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ROTFUCHS/100: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 146 - März 2010


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

13. Jahrgang, Nr. 146, März 2010



Inhalt
Görings Rat
Bei Leuna sind viele gefallen ...
Vor 90 Jahren scheiterte der Kapp-Putsch
VEB Elektrokohle: Trümmerwüste statt pulsierenden Lebens
Eine Heldin der Arbeit: Renate Fölsch
Demokratie im DDR-Betrieb: Erfahrungen eines Arbeiters
Joachim Gauck als Märchenerzähler
Dank an Oskar Lafontaine
Programmatische Erwägungen der KPF
Meine Eindrücke von der DDR lasse ich mir nicht wegnehmen
Ulbricht und der liebe Gott
Kriebitzsch ehrt Wilhelm Pieck
Wie die Wickersdorfer Richard-Sorge-Stele abgerissen wurde
"Bildungszwang" in der DDR
Edgar Most - Diener zweier Herren
1931: "Abwahl" eines Boizenburger Kommunalpolitikers
Gier nach der D-Mark als Motiv
Ostalgie - ein dummer Begriff
Garnisonkirche: Wo Hitler vor Hindenburg kniete
Angela Merkel: Aufstieg um jeden Preis
Wahlen: Feuerwerk und Stimmungsbarometer
RF-Extra Angela Davis: Wem ich meine Freiheit verdanke
RF-Extra Ein Vorschlag Clara Zetkins
Sauerbruch und das Dritte Reich
Am deutschen Wesen soll die Welt genesen
Afghanische Mädchen brauchen Hilfe
Kubas Helden bleiben Faustpfand
Griechenland: Abfuhr für Arbeiterfeinde
Spanien: Links blinken, rechts fahren
Mexiko: Ciudad Juárez - Brutstätte des Feminicídio
Zehn Tage in Moskau (Teil 2)
China: Neue Werkausgabe von Marx und Engels
Bücher gegen das Vergessen
Unerschöpflicher poetischer Schaffensdrang: E. Rasmus
DDR-Erfolgsautor Joachim Wohlgemuth
Begegnungen mit Alfred Wellm
H.-Hegewald-Hörbuch als Hörvergnügen
Erinnern an Alfred Andersch
Als Archie nach den Sternen griff
Leserbriefe
Grafik des Monats

Raute

Görings Rat

Nein, nicht von Hitlers in Nürnberg zum Tode verurteiltem Reichsmarschall gleichen Namens, der Meier heißen wollte, wenn auch nur ein einziges gegnerisches Flugzeug in den Berliner Luftraum vordringen sollte, ist im folgenden die Rede. Dabei hatte auch er seine Amok laufenden Gefolgsleute auf die Kommunisten gehetzt und sich bei Georgi Dimitroff im Leipziger Reichstagsbrandprozeß eine blutige Nase geholt.

Hier geht es vielmehr um äußerst brisante Empfehlungen einer vergleichsweise harmlosen und ganz durchschnittlichen Person, die man ungeachtet ihrer hohen Ämter durchaus als politisches Leichtgewicht einstufen könnte: Karin Göring-Eckardt, Pastoren-Frau aus dem Thüringischen, ist nicht nur die von den Grünen benannte Vizepräsidentin des Bundestages, sondern auch Vorsitzende der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Zwei Posten, von denen man eigentlich auf Seriosität schließen müßte.

Doch weit gefehlt. Als "Bürgerrechtlerin" einst eine Frontfrau der Konterrevolution zur staatlichen Liquidierung der DDR, ist es Frau Göring-E. leid, Tag für Tag erleben zu müssen, wie sehr sich die seit 20 Jahren anhaltende Kampagne zur Kriminalisierung der Sicherheitsorgane des sozialistischen deutschen Staates festgefahren hat. Das "Stasi"-Gerede hängt den meisten BRD-Bürgern buchstäblich zum Halse heraus. Der giftige Sud aus der antikommunistischen Lügenküche gleicht einem überdosierten und dadurch konträre Wirkungen auslösenden Medikament. Er ist den "Patienten" in einem solchen Maße eingeflößt worden, daß das Resultat inzwischen gegen Null tendiert.

Doch die von einer "Täter"- und Profilneurose befallene Karin Göring-E. weiß Rat. Auf Abhilfe bedacht, empfiehlt sie statt der einseitigen Hatz auf kleine und große, formelle und informelle Mitarbeiter des MfS fortan weit umfassendere Kreise früherer DDR-Bürger zum Abschuß durch die Hexenjäger freizugeben: die Funktionäre der einst 2,3 Millionen Mitglieder umfassenden SED. Schließlich hätten diese das Trägergerüst des "Unrechtsstaates" gebildet und seien daher am ärgsten "belastet".

Görings Rat entspricht der Norm des von ihr und anderen "modernen" Antikommunisten offenbar als Vorbild betrachteten USA-Senators McCarthy, der wie die deutschen Faschisten nicht einmal vor Sippenhaft zurückschreckte. Was die SED betrifft, so war sie die bedeutendste deutsche Partei der Nachkriegszeit, die führende politische Kraft der DDR, ohne die der sozialistische Weg nicht beschritten und die neue Gesellschaftsordnung nicht 40 Jahre lang behauptet worden wäre. Die SED stand für Sozialismus, Volksmacht und Frieden. Deshalb hat Frau Göring-E. gar nicht so unrecht, wenn sie die SED-Kader als "Täter" bei der Zerschlagung des Kapitalismus in einem Drittel Deutschlands und der lange Zeit erfolgreichen Durchkreuzung seiner restaurativen Pläne betrachtet.

Der vorgepreschten Politikerin aus dem grünschwarzen Lager geht es allerdings nicht um die Würdigung historischer Leistungen oder die Betonung des besonderen Beitrags der SED zu den Geschicken der DDR. Sie zielt allein auf kollektiven Rufmord an allen, die den Kampf für eine menschenwürdige Alternative zum deutschen Imperialismus aufzunehmen gewagt haben.

In diesem Sinne stellt sich Frau Göring-E. in eine Reihe mit solchen professionellen Brunnenvergiftern wie Gauck, Knabe und Birthler.

Leider büßte die SED im Laufe der Jahre viel vom Enthusiasmus der Aufbruchsphase und vom Glanz jener Ära ein, in der so selbstlose Kämpfer wie Wilhelm und vom Glanz jener Ära ein, in der so selbstlose Kämpfer wie Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, Otto Buchwitz, Walter Ulbricht, Heinrich Rau, Hermann Matern und Bruno Leuschner an ihrer Spitze gestanden hatten. Das Streben nach quantitativen Höhenflügen verdrängte immer mehr das Ringen um Solidität und Qualität. Karrieristen aller Art wurden durch den Magnetismus der machtausübenden und postenverteilenden Massenpartei angezogen. Die revolutionäre Vorhut geriet dabei Schritt für Schritt unter die Räder.

Es ist durchaus kein Zufall, daß aus dem Ballast der SED auch Heimtücke, Verrat und Fahnenflucht hervorgingen. Wenn ehemalige "Genossen" in nicht geringer Zahl über Nacht die Farbe wechselten und sich beim Gegner verdingten, dann zeugt das ebenso davon wie das Bemühen gewisser "Linkspolitiker", die marxistische Ideologie eiligst abzustreifen, sich vom Erbe der SED zu distanzieren und zu Verfechtern eines bereits durch Bernstein propagierten "dritten Weges" zu werden.

Doch Anpasser dieses Schlages werden von Frau Göring-E. und anderen Inquisitoren nicht ins Visier genommen. Die intolerante Kirchenfrau richtet ihren Bannstrahl ausschließlich gegen der Sache treu Gebliebene, die heute in der Partei Die Linke, in kommunistischen Formationen, als Parteilose oder unter dem Dach des RF wirken.

Mögen politische Vernunft, Besonnenheit und Augenmaß die in der BRD mit derlei Dingen Betrauten davon abhalten, den schrillen Appellen pathologischer Scharfmacher zu folgen.

Klaus Steiniger

Raute

März 1921: Polizeimassaker in SPD-Regie

Bei Leuna sind viele gefallen ...

Um die Jahreswende 1920/21 verfolgten die Kapitalisten und die 779 Großgrundbesitzer im preußischen Regierungsbezirk Merseburg mit zunehmender Nervosität die Entwicklung der Arbeiterbewegung, besonders im Mansfeld-Gebiet, bei Bitterfeld und Leuna. Auch die rechten Funktionäre registrierten mit Wut, daß sich große Teile der mitteldeutschen Arbeiterschaft der USPD und der KPD zuwandten. Sichtbarer Ausdruck dessen war die Vereinigung dieser beiden Parteien am 12. Dezember 1920, bei der eine Bezirksorganisation der Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands (VKPD) mit 30.000 Mitgliedern entstand. Jeder 7. Arbeiter im südlichen Teil der Provinz Sachsen gehörte ihr an. Bei den Wahlen zum Preußischen Landtag am 20. Februar 1921 erhielt die VKPD knapp 30 Prozent aller Stimmen, während die SPD nur auf 10,6 Prozent kam. Die Kraft der mitteldeutschen Arbeiter hatte sich besonders ein Jahr zuvor gezeigt, als sie gegen die Kapp-Putschisten in den Generalstreik getreten waren und im bewaffneten Widerstand die Reichswehrtruppen zurückgeschlagen hatten. Seitdem spitzte sich der Klassenkampf weiter zu.

Angesichts dieser Situation berief der Oberpräsident der Provinz, der Sozialdemokrat Otto Hörsing, nach Abstimmung mit dem preußischen Innenminister Carl Severing (ebenfalls SPD), für den 12. Februar 1921 eine Konferenz nach Merseburg ein. Landräte, Oberbürgermeister, Unternehmer, Gutsbesitzer und Offiziere der Schutzpolizei beschlossen, eine "Polizeiaktion zur Herstellung der Staatsautorität" mit dem Ziel durchzuführen, den Einfluß der Kommunisten auf die Bevölkerung zurückzudrängen, die Arbeiter zu "disziplinieren" und die eigenen Machtpositionen zu festigen. Am 16. März gab Hörsing bekannt, daß Polizeieinheiten einrücken würden, "um Felddiebstähle, Sachbeschädigungen und Körperverletzungen im Regierungsbezirk zu unterbinden". Am 19. März marschierten die ersten drei schwerbewaffneten Hundertschaften in Eisleben und zwei weitere in Hettstedt ein. Sie gehörten zur kasernierten Schutzpolizei, die ein Jahr zuvor in einer Stärke von 100.000 Mann gebildet und vor allem in jenen Gebieten des Deutschen Reiches stationiert worden war, wo die revolutionären Kräfte der Arbeiterklasse besondere Stärke zeigten.

Die Bezirksleitung der VKPD rief die Arbeiter des Regierungsbezirks sofort auf, der Polizeiprovokation nicht mit Demonstrationen oder ähnlichen Aktionen zu begegnen. Sie sollten überall dort die Arbeit niederlegen, wo die Betriebe besetzt würden. Dennoch stieß der Einzug der bewaffneten Kräfte auf Ablehnung und Proteste. Als am Tag danach weitere Polizeiformationen in die Städte und Dörfer geworfen wurden, begannen überall Streiks, denen sich innerhalb von 48 Stunden über 150.000 Arbeiter aus Industrie und Landwirtschaft sowie Angestellte anschlossen. Die Situation eskalierte, als am Abend des 22. März Polizisten gewaltsam gegen eine Versammlung im Volkshaus Eisleben vorgingen, einen Teilnehmer erschossen und mehrere verletzten.

Noch in der folgenden Nacht verbreitete sich die Nachricht von dem Mord im ganzen Mansfelder Gebiet. In Wolferode und Wimmelburg bildeten sich erste Gruppen, die zu den Waffen griffen. Diese hatten sie nach dem Kampf gegen die Kapp-Putschisten versteckt. Sie rückten gegen Eisleben vor, um die Polizei aus der Stadt zu vertreiben, und es gelang ihnen, Teile davon unter ihre Kontrolle zu bringen. Dann weiteten sich die Kämpfe aus, griffen auf Hettstedt, Helfta, Teutschenthal und andere Orte des Mansfeld-Kreises über, aber auch auf Sangerhausen, Sandersdorf, Holzweißig und Bitterfeld. Allerdings waren die Arbeiter den militärisch ausgebildeten und organisierten Staatsschützern weitaus unterlegen, was sowohl ihre Anzahl als auch ihre Bewaffnung betraf. Hinzu kam, daß die Schupo weitere Verstärkungen heranführte, so daß am 25. März insgesamt 39 Hundertschaften sowie eine Batterie Feldhaubitzen und Minenwerfer der Reichswehr gegen die Arbeiterwehren vorgingen. Reichspräsident Ebert (SPD) verschaffte den Polizisten eine legale Grundlage, indem er den Ausnahmezustand über die Provinz Sachsen verhängte.

Als am 21. März die Nachricht von den Ereignissen in Mansfeld-Eisleben die Leuna-Werke erreichte, kam es dort zu einer Protestkundgebung, an der Tausende Betriebsangehörige teilnahmen. Sie forderten den sofortigen Abzug der Hundertschaften und die Bewaffnung der Arbeiter. Die Teilnehmer drohten mit Streik, falls die Schupo auch ihr Werk besetzen sollte, und bildeten einen Aktionsausschuß, der unverzüglich Abwehrmaßnahmen einleitete. Zwei Tage darauf trat die Mehrheit der 20.000 Beschäftigten der Chemiewerke in den Streik. Einige hundert formierten bewaffnete Einheiten. Bevor diese jedoch einsatzbereit waren, hatten 21 Polizeihundertschaften das Betriebsgelände eingeschlossen und Artillerie in Stellung gebracht. So konnten die Leuna-Werker ihren Genossen in Mansfeld-Eisleben nicht zu Hilfe kommen. Die Aussichten für eine erfolgreiche Verteidigung waren gleich Null. Nur etwa 300 Gewehre, einige Pistolen, selbstgefertigte Handgranaten sowie vier auf einen schnell gebauten Panzerzug montierte Maschinengewehre standen ihnen zur Verfügung.

Angesichts des Kräfteverhältnisses beschlossen die Arbeiterfunktionäre, auf Widerstand zu verzichten. Doch die SPD-Bezirksregierung, die Polizeiführung und die Werksdirektion lehnten eine friedliche Lösung ab. Sie gaben in den frühen Morgenstunden des 29. März den Befehl zum Sturmangriff mit Artillerie. Am Abend unterlagen die Arbeiter der Übermacht.

Die Rache der Sieger kannte keine Grenzen. Sie nahmen 1700 Leuna-Arbeiter fest und sperrten sie in leerstehende Silos ein. Die Schupos folterten ihre Gefangenen und hatten keine Hemmungen, Wehrlose zu erschlagen oder "auf der Flucht" zu erschießen. Die Zahl der ermordeten Arbeiter betrug offiziell 145; mit Sicherheit waren es mehr, denn nicht alle Toten wurden amtlich erfaßt. Die Zahl der Verletzten blieb unermittelt. Sondergerichte verurteilten 3352 Arbeiter, davon fünf zu lebenslänglichem Zuchthaus, 451 zu mehrjährigen Zuchthausstrafen, 48 zu Festungshaft, 2752 zu Gefängnis und 96 zu hohen Geldstrafen.

Und auch das gehört zum mitteldeutschen Arbeiteraufstand: Die SPD stellte sich im Regierungsbezirk uneingeschränkt hinter die "Polizeiaktion". Ihre Zeitung "Volksstimme" schrieb am 1. April 1921: "Die Maßnahmen des Genossen Hörsing waren unzweifelhaft richtig ... Wenn also jetzt gesagt werden kann ... die Kommunisten sind als Partei erledigt, so ist das in erster Linie der Haltung unserer Partei und dem Weitblick des Genossen Hörsing zu danken."

Günter Freyer

Raute

"Hakenkreuz am Stahlhelm, schwarz-weiß-rotes Band!"

Vor 90 Jahren scheiterte der Kapp-Putsch

Ein Jahr nach der Ermordung Karl Liebknechts, Rosa Luxemburgs und Hunderter weiterer Revolutionäre hielten die Herren von Kohle und Stahl die Zeit für gekommen, mit den ohnehin begrenzten Ergebnissen der Novemberrevolution Schluß zu machen. Hugo Stinnes schrieb an Minister Geßler (Deutsche Demokratische Partei): "Es ist das Zeichen einer wahren Demokratie, daß sie in Zeiten der Todesgefahr ihren Diktator findet." Der Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp wurde von General Ludendorff und Konsorten ausersehen, dem Beispiel des soeben in Ungarn zum "Reichsverweser" gekürten Miklós Horthy zu folgen und an der Spitze einer unverhüllten Säbeldiktatur von Großkapital, Junkern und Generälen die Geschichte zurückzudrehen. Mit dem Hakenkreuz als Symbol "völkischer Gesinnung" am Helm gingen Freikorps, Teile der Reichswehr und reaktionäre Bürgerwehren daran, die sozialdemokratisch geführte Reichsregierung zu beseitigen. Eben jene, die Noske gegen Spartakus herbeigerufen hatte, wollten klarstellen, daß man auf die Dienste rechter SPD-Führer nun nicht mehr angewiesen sei.

Am 13. März beginnt die Revolte in Berlin, Ostpreußen und anderen Reichsteilen. Kapp und General von Lüttwitz erklären die Regierung für abgesetzt. Diese flüchtet über Dresden nach Stuttgart. SPD, Gewerkschaften und die - zu jener Zeit durch Auseinandersetzungen mit linksradikalen Abenteurern geschwächte - KPD rufen zum Generalstreik auf. Das Echo ist gewaltig. Zwölf Millionen Streikende treten den Putschisten entgegen. Arbeiter an Rhein und Ruhr, in Mitteldeutschland und in anderen Landesteilen greifen zu den Waffen. Angesichts dessen halten es nun viele Staatsdiener und selbst Teile des Monopolkapitals, vor allem aus Chemie- und Elektroindustrie, für geboten, sich bedeckt zu geben. Am 17. März bricht der Putsch in sich zusammen. Kapp und einige seiner Kumpane flüchten ins Ausland. Sie alle, mit Ausnahme des Herrn von Jagow, der - 1921 zu fünfjähriger Festungshaft verurteilt - vorzeitig begnadigt wurde, sind von der Weimarer Republik niemals zur Rechenschaft gezogen worden. Männer dieses Schlages brauchte man noch. Gustav Stresemann von der Deutschen Volkspartei erklärte im Geschäftsführenden Ausschuß der DVP am 28. März, in Wahrheit gehe es nicht um einen Kampf der alten Regierung gegen Kapp, "sondern um einen Kampf gegen den Bolschewismus". Das habe man "auch der Sozialdemokratie vor Augen geführt".

Ein erneuter Mordfeldzug beginnt in allen Landesteilen, vor allem jedoch gegen die Rote Ruhrarmee, der sich 100.000 Arbeiter angeschlossen haben. Und die eben durch die Einheitsfrontaktionen gerettete Regierung bedienten sich dabei wiederum jener Einheiten, die wenige Tage zuvor angetreten waren, sie selbst aus dem Amt zu jagen. Folgerichtig stürzt die SPD bei den Reichstagswahlen im Juni 1920 ab.

Ohne die Klassenkämpfe dieses Jahres, ohne diese lebendigen Erfahrungen hätte die Mehrheit der Mitglieder der USPD danach schwerlich den Weg in die Reihen der KPD gefunden. Die Entwicklung der KPD zur stärksten kommunistischen Partei der kapitalistischen Länder im folgenden Jahrzehnt ist davon nicht zu trennen. Diese Einheitsfront im Deutschland der revolutionären Nachkriegskrise Anfang 1920 hat zudem die Entwicklung der Strategie und Taktik der Kommunistischen Internationale nachhaltig beeinflußt. Das ist in den Protokollen der Weltkongresse der KI und in den Werken Lenins detailliert nachzulesen. Darauf kann die deutsche Arbeiterbewegung stolz sein.

Aber das schmähliche Scheitern der Putschisten als Sieg des Fortschritts auf der ganzen Linie zu interpretieren, wäre unzutreffend. Politisch endete der Kampf im Patt. Die Konterrevolutionäre änderten ihre Taktik, nicht jedoch ihre Ziele, bis sie schließlich 1933 am Zug waren. Und diesmal gelang es nicht, jene so zwingend notwendige Einheitsfront zu schaffen, die den Machtantritt der Faschisten hätte verhindern können. Die Folgen für die Welt, nicht nur für Deutschland, waren verheerend.

Es ist natürlich falsch, die Situation im Jahre 1920 direkt mit der Gegenwart zu vergleichen. Dies immer vorausgesetzt, vermittelt der Kampf gegen den Kapp-Putsch jedoch bedeutsame Lehren, die es zu beherzigen gilt. Es ist ein Irrtum, davon auszugehen, breitere Schichten der Bevölkerung würden allein durch schlüssige theoretische Antworten auf die drängenden Probleme unserer Tage zum engagierten Eintreten für den gesellschaftlichen Fortschritt aufgerüttelt. Erst ins Bewußtsein gehobene Erfahrung vermag das zu bewirken. Hierin liegen Wesen und Wirkungskraft der Einheitsfront, des gemeinsamen Handelns von Menschen, die sozial differenziert oder oft auch weltanschaulich unterschiedlich geprägt sind.

Es kann nicht bestritten werden: Sozialreformismus ist eine Mischung aus geschichtlich widerlegten Illusionen und berechnendem Taktieren. Daraus jedoch beispielsweise zu folgern, der dramatische Niedergang der SPD, den wir gegenwärtig erleben, sei ein begrüßenswerter Vorgang, greift zu kurz und ist gefährlich. Denn wenn Sozialreformisten es nicht mehr vermögen, die Spaltung der Arbeiterklasse auf Dauer zu gewährleisten, greift das Kapital stets zu rauheren Methoden der Herrschaftssicherung.

Eine Warnung für uns sind die vielfältigen Begründungen dafür, daß die NPD nicht verboten werden könne. Also muß man wohl davon ausgehen, daß auch heute noch solche "Reserven" für eventuell gefährlich werdende Situationen, die der Kapitalismus stets selbst gebiert, gebraucht werden.

Wir haben deshalb mit Bedacht in den Leitsätzen des "RotFuchs"-Fördervereins als Punkt 7 formuliert: "Wir erklären: Kommunisten und Sozialisten müssen konsequente Antifaschisten sein, Antifaschisten müssen aber nicht notwendigerweise Sozialisten oder Kommunisten sein. Wenn die Alternative Faschismus heißt, stehen wir mit allen demokratisch gesinnten Menschen in einer Reihe und verteidigen die bürgerliche Demokratie."

Prof. Dr. Götz Dieckmann

Raute

Ein einstiger Kranführer vom VEB Elektrokohle hat das Wort

Trümmerwüste statt pulsierenden Lebens

Der Beitrag Ulrich Guhls im Januar-RF (Die Würde des alten Krans) hat mich sehr berührt und Erinnerungen in mir wachgerufen. Das Ende dieses Großbetriebes, des VEB Elektrokohle in Berlin-Lichtenberg, ist typisch für das "Schicksal" ganzer Industriezweige im Osten unseres Landes. Übrig blieb eine Industriebrache. Das ehemalige Siemens-Plania-Werk war 1916/17 im Rahmen des sogenannten Hindenburg-Programms errichtet worden, um im 1. Weltkrieg und danach auch für den 2. Weltkrieg die Rüstungsproduktion zu forcieren. Großelektroden wurden für die Elektrostahlschmelze dringend gebraucht. Ab 1945 aber sollten nun dort und zunächst in einem die vorübergehende sowjetische Eigentümerschaft kennzeichnenden SAG-Betrieb Güter für den Wiederaufbau hergestellt werden. Schwer war der Anfang nach Kriegsschäden und Demontagen. Ich habe das alles selbst miterlebt und darüber in unserer Betriebszeitung "Der Elektroköhler" in Nr. 12/78 berichtet. Vielleicht interessiert es auch heutige Leser, wie wir uns damals abrackerten und wie wir uns engagiert bemühten, einen friedlichen Neuanfang zu gestalten.

Im Herbst 1947 bin ich als Ofenarbeiter in Lichtenberg eingestellt worden. Ich habe dann als Kranführer vor allem die Anlage an den Öfen 15/16 und 17/18, gelegentlich aber auch den von Ulrich Guhl so liebevoll beschriebenen "alten Kran" in Halle 20 über der Elektroden-Dreherei gefahren.

Diese Arbeit war in jener Zeit besonders schwer. Es gab keine Sauger, die das Schüttpulver aus den Ofenkammern herausholen konnten. Das umhüllte die Rohlinge der Elektroden beim Brand und mußte mit über dem Kopf gehaltenen Eimern per Hand aus den Kammern befördert werden. Sehr hohe Temperaturen, Restgase und das noch heiße Schüttpulver ließen nur kurze Arbeitsphasen in den zwei Meter tiefen und sehr engen Kammern zu. Hierbei haben auch viele ältere und jüngere Kolleginnen bewunderungswürdig mit angepackt.

Unsere Arbeitskleidung, häufig aus abgelegten Klamotten oder aus primitiv hergestellten Sackhosen bestehend, wurden wir durch die Hitze und den Schweiß im wahrsten Sinne des Wortes "reißend" los.

Besonders anstrengend war die Arbeit nach dem Brand. Um im Rahmen der ersten Wettbewerbe, die in jener Zeit anliefen, möglichst viele Großkohlen, sogenannte Piesteritzer, Rundkohlen, Rillenkohlen, Steine oder Platten zu brennen, mußten die Öfen schnell, das hieß kaum abgekühlt, beräumt werden. Mit Klingeldraht wurden dazu Sackstoffpolster um die Beine gewickelt und unter den Füßen dicke Holzsohlen befestigt. So geschützt ging es an das zum Teil noch glühende Schüttpulver, um die Elektro-Kohlen durch den Kran herausziehen zu können. Hitze und Staub schnitten uns dabei regelrecht die Luft ab.

Es gab dort Kollegen, die für heutige Begriffe kaum Glaubliches leisteten. Neben Vorarbeiter Walter Bannert fallen mir vor allem Rudi Holletz, Hermann Müller, Willy Rönnefahrt, Kurt Lahfeld oder Hasso Sklorz ein, die erst aus der Kammer kletterten, wenn ihre Holzsohlen regelrecht brannten.

Ich glaube, es war im Sommer 1948. Draußen schien strahlend die Sonne, und die Temperaturen entsprachen dem Wetter. Bei uns aber herrschte eine fürchterliche Gluthitze. Plötzlich erschien der sowjetische SAG-Direktor Semjonow in der Halle. Er sah uns einige Zeit bei unserer Tätigkeit zu und sagte dann aufmunternd: "Scheiß-Arbeit im Sommer, nicht wahr?" Er reichte jedem anerkennend die Hand und schickte postwendend Erfrischungen sowie einige Schachteln Zigaretten für die nächste Pause.

