwuchsen. Es ist nicht primär das Alter, sondern etwas, das die heute Jungen mit denen gemein haben, die - auf Deutschland bezogen - weit vor 1945 ihr Leben begannen und diese Zeit bewußt in sich aufnahmen. Es ist die Tatsache, den Kapitalismus einschließlich Faschismus oder faschistoider Entwicklungen in der Jugendzeit selbst erlebt zu haben oder heute am eigenen Leibe zu erleben, damit aufzuwachsen.

Ihr, die Ihr nach 1949 geboren wurdet, hattet eine beschirmte Kindheit ohne die Drohung eines baldigen Krieges, während in unseren Tagen die Karten neu gemischt werden, geht es doch um eine abermalige Aufteilung der Welt. Ihr erlebt den Kapitalismus im letzten Drittel, Viertel oder Jahrzehnt Eures Lebens. Das ist einfach gesagt, aber wichtig, um zu verstehen, daß wir noch voller Energien sind, voll revolutionärer Ungeduld, wenn man das so nennen darf, während Ihr reich an Erfahrungen seid, die uns noch fehlen. Ich möchte niemandem etwas vorwerfen, sondern nur darauf verweisen, daß wir uns in einer verzwickten Lage befinden. Die Rechten sind seid Jahrzehnten gut vernetzt, stützen sich auf "alte Hasen", die erzählen, "wie schön es früher war". Mit "sachdienlichen Hinweisen" beeinflussen sie die Methoden des Handelns ihrer "Schützlinge". Daß sie damit Erfolg haben, konnte und kann immer wieder festgestellt werden.

Eine einzelne Biene trägt nur wenig Honig in ihren Stock, aber viele Bienen füllen ihn und stellen so die Nahrung für nachfolgende Generationen sicher. Gemeinsam statt einsam! So sollte die Devise für uns lauten! Wir befinden uns in einer Lage, die oftmals der Geschichte von dem Blinden und dem Lahmen ähnelt. Der eine konnte gehen, aber nicht sehen, der andere sehen, aber nicht gehen. Jeder besaß Fähigkeiten, die sein Partner nicht hatte. Als sie sich aber zusammentaten, lösten sie ihre Probleme. Davon sind wir leider in der Mehrzahl der Fälle noch Lichtjahre entfernt. Einerseits, weil die Jungen den Alten vorwerfen, sie schwelgten in Nostalgie, seien Dogmatiker oder ähnliches.

Was andererseits die Alten betrifft, so verstehen auch sie die Jungen nicht mehr so recht. Diese sind von vielen Ideen beeinflußt, konfus, ohne eigene Erfahrung, falsch informiert und fehlgeleitet. Den Älteren erscheint deren ganzes Auftreten suspekt. Meines Erachtens muß die Vorbedingung für eine generationenübergreifende Kommunikation zunächst einmal beiderseitiger Respekt sein.

Junge, hört bitte endlich einmal zu! Hört Euch einfach mal an, was die "alte Garde" zu berichten hat, man kann dabei nur gewinnen. Obwohl "früher" andere Zeiten herrschten, mußten zwischenmenschliche Probleme immer gelöst werden, auch wenn es so manche Unterschiede gibt.

Mein zweites Wort gilt den Alten: Erzählt! Nutzt Eure Zeit, ehe es zu spät ist! Vergrößert den Wissensschatz der Jungen! Und vor allem: Laßt sie aussehen, wie sie wollen! Laßt sie lieben, wen sie möchten, akzeptiert sie, wie sie sind: junge Menschen auf der Suche nach sich selbst und einem besseren Leben. Sie haben allerdings ungleich schwierigere Bedingungen, als die meisten von Euch hatten, als sie in diesem Alter waren.

Wenn alle bereit sind, aufeinander zuzugehen, dann kann Gemeinsamkeit beginnen. Aber bitte, begegnet euch als Gleichgesinnte. Wie oft habe ich es erlebt, daß in guter Lehrermanier der Finger gehoben wurde, um den Jungen das "wahre Verhalten" beizubringen. Primus inter pares (Erster unter Gleichen) ist hier die Devise. Überreden ist unfruchtbar, man soll zeigen und zu denken geben. Viele junge Menschen leben in prekären Verhältnissen, ohne sich dessen immer bewußt zu sein. Der erste Schritt muß daher behutsam erfolgen, mit Geduld und vollem Engagement.

Ich bewundere Menschen, die es sich trotz ihres hohen Alters nicht haben nehmen lassen, das Feuer des Prometheus, welches in ihnen lodert, nach wie vor wachzuhalten. Menschen, die versuchen, die Jungen zu erreichen, damit der Funke überspringt. Verwiesen sei hier auf jene, welche bereits in Spanien gekämpft oder im Untergrund dem deutschen Faschismus Widerstand geleistet haben. Menschen, die - wie oben beschrieben - im ersten Drittel ihres Lebens das Schicksal der heutigen Jugend teilen mußten. Sie kämpfen nach wie vor mit ganzer Seele für eine gerechtere Welt.

Dabei erfüllt die Alten das Wissen, daß sie diese selbst nicht mehr erleben werden. Die Tatsache, dennoch dafür eingetreten zu sein, erfüllt sie mit Genugtuung. Ich meine aber auch diejenigen, die sich von der Niederlage nicht haben aus der Bahn werfen lassen. An Alte wie Junge sei appelliert: Wer rastet, der rostet.

Klassenkampf ist Krieg zwischen zwei gesellschaftlichen Blöcken, die - wie es im richtigen Krieg zugeht - zur Erreichung ihres Ziels den Gegner niederkämpfen müssen. Die Mittel sind dabei vielfältig. Die Ausbeuterklasse ist derzeit die besser ausgerüstete und organisierte. Sie besitzt modernste Verdummungsmittel, um ihre Vorstellungen in den Hirnen der Massen zu verfestigen. So sieht es heute leider aus, denken viele. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit.

Feige und zum Untergang verdammt ist, wer ohne Kampf, ohne Auflehnung den Sieg an den Gegner abtritt. Solange wir den Willen besitzen, für eine gerechte Welt aufzustehen, können wir nicht wirklich besiegt werden. Jeder Marxist hat die Aufgabe, für seine Überzeugung zu kämpfen. Deshalb mein Appell: Gebt den Massenmedien der Bourgeoisie keine Chance!

Wie aber könntet Ihr Alten Euer Wissen an uns Junge weitergeben?

Hier sind ein paar Ratschläge aus meiner Sicht: Ich weiß, daß viele Ältere im Umgang mit den neuen Medien, in denen die künftigen Schlachten geschlagen werden, unsicher sind. (Verwiesen werden soll hier auf die massenhafte Mobilisierung vor allem junger Leute per Internet zum Protest gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm.) Liebe Junge, helft den Alten hierbei! Nehmt ihnen die Angst, organisiert Computerkurse, führt sie an das leicht verständliche E-Mail-Verfassen heran, oder schreibt selbst für sie! Helft einander! Organisiert eine Schreibfront, denn Geschichten gibt es genug zu erzählen!

Der Gegner überschwemmt das Schlachtfeld mit Filmen, Dokumentationen, Büchern (zur Geschichte, Biographien etc.), Gesprächskreisen, Shows, Radio-Features und ähnlichem, die einzig und allein dem Zweck dienen, die oftmals Geschwächten (in diesem Falle Euch und demzufolge auch uns) noch kraftloser zu machen. Also Schluß damit!

Die Geschichte wird Euch recht geben! Damit sie das kann, verändert Euer Umfeld, laßt Eure Meinung heraus, setzt zum Gegenangriff an! Seid eine Bewegung, die Druck von unten nach oben ausübt! Seid Lobbyisten - in unserem Sinne! Wehrt Euch, schreibt Biographien, schreibt Ideen auf, schreibt Leserbriefe (auch wenn sie von den bürgerlichen Redaktionen tausendmal nicht beantwortet, geschweige denn abgedruckt werden) - man nimmt sie doch zur Kenntnis. Die Redaktionen von Zeitungen, Funk und Fernsehen werden spüren, daß sich Unmut anbahnt und Menschen genug haben von Lügengeschichten und Schauermärchen - aber erst, wenn Tausende Briefe (auch elektronische) schreiben. Bei zwei oder drei Briefchen wird der Intendant lachen, deshalb müssen es Massen sein! Macht es Euch zum Hobby, schreibt jeden Tag einen Brief, eine E-Mail! Kritisiert, stellt richtig, hakt nach, werft unbequeme Fragen auf! Tut es!

Liebe Junge: Helft den Alten auch hierbei! Schreibt für sie, nehmt ihre Geschichten auf, "blogt", "youtubt", nutzt alle neuen Medien, verteilt, verschickt, betreut, aber tut es! Überfordert indes nicht die eigenen Presseorgane, sondern schreibt an die Medien der Bourgeoisie, schreit Eure Meinung heraus, zeigt Euren Protest, macht deutlich, daß Ihr nicht mehr die Verlierer sein wollt, zu denen man Euch machen möchte! Angriff ist die beste Verteidigung!

Verschont keinen Sender, weder Radio- noch Televisionsmonopolisten! Wenn nur einige wenige Ideen durch die Decke des Verblödungsdunstes der Meinungsmacher hindurchschimmern, werden die Menschen das aufnehmen und einen "Aha-Effekt" verspüren. Sie sollen merken, daß sie nicht allein sind. Und Ihr seid nicht allein. Bringt Moderatoren und Politiker aller Couleur in Verlegenheit, aber seid sachlich! Hört auf, über Parteizugehörigkeiten zu streiten oder Euch über einige Apparatschiks zu ärgern! Ruft an, sagt ihnen, was Ihr denkt, doch nicht nur einmal oder zweimal, sondern hundertmal! Sammelt Antworten, nehmt sie auf, und macht sie bei Freunden, in der Familie und vor allem bei jungen Leuten publik!

Zeigt Ihnen, was Vorbilder sind! Zeigt Ihnen, was in Euch steckt! Verändert die geistige Lage um Euch herum und befreit Euch aus der Isolation! Zeigt Klassenbewußtsein! Wenn allgemeine Lähmung vorherrscht, wie soll es dann weitergehen? Das Ziel ist eine geeinte Front aus Jungen und Alten. Sie muß stark genug sein, dem Demokratieabbau und der Faschisierung zu begegnen. Ihr Alten: Führt uns! Nehmt Anteil, und gebt ein Beispiel der Energie und Zuversicht im gemeinsamen Kampf.

Wir Jungen sind die Zukunft, für die Generationen gefallen sind und Millionen Menschen weltweit sterben mußten. Bitte helft uns mit Eurer Initiative, mit Eurer Expertise, mit Wissen aus Zeiten, in denen es ein Deutschland gab, von dem nie wieder Krieg ausgehen sollte! Investiert in Eure Zukunft, investiert in die Jugend!

Ernesto Athanaton

Raute

Was bei der Lobpreisung glorreicher Jubiläen zu beachten ist

Hinweise für Volksaufklärer

Die Große Deutsche Freiheitliche und Friedliche Revolution (GDFFR) begeht in diesem und im nächsten Jahr ihr 20. Jubiläum. Damit ist eine Reihe von Erinnerungstagen verbunden, besonders die Öffnung der Staatsgrenze (im gleichgeschalteten Jargon auch "Mauerfall" genannt) am 9. November 1989 und die laut Kohl "erste wirklich freie und direkte Wahl in der DDR" am 18. März 1990. Das Ganze krönt die Einverleibung dieses Staates durch die BRD am 3. Oktober 1990. Das Katastrophendatum wird auch als "Tag der deutschen Einheit" ausgegeben.

Alle drei Termine werfen ihre Schatten voraus und verlangen stabsmäßige Planung sowie konzertierte Anstrengungen der Ämter, Ministerien und Redaktionsstuben des Bundes und der Länder. Ich bin sicher, daß man keine Mittel und Mühen scheuen wird, um eine perfekte Gehirnwäsche sicherzustellen. Dabei soll nicht verschwiegen werden, daß so manche Unwägbarkeiten lauern. Deshalb will ich den Damen und Herren Volksaufklärern einige Vorschläge unterbreiten, wie man die kitzlige Jubiläumsfrage angehen und was man tunlichst vermeiden sollte.

Zur Sache:

Erstens ist unbedingt an der These festzuhalten, daß dem 3. Oktober 1990 eine Revolution vorausging, auch wenn der soziale Inhalt des Geschehens die Anwendung dieses Begriffs völlig ausschließt. Denn eine Revolution hat stets historischen Fortschritt - vom Volk getragen und dessen Interessen dienend - zur Voraussetzung. Hier liegen ja gediegene Erfahrungen vor. Man sollte daran denken, daß oftmals ein progressiv belegter Terminus - und zwar nicht ohne Wirkung auf das Geschichtsbewußtsein und die Schaffung reaktionärer Identitäten - in sein Gegenteil verkehrt worden ist. Hatte nicht Goebbels den 30. Januar 1933, den Tag des Machtantritts der Faschisten, eine "nationale Revolution" genannt, was fest im Bewußtsein der Mehrheit der Deutschen dieser Generation verankert wurde?

Zweitens wird man den Kohl-Mythos weiter zu verfestigen haben, dieser Kanzler gehöre neben Bismarck und Adenauer in die Reihe der drei größten Regierungschefs deutscher Geschichte. Und zwar als "Kanzler der Einheit". Träfe das durchaus auf Bismarck zu, den Engels als Revolutionär "von oben" charakterisierte, wenn auch das Reich mit "Blut und Eisen" geschaffen wurde, so dürfte es mit Adenauer sehr viel schwieriger sein. Immerhin war er schon in jungen Jahren ein überzeugter Separatist, der später zielstrebig die West-Einbindung der BRD vorantrieb und zu Recht als Spalter Deutschlands bezeichnet wird. Das bestreiten nicht einmal ernstzunehmende konservative Historiker.

Also müßte man diese Tatsache, wie überhaupt die gesamte imperialistische Restauration und die Frühgeschichte der Westzonen bzw. der BRD ersatzlos streichen. Was ja auch, zumindest in den Medien, längst geschehen ist. Man weiß, warum: Zuviel Peinliches käme ans Licht. Zum Beispiel die braunen Wurzeln tonangebender Politiker, Ideologen, Militärs, Geheimdienstexperten und Polizeioberer ins Bewußtsein zu heben, würde wenig Sinn machen. Statt dessen sollte man den klugen Satz unserer Kanzlerin, die BRD sei "von Anfang an demokratisch und entsprechend legitimiert" gewesen, bei jeder Gelegenheit wiederholen. Geschickt verpackt, vielleicht umkränzt mit geeigneten Sprüchen Gaucks und Birthlers, wird das schon klappen.

Es gilt um jeden Preis an der absolut glaubwürdigen These festzuhalten, die bundesdeutschen Politiker und Ökonomen seien "gänzlich unvorbereitet in die Einheit des Landes gegangen". Seit fast 20 Jahren wird das gebetsmühlenartig durch alle Parteien - von der CDU bis zur "Linken" - wiederholt. Die Tatsachen lassen etwas ganz anderes erkennen. Man muß nur an das Wirken des berüchtigten "Forschungsbeirats für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands" erinnern. Bereits 1952 gegründet, wurde er bald darauf in sieben Ausschüsse und 35 Arbeitsgruppen unterteilt. Zu den Mitgliedern dieses illustren Gremiums zählten Vertreter des Bundesverbandes der Industrie, der Interessengemeinschaft in der Zone enteigneter Betriebe - IOB, der Deutschen Bundesbank, Staats- und Wirtschaftswissenschaftler, Spitzenvertreter der Bundestagsparteien und Beauftragte der Regierung. Vorsitzender wurde kein anderer als der große Demokrat Dr. Friedrich Ernst. Auf ihn war man nicht zufällig verfallen: Dieser Mann besaß Erfahrungen und wies wie kein anderer Verdienste auf. Schließlich hatte ihn Hitler schon 1935 zum Reichskommissar für das Deutsche Kreditwesen ernannt. 1939 nahm er die nächste Sprosse in der Karriereleiter: Er wurde "Reichskommissar für die Verwaltung des feindlichen Vermögens" in den von Hitlerdeutschland okkupierten Ostgebieten. Mit anderen Worten: Koordinator für die Ausplünderung der überfallenen Länder. Auf diesem Posten stand er bis 1941, um anschließend an der Formulierung der Grundsätze des "Wirtschaftsstabes Ost" mitzuwirken, die nach dem Überfall auf die UdSSR in Kraft traten.

Damit hatte Adenauer mit sicherem Blick den richtigen Spezialisten gefunden. Unter Führung von Ernst und seinen Nachfolgern wurde eine Vielzahl von Detailplänen zur Liquidierung der DDR ausgearbeitet. In deren Mittelpunkt standen die Rückverwandlung der Eigentumsverhältnisse an den wichtigsten Produktionsmitteln in Stadt und Land sowie die Wiedereinführung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Selbst die "Einsetzung von Treuhändern" bis hin zu deren Befugnissen spielten eine Rolle. Bereits 1964 war die Umwandlung der LPGs in "Übergangsgenossenschaften" und deren anschließende Auflösung beschlossene Sache. Auch eine "Währungsumstellung" wurde schon damals ins Auge gefaßt. Sie betraf u. a. Löhne, Gehälter und Renten. Kurzum: Die Macht- und Eigentumsstrukturen der DDR standen restlos zur Disposition.

Also, Ihr Schreiber, Redenverfasser und Talkshow-Dresseure, seid gefälligst nicht zimperlich, wenn Ihr den großen Jahrestag hochjubelt.

Ein Wort noch zur "Treuhand": Auch hier kann es für die Ausdeuter der "friedlichen Revolution" durchaus ungemütlich werden, sprechen doch die Tatsachen für sich. Wenn etwa vier Fünftel des Aktenmaterials der "Treuhänder" unter rigorosem Verschluß liegen, bleiben immer noch 20 % übrig, die ausreichen, um die Treuhandgesellschaft als kriminelle Vereinigung im durchaus strafrechtlichen Sinne zu betrachten. Ihr Wüten schließt das Attribut "friedlich" bei der Charakterisierung der GDFFR (siehe oben) grundsätzlich aus. Das Gegenteil wird sichtbar: Die Treuhand war das Hauptinstrument dieser sogenannten Revolution. In kurzer Zeit stahlen "Aufbauhelfer-Ost", "Sanierer", "Enteigner" und andere Wirtschaftskriminelle das Kollektiveigentum von 16 Millionen DDR-Bürgern durch Privatisierung. In der Frist eines Steinwurfs der Geschichte wurde ein vormals moderner Industriestaat seiner ökonomischen Basis beraubt. Die Wiederherstellung früherer Gesellschaftsverhältnisse ist im Sinne der marxistischen Klassiker aber eine Konterrevolution.

Rolf Hochhuth hat in seinem Stück "Wessis in Weimar" das Geschehen als Variante des Kolonialismus bezeichnet, "wie er nirgendwo gegen Menschen des eigenen Kontinents, geschweige denn des eigenen Volkes je praktiziert wurde".

1975 war übrigens der zuvor erwähnte "Forschungsbeirat" auf Drängen der UdSSR aufgelöst worden. Das geschah zu einem Zeitpunkt, als die bis dahin gültige Strategie des "Zurückrollens des Kommunismus" durch die Konzeption "Wandel durch Annäherung" abgelöst wurde. Das Ziel blieb gleich. Damit bestanden die Grundelemente des Plans einer GDFFR natürlich unverändert weiter, wenn sich auch andere internationale Bedingungen eingestellt hatten. Die DDR war inzwischen von den meisten Staaten diplomatisch anerkannt und Mitglied der UNO. Das machte die Sache der Bonner "Revolutionäre", die den sozialistischen deutschen Staat sturmreif schießen wollten, nicht leichter.

Auch im Zusammenhang mit dem im nächsten Jahr anstehenden Jubiläum der Wahlen vom 18. März 1990 haben die Propagandisten der gleichgeschalteten Medien einiges in Betracht zu ziehen. Erinnert sei an Kohls Worte im Westberliner Gästehaus der Bundesregierung unmittelbar nach dem Sieg des Wahlbündnisses der bereits verstümmelten Ost-CDU und ihr nahestehender Gruppierungen (Stimmenanteil: 47,79 %): "Die Ereignisse in der DDR - wohl die friedlichste Revolution in der Geschichte der Deutschen - haben es möglich gemacht, daß es zu dieser freien Wahl kam."

Ein solcher Satz, das sei nachdrücklich unterstrichen, darf in keinem Artikel, keiner Rede, keiner Sendung dieses Jahres fehlen. Bei anderen Kanzlersätzen ist indes eher Vorsicht geboten. Ich meine z. B. Kohls Worte, die er am 20. Februar 1990 auf dem Erfurter Domplatz gebrauchte: "... und gemeinsam mit Ihnen werden wir hier in kurzer Zeit ein blühendes Land schaffen".

Freilich, diese Aussage ging damals in geneigte Ohren. Mit dem "blühenden Land" haperte es gehörig, denn auch nach fast zwei Jahrzehnten ist eine deutliche Mehrheit der Ostdeutschen mit den Ergebnissen unzufrieden. Also besser kein Rückgriff auf Kohls Ansprache, die seinerzeit den Wahlkämpfern der "Allianz für Deutschland" als "Musterrede" diente. Das Thema ist zu heikel. Doch wie auch immer: Der überwiegende Teil der Ostdeutschen glaubte wohl mit seinem Bekenntnis zum sozialen Besitzstand der DDR auch noch die Wohltaten der bundesrepublikanischen Marktwirtschaft einzuheimsen. Ein kapitaler Irrtum, wie sich schon bald zeigte.

Doch waren die Märzwahlen 1990 tatsächlich so demokratisch und frei, wie die Standardphrase verkündet? Modrows Regierung, daran sei erinnert, hatte gemeinsam mit dem "Runden Tisch" unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht jedes Volkes gefordert, daß keine BRD-Politiker am Wahlkampf in der DDR teilnehmen dürften. Man bedenke, daß dieser Staat damals noch souverän war und daß die Nichteinmischung äußerer Kräfte in interne Wahlvorgänge als integrierender Bestandteil demokratischer Wahlen galt. Das ist bis heute so.

Aber was geschah? CDU/CSU, SPD und FDP schlugen dieses Gebot in den Wind. Was Kohl als freie Wahl ausgab und der sächsische Staatsminister Geißler gar den "Tag der Freiheit" nannte, bezeichnete der Antikommunist Egon Bahr als die "schmutzigsten Wahlen, die (er) je in seinem Leben beobachtet" habe. Und damit hatte dieser Spitzenpolitiker der SPD durchaus recht. Denn eine nicht mehr zu überblickende Schar, besser Horde, von "Wahlkämpfern" aus der BRD, bekannte und namenlose, fiel in die DDR ein und wurde von solchen dubiosen Gestalten wie Schnur, Ebeling, Krause und de Maizière wohlwollend begrüßt. Wer erinnert sich noch an die drei Erstgenannten? Schnur wurde wie Krause später kriminell. Ebeling, Chef der ostdeutschen CSU-Variante DSU, tauchte bald in der CDU ab und wurde - wie übrigens auch de Maizière - nicht länger benötigt. An einem einzigen Tag, dem 14. März 1990, waren folgende prominente Wahlkämpfer in der DDR eingesetzt: Kohl in Leipzig, Graf Lambsdorff in Eisenhüttenstadt, Späth in Görlitz und Genscher in Zwickau. Diese Aufzählung ist höchst unvollständig. Besonders Ebeling, Pfarrer an der Leipziger Thomaskirche, drängte in die Geschichtsbücher, käme er doch, wie er auf dem CSU-Wahlparteitag in der Passauer Nibelungenhalle verkündete, "aus der leider noch existierenden DDR". Tage zuvor hatte er seine bayerischen Gäste - unter ihnen Waigel - in Leipzig begrüßt. Ebeling krönte den BRD-Finanzminister gleichsam zum Ersatzpapst, indem er ihn anflehte: "Helft uns, der Sohn wird den Rat des Vaters annehmen."

Mit den Rednern der Westparteien wurden Wahlkampfmittel in Millionenhöhe angelandet. Und auch die BRD-Ministerien und Stiftungen ließen sich nicht lumpen. Hunderttausende Winkelemente, Fähnchen, Kugelschreiber und anderes Dekor gab es ebenso wie kostenlose Ausfahrten mit Pferdekutschen oder stramme Reden von "Freiheit statt Sozialismus" nebst Kaffee und Kuchen. Allein der Henkel-Konzern schickte 2,5 Tonnen 1a-Leim, damit die Wahlplakate der Schwarzen auch hafteten. Damit wurden indes vor allem die DDR-Bürger geleimt.

Also, Ihr Propagandisten des Jubiläumsjahres: Vergeßt nicht, den selbstlosen Wahlhelfern von einst goldene Lorbeerkränze zu winden. Und noch eins: Von Einmischung und Völkerrechtsbruch kein Wort! Niemand darf uns die Festtagslaune vermiesen! Laßt die Sektkorken knallen!

Dr. Peter Fisch

Ende RF-Extra

Raute

Ein Kompaß, der direkt in die Hölle führt

Mit Gott zum Teufel

Zum Reaktionärsten und Abgefeimtesten im Ressort von BRD-Kriegsminister Franz Josef Jung gehört ohne Zweifel die als Militärseelsorge getarnte pseudoreligiöse Indoktrination. "Kompaß. Soldat in Welt und Kirche" nennt sich die reich bebilderte Postille des Katholischen Militärbischofs für die deutsche Bundeswehr. Für zu "Friedensmissionen" an Brennpunkten des internationalen Geschehens ausersehene Höllenkandidaten gedacht, vermittelt das Blatt tiefe Einblicke in die unmittelbare Verzahnung der militärischen mit der klerikalen Hierarchie im "freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat". Man erfährt Wissenswertes über die enorme Personaldichte der uniformierten Künder göttlicher Offenbarung.

Da wird z. B. vom "Tag der Besinnung" mit katholischen Generalen und Admiralen der Armee des deutschen Imperialismus berichtet. Das 160. Kirchweihfest von St. Marien, bei dem Militärbischof Dr. Walter Mixa den Festgottesdienst abhielt, rückt ins Auge des Betrachters. Man erfährt, daß dieses hehre Gotteshaus "von 1937 bis zum Ende des 2. Weltkriegs Garnisonskirche" gewesen und dann "von den Alliierten gepachtet" worden sei.

Bischof Mixa habe die "gnadenlosen Diktaturen des 20. Jahrhunderts" gegeißelt. Im Jahre 1989 sei es nur "einem Eingriff und einem Wunder Gottes" zu verdanken gewesen, daß es "bei der Wiedervereinigung nicht des Einsatzes von Kugeln und Panzern bedurft" habe. Generalleutnant Jan Oerding - bis zu seiner unlängst erfolgten Versetzung in den Ruhestand Befehlshaber des Kommandos Operative Führung Einsatzkräfte - sprach sich für den "Dialog von Kirchenleuten und Soldaten in einer Zeit hoher Anforderungen an die Bundeswehr" aus. Generalleutnant Tanderecki dankte dem Militärbischof und dem Vertreter der päpstlichen Nuntiatur. "Sie haben uns auf eine andere Stufe des Bewußtseins geführt", träufelte der Militär Balsam in die Seelen der hochbestallten Kirchenbeamten.

Unterdessen zeichnete Papst Benedikt XVI. den Militär-Generalvikar Walter Wakenhut mit dem fünfthöchsten Orden des Vatikans aus. Träger des Silvesterordens - auch General Oerding kann dessen Glanz genießen - steigen in den Rang eines Ritters auf. Mit der Dekoration sind besondere Privilegien verbunden. So darf der Geehrte die Treppe zum Petersdom hinaufreiten. Ist das etwa nichts? - Bald darauf wurden Offiziere der Führungsunterstützungsschule (FüUstgSBw) zu Seminartagen in die Erzabtei des Benediktinerklosters St. Ottilien einberufen. "In ruhiger Atmosphäre" sei das Thema "Umgang mit Konflikten" behandelt worden, berichtete "Kompaß". Die teilnehmenden Militärs habe Brigadegeneral Helmut Schoepe angeführt, der ein Gefühl der Rührung nicht verbergen konnte.

Auch in der Offiziers-Arbeitsgemeinschaft, die im Kloster Worms tagte, konnten 13 Offiziere des deutschen Anteils des Heidelberger NATO-Hauptquartiers Höchstaktuelles erfahren. Das Thema lautete hier: "Umgang mit Verwundung und Tod". Die ins Kloster eingerückten katholischen Bw-Militärs "berichteten Neuestes aus ihrem langjährigen Erfahrungsschatz". Die "Erlebnisse aus dem vorjährigen Einsatz im Hauptquartier der ISAF" (Afghanistan) hätten im Zentrum der Beratung gestanden, wurde mitgeteilt. Militärseelsorger Stephan habe "verschiedene Strategien und Lösungsmöglichkeiten zu der Thematik angeboten". Ein "Allheilmittel oder Rezept für alle möglichen Situationen" gebe es nicht. Aus der Sicht der Macher des scheinbar friedfertig daherkommenden Kampfblattes, das man getrost unter das Motto "Mit Gott zum Teufel!" stellen könnte, ist der "starke Zustrom neuer Militärseelsorger" besonders erfreulich. "In einer Zeit schwindenden Christentums" müßten mehr Geistliche und pastorale Referenten zur Verfügung stehen.

Übrigens ist man - abgesehen von der Betreuung der "Friedens-" und "Aufbau"-Einsätze in Afghanistan und delikaten Missionen vor Libanons Küsten oder am Horn von Afrika - auch militärkirchlicherseits im Ausland recht rührig. So besuchte Bischof Mixa erst kürzlich wieder seine Schäfchen in den USA. Oberst Peter Klement, der Kommandeur des "Fliegerischen Ausbildungszentrums auf der U.S. Air Force Base Holloman (New Mexico), wo derzeit 600 Bundeswehrangehörige abgerichtet werden, dankte Militärbischof Mixa ebenso wie Oberst Michael Kuhn, Standortältester in Fort Bliss. Dieser befehligt 300 BRD-Soldaten, die beim deutschen Luftwaffenkommando USA - Kanada sowie im Taktischen Aus- und Weiterbildungszentrum der FlaRak ihren friedenssichernden Dienst tun.

Wir haben an der Hand von "Kompaß" eine Kurzreise durch die Militärseelsorge der Bundeswehr unternommen. Obwohl einem das von diesem Blatt vorgesetzte Menu den Appetit gründlich verderben kann, ist unsere Kolportage so gelassen wie möglich ausgefallen. Dennoch sollte man dessen gewiß sein: Hier handelt es sich um einen kirchlichen Kompaß, der direkt in die Hölle führt.

Klaus Steiniger

Raute

Krippen in der Kaserne

Per Fernsehen präsentierte die Bundeswehr jüngst ein zukunftsträchtiges Pilotprojekt: Fortan sollen in den Kasernen auch Kindergärten und Krippen eingerichtet werden. Diese Idee entstand als Reaktion auf einen Bericht des obersten Bundeswehrseelsorgers, der bemerkte, daß sich immer mehr Soldaten, besonders Soldatinnen, darüber beklagen, ihre Wehrtätigkeit werde durch eigene Kinder arg eingeschränkt. Man bedenke die Distanz, welche die kriegerischen Eltern zurücklegen müssen, um den Nachwuchs abzuholen. Das brachte den Wehrbeauftragten des Bundestages auf die Idee, den Komfort für die Soldaten-Eltern zu verbessern.

Erste Projekte mit Krippen sind bereits angelaufen. So können die Kleinen Mama und Papa bei der Arbeit an der Waffe besuchen. Und unser Minister Jung ist froh, die Soldaten "stärker an die Bundeswehr zu binden".

So ist sie, unsere Armee. Wie eine Mutter mit Schießrohr. Auch die Kleinen werden diese Geborgenheit spüren, um vielleicht eines Tages selbst den Dienst anzutreten, denn "der Bedarf an Soldaten ist hoch". Schon bald soll auch der Bundeswehrkindergarten für die etwas Größeren seine Pforten öffnen. Unser Wehrbeauftragter kann die kritischen Töne von Skeptikern nicht verstehen. Was soll daran schlecht sein, wenn Kleinkinder jeden Tag in den Kasernen umhegt werden? Er sagte dazu: "Ich verstehe die Aufregung nicht. Unsere amerikanischen Freunde machen es doch längst so."

Markus Fiebig, Gordemitz

Raute

Nach dem Ausscheren der Rechtsliberalen aus dem ANC

Südafrika an einem Wendepunkt?

Am 22. April - lange nach Redaktionsschluß dieser RF-Ausgabe - haben in der Republik Südafrika Parlamentswahlen stattgefunden. Ohne um ihren Ausgang zu wissen, können wir uns hier - gestützt auf seriöse internationale Quellen - zu einigen tatsächlichen Vorgängen äußern, die über den Abstimmungstag hinaus von Bedeutung sein dürften.

Seit dem 1994 errungenen Wahlsieg des durch Nelson Mandela würdig repräsentierten Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), der schwarzen Bevölkerungsmehrheit sowie anderer progressiver Kräfte über das rassistische Apartheid-Regime besteht in Südafrika eine fundamental veränderte Situation. Die schon 1910 formierte Befreiungsbewegung ANC - sie hatte seit 1962 den bewaffneten Kampf geführt - ist seitdem in Pretoria Regierungspartei. Der ANC tritt trotz nie abreißender interner Konflikte und vor allem des massiven Widerstandes der Rechten bis heute in einer Dreier-Allianz mit der einflußreichen Gewerkschaftszentrale COSATU und der kampferprobten, bereits 1921 gegründeten KP Südafrikas (SACP) auf.

Im Zuge der Politik des Black Economic Empowerment, wie die "wirtschaftliche Teilhabe" einer dünnen Schicht Schwarzer bezeichnet wird, bildete sich neben dem kolonialistisch-monopolistischen weißen Kapital eine inzwischen sehr einflußreiche schwarze Großbourgeoisie heraus. Sie ist Komplize bei der Ausbeutung der überwiegend in bitterer Armut lebenden Massen. Ihr Programm war der sogenannte Wachstums-, Entwicklungs- und Umverteilungsplan (GEAR). Eine Reihe wichtiger Staatsbetriebe wurde privatisiert. Die Korruption nahm auch in Kreisen des ANC enorme Ausmaße an. Sie verstärkte sich vor allem nach der eindrucksvollen Amtsperiode des Nationalhelden Nelson Mandela.