Häufig mußten auch Überstunden gefahren werden, um dem großen Bedarf an Elektro-Kohlen entsprechen zu können. Dann gab es eine Portion "Kotikow-Essen" (das hieß so nach dem sowjetischen Stadtkommandanten General Kotikow).

Auch als die Arbeit an den Öfen durch Exhauster sehr erleichtert wurde, nötigte mir die Leistung der "Sauger", ich denke da zum Beispiel an Jakob Pingel, großen Respekt ab. Das gilt auch für die Maurer bei der Erneuerung der Schamotte-Kammern, die unter Leitung von Paule Jesche Schwerstarbeit leisteten. Über allem aber brummten die Kräne. Im Herbst 1949 wurde ich von den Kollegen zum Studium an die Berliner Humboldt-Universität delegiert. Danach habe ich den Kontakt zum Werk über den Sport aufrechterhalten.

In der BSG Chemie Lichtenberg war ich jahrzehntelang ehrenamtlich tätig.

Ja, lieber Ulrich Guhl: Es gab dort, wo jetzt nur noch eine Trümmerwüste zu besichtigen ist, pulsierendes Leben, Tausende sichere Arbeitsplätze und auch ein hohes Maß an Geselligkeit. Im Kulturhaus fanden die vielfältigsten Veranstaltungen statt. In der Betriebssportgemeinschaft waren über 2000 Werkangehörige mit Hingabe bei der Sache.

Das alles aber ist jenen "blühenden Landschaften" gewichen, die durch Obdachlose und Suppenküchen gekennzeichnet sind.

Dr. Hermann Roth, Berlin

Raute

Renate Fölsch leitete acht Jahre die Reichsbahndirektion Schwerin

Eine Heldin der Arbeit

Einmalig bei den deutschen Eisenbahnen - eine Frau als Präsident der Reichsbahndirektion Schwerin." Diesen Titel wählte Renate Fölsch für ihr Buch in der Schriftenreihe zur Geschichte Mecklenburgs, erschienen im Keubke-Verlag. Es ist die Biographie einer bemerkenswerten Frau mit einer eindrucksvollen beruflichen Laufbahn in der DDR. Von 1982 bis 1990 bekleidete sie ihr hohes Amt. Detailliert, sach- und fachkundig, aber auch fest zu ihrem Leben in der DDR stehend, berichtet sie vom erfolgreichen Weg unseres Verkehrswesens.

Während die Deutsche Reichsbahn durch Reparationsleistungen an die Sowjetunion nach 1945 zunächst in ihren Möglichkeiten stark eingeschränkt war, vollzog sich in den Folgejahren ein imponierender wirtschaftlicher Aufstieg mit enormer Streckenerweiterung, Elektrifizierung und Prozeßautomatisierung. Renate Fölsch war bei all dem nicht nur mittendrin. Sie hat diesen Prozeß aktiv mitgestaltet, indem sie einen bedeutenden Abschnitt des volkseigenen Unternehmens mit etwa 16.500 Mitarbeitern führte.

Eine herausragende Leistung. Wie aber kam es dazu? Bereits mit 17 Jahren schloß sie ihre Lehrzeit als Eisenbahnerin in Neustadt/Dosse ab. Anschließend nahm sie sofort ein dreijähriges Ingenieurstudium in Gotha auf. Nach einem Jahr Assistenzzeit in Güstrow wurde Renate Fölsch 1960, bereits mit 21 Jahren, zum Reichsbahninspektor ernannt und zur Dienstvorsteherin in Bützow berufen.

Für die junge Frau war es eine ganz folgerichtige Entscheidung, 1961 in die SED einzutreten. Sie wollte jener Partei angehören, von welcher die Gesellschaft in der DDR am meisten vorangebracht wurde.

Von 1965 bis 1975 leitete Renate Fölsch den Amtsbereich Güstrow - als einzige Frau unter den Vorständen von 27 Reichsbahnämtern der DDR. In dieser Zeit absolvierte sie ein Fernstudium an der Parteihochschule "Karl Marx", das sie als Diplom-Gesellschaftswissenschaftlerin abschloß. 1974 wurde ihr der Ehrentitel "Held der Arbeit" verliehen. 1975 berief man sie zur Vizepräsidentin, sieben Jahre später zur Präsidentin der Reichsbahndirektion Schwerin.

Renate Fölsch, die Mitglied des Bundesvorstandes des FDGB war, wurde von 1981 bis 1990 wiederholt in die Volkskammer der DDR gewählt.

Nicht vergessen darf man, daß die rastlos tätige Frau seit 1959 mit Hans-Joachim Fölsch glücklich verheiratet ist. Ihre zwei Kinder hat das Paar gut erzogen. Beide absolvierten in der DDR ein Studium als Diplomingenieure.

Als Präsidentin der Reichsbahndirektion Schwerin war Renate Fölsch fachlich hochqualifiziert. Als Führungspersönlichkeit wurde sie aber auch und nicht zuletzt wegen ihrer festen politischen Verbundenheit mit dem Arbeiter-und-Bauern-Staat geschätzt. Unter ihren ehrenamtlichen Verpflichtungen sei hier vor allem die Jugendweihe genannt. Wiederholt war sie Festrednerin eindrucksvoller Feiern, bei denen junge Menschen würdig in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen wurden. Aus ihrer Festrede, die sie 1984 in Elstal hielt, träfen folgende Worte auf die heutige Situation wohl kaum zu: "Danken wollen wir unserem sozialistischen Staat, der es ermöglichte, daß wir ... in eine schöne und friedliche Zukunft gehen, in der es weder Unsicherheit vor dem Morgen noch Furcht vor Krisen, Arbeitslosigkeit und Not gibt. Dabei betrachten wir die Erhaltung und Sicherung des Friedens als das Wichtigste."

Für die Schaffung solcher Lebensbedingungen bedurfte es grundlegender sozialökonomischer Voraussetzungen: Die wichtigsten Produktionsmittel mußten dem Volk gehören, damit die gesellschaftliche Wertschöpfung nicht beim Kapital versickerte. Damit waren in der DDR auch die Voraussetzungen für die wirkliche Gleichberechtigung der Frau gegeben. Dieser Staat benötigte keinen antimaskulinen Feminismus, keinen de facto machtlosen "Gleichstellungsbeauftragten". In der DDR wurden gesellschaftliche Voraussetzungen für die uneingeschränkte Förderung aller Menschen, unabhängig vom Geschlecht, geschaffen. Allerdings waren in 40 Jahren - einem Augenblick der Geschichte - tief verwurzelte rückständige Denk- und Verhaltensweisen auch in dieser Frage nicht gänzlich überwindbar. In manchen Situationen war Renate Fölsch deshalb auf ihr Durchsetzungsvermögen angewiesen. Mit solidem Fachwissen, hoher Intelligenz und sauberen Umgangsformen kam sie ans Ziel.

Nach den folgenschweren konterrevolutionären Ereignissen übergab die Präsidentin der Reichsbahndirektion Schwerin im Oktober 1990 schweren Herzens ihre Geschäfte an die neuen Machthaber: Sie mußte ihnen ein modernes Verkehrswesen mit einer positiven Abschlußbilanz von mehr als 3,5 Milliarden Mark und einem Gewinn von über vier Millionen ausliefern. Die Herren aus dem Westen nahmen das auf Strauchdiebart Erworbene kommentarlos entgegen. Man bedenke: Es handelte sich dabei um die realen Werte nur einer von acht Reichsbahndirektionen. So vollzog sich die Plünderung des Volkseigentums in der gesamten Wirtschaft der DDR. Und da wagten es gewisse Leute, sich des Fehlbegriffs "marode" zu bedienen ...

Mit der demütigenden "Amtsübergabe" endete für Renate Fölsch (damals 52) nach 38 Berufsjahren eine "Karriere", deren stürmischer Verlauf so nur in der DDR denkbar gewesen ist. Sie mußte jetzt miterleben, wie soziale Einrichtungen der Reichsbahn kurzerhand geschleift wurden. Einige ihrer Nachfolger erklärten zynisch, mit den Kommunisten "abrechnen" zu wollen.

Nach einer ihr zugewiesenen Tätigkeit in der Berliner Zentrale der DB zog es Renate Fölsch vor, sich 1993 per Aufhebungsvertrag zu verabschieden, weil - so liest man es in ihrem Buch - "... der Inhalt meiner Arbeit für die Deutsche Reichsbahn von 1952 bis 1990 stets auf ein schönes Leben aller Menschen in sozialer Geborgenheit und Frieden ausgerichtet war".

Arno Reinhold, Schwerin

Das Buch kann bei Dr. Klaus-Ulrich Keubke, Zum Schulacker 179, 19061 Schwerin, Tel. 0385/613265, erworben werden. 190 S., zahlreiche Abbildungen, 20 EUR

Raute

Wie Demokratie in Betrieben der DDR praktiziert wurde

Erfahrungen eines Arbeiters

Als ich nach meiner gesundheitsbedingten Entlassung aus der KVP in den Betrieb zurückkehrte, bekam ich für meine freiwillige Bereitschaft, den Frieden zu verteidigen, den Hohn derer zu spüren, für die ich es, wie ich glaubte, ebenfalls getan hatte, oder besser getan hätte.

"Na, biste wieder da, die konnten dir wohl nich jebrauchen?", hieß es. Oder: "Is dein Friedenskrampf schon zu Ende; die Flinte war dir wohl zu groß, hatten se keene kleene?" "Schuster bleib bei deinem Leisten!"; bis hin zu hundsgemeinen Beleidigungen, wie sie damals "im Klassenkampf" an der Tagesordnung waren.

Der Herr Genosse Becker wunderte sich ebenfalls, als ich so schnell wieder da war, und brachte das auch zum Ausdruck, indem er fragte: "Nanu, wie kommt denn das, wollten sie dich nicht haben, du hast uns doch hoffentlich nicht blamiert?"

Noch seltsamer verhielt es sich bei meiner Wiedereinstellung im Personalbüro. Obwohl ich nur elf Tage weg war, mußte ich einen neuen Personalfragebogen ausfüllen und einen "aktuellen" Lebenslauf schreiben, als ob man in diesem Fall wer weiß was hinzuzufügen hätte. Dazu gab es ergänzende Fragen, die sich alle mehr oder weniger auf die "wahren" Gründe meiner schnellen Rückkehr bezogen. Der Personalchef war der Meinung, daß "es doch nicht die paar vernarbten Stellen auf der Röntgenplatte gewesen sein können - das hätten sie doch gleich gemerkt." Was sollte das? Mit wem hatte denn "mein Major" telefoniert, als es um meine künftige Arbeit an der neuen Maschine ging, die er mir zugesichert hatte? Sehr seltsam! Was letzteres betraf hieß es: "Da kannst du noch nicht hin, die Maschinen werden erst eingefahren. Und wenn es soweit ist, dann mußt du sowieso erst noch mal qualifiziert werden."

Mir schwammen wieder mal alle Felle weg. Bei der FDJ rausgeschmissen, bei der KVP wieder entlassen und jetzt? Statt der neuen Maschine alles mögliche Hinhalten. Wo kann man denn mehr lernen als an einer Maschine, die gerade "eingefahren" wird, verdammt noch mal. Ich hatte das Gefühl, daß ich verarscht wurde. Doch es war ja die Zeit der "revolutionären Wachsamkeit". Vielleicht traute man einem, der bei der KVP wieder gehen mußte, nicht so recht, weil "bei dem doch schon mal was war, mit der FDJ". Die Sache mit der übertriebenen Wachsamkeit wurde dann ja leider auch zu "einer Geschichte ohne Ende".

Teils berechtigt, oft unberechtigt wurde den Menschen, die sich unter den schwierigen Bedingungen der damaligen Zeit zur Verfügung stellten, ihre Arbeit machen und in Frieden leben wollten, nicht selten mehr Mißtrauen als Vertrauen entgegengebracht. Das änderte sich in den 70er und 80er Jahren zum Positiven, was leider zu spät war, obwohl "die Partei" offiziell schon immer Vertrauen zum werktätigen Volk gefordert hatte.

Wußten Männer wie Wilhelm Pieck und Heinz Keßler, wie man mit einem, der vernarbte Stellen hatte, umging? Bestimmt nicht!

Bei allen Schulungen hieß es unter anderem: "Hast du Probleme, geh zur Partei, die weiß immer einen Rat und hilft, wenn sie kann." Das klang zwar nach Eigenlob, stimmte aber manchmal, wie in meinem Fall. Obwohl ich nicht Parteimitglied war, dennoch mit dem Chor den Refrain "die Partei, die Partei, die hat immer recht ..." gesungen hatte, ging ich nun hin zur SED. Sie wurde durch einen Parteisekretär personifiziert. Parteisekretäre waren damals meist ältere Kollegen, die das Vertrauen ihrer Genossen und vieler Kollegen besaßen. Sie hatten die Aufgabe, das Parteileben im Betrieb durchzusetzen, oder anders ausgedrückt: Sie sollten "die führende Rolle der Partei" verkörpern. In meinem Fall war es ein Genosse, der sich um meine "Verarscherei" - genauso hatte ich es ihm gegenüber bezeichnet - kümmerte und mit verschiedenen Leuten telefonierte. Er versuchte sogar, "meinen Major" zu erreichen, womit er leider kein Glück hatte.

Das Ergebnis seiner Bemühungen - immer wieder wurde er dabei durch Anrufe unterbrochen - war schließlich, daß ich zum neuen Werkleiter bestellt wurde, der nur eine Etage höher sein Büro hatte. Jetzt bekam ich auf einmal Bammel, so einen "Hohen" mit meinem Kram zu belästigen. Das war wie ein Gang zum Zahnarzt, wenn man fürchterliche Schmerzen hat. Je mehr man sich der Arztpraxis nähert, um so rascher vergehen sie, bis sie im Wartezimmer wie weggepustet sind. Doch die Patienten kommen wieder, ganz bestimmt; da braucht der Zahnarzt gar keine Angst zu haben, daß er seine Klienten verliert.

Der neue Werkleiter hieß Paul D. und war vom ersten Moment an genauso sympathisch wie "mein Major". Und dann war da bei ihm Willi Heinrich, mein ehemaliger Lehrausbilder aus dem Buchdruck.

Der sagte: "Hab da nich so, komm rin und mach de Düre zu." Damit war der "Damm" gebrochen. Dieser Willi war jetzt Gewerkschaftsvorsitzender im Betrieb und hatte mitzubestimmen, wie er sagte!

Der Werkleiter stellte mir mit angenehmer, volltönender Stimme alle Fragen zu den Problemen, die mich bedrückten. Ich sollte "frei von der Leber weg" antworten, was ich in meinem netten hochdeutschen Balinisch ooch jetan habe. Zum Schluß sagte er: "Mach dir keine Sorgen, mein Junge, es wird schon alles werden, geh an die Arbeit zum Kollegen Becker, du hörst von uns."

Er hielt Wort. Nur wenige Tage später wurde ich zu einer der vielen Sitzungen eingeladen, die bei der Leitung stattfanden, waren doch Tausende von Problemen zu bewältigen, wovon auch wir Arbeiter wußten, weil sie in den Versammlungen mit uns offen beredet wurden.

Als ich in den Raum eintrat, rutschte mein Herz vollends in die Hosen. Ich bekam eine glühend rote Birne und konnte vor Aufregung nicht mal jemanden beim Namen nennen. Doch schon hörte ich die sonore Stimme des "Neuen": "Setz dich hin Klaus, du mußt noch warten, kannst ruhig hören, was wir hier zu besprechen haben." Diese persönliche Anrede flößte Vertrauen ein und beruhigte mich.

Es ging um alles Mögliche: Materialprobleme, Versorgung, Maschinenstörungen, Leistungssteigerung und was weiß ich noch. Begriffe sausten mir um n, Leistungssteigerung und was weiß ich noch. Begriffe sausten mir um die Ohren, die ich alle schon irgendwo gehört hatte, ohne zu wissen, daß sich damit die Leitung des Betriebes beschäftigte. Über all das meckerten die Arbeiter ständig und waren der Meinung: "Da solln die da oben sich mal drum kümmern, anstatt den janzen Tach ihre Ärsche uff de Sessel breit zu pupen", was - wie man hier lesen kann - völlig unberechtigt war, jedoch aus ihrer Sicht verständlich.

Es dauerte lange, bis ich an der Reihe war. Der "Neue" sagte: "Wenden wir uns nun den Personalfragen zu. Mit Absicht habe ich den Klaus hierzu eingeladen, um deutlich zu machen, daß wir keine Geheimnisse voreinander haben. Wir werden das in Zukunft zu anderen Dingen ebenso machen." Dann fragte er die zuständigen Leute, wer mit mir mal ein persönliches Gespräch geführt hätte, worauf diese keine Antwort wußten. Er fragte mich, und ich konnte wahrheitsgemäß erwidern: "Herr Becker, bei dem wurde ich sogar Maschinenführer, und er warb mich für die KVP", worauf sich Becker mir zuwandte und freundlich lächelte. Ein paar andere lächelten ebenfalls, auch der aus der Personalabteilung. Doch dem verging das gleich wieder. Der Werkleiter machte nämlich an meinem Beispiel klar, "daß wir so nicht mit den Menschen umgehen können, wir stoßen sie ja geradezu ab. Da ist einer aktives FDJ-Mitglied, hat sich bemüht, eine Funktion auszuüben, die einige Schuhnummern zu groß für ihn war, was man hätte gar nicht machen dürfen. Da hat er sich als einer von dreien im Betrieb zum Dienst in der KVP entschlossen, den er aus gesundheitlichen Gründen nicht weiter machen durfte. Er kehrt auf Empfehlung seiner Vorgesetzten in seinen - ich betone seinen - Betrieb zurück, und was passiert hier? Ihm werden mißtrauische Fragen gestellt, ein Versprechen wird nicht eingelöst."

Der "Neue" sagte das alles sehr beherrscht, aber so eindringlich, daß in dem vorher recht unruhigen Raum absolute Stille eintrat. Der Werkleiter ging dann auf die Notwendigkeit einer richtigen Kaderpolitik ein, sprach über den Umgang mit den "uns anvertrauten Menschen" und was weiß ich noch alles. Das hatte mit mir persönlich schon gar nichts mehr zu tun, stand aber damit doch irgendwie im Zusammenhang. Ich war baff. Die beschäftigten sich ja tatsächlich mit uns, den Arbeitern. Trotzdem hatte ich keinerlei "Siegesgefühle", sondern eher ein schlechtes Gewissen und Mitleid mit denen, die der "Neue", auch wenn er ruhig geblieben war, wohl doch heruntergeputzt hatte. Dabei war das Ganze nichts weiter als ein Stück Erziehung der Erzieher gewesen, wovon ich später selbst noch eine Menge lernen mußte. Doch damals, am Anfang der DDR, gab es kaum geschulte Leiter und Funktionäre. Alle wollten sicher ihr Bestes geben, obwohl sie es noch nicht konnten. Das Parteibuch in der Tasche half ihnen da nicht weiter. So wurden Fehler begangen, kleine und auch gewichtigere. Ernst waren sie immer dann, wenn Menschen vor den Kopf gestoßen und psychisch verletzt wurden. Das geschah nicht selten, weniger aus Gemeinheit als aus Dummheit. Wobei ich meinen "Fall" damals zu den leichteren zähle.

Festgelegt hatte Werkleiter Paul D. für mich: "Sobald die Möglichkeit besteht, ist Kollegen Hesse an der neuen Maschine Gelegenheit zur Einarbeitung zu geben und je nach dem Ergebnis die entsprechende Lohngruppe zu zahlen. Ich denke, da wird es keine Probleme geben, Genosse Müller."

Klaus J. Hesse, Berlin

Unser Autor ist als Buchdruckermeister und Ingenieur für Polygraphie in Rente gegangen.

Raute

Joachim Gauck gehört zu den versiertesten Märchenerzählern der Nation

Dichtung und Wahrheit

Die Geschichte liegt schon etwas zurück. Am 8. November 2009 konnte es Joachim Gauck bei Anne Will einmal mehr nicht lassen, das Leben der DDR-Bürger in den düstersten Farben zu malen. Vor allem die niedrigen Renten und Arbeitslöhne bei hohen Preisen empörten ihn und riefen sein Mitleid hervor. Allein die Mieten seien in der DDR günstiger gewesen als heute.

Solch ein Geschwätz darf man nicht unwidersprochen im Raum stehen lassen. Neben den extrem niedrigen Mieten, inklusive Betriebskosten, gab es eine Menge Alltägliches für wenig Geld, was meine Enkel, wenn ich ihnen das als ein Stück Wahrheit über die DDR erzähle, mit großer Skepsis zur Kenntnis nehmen. Etwa nach dem Motto: Für Märchenstunden sind wir schon zu alt. Ich möchte mich auf einige Beispiele beschränken.

Mutter zog nach dem Tod unseres Vaters 1981 nach Schwaan bei Rostock in ein kleines, beschauliches Altenheim. Um näher bei ihren Söhnen zu sein, wechselte sie nach etwa zwei Jahren in ein neues modernes Heim nach Güstrow. Nebenbei bemerkt: Dieses Haus wird noch heute erfolgreich von einem Wohlfahrtsverband als Pflegeheim betrieben. Mutter erhielt eine Rente von rund 300 Mark der DDR - dem ersten Anschein nach wenig Geld. Monatlich entrichtete sie für Unterkunft, Essen, Trinken und soziale wie auch kulturelle Betreuung ganze 115 Mark. Als sie dann später in den Pflegebereich aufgenommen werden mußte, erhöhte sich der Betrag um zehn auf nunmehr 125 Mark. Da unsere Mutter keine extravaganten Ansprüche an das Leben stellte, blieb von der Rente ausreichend Geld für Geschenke zu Geburtstagen der Kinder, Schwiegerkinder und Enkel sowie für kleine Weihnachtsgaben übrig. Um einen solchen Heimplatz in der heutiger Zeit beanspruchen zu können, müßte die Rente etwa das Achtfache betragen. Wer von den Ostrentnern aber findet einen solchen Betrag auf seinem Konto?

In der DDR kaufte man für eine Mark 20 Brötchen, für einen Euro hingegen erhält man im günstigsten Falle bei Penny 7 Stück. Mein Kommentar: Früher waren sie geschmacklich und in der Konsistenz besser. Für die Kilowattstunde Strom hatte man 8 Pfennig, für den Kubikmeter Gas 16 Pfennig zu entrichten. Die medizinischen Leistungen, ob Arztbesuch, Krankenhausaufenthalt, Medikamente, heilungsunterstützende Hilfsmittel und Kuren wurden für alle Bürgerinnen und Bürger nach dem Prinzip eines heute gängigen Werbespruchs "Und mein Papi hat keinen Cent dazubezahlt" gehandhabt. Für einen 14tägigen Urlaubsaufenthalt in meist neuen und modernen FDGB- oder Betriebsferienheimen mußten Ehepaare zwischen 70 und 90 Mark berappen, wobei sämtliche Leistungen, von Bier und Schnaps natürlich abgesehen, inbegriffen waren.

Eines werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Als wir in Schwerin wohnten, fuhr ich täglich mit der Straßenbahn zur Arbeit. Hätte ich einen Einzelfahrschein gelöst, wären 20 Pfennig für die Tour fällig gewesen. Da aber auch der Kauf eines Fahrscheinblocks mit 50 Tickets möglich war, kostete mich die Fahrt von einem Ende der Stadt zum anderen nur ganze zehn Pfennig. Mit anderen Worten: Für 5 Mark nutzte man 50mal ein umweltfreundliches Verkehrsmittel. Heute kann man für 5 Euro nicht einmal drei Fahrten mit der Straßenbahn unternehmen.

Die kleine Auswahl von Beispielen soll deutlich machen, daß der tägliche Lebensunterhalt in der DDR bei bescheidener Rente oder durchschnittlichem Arbeitseinkommen, das - nebenbei bemerkt - heute in Ostdeutschland für die meisten Menschen netto ähnlich oder nur geringfügig höher ist als damals, gut gemeistert werden konnte. Wenn man auch über den Sinn oder Unsinn so hoher staatlicher Subventionen für viele Dinge des täglichen Bedarfs recht unterschiedlicher Meinung sein kann, so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß die DDR-Bürger dank der staatlichen Subventionspolitik de facto über ein zweites Einkommen verfügt haben. Es wurde ihnen allerdings nicht bar in die Hand gegeben.

Haß macht blind. Deshalb ist auch ein Mann wie Joachim Gauck trotz eines recht hohen Bildungsstandes nicht fähig oder willens, die positiven Seiten des Lebens in der DDR unbefangen zu bewerten. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als sich aufs Märchenerzählen zu kaprizieren. Darin ist er allerdings Meister.

Dieter Dethloff, Wittenförden

Raute

Erklärung des Bundessprecherrates der KPF vom 23. Januar

Dank an Oskar Lafontaine

Am 23. Januar 2010 hat Genosse Oskar Lafontaine auf einer Pressekonferenz erklärt, daß er auf dem Rostocker Parteitag nicht wieder für den Parteivorsitz kandidieren und sein Bundestagsmandat in den nächsten Tagen zurückgeben wird. Dies, so betonte er, geschieht "ausschließlich aus gesundheitlichen Gründen".

Die Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE bedauert die Entscheidung Oskar Lafontaines außerordentlich, wenngleich sie diese respektiert. Wir bedanken uns bei Genossen Lafontaine besonders dafür, daß er das linke Profil des Fusionsprozesses zwischen PDS und WASG und der daraus entstandenen Partei in den vergangenen fünf Jahren maßgeblich mitgeprägt hat. Wir haben nicht vergessen, wie skeptisch die KPF Oskar Lafontaine anfangs gegenüberstand; wir haben uns korrigiert. Oskar Lafontaine handelte gegen den zunehmenden Widerstand jener Kräfte in der Partei, die beinahe ausschließlich auf Regierungsbeteiligungen fixiert sind und daher kaum noch Bedingungen hierfür hinterfragen. Oskar Lafontaine hat in seiner Rede auf dem Neujahrsempfang am 19.1.2010 in Saarbrücken erneut auf die Kernforderungen der LINKEN verwiesen, denen unsere Partei die jüngsten Wahlerfolge vor allem verdankt. Die Kommunistische Plattform hat diese Forderungen stets nicht nur akzeptiert, sondern auch öffentlich vertreten. Wir teilen uneingeschränkt die von Oskar Lafontaine auf der Pressekonferenz vertretene Position, daß die LINKE deshalb stark geworden ist, "weil wir ein unverwechselbares Profil haben. [...] Diesen Weg müssen wir weitergehen." Besonders unterstreichen wir seine ebenfalls vor der Presse gemachten Bemerkungen, daß die Partei ihren Markenkern aufgeben würde, paßte sie sich der SPD an. Dann, so Oskar Lafontaine, würde sie auch das gleiche Schicksal erleiden wie die SPD. Die Kommunistinnen und Kommunisten in der LINKEN werden alles in ihren Kräften Stehende tun, damit das linke Profil unserer Partei nicht den Anpassungsbestrebungen an die SPD und den Wünschen nach Regierungsbeteiligung auf Bundesebene 2013 geopfert wird.