Der den südafrikanischen Kapitalismus stärkende Kurs, für den besonders der 1999 ans Ruder gelangte Thabo Mbeki stand, löste bei der Bevölkerungsmehrheit trotz einer Reihe unverkennbarer Fortschritte Unzufriedenheit aus. 2004 kam es zu großen Streiks, die von der COSATU organisiert und durch die SACP unterstützt wurden. Im Juni 2007 gingen mehr als eine Million Beschäftigte des öffentlichen Dienstes auf die Straße, um höhere Bezüge, verbesserte Wohnverhältnisse sowie Fortschritte im Gesundheitswesen und in der Volksbildung einzufordern. Im August 2008 folgte eine weitere Streikwelle, die vor allem die Autoindustrie erfaßte.

Damals konstatierte die Führung der SACP: "Hauptnutznießer des Kurses der Staatsintervention, der Stabilisierung und des ökonomischen Wachstums war das Großkapital."

Unterdessen vollzogen sich in Südafrika auch gravierende politische Veränderungen: Zu den diesjährigen Aprilwahlen präsentierte sich ein "gereinigter" ANC, nachdem große Teile des rechten Flügels unter Führung des ehemaligen Verteidigungsministers Lekota und mit Zutun des Expräsidenten Mbeki im Dezember 2008 eine neue, von der inländischen Ausbeuterklasse und imperialistischen Kräften des Auslands geförderte Partei - den Kongreß des Volkes (COPE) - gegründet hatten. Er sucht sich seitdem als entscheidende Gegenkraft zum ANC zu profilieren. Die Dreier-Allianz ANC-COSATU-SACP ging geschlossen in den Wahlkampf, wobei Gewerkschafter und Kommunisten zur Stimmabgabe für die ANC-Listen aufriefen.

Zuvor hatte sich der seit drei Jahren schwelende Konflikt mit der durch die ANC-Spitze erzwungenen Demission Mbekis als Staatspräsident und seiner Niederlage bei der Wahl des ANC-Vorsitzenden explosionsartig entladen. Gegen den Widerstand der bourgeoisen Kräfte im ANC-Lager war der linksgerichtete und populäre Jacob Zuma (unser Foto), den Mbeki zuvor ohne Konsultation der Basis unter der Bezichtigung der Korruption als Vizepräsident der Republik und des ANC ausgebootet hatte, auf dem Kongreß der Organisation in Polokwame (Dezember 2007) zum neuen ANC-Präsidenten gewählt worden. Richter Nicholson, der im Korruptionsprozeß gegen Zuma in Pietermaritzburg den Vorsitz führte, verwahrte sich im September 2008 nachdrücklich gegen politische Einmischung in das Verfahren. Gemeint waren die Intrigen Mbekis und seiner Mannschaft. So kam die Lawine ins Rollen. Am 21. September trat der schwer kompromittierte Staatschef mit zehn seiner Minister zurück.

COSATU und SACP unterstützen Zuma, der gute Aussichten hat, nach dem derzeitig amtierenden ANC-Veteranen und einstigen Mandela-Mithäftling Motlanthe nächster Präsident Südafrikas zu werden. COSATU-Generalsekretär Zwelinzima Vavi, Mitglied des Politbüros der SACP, ließ zugleich keinen Zweifel an den Erwartungen der durch die Gewerkschaftszentrale vertretenen Arbeiterschaft. "Die neugewählte Führung darf nicht vergessen, daß sie dem Wohl des Volkes zu dienen hat. Sollte sie ihr Mandat nicht erfüllen, wird man sie des Amtes entheben", erklärte er.

SACP-Generalsekretär Blade Nzimande sprach sich für den Fortgang und die Vertiefung einer radikalen nationaldemokratischen Revolution in Südafrika aus. Das auf Spaltung und Desorientierung zielende Ausbrechen der Renegaten vom ANC werde die Organisation perspektivisch stärken. Der Flügel, der die Interessen der Kompradorenbourgeoisie am massivsten wahrgenommen habe, sei jetzt überwiegend in Lekotas COPE versammelt, den die Medien der Monopole - Wortführer eines rabiaten Antikommunismus - frenetisch feierten. Nicht die SACP habe trotz des Drängens der Rechten im ANC die Dreier-Allianz aufgekündigt, sondern der in den ANC eingedrungene Klüngel der neuen Liberalen um Mbeki sei diesen Weg gegangen.

Es bleibt in Südafrika auch weiterhin spannend. Die Karten werden neu gemischt. Trumpf dürfte nach wie vor der traditionsreiche ANC bleiben. Doch auch COPE macht seine Stiche. Mit im Boot befinden sich auf alle Fälle die starken Kommunisten, die aus ANC und COSATU nicht mehr wegzudenken sind.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel, "The Socialist Correspondent", London, und "The Guardian", Sydney

Raute

Griechenlands Kommunisten kündigen Gegenoffensive an

Signale des 18. Parteitags der KKE

Der 18. Kongreß der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), der vom 18. bis 22. Februar in Athen tagte, hat nicht nur der hellenischen Arbeiter- und Volksbewegung, sondern auch den Fortschrittskräften in aller Welt starke Impulse verliehen. Das hing nicht nur damit zusammen, daß die fünftägigen Beratungen durch Abgesandte von 90 Parteien aus 72 Ländern unmittelbar verfolgt wurden, sondern war auch einer anderen Tatsache geschuldet: Nach dem Sieg der Konterrevolution in der UdSSR und den europäischen sozialistischen Ländern hat wohl kaum eine Partei so viel für die Wiederherstellung der Aktionsfähigkeit und des Zusammenhalts der internationalen kommunistischen Bewegung geleistet wie die KKE. Die Jahr für Jahr in Athen abgehaltenen Beratungen - inzwischen haben sie auch in Lissabon und Minsk stattgefunden - stärkten den Überlebenswillen und die Kampfkraft der mehr denn je im Trommelfeuer des Klassenfeindes liegenden Kommunisten vieler Länder aller fünf Kontinente.

Angesichts der massiven Angriffe von Antikommunisten jeglicher Couleur - von der offenen Rechten bis zu gewissen pseudosozialistischen Europa-Linken - traf die Hauptlosung des KKE-Parteitags ins Schwarze: "Kongreß der Gegenoffensive".

Die von den 435 Delegierten einstimmig an die Spitze des 77köpfigen Zentralkomitees wiedergewählte KKE-Generalsekretärin Aleka Papariga sprach sich für den Aufbau einer sozialen Allianz des Fortschritts als antiimperialistischer Volksfront aus und erklärte: "Der Sozialismus ist zeitgemäß und historisch notwendig." Die Krise des Systems habe Griechenland erreicht - sie werde scharf sein und lange andauern.

Während die gesamte Partei auf einen entschiedenen Kampf um ein Maximum an Mandaten im Europaparlament und bei den später anstehenden innergriechischen Wahlen eingeschworen wurde, blieb die KKE auch im Hinblick auf das Europa der Monopole - die EU - und eurosozialistische oder eurokommunistische Kräfte nicht bei lauwarmen Halbheiten stehen.

Gründlich fiel die Analyse der innenpolitischen Konstellation aus: Die Partei ist ein bedeutender Faktor der griechischen Politik. Sie verfügt mit der KNE über einen schlagkräftigen, weiter an Einfluß gewinnenden Jugendverband, der auf die Athener Ausschreitungen nach der Ermordung eines jungen Demonstranten durch die Polizei besonnen und diszipliniert reagiert habe, wurde festgestellt. Die der KKE nahestehende gewerkschaftliche Arbeiterfront P.A.M.E. wachse enorm und habe sich bei mehreren Generalstreiks als motorische Kraft erwiesen. Auch der linke Bauernverband PASY spiele eine maßgebliche Rolle bei den zahlreichen Märschen und Blockaden gegen den 40%igen Preisverfall von Agrarprodukten wie Baumwolle, Mais und Honig, der das Einkommen der Landbevölkerung dramatisch schmälere.

Die beiden politischen Hauptkontrahenten der KKE - die neokonservative Neue Demokratie (ND) und die sozialdemokratische PASOK - unterschieden sich zwar in Kostümierung und Wortwahl, stünden aber mit verteilten Rollen gemeinsam für "Sozialpartnerschaft aller produktiven Kräfte", also den Kurs des Kapitals. Dabei gehe es um die Sicherung der Profite bei gleichzeitiger Bereitstellung von Aspirin für die verelendeten Massen.

Einen wichtigen Beitrag leistet die KKE, wie der 18. Parteitag erneut bewies, zur Debatte über unterschiedliche Sozialismus-Erfahrungen in verschiedenen Ländern. Trotz der schweren Rückschläge und der Niederlage um die Sowjetunion gruppierter sozialistischer Länder halten Griechenlands Kommunisten am großen Ziel fest. "Das 21. Jahrhundert wird eine revolutionäre Alternative des Sozialismus auf die Tagesordnung setzen", sagte Aleka Papariga voraus.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel, und "The New Worker", London

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Vor 90 Jahren wurde die Komintern gegründet

Im März 1919 entstand mit der in Moskau gegründeten Kommunistischen Internationale (Komintern/KI) eine Dachorganisation, der die marxistisch-leninistischen Parteien ihrer Zeit als Sektionen angehörten. Waren in der Geburtsstunde der KI erst 51 Vertreter aus 29 Ländern zugegen, so wuchs sie bis 1935 auf 61 Parteien mit 3,1 Millionen Mitgliedern an. 785.000 waren außerhalb der UdSSR, deren Verteidigung im Mittelpunkt des Wirkens der KI stand, organisiert. Die stärkste Sektion neben der KPdSU bildete die KPD. Sie erhielt 1932 knapp 6 Millionen Stimmen und hatte 252.000 Mitglieder.

Nach einer verhängnisvollen Fehlentscheidung auf dem VI. Weltkongreß (1928), der die Sozialdemokratie zum Hauptfeind der kommunistischen Bewegung erklärt hatte (Sozialfaschismus-These), erfolgte 1935 auf dem VII. (und letzten) Weltkongreß die notwendige Kurskorrektur. Die KI wandte sich nun der breiten antifaschistischen Volksfront zu. Georgi Dimitroffs Rede zu dieser Frage ging in die Geschichte ein.

Der Abschluß des Nichtangriffsvertrages zwischen der UdSSR und Nazi-Deutschland am 24. August 1939 stellte die KI vor eine Zerreißprobe. Die Komintern wurde 1943 mit der Begründung aufgelöst, sie habe ihre Aufgaben erfüllt. Eine internationale Koordinierung des von Land zu Land unterschiedlichen Kampfes der Kommunisten sei nicht länger möglich.

Nach dem II. Weltkrieg fanden wiederholt internationale Beratungen der kommunistischen und Arbeiterparteien statt.

RF

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Ghana: Bekenntnis zum Erbe Kwame Nkrumahs

Einst setzte die westafrikanische Republik Ghana - die ehemals britische Kolonie Goldküste erlangte schon 1957 die staatliche Unabhängigkeit - unter ihrem ersten Präsidenten Dr. Kwame Nkrumah Maßstäbe für den schwarzen Kontinent. Der gebildete Marxist an der Spitze der linksgerichteten Convention People's Party (CPP), die auch freundschaftliche Beziehungen zur SED unterhielt, steuerte einen Kurs zügiger Industrialisierung, sozialer Umgestaltungen, politischer Unabhängigkeit vom "Westen" und panafrikanischer Solidarität. Nach neunjährigem verdienstvollem Wirken als Staatsoberhaupt des kleinen, aber ressourcenreichen Landes wurde Nkrumah 1966 durch einen vermutlich von der CIA in Auftrag gegebenen Putsch gestürzt. An die Macht gelangte eine vom Ausland gesteuerte Clique, die Jahre später durch den progressiv orientierten, das Land stabilisierenden und voranbringenden Präsidenten J.J. Rawlings vom National Democratic Congress (NDC) abgelöst werden konnte. Während der zweiten Amtszeit Rawlings übte der gleichgesinnte Politiker John Evan Ata Mills, vom Volk "Professor" genannt, das Amt des Vizepräsidenten der Republik aus.

Da Ghanas Verfassung einem Staatschef maximal zwei aufeinanderfolgende Mandate zubilligt, kam es abermals zu Neuwahlen, bei denen nunmehr die rechtsgerichtete und stammesgestützte New Patriotic Party (NPP) John Kufuors zum Zuge kam. Der neue Präsident war nicht nur ein Strohmann westlicher Imperialisten, der Bodenschätze und Naturreichtümer durchgehend privatisierte und Ghana zum höchstverschuldeten Land des IWF-Weltbank-Systems machte, sondern auch ein enger persönlicher Freund des inzwischen abgetakelten USA-Präsidenten George W. Bush. Kufuor ging soweit, dem Pentagon die ghanaische Hauptstadt Accra als Sitz des neugeschaffenen Afrikanischen Kommandos der US-Streitkräfte (Africom) anzubieten, was allerdings am Widerstand der Bevölkerung scheiterte.

Zu Jahresbeginn wurde in der westafrikanischen Republik abermals ein antiimperialistischer Präsident eingeschworen, nachdem Kufuors Partei an den Urnen geschlagen worden war: John Evan Ata Mills - Vizepräsident unter Rawlings und bekennender Nkrumah-Anhänger - bezog den Palast. Anders als sein großes Vorbild bezeichnet er sich als Sozialdemokrat.

Der Wahlsieg des mit ihm wieder an die Macht gelangten NDC war indes nur hauchdünn (50,23 %), wobei dieses Ergebnis insofern täuscht, als die Mills-Anhänger in sieben der zehn Regionen mit unterschiedlicher ethnischer Struktur deutlich vorn lagen. Kufuors proamerikanische Gefolgschaft siegte nur in der Heimatregion des Expräsidenten und zwei stammesverwandten Bezirken. Die dem Vermächtnis Nkrumahs verpflichteten Kräfte stützen sich vor allem auf die städtischen und ländlichen Armen, also die überwältigende Bevölkerungsmehrheit.

Mit dem Mills-Sieg sind die Nachfolger der CPP, deren Traditionen der neue Präsident respektieren dürfte, abermals zur bestimmenden politischen Kraft in Ghana geworden. Diese Tatsache sollte man weder überbewerten noch geringschätzen.

RF, gestützt auf "People's Weekly World", New York

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Trauer um Peter Symon

Die internationale kommunistische Bewegung hat einen ihrer Besten verloren: den Generalsekretär der KP Australiens, Peter Symon, der im Alter von 86 Jahren in Sydney verstorben ist.

Als die KP Australiens unter ihrem damaligen Vorsitzenden Laurie Aarons Mitte der 60er Jahre immer mehr abdriftete, stellte sich Peter an die Spitze jener australischen Kommunisten, die sich nicht auf den Pfad des Antisowjetismus drängen ließen. Er blieb der Sache von Marx, Engels und Lenin auch im heftigsten Trommelfeuer seiner innerparteilichen Widersacher treu. 1971 war er dann der Gründungs-Generalsekretär der sich zu den marxistischen Klassikern bekennenden Sozialistischen Partei Australiens, aus der auf dem 8. SPA-Kongreß im Jahre 1996 die wiedergeborene KP Australiens hervorging. Bis zu seinem Tode blieb er ihr Führer.

Vor die erste große Bewährungsprobe seines Lebens sah sich Peter Symon als 16jährig bereits organisierter Kommunist in den Klassenschlachten des legendären Hafenarbeiterverbandes der australischen Westküste gestellt. Später - während der Kriege des USA-Imperialismus in Korea und Vietnam, Nicaragua, Irak und Afghanistan - zeigte der proletarische Internationalist ebenso Flagge wie bei Bekundungen der Solidarität mit Castros Kuba und dem bolivarianischen Venezuela.

Als einer der ersten Führer der revolutionären Weltbewegung durchschaute Peter Symon Gorbatschows scheinbar verlockendes "Neues Denken", das Glitzerspiel der Perestrojka und den als "Glasnost" getarnten ideologischen Ausverkauf der immer stärker auf Abwege geratenden KPdSU. Entschieden wandte er sich gegen jene, die "allgemein menschlichen Werten" den Vorrang vor Klassenfragen einräumen wollten.

Als sich nach dem Sieg der Konterrevolution in der UdSSR und den sozialistischen Staaten Europas manche wegduckten oder von der Sache abwandten, um zur Sozialdemokratie überzulaufen, hielt er unbeirrbar Kurs. Dabei verband er marxistisch-leninistische Prinzipienfestigkeit mit entschiedener Zurückweisung dogmatischer oder sektiererischer Enge. Er wandte sich stets gegen rechte und "linke" Irrwege von Fraktionären, setzte sich aber zugleich entschieden für die breitestmögliche Zusammenführung unterschiedlicher linker Kräfte ein.

Peter Symon war, wie die bisherige Parteivorsitzende und jetzige Generalsekretärin der KPA, Dr. Hannah Middleton, in ihrer Grabrede sagte, ein Mensch von hoher Intelligenz, Weisheit und Bildung, zugleich warmherzig und gütig, bescheiden und höflich im Umgang mit jedermann außer dem Klassenfeind.

Mehr als 37 Jahre wirkte der unlängst Verstorbene als Generalsekretär einer multinationalen, besonders auch die Interessen der Aborigines - der Ureinwohner Australiens - verteidigenden Partei. Ein äußerst begabter Redner, galt er zugleich als befähigter Journalist. Woche für Woche schrieb er die Leitartikel im "Guardian", dem Organ seiner Partei. Auf dem 9. Nationalkongreß der KP Australiens faßte er noch einmal seinen historischen Optimismus in die Worte: "Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert des Sozialismus sein."

Ein großer Arbeiterführer ist von uns gegangen. Salud, Peter!

K. S.

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Erbitterte Klassenkämpfe in Bolivien

Evo Morales hält Kurs

Aus dem vor Monaten abgehaltenen Referendum über die neue Verfassung Boliviens - des Landes auf der Anden-Hochebene Lateinamerikas - sind der erste indigene (indianische) Präsident Evo Morales und seine linksgerichtete Bewegung für den Sozialismus (MAS) als Sieger hervorgegangen. Daran gibt es nichts zu deuteln. Doch die bolivianische Reaktion - angeführt von der im Departamento Santa Cruz konzentrierten städtischen Großbourgeoisie und den mit ihr verquickten Latifundistas - läßt nicht locker.

Besonders der äußerst großzügig formulierte Verfassungsgrundsatz, nach dem kein Bolivianer mehr als 5000 Hektar Land besitzen darf, stößt auf den erbitterten Widerstand der Superreichen. Faschistoide und rassistische Kräfte, die eine vor allem von der indianischen Bevölkerungsmehrheit getragene Macht nicht akzeptieren wollen, konzentrieren sich - von Santa Cruz abgesehen - vor allem in vier Departamentos: Sie kontrollieren die Präfekturen und die Bürgerkomitees in Tarija, Beni, Trinidad und Chuquisaca. Zu denen, die hier die Fäden ziehen, gehörten bis zum energischen Einschreiten der Regierung, die Drahtzieher auswies, auch Diplomaten der USA-Botschaft. Nachdem der Missionschef zur Persona non grata erklärt worden war, sah sich das State Department zu etwas größerer Vorsicht genötigt.

Eine Schlüsselrolle im Kampf gegen Evo Morales und die MAS spielen die Medien. Die meisten Stationen und Blätter werden von der Opposition kontrolliert. Nur ein staatlicher Fernsehsender und eine kleinere Radiokette sowie eine unlängst gegründete offiziöse Zeitung halten dagegen.

Übrigens haben sich auch mit der Oligarchie verzahnte Kreise des katholischen Klerus in den Kampf gegen das neue Bolivien eingereiht. So las der Erzbischof der Landeshauptstadt Sucre, Monsignore Jesús Pérez, eine Messe, an der vier oppositionelle Präfekten teilnahmen.

Trotz der massiven Attacken reaktionärer Kräfte hält die Mehrheit der 10 Millionen Bolivianer, wie der Ausgang des Verfassungsreferendums bewies, zur revolutionären Regierung. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: 680.000 alte Menschen erhalten jetzt erstmals eine monatliche Zuwendung, die als "Rente der Würde" bezeichnet wird; 1,7 Millionen Kinder bekommen den Bon Juacito Pinto - einen Gutschein über 200 Bolivar zum Kauf von Schulmaterialien und Kleidung; Tausenden landlosen Bauern und Indigenen wurde unter der Präsidentschaft von Evo Morales Grund und Boden übereignet; 800.000 Landesbürger haben im neuen Bolivien lesen und schreiben gelernt; 300.000 Mittellosen wurde im Rahmen der von kubanischen Ärzten betreuten "Operacion Milagro" das Sehvermögen wiedergegeben.

Ein Regierungsplan zielt darauf ab, zuerst in 100 Gemeinden die extremste Armut zu überwinden und vor allem die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln sicherzustellen.

Angesichts des Geleisteten ist es wohl kein Wunder, daß 2008 mehr als 73 % der durch den Radiosender Patria Nueva Befragten den Staatspräsidenten zur Persönlichkeit des Jahres erklärt haben.

Es versteht sich von selbst, daß Boliviens besitzende Oberschicht für die in Angriff genommene Umverteilung des nationalen Reichtums keinerlei Sympathien hegt. Das Gegenteil ist der Fall: Sie reagiert mit Klassenhaß und heftigem Widerstand. So werfen im Land der Anden-Hochebene noch schärfere politische und soziale Auseinandersetzungen ihre Schatten voraus.

Doch Evo Morales hält Kurs. An der Seite Kubas, Venezuelas, Ecuadors, Nicaraguas und weiterer Staaten des lateinamerikanischen Subkontinents setzt seine Regierung den Weg der Umgestaltung Boliviens unbeirrt fort.

RF, gestützt auf "Granma Internacional", Havanna

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KP Japans: Marines-Abzug aus Okinawa ist fauler Zauber

Nippons rechtsgerichtete Regierung hat sich weiter verstrickt: Sie verpflichtete sich in aller Form dazu, 60 % der Kosten für die Verlegung der USA-Besatzungstruppen von Okinawa auf die Pazifikinsel Guam zu übernehmen. Gleichzeitig stimmte Tokio der Errichtung einer neuen Luftwaffenbasis für die U.S. Marines auf dem japanischen Festland zu. Außenminister Nakasone Hirofumi und Obamas Chefdiplomatin Hillary Clinton, die aufs neue alte Akzente setzt, haben ein Abkommen über die etappenweise Verlegung der Marines vom Stützpunkt Futemna (Okinawa) nach Guam unterzeichnet. Die Überführung soll 2014 abgeschlossen sein.

Tokio verpflichtete sich, 6,1 Mrd. US-Dollar bereitzustellen - 2,8 Mrd. in bar, den Rest in Leistungen beim Bau entsprechender neuer Objekte auf Guam. Als zusätzliche "Kompensation" wurde vereinbart, daß den Marines ein geeignetes Gelände im Henoko-Bezirk von Nago City zur Verfügung gestellt wird.

Der Vorsitzende der KP Japans, Shii Kazua, rief dazu auf, der Ratifizierung des Abkommens zwischen den beiden imperialistischen Mächten im Unterhaus entgegenzuwirken. "Es ist ein ungeheuerlicher Vorgang, daß die japanische Regierung das Geld des Steuerzahlers für die Erweiterung einer US-Militärbasis im Ausland mißbraucht", erklärte der kommunistische Politiker. Die Vereinbarung Hirofumi-Clinton beweise, daß die Obama-Regierung den Kurs ihrer Vorgängerin auf Verstrickung Japans in die Kriegspläne der Vereinigten Staaten fortzusetzen gedenkt.

RF, gestützt auf "The Guardian", Sydney

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Los Institutos Obreros - Arbeitergymnasien vom Typ der ABF

Volksbildung im republikanischen Spanien

Die Höheren Schulen für Arbeiterinnen und Arbeiter (Institutos Obreros) sind nicht ohne Erwähnung der Zweiten Spanischen Republik zu erklären. Der Ursprung dieses kulturellen Erziehungsprojekts war ein ehrgeiziger und lang ersehnter pädagogischer Versuch, der jedoch mit dem Übel, gleichzeitig Krieg gegen den Faschismus führen zu müssen, belastet war.

Die Politik der Volksfront-Regierung hatte in dem jungen Minister für Volksbildung, Jesús Hernández, einem Mitglied der KP Spaniens, den besten Förderer von neuen sozialen, erzieherischen und revolutionären Vorhaben. Bis zu diesem Zeitpunkt war die höhere Bildung in Spanien das Privileg wohlhabender Familien gewesen, für die Arbeiterklasse viel zu kostspielig.

"Tausende Schulen wurden eröffnet, die Gehälter der Lehrenden verbessert, freiwillige Hilfsbrigaden gegen den Analphabetismus geschaffen, Unterrichtszentren zur höheren Bildung für das Volk eröffnet, die Arbeitergymnasien gegründet, in denen die werktätige Jugend Unterricht und die nötigen Bücher erhielt, während sie zugleich den in der Produktion erhaltenen Lohn weiter bezog." (Geschichte der Kommunistischen Partei Spaniens, Paris 1960)

Im November 1936 wurden die Arbeitergymnasien (der deutsche Leser wird sie mit den Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten - ABF - in der DDR vergleichen, d. Red.) geschaffen, um das kulturelle Niveau der jungen Proletarier zu heben und gleichzeitig das enorme Potential des Bewußtseins, das die Arbeiterschaft der Nation vermitteln kann, darauf vorzubereiten, das Land nach dem Krieg wiederaufzubauen. Antifaschistische Arbeiterinnen und Arbeiter, älter als 15, sollten dort nach vier Semestern das Abitur ablegen. In den Arbeitergymnasien erfolgte eine ähnliche Lehrtätigkeit wie bei der "Institution freier Erziehung". Dabei handelte es sich um eine Pädagogik mit langer Tradition, die an die Veränderung des Menschen mit Hilfe der Kultur glaubte. Die Zeit der Arbeitergymnasien zwischen 1936 und 1939 war eine Periode großer Hoffnung. Ein völlig neuer Lehrplan wurde mit Halbtags- und Internatsschülern umgesetzt, das Lehren und Lernen vergütete der Staat. Die Schüler konnten frei von Gebühren, bei Bereitstellung allen notwendigen Materials, ihren Studien nachgehen. Die jungen Menschen genossen im gemeinschaftlichen Unterricht eine beachtliche kulturelle und sportliche Ausbildung, ergänzt durch außerschulische Aktivitäten und bei einer integralen Benotung nach der Eignung jedes Lernenden.

Mit dem von Manuel Azaña, dem Präsidenten der Republik, unterzeichneten Dekret begann im November 1936 dieses dynamische Erziehungsprojekt: "Ein Versuch, um schnell die Vorzüge der höheren Bildung und die besten Fähigkeiten zu erreichen, welche die Garantie absoluter Redlichkeit bieten", hieß es in der Präsidentenorder.

Charakter und Geist des Arbeitergymnasiums wurden in diesem grundlegenden Dekret eindeutig definiert. Man erachtete eine gemeinsame Erziehung beider Geschlechter als notwendig, sie sollten mit denselben Fragestellungen zu beiderseitigem Gewinn unterrichtet und gefördert werden. Die soziale Ausgrenzung und Diskriminierung junger Frauen hörte auf.

"Über die Arbeitergymnasien zu sprechen heißt, über Erziehung, kulturelle Vielfalt in der Wissenschaft, der Zivilisation und der Gesittung, des Fortschritts, der Harmonie und deshalb von verstandesmäßigem und weltlichem Wissen zu sprechen", erklärte José Soriano Mir, Präsident des "Kulturellen Vereins Instituto Obrero". Das war damals im katholischen Spanien geradezu spektakulär.

Die Arbeitergymnasien stellten ein Aufblitzen des Allgemeinsinns, des gesunden Menschenverstandes dar, das durch Pädagogen mit entsprechender Ausbildung und Lernende intensiviert wurde, die mit ihrer Lust zum Wissenserwerb und einem außerordentlichen Geist hohe Motivation besaßen. Sie waren sich der einzigartigen Gelegenheit, die ihnen geboten wurde, durchaus bewußt. Ihnen war die sich vollziehende soziale Veränderung, auch angesichts des Mangels, den der Krieg schuf, vollkommen klar. Die jungen Idealisten fühlten sich als Teil einer neuen Generation jenes politischen Zusammenhangs, der die grundlegende Überwindung des hinfälligen Systems zum Vorteil der Mehrheit bedeutete. Dieses historische Moment ließ sie gedanklich mit der künftigen Gesellschaft eins sein, überzeugt davon, daß ihr Ziel und ihre Mission darin bestanden, mehr und besser zu lernen. Durchdrungen von der Idee, daß mit ihrer Hilfe das Land aus der Rückständigkeit herauskomme, versuchten sie ihr Bestes zu geben und ihre persönlichen Interessen den kollektiven Anliegen unterzuordnen. Die Anstrengungen der Arbeiterjugend waren eine weitere Front, den Krieg zu gewinnen. Die jungen Menschen fühlten sich mit der Republik verbunden, die ihnen etwas gab, was sie der neuen Gesellschaft, die sich nach dem Krieg gegen den Faschismus in Spanien herausbilden würde, zurückgeben wollten. So begrüßte eine Abordnung des Instituto Obrero den II. Internationalen Kongreß antifaschistischer Schriftsteller zur Verteidigung der Kultur am 10. Juli 1937 in Valencia, der damaligen Hauptstadt der Spanischen Republik.

Die Schülerinnen und Schüler wußten sehr genau, was sie nach Beendigung des Blutvergießens werden wollten: Chemiker, Ingenieure, Mathematiker, Künstler, Architekten, Ärzte, Literaten, Lehrer, Biologen, Apotheker, Bibliothekare, Orchesterdirigenten - so lauteten einige ihrer Berufswünsche.

Nach dem Instituto Obrero von Valencia, dem ersten und wichtigsten im Lande, wurden weitere Einrichtungen dieser Art in Sabadell, Barcelona und Madrid eingeweiht. 837 Schülerinnen und Schüler begannen an ihnen ihre Studien. Mit dem Ende des Krieges trat das Erhoffte nicht ein. Es herrschten vielmehr Schmerz und Traurigkeit darüber, was hätte werden können und was dann die Realität war: Tod, Unterwerfung, Konzentrationslager, Gefängnis oder Exil.

Cristina Escrivá Moscardó


Unsere Autorin schrieb Bücher und schuf Dokumentarfilme zur Geschichte der Spanischen Republik. Sie ist die Tochter eines Schülers des Instituto Obrero von Valencia.

Übersetzung: Isolda Bohler

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Prof. Zbigniew Wiktor (Wroclaw) analysiert den Aufstieg Chinas aus marxistischer Sicht

Bedeutendes Werk eines polnischen Gelehrten

China nimmt einen herausragenden Platz in der Berichterstattung der bürgerlichen Medien ein. Besonders die vorjährigen konterrevolutionären Unruhen in Tibet wurden von ihnen tendenziös hochgekocht und im antikommunistischen Sinne ausgeschlachtet. Freunde und Feinde Volkschinas sind sensibilisiert und bemühen sich auf konträre Weise um die Ausdeutung der gesellschaftlichen Entwicklung. Die meisten Zeitungen und Sender vermitteln gewollt ein verwirrendes Bild. Zielgerichtet wird suggeriert, in China handle es sich um einen kapitalistischen, nicht aber um einen sozialistischen Weg, wobei die Herrschaft der Kommunisten früher oder später ein Ende finden werde.

Der Blick nach China ist daher nicht nur von Hoffnung, sondern auch von Sorge geprägt. In diesem Zusammenhang kommen den im "RotFuchs" veröffentlichten Beiträgen von Rolf Berthold und Eike Kopf besondere Bedeutung zu. Nichtsdestotrotz bleiben Zweifel und treten neue Fragen hinzu.

Zbigniew Wiktor, der wohl bedeutendste Theoretiker der sich neu formierenden kommunistischen Bewegung in Polen, hat den Versuch unternommen, diese Problematik in ihrer Komplexität aufzugreifen. Er ist Professor für Politologie an der Universität Wroclaw und beschäftigt sich seit Jahren mit der Analyse der gesellschaftlichen Veränderungen, insbesondere mit dem politischen System und den Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft in China.

Die vorliegende Arbeit entstand als Ergebnis langjähriger theoretischer Studien und eines Forschungsaufenthalts an der Universität Wuhan im Herbst 2005.

Der Autor konzentriert sich auf die Darstellung politisch und ökonomisch relevanter Sachverhalte, die für das Verständnis der konkret-historischen Situation des bevölkerungsreichsten Landes unerläßlich sind: China, die Welt und die Globalisierung; der gegenwärtige Marxismus und China; das Verhältnis Chinas zur Oktoberrevolution; die Auffassungen chinesischer Gesellschaftswissenschaftler zu den Ursachen der Krise und des Untergangs von UdSSR und KPdSU; Klassenwidersprüche und Korruption in Volkschina; die Veränderung der Eigentumsverhältnisse in den letzten Jahren; die Rolle der KPCh, die Auffassungen der chinesischen Parteiführung und anderer Marxisten zu den Fragen des wissenschaftlichen Sozialismus und des "demokratischen Sozialismus". Wiktor skizziert den seit den Reformen eingeleiteten erfolgreichen Weg der Volksrepublik, die sich anschickt, den USA ihren wirtschaftspolitischen Rang in der Welt streitig zu machen. Mit diesen, unter der Überschrift "Widersprüche" zusammengefaßten Themen geht der Autor gleich auf die brisantesten Aspekte des heutigen China-Verständnisses ein und entwirft ein detailliertes Bild der dortigen Entwicklung. Für den Leser eröffnet sich dadurch eine völlig neue, sachlich fundierte Sicht auf China, die aber auch gar nichts mit der durch die bürgerlichen Medien kolportierten zu tun hat.