Bundessprecherrat der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE Ellen Brombacher, Thomas Hecker, Jürgen Herold, Friedrich Rabe

Raute

Kommunistische Plattform in M-V will Nägel mit Köpfen machen

Programmatische Erwägungen

Ich habe mir erlaubt, die Entschließung der 4. Tagung der 1. Landeskonferenz der KPF in M-V kurz zu interpretieren.

Wir beteiligen uns aktiv an der Debatte zur Erarbeitung eines Programms der Partei Die Linke.

D.h., wir wollen uns in die Debatte einmischen und von Anfang an das Entstehen eines Parteiprogramms begleiten. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben uns gelehrt, daß es besser ist, wenn die große Zahl der interessierten Mitglieder an der Basis von vornherein einbezogen wird. Dann kann ein Programm gestaltet werden, das auch von der Mehrheit getragen wird.

Die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise des kapitalistischen Systems resultiert aus der Widerspruchsdynamik der kapitalistischen Produktionsweise. Wir fordern deshalb im Programm der Partei Die Linke klare Aussagen zur Überwindung des Kapitalismus und Vorstellungen für eine gesellschaftliche Alternative.

D.h.: Die gegenwärtige Krise zeigt die Perspektive des drohenden Zusammenbruchs des kapitalistischen Weltsystems. Es genügt nicht, einige Maßnahmen zur Begrenzung der hemmungslosen Profitsucht einzelner Managergruppen zu treffen.

Putin hat seine Oligarchen an die Kandare genommen, ohne dadurch die Krise in seinem Land verhindern zu können. Selbst, wenn bei uns diese Leute in Handschellen gelegt würden - was berechtigt wäre -, die kapitalistische Überproduktion würde wieder vagabundierendes Kapital freisetzen, das nicht arbeitet, sondern in Profitblasen Kapital vernichtet. Deswegen brauchen wir dringend eine Alternative.

In unseren friedenspolitischen Zielen lehnen wir die Anwendung militärischer Gewalt in der nationalen und internationalen Politik ab.

D.h. sofortige Beendigung des militärischen "Engagements" der BRD in Afghanistan, weil der Krieg am Hindukusch gegen das Völkerrecht verstößt.

Im übrigen ist die Bundeswehr nur dem Bundestag verpflichtet. Die Soldaten haben keinen Eid auf die NATO geleistet. Die BRD könnte also jederzeit ihren Einsatz in Afghanistan beenden.

Wer mit militärischen Mitteln gegen die Zivilbevölkerung vorgeht, ist vor Gericht zu stellen. Das betrifft auch übergeordnete Instanzen, die Schießbefehle erteilen und begangene Verbrechen beschönigen oder vertuschen.

D.h., in einem Land, in dem aus offizieller Sicht kein Krieg geführt wird, ist ein Schießbefehl gegen unbewaffnete Zivilisten als Mord zu werten.

Eine weitere Vertuschung ziviler Opfer als "Kollateralschäden" ist nicht hinzunehmen.

Die Kriegsbeteiligung der BRD fördert auch die rechtsextremistischen Kräfte in unserem Land, weil diese darin eine Rechtfertigung ihrer nationalistischen und ausländerfeindlichen Auffassungen sehen.

D.h., auch deshalb lehnen wir nachdrücklich alle faschistoiden Tendenzen ab. Das betrifft sämtliche Formen der revanchistischen "Gedenkkultur", die allerorts mit Hilfe offizieller Kreise entsteht.

Wir setzen uns für eine differenzierte Sicht auf die DDR ein, erklären die Rechtmäßigkeit ihrer 40jährigen Existenz und des Strebens nach einer sozialistischen Alternative. Irrtümer und Fehler in ihrer 40jährigen Existenz werden wir nicht verschweigen und sie im Zusammenhang mit der Politik der Besatzungsmächte, mit dem Kalten Krieg und mit dem Recht auf Selbstverteidigung sehen.

Dazu gehört auch, den 65. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus gemeinsam mit anderen linken Kräften zu begehen und den entscheidenden Beitrag der Sowjetunion zu würdigen.

D.h.: Wir haben in diesem Zusammenhang bewußt auf den Begriff "Verbrechen" verzichtet, weil dieser ohne Konkretisierung lediglich eine Aufwertung der Anti-DDR-Hetze bewirkt. So haben Landtagsabgeordnete der FDP und der CDU in Mecklenburg-Vorpommern die Aufhebung der von der sowjetischen Besatzungsmacht 1945 beschlossenen Bodenreform gefordert, weil sie nach ihrer Auffassung "ein Verbrechen" sei.

Thesen aus dem Originaltext (fett), kommentiertvon Dr. Manfred Bewersdorf, Neubrandenburg

Raute

Erinnerungen eines Hamburger Genossen

Meine Eindrücke von der DDR lasse ich mir nicht wegnehmen

Seit vielen Jahren lese ich mit Freude den "RotFuchs". Aufgefallen ist mir, daß sich Westlinke mit Beiträgen zurückhalten. Deshalb will ich es mit einem Artikel versuchen, von dem ich hoffe, daß er Wesentliches von meinen Gedanken herüberbringt.

1946 wurde ich in HH geboren. Meine Familie hatte leidvolle Erfahrungen durch Krieg und Faschismus gemacht. Mit Kinderohren vernahm ich die Erlebnisse der Alten - vom I. Weltkrieg bis zur Bombardierung Hamburgs.

1956 reiste ich das erste Mal mit meinen Eltern zu Verwandten in den zur DDR gehörenden Ostharz. Mein Vater erzählte mir zuvor, das wäre jener Teil Deutschlands, wo alles getan werde, um dem Krieg und der Ungerechtigkeit zu begegnen. Als Zehnjähriger blieb vieles für mich abstrakt, auch wenn ich liebevolle Menschen kennenlernte, die mit Bescheidenheit in die Zukunft blickten.

1957 durfte ich das zweite Mal mit in die DDR. Diesmal war das thüringische Friedrichroda unser Ziel. Ein Tag dieser Reise blieb dem Besuch der Gedenkstätte Buchenwald vorbehalten. Das hinterließ tiefe Spuren bei mir. Später war ich noch etliche Male dort, auch mit roten Nelken für unseren ermordeten Teddy. An meiner Schule wurde ich zwar im Fach Geschichte unterrichtet, doch die faschistischen Verbrechen kamen dort nie zur Sprache. Ein Schülerbesuch im nahegelegenen KZ Neuengamme wäre in den 50er Jahren undenkbar gewesen.

Mit Hilfe meiner Eltern begann ich zu spüren, daß es wesentliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland gab. Voller Freude und neugieriger Spannung nahm ich dann als Junge an Ferienlagern in der DDR teil. 1963 war ich in einem FDJ-Zeltlager an der Ostsee: Jugendliche aus beiden Teilen Deutschlands verlebten hier drei Wochen lang zusammen schöne Ferien. "Große Klasse", urteilte ich. Aber ich wollte inzwischen auch mehr wissen. Gespräche im kleinen Kreis, die Vorführung von DEFA-Filmen, lebhafte Diskussionen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - alles verlief ohne Zwang.

Natürlich kamen Freizeit und Baden nicht zu kurz. Es waren tolle Tage. Ich lernte Erika aus Kühlungsborn kennen. Sie befand sich in der Ausbildung als Drogistin, bekam später einen Studienplatz und wurde in der DDR Chemielehrerin. Eine solche Biographie wäre damals im Westen nicht vorstellbar gewesen.

In der Zeit, die ich bei der Bundeswehr zubringen mußte, konnte ich die DDR leider nicht besuchen. Die Armee vermittelte uns, der Feind stehe im Osten, und der Ernstfall heiße immer Rot.

Als sich in den 70er Jahren die Lage zwischen DDR und BRD etwas zu entspannen begann, konnte ich ab 1976 auch als Campingtourist ostwärts reisen. In Hamburg gab es das linke Reisebüro "Hansa-Tourist". 16 DDR-Campingplätze wurden dort angeboten. Als junge Familie fuhren wir viermal zum Zelten an die DDR-Ostseeküste. So mancher in Hamburg, dem wir unser Urlaubsziel zuvor anvertraut hatten, schüttelte nur verständnislos den Kopf und hielt uns für bescheuert. Aber warum taten wir es, ohne diese Reisen jemals zu bereuen?

Für eine Familie mit zwei bis drei Kindern ist Urlaub am Wasser ideal. Die Entfernung war gering. Damals gab es die A 20 noch nicht. So brauchten wir bis Bansin etwa sieben Stunden. Überdies wollten wir unser Urlaubsgeld in einem Land ausgeben, das unseren Zukunftsvorstellungen entsprach. Natürlich war das mit einer starken idealistischen Einstellung verbunden. Außerdem wußten wir, daß in der DDR vieles im Vergleich zur BRD äußerst preisgünstig war. Wo bekam man zwischen 1976 und 1984 bei uns, in Dänemark oder Holland einen Familientarif von sechs bis zehn DM pro Tag? (Wir zahlten nach dem Umtausch natürlich 1 : 1.) Im Campingcafé konnten wir für ca. 10 Mark essen. Unser nichtverbrauchtes Geld legten wir in Büchern, Schallplatten, Hase-und-Wolf-Filmen sowie Piko-Eisenbahn-Teilen an.

Zelte haben bekanntlich dünne Wände, und durch Kinder kommen Menschen noch leichter in Kontakt. So war es auch bei unseren Fahrten. Wir haben viele freimütige Gespräche - oft bis in die Nacht - mit anderen Campern geführt, wobei niemand von meinen DDR-Partnern Angst hatte, ein Unberechtigter könne mithören.

Auch viele weitere Aufenthalte im anderen deutschen Staat verliefen positiv. Bis Mitte der 70er Jahre hatte sich mein Bild von der DDR immer mehr zum Guten gesteigert. Eintrübungen kamen mit eigenen kleinen Erfahrungen für jeden, der drei Wochen "Campingbürger der DDR" gewesen ist. Da hieß es z. B. an Geschäftstüren: Wegen Warenannahme, Urlaub oder Krankheit geschlossen. Ich habe auch unfreundliche Volkspolizisten erlebt. Immerhin verbrachte ich - zusammengenommen - zwischen 1956 und 1989 etwa ein Jahr in der DDR. Allerdings habe ich nie dort gelebt. So kann ich aus meinen vielen Aufenthalten natürlich noch keine umfassende Landeskenntnis ableiten. Doch meine erfreulichen Eindrücke lasse ich mir von keinem Halbhistoriker zertrampeln.

Übrigens: Günter Wallrafs neues Buch beschreibt sehr anschaulich die menschlichen Verwerfungen und katastrophalen Existenzbedingungen im Kapitalismus. So etwas hat es in "unserer DDR" nie gegeben.

Holger Meyer

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Aus Hellges Anekdotenkiste

Ulbricht und der liebe Gott

Tag des Lehrers 1952. Ich bin zu der Festveranstaltung im Hause des Zentralkomitees eingeladen. Während einer Programmpause gehe ich gedankenverloren einen der schier endlosen Korridore entlang, um für Minuten dem Stimmengewirr im Saal zu entfliehen. Da kommt plötzlich jemand eilenden Fußes vorbei und fragt: "Hast du irgendwo die Margot gesehen?" Verärgert über die Störung in meiner Meditation antwortete ich flapsig: "Bin ich etwa Jesus?" Dann schaue ich hoch, und es entfährt mir: "Großer Gott - Genosse Ulbricht!" Der - sichtlich amüsiert - sagt: "Die Heilige Dreifaltigkeit scheinst du ja zu kennen, hoffentlich weißt du auch im Marxismus Bescheid."

Sprach's und eilte auf der Suche nach Margot weiter ...

Und das ausgerechnet mir - dem Dozenten für ML am Institut für Lehrerbildung in Meiningen ...

Hellmuth Hellge

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Gedenken an Wilhelm Pieck in Kriebitzsch

Kriebitzsch ist ein bei Altenburg im äußersten Ostzipfel Thüringens gelegener Ort mit 1180 Einwohnern. Bürgermeister Bernd Burkhardt - Mitglied der Linkspartei - und sein Gemeinderat taten etwas eigentlich ganz Selbstverständliches und sorgten damit in der von antikommunistischer Hysterie und Hetze aufgewühlten politischen Landschaft der BRD für eine kleine Sensation. Unter der Friedenseiche, mit der vor einigen Jahren die einstige Hitlerlinde ersetzt worden war, enthüllten sie einen imposanten Gedenkstein für Wilhelm Pieck. Der erste DDR-Präsident habe sein Leben lang für ein sozialistisches Deutschland gekämpft, der durch ihn mitbegründete Staat sei in den 40 Jahren seiner Existenz stets unbeirrbar für den Frieden eingetreten. So begründete Genosse Burkhardt, der 1990 "nur" 53%, fünf Jahre später aber bereits 96% der Kriebitzscher Stimmen erhalten hatte, die Ehrung. Sie war aus Anlaß des 49. Todestages des populären Arbeiterführers und Spitzenmannes des besseren Deutschlands erfolgt.

Übrigens: Nicht nur die PDL-Vertreter im Gemeinderat, sondern auch die Abgeordneten einer örtlichen Unabhängigen Wählergemeinschaft votierten für die Erinnern an Wilhelm Pieck in Kriebitzsch Abriß einer Stele in Wickersdorf Angst vor Richard Sorges Vermächtnis inspirierte Bilderstürmer Aufstellung des Granitblocks. Der Stein sei eine "Attraktion", mußte selbst der in ganz anderen Welten angesiedelte "Spiegel" einräumen.  RF

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Angst vor Richard Sorges Vermächtnis inspiriert Bilderstürmer

Abriß einer Stele in Wickersdorf

Es muß wohl 1967 gewesen sein, als die FDJ-Grundorganisation der "Spezialschule zur Vorbereitung auf ein Russischlehrer-Studium" in Wickersdorf vom Parlament des Jugendverbandes in Karl-Marx-Stadt mit dem Namen "Richard Sorge" zurückkam. Obwohl ich damals bereits stellvertretender Direktor war und die Schule dann von 1968 bis zu ihrem Untergang im Jahre 1991 leitete, kann ich mich nicht daran erinnern, wie die Namensverleihung zustande kam. Das ist auch uninteressant. Alle Träger dieses Namens in der DDR wurden dann durch eine Patenbrigade aus dem VEB Berliner Bremsenwerk - heute wohl wieder als Knorr-Bremse bekannt - betreut. All die Jahre haben wir durch vielfältige Veranstaltungen das Vermächtnis Richard Sorges bewahrt.

Unerwarteten Auftrieb erhielt unsere Arbeit, als eine sowjetische Lehrerin namens Galina Romanowna Starowoitowa im Zuge des Ausbaus eines erweiterten Russischunterrichts an der Schule ihre Tätigkeit aufnahm. Schnell stellte sich heraus, daß sie gemeinsam mit ihrem Mann während des Großen Vaterländischen Krieges hinter den feindlichen Linien als Partisanin gekämpft hatte. Der Vortrag beider über dieses Thema ist mir noch in bester Erinnerung.

Dann passierte etwas kaum Vorstellbares: In den 20er Jahren, als viele sowjetische Schüler die damalige Freie Schulgemeinde Wickersdorf besuchten, hatte sich unter ihnen auch Maria Poljakowa befunden. Eines Tages tauchte sie, es muß wohl Mitte der 80er gewesen sein, bei der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS - der legendären HVA - in Berlin auf und bat, man möge sie unbedingt nach Wickersdorf bringen. Zusammen mit einem ehemaligen Schüler des Jahrgangs 1960, inzwischen selbst Offizier der HVA, besuchte sie uns und berichtete von ihrer Kundschaftertätigkeit im durch die Hitlerfaschisten an das Deutsche Reich angeschlossenen Österreich. Das und anderes veranlaßte uns dazu, im Schulhof eine Stele zu Ehren von Richard Sorge aufzustellen.

Dann kam das Jahr 1990 und mit ihm die famose Rückwende: Kaum waren die Grenzen geöffnet, stellten sich alle, die - aus welchen Gründen auch immer - irgendwann verschwunden waren, wieder ein, um die ihnen verhaßte Schule, so wie sie war, zu liquidieren und in eine Privatschule "umzustrukturieren", wie sie das nannten. Der erste "Neuerer" schrieb mir gleich einen Brief, in dem er seine Verwunderung darüber zum Ausdruck brachte, daß in Deutschland - damals hießen wir immerhin noch DDR - ein "Sowjetspion" geehrt werde. Wie da wohl Geschichte "aufgearbeitet" worden ist, um dieses idiotische Wort zu gebrauchen! Den Höhepunkt bildete allerdings ein Offener Brief, der von einem Herrn Professor verfaßt worden war und an der Wandzeitung erschien. Dort wurde nun endlich "einiges richtiggestellt", was wir an diesem hervorragenden Kundschafter alles falsch gesehen hätten. Ob es wohl auch ein Fehler Sorges war, Stalin über den bevorstehenden Krieg zu informieren? Vielleicht wäre der Überraschungseffekt dann noch größer gewesen!

Mit schwerer Technik wurde die Stele bei uns entfernt, wobei sogar einige Kollegen tatkräftig mithalfen, vermutlich aus Angst um den späteren Arbeitsplatz. Rein äußerlich betrachtet, wurde die Erinnerung an Richard Sorge so getilgt ...

P. S. Es wäre natürlich eine besondere "RotFuchs"-Leistung, wenn über einen russischen Leser der Zeitschrift Genossin Starowoitowa und/oder ihr Ehemann ausfindig gemacht werden könnten, sollten sie noch leben. Maria Poljakowa ist verstorben.

Dieter Barth, Wickersdorf

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Vom Dorfjungen zum promovierten Pädagogen

"Bildungszwang" in der DDR

Es war die Zeit nach dem mörderischen 2. Weltkrieg. In Deutschland waren viele Lebenswege und Perspektiven zerbrochen, das Suchen nach neuer Orientierung begann.

Als 17jähriger beteiligte er sich mit Gleichaltrigen daran, die materiellen und geistigen Trümmer in seinem uckermärkischen Heimatdorf Fürstenwerder zu beseitigen. Doch was sollte danach kommen? Ein Dorfjunge aus ärmlichen Verhältnissen suchte Zukunft! Seine Mutter, die sich mit Sprichwörtern auskannte, sagte: "Lerne was, dann kannste was, kannste was, dann biste was!" In jenen Tagen las er den Aufruf "Werdet Neulehrer!" Dem mütterlichen Rat folgend bewarb er sich, denn den Abschluß der 8. Klasse der Volksschule verbuchte er als sein Haben. Im Soll stand nun die pädagogische Kurzausbildung im Achtmonatskurs in Lychen 1947. Also lernte er lehren und vervollständigte sein Wissen in den Fächern, die er unterrichten würde. Machte das Spaß? Natürlich nicht nur, aber heißt Freiheit nicht auch Einsicht in die Notwendigkeit? Und er hatte doch jetzt ein Ziel vor Augen! Man sang damals "Bau auf, bau auf ...!" Rektor Metscher und erfahrene Pädagogen brachten den "Neulehrern" die Didaktik und Methodik der Schulreformer und das Einmaleins des neuen Berufes bei. Der sowjetische Kulturoffizier besorgte Lehrmaterial und oft genug auch die Verpflegung. Sogar ein kleines Stipendium gab es. Die Schulen des Landes brauchten neue Pädagogen.

Am 1. November 1947 übernahm er den Unterricht in Arendsee, einer zweiklassigen Landschule, wo das 1. bis 4. und das 5. bis 8. Schuljahr gemeinsam von zwei Lehrern unterrichtet wurden. Doch wer A sagt, der muß auch B sagen! So galt es, unverzüglich ein Fernstudium aufzunehmen, um nach zwei Jahren als Lehramtsbewerber und zwei weiteren als Lehrsamtsanwärter die endgültige Lehrbefähigung zu erreichen. Worauf hatte er sich da nur eingelassen? Vormittags Unterricht, nachmittags Vorbereitungen für den morgigen Tag, abends Bücherstudium der Lernpsychologie von Kroh, der Pädagogik von Comenius und Diesterweg, der Methodik von Gaudig und Kerschensteiner. Bei Makarenko las er den Satz, daß der Lehrer stets das "Prinzip der morgigen Freude" beachten solle.

Freudig bestand er 1951 die zweite Lehrerprüfung und wurde als junger Schuldirektor eingesetzt. Wohlverdiente Anerkennung oder Ansporn? Ausruhen auf Erreichtem oder weiter auf Mutters Rat hören? Der Schulrat half "überzeugend" nach und schon begann für ihn das nächste Fernstudium. Drei Jahre am Deutschen Pädagogischen Zentralinstitut der DDR! Dann erst konnte er als Fachlehrer für Geschichte bis zur 10. Klasse tätig sein. Das war schon etwas für einen Dorfjungen! Lebenslanges Lernen zeichnete viele seiner Generation in der DDR aus und wurde staatlich gefördert. Studiengebühren gab es nicht.

Nun hieß es wieder für ihn: zu Konsultationen fahren, Klausurarbeiten schreiben, Zwischenprüfungen ablegen. Und das alles bei voller Belastung als Direktor einer großen Stadtschule. Begleiterscheinungen wie kurze Nächte, wenig Freizeit, viel Unrast forderten ihren Tribut. Doch er bemühte sich, alles "unter einen Hut zu bringen". Es war die Zeit des Aufbruchs, des Mutes, neue Wege zu gehen. Arbeiter- und Bauernkinder erfuhren besondere Unterstützung, denn die DDR wollte frühere Benachteiligungen überwinden. Und so erhielt er 1954 nach dem Staatsexamen sein Fachlehrerzeugnis.

Doch man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. An der Berliner Humboldt-Universität wurde ein Diplomstudium für Schulpraktiker eingerichtet, das 2 ½ Jahre Fernstudium und 1 ½ Jahre Direktstudium umfaßte. Damit erhielt die Lehrerbildung der DDR ihr Hochschulniveau. Welch Gewinn, bei den Professoren Alt und König Vorlesungen zur Geschichte der Pädagogik zu hören, das Leben in der Hauptstadt zu genießen. Doch zu Hause warteten Frau und Kinder auf ihn. Er wohnte in Templin, seine dortige Arbeit als Kreisschulrat seit 1955 füllte ihn aus, und er hatte schon sieben Jahre fernstudiert. Auch seine Tochter fragte: "Hast Du denn noch nicht genug gelernt?" Der Ratschlag der Oma war nicht unbedingt nach ihrem Geschmack. Für ihn jedoch brachte das Lernen Gewinn und war für die berufliche Qualifikation vonnöten. Also ging er wie viele Schulpraktiker, die als Neulehrer angefangen hatten, nach Berlin. Er war Zeuge geistig bereichernder Diskussionen führender Wissenschaftler, nahm an Ausarbeitungen pädagogischer Fachliteratur teil, wurde klüger und erfahrener.

Daß sich dem Diplomstudium gleich eine außerplanmäßige Aspirantur anschloß und er 1967 promovierte, ergab sich daraus. Von 1973 bis 1975 war er dann an der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR tätig.

So hat das Lernen ihn sein ganzes Leben begleitet, geplagt und gefreut, gefordert und gefördert. War es immer gewollt? War es nicht oft nur Pflicht oder Verantwortungsgefühl? Nein, es war auch manchmal Zwang und Verzicht auf anderes. Natürlich wecken Erfolge Lust auf mehr, fördern das Verlangen nach Klugheit. Aber es steht wohl fest, daß selbständiges Lernen ein zutiefst menschliches Bedürfnis ist. Er hielt nichts von dem Satz "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr". Hans lernt auch noch mit 80 Jahren!

Diese Lebensgeschichte widerlegt auch die heute oft geäußerte Meinung, daß man nur lernen soll, wenn man Lust dazu hat. Schön wäre es ja, wenn Lernen immer Spaß machen würde, aber so spielt sich das im Leben nicht ab. Gute Pädagogen wecken Freude am Lernen, aber es ist auch nötig, wenn man "keinen Bock darauf hat". Sie schüren Neugier als Schlüssel zu einer positiven Lerneinstellung. Schon Epikur lehrte: "Der Genuß folgt nicht erst nach dem Lernen, sondern Lernen und Genuß sind eins."

Er lebte in einer Zeit, in der das Lernen staatlich gewollt und gefördert wurde. Damals begannen viele Menschen, sich im Osten Deutschlands ein neues Leben aufzubauen, mutig und guten Willens. Die Zeitzeugen wissen: Es sollte eine demokratische, antifaschistische und sozial gerechte Republik ohne Kapitalismus und Krieg sein. Deshalb zog man Lehren aus der Vergangenheit und lernte Neues. Aus diesem Grunde ist jene Ära unvergeßlich und weit mehr als eine Fußnote der Geschichte.

Natürlich wird auch heute in der BRD gelernt. Doch welche Motive, Inhalte und Förderungen besitzen hier Priorität? Da hat jedes Bundesland sein eigenes Sagen. Da entscheidet die Vermögenslage der Eltern über den Bildungsweg. Heute gibt es viele "Wege nach Rom". Da wäre es gut, Bewährtes aus vergangenen Tagen zu erhalten und weiterzuentwickeln. Ohne jede Voreingenommenheit!

Ja, in der DDR gab es einen Zwang zum Lernen. Aber es gab auch ein Recht zum Lernen und einen Staat, der dieses Recht weitgehend garantierte. Allseitig gebildete Persönlichkeiten sind ohne Opfer und Anstrengungen des einzelnen wie der Gesellschaft nicht zu haben!

Der Junge aus dem Dorf wußte um den steinigen Weg und ging ihn bewußt. Viele halfen ihm dabei. Respekt einem Land, das ganzen Generationen den Weg in die Zukunft geebnet hat!

Dr. Horst Parlow, Neubrandenburg

Raute

Arbeitete Edgar Most wirklich 50 Jahre im Auftrag des Kapitals?

Diener zweier Herren

Wenn jemand stolz darauf ist, fünfzig Jahre im Auftrag des Kapitals tätig gewesen zu sein, muß er sich schon einiges fragen lassen. Wenn er beschreibt, wie er noch während der Existenz der DDR eine Privatbank gründete, mit der Deutschen Bank fusionierte und ab Dezember 1990 Mitglied der Geschäftsleitung der Deutschen Bank wurde, ruft dies weitere Fragen hervor.