Die enormen Dimensionen an Fläche und vor allem Bevölkerung sowie die damit verbundenen sozialen und gesellschaftspolitischen Probleme werden exakt und verständlich, in ihren jeweiligen historischen Zusammenhängen dargestellt. Damit offenbart sich das Riesenmaß der Aufgaben, vor denen die chinesischen Kommunisten nach Ausrufung der Volksrepublik vor fast 60 Jahren gestanden haben. Sie waren auch den meisten Freunden Volkschinas bisher kaum bekannt. Bei ihrer Lösung ist Großes geleistet worden. Zugleich wurden aber auch gravierende Fehler begangen, die das Land um ein Jahrzehnt zurückwarfen. Der Autor zeigt, wie sich die politische Führung mit der weiter bestehenden Rückständigkeit in etlichen Bereichen auseinandergesetzt und neue, bisweilen riskante Wege zu ihrer Überwindung beschritten hat. Er bezeichnet die gegenwärtige Entwicklungsphase Chinas als eine in enorme Dimensionen umgesetzte Neue Ökonomische Politik, wie sie unter Lenin in der UdSSR der 20er Jahren begonnen worden ist. Dadurch sollen die Rückständigkeit überwunden, das Land modernisiert und günstige Ausgangsbedingungen für den Aufbau des Sozialismus geschaffen werden. Dieser wird als eine eigenständige Gesellschaftsformation definiert. Der Weg zu ihm ist sehr langfristig angelegt.

Dieses von der KP Chinas beschlossene Programm ist realistisch, birgt aber auch eine Vielzahl von Problemen und Risiken, auf die Wiktor ausführlich eingeht: Etwa die Hälfte der Unternehmen ist derzeit in (chinesischer) Privathand. Hier findet eine ungeheure Bereicherung statt, und es besteht die Gefahr, daß die jetzt vom Staat kontrollierten Kapitalisten eines Tages ihre wirtschaftliche in politische Macht ummünzen könnten. Die Korruption im Lande hat erhebliche Ausmaße angenommen, wird aber - im Unterschied zum laxen Vorgehen anderenorts - konsequent und hart bekämpft. Zugleich wächst trotz sozialer Fortschritte die Zahl der Wanderarbeiter und Arbeitslosen. Das Gefälle zwischen Stadt und Land hat sich in den letzten Jahrzehnten weiter ausgeprägt, die Unfälle in den zumeist privaten Bergwerken liegen über dem internationalen Durchschnitt. Hier kann sich ein gefährliches Potential sozialer Sprengkraft entwickeln. Doch die chinesische Staats- und Parteiführung ist sich der komplexen Problematik der sozialistischen Marktwirtschaft - so die offizielle Formulierung - und des damit verbundenen Spagats bewußt. Sie reagiert angemessen. Alles in allem hat sie die Entwicklung fest im Griff. Die KP Chinas führt, und der Marxismus-Leninismus, die Mao-Zedong-Idee und die Theorie Deng Xiao Pings sind die Leitideologie. Warum das so ist und wie das geschieht, schildert der Autor auch in einem hochinteressanten Kapitel über das politische System Volkschinas. In einem umfassenden Erlebnisbericht vermittelt er ein facettenreiches Bild vom chinesischen Alltag.

Wiktors tiefgründiges Buch verlangt vom Leser - gerade auch jenem mit marxistischer Bildung - ein ständiges Überdenken eigener Positionen. Das Verdienst des Wroclawer Gelehrten besteht vor allem darin, angesichts einer komplizierten und widerspruchsvollen Entwicklung nicht nur die richtigen Fragen aufgeworfen, sondern auch Lösungsansätze für künftige sozialistische Entwicklungen in Europa in die Diskussion eingebracht zu haben. Als polnischer Marxist-Leninist weist er darauf hin, daß man gerade angesichts der chinesischen Erfahrungen so manche liebgewordene Lehrmeinung früherer Jahre noch einmal auf den Prüfstand stellen müßte, um zur Führung künftiger sozialistischer Staaten den Blick für neue Überlegungen zu öffnen. - Es wäre verdienstvoll, wenn sich ein Verlag fände, der das Werk in einer deutschen Übersetzung herausbringen würde.

Stefan Warynski


Zbigniew Wiktor, China - Auf dem Wege der sozialistischen Modernisierung, Wydawnictwo Adam Marszalek,
Torun 2008, 546 Seiten (polnisch)

Raute

Vor 100 Jahren wurde der Dichter Louis Fürnberg geboren

"Nichts ist schöner als des Menschen Herz"

Er ist unter uns. Die Toten bleiben jung. Fürnbergs Wort, seine Dichtungen, sein bedachtsamer Rat an junge Autoren sind unvergessen. Nur wenige gibt es noch, die ihn persönlich gekannt haben. Ich gehöre nicht dazu. Doch habe ich, wie Abertausende in der jungen Deutschen Demokratischen Republik, seine Lieder gesungen, seine Verse gern vorgetragen. Wir spürten: Hier schlägt ein kämpferisches Herz, welches das neue Leben liebt.

Verse von einer zarten Musikalität, von einer politischen Klarheit - sie waren Frucht seines steten Suchens und Ringens. Henri Poschmann schrieb im Vorwort zum Louis-Fürnberg-Lesebuch 1981, anknüpfend an die Verszeile "Du brauchst nicht anzuklopfen ..." aus "Der Bruder Namenlos": "Dem sozialistischen Dichter Louis Fürnberg gelang es, dem modernen natur- und gesellschaftsbezogenen Empfindungsgedicht eine neue Qualität zu verleihen. Er gab nicht nur der politischen und der Naturlyrik neue Impulse, er war auch einer der wenigen Dichter, denen es glückte, wirkliche Liebesgedichte zu schreiben."

Die Zeichen der Zeit standen für den am 24. Mai 1909 im mährischen Iglau (Jihlava) geborenen Sohn eines jüdischen Kaufmanns auf Kampf. Eine Lungentuberkulose vereitelte den Wunsch, Kunstkeramiker zu werden. Er besuchte die Handelsschule und führte ein Hungerdasein. Die Poesie war ihm anfangs Flucht in eine ästhetische Scheinwelt. Nicht lange.

1928 trat er in die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei ein und schrieb für linke Blätter, verfaßte agitatorische Gedichte. Der aktuelle politische Kampf, Streiks und die heraufziehende Gefahr des deutschen Faschismus, im Sudetengebiet durch die Henlein-Partei präsent, erforderten klare Worte. Mit der Spieltruppe "Echo von links" und später "Das neue Leben" zog er durch Dörfer und Städte Nordböhmens und des Erzgebirges. In dieser Zeit lernte er die junge Bibliothekarin Lotte Wertheimer kennen. Und sie war von seinem ganzen Wesen fasziniert. Es begann eine Liebe, die durch Gefahren und Gefängnisse, durch Flucht, Trennung, Emigration und Todesnähe nicht zerbrochen werden konnte. Sie verband eine gemeinsame kommunistische Weltanschauung. Die Briefe und Gedichte an Lotte (sie heirateten 1937) widerspiegeln eine starke seelische Kraft.

Unter äußerst schwierigen Bedingungen schuf Louis Fürnberg im palästinensischen Exil (1941-1946) u. a. den fragmentarischen Roman "Der Urlaub", den Gedichtband "Der Bruder Namenlos" (1944), die "Mozart-Novelle" (1945) und die große Ballade "Die spanische Hochzeit" (1944/45) sowie zahlreiche publizistische Arbeiten. In dieser Zeit entstand auch eine enge Freundschaft zu Arnold Zweig, dem weltbekannten Romancier, der in Haifa als Exilierter lebte.

Im Auffanglager El Shatt auf der Halbinsel Sinai, in dem Fürnberg mit Lotte und dem sechsjährigen Sohn Michael durch britisches Militär festgehalten wurde, entstand ein Zyklus von Gedichten, der mit zum Stärksten der Fürnbergschen Lyrik zählt. "Nichts ist schöner als des Menschen Herz" heißt eines. Es ist das Herz, das von einem Traum genährt wird: dem Traum von einer gerechten Gesellschaft.

Wenige Jahre später greift der Dichter, nun in Prag ansässig, das ihn erneut bedrängende Thema auf: Worin besteht der Sinn des Lebens? 41jährig schreibt er im Gefühl, nicht mehr viel Lebenszeit zu haben, den später häufig zitierten "Epilog". "Wenn ich einmal heimgeh'...", wo es gegen Ende heißt: "Mit den ersten Schneeglöckchen werde ich auf den Wiesen stehn / Mit den Maulwürfen werde ich die Erde aufbrechen über mir ..." Das hat eine philosophische Tiefe, die erstaunt und berührt.

Künstler haben sich vom Auferstehungsgedanken inspirieren lassen. So schufen die Erfurter Lutz Hellmuth und Dietmar Lenz eine etwa vier Meter hohe "Hommage à Louis Fürnberg" 1981/82 in Weimar nahe dem Goethepark. Seit 1990 wurde sie wiederholt geschändet, besprayt und übermalt. Antifaschistische Kräfte haben seitdem mehrmals die Zeichen der Dummheit, Intoleranz und Gewalt beseitigt ...

Weimar - Kulturstadt? Hier sollten die beamteten Kulturhüter nicht so tun, als ginge sie das nichts an. Fürnberg war 1954 bis 1957 stellvertretender Direktor der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur. Die Novelle "Die Begegnung in Weimar" (1952) ist nur eine von vielen Bemühungen des Dichters, die weit zurückreichenden Beziehungen zwischen den Literaturen der slawischen Völker und der deutschen klassischen Literatur zu erforschen und bewußtzumachen.

Das Werk Fürnbergs ist mit dem Ort Weimar für immer verbunden. Nicht nur literarisch. Der Bruder Walter wurde in Buchenwald ermordet, in anderen Konzentradionslagern alle übrigen Familienangehörigen Fürnbergs.

"Alt möcht' ich werden wie ein alter Baum ..." und "Aus sagenhaften Zeiten möcht' ich ragen / durch die der Schmerz hinging, ein böser Traum ..." Diese Verse aus "Wanderer in den Morgen" (1951), die 20 Jahre später die DDR-Rockband "Puhdys" zu einem ihrer Hits inspirierten, rechnen wir wie vieles andere zum bewahrenswerten sozialistischen Erbe.

Nach 1989 hatte ich mehrfach Gelegenheit, Genossin Lotte Fürnberg im Archiv Rilkestraße 17 zu besuchen. Ihre wunderbare Freundschaft tat gut. Ihr Gedächtnis war ausgezeichnet. Und sie war neugierig auf die Ungebrochenen. Ihr Fazit sei hier kurz zitiert, aus Ulrike Edschmids "Verletzte Grenzen" (1992): "Den Weg, den ich gegangen bin, würde ich wieder gehen. Ich habe an Ungerechtigkeit gelitten, an dem Gegensatz zwischen Armut und Reichtum, zwischen Elend und Luxus. Ich habe schwere Zeiten erlebt, aber auch großes Glück ... Das Glück, das mich heute trägt, sind meine Kinder und Enkelkinder. Dafür bin ich unendlich dankbar. Ich habe Freunde, die zu mir stehen. Ich bin nicht allein. Ohne Utopie kann ich nicht leben. Ich habe immer gewußt, worauf ich mich eingelassen habe, und der Preis war mir nicht zu hoch."

Vor fünf Jahren verstarb sie 94jährig. Im Mai werden wieder viele Blumen am Gedenkstein auf dem Historischen Friedhof in Weimar niedergelegt werden, auch für Lotte, der Louis Fürnberg so innig sagte: "Du, die mich leben läßt!" (aus: "Liebeslied"). Die Toten bleiben jung.

Werner Voigt

Raute

Wie eine Naturkatastrophe, die sich im ersten Jahr der DDR zutrug, erfolgreich bewältigt wurde

Das Wunder von Bruchstedt

Am Abend des 23. Mai 1950 kamen die Bauern des Dorfes Bruchstedt im Kreis Bad Langensalza hastig von ihren Feldern ins Dorf zurück. Dunkle Gewitterwolken ballten sich zu riesigen Türmen zusammen und zogen, Unheil androhend, über das Dorf.

Nachdem die Bauern dem Vieh das letzte Futter aufgeschüttet hatten, versammelten sie sich mit ihren Familien in den Stuben und sahen zu den Fenstern hinaus. Draußen grollte es dumpf. Blitze jagten über die Äcker, plötzlich wurde es nachtschwarz um sie. Enorme Massen von Hagelkörnern prallten gegen die Scheiben, drückten sie ein und drängten sich in die Häuser. In das Heulen des Sturmes und das Grollen der Donner brauste plötzlich ein tiefes Rauschen und Platschen.

Eine drei bis vier Meter hohe Flutwelle, die von den umliegenden Höhen herabstürzte, drang, alles mit sich fortreißend, in die Bauernhöfe, Gärten und Straßen ein. Die Türen wurden eingedrückt, durch die Fenster spülten die Wassermassen, und die Menschen flüchteten schreiend in die oberen Stockwerke.

Das Wasser stieg höher und höher. Kinder, Frauen und Männer krochen auf den Böden, klammerten sich an Dachsparren fest.

Willi Bredel war es, der diese Chronik der Zerstörung, des Überlebenskampfes der Menschen, der Rettung der Tiere, des Einsatzes der Dorfbewohner, freiwilligen Helfer, Bauarbeiter, Volkspolizisten und Feuerwehrleute, der Parteien und Massenorganisationen aufschrieb. Sein Bruchstedt-Rapport "50 Tage" ging in die Geschichte der jungen DDR ein.

Am Morgen des 24. Mai strahlte die Sonne wieder warm auf das schwer gezeichnete Dorf. Sieben Frauen und ein Kind hatten nicht überlebt. Auf den Straßen lag getötetes Vieh im Schlamm und Geröll. Vor Gebäuderuinen saßen die einstigen Bewohner der Häuser, verzweifelt und mutlos. Sie rechneten mit tiefster Armut. Einige meinten: "Die Toten haben es gut." Optimisten hofften, die Schäden in ein paar Jahren behoben zu haben.

Noch in der Unglücksnacht war erste Hilfe zur Stelle gewesen. Angesichts des drohenden Unwetters hatte man für die Volkspolizei-Bereitschaften von Erfurt, Bad Langensalza und Mühlhausen vorsorglich Katastrophenalarm ausgelöst. Omnibusse der Verkehrslinien brachten innerhalb von 50 Minuten 150 Mann an den Einsatzort. Die ersten Maßnahmen waren klar: Menschenleben retten, Tote bergen, Tierkadaver abtransportieren, Brunnen sperren, der Seuchengefahr begegnen. Danach: Straßen vom Schlamm befreien, Keller auspumpen, die Versorgung mit dem Nötigsten sicherstellen. Die von Ministerpräsident Werner Eggerath geführte thüringische Landesregierung leitete unverzüglich eine große Solidaritätsaktion ein. Bis zum 15. Juli - in nur 50 Tagen! - sollte Bruchstedt wiedererstehen. Die Bewohner schauten angesichts der kühnen Botschaft, die vom Landessender übertragen wurde, ungläubig drein. Ihre Zweifel waren verständlich: Wann hatte jemals in Deutschland eine Regierung Anteil an der Not unschuldig in Bedrängnis geratener Bauern genommen?

Es gab aber auch Leute, die ihrer Skepsis freien Lauf ließen: Alles leere Versprechungen! Woher soll das denn kommen? Wartet nur ab, wenn ihr zur Kasse gebeten werdet und aus den Schulden nicht mehr herauskommt, meinten sie.

Unterstützung traf aus allen Landesteilen ein. Die Bauern erhielten den Auftrag zur Neubestellung ihrer verwüsteten Felder. Das Saatgut stellte die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) bereit. Die Volkssolidarität besorgte Stiefel, Schuhe, Hosen und andere Bekleidungsstücke. Jeden Tag kamen über tausend Freiwillige nach Bruchstedt. FDJler nahmen ihren Jahresurlaub und kampierten dort in Zelten.

Bald schon wurde mit der Planung, Projektierung und Ausführung der Baumaßnahmen begonnen. Ich weiß das deshalb so genau, weil der thüringische Minister für Wirtschaft und Arbeit Willi Hüttenrauch damals meinen Vater Helmut Lufer - Landbaumeister des Kreises Jena-Stadtroda - mit der Oberbauleitung beauftragte. Die Projektierung wurde dem damals 26jährigen Architekten Ehrhardt Gißke, der Jahre später durch spektakuläre Bauten für Furore sorgen sollte, übertragen.

Die Herausforderungen waren gewaltig: In 50 Tagen mußte nicht nur das Dorf wiedererrichtet, sondern auch so angelegt werden, daß es ein zweites Mal durch Unwetter nicht zerstört werden konnte. Manche Häuser erhielten deshalb einen anderen Standort, das Bett des Baches wurde erweitert und verlegt, eine neue Straße entstand. Zusätzlich baute man ein Kulturhaus, eine Schule und einen Kindergarten. Die beteiligten Arbeitskräfte waren fast ohne Ruhepause im Einsatz. Unter ihnen befanden sich auch Ingenieurstudenten, die den Kindergarten in nur zwölf Arbeitstagen vom Grundstein bis zur Richtkrone fertigstellten.

Doch nicht nur das Bruchstedter Aufbautempo war neu. Dieses Dorf wurde im Jahr eins der DDR zum Symbol einer hierzulande bisher ungekannten Solidarität. Zehn Gehöfte, 28 Stallungen, Schuppen und sonstige Nebengebäude, sieben Wohnhäuser, eine Wasch- und Duschanlage und eine Lehrküche wurden aus dem Boden gestampft. Hinzu kamen die bereits erwähnten Bauten.

Am 50. Tag erhielten die Bauern Bruchstedts die Besitzurkunden für ihr neues Heim und das Vieh in den Ställen. Bauern aus der gesamten Republik hatten es gespendet. Einige Tiere waren aus Solidaritätsmitteln zugekauft worden. Und was das Bezahlen betraf: Es mußten nur zwei Mark je qm neuen Bodenbesitzes entrichtet werden. Lag das Land außerhalb des Dorfes, kostete es sogar nur 50 Pfennig. Alles andere war gratis.

Am 16. Juli 1950 feierte man in Bruchstedt den Neubeginn. Die Bauern konnten es noch immer nicht fassen, daß jeder der 50 Tage tatsächlich ein Geburtstag für ihr Dorf gewesen war. Aber mancher begriff nun besser als zuvor, daß ihr Land am Beginn einer neuen Zeit stand.

Armin Lufer

Raute

Amerikas großer Volks- und Arbeitersänger war ein Opfer McCarthys

Späte Entschuldigung bei Pete Seeger

Pete Seeger, der wohl berühmteste Sänger und Liedermacher seines Landes, ist eine Ikone der Bürgerrechts- und Arbeiterbewegung der Vereinigten Staaten. Seine einprägsamen Lieder "Where have all the flowers gone?" (Sag mir, wo die Blumen sind) und "Turn, turn, turn" (Kehr um!) elektrisierten jahrzehntelang das "andere" Amerika. In den 50er Jahren verfolgten ihn die antikommunistischen Hexenjäger McCarthys.

Unlängst erhielt der inzwischen 89jährige eine Entschuldigung vom School Board der südkalifornischen Großstadt San Diego. Anlaß für dessen Leiterin Katharine Nakamura war der Auftritt des Künstlers beim Festkonzert zur Amtseinführung Barack Obamas am 18. Januar. Der 44. USA-Präsident war zugegen, als Pete Seeger den legendären Song seines Freundes Woody Guthrie "This land is your land" (Dies Land ist dein Land) unter dem Beifall Hunderttausender vortrug.

San Diegos gewählte Schulaufsichtsbehörde verabschiedete einstimmig eine Entschließung, mit der sie sich vom in den 60er Jahren gefaßten Beschluß einer Vorgänger-Institution distanzierte. Damals hatte Seeger in einem Saal der Hoover High School singen wollen, wogegen die berüchtigte Amerikanische Legion vehement auftrat. Die faschistische Organisation zwang das School Board, von dem prominenten Musiker die Unterzeichnung einer Erklärung zu verlangen, in der er geloben sollte, weder "kommunistische Anliegen" zu befördern noch den "Sturz der Regierung der Vereinigten Staaten" anzustreben. Seeger - ein Bundesgenosse der KP der USA - weigerte sich, wobei ihn die einflußreiche Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) unterstützte. Ein Richter gab dem Sänger buchstäblich in letzter Stunde recht, so daß er in der erwähnten Oberschule doch noch auftreten konnte. "Die furchterregenden 50er waren eine gefährliche Zeit", betonte Seeger, dem mehrere Jahrzehnte lang Fernsehauftritte verwehrt wurden, jetzt in einer Erklärung. Er dankte dem School Board, das ihn als "einen der kostbarsten nationalen Schätze" bezeichnet hatte, für die späte Entschuldigung.

Eines von Pete Seegers bekanntesten Liedern finden Internet-Nutzer unter www.youtube.com → seeger which side are you on (Auf welcher Seite stehst du?)

RF, gestützt auf "People's Weekly World", New York, und "The Socialist Correspondent", London


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Pete Seeger und Bruce Springsteen beim Konzert am 18. Januar anläßlich der Amtseinführung Barack Obamas

Raute

Bilderstürmer im Visier

Hier geht es nicht um Bilder, wie sie gerahmt an Wänden hängen. Mit viel Geld gelenkte Scharen von Bilderstürmern ganz anderer Art sind in diesem Jahr unterwegs, um das Image der DDR im Nachgang zur Konterrevolution 1989/90 weiter zu beschädigen und - so die Absicht - für alle Zeiten zu zerstören. Daran beteiligen sich die vier Gewalten der BRD: Exekutive, Legislative, Rechtsprechung und Medien der Bourgeoisie.

Unübersehbar ist aber auch, daß sich immer mehr einstige Bürger der DDR den bösartigen Geschichtsklitterern im Dienste des Kapitals entgegenstellen. Der "RotFuchs" erweist sich dabei seit Jahren als eine beispielgebende Tribüne. Mitglieder des Fördervereins haben in Beiträgen für die Zeitschrift über einen breiten Themenfächer debattiert. Auch etliche Publikationen zu dieser Problematik riefen auf dem Büchermarkt Aufsehen hervor. Unser langjähriges Mitglied Hans Fricke aus Poppendorf bei Rostock brachte Ende vergangenen Jahres nun schon sein zweites Buch heraus. Es erschien im Verlag am Park in der edition ost unter dem Titel "Politische Justiz, Sozialabbau, Sicherheitswahn und Krieg" (384 S., 19,90 €).

Der Autor, Jahrgang 1931, leistete in der Deutschen Volkspolizei und bei den Grenztruppen der DDR seinen Dienst. An deren Offiziershochschule war er in leitender Position tätig. Als Oberst kehrte er in das zivile Leben zurück, um dann bis 1989 als Beauftragter des Ministers für Kohle/Energie der DDR die rauhe Luft der Wirtschaft kennenzulernen.

Hans Fricke rechnet in 37 Essays polemisch und akribisch, was besonders auch den Quellennachweis betrifft, mit der von Beginn an auf Unterwerfung der DDR zielenden konterrevolutionären Strategie der imperialistischen Mächte - besonders der BRD - ab. Auf den verschiedenen Politikfeldern deckt er die wahren Hintergründe des Kinkel-Aufrufs zur "Delegitimierung der DDR" schonungslos auf. Dabei untersucht Hans Fricke sowohl die Folgen des rücksichtslosen Vorgehens der Treuhand zur Vernichtung des Volkseigentums als auch die Unterwanderung der 2 + 4-Verträge sowie die "Segnungen" des entfesselten Kapitalismus.

Der immerhin 380 Seiten umfassende Band ist eine ergiebige Quelle unwiderlegbarer Argumente vor allem für jene, welche die DDR nicht selbst bewußt erlebt haben und nun an allgemeinbildenden Schulen, Hochschulen und Universitäten die zur Norm gewordene Geschichtsverdrehung über sich ergehen lassen müssen.

In Frickes Buch erfährt jeder, der nach Tatsachen Ausschau hält, Wichtiges über die wahren Hintergründe der bundesrepublikanischen Politik. Sie war von Beginn an durch abgrundtiefen Haß der "Eliten" gegen alles Bewahrenswerte aus der DDR charakterisiert. Sie haben dem sozialistischen deutschen Staat nicht verziehen, daß er dem Kapital für 40 Jahre die politische Macht und die Möglichkeit rabiater Ausbeutung entzog.

Hans Frickes Buch trägt diese Argumentation mit hoher Beweiskraft vor. Das Mitglied unserer Rostocker "RotFuchs"-Regionalgruppe schenkte mir seine jüngste Schriftensammlung mit einer persönlichen Widmung zum 80. Geburtstag, wofür ich ihm auch auf diesem Weg herzlich danken möchte. Meinen Dank verbinde ich mit dem Wunsch, auch künftig so kämpferische Beiträge aus seiner Feder lesen zu können.

Harry Machals, Rostock

Raute

Merkel-Anziehpuppe aus Papier mit hinreißenden Outfits

Ein Festgeschenk für Bastelfreunde

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Archies Lebensgefühl

Mit der Erfahrung ist es bei den meisten Männern wie mit der Glatze: Der eine kriegt sie, der andere hat sie. Manchmal kam es Archie so vor, als sei er zwischen die Zeiten gefallen, zunächst die kapitalistische, faschistische Vorkriegszeit. Er war im Jahr der "Machtergreifung" des Wahnsinnigen aus Braunau von einer Hebamme in einer Armenstube ans Licht der Welt gezerrt worden, etwas gewaltsam, wie die anwesende Großmutter behauptete. Er habe auch erst Laut gegeben, nachdem sein Säuglingspopo ganz rot geklatscht war, um sofort wieder einzuschlafen.

Das nächste halbe Dutzend Jahre konnte er wenig Erfreuliches in seiner Umwelt erblicken, bis am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg begann, also vor fast 70 Jahren. Von da an gab es nichts mehr zu lachen und nicht mehr viel zu beißen am Alten Oderstrom im Breslauer Elendsviertel. "Räder müssen rollen für den Sieg", "Kohlen-Klau" und "Feind hört mit" stand an der Litfaßsäule, "Quax, der Bruchpilot", "... reitet für Deutschland", "Kann denn Liebe Sünde sein?", Zarah Leander, Heinz Rühmann, Film- und Schlagerfetzen ziehen durch sein Gemüt, dazu "Bomben auf Engeland" und Goebbels in der Jahrhunderthalle. Auch das Bersten der brennenden jüdischen Bethäuser und das Heulen der Stuka-Sirenen aus der Kriegwochenschau im Flohkino hat er noch im Ohr.

Danach kamen die überstürzte Flucht, die bitterkalten Nachkriegswinter, das Umherirren in zerstörten Städten, in Dresden nur Tretpfade durch Trümmer, Magenknurren, quälender Durst. Unterwegs allenthalben Leute, denen es noch schlechter ging, Verwundete, Verkrüppelte. Das waren Erlebnisse, die Traumata seiner Kinderzeit.

Später in der Lausitz sah er plötzlich blühende Kirschbäume und Schäfchenwolken am hohen Himmel, die es früher scheinbar nicht gab. Zwischen der Dorfschule in der Oberlausitz und der Oberschule in der Kleinstadt las er alles, was ihm in die Hände fiel, ob es für sein Alter bestimmt war oder nicht, meist wohl nicht.

Und da fühlte er sich wieder zwischen den Zeiten. Eben sah er noch, wie zwei "Kettenhunde", die gefürchteten Feldgendarmen der Wehrmacht, zusammen mit SS-Leuten flüchtende Landser an den Chausseebäumen aufhängten, bis sie nicht mehr zappelten, mit Pappschildern um den Hals, wo Worte wie "Vaterlandsverräter" draufstanden, zur Abschreckung.

Bald danach erblickte er handgemalte Transparente "Junkerland in Bauernhand". Da hatte er wieder so ein merkwürdiges Gefühl der Fremdheit, als müßte gleich Quax, der Bruchpilot, drüberfliegen und das Lied "Heimat, deine Sterne" aus dem Äther kommen. Wenn man ihm die Mär von der Roggenmuhme im Dorf erzählte, irritierte ihn das nicht. Bei ihm waren es halt andere Figuren, die ihn in der Erinnerung als Gespenster verfolgten. Auch hörte er von Flüchtlingskindern, die aus Ostpreußen gekommen waren, noch viel Schlimmeres: Pferdegespanne, die mit Mann und Maus im Haff einbrachen, Eltern, die vor den Augen der erstarrten Kinder im eiskalten Wasser versanken.

Es gab eine ungeschriebene Solidarität unter den durch den Krieg Verschlagenen. Man teilte, was man besaß, erzählte sich alles, was man erlebt hatte. Die Erwachsenen hörten das nicht gern, verboten den Kindern, über böse Dinge zu reden, schlugen sie sogar dafür. Für sie galt nur, wie man heil durchkommt, mit Krieg und Nachkrieg fertig wird. Erst sehr viel später stieß Archie beim Lesen auf das geheimnisvolle Wort "Lebensgefühl".

Was ist das? Hätte er Mutter gefragt, so wäre er der Antwort sicher gewesen: "Dafür bist du noch zu klein." Das sagte sie oft, wenn sie etwas nicht in einem Satz erklären konnte.

Archie hatte eher das Gefühl, daß das Leben mit ihm Katz und Maus spielte, und wußte nicht, daß das genau sein damaliges elendes Lebensgefühl war, geprägt von Unsicherheit, Ohnmacht und Furcht.

Er, das Stadtkind, hatte sogar Angst vor Gänsen auf der Dorfstraße. Später las er noch viel bei Schriftstellern über das Lebensgefühl ihrer Zeit, je nach Position, von A bis Z, von Amado und Aragon über Babel, Balzac und Brecht bis zu den Manns, Heinrich und Thomas, und den Zweigs, Arnold und Stefan. Überall wird ein Zeitalter besichtigt und dem Lebensgefühl nachgegangen. Eigentlich geht das überhaupt nur in der Belletristik, oder?

Vielleicht sollte man mal wieder bei Jürgen Kuczynski, dem Gelehrten, der unverrückbar links stand, nachlesen. Er hatte die Lage der Arbeiter wie kein anderer erforscht, vor allem im Kapitalismus. Erfaßte er auch ihr Lebensgefühl?

Als Archie 1952 zum Studium an die Humboldt-Universität nach Berlin ging, begann sich sein Lebensgefühl zu regen und ständig zu verändern, weil er in den Aufbau einer anderen Gesellschaft mit ihren antikapitalistischen Wertvorstellungen, Lebenszielen und Ansichten einbezogen wurde. Möglicherweise klafften da Ideal und Wirklichkeit noch weit auseinander, aber das Lebensgefühl drehte sich wie eine Blume der Sonne und dem Licht zu. Das läßt sich bei Archie auch in der Jetztzeit einfach nicht mehr zurückdrehen, selbst wenn ihn seine Enkeltöchter vielleicht als Ewiggestrigen belächeln mögen. So etwas stört ihn wenig, erheitert ihn aber auch nicht, weiß er doch, daß sich die wirklich wesentliche Dinge im Leben des einzelnen und der Völker nur durch eine sozialistische Ordnung lösen lassen. Darin besteht sein tief verinnerlichtes Lebensgefühl. Es gründet sich auf Überzeugungen, die von Erfahrungen gespeist werden.

Nach dem Anschluß der DDR an die BRD wurde er als 56jähriger ausgemustert - gewissermaßen war er nun ein Muster ohne Wert. Für das Kapital, versteht sich. Das gilt aber auch umgekehrt: Für Archie ist das Kapital ohne Wert. Würde er sich dem Heute und dessen Werten anpassen wollen, käme er sich lächerlich vor. Das Lebensgefühl der 40 DDR-Jahre läßt sich nicht austreiben.

Inzwischen fühlt sich Archie wie in einem anachronistischen Panoptikum. Und er trifft eine ganze Menge Leute, denen es genauso geht.

Manfred Hocke

Raute

Leserbriefe an ROTFUCHS

Lieber Walter Ruge, auf diesem Wege ein Wort unter uns. Wir sind uns sicher einig, daß jeder "RotFuchs" - vom Leitartikel über die einzelnen Beiträge bis zu den Leserbriefen - ein hohes Niveau bietet. Dennoch suche ich immer zuerst nach Deinem Namen. Und wie schön, ich finde ihn sehr oft. Deine Art, wie Du sprachlich meisterhaft, faktenreich und überzeugend gesellschaftliche Probleme analysierst, begeistert mich sehr.

Ich habe mich ein wenig nach Deinem bereits mehr als 93 Jahre zählenden Lebensweg erkundigt und erfahren, daß so manche "Beule an Deinem Helm" nicht vom Klassenfeind stammt. Das ermutigt mich dazu, Dir zu sagen: Deine in jeder Zeile zum Ausdruck kommende unerschütterliche revolutionäre Klassenposition ist für uns Leser von unschätzbarem Wert. Mögest Du uns noch recht lange erhalten bleiben, lieber Walter, denn wir brauchen Deine klugen Gedanken und Deine schreibende Hand.

Arno Reinhold, Schwerin


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Ich bin jetzt 34 Jahre alt und komme einfach nicht damit klar, daß es unsere Heimat nicht mehr gibt. Mir fehlt etwas! Wenn es die DDR noch geben würde, ich täte mich so gerne engagieren. Ich möchte versuchen, jedem zu erklären, warum der Kapitalismus nicht funktioniert. Wenn ich das schreibe, habe ich wirklich Tränen in den Augen, weil all das, was man uns im Staatsbürgerkundeunterricht gelehrt hat, der Wahrheit entspricht. Aber auch ich wollte es damals nicht glauben. Man hat die DDR so dargestellt, als wäre alles toll. Wir haben aber gemerkt, daß es so nicht stimmte. Deswegen haben wir das nicht abgenommen, was man uns über den Westen beibringen wollte. Inzwischen sind wir auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Ich würde die Zeit so gern zurückdrehen, aber leider geht das nicht.

Ich bin so traurig darüber, daß man das, was man bereits in der Hand hatte, derart leichtfertig weggegeben hat. Warum muß der Mensch immer erst "auf die Schnauze fallen"?

Maik Arndt, Petting


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Wenn Ortsgruppen der Volkssolidarität mich - einen 83jährigen - bitten, aus meinen Lebenserinnerungen vorzulesen, freue ich mich natürlich. Ein besonders aufbauendes Erlebnis hatte ich jedoch, als mich die 12- bis 18jährigen Mädchen und Jungen der Gruppe "Theatre libre" aus Sebnitz baten, von früher zu berichten. Nachdem ich kurz über Faschismus und Krieg gesprochen hatte, nahm das Fragen kein Ende.

Sehr interessiert sind die Jungen daran zu erfahren, wie wir den schwierigen Übergang vom Glauben an einen gottgleichen Führer zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen von Marx, Engels und Lenin geschafft haben. Lebendig ist darüber zu berichten, wie von unserer Idee überzeugte Bürger der DDR oft die eigene Gesundheit aufs Spiel setzten, um andere mitzureißen. Andererseits darf nicht unerwähnt bleiben, daß allzu viele auf Kosten der Allgemeinheit ihr Schäfchen ins trockene zu bringen versuchten.