Edgar Most hat vom Banklehrling in Bad Salzungen bis zur Spitze der Staatsbank der DDR einen Weg durchschritten, der Respekt verdient. Er gehörte auch zu jenen Ökonomen, die schon in den 70er Jahren die Wirtschaftsentwicklung kritisch beurteilten, entsprechende Analysen an die Führung gaben, dort aber nicht gehört wurden. Als Vizepräsident der Staatsbank der DDR war er ein profunder Kenner des ostdeutschen Finanz- und Bankwesens. Aber seine unbezweifelbare Kompetenz in Finanz- und Bankfragen wird nicht begleitet von gleicher Seriosität auf gesellschaftspolitischem Gebiet. Wenn die Verwaltung des Volksvermögens eines sozialistischen Staates und die Leitung seines Bankwesens gleichgesetzt werden mit den Aktivitäten für die westdeutsche Hochfinanz in Gestalt der Deutschen Bank und das vorgestellt wird als "50 Jahre im Auftrag des Kapitals", so liegt dem ein sonderbarer Kapitalbegriff zugrunde. Aus dieser gesellschaftsneutralen Sicht wird verständlich, daß der nahtlose Übergang aus einem Chefsessel der DDR-Staatsbank in die Chefetage der Deutschen Bank für Edgar Most problemlos war.

Fairerweise muß anerkannt werden, daß er dabei mehr als zehntausend Bankangestellten der DDR ihre Arbeitsplätze erhielt - zunächst.

Die Annäherung an die Deutsche Bank begann damit, daß die DDR-Staatsbank der Deutschen Bank genehmigte, in allen Bezirkstädten Ostdeutschlands Repräsentanzen zu eröffnen. Sie sondierten erst den Markt. Danach erfolgte die Fusionierung der von Most gegründeten Privatbank mit der Deutschen Bank. Das Ergebnis: "Der Aktienkurs der Deutschen Bank stieg binnen kürzester Zeit." Gleichzeitig hatten "viele Westbanken und Sparkassen ... die Patenschaft für Ostregionen übernommen. So bauten sie ihr Geschäft aus, und ... Milliarden von D-Mark flossen in die alten Bundesländer ab."

Die Vorbereitung dieser Fusionierung erfolgte in vielen Gesprächen mit "Leuten aus der Führungsetage der Deutschen Bank ... Diese Gespräche liefen streng geheim." Im Frühjahr 1990 traf sich Most mit "einem der Generalstrategen der Deutschen Bank am Müggelsee". Er zeigte ihm "sämtliche Unterlagen der Staatsbank". Noch immer durfte er sich nicht mit Vorständlern der Deutschen Bank zeigen.

Wenn sie gemeinsam zur Frühjahrsmesse nach Leipzig flogen, fuhren sie vom Flugplatz getrennt zur Veranstaltung. Den Punkt auf das "i" solcher Zwielichtigkeit setzte Most im April 1990 auf einer Bankentagung in Bonn, wo er mit Helmut Kohl zusammentraf und ihm anbot: "Ich habe die Bilanz der Staatsbank dabei." Er übergab sie ihm. Most war bewußt: "Dies war geheime Verschlußsache, niemals hätte ich sie in den Westen mitnehmen dürfen." Als was würde der Bundesgerichtshof es bezeichnen, wenn der Präsident der Bundesbank mit seinen Bilanzen und anderen streng geheimen Unterlagen in ein konkurrierendes Land flöge und dem dortigen Staatschef alles zur beliebigen Verwendung übergäbe?

Während also progressive Kräfte um positive Veränderungen in einer sozialistischen DDR kämpften (wenn auch viel zu spät und erfolglos), hat Most auf konspirative Weise in Geheimverhandlungen mit den Chefs der Deutschen Bank die Vereinnahmung des Bank- und Finanzsystems der DDR durch die westdeutsche Hochfinanz vorbereitet. Der von ihm selbst gezogene Schluß: "Gemeinsam mit Gleichgesinnten und Freunden in der Bank brachte ich den Osten in die Deutsche Bank und die Dresdner Bank ein."

Um wiederum fair zu bleiben: Er hatte durchaus einen kritischen Blick auf die Art der Währungsunion, auf die Tätigkeit der Treuhand und auf die Deindustrialisierung Ostdeutschlands. Aber alle seine kritischen Vorschläge wurden von der Bonner Regierung ignoriert, während seine Kenntnis des ostdeutschen Finanzwesens sowie der osteuropäischen Bankstrukturen und die dazugehörigen Personenkenntnisse im Interesse der Hochfinanz voll genutzt wurden. Hier gilt wirklich: "... im Auftrag des Kapitals".

Aber sein systemneutraler Standpunkt läßt ihn dies alles als "Fehler der deutschen Einheit" und der "Wiedervereinigung" betrachten. Es geht dabei nicht um eine zufällige oder leichtfertige Formulierung, denn er greift stets darauf zurück. Ein "... Fehler ist die Arbeit der Treuhandanstalt ...", "Ein weiterer Fehler bestand in der Regelung: Rückgabe vor Entschädigung." "Bis heute warten viele Fehler darauf, korrigiert zu werden." Und immer wieder: "... schwerwiegendste Fehler ­...", "... gravierender Fehler ...". Das zeigt, daß er weder damals noch heute erkennt, daß diese "Fehler" einer langfristig vorbereiteten und konsequent durchgeführten Vereinnahmung des Volksvermögens der DDR durch das westdeutsche Großkapital entsprangen. Es handelte sich nicht um "Fehler", sondern um eine politische und wirtschaftliche Strategie. Innerhalb dieser fühlte er sich "mitverantwortlich, daß der Prozeß der Währungsunion gelingt". Das muß nicht verwundern, denn: "Im ersten Vierteljahr nach der Währungsunion verbuchte die Kreditbank hohe Gewinne."

Es wären noch etliche Problemkomplexe tiefer auszuloten, z. B. die Floskeln über die heutige Finanz- und Wirtschaftskrise. Deren Analyse kann man bei Autoren wie Christa Luft, Rudolf Hickel, Harry Nick, Sahra Wagenknecht u. a. auf weit höherem Niveau finden. Nun gut - das ist nicht sein Thema. Aber zum Thema macht Most selbst seinen Untertitel: "Gibt es einen dritten Weg?" Ob es den gibt oder nicht, ist international umstritten. Unstrittig aber ist, daß darunter ein Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus verstanden wird. Nicht so bei Edgar Most. Er hält "... ein neues Weltfinanzsystem, das an die Realwirtschaft gekoppelt ist, Finanzprodukte besser absichert und Spekulationen sowie Steuerumgehungen konsequent unterbindet" bereits für "den dritten Weg". Und: "Wenn wir das angehen, können wir auch von einem dritten Weg in der deutschen Einheit sprechen." Es geht ihm also nur um einen verbesserten, leicht regulierten Kapitalismus, wie er angesichts der Weltwirtschaftskrise auch von Finanzmagnaten, Konzernbossen und ihren Politikern zur Beruhigung der Gemüter herbeigeredet wird. Damit ist klar, wessen Interessen Most vertritt und auf welcher Seite er in der wirtschafts- und sozialpolitischen Entwicklung steht.

Dennoch: Sein Buchtitel irritiert, denn auf der Basis des wissenschaftlichen Kapital-Begriffs war er de facto nicht 50, sondern 15 Jahre im Auftrag des Kapitals tätig - von 1989 bis 2004. Das aber gründlich!

Prof. Dr. Herbert Meißner

Edgar Most - Fünfzig Jahre im Auftrag des Kapitals. Verlag Das Neue Berlin, 2009, 256 S., 19,90 €

Raute

Wie man Boizenburgs KPD-Bürgermeister 1931 sein Mandat entriß

"Abwahl" eines roten Kommunalpolitikers

Das hatte Boizenburg noch nicht gesehen: Am 9. September 1931 bewegte sich ein zwei Kilometer langer Zug von Kommunisten, Sozialdemokraten, Jungkommunisten, Gewerkschaftern und vielen Boizenburgern unter roten Fahnen vom vor der Stadt liegenden Bahnhof an der Strecke Berlin-Hamburg zum Schützenhaus am Elbhafen. An der Spitze marschierte Dr. Eduard Alexander, Rechtsanwalt in Berlin, Mitglied der KPD. Er war am 30. August 1931 zum Bürgermeister von Boizenburg gewählt worden. Die Vorgeschichte: 1931 lief die Amtszeit des Boizenburger Bürgermeisters ab. Die KPD-Fraktion im Stadtparlament hatte den Beschluß erwirkt, daß der neue Bürgermeister direkt zu wählen sei. Weil die Boizenburger Genossen keinen geeigneten Kandidaten sahen, schickten sie den langjährigen KPD-Stadtrat Hermann Moldenhauer zum ZK nach Berlin, um von dort entsprechende Hilfe zu erbitten.

Da sie einen guten Draht zu Heinrich Rau, der die Abteilung Land leitete, besaßen, kam die Sache schnell in die Gänge. Und Genosse Alexander gewann in seinen Reden immer mehr Boizenburger für sich. "Es dürfen kein Zweifel und kein Mißverständnis aufkommen, es ist ein kommunistisches Programm, das ich Ihnen unterbreite. Wir Kommunisten pflegen nicht, wie andere, uns vor der Wahl mit radikalen Worten zu drapieren, um sie nach der Wahl wie ein zerschlissenes Schauspielergewand in die Ecke zu werfen", sagte er. "Wir Kommunisten sind nicht volksfreundliche Schönschwätzer vor der Wahl, um nach der Wahl volksfeindliche Bürokraten zu werden." Zur Sozialpolitik erklärte Dr. Alexander u. a. "Kein Abbau, sondern Aufbau der Schulen, gesunde Wohnungen, Ausbau der Sozialpolitik, Säuglingsfürsorge auf breitester Grundlage. All das kann auch in Boizenburg mit Hilfe der Werktätigen und in ihrem Interesse durchgeführt werden, aber nicht aus ihrer Tasche." Zu seiner eigenen Tasche sagte er, ihm genügten 6000 Reichsmark Jahresgehalt. Den darüber hinausgehenden Betrag werde er für Erwerbslose spenden.

Doch Alexanders Programm für Boizenburg - Finanzausstattung, Arbeitsbeschaffung, Wohnungsbau, Bildung einer Arbeiter-Miliz - blieb unverwirklicht, denn sein Amtsantritt wurde verhindert. Die Stadtvertretersitzung am 23. September eröffnete deren Vorsteher Dr. Große-Freese. Der verlas eine Eingabe, die von ihm selbst und Nazis unterschrieben worden war. Die Gültigkeit der Bürgermeisterwahl sei zu überprüfen. Gründe dafür wurden nicht genannt. Es ging lediglich darum, ein zuvor ausgeklügeltes Abstimmungsergebnis herbeizuführen: Mit 8 : 7 Stimmen wurde die Bürgermeisterwahl für ungültig erklärt.

Hurtig bestätigte die Landesverwaltung das "Resultat" und ordnete überdies an, daß das alte Stadtparlament mit seinem Bürgermeister im Amt bleibe. Inzwischen hatte auch die deutsche Reichsregierung Vorsorge getroffen, ähnliche Wahlergebnisse in Städten und Gemeinden zu annullieren. Die Monopolbourgeoisie ließ durch ihre Regierung eine Notverordnung verkünden, in der bestimmt wurde, daß alle Ratsmitglieder, deren Amtszeit abgelaufen sei, "bis auf weiteres" auf ihrem Posten zu bleiben hätten. "Mit anderen Worten: Vom Volk gewählte fortschrittliche Kandidaten sollen ihre Tätigkeit gar nicht erst beginnen können", stellte der Autor Günter Jaffke fest.

Dr. Alexander setzte seine Arbeit in der Anwaltspraxis von Dr. Fritz Löwenthal am Berliner Lützowplatz fort und trat ausschließlich in politischen Verfahren auf. Dafür bekam er im Jahre 1931 von der Roten Hilfe insgesamt 328,40 RM Honorar. 1933 erhielt er mit der Begründung, er sei "Halbjude", Berufsverbot. Am 22. August 1944 holte ihn die Gestapo ab. Anfang 1945 ist er in einem KZ umgekommen, vermutlich in Bergen-Belsen.

Zu DDR-Zeiten setzten die Boizenburger dem mutigen Anwalt einen Gedenkstein am Rathaus. Wenn junge Leute vom Standesamt kamen, legten sie ein Blumengebinde am Dr.-Alexander-Stein nieder. Heute steht er in einer stillen Ecke des Friedhofs. Besser im öffentlichen Gedächtnis bleibt unser Genosse mit der nach ihm benannten Dr.-Alexander-Straße im Viertel der DDR-Neubauten.

Siegfried Spantig, Hagenow

Raute

Gier nach der D-Mark als Motiv

Nicht nur, daß mir diese Zeitschrift Stunden der Erholung von der volksverblödenden Medienwelt des Kapitalismus bietet, nein, Beiträge im "RotFuchs" bestärken mich in meinen Überlegungen zum Untergang der DDR. Da schreibt Klaus-Peter Hoffmann aus Velten, daß das wahre Motiv "für den Fall der DDR" die Gier nach der D-Mark war, nicht aber das Verlangen nach Freiheit und Demokratie. Ich stimme ihm völlig zu. Doch muß - so glaube ich - die Frage aufgeworfen werden, warum die Masse der Menschen in der DDR so und nicht anders reagierte. War es der Mangel im Warenangebot? War es die nicht erreichbare Welt des Kapitalismus mit ihren bunten, schillernden Konsumgütern? War es vielleicht auch die menschliche Natur, die wohl nicht immer nur hehre Ziele und edle Motive eines bereits ausgereiften sozialistischen Menschen birgt, sondern eben auch die "Gier" nach Konsum und "Mehrhabenwollen"? Ich denke, die Antworten des Autors zu allen aufgeworfenen Fragen treffen den Kern. Ein sozial gesicherter DDR-Bürger mit einer klaren Perspektive für sein Berufsleben bis zur Rente wollte sein Geld auch ausgeben, sich "etwas leisten". Das aber war in der DDR nur mit gewissen Abstrichen möglich. Außerdem trachtete er natürlich danach, sein Geld für Reisen in ferne Länder zu verwenden. Und schließlich: Er kannte den Kapitalismus nur aus dem Fernsehen. Das nicht Erreichbare lockte und ließ den wahren Hintergrund der antihumanen Welt im Westen verblassen.

An dieser Stelle möchte ich auch auf den Beitrag von Oberst a. D. Dr. Horst Österreich (RF 144) kurz eingehen. Ja, die inneren Triebkräfte des Sozialismus wurden durch eine rigide Partei- und Staatsführung späterer DDR-Jahre "verschüttet". Aber haben wir Mitglieder der SED das verhindert? Ich jedenfalls hielt mich strikt an die Parteidisziplin und bin deshalb daran mitschuldig, daß die DDR dem Imperialismus wie eine "reife Frucht in den Schoß fiel". Ja, es stimmt: Die herrschende Klasse in der BRD mit ihren Hofschranzen in Bundesregierung und Bundestag fürchtet nichts so sehr wie einen intakten Sozialismus und schafft es in "bewunderungswürdiger" Weise, das Volk zu manipulieren und in ihrem Sinne zu lenken. Ich denke da nur an die Werftarbeiter bei uns in Stralsund, Warnemünde und Wismar. Von Kampfgeist nicht die geringste Spur! Aber spielen da nicht die eingangs gestellten Fragen eine Rolle? Möchte nicht jeder dieser Arbeiter ein sozial gesichertes Leben führen und keineswegs in Hartz IV "abrutschen"?

Darum glaube ich: Es wird noch lange dauern, bis wir wieder vom Sozialismus in Deutschland sprechen können. Und "Die Linke"? Ist sie denn überhaupt noch eine in sich geschlossene Partei, die das Volk mobilisieren kann? In der gegenwärtigen Krise spürt man bei ihr wirklich nichts von revolutionärem Geist, sondern eher den Drang nach Posten und Regierungsbeteiligungen.

Ingrid Glow, Demmin

Raute

Ostalgie - ein dummer Begriff

Das war früher ganz anders, meinte der Vater. Und der Großvater setzte noch eins drauf: Beim Kaiser war's am besten. Warum das so gewesen sein sollte, erfuhr ich nicht. Ich war verstimmt, weil ich von diesem "besser" ausgeschlossen war. Heute denke ich, sie erinnerten sich gewiß an ihre Jugendzeit und sahen die Vergangenheit verklärt. Wäre es etwa besser, wie meine Mutter in Holzpantinen in eine einklassige Dorfschule zu gehen? Wäre es besser, wie meine Großmutter beim Bauern für Debutat zu arbeiten, um fünf Kinder durchzubringen?

War es besser, daß der Vater zur Befriedigung deutscher Eroberungsgelüste in den Krieg gezogen ist, während die Mutter uns mit Ährensammeln und Rübenstehlen über die Kriegszeiten rettete?

Mein Leben ist durch drei Gesellschaftsformen geprägt worden: Von der Zeit des Faschismus weiß ich wenig, da war ich noch klein. Im Sozialismus bin ich aufgewachsen, konnte studieren und ein erfülltes Leben führen. Heute will man mir einreden, so zu denken sei völlig verkehrt. Mein Staat sei in Wirklichkeit ein Unrechtsstaat gewesen, den ich beizeiten hätte durchschauen und bekämpfen müssen. Nun bin ich wie die anderen bei uns im Osten in den Kapitalismus gestürzt worden und sehe viele, schon vor Jahren in unserem Parteilehrjahr beschriebene Mißstände auf einmal hautnah.

Heute ist es nur Altbundesbürgern gestattet, darüber zu sprechen, früher sei alles besser gewesen. Wagte ich den Versuch, so etwas zu sagen, würden meine Worte sofort voller Verachtung in die Ostalgie-Kiste geworfen. Apropos früher: So einen dummen Begriff gab es seinerzeit nicht. Und das war wirklich besser.

Edda Winkel

Raute

Wo Hitler vor Hindenburg kniete

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Was führte zur politischen Entartung von Angela Merkel?

Aufstieg um jeden Preis

Im Januar-"RotFuchs" sah ich das Foto einer FDJlerin aus der Templiner Oberschule. Es war wohl 1972 aufgenommen worden. Das frische Gesicht wirkte auf mich sympathisch, neugierig, freundlich, dem Leben gegenüber aufgeschlossen. Es handelte sich um eine alte Aufnahme Angela Merkels. Heute ist sie eine Kanzlerin, die finster-entschlossen dreinblickt und ihren Namen mit Blut in die Geschichtsbücher schreibt.

Beim Anblick des Merkel-Bildchens fragte ich mich wieder, wie es eigentlich geschehen konnte, daß in der DDR Menschen aufwuchsen, die heute solcher Taten fähig sind. Was ist da schiefgelaufen?

Natürlich weiß ich, daß selbst die humanistischste Gesellschaft nicht verhindern kann, daß sich vereinzelt auch in ihrer Mitte Menschen entwickeln, die zu einer schrecklichen Enttäuschung werden. Aber im Falle der DDR wird leider offensichtlich, daß solche "Ausnahmen" doch weit zahlreicher waren, als man hätte vermuten müssen. Besonders nach der sogenannten Wende offenbarte sich bei vielen "Bürgerrechtlern" ein Maß an politisch-moralischer Verkommenheit, das stutzig macht. Klagten diese Leute gestern noch unverdrossen fehlende wie vorhandene Bürgerrechte ein, so schweigen sie heute beredt zu Afghanistan. Riefen sie damals noch "Keine Gewalt!", so sind sie inzwischen blind und taub, wenn es darum geht, den Kriegen der BRD Paroli zu bieten. Oft genug besitzen sie ja inzwischen sogar Mitgliedsbücher von Kriegsparteien.

Angela Merkel wuchs wie Lengsfeld, Thierse, Birthler, Poppe und all die anderen in einem Land auf, das ihnen von frühester Kindheit an humanistische Ideale vermittelte. Keine Alt-Nazis prägten wie im Westen das Gesicht der DDR, sondern Menschen, die ein friedliches Deutschland wollten. Klassen- und Standesdünkel waren verpönt, soziale Unterschiede nur gering. Völkerfreundschaft blieb keine hohle Phrase. Sie alle erfuhren ein Maß an Bildung, das jetzt nur Privilegierte in Anspruch nehmen können. Von Dankbarkeit fehlt bei ihnen aber jede Spur. Ein Grund ist wohl in einer der folgenschwersten gesellschaftlichen Fehlentwicklungen der DDR späterer Jahre zu suchen. Also, was ist da falsch gemacht worden?

Ich selbst bin kein Gesellschaftswissenschaftler oder ausgebildeter politischer Analytiker. Doch ich habe in der DDR gelebt und erinnere mich noch gut daran, wie alles gewesen ist. Viel zu oft verhielt es sich leider so, daß im Alltagsleben, in Schulen und Betrieben oder an Universitäten nur Lippenbekenntnisse statt tatsächlich gelebter Überzeugungen gefragt waren. Man mußte die Fahne nur schwenken, ohne sie zu lieben. Man achtete auch kaum noch darauf, ob die sozialistischen Ideale tatsächlich verinnerlicht wurden. Es genügte vorzuspiegeln, man besitze sie. Der Schein war oft wichtiger als das Wesen der Dinge. Etliche wußten, daß es für eine erfolgreiche Karriere genügte, so lange "Es lebe der Sozialismus!" zu rufen, bis es die jeweiligen Funktionäre hörten. Ihn auch zu leben, wurde häufig nicht verlangt. Die Fassade war nicht selten das für die Punktvergabe Entscheidende. Das förderte eine Atmosphäre der Verlogenheit, Anpassung, Heuchelei und geistigen Erstarrung.

Ob uns das gefällt oder nicht: Auch Angela Merkel ist ein Kind der DDR. Sie ist das Produkt einer ihrer schlimmsten Verzerrungen. Die einstige FDJlerin und heutige Kanzlerin verkörpert den Typus eines Menschen, der durch Deformierungen des Sozialismus gelernt hat, sich jeder Situation anzupassen, um unter beliebigen Bedingungen so weit wie möglich nach oben zu gelangen. Dabei kommt ihr die Tatsache zugute, daß sie offensichtlich von jeder eigenen Überzeugung frei ist. Menschen dieses Schlages sind beliebig austauschbar. Die Karrieristen der einen sind immer auch die Karrieristen der anderen und der dritten. Doch Angela Merkel wußte vermeintlich schon, als sie so munter das Blauhemd mit der Lessing-Medaille trug, wie man Überzeugungen zur Schau stellen muß. Das lernte sie von der Pieke auf, und diese erworbene Routine kann sie nun - abermals ohne Überzeugung - im anderen politischen System beliebig anwenden. Flexibilität heißt das Zauberwort. Gesinnungslosigkeit ist der Trumpf, der alle anderen sticht.

So bin ich davon überzeugt, daß man die wackere Angela ab 1990 bestimmt mit "Genossin" hätte anreden dürfen, wäre die SPD damals stärkste Partei gewesen. Diese Frau ist ein Wunder der politischen Evolution! Sie konnte früher ebensogut "freundschaftliche Gefühle" für das Volk Vietnams von sich geben, wie sie heute das Volk Afghanistans bombardieren läßt. Möglicherweise stellt das in ihren Augen nicht einmal einen Widerspruch dar. Anpassung an politische Notwendigkeiten des Augenblicks nennt man das wohl in ihren Kreisen. Ich bezeichne es als verbrecherisch.

Gerade uns ehemalige DDR-Bürger muß eine Angela Merkel zum Widerstand herausfordern.

Kann man über eine Vera Lengsfeld noch von Herzen lachen, so ist das Tun dieser verbissenen Kanzlerin wohl kaum dazu angetan. Die Toten des Massakers von Kundus mahnen uns, dem System aus Unrecht, Blutvergießen und Terror die Zähne zu zeigen. Wir dürfen es nicht stillschweigend hinnehmen, wie man die Losung, von deutschem Boden dürfe nie wieder Krieg ausgehen, inzwischen im Bundestag und in der Bundesregierung zynisch mit Füßen tritt.

Ulrich Guhl, Berlin

Raute

In Anlehnung an ...
Lilli Marleen

Komm in die Kaserne, komm zu Guttenberg,
fliege in die Ferne, und tu ein gutes Werk.
Wenn sich die Späher-Drohnen drehn,
kannst du die Leichen brennen sehn,
Obama findet‹s schön.

Du schlägst dich ganz wacker,
ein Kreuz hängt an der Brust,
auf dem Gottesacker vergeht dir deine Lust.
Dort, wo die vielen Kreuze stehn,
da wird sich deine Seele drehn,
Angela wird‹s verstehn.

Alles ist in Butter, ruft der General,
sein Kanonenfutter bringt doch allemal
Euro für die Deutsche Bank,
der Krieg, der macht die Krise schlank
und die Proleten blank.

Wegen ein paar Leichen, laß doch das Geheul!
Wir werden dort erst weichen, wenn unser ist das Öl.
Wenn jemand ein Gewissen hat,
das machen wir mit Euro satt
und walzen alles platt.

Komm nicht in die Kaserne,
nicht zu Guttenberg! Was willst du in der Ferne,
tu hier ein gutes Werk!
Wenn alle gegen Kriege stehn,
dann wird die Welt nicht untergehn,
Obama wird‹s vergehn.

Gerhard Naumann

Raute

Wenn Wahlen etwas änderten, wären sie schon längst verboten ...

Urnengang - nicht mehr als Feuerwerk, Stimmungsbarometer und Gradmesser

Unlängst traf ich mich mit einem alten Bekannten. Seine Familie ist über Generationen sozialdemokratisch, sein Vater wurde von den Hitlerschergen ermordet. Bei ihm selbst dominiert nüchterner Verstand. Er verspürt keine Gelüste, die DDR-Vergangenheit "zu bereinigen". Begreiflich, daß wir zunächst über Lothar Biskys prophetische "Vision" einer Vereinigung der Partei Die Linke mit der SPD ins Gespräch kamen, da wir uns unter Umständen ja noch in einer Partei wiederfinden könnten. Unsere Unterhaltung wechselte dann von dieser Fata Morgana zu realeren Dingen.

Nichts lag näher, als über den Verlauf der Wahlen im Land Brandenburg zu sprechen. Wie sich herausstellte, hatten wir sehr unterschiedliche Auffassungen zur Wahlfrage überhaupt. Mein Eindruck war eher, daß es nach den BRD-Wahlen recht still geworden sei; ja daß diesen generell die nötige innere Dynamik fehle. Ich sehe sie als Momentaufnahmen, bestenfalls Gradmesser, Stimmungsbarometer. Das Ganze gleicht einem Feuerwerk, das schnell verglüht. Mit dem Abhängen der Politikerplakate von den Laternen schmilzt die vielbeschworene "Bedeutung" der Wahlen über Nacht auf Null zusammen. Gegner von gestern liegen sich plötzlich als Koalitionäre in den Armen, um gemeinsame Sache zu machen. Die Karten werden neu gemischt. Wenn geringe Wahlbeteiligung tiefsinnig als "Politikverdrossenheit" interpretiert wird, so ist es doch eigentlich genau umgekehrt: Die politische Reife des Wählers hat bei diesem zu der Überzeugung geführt, daß Wahlen "nichts bringen".

Während es noch kurz vor Schließung der Wahllokale aufgeregt um "Hochrechnungen", Prozente, "Verluste" und "Gewinne" geht, formieren sich die Politiker bereits in den Sonderstudios des Fernsehens, wobei sie vermeiden, sich vor den Kameras irgendwie festzulegen. Sie greifen zu Floskeln wie, "das Endergebnis abwarten" oder "erst den Parteitag in Rechnung stellen". Wenn sie Ähnliches von sich geben, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, die ganze Hektik sei nur inszeniert worden, um dem Wähler den Eindruck zu vermitteln, er habe tatsächlich etwas entschieden. Der aber nimmt dabei nicht mehr wahr, als daß er nun seine Entscheidungshoheit eingebüßt und das eigene Schicksal unwiderruflich den gewählten "Repräsentanten" überantwortet hat. Was noch wichtiger ist: Außerparlamentarische Aktionen hält er nun für "nicht mehr nötig", in Sitzstreiks, Demonstrationen, Unterschriftensammlungen und Volksentscheiden sieht er keinen "rechten Sinn" mehr, schließlich hat er ja schon gewählt. Dabei ist hier noch gar nicht berücksichtigt, daß es zum Ritual von Wahlen gehört, den Wähler mit bestimmten Zusagen zu ködern, die dann nicht "eingehalten" werden könnten, weil sich die Situation geändert habe. Entsprechend wird nach einer Wahlschlappe, wie das im Politjargon heißt "das soziale Profil der Partei geschärft", um die verlorene Klientel von neuem zu betören und zurückzugewinnen. So erstaunlich es ist: Dieser "Mechanismus" funktioniert prächtig, wobei die Wähler - wie Ebbe und Flut - mal zum einen, mal zum anderen Ufer wogen, was dann von Politologen als "klassisches Zweiparteiensystem" definiert wird.

Wie zu erwarten, reagierte Walter, mein sozialdemokratischer Bekannter, auf meine Bemerkungen zu Wahlen, deren faktischer Wertlosigkeit, ablehnend. Nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes im Oktober 1890 erhob sich die SPD bereits bei den ersten Reichstagswahlen zur stärksten sozialdemokratischen Partei Europas. Nach dem Sturz des deutschen Kaiserreiches 1918 wurde en Partei Europas. Nach dem Sturz des deutschen Kaiserreiches 1918 wurde die Nationalversammlung immerhin frei gewählt. Sie gab dem Deutschen Reich eine demokratische Verfassung. Als Präsident dieser Republik trat - unbestritten im Ergebnis von Wahlen - der Sattlermeister Friedrich Ebert sein Amt an. Walters Argumente schienen gewichtig zu sein.

Mir blieb nur, darauf zu verweisen, daß wirklich "schicksalhafte Entscheidungen" in der jüngeren deutschen Geschichte nicht durch Wahlen gefallen seien. Die Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871 wurde nicht auf diesem Wege, sondern durch den Einmarsch Bismarcks in Paris herbeigeführt. Der "Ausbruch" des Ersten Weltkrieges war offensichtlich nicht das Ergebnis von Wahlen. Auch der "Abbruch" dieses Völkergemetzels folgte keiner Abstimmung. Eine bis dahin beispiellose Weltwirtschaftskrise wurde im Oktober 1929 nicht durch Wahlen, sondern durch Börsenspekulation und Überproduktion ausgelöst. Das Ende des Zweiten Weltkriegs besiegelten die Westalliierten mit der Forcierung des Rheins, die Rote Armee mit ihrem Einmarsch in Berlin. Auch hier standen Wahlen nicht zur Debatte. Selbst die angebliche Vereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 war das Ergebnis einer ganzen Reihe von Faktoren, auf keinen Fall aber von Wahlen. Etliche Monate sind wir bis zum Überdruß mit dem Thema "Opel" beschäftigt worden, das für eine Reihe von Industriestädten von schicksalhafter Bedeutung ist. Aber von Wahlen keine Spur. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen.

Mein Namensvetter Walter gab nicht auf. Die Hitlerdiktatur habe sich letztendlich durch demokratische Wahlen installieren können, behauptete er. Diese hätten ihr "die Macht gegeben, Deutschland in den Abgrund zu führen". Zweifellos ein Argument. Hier offenbarte sich allerdings, wie unterschiedlich die Vergangenheit aus sozialdemokratischer und aus kommunistischer Sicht betrachtet wird. Es kam nicht darauf an, die große Zustimmung des deutschen Wahlvolkes zur NSDAP kleinzureden. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler aber allein den Wahlerfolgen der Faschisten zuzuschreiben, schien mir indes zu kurz gegriffen.

Am Anfang dieses Weges stand die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg im Januar 1919, von Mathias Erzberger (August 1921) und Walter Rathenau (Juni 1922) - drei der Opfer waren jüdisch. Damals wußte in Deutschland noch niemand, wer dieser Adolf Hitler überhaupt ist. Der trat erst 1923 mit einem mißglückten Putsch in Erscheinung. Im März 1920 hatte es zuvor den Kapp-Putsch gegeben, der im wesentlichen durch einen Generalstreik gestoppt worden war. Es handelte sich um einen ersten militanten Versuch, jegliche demokratische Entwicklung im Keim zu ersticken. Mit der Unterzeichnung des Versailler Diktats formte sich in Deutschland eine breite Allianz von Nationalisten und Militärs, die auf Revanche, auf einen neuen Krieg zusteuerten. Ein letzter Schritt dieser Clique war die erfolgreiche Konstituierung der Harzburger Front, in der sogar die mit den Faschisten versippten Hohenzollernprinzen vertreten waren.

Das sind allgemein bekannte Tatsachen. Bedeutsam erscheint jedoch, daß dabei Wahlen - es sei denn als Gradmesser - so gut wie keine Rolle spielten. Die Wahl des kaiserlichen Feldmarschalls Paul von Hindenburg - nach Eberts Tod 1924 - zum Reichspräsidenten unterstrich dieses Konzept lediglich. Die Wahlerfolge der NSDAP 1930 bis 1932 könnten bestenfalls als Sahnehäubchen betrachtet werden, das der rechtsradikalen Kamarilla die Sicherheit gab, einen neuen Generalstreik werde es "im Ernstfall" nicht geben. Dieser Ernstfall wurde durch den politischen Alltag - lange vor Hitler - sorgfältig vorbereitet. Es sei hier nur an die Notstandsverordnungen der Herren Brüning und Schleicher erinnert: Demonstrationsverbot, gezielte Illegalisierung von Organisationen wie dem RFB, Streikverbot, Sozialraub - nicht Wahlen, die mein guter Nachbar dennoch als "entscheidend" einstufte, bestimmten hier den Rhythmus.

Walter Ruge

Raute

RF-Extra

Angela Davis schrieb das Vorwort zum Prozeßbericht Klaus Steinigers

Wem ich meine Freiheit verdanke

Während der letzten Jahre bemerkte ich, daß ich mich mehr und mehr mit der Zeit der frühen Siebziger beschäftigte, als ich mich wegen der mir vorgeworfenen Kapitalverbrechen Mord, Menschenraub und Verschwörung in Untersuchungshaft befand. Nicht weil ich es für notwendig erachte, persönlich an diesen Erinnerungen festzuhalten. Zwar war es ein aufregender, überwältigender und oftmals beängstigender Abschnitt meines Lebens, und ich möchte jene Zeiten so lebendig wie möglich im Gedächtnis behalten. Aber vor allem will ich in der derzeitigen Epoche des globalen Krieges gegen "Terror", der konservativen Anstrengungen, den zerfallenen Wohlfahrtsstaat wieder ins Gleichgewicht zu bringen, des alles durchdringenden Rassismus im Erziehungswesen und im Gefängnissystem betonen, daß in meinem Fall eine gewaltige internationale Massenbewegung unwiderruflich über den Staat triumphiert hat. Wenn ich im Jahr 2009 an die Geschichte meines Prozesses und an die Kampagne denke, die uns zu einem siegreichen Abschluß führte, geht es mir nicht in erster Linie um meine Geschichte, sondern um die Möglichkeiten kollektiver, grenzüberschreitender Solidarität.

Heute sind die Auswirkungen des globalen Kapitalismus auf die Menschen weitaus gewaltiger als alles, was wir uns damals - selbst in unseren leidenschaftlichsten Anstrengungen gegen die Macht des Kapitals - vorstellen konnten. Wir hielten die Gegenwart für etwas Änder- und Umwandelbares. Auch heute müssen wir imstande sein, sie uns als wandelbar vorzustellen. Wir müssen unser kollektives Vertrauen in eine Zukunft setzen, die von den Gemeinschaften des Kampfes geschmiedet wird - von Arbeitern, Studenten, Künstlern, Gefangenen, mit Menschen von unterschiedlichem rassischen, ethnischen und nationalen Hintergrund.

In Anbetracht dessen freut es mich sehr, daß Klaus Steinigers erhellender Bericht über den Prozeß und die Bewegung rund um meinen Fall erneut veröffentlicht wird. Und es ist mir eine große Ehre, ein paar einleitende Worte zu dem Buch "Angela Davis. Eine Frau schreibt Geschichte" beizusteuern. Die beeindruckende Aktion "Freiheit für Angela Davis" in der DDR hat mich in jenen Tagen besonders bewegt. Ich wußte von meinen Genossen in der Führung der Kommunistischen Partei und von Menschen, die mit Klaus Steiniger und Horst Schäfer gesprochen hatten, daß unsere Genossen in der DDR eine entschiedene Kampagne mit der Forderung nach Freiheit für mich führten. Als Sonderkorrespondent, den "Neues Deutschland" entsandt hatte, nahm Klaus Steiniger am Prozeß in San Jose teil und berichtete auch über die Kampagne, die in der ganzen Welt immer mehr Anhänger fand.

Es berührte mich mehr, als ich es mir je hätte vorstellen können, als ich die wahren Ausmaße dieser Aktion erfuhr. Wie Sie dem Buch entnehmen werden, befand ich mich zu jener Zeit in Untersuchungshaft in einem Gefängnis Kaliforniens. Man berichtete mir, welche Ausmaße die Bewegung in der DDR angenommen hatte. Ich war damals in der dritten Haftanstalt seit meiner Festnahme.

Zunächst hielt man mich im New Yorker Frauengefängnis fest, dann, nach der Auslieferung an den Staat Kalifornien, im Gefängnis der Marin County und schließlich in einer Einrichtung in Palo Alto, nicht weit von San Jose, wo der Prozeß stattfand. Es war eine kalte, feuchte Zelle, und ich erinnere mich an ihr durchdringendes Grau - sowohl der Farbe als auch der Wirkung nach. Die Zelle war für zwei Gefangene bestimmt, ich konnte die obere und die untere Koje benutzen, weil ich in Einzelhaft gehalten wurde. Da es sich um eine Haftanstalt handelte, in der die Gefangenen übergangsweise festgehalten wurden, gab es dort keine Aufenthaltsräume, keine offenen Korridore oder andere Plätze, wo man sich hätte bewegen, ein paar Schritte gehen, etwas Sport treiben oder mit anderen Insassen zusammensein können. Es existierte nicht einmal ein Besucherraum. Mit anderen Worten: Die Anstalt erzeugte extreme Platzangst. Mitglieder des Nationalen Vereinigten Komitees für die Befreiung von Angela Davis und aller politischen Gefangenen protestierten gegen diese Haftbedingungen. Das führte dazu, daß mir die Gefängnisaufseher den Zugang zu einer angrenzenden Gummizelle gestatteten. Dieser Ort wurde von den Beamten - ohne einen Anflug von Ironie - als "Suite" bezeichnet. Aber ich muß zugeben, ich schätzte den Extraraum, auch wenn ich besorgt sah, daß das Loch in der Mitte des Fußbodens, das den Inhaftierten vor mir als Toilette gedient hatte, überfließen und meine Bücher naß werden konnten. In diese Zelle brachte mir einer der diensthabenden Wärter täglich meine Post, die ich immer ungeduldig erwartete.

Gewöhnlich verwandte ich mehrere Stunden am Tag auf die Korrespondenz. Zu Beginn meiner Haft war es mir möglich, jeden Brief zu beantworten, aber als die Bewegung dann stärker wurde, hatte der Tag nicht mehr genug Stunden, um den wachsenden Stapel von Briefen zu bearbeiten. Ich bemühte mich, sie alle zu lesen, und versuchte, wenigstens all den Kindern und anderen Gefangenen, die mir ihre Botschaften schickten, zurückzuschreiben. Eines Tages, als ich meine Post durchging, bemerkte ich, daß ich viele Karten mit Solidaritätsbotschaften aus der DDR erhielt. "Freiheit für Angela!" stand da, und es schien mir, als seien sie von Kindern geschrieben worden. Die Postkarten waren mit roten Rosen geschmückt, jede anders gezeichnet und Ausdruck der Kreativität jedes einzelnen Kindes, das sie mir geschickt hatte. Ich weiß noch, wie reizend ich es fand, daß mir die Kinder aus der DDR Rosen sandten, die niemals verwelken würden.

Anfangs konnte ich jede der 15 bis 20 eintreffenden Karten in Augenschein nehmen, jeden Tag kamen mehr, dann 100, dann 500, und schließlich erreichten mich die Karten der Kinder so zahlreich, daß sie mir in großen Säcken des U.S. Post Office zugestellt wurden. Zunächst las und genoß ich jede einzelne und versuchte mir vorzustellen, wie das Kind wohl sein mochte, das mir die Karte geschrieben hatte.

Doch dann war es ein solches Übermaß an Karten, daß die Zeit nicht ausreichte, sich mit jeder einzelnen zu beschäftigen, so sehr ich das gewollt hätte. Hunderte, Tausende, dann Zehntausende, ja eine Million herrlicher Rosen! "Eine Million Rosen für Angela." Schließlich waren so viele Karten eingetroffen, daß sie an einen anderen Ort gebracht werden mußten. Heute werden sie in den Archiven der Stanford-Universität in Palo Alto aufbewahrt, nicht weit von jenem Gefängnis, in dem ich saß, als die Postkarten eintrafen. Wenn ich an die internationale Kampagne für meine Freiheit zurückdenke, kommt mir die Million Rosen der Schulkinder aus der DDR zuallererst in den Sinn.

Nun, fast 40 Jahre später, bin ich vielen deutschen Frauen und Männern begegnet, die mir berichteten, sie hätten als Kinder rosengeschmückte Postkarten in das Gefängnis geschickt, in dem ich festgehalten wurde. 2003 besuchte ich Berlin anläßlich der Beisetzung der Asche Herbert Marcuses auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof. Während meines Aufenthalts in der Stadt erzählten mir viele Menschen, sie hätten als Kinder an der Kampagne "Eine Million Rosen" mitgewirkt. 2005 lud man mich ein, auf der jährlichen Rosa-Luxemburg-Konferenz der "jungen Welt" zu sprechen. Ich nahm gemeinsam mit meinen Freunden Horst und Itte Schäfer an der Veranstaltung teil. Auch während dieses Besuchs traf ich auf Leute, die als Kinder Postkarten geschrieben hatten und stolz darauf waren, daß diese politische Geste in ihrer Jugend eine wichtige Rolle gespielt hat.

Unlängst hielt ich Vorlesungen an einer Reihe von Universitäten in verschiedenen Gegenden quer durch die USA. Deutsche Emigranten ließen mich wissen, auch sie hätten an der Kampagne "Eine Million Rosen" teilgenommen. Ich habe Erwachsene überall auf der Welt getroffen, die voller nostalgischer Freude strahlten, als sie mir von ihrer Kindheitserinnerung berichteten, in der Schule eine Postkarte für mich gestaltet zu haben.

Jedes Mal, wenn ich einem dieser Million Kinder von einst begegne, wird mir bewußt, wie wichtig es ist, die historische Erinnerung an das zu bewahren, was die sozialistischen Länder erreichen konnten. In der Tat verdanke ich meine Freiheit jenen Kampagnen, die von den Regierungen der sozialistischen Länder unterstützt wurden - von der DDR über die UdSSR bis Kuba - und von den kommunistischen Parteien in der ganzen Welt. Aber darüber hinaus täten wir gut daran, uns auf die Errungenschaften der sozialistischen Gemeinschaft der Nationen zu besinnen, wenn wir versuchen, das Eindringen kapitalistischer Interessen in die intimsten Sphären unseres Lebens abzuwehren und hier, in den USA, für grundlegende Rechte kämpfen.

Abschließend möchte ich Klaus Steiniger meine tiefe Dankbarkeit für sein Lebenswerk und seinen Einsatz für die Sache der Freiheit ausdrücken. Ich bin sehr glücklich, daß er als Journalist und Anwalt für weltweite Gerechtigkeit auch mich unterstützt hat. Ich hoffe, daß die Wiederveröffentlichung dieses Buches viele Leser an einen wertvollen Beitrag zur Humanität und Solidarität erinnert.

Angela Davis
November 2009


Das Buch Klaus Steinigers
Angela Davis. Eine Frau schreibt Geschichte
192 Seiten inklusive Bildteil, ist soeben im Verlag Neues Leben, Berlin, erschienen
und ab sofort unter ISBN 978-3-355-01767-1 für 12,95 € im Buchhandel erhältlich.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Angela Davis und der Nationale Vorsitzende der KP der USA, Henry Winston, San Jose, März 1972

Wiederbegegnung von Angela Davis und Klaus Steiniger im Januar 2006 auf einem Empfang in Berlin

Nach der erfolgreichen Schlacht für Leben und Freiheit von Angela Davis vor 38 Jahren müssen wir jetzt alles dafür tun, unseren afroamerikanischen Journalistenkollegen Mumia Abu-Jamal zu retten!

Raute

Vor 100 Jahren wurde in Kopenhagen die Einführung eines Internationalen Frauentags beschlossen

Der Vorschlag kam von Clara Zetkin

Wenn wir am 8. März den 100. Jahrestag des Beschlusses über die Einführung eines "Internationalen Frauentages" begehen, dann können wir auf über 100 Jahre Kampf für die Gleichberechtigung der Frau zurückblicken.

Die Rechtlosigkeit und Unterdrückung der Hälfte der Bevölkerung begann mit der Spaltung der Gesellschaft in antagonistische Klassen. Ein organisierter Kampf für Frauenrechte entwickelte sich jedoch erst im Zeitalter des sich formierenden Kapitalismus. Die Industrialisierung führte dazu, daß Frauen immer stärker in das Erwerbsleben einbezogen wurden.

Mitte des 19. Jahrhunderts forderten fortschrittliche Frauen aus dem Bürgertum ein höheres Maß an wirtschaftlicher und sozialer Selbständigkeit, die Erweiterung der Bildungs- und Berufschancen für das weibliche Geschlecht sowie die juristische und politische Gleichstellung der Frau mit dem Manne. Hierbei ragten Bettina von Arnim, Auguste Schmidt und Helene Lange heraus. Die wichtigste Organisation dieser Bewegung war der 1865 gegründete Allgemeine Deutsche Frauenverein.

1878 veröffentlichte August Bebel sein wissenschaftliches Werk "Die Frau und der Sozialismus". Er unterstrich, daß der Kampf um eine neue Gesellschaftsordnung "die Befreiung der Frau einschließt, daß es keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichberechtigung der Geschlechter geben kann". Bebel leitete mit seiner Arbeit eine neue Etappe in der Geschichte der Frauenbewegung ein, die nun bei höherer ideologischer Klarheit zu größerer Kampfbereitschaft gelangte.

Ergänzend dazu stellte Clara Zetkin in ihrem Buch "Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland" fest: "Das Beste, was die bürgerliche Frauenbewegung an Vorarbeit für die proletarische Frauenbewegung geleistet hat, ist die Betonung der Bedeutung, die der Berufsarbeit für die Gleichberechtigung der Frau und des Mannes zukommt, ist die damit begründete Forderung politischer Rechte, ist der Kampf gegen altersgraue Vorurteile von der Minderwertigkeit des Weibes."

Auf dem Erfurter Parteitag nahm die SPD 1891 die Forderung nach aktivem und passivem Wahlrecht für Frauen in ihr Parteiprogramm auf. Im gleichen Jahr erschien die Zeitschrift "Die Arbeiterin". Unter dem späteren Titel "Gleichheit" entwickelte sie sich ab Januar 1892 mit Clara Zetkin als verantwortlicher Redakteurin zum Hauptorgan der deutschen und internationalen Frauenbewegung. Besaß die "Gleichheit" 1892 gerade einmal 2000 Abonnenten, dann waren es 1913 bereits 140.000. Die "Gleichheit" lehrte die Frauen, ihre persönlichen und familiären Probleme im gesellschaftlichen Zusammenhang zu sehen. Den rechtsopportunistischen Führern der SPD paßte dieser Kurs nicht. So entzogen sie Clara Zetkin im Mai 1917 die Redaktion.

Auf ihre Initiative, die von Käte Duncker und anderen bewußten Revolutionärinnen unterstützt wurde, beschloß die II. Internationale Konferenz sozialistischer Frauen, die 1910 in Kopenhagen tagte, den 8. März alljährlich unter der Losung "Kampf um Frieden und die Rechte der Frau" als Internationalen Frauentag zu begehen. 1911 wurde er erstmalig in Deutschland, Österreich, Dänemark und der Schweiz gefeiert.

1915 organisierte Wilhelm Pieck unter den Berliner Frauen die erste Antikriegsdemonstration. Durch die Novemberrevolution erhielten die Frauen in Deutschland per Dekret des "Rates der Volksbeauftragten" am 12. November 1918 das aktive und passive Wahlrecht, ohne ihnen damit die volle wirtschaftliche und juristische Gleichstellung zuzubilligen.

Die KPD kämpfte in der Weimarer Republik um die Erhaltung der in der Novemberrevolution errungenen Frauenrechte. 1925 gründete sie den Roten Frauen- und Mädchenbund. 1926 zählte dieser schon 26.000 Mitglieder. Der 1933 an die Macht geputschte Faschismus zerschlug die proletarische Frauenbewegung. Von den Nazis wurden das "Deutsche Frauenwerk" und die "NS-Frauenschaft" gegründet. Mit der Gleichschaltung der Frauenorganisationen entzog man den "Volksgenossinnen" ihr passives Wahlrecht sowie die Zulassung zur Habilitation an Universitäten und Hochschulen. Der Lohngleichheitsgrundsatz wurde abgeschafft. Antifaschistische Frauen unterschiedlichster Herkunft und Stellung beteiligten sich jedoch am Widerstandskampf gegen die Hitlerdiktatur, um der drohenden Kriegsgefahr zu begegnen. Viele von ihnen bezahlten ihren Einsatz mit dem Leben. Stellvertretend für alle seien hier die Kommunistinnen Lilo Hermann, Hilde Coppi und Katja Niederkirchner sowie die mutige Christin Sophie Scholl genannt.

Nach der Befreiung Deutschlands von der braunen Gewaltherrschaft wurde am 1. November 1945 durch die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) die Bildung antifaschistischer Frauenausschüsse genehmigt. In diesen vereinigten sich Frauen aus nahezu allen Volksschichten mit dem Ziel einer demokratischen Neugestaltung des Lebens in Deutschland. Am 8. März 1947 entstand mit dem Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD) in der sowjetischen Besatzungszone die erste einheitliche demokratische Massenorganisation von Frauen in der deutschen Geschichte. Im DFD fanden Vertreterinnen vieler Berufe und Tätigkeiten unabhängig von Weltanschauung und Parteizugehörigkeit ein politisch-organisatorisches Betätigungsfeld. In der späteren Volkskammer der DDR verfügte der DFD - auch das war einmalig - über eine eigene Fraktion mit 35 Abgeordneten. In 216 Beratungszentren konnten sich Frauen zu ihren beruflichen und privaten Anliegen für sie wichtige Auskünfte einholen.

In der BRD wurde der DFD erst am 2. April 1950 gegründet. Doch bereits am 10. April 1957 wurde er mit der absurden Begründung, sein Wirken richte sich "gegen die verfassungsmäßige Ordnung der BRD" widerrechtlich verboten. Schon damals entpuppte sich der vermeintliche Rechtsstaat als ein Staat mit dem Akzent auf rechts.

In der Verfassung der am 7. Oktober 1949 gegründeten DDR war die Gleichberechtigung der Frau verankert. Alle Gesetze und Bestimmungen, die ihr entgegenstanden, wurden aufgehoben (Art. 7). Der Staat wurde also verfassungsrechtlich verpflichtet, nur solche gesetzlichen Regelungen zu treffen, die gewährleisteten, daß die Frau ihre Aufgaben als Mitglied der Gesellschaft mit ihren familiären Verpflichtungen vereinbaren konnte (Art. 18).

Noch im ersten Jahr des Bestehens der DDR erließ die Volkskammer am 27. September 1950 das "Gesetz über Mutter- und Kinderschutz sowie die Rechte der Frau". Es brachte einen wesentlichen Fortschritt bei der Entwicklung und Schaffung eines ganzen Systems von Maßnahmen und Einrichtungen zur Förderung und zum Schutz der werktätigen Frauen und Mütter. Auf seiner Grundlage erließ die Regierung der DDR zahlreiche Verordnungen, die ohne Ausnahme dem Ziel dienten, in Übereinstimmung mit den ökonomischen Möglichkeiten und den Erfordernissen des sozialistischen Aufbaus den Frauen zu helfen, selbst an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens stärker teilzunehmen, ihre Talente und Fähigkeiten zu entfalten. Da sich die Durchsetzung der Gleichberechtigung der Frau im persönlichen und gesellschaftlichen Bereich nicht im Selbstlauf ergab, wurde auf der II. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 nochmals eindringlich darauf hingewiesen, die alten Zöpfe abzuschneiden und der Rolle der Frau mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Im Kommuniqué des SED-Politbüros "Die Frauen, der Friede und der Sozialismus" vom 20. Dezember 1965 wurde dann der bei der Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau erreichte Stand gründlich analysiert. Man erarbeitete Vorschläge, um diesen Prozeß zu beschleunigen und den jeweiligen Erfordernissen anzupassen. Noch vorhandene Elemente fehlender Chancengleichheit sollten überwunden werden.