Werner Döring, Hohnstein


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Bestimmt gehöre ich immer zu den ersten Lesern des RF, den ich neben der "jungen Welt" und der UZ als wichtigste Informationsquelle betrachte. Auch als Hartz-IV-Betroffener leiste ich mir diese geistige Nahrung. Sie ist in der Umwelt des Kapitalismus einfach unverzichtbar.

Außer zwei schweren Irrtümern bereue ich nichts. Zu beiden stehe ich. - Mein erster Irrtum ereignete sich 1967/68. Es ging um den "Prager Frühling", um einen "Sozialismus mit menschlichem Gesicht". Ich erfuhr davon über Kontakte ins Nachbarland und die deutschsprachigen Sendungen von Radio Prag. Ich war begeistert. Endlich schien ein "frischer Wind" zu wehen.

Mein zweiter Irrtum trug sich 1989 zu. Ich las den Aufruf des "Neuen Forums" zur Überwindung erstarrter Strukturen, für einen "besseren Sozialismus". Den Akteuren traute ich allerdings schon damals nicht. In Zittau gab es den Pfarrer Heinz Eggert.

Seit 1968 Mitglied der SED, enttäuschte mich die Sprachlosigkeit der Parteiführung. Ich dachte aber keinen Augenblick daran, aus Trotz mein Dokument hinzuwerfen. Ich werde es bis an mein Lebensende behalten.

Bei meinem Vater - er trat schon im Juli 1945 der KPD bei - stimmten Wort und Tat stets überein. Seine Kollegen schätzten ihn als guten Arbeiter und Genossen.

Gerade deshalb hat mich Ilse Kocialeks Artikel "Ich erlebte fünf deutsche Staaten" sehr angerührt. Danke, danke und nochmals danke!

Gerd Engelmann, Zittau


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Ich habe die klasse Farbfotos im März-"RotFuchs" entdeckt. Besonders der lesende Arbeiter von Rommel hat es mir angetan.

René Senenko, Hamburg


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Schön, daß der RF dem Leser in Farbe bildende Kunst aus der DDR nahebringt. Doch mit ein paar Zeilen ist die Burg Beeskow, wo die DDR-Werke "verwahrt" werden, ja nicht abgetan. Wer ist in diesem Falle der "private" Aussteller?

Zur "Wendezeit" wurden ungezählte als herrenloses Gut betrachtete Gemälde, Grafiken und Skulpturen gestohlen und auf diese Weise "privatisiert". Wir waren damals froh, daß die nun ungewollten Werke aus gesellschaftlichem Besitz wenigstens eine Auffangstelle in Beeskow fanden. In meinen Augen erwies sich diese dennoch als eine Art "Beerdigungsinstitut" für DDR-Kunst, denn alle dorthin gerichteten Anfragen blieben unbeantwortet.

Karlheinz Effenberger, Schwerin


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Eine Arbeitsgruppe der Linkspartei in Sachsen legte unlängst ein Papier unter dem Titel "20 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR - 20 Thesen" vor. Zu ihr gehörten auch die sächsische Landesvorsitzende der Partei Die Linke Cornelia Ernst sowie andere hinreichend kompromittierte Personen. In dem erwähnten "Dokument" heißt es wörtlich: "Die DDR war ein Staat des Ostblocks, eine Diktatur, in der viele Bürger Zwang, Angst und Hilflosigkeit sowie Unterdrückung erlebten." Und weiter wird da behauptet: "Die fortwährende Verletzung universaler Menschenrechte stumpfte die Bürger der realsozialistischen Staaten ab und ließ auf seiten der Beherrschten wie der Herrschenden Zynismus aufkommen, als dessen Ergebnis der Sozialismus sowie seine wissenschaftlichen und ideengeschichtlichen Wurzeln zum ritualisierten Lippenbekenntnis verkamen."

Es ist sehr bezeichnend, daß dieses Papier einflußreicher Personen des rechten Flügels der Linkspartei ausgerechnet im 60. Jahr der Gründung der DDR in die Debatte geworfen wurde.

Hans-Georg Vogl, Zwickau


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Als ich am 28. März frustriert und enttäuscht den Heimweg von der Konferenz "Wir sind das Volk" nach Zittau antrat, fiel mir das Wort ein, wonach sich Geschichte immer zweimal abspielt: einmal als Tragödie, einmal als Farce. Und wenn man davon ausgeht, daß der Untergang der DDR als Tragödie aufzufassen ist, so stellt das Verhalten der Partei Die Linke im Umgang mit ihren eigenen Wurzeln wohl die Farce dar. Selten habe ich eine solche Anbiederung an die herrschenden Verhältnisse im real existierenden Kapitalismus erlebt wie auf unserer (?) Parteikonferenz in Dresden. Bereits der Beginn ließ mich aufhorchen. Die Thesen, die vom LV herausgegeben wurden, stießen glücklicherweise in den Basisorganisationen auf lebhaften Protest. In Dresden waren kritische Stimmen dazu offenbar nicht erwünscht. Anders kann ich mir nicht erklären, wie die wenigen, aber berechtigten Beiträge von Genossen, die einen konstruktiveren Umgang mit der DDR-Vergangenheit forderten, auf Hohn stießen.

Als ich im Zug saß, lernte ich durch Zufall zwei ältere Genossen kennen, die wie ich die Konferenz vorzeitig verlassen hatten. Nachdem wir uns eine Weile über diese unsägliche Veranstaltung unterhalten hatten, nutzten wir die Zeit, um über einen "RotFuchs"-Artikel zu diskutieren. Wohl ein guter Abschluß eines bis dahin so sinnlos vergeudeten Tages.

Dominik Gläsner, Zittau


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Seit über einem Jahr beziehe ich den "Rot-Fuchs".

Ich lese alle Artikel, einzelne werden sogar studiert. Ich frage mich nach der Lektüre, wieso es den vielen äußerst intelligenten und sicher auch einflußreichen Genossen und parteilosen Freunden in unserer Republik nicht gelungen ist, die verknöcherten Strukturen, speziell im PB und ZK, rechtzeitig aufzubrechen und eine personelle Änderung - unter Würdigung der Verdienste einzelner - herbeizuführen, um das Ruder herumzureißen.

Wir hatten viele gute Gesetze, z. B. das "Über die Aufgaben und die Arbeitsweise der örtlichen Organe", außerdem so viele Helfer und Mitarbeiter an der Basis, aber nichts tat sich. Es ging meiner Meinung nach schon los, als Genosse Ulbricht aus dem Rennen genommen wurde.

Lothar Fischer, Reichenbach


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Man muß nicht unbedingt in der DDR gelebt haben, um festzustellen, daß sie "auch gute Seiten hatte". Wenn ein Wessi wie der Ministerpräsident von M-V Erwin Sellering auf Positives in der DDR verweist, bricht die Hölle los. Ihm wird eine DDR-Sicht unterstellt, die ihm nicht im Traum einfallen würde, hat er doch nicht mehr und nicht weniger gesagt, als daß in der alten BRD nicht alles gut und in der DDR nicht alles schlecht gewesen sei.

Werner Schulz vom Bündnis 90/Die Grünen schäumte: "Ich kenne solche Debatten. Erst heißt es, in der DDR war doch nicht alles schlecht. Und am Ende soll herauskommen, in der DDR war sogar vieles besser, als es heute ist." Soweit geht Sellering bei weitem nicht. Immerhin ist er auch Vorsitzender der SPD in M-V. Die zitierte Äußerung aber verrät zumindest Geschichtskenntnisse und eine eigenständige Haltung.

Karl-Wilhelm Wolff, Neubrandenburg


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Die Entwicklung der Güstrower RF-Regionalgruppe stimmt mich sehr optimistisch. An unserer Zusammenkunft mit Egon Krenz im Bürgerhaus nahmen erstmals 200 Mitglieder, Leser und Sympathisanten teil. Die bürgerlichen Medien, die uns seit einiger Zeit aufmerksam "begleiten", reagierten, als sei der Fuchs in einen Hühnerstall eingedrungen. Hatte sich die "Schweriner Volkszeitung" nach einer vorangegangenen, ebenfalls sehr gut besuchten Veranstaltung mit Hans Modrow auf ihre Art mächtig ins Zeug gelegt, dann begab sich diesmal "Spiegel-online" an die Front. Sachlicher berichtete der Deutschlandfunk.

Auf alle Fälle: Die Güstrower Füchse sind am Ball.

Walter Krüger, Dudinghausen


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Einem Bericht von "Bild" war zu entnehmen, daß der Amokschütze von Winnenden schon im Alter von zehn Jahren schießen gelernt hat. Der "Ostthüringer Zeitung" - Kreisteil Jena - zufolge befinden sich dort etwa 2000 Schußwaffen in privater Hand. Wie viele sind es in ganz Deutschland? Sitzen wir nicht auf einem Pulverfaß?

Mitverantwortung für den Tod von 16 Menschen trägt der Vater, der Waffe und Munition frei zugänglich in der Wohnung deponierte. Schuldig aber sind auch die Verantwortlichen des Schützenvereins, die es zuließen, daß Minderjährige auf ihren Anlagen das Schießen erlernen können. Doch die Hauptschuld liegt beim System.

Wolfgang Hilbert, Kahla


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Es ist keine besonders neue Erkenntnis: Das kapitalistische Bonussystem hat sich in den letzten Jahrzehnten in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens hineingefressen. Das ganze Land BRD wird mit sogenannten Belohnungssystemen ständig unter Dampf gehalten. Raubtierkapitalismus pur, das mußte selbst der inzwischen 90jährige Alt-Kanzler Helmut Schmidt einräumen.

Kürzlich las ich dazu in einem Springerblatt: "Was Banker und Bürger trennt, das sind die Größenordnungen: Der eine bekommt Abermillionen, der andere den Massage-Igel." Aber noch eins darf unserer Aufmerksamkeit nicht entgehen. Beim Banker-Boni sitzen Boni-Gewährer und Boni-Kassierer im gleichen Boot. Sie alle machen auf Kosten der Allgemeinheit den großen Schnitt. Der schnelle Profit von heute löst übermorgen den Kollaps aus.

Die Folgen für das Ansehen der boni-hungrigen Manager, die sich auf Kosten der Allgemeinheit die Taschen vollstopfen, sind fatal. Lediglich 15 Prozent der Deutschen haben - einer Studie des Marktforschungsunternehmens GfK in Nürnberg zufolge - noch Vertrauen in die heutige "Wirtschaftselite". Und warum ist das so? Weil dieser Teil der Gesellschaft nach dem Motto lebt: "Laßt uns reich und reicher werden, auch wenn dadurch andere immer ärmer werden" (O-Ton von Norbert Trelle, katholischer Bischof von Hildesheim).

Dr. Dieter Langer, Königs Wusterhausen


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Pünktlich zum "Superwahljahr" 2009 meldet sich Herr Knabe aus Hohenschönhausen mit seinem neuen Machwerk "Honeckers Erben - die Wahrheit über Die Linke" zu Wort. Er zitiert aus dem Manifest von Marx und Engels: "Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus", um zu konstatieren, dieser Satz sei in Deutschland "überraschend aktuell". Weiter ist bei Knabe zu lesen: "Im Osten Deutschlands sitzen ehemalige SED-Kader schon seit Jahren wieder an Schaltstellen und erklären die DDR als legitimen Versuch, eine vermeintlich bessere Gesellschaft aufzubauen." Und das nach 20 Jahren Gehirnwäsche! Knabe behauptet, Rosa Luxemburg habe "energisch dafür gekämpft, die Demokratie auf deutschem Boden zu verhindern", sie habe "den Bürgerkrieg gewollt" und dadurch ihre Ermordung "letztlich selbst verursacht". Das ist übelste Volksverhetzung im Sinne des Strafgesetzbuches.

Wilfried Steinfath, Berlin


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Veranstaltungen zur "Geschichtsaufarbeitung" häufen sich bei uns im "Jubiläumsjahr". Unerträglich sind die zahlreichen Vorträge an der Volkshochschule, die in Zusammenarbeit mit der Birthler-Behörde angeboten werden. Ein Thema lautete: "Von der Zonengrenze bis zur innerdeutschen Grenze". Der Referent war ein gewisser Dieter Freesemann, Erster Polizeihauptkommissar an der Grenze im Raum Harzburg.

Da man die Geschichtsfälschungen nicht widerspruchslos hinnehmen kann, besuchten wir zu dritt diesen "Vortrag". Der Zuspruch war nicht groß. Unter den knapp 30 Teilnehmern befanden sich etwa 15 "Delegierte" der Lautenbergschule, die offenbar eine themenbezogene Arbeit anzufertigen hatten. Der Herr vom BGS setzte seine Rhetorik und technische Hilfsmittel geschickt ein. Durch den gesamten Vortrag zogen sich Verdrehungen geschichtlicher Abläufe, das Weglassen historischer Tatsachen und die einseitige Darstellung von Geschehnissen an der Grenze. Stacheldraht, Minen, Selbstschußanlagen und Todesstreifen bildeten den Schwerpunkt. Zuletzt spulte er ein vom ihm aufgezeichnetes "herzzerreißendes Telefonat" zwischen Bruder und Schwester auf beiden Seiten ab. Am Ende blieb noch Zeit für Fragen, eine Diskussion war nicht gewollt. Nach unseren ersten Kommentaren brach der Hauptkommissar die Veranstaltung ab.

Wir bilden uns nicht ein, solche Leute aus ihren festgefahrenen Gleisen werfen zu können. Aber wir werden auch nicht alles hinnehmen, was vor allem jungen Menschen an Geschichtsverdrehungen suggeriert wird.

Dagmar Schmidt, Suhl


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Im österreichischen Irdning hat das Bezirksgericht Herrn Althaus, seines Zeichens Ministerpräsident von Thüringen, wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 33.300 Euro verurteilt. Der Anwalt des Politikers hatte die Blitzverhandlung beantragt, obwohl die zuständige Staatsanwaltschaft in Leoben die Anklageerhebung gegen Althaus erst einen Tag zuvor bekanntgemacht hatte. Nach einstündiger Verhandlung wurde dann das Urteil gesprochen, das bereits rechtskräftig ist. Für die schnelle Urteilsfindung und somit auch die Aufklärung des Skiunfalls vom Neujahrstag, an dessen Folgen Frau Christandl starb, muß man den österreichischen Ermittlungsbehörden ein Lob aussprechen.

Über das Urteil könnte man nachdenken. In der BRD wird da anders gearbeitet. Hier gibt es mehr als 100.000 Personen, die um ihre gerechte Rente kämpfen. Sie werden ohne Urteil irgendeines Gerichts dadurch bestraft, daß man die ihnen zustehenden Bezüge willkürlich kürzt. Diese Menschen haben keine fahrlässige Tötung begangen, werden aber seit 18 Jahren Monat für Monat durch Vorenthaltung der ihnen zustehenden Rente bestraft. Bei ihnen handelt es sich um Bürger der DDR, die ihrem Staat als Köchin oder Ingenieur, als Offizier oder Reinemachefrau ehrlich gedient haben.

Bei Herrn Althaus verhält sich das anders: Trotz fahrlässiger Tötung eines Menschen bleibt sein Strafmaß unterhalb des Eintrags in ein Führungszeugnis, so daß er in Thüringen auch fortan schalten und walten kann.

Walter Menz, Tambach-Dietharz


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Herr Knabe und Frau Birthler fordern uns auf, endlich die etwa 600 Ernst-Thälmann- und Wilhelm-Pieck-Straßen umzubenennen. Dies ist nicht die erste Attacke dieser Art.

Knabe wundert sich offenbar, daß das, was er "Verklärung der SED-Diktatur" nennt, im Osten nicht ab-, sondern zunimmt. Ihm scheint nicht aufzugehen, daß er selbst nach Kräften dazu beiträgt. Der schönste Lohn wäre für ihn, wenn es dereinst in Hohenschönhausen eine Hubertus-Knabe-Straße geben würde.

Günther Lidke, Bitterfeld-Wolfen


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In Bad Suderode (Harz) erholen sich jährlich viele Menschen. Auf Wanderwegen werden sie zu einer Kalziumquelle geleitet. Vor dem ersten Schluck wandert das Auge des Durstigen zu zwei Tafeln aus Naturstein. Links steht: "Im Rahmen des Nationalen Aufbauwerkes erneuerten die Einwohner unserer Gemeinde im freiwilligen Arbeitseinsatz 1953 diese Quelle." Nun gleitet der Blick des ans heilende Wasser Getretenen zur rechten Tafel. Dort liest er: "Diese Quelle möge unseren Gästen Erquickung und Gesundheit bringen in unserem geeinten Vaterland." Die letzten vier Worte wurden erst später eingemeißelt.

Eigentlich ist das Schleifen von Denkmälern Sache derer, die heute politische Macht ausüben. Hier aber sollte - in schlechtem Deutsch - nur "verwohlfeilert" werden. Dem Ideenfinder sei geraten, künftig vor dem Tätigwerden das Mineral der Kalziumquelle ausgiebig zu sich zu nehmen.