U. a. ging es um die Aus- und Weiterbildung von Frauen für technische Berufe und ihren Einsatz in verantwortlichen Positionen. Dazu wurde eine entsprechende Anordnung von der Regierung erlassen. Die Lernbedingungen gestaltete man so, daß Frauen neben ihrer Berufstätigkeit und der Erfüllung familiärer Pflichten ein intensives Studium betreiben konnten. Mit Beschluß vom 15. Juli 1967 wurden u. a. spezielle Frauensonderklassen gebildet. Im Gesetz über das einheitliche Bildungssystem vom 25. Februar 1965, im Familiengesetzbuch vom 20. Dezember 1965 sowie in weiteren Beschlüssen wurde den historischen Aufgaben auf der jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklungsstufe durch Parlament und Regierung Rechnung getragen.

Die sozialpolitischen Verhältnisse hatten sich unterdessen qualitativ weiterentwickelt. Dieser Tatsache wurde durch eine neue Verfassung entsprochen.

An den 1968 geführten öffentlichen Diskussionen über dieses fundamentale Dokument nahmen Tausende und Abertausende Frauen teil.

Von ihnen unterbreitete konstruktive Vorschläge fanden in der sozialistischen Verfassung ihren Niederschlag. Sie erhob die Gleichberechtigung von Mann und Frau zum Verfassungsgrundsatz. Wörtlich hieß es: "Mann und Frau sind gleichberechtigt und haben die gleiche Rechtsstellung in allen Bereichen des gesellschaftlichen, staatlichen und persönlichen Lebens.

Die Förderung der Frau, besonders in der beruflichen Qualifizierung, ist eine gesellschaftliche und staatliche Aufgabe." (Art. 21, 24, 38 u. a.)

Stellt man dieser Entwicklung das Entstehen des Grundgesetzes (GG) der BRD gegenüber, dann bekommt man einen plastischen Eindruck davon, was bundesdeutsche Politiker von Beginn an unter Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit verstanden haben. Als das GG vom "Parlamentarischen Rat" erarbeitet wurde, geschah das bekanntlich fernab von den Lebenszentren des Landes und ohne jegliche Beteiligung der Bevölkerung. Das Gremium umfaßte zunächst 63 männliche Mitglieder. Nach hitzigen Debatten wurden schließlich vier Frauen zum "Parlamentarischen Rat" zugelassen.

Auf Antrag von Elisabeth Selbert wurde der Artikel 3 (Gleichheitsgrundsatz) gegen den erbitterten Widerstand des PR-Hauptausschusses in das GG aufgenommen. Im Artikel 117 GG setzte man eine Frist bis zum 31. März 1953. Vor deren Ablauf sollten die gesetzlichen Bestimmungen, die der Frau in der BRD nicht das gleiche Recht wie dem Mann einräumten, aufgehoben werden. Erst ab 1957 wurden dazu nach mehrfachen Anmahnungen in Intervallen gesetzliche Bestimmungen erlassen. Dennoch blieben die Frauen in der Unmündigkeit gegenüber ihren Ehemännern.

Am 9. März 1972 verabschiedete die DDR-Volkskammer das Gesetz "Über die Schwangerschaftsunterbrechung". Es berechtigte die Frau, selbst darüber zu entscheiden, ob sie ein Kind austragen wollte oder nicht. Einige CDU-Abgeordnete enthielten sich dabei der Stimme.

Im Arbeitsgesetzbuch der DDR vom 16. Juni 1977 wurden im 12. Kapitel "die besonderen Rechte der werktätigen Frau und Mutter" juristisch fixiert.

Angesichts der Tatsache, daß das weibliche Geschlecht in antagonistischen Klassengesellschaften durch die Jahrhunderte entrechtet und diskriminiert war, wobei Frauen der unterdrückten Klassen stets doppelt ausgebeutet und jeglicher Rechte beraubt wurden, trat das unter sozialistischen Bedingungen Errungene um so deutlicher zutage. Erst mit der Errichtung des Sozialismus wurden die objektiven und subjektiven Bedingungen geschaffen, die den Prozeß der Befreiung der Frau, die Beseitigung ihrer Benachteiligung und die Verwirklichung ihrer Gleichberechtigung ermöglichten. Die schrittweise Überwindung der Folgen, die sich aus der mehr als tausendjährigen Unterdrückung der Frau ergaben, konnte nur über einen langen Zeitraum erfolgen. Diese Entwicklung war in der Endphase des Bestehens der DDR noch keineswegs abgeschlossen.

Das bereits Erreichte wurde 1989/90 durch den zeitweiligen Sieg der Konterrevolution auch auf diesem Gebiet unterlaufen. Mit dem Überstülpen der BRD-Gesetze warf man die Frauen der DDR um eine ganze historische Epoche zurück.

In der Verfassung der DDR war das Recht auf Arbeit z. B. gesetzlich verankert. Nach dem Anschluß an den Staat des deutschen Imperialismus sahen sich die Frauen als erste mit massiver Arbeitslosigkeit konfrontiert, nachdem die im Auftrag der BRD-Konzerne und unter Kontrolle Horst Köhlers wütende Treuhand ihre Arbeitsstätten rücksichtslos plattgemacht hatte.

Bei der Suche nach einem neuen "Job" galten DDR-Frauen wegen "Überqualifizierung" oft als schwer vermittelbar. Der Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit war ohnehin aufgehoben. In der Regel verdienen Frauen jetzt 20 bis 30 % weniger als ihre männlichen Kollegen bei gleicher Tätigkeit. Es geht darum, die weiblichen Staatsbürger weiter unter das Diktat der "3 K" (Kinder, Küche, Kirche) zu zwingen. Einflußreiche Kreise des katholischen Klerus sind dabei beflissene Helfer.

Die Frauen aus der DDR mußten sich unterdessen an einen neuen Wortschatz gewöhnen. Bezeichnungen wie Freudenhäuser, Leiharbeiter, 1-Euro-Jobs, Armutsatlas, Schuldenatlas, Aufstocker, Studiengebühren, Gammelfleisch u. a. fehlten im Sprachgebrauch wie in der Realität der DDR.

Die Frauen aus dem Osten sammelten inzwischen auch Erfahrungen anderer Art, die der demokratische Rechtsstaat BRD und sein System zu offerieren haben: Zwei-Klassen-Medizin, Zwei-Klassen-Bildung und Zwei-Klassen-Justiz dominieren allenthalben. Schließlich war zu DDR-Zeiten das Nahrungsmittelangebot zwar nicht immer sonderlich attraktiv und abwechslungsreich, aber der Bedarf an Grundnahrungsmitteln konnte stets in ausreichendem Maße in guter Qualität und bezahlbar durch jedermann gedeckt werden. Heute stehen für die "Randgruppen" der Gesellschaft, unter denen sich besonders auch alleinerziehende Mütter befinden, über 2000 Ausgabestellen der insgesamt 856 Tafeln zur Verfügung, wo man gespendete Lebensmittel mit oftmals abgelaufenen Verfallsdaten kostenlos erhalten kann. Wie heißt es doch so schön in Artikel 1 des GG: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."

"Jeder, der etwas von der Geschichte weiß, weiß auch, daß große gesellschaftliche Umwälzungen ohne das weibliche Ferment unmöglich sind. Der gesellschaftliche Fortschritt läßt sich exakt ermessen an der gesellschaftlichen Stellung des schönen Geschlechts", konstatierte Karl Marx.

In der zweiten Strophe der DDR-Nationalhymne wurde die Forderung erhoben, "daß nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint". In 40 Jahren DDR konnten sich die Mütter darauf verlassen, daß ihre Söhne nicht gegen andere Völker in den Krieg ziehen würden. Heute "verteidigt" die Bundeswehr "die Sicherheit der BRD in Afghanistan". Überproportional viele ostdeutsche Soldaten sind in diesem unseligen Gemetzel bisher gefallen. Wofür?

In seinem 1798 verfaßten Gedicht "Würde der Frauen" schrieb Friedrich Schiller "Ehret die Frauen! Sie flechten und weben himmlische Rosen ins irdische Leben."

Joachim Zappe, Eggersdorf

Ende RotFuchs-Extra

Raute

Über die tiefe Verstrickung eines namhaften Mediziners in die Naziverbrechen

Sauerbruch und das Dritte Reich

Im Schlußbescheid des Entnazifizierungsverfahrens, dem sich Prof. Dr. Sauerbruch stellen mußte, hieß es, er sei zwar vom Nazistaat umworben worden, aber diesem gegenüber "zurückhaltend" gewesen. Heute, nach sechs Jahrzehnten, ist nur dieser Kommentar möglich: ein klares Fehlurteil. Das mag in dieser Eindeutigkeit überraschen. lmmerhin galt der Ordinarius für Chirurgie an der Berliner Charité schon seit den 20er Jahren als herausragender Arzt und Wissenschaftler. Er war geradezu die ideale Verkörperung des Arztberufes - ein Mythos. Dieses Bild wurde in der BRD, aber auch in der DDR aufrechterhalten, zumal er bereits im Mai 1945 im Berliner Magistrat als Stadtrat für Gesundheitsfragen tätig war.

Seine tiefe Verstrickung in das faschistische Regime blieb lange Zeit unbekannt. Genauere Recherchen seit Ende der 80er Jahre ließen dann einen Sauerbruch erkennen, der nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten das Hitler-Regime stützte, ja, noch mehr: Er war wissentlich bei Menschenversuchen an KZ-Häftlingen beteiligt. Seit 1927 Ordinarius für Chirurgie an der Berliner Charité, hatte sich Sauerbruch als Mediziner inzwischen hohes Ansehen erworben.

Schon wenige Tage nach dem 30. Januar 1933 meldete er sich zu Wort. Seine "völkisch-nationalistische" Überzeugung, seit Ende des 1. Weltkrieges deutlich sichtbar, machte ihm die weitgehende Übereinstimmung mit der Politik und Ideologie des Faschismus von Beginn an nicht schwer. Was ihn störte, war lediglich das "Plebejisch-Rüpelhafte" der SA-Horden und die geringe intellektuelle Qualität der Naziführer. Er nannte das "dunkle Stellen", z. B. den praktizierten Antisemitismus. Der Grundton blieb stets eindeutig bejahend. Hitler, den er seit 1920 kannte, galt ihm zwar als "halbgebildet", aber vom Charakter her interessant. Sauerbruch gestand dennoch, ihn "zu lieben".

Er war Initiator des "Offenen Briefs an die Ärzteschaft der Welt" vom 3.9.1933. Hier jubelte er die "vorbildhafte nationale Wiedergeburt Deutschlands" hoch und schlußfolgerte, daß jetzt "alle Völker" darum ringen müßten, "wesentliche weltanschauliche Gedanken, die im Faschismus und Nationalsozialismus zum Ausdruck" kämen, umzusetzen. Monate später beteiligte sich der Chirurg an der Vorbereitung des manipulierten "Referendums" über den Völkerbundaustritt Hitlerdeutschlands. Mitverantwortlich organisierte er das "Bekenntnis der deutschen Professoren zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat". Sauerbruch sprach den einzelnen an, sei dieser doch das "Glied der ehernen Kette, die nun das Volk an seine Führung" binde, "getragen von der Weihe des großen nationalen Erlebnisses". Es gelte der Welt zu zeigen, daß Deutschland erwacht sei. Sauerbruch unterstrich seine Überzeugung, daß das ganze Volk hinter der Hitler-Regierung stehe und "zum Willen unseres Führers".

In den Ansprachen vom 28.10.1933 und vom 11.11.1933, übertragen vom "Reichsrundfunk", sind analoge Positionierungen, eindeutig profaschistisch bestimmt, erkennbar: Der Kotau vor der Führungsclique wurde, verbunden mit der "Feier der nationalen Erhebung", nach den "schmachvollen 14 Jahren", der Weimarer Republik, vollzogen. Das alles waren Bekenntnisse eines treuen Vasallen, die vom Nazistaat entsprechend honoriert wurden. Neben der Ernennung zum "Staatsrat" durch Göring (1934) erfolgte die Berufung in den "Reichsforschungsrat" durch Hitler persönlich. Der Kontakt zum Diktator brach bis 1945 nicht ab. Im September 1937 nahm der Chirurg auf dem "Reichsparteitag" der NSDAP den ersten "Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft" entgegen, den Gegen-Nobelpreis des faschistischen Regimes. Carl von Ossietzky war ein Jahr zuvor der Friedensnobelpreis verliehen worden. Hitler verbot fortan die Annahme von Nobelpreisen durch Deutsche. Es ist von Sauerbruch kein Wort des Mitgefühls für den im KZ gequälten Ossietzky bekannt, der 1938 an den Folgen der Haft verstarb. Im Gegenteil: Er war von der "Würdigung" durch den "Führer" sichtlich bewegt. Diese sei ihm "Freude und Ehre".

Am 29.1.1938 hielt er im "Reichsrundfunk" nochmals eine Dankesrede. Diese war ausdrücklich autobiographisch angelegt. Aus den "Sturmwochen im roten München" (gemeint waren Novemberrevolution und Bayrische Räterepublik - P. F.) seien die "nationalen Kräfte" emporgewachsen. Dann sei der "9. November 1923 gekommen, an dem die erste nationale Machtprobe scheiterte". Damals aber (also mit dem Hitlerputsch) wären die "Grundlagen für Werk und Leistung geschaffen worden, denen dann der Führer ... höchste Anerkennung" zollte, so Sauerbruch. Den Beginn der faschistischen Diktatur hielt er demgemäß für "die entscheidende Wendung für unser Vaterland durch den Führer". Die Rede beendete Sauerbruch mit dem ungeteilten Bekenntnis "zur wirkungsvollen Mitarbeit an den großen Aufgaben", die dem Volk gestellt würden.

Aber nicht nur mit Lippenbekenntnissen unterstützte Sauerbruch dieses Regime. Als medizinischer Gutachter und Fachspartenleiter der "Deutschen Forschungsgesellschaft" befürwortete er Menschenversuche in KZ, so auch die des "Erbforschers" Prof. Dr. v. Verschuer. Sein Gehilfe und Ausführender war kein anderer als der SS-Hauptsturmführer Dr. Mengele, Lagerarzt im KZ Auschwitz-Birkenau. Die Versuchsberichte gingen an Sauerbruch zurück, z. B. am 31.10.1943. Noch am 3.11.1944 wurde das Auschwitz-Projekt Verschuer-Mengele, nach Begutachtung durch Sauerbruch (!), verlängert. Auch von den quälenden Sulfonamidversuchen an Häftlingen des Frauen-KZ Ravensbrück hatte er Kenntnis. Durch ihn wurden ebenso Menschenversuche mit Erregern der Malaria tropica genehmigt und finanziert. Die Kenntnis von Senfgasversuchen an Häftlingen des KZ Natzviller ist wahrscheinlich. Proteste Sauerbruchs sind unbekannt. Die Bewilligung und Kontrolle der Menschenversuche im KZ Auschwitz sind aktenkundig nachgewiesen im Bundesarchiv Koblenz, allerdings mit einem Geheimcode getarnt.

Der bald mit dem "Ritterkreuz zum Kriegsverdienstkreuz" Ausgezeichnete hatte damit sein ärztliches Ethos und den geleisteten Hippokratischen Eid verletzt. Im Nürnberger Ärzteprozeß (1947/48) saß er nicht auf der Anklagebank. Dorthin hätte er aber gehört. Es war indes bezeichnend, daß Sauerbruch wütend gegen das für Hitlers Leibarzt, SS-Obergruppenführer Prof. Dr. Karl Brandt, beantragte Todesurteil protestierte und die ärztliche Befähigung und menschliche Lauterkeit dieses Verbrechers hervorhob - desselben Brandt, der ihm Jahre zuvor das Ritterkreuz überreicht hatte. Dieser wurde schließlich zum Tode verurteilt und 1948 in Landsberg wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehängt.

Nun hat der Kreistag Bautzen am 9.11.2009, im Gegensatz zum Beschluß der Schulkonferenz des Gymnasiums Großröhrsdorf, festgelegt, daß der Name Sauerbruch für diese Schule beibehalten wird. Die Neofaschisten der Umgebung ließen es sich dabei nicht nehmen, sogar die "Nationalzeitung", konkret den sattsam berüchtigten Dr. Frey, um Hilfe anzurufen. Die Negierung des Ansinnens der Schulkonferenz durch die Kreisräte ist ein weiteres Beispiel dafür, welchen Tiefstand die politische Kultur in der BRD erreicht hat und in welchem Interesse diese gestaltet wird. Hohe ärztlichwissenschaftliche Leistungen, selbst die Kritik an der NS-Euthanasie, können keineswegs die tiefe wissentliche Verstrickung Sauerbruchs in ein System des Verbrechens kompensieren.

Oberstleutnant a. D. Dr. Peter Fisch

Raute

Am deutschen Wesen soll die Welt genesen

Kanonenbootpolitik
BERLIN/WASHINGTON/MOSKAU - Die deutsche Kriegsmarine bereitet sich auf einen Einsatz in einem Flugzeugträger-Kampfverband der US Navy vor. Die Fregatte Hessen, die im Frühjahr in einer sogenannten Carrier Strike Group den Flugzeugträger Dwight D. Eisenhower bei seinen Operationen begleiten wird, führte vor einigen Monaten die dazu notwendigen Trainingsmaßnahmen vor der US-Küste durch. Der Carrier Dwight D. Eisenhower ist bereits mehrfach im Persischen Golf eingesetzt worden. Wie es in der militärischen Fachpresse heißt, darf die deutsche Marine sich nicht auf die Bekämpfung von "Piraten" beschränken, sondern muß "auch auf konventionelle" militärische Auseinandersetzungen "eingestellt und vorbereitet bleiben". Dazu gehören Marinekreisen zufolge nicht nur Interventionen nach dem Vorbild der berüchtigten Kanonenbootpolitik. Auch über mögliche Einsätze in der Arktis müsse nachgedacht werden, erklärt ein Referatsleiter aus dem Führungsstab der Marine. Das Eis im Nordmeer schmilzt immer rascher und öffnet den Zugriff auf Rohstoffe und neue Seehandelswege.

Dolchstoßlegende
BERLIN/KABUL - Deutsche Militärexperten kündigen einen zweijährigen "Endkampf" in Afghanistan an und sagen weitere mörderische Attacken ähnlich dem Massaker von Kundus voraus. Wolle man am Hindukusch "gewinnen", müsse man nun "zum offensiven Kampfeinsatz übergehen", erklärt ein ehemaliger Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Lasse die Bundesregierung dies nicht zu, dann sei sie schuld an einer Niederlage: "Je mehr und je öfter die Politik den Truppen im Feld aus dem sicheren Heim in den Arm fallen wird, desto geringer werden die Erfolgschancen." Dem Staatssekretär sekundieren nicht nur hochrangige Militärs, die den Luftschlag vom 4. September mit zahlreichen Ziviltoten zur "Anekdote" erklären, sondern auch Völkerrechtler, die "gezielte Tötungen" als legitim einstufen. Voraussetzung für zukünftige "Tötungen" à la Kundus sei es jedoch, daß Berlin endlich offiziell den Krieg in Afghanistan ausrufe; ansonsten gälten "polizeiliche Kategorien", nach denen nur bei einer "konkreten Gefahr" Gewalt ausgeübt werden darf. Im Rahmen der neuen Diskussion über die Eskalation des Krieges in Afghanistan finden bislang gemiedene Begriffe Eingang in die öffentliche Debatte - so ist die Rede von der "Vernichtung" Aufständischer.

Bullentraining
SANAA/WASHINGTON/BERLIN - Deutschland beteiligt sich an der von den USA forcierten Verschärfung des sogenannten Anti-Terror-Krieges in Jemen. Während Washington Spezialkräfte in das Land entsendet und Bombenangriffe der jemenitischen Streitkräfte dirigiert, bemüht sich Berlin um den Ausbau der Küstenwache und trainiert die Polizei. Die Zusammenarbeit mit den Repressionsapparaten Jemens hat strategischen Charakter und wurde letztes Jahr intensiviert, als die Vereinigten Staaten damit begannen, ihre "Anti-Terror"-Maßnahmen im südlichsten Staat der Arabischen Halbinsel zu verstärken. Die Bundeswehr unterhält eine "Beratergruppe" bei den jemenitischen Streitkräften, die im Dezember mutmaßlich Massaker unter Zivilisten angerichtet haben. Die deutsche Kriegsmarine, die vor der Küste Jemens operiert, ist ebenfalls von der Zuspitzung des "Anti-Terror-Krieges" betroffen: Milizen aus Somalia, die nur durch die kurzen Seewege über den Golf von Aden von der neuen Front getrennt sind, haben mittlerweile angekündigt, dort eingreifen zu wollen. Kooperationspartner Berlins in diesem Krieg ist die Regierung des Jemen - ein seit Jahrzehnten für Folter bekanntes Regime.

Diplomatendressur
BERLIN - Das Auswärtige Amt nutzt seine Schulungsprogramme für Diplomaten aus Afrika zur Förderung der deutschen Wirtschaftsexpansion. Im letzten Herbst standen in Berlin im Rahmen der "Internationalen Diplomatenausbildung" des Außenministeriums 20 Lehrgangsteilnehmer aus Staaten südlich der Sahara zum Gespräch mit deutschen Wirtschaftsvertretern bereit. Es gehe darum, die Unternehmer "auf das Potential Afrikas und seine wirtschaftlichen Zukunftsperspektiven aufmerksam zu machen", wirbt das Auswärtige Amt. Hintergrund sind erhebliche Positionsverluste deutscher Firmen in den Rohstoffgebieten Subsahara-Afrikas, die die Bundesregierung mit verstärkten Fördermaßnahmen wettmachen will. Dazu nutzt Berlin nicht nur die "Diplomatenlehrgänge", mit denen das Auswärtige Amt Nachwuchsdiplomaten aus allen Kontinenten in seine Netzwerke integriert, sondern auch Projekte von Außenwirtschaftsverbänden und den Generalstabslehrgang der Führungsakademie der Bundeswehr. Das Militär sei in den Staaten Afrikas "auch hinsichtlich wirtschaftlicher Aktivitäten ein wichtiger Ansprechpartner", behauptet der Afrika-Verein. Die zivil-militärische Netzwerkbildung soll vor allem den Einfluß Chinas zurückdrängen.

Schienennetz
QATAR/ABU DHABI/BERLIN - Mit starkem Bemühen um politisch-militärische Einflußnahme begleitet Berlin das jüngste Milliardengeschäft eines deutschen Konzerns auf der Arabischen Halbinsel. Die Deutsche Bahn AG hat in Qatar ein Abkommen unterzeichnet, das ihr maßgebliche Mitsprache über den Aufbau eines Schienennetzes in dem Golfstaat sichert. In einem ersten Schritt geht es um Investitionen in Höhe von 17 Milliarden Euro. Der Deal ist mit Aussicht auf zukünftige Geschäfte in ähnlicher Höhe auf der gesamten Arabischen Halbinsel verbunden und knüpft an Milliardenaufträge und mehrere umfangreiche Finanzspritzen für deutsche Konzerne aus den Feudalstaaten am Persischen Golf an. Während die Bundesregierung die wirtschaftliche Anbindung der arabischen Ressourcenregion stärkt, setzt sie auch die rüstungstechnische und die militärpolitische Kooperation mit den Golfstaaten fort. Mit den Maßnahmen zielt sie auf eine stärkere Kontrolle des globalen Erdöl- und Erdgasgebiets Nr. 1.

Rohstofflücke
BERLIN - Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnt vor einer "Rohstofflücke" in Deutschland und verlangt entschiedene Maßnahmen zur Sicherung der Metallversorgung für die deutsche Wirtschaft. Weil die Bundesrepublik keine eigenen Metallvorkommen besitze, müsse der ungehinderte Zugriff auf die globalen Lagerstätten sichergestellt werden, fordert der Vorsitzende des BDI-Rohstoffausschusses. Die Zeit dränge, zumal die Abkehr vom Erdöl den Metallbedarf vergrößere: So sei zur Herstellung von Elektromotoren weit mehr Kupfer oder Lithium als bisher nötig; die Nutzung erneuerbarer Energien sei auf seltene Metalle für Windräder oder Photovoltaik angewiesen. Wie der BDI verlangt, soll in den Ressourcenstaaten des afrikanischen Kontinents die sogenannte Entwicklungshilfe deutschen Rohstoffinteressen zugute kommen.

Diese Berichte erschienen alle bei www.german-foreign-policy.com

Raute

Afghanische Mädchen brauchen Hilfe

In Pakistan leben bzw. vegetieren immer noch ca. 1,5 Millionen afghanische Flüchtlinge. Viele ihrer Kinder sammeln Plastikreste. Sie werden als Brennmaterial zum Kochen verwendet. Auch Setarah und Hoschang leben als Flüchtlingskinder in Peschawar. Die Eltern von Setarah befinden sich in Afghanistan. Da es in ihrem Dorf keine Mädchenschule gibt und ihre Eltern sie nicht nach Kabul schicken können, hat Setarah keine Chance, in ihrem Land die Schule zu besuchen. Ich habe sie zu meiner Familie nach Peschawar gebracht und übernehme ihre Unterhalts- und Schulkosten. Sie ist jetzt in der dritten Klasse und eine von den besten Schülerinnen. Hoschang lebt mit seinen arbeitslosen Eltern und zwei weiteren kleineren Geschwistern. Das Schulgeld für Hoschang und der Unterhalt für ihn und seine Familie werden von mir übernommen. In Afghanistan sind bis zu 50%, im Süden und Osten, wo der Widerstand am stärksten ist, sogar bis zu 70% der Menschen arbeitslos. Auch in Pakistan vegetieren viele afghanische Witwen, die zum Teil ihren Lebensunterhalt durch Betteln oder durch Prostitution bestreiten müssen. Allein in Kabul erleiden etwa 55.000 Witwen, um die sich fast niemand kümmert, dieses Schicksal. Auch sie müssen sich wie ihre Leidensgenossinnen in den Flüchtlingslagern auf diese Weise "durchschlagen". Es gibt auch einige Witwen in meiner eigenen Familie. Damit sie nicht ebenfalls dazu gezwungen werden, sich zu verkaufen, erhalten sie von mir eine finanzielle Unterstützung.

Ich habe mich überdies für die Unterstützung der Mädchenschule in dem Dorf, wo ich aufgewachsen bin, entschieden. Sie bekommt, meinen Möglichkeiten entsprechend, Lehrmaterial, Stifte oder Hefte. Vielleicht kann mir jemand von den RF-Lesern dabei zu Hilfe kommen.