Peter Wozniak, Halle


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Der Aufruf "Der BRD fehlt ein Arbeitsgesetzbuch" (RF 132) hat mich als Beteiligten an der Formulierung des AGB der DDR zwar direkt angesprochen, aber auch verwundert. Bekanntlich regelt das Arbeitsrecht die Arbeitsverhältnisse als Teil der Produktionsverhältnisse. Diese wiederum werden im wesentlichen von den Eigentumsverhältnissen bestimmt, welche die ökonomische Basis bilden, über der sich ein juristischer und ideologischer Überbau erhebt.

Das Recht ist laut Marx und Engels der zum Gesetz erhobene Wille der jeweils herrschenden Klasse. In der BRD bestimmt also das Monopolkapital durch seinen Staat, wie die Arbeitsverhältnisse im Interesse der Ausbeuter rechtlich auszugestalten sind.

Es ist ehrenwert, wenn sozial empfindende Menschen an diesen Zuständen etwas ändern wollen. Doch ein qualitativ anderes Arbeitsrecht gibt es nur unter sozialistischen Bedingungen.

Ich hoffe nicht, daß Mitglieder der Linkspartei die Kodifizierung des kapitalistischen Arbeitsrechts übernehmen wollen. Das wäre nämlich eine Sisyphos-Arbeit. Eine solche Initiative könnte bei den Wählern die trügerische Vorstellung erwecken, daß man durch "demokratische Mitwirkung" die Macht- und Rechtsverhältnisse zu ändern vermag. Möglich sind indes kleine soziale Verbesserungen, die mit Hilfe der Gewerkschaften erkämpft werden können.

Dr. Werner Kulitzscher, Berlin


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Wolfgang Kroschel berichtet in seinem Leserbrief von einer Christin, die angeblich wegen ihres Glaubens "gedemütigt" worden sei und dennoch zur stellvertretenden Abteilungsleiterin in einem DDR-Ministerium aufstieg.

Auch in der Personalpolitik war man im Westen gegenüber Systemkritikern radikaler. Es hagelte Berufsverbote. Ein bekennender Kommunist konnte in der BRD im öffentlichen Dienst keine Beschäftigung finden - weder als Briefträger noch als Lokführer, geschweige denn in einem Bundesministerium als stellvertretender Abteilungsleiter.

Klaus Fischer, Erfurt


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Mit großem Interesse lese ich die Veröffentlichungen über bewährte Bürger der DDR, besonders über Militärkader. Sehr gefreut habe ich mich über den Artikel "Fritz Johne - ein General mit Herz". Ich lernte ihn während meines Studiums an der Militärakademie "Friedrich Engels" persönlich kennen. Ich stimme den Grundaussagen völlig zu. Zwei Details wären allerdings korrekturbedürftig: Der Gründungstag der Akademie war der 5. Januar 1959, ihr erster Kommandeur Generalmajor Heinrich Dollwetzel. Generalmajor Fritz Johne wirkte vom 1. Oktober 1959 bis zum 30. April 1964.

Oberst a. D. Karl-Heinz Kathert, Dresden


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Der Beitrag Karl Schlimmes über Gustav Dietz hat mich sehr gefreut und weckte Erinnerungen: Die Überschrift war treffend. Genosse Dietz war wirklich ein Aufrechter. Ehrlich, bescheiden, dabei aber mit einer unverrückbaren Überzeugung, die auch Kritik und das Durchdenken anderer Meinungen zuließ. Gustav Dietz genoß hohes Ansehen, weil er den einfachen Menschen stets zeigte, daß er einer von ihnen war. Er war für uns ein großes Vorbild, und ich bin überzeugt, daß vielen von uns damals noch nicht bewußt war, in welchem Maße seine Charakterstärke, seine Haltung und Überzeugungsfähigkeit uns für künftige Zeiten und Aufgaben beeinflußt haben. Wir sind ihm dafür Dank schuldig.

Werner Bruns, Magdeburg


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Die jW veröffentlichte vor einiger Zeit einen Artikel von Frau Ngyuen "Auf dem Hinterhof". Es ging um den DEFA-Film "Sie nannten ihn Amigo". Es ist sehr löblich, daß in der jW-Ladengalerie die Serie "Antifaschistisches Kino in der DDR" eröffnet wurde. Auf den begleitenden Artikel von Frau Nguyen kann ich dieses Lob allerdings nicht ausdehnen. Sie läßt der Feststellung, die Filme seien "künstlerisch oft sehr ambitioniert", den Satz folgen: "Zweifellos kam dies der SED zupaß". Das kam ihr nicht nur "zupaß", sondern war von ihr so gewollt. Deswegen ist auch die Fragestellung im Titel der Filmreihe "Staatsauftrag oder Filmkunst?" falsch.

War die Kunst in der DDR wegen oder trotz der SED überwiegend besser, volksnäher und niveauvoller als die der alten BRD? Das Wort "zupaß" läßt auch die Vermutung zu, die Filmschöpfer hätten vor der SED gebuckelt. Sie waren aber selbst Antifaschisten, die ihre Kunst in vollem Bewußtsein des ihnen erteilten gesellschaftlichen Auftrags und damit verbundener Verantwortung ausgeübt haben.

Frau N. läßt offen, wovon "das pathetisch im Off vorgetragene" Kurt-Schwaen-Lied "Wer möchte nicht am Leben bleiben" ablenkt. Es paßt in den Film wie die Faust aufs Auge. Die Rezensentin bezeichnet den Schluß des Streifens als "reine Propaganda" und "filmkünstlerisch ... fragwürdig". Um Millionen Menschen, die unter dem Einfluß der Naziideologie standen, im antifaschistischen Sinne zu erziehen, bedurfte es auch propagandistischer Mittel. Wenn sich Frau N. mit der Filmkunst der DDR wirklich beschäftigt hätte, dann wäre ihr auch aufgefallen, daß später, nach den 50er Jahren, solche und andere Themen subtiler behandelt wurden.

Gerhard Naumann, Berlin


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Es ist erheiternd zu lesen, wie sich Frau Lengsfeld alias Wollenberger zum Palast der Republik äußert. Für mich war jeder Besuch unseres Volkshauses immer ein besonderes Erlebnis, auch wenn ich als parteiloser Produktionsarbeiter und tarifbezahltes Mitglied eines "Kollektivs der sozialistischen Arbeit" nie zur DDR-Führung gehörte. Ich fand unseren Palast einfach schön, behaglich und zweckmäßig. Er stand immer für kleine Leute offen, auch wenn mir Frau Lengsfeld in rechthaberischem Ton etwas anderes einreden will, um ihren krankhaften Haß auf die DDR zu befriedigen.

Herbert Schilling, Weimar


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Herzliche Grüße aus der Drei-Flüsse-Stadt Passau! Der "RotFuchs" ist für mich sehr wichtig, wenn ich das Puzzle der Neokonservativen zusammensetze.

Meine Frau und ich sind Zeitungsausträger mit einem Monatsverdienst von etwa 700 Euro (ohne staatliche Hilfen). Wir suchen in der Prignitz eine Möglichkeit, dort Zeitungen auszutragen. Eventuell sucht auch jemand einen Hausmeister oder Gärtner. Ich habe früher Landwirtschaft gelernt, und jetzt interessiert mich das Thema Ernährungssouveränität. Gibt es denn in der früheren DDR überhaupt keine sozialistischen landwirtschaftlichen oder kleinbäuerlichen Projekte mehr, keine Genossen, die dafür etwas übrig haben?

Den Kommunismus hat es ja noch nie gegeben. Leider ist der Sozialismus in Europa verschwunden, neue Ansätze fehlen. Eine Katastrophe.

Konrad Hartl, Passau


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Nach der durch die SS erzwungenen Flucht über die Ostsee gelangten wir nach Mecklenburg. Welch ein Glück! Das Leben in der Nachkriegszeit war hart und entbehrungsreich, aber ständig verbesserten sich unsere Daseinsbedingungen. Mit der Gründung der DDR wurde jedem, der arbeiten und lernen wollte, eine Perspektive geboten. Natürlich war das kein Paradies, in dem sämtliche Wünsche erfüllbar gewesen wären. Aber rückblickend kann ich sagen: Die DDR hat all meinen Verwandten und mir ein erfülltes Leben gesichert.

Als junger Bauarbeiter war ich 1949/50 am Umbau eines Gutsschlosses zu einem Altersheim beteiligt. Eine neue Welt tat sich uns auf. Wo einst eine einzige Familie protzig gewohnt hatte, durften nun alte Menschen behütet ihren Lebensabend verbringen. Die Kehrtwende 1989/90 hat dann dazu geführt, daß heute in Schloß und Park abermals nur eine Familie residiert.

Die kleine DDR hat mich obendrein auch noch genötigt, verspätet das Abitur zu machen, zu studieren und zu promovieren. Sie war ein Land ohne Milliardäre und Bankiers, aber auch ohne Bettler und Obdachlose. Wir werden unseren Kindern und Enkeln die Wahrheit über die DDR vermitteln, wobei wir um Fehler und Irrtümer keinen Bogen machen. Die Wahrheit über das kleine, manchmal so große Land DDR setzt sich durch.

Dr. oec. Kurt Zerbel, Neubrandenburg


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Ich habe die DDR von Anfang bis Ende miterlebt und mitgestaltet. Dabei gab es nicht "die DDR" schlechthin, sondern die DDR der 40er, 50er und 60er Jahre sowie die danach. Sicher wurden Fehler begangen. Ich nehme mich da nicht aus. Die Jahre der DDR aber waren die besten meines Lebens und sicher auch in der Geschichte der Arbeiterbewegung Deutschlands. Sie begann nicht mit "Eckpunkten", sondern mit "Grundsätzen und Zielen" und noch vor ihrer Gründung mit dem Aufruf der KPD an das schaffende deutsche Volk.

Werner Keppel, Gera


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Unlängst brachte die "Ostseezeitung" eine Reportage über die einstige Vorsitzende des "Neuen Forums" Bärbel Bohley. Als diplomierte Malerin und Grafikerin hatte sie in der DDR-Gesellschaft einen guten Stand. Der Arbeiter-und-Bauern-Staat eröffnete ihr viele Möglichkeiten. Dennoch wurde sie gegen ihn politisch aktiv. Die von ihr verkündete "Revolution" blieb allerdings aus. Frau Bohley wurde sogar von jenen kaltgestellt, die ihre große Hoffnung gewesen waren.

Nach ihrer Meinung sei sie eine Steigbügelhalterin gewesen. Das Bild ist gar nicht so falsch - nur für wen war sie es?

Angela Merkel hatte bessere Karten. Sie setzt die vom Kapital eingeforderten Maßstäbe knallhart durch. In diesem Sinne ist auch sie eine Steigbügelhalterin - der Herren Hundt, Ackermann & Co.

Dieter Kramp, Grevesmühlen


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Bisher hatte unsereiner in Übereinstimmung mit Marx, Engels und Lenin angenommen, daß mit dem Kapitalismus endgültig auch Privateigentum und Privataustausch, Geldwirtschaft, Kapital und darauf fußende Ausbeutung aus dem Leben der Gesellschaft verschwinden. Jetzt klärt uns Prof. Walter Draeger (RF, Nr. 134, S. 9) auf: alles reine Täuschung. Denn wenn die Menschheit immerhin sechs Jahrtausende nicht ohne Geld und Markt ausgekommen ist, warum sollte sie dann die nächsten 6000 Jahre darauf verzichten? Ja, warum sollte es je und in aller Zukunft eine Gesellschaft geben können, die ohne Geld und Markt existiert?

Die marxistische Prognose einer freien Assoziation, gestützt auf Gemeingut an Produktionsmitteln, auf eine Ökonomie der Zeit und vorbewußte Planmäßigkeit - doch nichts anderes als eine schöne Utopie? Also kann man sich die Mühe einer revolutionären Umwälzung der Gesellschaft schlichtweg sparen; und wenn man sich nicht als Don Quijote blamieren will, sollte man sich gefälligst damit begnügen, die angestammte Marktwirtschaft von ihren "kapitalistischen Mißbräuchen" zu reinigen.

Manfred Höfer, Leipzig


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Zu meinem Artikel "Die Bundeswehr sackte ein" (März-RF) erhielt ich telefonische Anfragen, wie und wo unsere Filme zu erhalten seien. Deshalb noch einige Hinweise:

Wer Zugang zum Internet hat, sollte bei Google "Filmstudio der NVA" eingeben. Dann "Breucom-Mediabörse" klicken. Da sind die 156 Filme aufgelistet, die über den PC angeschaut werden können. Zu haben sind sie in vier Kassetten (Preis je 22,90 Euro).

Außerdem werden vier Kassetten angeboten, die man per DVD-Player am Fernsehgerät betrachten kann: Panzer der NVA, Luftstreitkräfte der NVA, Volksmarine der NVA, Grenztruppen der NVA (Preis je 19,95 Euro). Ansonsten kann man auch schriftlich seine Wünsche äußern: Verlag Breucom-Medien, Archenholdstraße 12, 10315 Berlin

Oberst a. D. Helmut Putzger, Strausberg


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Auch ich möchte mich an der Debatte um den Abgang der Generalität der NVA beteiligen. Ob würdevoll oder nicht, ob Revisionismus in militärischen Grundfragen oder nicht: Über alles sollte diskutiert werden. Ich unterstütze die Meinung von Achim Blesse aus Gera (Februar-RF). Er trifft den Nagel auf den Kopf.

Wie jedoch Rolf Ziegenbein in der gleichen Ausgabe versucht, anderen zu unterstellen, sie wollten einen Keil "zwischen die einfachen NVA-Angehörigen und deren Führung" treiben, halte ich für absurd. Ich schätze Rolf Ziegenbein. Schließlich haben wir viele Jahre gemeinsam die Staatsgrenzen der DDR geschützt. In der schweren Zeit nach 1989/90 zogen wir im Stadtverband Suhl der PDS an einem Strang.

Soldaten, Offiziere, Generale und Politiker der DDR saßen gemeinsam auf der Anklagebank der bundesdeutschen Klassenjustiz. Da hat keiner versucht, dem anderen die Verantwortung oder gar die Schuld zuzuschieben. Wir haben den Soldaten und der militärischen Führung dafür zu danken, daß in der aufgeheizten und angespannten Situation weder ein Schuß fiel noch ein Tropfen Blut floß.

Ich habe vier Jahre an der Militärakademie in Dresden studiert. Jetzt lese ich, wie sich die "Abwicklung" dieser Kaderschmiede 1990 vollzogen hat. "Ihre Auflösung erfolgte ... letztendlich in aller Stille. Im Gegensatz zu Truppenteilen und anderen Einrichtungen der NVA wurden jegliche militärischen Zeremonielle - z. B. das Einholen der Truppenfahne - unterlassen. Die Entlassung des Hauptbestandes der Offiziere ... erfolgte am 30. September 1990 stillschweigend."

An eine solche Militärakademie kann ich mich allerdings nicht erinnern. Jahrzehntelang wurde hier das Feindbild Bundeswehr geprägt. Jetzt plötzlich glaubte man Minister-Pfarrer Eppelmann und seinem Versprechen von zwei Armeen in einem Staat. Wo blieb da das klar umrissene Feindbild?

Hans Linke, Suhl


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Es ist gut, richtig und wünschenswert, daß ehemalige Mitarbeiter des MfS im RF die Möglichkeit erhalten, ihre Sicht auf die DDR und ihren Dienst darzustellen. Wer fordern zu müssen meint, diesen Genossen, die eine für die DDR wichtige Arbeit geleistet haben, dürfe man kein Forum bieten, denkt unhistorisch oder möchte die Geschichte der DDR im nachhinein umschreiben. Zur Geschichte gehören immer auch Irrtümer und Widersprüchliches. Nachher weiß man vieles besser.

Was mir an einigen Beiträgen nicht gefällt, ist der Gedanke ehemaliger Mitarbeiter des MfS: Wir haben alles richtig gemacht, aber die Partei hat auf unsere Hinweise und Vorschläge nicht reagiert. In diesem Zusammenhang taucht auch des öfteren eine angebliche Äußerung Erich Honeckers auf: "Die Berichte der Staatssicherheit lese ich nicht, da kann ich ja gleich die Bildzeitung lesen." Bisher hat mir noch niemand mitteilen können, wo und wann er dies wirklich gesagt hat. Sollte das Zitat authentisch sein, wäre das eine sehr überhebliche Aussage, der ich nachdrücklich widerspreche.

Bei uns gab es eine sehr kameradschaftliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Kreisdienststelle des MfS. Jeder hat seine Verantwortung wahrgenommen, ohne daß es irgendein Machtgerangel gegeben hätte. Als ehemaliger 1. Sekretär einer SED-Kreisleitung kann ich sagen: Wir waren Partner für eine gemeinsame Sache. Meist ging es um das Stimmungs- und Meinungsbild der Bevölkerung, vor allem aber um ökonomische Probleme. An den monatlichen Lageeinschätzungen im Sekretariat der SED-Kreisleitung nahm stets der Leiter der Kreisdienststelle des MfS teil, der dort sagte, was er auf dem Herzen hatte. So ist es aus meiner Sicht völlig falsch, in gegenseitige Schuldzuweisungen zu verfallen. Deshalb bin ich auch strikt dagegen, die Schuld für unsere Niederlage beim MfS zu suchen.

Helmut Timm, Groß Nemerow

Raute

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Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift für Politik und Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft.

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(Redaktionsadresse)

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Quelle:
RotFuchs Nr. 136, 12. Jahrgang, Mai 2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2009