Dr. Matin Baraki


Spenden
Fördergemeinschaft Friedensarbeit e.V.
Stichwort: "Afghanistan-Hilfe"
Sparkasse Marburg-Biedenkopf
Konto-Nr.: 101 606 6997
BLZ: 533 500 00
(Die Spenden sind steuerlich absetzbar.)


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Afghanische Mädchen des Dorfes Ghumai verfolgen die Landung eines Hubschraubers der ISAF-Truppen.

Raute

Die US-Justizfarce in Sachen "Miami Five" nahm ihren Fortgang

Kubas Helden bleiben Faustpfand

Es gibt Handlungen, die widersprüchliche Gefühle auslösen. Um einen solchen Fall dreht es sich bei der Revision des Urteils gegen einen der fünf antiterroristischen Kubaner, Antonio Guerrero Ramos, durch eine Richterin in Miami. Sie reduzierte unlängst das von ihr selbst im Juni 2001 verhängte Strafmaß von lebenslänglich plus zehn Jahre auf 21 Jahre und 10 Monate. Einerseits flößt der Spruch Hoffnung ein, andererseits erregt er Empörung. Er bestätigt nämlich, daß das Maß der internationalen Solidarität mit den "Miami Five" Washington sichtlich beunruhigt, das seit Beginn dieses rein politisch motivierten Prozesses mit den fünf tapferen Antiterroristen weltweit bewiesen wird. Es zeigt jedoch andererseits - und das erwies sich im ursprünglichen Prozeß von Miami wie bei den verschiedenen Berufungsverfahren -, daß von der USA-Justiz nichts Positives zu erwarten ist. Ohne die internationale Solidarität wäre weder eine Herabsetzung des Strafmaßes von Antonio noch die zuvor bereits erfolgte Annullierung der seinerzeitigen Entscheidung durch das Berufungsgericht von Atlanta gegen Ramón Labañino Salazar (lebenslänglich plus 18 Jahre) und Fernando González Llort (19 Jahre) vorgenommen worden. Die drei befinden sich gemeinsam mit ihren Genossen Gerardo Hernández Nordelo (zweimal lebenslänglich plus 15 Jahre) und René González Sehwerert (15 Jahre) schon seit elf Jahren hinter Gittern.

Nur in dem Maße, wie die Proteste weltweit zunehmen, wird es möglich sein, die fünf kubanischen Helden aus den imperialistischen Kerkern freizubekommen. Nicht zufällig führte die Bundesstaatsanwältin Caroline Heck an, die mit der Verteidigung von Antonio vereinbarte Urteilsreduzierung auf 20 Jahre ziele zum Teil darauf ab, angeblichen "Verdrehungen und Verzerrungen, die in der Welt zirkulieren", den Boden zu entziehen.

Hier beginnt unsere Entrüstung über ein zwar im Strafmaß herabgesetztes Urteil, das aber nach wie vor zutiefst ungerecht ist. Übrigens ignorierte die Richterin Lenard die Vereinbarung zwischen Anklage und Verteidigung, indem sie dem nach USA-Recht ausgehandelten neuen Strafmaß ein Jahr und zehn Monate hinzufügte.

Fast 22 Jahre für Antonio, obwohl man dem standhaften Patrioten Kubas die ihm zur Last gelegten Taten ebensowenig beweisen konnte wie den anderen Verurteilten. Das Berufungsgericht erkannte an, die seinerzeit in Miami auferlegten Strafen seien als "exzessiv" zu betrachten, weshalb es ja auch deren Annullierung anordnete. Es argumentierte damit, daß man den Verurteilten die Zurückhaltung von Informationen, welche zur Gefährdung der nationalen Sicherheit der USA geführt hätte, nicht nachzuweisen imstande gewesen sei. Wenn dem aber so ist: Warum ordnet die Berufungsinstanz dann nicht ihre sofortige Freilassung an? Warum müssen sie weiter in Haft bleiben, wobei sie maßlosen Urteilen auf Grund unbewiesener Anklagepunkte unterworfen sind?

Der Hintergrund des Ganzen ist, daß dieser Prozeß von den kubanischen Konterrevolutionären in Miami durch direkte und grobe Einmischung von Beginn an beeinflußt worden ist. Die Contras betrachten die Inhaftierung der fünf Antiterroristen gewissermaßen als Kompensation für ihr Unvermögen, die Rückgabe des durch sie entführten Kindes Elian González an Kuba zu verhindern.

Alles am Prozeß gegen die "Miami Five" war willkürlich und irregulär. Erinnert sei daran, daß es seitens der Clinton-Regierung eine formelle Verpflichtung gab, mit Havanna im Kampf gegen den Terrorismus von Exilkubanern zu kooperieren. Ein Besuch des berühmten Schriftstellers Gabriel García Márquez im Weißen Haus, über den dieser ausführlich berichtete, bildete damals das Vorspiel der Reise einer hochrangigen Delegation des FBI auf die Insel, bei der den USA-Geheimpolizisten Dutzende Videos, Informationen über Standorte der Terroristen sowie Magnetbänder zur Telefonüberwachung des berüchtigten CIA-Agenten Luis Posada Carriles und anderes brisantes Material übergeben wurden.

Wenige Monate später erfolgte die "Antwort" der Yankees. Statt die identifizierten Terroristen sofort zu verhaften und deren Verurteilung zu erwirken, handelte das FBI gegen jene, welche sie beobachtet und ihre Berichte nach Havanna geschickt hatten. Nun begann die willkürliche Aktion gegen die fünf kubanischen Patrioten. Die Auswahl der Geschworenen erfolgte in Mafia-Art, wie man einer Note vom 2. Dezember 2000 entnehmen kann, die im "Nuevo Harald" von Miami veröffentlicht wurde. "Ja, ich habe um meine Sicherheit Angst, wenn der Spruch der Geschworenen der hiesigen kubanischen Gemeinde nicht genehm sein sollte", erklärte ein Jury-Anwärter.

Die Inhaftierten wurden auf verschiedene Hochsicherheitsgefängnisse in den USA verteilt. Man unterwarf sie trotz vorbildlicher Führung Bedingungen, die sonst nur den gefährlichsten Kriminellen vorbehalten sind. Doch ihre würdevolle Haltung vermochte man nicht zu brechen. Sie geben aller Welt ein Beispiel, wie man imperialistischen Kerkermeistern begegnen muß.

Angel Guerra Cabrera in "Resumen Latinoamericano", Dezember 2009

Übersetzung Isolda Bohler


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Losung an der Playa Giron: In Verteidigung des Sozialismus

Raute

Griechenlands Kommunisten zeigen dem Kapital und der EU die Zähne

Abfuhr für Arbeiterfeinde

Das dramatische Geschehen liegt bereits Monate zurück. Nachdem Griechenlands unmittelbar drohender Staatsbankrott ruchbar geworden war, hatte die linksgerichtete Kämpferische Arbeiterfront (PAME) am 17. Dezember 2009 zu einem 24stündigen Streik gegen die volksfeindlichen Pläne der sozialdemokratischen PASOK-Regierung Papandreous aufgerufen. Die rechtsliberale Partei Neue Demokratie (ND) unterstützte bestimmte Maßnahmen des Kabinetts. Das Ziel dieser Angriffe, die auf EU-Richtlinien beruhen, besteht darin, einen entscheidenden Schlag gegen die sozialen Rechte der griechischen Werktätigen zu führen. Das ist auch der Grund dafür, daß die Regierung einen sogenannten Dialog der Sozialpartner unter Beteiligung von politischen Parteien und Gewerkschaften eröffnet hat. Die KP Griechenlands (KKE) und die PAME haben sich diesem gegen die Interessen der Arbeitenden gerichteten Dialog entschieden verweigert. Die Kommunisten und die Gewerkschafter der PAME riefen die Massen zum verstärkten Widerstand gegen Pläne des Kabinetts auf, welches dem Volk die Lasten der Krise aufbürden will.

Eine Reihe von landesweit wirkenden gewerkschaftlichen Dachorganisationen - so die der Bauarbeiter, der in der Textilbranche, der Pharma-Industrie, der Lebensmittel- und Getränkeherstellung Beschäftigten - haben sich an dem Streik vom 17.12. beteiligt. Ebenfalls 14 Arbeiterzentren - dabei handelt es sich um regionale Gewerkschaftsverbände - und eine große Zahl von Gewerkschaften im privaten und öffentlichen Sektor schlossen sich an. Die vom Streik ausgelöste Dynamik war so stark, daß sich auch Organisationen wie die Journalistengewerkschaft, der Verband der Krankenpfleger u. a. beteiligten, obwohl sie nicht der PAME angehören.

Der Griechische Gewerkschaftsbund (GSEE), der bei dem durch die Regierung initiierten Pseudo-Dialog mitspielt, versuchte den Ausstand zu brechen. Am Vorabend des Kampftages forderte die GSEE die Werktätigen nachdrücklich auf, die Arbeit nicht niederzulegen. PAME und KKE wiesen diesen Appell zum Streikbruch auf das schärfste zurück. Der Ausstand vom 17. Dezember wurde zu einem großen Erfolg. Zahlreiche Arbeiter und Jugendliche stellten sich als Streikposten zur Verfügung, viele Tausende nahmen an den von der PAME in 63 Städten organisierten Protestversammlungen teil.

Im Hafen von Piräus, wo der geplante Streik der Seeleute auf den griechischen Fähren gerichtlich verboten worden war, erklärte die Generalsekretärin des ZK der KKE, Aleka Papariga: "Es ist ein doppelter Erfolg. Auf der einen Seite stehen der Erfolg des Streiks in ganz Griechenland, die großen Kundgebungen in Athen und anderen Städten. Auf der anderen Seite gibt es den großartigen Sieg der Seeleute, der eine ganz besondere Bedeutung besitzt. Es bestand immerhin ein gerichtliches Verbot des Streiks, der als illegal und unzulässig bezeichnet worden war. Dennoch hat kein einziges Schiff abgelegt. Es handelt sich also um einen großen Sieg im Kampf für die Rechte von Werktätigen. Es ist ein Sieg der Demokratie der Arbeiter, der Demokratie des Volkes. Wie Ihr wißt, hat die Demokratie stets zwei Seiten: Es gibt die Demokratie der Regierung, der Unternehmer und jener Parteien, welche die EU-Politik unterstützen. Es gibt aber auch eine andere Demokratie, welche die Interessen der Arbeiter betrifft. Der 17. Dezember soll mit großen Buchstaben als ein Tag geschrieben werden, an welchem die Seeleute einen entsprechenden Gerichtsbeschluß gebrochen haben. Es ist ein wichtiger Tag für die Arbeiterbewegung. Er zeigt, daß man Errungenschaften haben kann, wenn man sich dafür entscheidet, den Gehorsam zu verweigern, wenn man das Streikrecht verteidigt. Wir sind sicher, daß dieser 17. Dezember weitere große Kämpfe nach sich ziehen wird." Die KKE grüßte alle Werktätigen, die sich trotz des vielgestaltigen Terrors der Staats-, Regierungs- und Unternehmerapparate, trotz der Bestrebungen der reformistischen Gewerkschaften, ihn zu brechen, massenhaft am Streik und den damit verbundenen Kundgebungen der PAME beteiligten.

All das bewies, daß Griechenlands auf Klassenpositionen stehende Arbeiterbewegung die Kraft und die Fähigkeit besitzt, den Sturmangriff der sozialdemokratischen Regierung und des Großkapitals, der von den Parteien ND und LAOS unterstützt wird, abzuwehren. Er zeigte, daß jene politischen Richtungen und Gewerkschaften, die den Klassenkonsens und die Unterwerfung unter die Bourgeoisie propagieren, auf einen starken Gegner stoßen, der an zahlreichen Standorten und in vielen Branchen immer besser Fuß faßt. Die Werktätigen verstehen in zunehmendem Maße, welche Gefahr für sie von den handzahmen Gewerkschaften ausgeht.

Der massenhafte Ungehorsam, den ein großer Teil der Arbeitenden an den Tag legte, öffnet den Weg für einen klassenorientierten Gegenangriff. Dazu ruft die KKE die Werktätigen auf.

Der Erfolg des Streiks offenbarte, daß wir die Fähigkeit besitzen, diesen Weg zu beschreiten. Wir kämpfen für der Zeit entsprechende Rechte der Arbeiterklasse. Damit nicht die Volksmassen die Krise zu bezahlen haben, müssen wir die gegen sie gerichtete Politik abwehren und durchkreuzen. Wir griechischen Kommunisten kämpfen für die Lösung der Massen vom Einfluß der Ideologie der Parteien des Kapitals wie der EU.

Mirsini Piromali, Athen

Unsere Autorin, die in Zukunft ständig für den RF schreiben wird, ist Mitarbeiterin der Internationalen Abteilung des ZK der KP Griechenlands (KKE).


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Ein Ausschnitt der Athener Streikkundgebung, zu der die linksgerichtete Gewerkschaftszentrale PAME am 17. Dezember 2009 aufgerufen hatte

Raute

Spaniens sozialdemokratische PSOE leistete den Offenbarungseid

Links blinken, rechts fahren

Die Politik der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) erinnert, obwohl sie gar nicht lustig ist, an den bekannten Witz: Ich ging auf der Straße, sah zwei Männer, die gerade einen dritten schlugen, und stellte mir die Frage, ob ich mich nun einmische oder nicht. Ich mischte mich ein, und zu dritt gaben wir ihm eine ordentliche Tracht Prügel.

Die Regierung der PSOE verhält sich genauso wie dieser Fußgänger. Im Bunde mit der einheimischen Kapitalistenklasse und reaktionären Mächten widmet sie sich, zu Hause wie außerhalb des Landes, dem Bemühen, die Schwächsten der Gesellschaft - Arbeiter, Flüchtlinge, Immigranten, vom Wohlstand gewisser Schichten Ausgeschlossene und durch den Imperialismus angegriffene Völker - zu prügeln.

Den in der Politik sonst kaum vorhandenen Humor steuert die Rechte bei. Es gibt heute kein spaßigeres Spektakel, als den Führer der rechtsgerichteten Volkspartei (PP) und dessen Satelliten zu beobachten, wie sie den Regierungschef, seine Stellvertreterin oder die Minister tadeln, weil diese etwas tun, was eigentlich Sache der Rechten sein müßte. Mal zeigen sie sich betrübt, weil Zapatero den von der Krise betroffenen Familien keine wirtschaftliche Hilfe zukommen läßt, wobei sie Krokodilstränen darüber vergießen, daß seine Regierung den Bankern Millionen Euro ausliefert; ein anderes Mal beschuldigen sie ihn, den Krieg in Afghanistan zu unterstützen, aber nur deswegen, um sofort den Vorwurf zu erheben, daß das nicht hundertprozentig geschehe.

PP-Chef Rajoy wartet darauf zu erleben, wie der Kadaver seines Feindes an Génova - dem Sitz der PP - vorbeigetragen wird, während er sich zurückhält, ihn im Parlament wegen unlauteren Wettbewerbs anzuklagen: "Meine verehrten Abgeordneten, die PSOE besteht darauf, unsere Politik zu machen. Sie möchte uns zu einer Koalitionsregierung bewegen. Schauen Sie nur: Wir haben das schon zuvor getan ..." Die Regierung der rechtssozialdemokratischen PSOE zog Spanien aus Irak zurück, um die Truppen anschließend am Gängelband der USA in Afghanistan einzusetzen. Die dabei benutzten Argumente sind ebenso falsch wie die gestern von der PP verwendeten. Der Hinweis, jetzt stehe die UNO dahinter, ist unsinnig, steht sie doch auch hinter Irak und wo immer es nötig ist, da sie den Befehlen der USA gehorcht.

Näher zu Spanien hin wurden Menschen aus der Westsahara und aus Äquatorial-Guinea zugunsten der sie unterdrückenden Diktatoren - der erste ein mittelalterlicher Monarch, der andere ein Spiegelbild der Gaunerkapitalisten - abgewiesen.

Das Versprechen "Wir werden Euch bis zum endgültigen Sieg nicht verlassen", das 1977 von dem heute in Marokko willkommen geheißenen einstigen PSOE-Ministerpräsidenten Felipe González in den Flüchtlingslagern abgegeben wurde, half Aminatu Haidar nicht, das vom "Monarchenbruder des Königs Juan Carlos" angeordnete Gefängnis und die Folter zu umgehen. Ihre und die von anderen Sahrauis begangene Straftat besteht einzig und allein in der Forderung nach Abhaltung eines Referendums über Selbstbestimmung, das von der UNO vorgesehen ist, welche die frühere Kolonialmacht in der Westsahara, nämlich Spanien, für den Entkolonialisierungsprozeß verantwortlich gemacht hat.

Die Innenpolitik der PSOE-Regierung Zapatero ist ebenso abstoßend wie ihr außenpolitischer Kurs. Deren Ziele präsentierte der seinerzeitige Präsidentschaftskandidat in seinem Wahlprogramm mit den Worten: "Wir Sozialisten wollen die Vollbeschäftigung, die Entwicklung und Konsolidierung der Sozialpolitik des fortschrittlichsten Wohlstandsstaates erreichen, das Zusammenleben und den Zusammenhalt durch eine achtungsvolle, dialogbereite und konsensfördernde Ausübung der politischen Macht garantieren und stärken." Mehr noch: Die PSOE protzte 2008 damit, den Zielen einer "größeren gesellschaftlichen Kohäsion und des Kampfes gegen die Armut, besseren Zugangs zu einer Wohnung, mehr Gerechtigkeit und Vollbeschäftigung" nahe zu sein.

Bald darauf berichtete Caritas im November 2008, daß die prekäre Arbeitssituation die Wirtschaft Spaniens zwar wachsen ließ, aber auch den Ausschluß vieler von der Gesellschaft vorantrieb. Immer mehr Menschen in einer verwundbaren Situation würden durch die Sozialpolitik nicht geschützt.

Der Grund für diese Verschlechterung ist letztlich eine dem Wahlprogramm der PSOE diametral entgegengesetzte Regierungspolitik. Sie betrifft das Modell der Einwanderung, die Marktdynamik zur Wohnungspolitik, die fatale Situation auf dem Arbeitsmarkt und die begrenzte öffentliche Versorgung von Personen mit psychischen Problemen.

All das ist eine keineswegs erstaunliche Folge der ideologischen Rückbildung der PSOE. Das Brüsseler Statistische Amt Eurostat liefert den Beweis, daß Spanien zu jenen EU-Mitgliedern gehört, die weniger öffentliche Fonds für Zwecke der Wohlfahrt ausgeben. "Es ist das Land mit der höchsten Ungleichheit."

Obwohl die PSOE sich als "eine politische Organisation der Arbeiterklasse und derjenigen, die jede Art von Ausbeutung bekämpfen", bezeichnet und angeblich danach trachtet, die bestehende Gesellschaft verändern zu wollen, ist es gewiß, daß die besitzenden Klassen durch ihre große wirtschaftliche, politische und Medienmacht einen enormen Einfluß auf den spanischen Staat ausüben, was der Grund dafür ist, daß dieser von allen EU-Staaten als derjenige bezeichnet wird, "der am wenigsten umverteilt". Überdies gilt Madrids Steuerpolitik als die rückschrittlichste der EU.

Was soll man zum neuen Ausländergesetz und seinen Internierungszentren für Immigranten sagen, über die Direktive zur Rückkehr, den Abschirmdienst Frontex, zu den polizeilichen Kontrollsystemen im Internet, zu den schier endlosen Vorwürfen wegen Folter im Polizeigewahrsam, über die Illegalisierung und Unterdrückung der baskischen Linken oder über die Unterstützung der im Mafiastil operierenden großen spanischen Unternehmen in Lateinamerika, zum drastischen Anstieg des Militärhaushalts, zum "Wirken" der Kriegsflotte (Armada), die einer Gruppe von Kapitalisten durch die Absicherung des Fischfangs in entfernten Gewässern zum Nachteil der verarmten dortigen Bevölkerung märchenhafte Profite sichert?

Aber die "Linke" an der Macht regiert nicht nur wie die Rechte, sondern sie lügt auch wie sie. Deswegen bedient sie sich des konstanten Rückgriffs auf Phrasen wie diese: "Mehr Soldaten gehen nach Afghanistan, um früher zurückzukommen."

Wenn die Arbeitslosigkeit nicht sinkt und sich die Situation nicht aufhellt, kann es durchaus sein, daß die rechtsgerichtete PP bei den nächsten Wahlen die Sozialdemokraten der PSOE aus der Regierung wirft. Was hat diese während ihrer Amtszeit auch schon erreicht? Trotz gewisser Verbesserungen und einiger Fortschritte auf bestimmten Gebieten ist die Bilanz negativ. Innenpolitisch wegen Verrats an der Arbeiterklasse, die sie zum Vorteil der betuchten Klasse schädigte; international wegen der Allianz mit dem Imperialismus, die zum Krieg und zur Ausplünderung von Entwicklungsländern führte. Als ob das wenig wäre, überließ es die PSOE der PP, ihre schmutzige Arbeit zu vollenden.

Diese traurige Geschichte ruft einen anderen schlechten Witz ins Gedächtnis: PSOE, hundert Jahre Ehrbarkeit und kein einziges mehr!

Prof. Agustín Velloso Santístebar, Madrid

Übersetzt von Isolda Bohler

Raute

Interamerikanischer Menschenrechtsgerichtshof verurteilt Frauenmorde in Mexiko

Ciudad Juárez - Brutstätte des Feminicídio

Im mexikanischen Ciudad Juárez hat die Stationierung Tausender Soldaten für den "Krieg gegen den Drogenhandel" die dort herrschende Orgie der Gewalt eher noch angeheizt. Die systematisch begangenen Morde an Frauen finden bei vollständiger Straflosigkeit der Täter statt.

Am 13. November 2009 wurden dort die halbnackten Leichen zweier junger Frauen inmitten eines Brachlandes gefunden. Stunden zuvor war der von Kugeln durchsiebte Körper eines dritten Opfers anderenorts aufgetaucht. Damit waren es 119 ermordete Frauen im Verlauf des Jahres 2009 in dieser Grenzstadt mit über 1,5 Millionen Einwohnern und 17 Industrieparks, die 57 % aller Arbeitsplätze im mexikanischen Bundesstaat Chihuahua anbieten. Unsere Organisation "Nuestras Hijas de Regreso a Casa", in der Familienangehörige und Freunde der Getöteten zusammengeschlossen sind, kämpft für die Beendigung der Straflosigkeit und die Unterbindung der Verbrechen. Sie geht davon aus, daß seit 1993 in der Stadt etwa 800 Frauen umgebracht wurden.

Im März 2008 begann die Stationierung des Militärs in Ciudad Juárez. Ungefähr 5000 Armeeangehörige richteten sich angeblich zur Bekämpfung des Drogenhandels im Rahmen einer vom Nationalen Sicherheitsbüro angeordneten Gemeinsamen Operation Chihuahua in der Stadt ein. "Bei der Offensive können die Militärs und die Bundespolizei mit der Unterstützung von sechs Hubschraubern und zwei Flugzeugen rechnen", versicherte die Regierung.

Im September 2009 ernannte Mexikos Präsident Felipe Calderón in einer stark kritisierten Entscheidung ausgerechnet Arturo Chávez Chávez zum Generalstaatsanwalt, obwohl dieser sein Fehlverhalten als Staatsanwalt von Chihuahua Ende der 90er Jahre eingestanden hatte. Während seiner Amtszeit war die Spezialanwaltschaft zur Ermittlung der Tötungsdelikte an Frauen, ein Organ, in dem er sich direkt um die Aufklärung der Feminicídio-Fälle zu kümmern versprach, geschaffen worden. Chávez behauptete, während seiner Amtszeit 65 der 95 registrierten Verbrechen aufgeklärt zu haben, obwohl die Familienmitglieder dem widersprachen und den Staatsanwalt zahlreicher Unregelmäßigkeiten bezichtigten. Erwähnung fand auch das "Fabrizieren von Schuldigen". Für die Journalistin Lydia Cacho war diese Ernennung etwas, "was uns gerade noch fehlte: Der König der Straflosigkeit des Feminicídio" mit fast 2000 Vermißten in Chihuahua sei mit der Generalstaatsanwaltschaft des Landes beauftragt worden. Sie erinnere daran, daß Chávez als Verdächtiger in formalen Anklagen wegen erzwungenen Verschwindenlassens aufgetaucht sei. Dieser riet in seiner Amtszeit als Justizbeauftragter in Chihuahua den Frauen aus Ciudad Juárez, keinen Minirock zu tragen. Er behauptete, sie würden sonst "als Prostituierte vergewaltigt und getötet". Mexikanische Frauenkollektive organisierten damals einen Protestmarsch auf die Hauptstadt. Das Ergebnis war gleich Null.

Heute setzt die Armee in Ciudad Juárez Ordnung und Terror gleichzeitig durch. Schießereien mit zahlreichen toten Zivilisten finden in unkontrollierbarer Weise an jeder Ecke statt.

2009, nach mehr als einem Jahr der Truppenstationierung, gab es in der Millionenstadt 2000 Morde. Viele der Toten waren Frauen, obwohl die Zahlen vage gehalten werden und je nach Quelle rauf- oder runtergehen, weil das Kriterium manchmal verwirrend ist. So wird in Mexiko z. B. eine Tötung durch den Ehemann nicht als Mord betrachtet. Außerdem stellte sich heraus, daß einige der vermißten Frauen noch lebten, aber aus Angst und von ihren Erlebnissen gepeinigt die Stadt verlassen hatten. Mitte Oktober wurde Ciudad Juárez durch eine erschreckende Nachricht erschüttert: Perla Pérez Thayne, die für die Aufklärung der Feminicídios kämpfende Aktivistin, sei eine Woche nach der Tötung ihrer Töchter angeblich geköpft aufgefunden worden, hieß es. Der Ehemann habe nach einem durch ihn entdeckten Treuebruch den Mord begangen. Zwei Tage später aber schickte Perla eine Nachricht. Sie erklärte, noch am Leben zu sein und gar keinen Ehemann zu haben. Sie informierte darüber, daß wenige Tage zuvor ihre Wohnung und die ihrer Schwester von der Armee durchsucht worden seien. Sie habe um ihr Leben fürchten müssen, weshalb sie untergetaucht sei. Perla zeigte an, daß die in Umlauf gesetzte Nachricht über ihre vermeintliche Ermordung in Wirklichkeit eine kaum verschleierte Drohung gewesen sei.

In einem Klima extremer Gewalt gegen Frauen, die sich in einem nur zehn Minuten vom USA-Bundesstaat Texas entfernten Terrain ereignet, werden Feminicídios weiterhin als eine völlig apolitische Angelegenheit behandelt. Das menschliche Leben ist hier auf den niedrigsten Wert gesunken. Besonders das Leben einer Frau.

Der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof (CIDH) hat den mexikanischen Staat wegen der Tötungsdelikte an drei Frauen in Ciudad Juárez verurteilt, berichtete die Agentur Pulsar. Bevor das Urteil offiziell verkündet wurde, bestätigten die Anwälte der Opfer, der CIDH habe die Fälle analysiert und seine Entscheidung getroffen. Es handelt sich um die Morde an Esmeralda, Claudia und Brenda. Sie waren drei der acht Frauen, deren leblose Körper 2001 auf einem Baumwollfeld gefunden worden waren. Die Anwälte dokumentierten, daß die Behörden in allen drei Fällen keine Untersuchung vorgenommen hätten. Das symbolisiere die tiefe kriminelle Verstrickung von Staatsbeamten, die als Mittäter zu bezeichnen seien. Sie hätten die ausgebliebene Strafverfolgung zu verantworten.

Die Entscheidung des CIDH ist die erste gegen Feminicídio, bei der die Verletzung der Interamerikanischen Konvention zur Verhütung, Bestrafung und Auslöschung von Gewalt gegen Frauen angewandt wird. Aus diesem Grund besitzt das Urteil großes Gewicht - nicht nur für Ciudad Juárez, sondern auch für die ganze Region und Mexiko als Staat. Es liefert den Präzedenzfall für die Auslegung dieser Art von Gewalt gegen Frauen.

Aus "Diagonal"

Übersetzung: Isolda Bohler

Raute

Schmerzhafte Wiederbegegnung mit Rußlands Hauptstadt

Zehn Tage in Moskau (Teil 2)

Während meiner intensiven zehn Moskauer Tage wurden viele Stunden durch ausgedehnte Spaziergänge über Straßen, Plätze und in jene Stadtteile beansprucht, die ich schon gekannt und geliebt hatte, als das noch die Hauptstadt der Sowjetunion gewesen war.

Natürlich besuchte ich auch gewisse Museen einmal mehr. So widmete ich etliche Stunden einem Gang durch das Museum der Zeitgenössischen Geschichte Rußlands. Früher hieß es Revolutionsmuseum, aber elementarer gesunder Menschenverstand hatte die neuen Regierenden ausnahmsweise daran gehindert, die Geschichte der Revolutionen von 1905 und 1917 umzuschreiben. Der Versuch einer Manipulation beschränkte sich auf gewisse Abschnitte kleiner Texte in englischer Sprache, die man am Eingang zu den Sälen angebracht hatte.

20 Jahre sind seit jenem Tag verstrichen, als ich in der Phase des Zerfalls der UdSSR letztmals das Lenin-Mausoleum aufgesucht hatte. Mit meiner Begleiterin teilte ich das Verlangen nach einer Rückkehr zu diesem Ort. Die Warteschlange war enorm. Während wir in ihr standen, erschien eine Dame, die sich an uns und andere Ausländer wandte, um sofortigen Zutritt für den Fall anzubieten, daß wir zehn Euro pro Person zu zahlen bereit seien. Einige Leute gingen darauf ein. Ich führe dieses Beispiel an, weil es das Funktionieren der Mechanismen der Korruption im gegenwärtigen Rußland verdeutlicht. Die "parallele" Wirtschaft garantiert heute Millionen Menschen ihr Überleben. Ohne sie müßte die Mehrheit der Bevölkerung im Elend vegetieren. Aber der soziale Preis besteht darin, daß dieses Krebsgeschwür die Nation auf entsetzliche Weise zerfrißt.

Ich bin eine Stunde lang über das Kreml-Gelände gegangen, zwischen den alten Kathedralen, dem Großen Palast und anderen Gebäuden hindurch. Ich spürte erneut auf diesem durch rote Ziegelmauern begrenzten Areal der mittelalterlichen Festung, daß der Besucher zugleich die Mauern der Zeitläufte bei einer Reise durch die tief verwurzelte Geschichte der Völker Rußlands durchquert.

In meinem Fall konfrontierte mich jede Festungsanlage, jeder Turm, jede Kirche, jedes Palais mit den Epochen und den Personen, deren hiesiges Wirken in der Geschichte Rußlands und der Menschheit seine Spuren hinterlassen hat. Ich dachte an Iwan III., den polnischen Erobererkönig, an Peter den Großen, an Katharina II., an Napoleon, den letzten Zaren, an Kerenski, an Lenin und Stalin.

Indem ich die Uhr am Kremlturm betrachtete, wurde mir bewußt, daß ich Moskau wohl nicht noch einmal sehen würde. So nahm ich bei diesem Besuch Abschied von der Stadt und von Rußland.

Die Metro, die in den Jelzin-Jahren völlig heruntergekommen war, hat ihre alte Schönheit und ihren Glanz wiedererlangt. Moskau ist abermals eine viel sauberere Stadt als Paris oder Rom. Doch über ihr liegt - unsichtbar - ein Mantel aus Traurigkeit.

Das Fehlen einer Perspektive ist real und allgegenwärtig. Dieselben Leute - sie bilden zweifellos die Mehrheit -, die im Vergleich zwischen Gegenwart und Vergangenheit im Heute finstere Schattenseiten erblicken, glauben nicht daran, daß es in absehbarer Zeit einen Wandel geben wird. Sie erinnern sich gerne an die Jahre der Sicherheit des Arbeitsplatzes, des Fehlens von Erwerbslosigkeit, der garantierten Renten, der verläßlichen Gesundheitsfürsorge und Bildung für alle, des bezahlten Urlaubs. Sie schließen die Möglichkeit auch nur einer gewissen Humanisierung des im Lande errichteten Kapitalismus aus.

Ich habe mit niemandem gesprochen, der nicht seine Geringschätzung und Abneigung in bezug auf Jelzin zum Ausdruck gebracht hätte. Man identifiziert ihn nicht nur als den Totengräber der Sowjetunion, sondern auch als durch und durch korrupten Politiker, der sich bedingungslos den USA unterwarf, als ambitiösen Abenteurer und entarteten Alkoholiker. Zu meiner großen Überraschung spricht man äußerst selten von Gorbatschow und Chruschtschow. Beide sind fast vergessen, übrigens im Gegensatz zu Breschnew, an den sich recht viele Menschen freundlich erinnern.

Ist die Hoffnung des russischen Volkes gänzlich und für alle Zeiten untergegangen? Das entspricht nicht meiner Überzeugung. Ich denke an die Jahrhunderte der Leibeigenschaft. Niemand erwartete wohl, daß ausgerechnet in Rußland die erste sozialistische Revolution der Geschichte stattfinden und siegen würde.

Ich bin Optimist. Wenn es den Tunnel verlassen kann, glaube ich fest, wird Rußland das Licht und die Wärme der Sonne wiederfinden.

Miguel Urbano Rodrigues

Der Autor (81), ein international renommierter portugiesischer Publizist, war Parlamentsabgeordneter der PCP

Übersetzung aus "Initiative Communiste" (Frankreich)

Raute

China: Neue Werkausgabe von Marx und Engels erschienen

Am 25. Dezember 2009 vollzog sich in der Großen Halle des chinesischen Volkes zu Beijing, dem Ort hochrangiger politischer Ereignisse wie Parteitagen der KP Chinas, Jahrestagungen des Nationalen Volkskongresses und der Nationalen Politischen Konsultativ-Konferenz, ein bemerkenswerter Vorgang. Das Zentrale Institut für die Sammlung und Übersetzung der Werke von Marx, Engels, Lenin und Stalin beim ZK der KPCh übergab der Öffentlichkeit des Landes die chinesische Ausgabe der Entwürfe, Schriften und Briefe von Karl Marx und Friedrichs Engels in zehn Bänden. Das Institut erfüllte damit eine Aufgabe, die ihm am Vorabend des 1. Mai 2004 auf einer Landeskonferenz der Partei erteilt worden war. Sie hatte über die intensivere Nutzung des literarischen Erbes von Marx und Engels für die weitere gesellschaftliche Entwicklung Chinas beraten.

Etwa 200 chinesische Marx-Engels-Forscher waren zwei Jahre lang mit Studien zu etwa 20 Problemkreisen der gesellschaftlichen Entwicklung befaßt. Im Mittelpunkt stand die Frage, zu welchen Schlußfolgerungen Marx und Engels unter welchen realen Bedingungen gelangt waren, welche Bedingungen heute und wahrscheinlich morgen existieren und wie man zu deren Meisterung wichtige Hinweise der beiden Klassiker nutzen kann.

In China gibt es eine Gesellschaft "Marx-Engels-Forschung" und eine Gesellschaft "Das Kapital von Marx", die mindestens alle zwei Jahre nationale Konferenzen (nun auch unter internationaler Beteiligung) in verschiedenen Städten der VR mit Forschungseinrichtungen durchführen.

Es wurde Wert darauf gelegt, die Texte soweit wie möglich nach Erkenntnissen der seit 1975 erschienenen und (seit 1992) auf 114 Bände berechneten Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) herauszugeben. Soeben ist davon Band I/21 erschienen.

Die neue Ausgabe wird nach meiner Überzeugung keine geringe Rolle in Bildung, Erziehung und Forschung sowie bei der öffentlichen Meinungsbildung in China spielen.

Prof. Dr. Eike Kopf, Beijing

Raute

Eulenspiegel-Verlagsgruppe präsentiert Bewahrenswertes aus der DDR

Bücher gegen das Vergessen

Nun hat sich endlich das Geschrei um die Wiedervereinigung und um den Abriß der Mauer beruhigt. Auf allen Kanälen und in fast allen Zeitungen konnten sich ehemalige "Systemkritiker" auslassen und das neue System lobpreisen.

Wer fast vergessen war, durfte endlich wieder vor ein Mikrophon treten und den gefährlichen Weg vom ersten Flugblatt bis zum Händeschütteln mit Birne Kohl erläutern. Irgendwie waren wir alle ja gegen die Gangster Honecker & Co. Was haben diese die Menschheit beschissen, was wuchteten sie auf ihre Seite und welche schlimmen Spielchen spielten sie in Wandlitz!

Alles hatte 1989 ein Ende. Seitdem helfen uns starke Politiker auf den rechten Weg zu kommen. Korruption gibt es nicht mehr, Bespitzelung erst recht nicht und Arbeitslosigkeit schon gar nicht. Unterdessen haben wir einen astreinen Außenminister, eine schöne Kanzlerin und einen Kriegsminister mit einem duften Pomade-Haarschnitt. Was will der Mensch mehr! Die Sieger- und Märtyrertypen beruhigten sich schnell wieder, denn sogar der "Spiegel" druckt nichts mehr von ihnen.

Erst jetzt lohnt es sich, drei ganz hervorragende Bücher vorzustellen, die sich kompetent und ohne Firlefanz mit der Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik beschäftigen und ganz still und leise erschienen sind. Es geht dabei um das tägliche Leben, um das ganz private Zuhause und um die Kunst. Zu dieser Abteilung gibt es die große Mappe "40 Kunstwerke aus der DDR". Nachdem in der Ausstellung "Sechzig Jahre, sechzig Werke" im Gropius-Bau kein einziges Bild eines Malers der DDR hing, kann man froh sein, daß dieses hervorragend gestaltete Druckerzeugnis nunmehr den Weg in die Öffentlichkeit fand. Beim ersten Durchblättern merkt der Leser, daß nur ganz wenige Bilder als "staatsnah und linientreu" bezeichnet werden dürfen. Ignoranz und Überheblichkeit, gepaart mit Dummheit, spielten also bei den Machern der Ausstellung und überhaupt bei vielen westdeutschen Kunstsachverständigen eine große Rolle. Wie sagte doch der Maler und Grafiker Wolfgang Petrovsky, der mit dem außergewöhnlichen Blatt "Kindersoldat" vertreten ist und den man durch seine Grafikarbeiten zu Victor Klemperers "LTI" kennt: "Bilderstürmerei und Ignoranz sind zu allen Zeiten Triumphe der Dummheit. Dagegen muß man angehen." Angegangen wurde mit diesem Buch, das auch das bekannteste Bild der DDR enthält: Walter Womackas 1962/1963 gemaltes Werk "Am Strand". Jeder Jugendliche, der verliebt war, hatte das Kunstwerk als Reproduktion an der Wand. Viele Künstler, die zu DDR-Zeiten aus dem Alltag nicht wegzudenken waren, da ihre Werke auf Briefmarken, in Lehrbüchern oder in Museen zu sehen waren, können hier wieder entdeckt werden.

Harald Metzkes ist mit dem 1956 geschaffenen kritischen Bild "Abtransport der sechsarmigen Göttin" genauso dabei wie Otto Nagel, Max Lingner, Hans Grundig, Sighard Gille, Wolfgang Mattheuer und Willi Sitte. Nicht zu vergessen die Künstlerin Heidrun Hegewald - das Kinderbuch "Flohmarkt" von Peter Hacks mit ihren Illustrationen wurde 1965 als "Schönstes Buch" ausgezeichnet. Mit "40 Kunstwerke aus der DDR" wird ganz hervorragend an eine wichtige Kunstepoche in Deutschland erinnert.

Ein weiteres gutes Buch nennt sich "Leben in der DDR" und wurde von Franziska Kleiner herausgegeben. Auf über 300 Seiten schildern Menschen, die in der DDR gelebt haben, ihre persönlichen Erfahrungen, gehen auf interessante und alltägliche Begebenheiten ein. Nachgeborene können erfahren, wie das Leben in dem kleinen Staat funktionierte, wie bestimmte Dinge erledigt wurden und welche Erfahrungen man bis heute nicht missen möchte. So wird geklärt, warum ein Westpaket nicht nur Freude auslöste, wie eine Kartoffelernte ablief und warum Skatkarten die deutsch-sowjetische Freundschaft festigten. Wer auch wissen will, warum das DDR-Theater Weltformat hatte und wie friedlich die Friedenstaube war, der wird hier fündig werden. Über 400 seltene Abbildungen machen das Zeitdokument noch wertvoller.

In die privaten Gemächer dringt schließlich das Buch "So haben wir uns eingerichtet" ein. Noch einmal gibt es Montage-Schrankwände, Außenwandheizer und Badeöfen zu bewundern. Man kann lachen über Geschmacksirrtümer in der Datsche und sich wundern über die Improvisationskunst eines jeden bauenden DDR-Bürgers. Originelle Fotos von einer untergegangenen Wohnkultur, das häusliche Paradies öffnet noch einmal alle Tore.

Thomas Behlert

"40 Kunstwerke aus der DDR", Verlag Neues Leben, 49,95 € Constanze Treuber, "So haben wir uns eingerichtet", Eulenspiegel-Verlag, 192 S., 19,90 € "Leben in der DDR", Eulenspiegel-Verlag, 320 S., 19,90 €

Raute

Unerschöpflicher poetischer Schaffensdrang

Die Leser des "RotFuchs" kennen seine Gedichte unter dem Namen E. Rasmus. Seit Jahren schon haben sie einen festen Platz in unserem Blatt. Doch wer verbirgt sich hinter diesem Pseudonym? Auch sein Band "Und jedes Wort ein Flügelschlag", das vor kurzem im Verlag Wiljo Heinen erschien, gibt es nicht preis. Und so wollen auch wir es dabei belassen und versuchen, "hinter den Kulissen" einen Menschen zu entdecken, der sich ganz im stillen zu einem bemerkenswerten Poeten unserer Tage entwickelt hat. Sein Schaffensdrang scheint unerschöpflich, so, als wolle er jede Regung des Lebens einfangen, festhalten und anderen ins Bewußtsein pflanzen. Nahezu alles aus Natur und Gesellschaft ist es ihm wert, mit treffsicheren Worten bedacht und in einem nach Schillerschem Vorbild gekonnten Versrhythmus zum Schwingen zu bringen. Empfindungen und Zweifel gehören genauso dazu wie der Jahresreigen oder Ereignisse und Personen.

Bestechend ist nicht nur die Fertigkeit, zu der er im Laufe der Jahre gelangt ist - sie ist ohne Zweifel als reife Kunst zu betrachten. Aus seinen Gedichten spricht ebenso ein kluger Geist, der aus einem äußerst vielseitigen natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Wissensfundus gespeist wird. Das zusammen mag ein klein wenig den in dieser Gesellschaft leider unbekannten Autor charakterisieren.

Seine ersten Schritte auf dem glatten Pakett der Kunst reichen weit zurück. Er wagte sie nach seiner Schriftsetzerlehre als Kultur- und FDJ-Funktionär sowie im Staatsapparat auf Kreis- und Stadtbezirksebene. Mit dem Ende der DDR wurde, wie für viele andere, auch für E. Rasmus der Boden, auf dem er sicher stand, weggerissen. Was dann kam, spricht aus seinen Gedichten. Wer sie aufmerksam liest, erkennt einen Lebensweg mit mehr Schatten als Licht, doch auch immer wieder ein trotziges Aufbegehren. E. Rasmus hat nicht klein beigegeben. Er hat zu kämpfen gelernt, gehört zu jenen, welche nicht müde werden, die DDR zu verteidigen und sich zu wehren - gegen Dummheit, Ignoranz und Bevormundung. So mag am Ende des Buches das Gedicht "Trotz finsterer Zeit - ein Licht", das der Autor am 3. Oktober 2008 verfaßte, uns alle ermutigen, niemals zu vergessen, woher wir kamen und wohin wir wollen.

Bruni Steiniger

E. Rasmus. Und jedes Wort ein Flügelschlag. Gedichte. 2009, Verlag Wiljo Heinen, Berlin, 163 Seiten, 8,50 €, ISBN 978-3-939828-52-5

Raute

"Egon und das achte Weltwunder" erlebte 30 Auflagen

DDR-Erfolgsautor Joachim Wohlgemuth

Der Autor von in der DDR beliebten Jugendbüchern wie "Egon und das achte Weltwunder" (1962) verstarb nach kurzer schwerer Krankheit im Alter von nur 64 Jahren am 9. Oktober 1996. Die 30. Auflage seines Erfolgsromans, der ein Klassiker der DDR-Literatur war, erschien nochmals 1995. Darin beschäftigte sich Wohlgemuth mit den Erlebnissen eines Jungen beim FDJ-Jugendobjekt zur Trockenlegung der Friedländer Großen Wiese.

Eine Vorstufe zu dem Roman bildete die Erzählung "Egon in der Wiese", die schon 1960 in der Bezirkszeitung "Freie Erde" erschien und 1962 in Wohlgemuths Sammelband "Erlebnisse eines Neugierigen" aufgenommen wurde. Der Bericht über den jungen Bauhilfsarbeiter Egon Brummer wurde auch im Literaturunterricht der 9. Klassen in den 60er Jahren behandelt. Jener "Halbstarke" wurde gleichsam durch ein Jugendobjekt und von der klugen Christine auf den Pfad der Tugend zurückgeführt. Er war das literarische Kind einer sechswöchigen Praxis-Erfahrung des jungen Autors und wurde zu einer Kultfigur. Das Erfolgsgeheimnis des Alltagsromans lag sicher in der frischen Sprache Wohlgemuths, aber auch in der Liebesgeschichte eines ungleichen Paares begründet. Egon, gerade aus der Haft entlassen, verliebte sich in der "Friedländer Wiese" in die Abiturientin und Arzttochter Christine. Wohlgemuths Schöpfung ist ein Neugieriger und nicht gerade Braver, dessen "Ankunft im Alltag" dank der Hilfe eines Kollektivs und natürlich mittels der Liebe erfolgte. Der Roman über das Jugendobjekt "Friedländer große Wiese" hob Wohlgemuth in der Kreis der DDR-Autoren mit den meistverkauften Titeln. Das Buch erschien in 29 Auflagen mit insgesamt 580.000 Exemplaren. Es wurde auch in der BRD, in Bulgarien und der Sowjetunion verlegt. 1969 ging auf seiner Grundlage ein heiteres Bühnenstück im Neustrelitzer Theater über die Bretter, das Günter Ebert und Erhard Kunkel dramatisiert hatten. "Egon und das achte Weltwunder" wurde 1964 von Christian Steinke für das Fernsehen der DDR verfilmt.

Joachim Wohlgemuth, 1932 in Prenzlau geboren, verlor als Zehnjähriger den Vater. Er wuchs bei Mutter und Großmutter auf und war nach der Grundschule Laufbursche und Bürohilfskraft. Zu Beginn der 50er Jahre absolvierte er die Arbeiter-und-Bauern-Fakultät in Potsdam, um danach bis 1958 in Leipzig Philosophie zu studieren. Bereits Anfang der 60er Jahre veröffentlichte er als Student seine ersten Texte, die ohne rechten Erfolg blieben. Mit "Egon und das achte Weltwunder" erreichte er einen Durchbruch. Der seit 1960 freischaffende Autor lebte in Neubrandenburg und Niemannslust bei Mirow. Er wurde 1963 in den Zentralvorstand des Schriftstellerverbandes der DDR und 1964 zum Vorsitzendes des Verbandes im Bezirk Neubrandenburg gewählt.

Stets blieb Wohlgemuth seinem jugendlichen Publikum treu, so mit den erfolgreichen Büchern "Verlobung in Hullerbusch" (1969), "Der Vater bin ich" (1977) und "Das Puppenheim in Pinnow" (1983). In diesen wurden die Leser auch durch die Unbekümmertheit in der Sicht auf handfeste Probleme und Konflikte angesprochen. Sie verlieh den Büchern Frische und Flair. Nachdem "Egon ..." erschienen war, veröffentlichte die Studentenzeitung "Forum" "Arbeitsnotizen zu einem Gegenwartsroman" von Wohlgemuth. Doch vier Jahre vergingen, ehe "Verlobung in Hullerbusch" herauskam. Klaus Gendries verfilmte den Roman später. Aus "Das Puppenheim in Pinnow", das von einem verliebten Lehrausbilder erzählte, erschien ein Auszug in der Zeitschrift "neue deutsche literatur" (12/1983). Er wurde in der "Jungen Welt" in Fortsetzungen abgedruckt und stieß auf heftiges Für und Wider, wovon über 500 Leserbriefe zeugten. Im Mittelpunkt stand der Streit um die Erziehung der Gefühle. Regisseur Christian Steinke drehte nach dem Buch einen Fernsehfilm. Zwischenzeitlich wurde von Wohlgemuth 1977 die Erzählung "Der Vater bin ich" im Verlag Neues Leben vorgelegt. Nach dem Prosatext entstand ein Stück, dessen Uraufführung abermals in Neustrelitz erfolgte. Aus Wohlgemuths Feder stammen ferner auch die Hörspiele "Der Schweine-Wilhelm" und "Brautschau" sowie das Fernsehspiel "Geschichten um Wilhelm".

Der einst erfolgreiche Jugendschriftsteller besann sich nach der gesellschaftlichen Rückwende auf sein flottes und witziges Erzähltalent und veröffentlichte Krimis. Er versuchte sich in dem für ihn neuen Genre und brachte die Titel "Brandzone" und "Auf halbem Weg zum Glück" (beide 1996) heraus. In seinem bereits 1995 erschienenen Roman "Jesewitzer Affäre" erzählte der Autor von Ereignissen 1988/89 im vertrauten Milieu der Jugendlichen auf dem Lande. Eine junge, patente Töpferin erhält in einer LPG eine Planstelle. Diese sieht zwar Kinderbetreuung vor, aber in Wirklichkeit soll sie töpfern, um auf diese Weise das Bauerntheater der Genossenschaft zu finanzieren. Das ungesetzliche Spiel kommt nach einigen Verwicklungen ans Licht.

Noch bis wenige Tage vor seinem Tode arbeitete der Schriftsteller an einem neuen Roman. Unzweifelhaft hat sich Joachim Wohlgemuth mit seinem Bestseller "Egon und das achte Weltwunder" in die DDR-Literaturgeschichte eingeschrieben. Der Nachlaß des Autors wird im Brigitte-Reimann-Literaturhaus in Neubrandenburg neben der Hinterlassenschaft von Hans Fallada, Brigitte Reimann, Siegfried Pitschmann, Helmut Sakowski und anderen verwahrt.

Dieter Fechner

Raute

Begegnungen mit Alfred Wellm

Der Beitrag über Alfred Wellm im Dezember-"RotFuchs" hat in mir Begegnungen mit dem Schuldirektor und Schriftsteller wachgerufen. Am 9. Mai 1988 hatte ich als Leiter des Volkspolizeikreisamtes auf Veranlassung des Ministeriums des Innern der DDR Alfred Wellm eine freudige Botschaft zu überbringen. Er empfing mich voller Erwartung in seinem reetgedeckten Landhaus in Lohmen, Kreis Güstrow. Offenherzig sprach er über seine Entwicklung als Pädagoge und seinen schriftstellerischen Weg nach Jahren des Krieges und der Gefangenschaft.

Da erinnerte ich mich der ersten Begegnung mit ihm in den 50er Jahren im mecklenburgischen Dorf Dabelow, Kreis Neustrelitz. Ich war damals gerade 20 Jahre alt und sehr beeindruckt von Wellms politisch-pädagogischer Haltung, mit der er überzeugend die Erkenntnisse der sozialistischen Lern- und Aufbaubewegung in der jungen DDR vermittelte. Später hatten wir uns dann zunächst aus den Augen verloren.

Nach über 30 Jahren wollte es der Zufall, daß es an diesem herrlichen Maientag ein Wiedersehen gab. Gebannt lauschte ich Alfreds Worten. Es war ein Gedankenaustausch über die Entwicklung von uns beiden - für ihn zum Schriftsteller und für mich zum Offizier, was so wohl nur in der DDR möglich werden konnte. Diese Tatsache unter den Bedingungen der inzwischen wieder über uns gekommenen kapitalistischen Gesellschaft zu vergessen, wäre töricht. Nach fast zweistündigem Beisammensein übergab mir Alfred Wellm drei Bücher aus seinem literarischen Schaffen. "Dem Genossen Walter Krüger in Erinnerung an die Jahre in Dabelow", schrieb er in eines. Zum Geschenk gehörte auch der besonders bekannte Roman "Morisco".

Unter den neuen, für ihn nicht nachvollziehbaren Bedingungen verbrachte Alfred Wellm seinen Lebensabend zurückgezogen und abgeschottet von der Umwelt. Gequält von einer schweren Krankheit, wurde sein schriftstellerisches Wirken im Alter von 74 Jahren beendet. Mich hat dieser 2001 eingetretene Verlust betroffen gemacht.

Walter Krüger, Dudinghausen

Raute

Hörbuch Heidrun Hegewalds wird zum Hörvergnügen

Gewinn an Erkenntnis

Ein Hörbuch zu rezensieren ist eine ganz neue Erfahrung für mich. Der Ton ist flüchtig und erfordert volle Konzentration; das geschriebene Wort bleibt. Und: beim mehrmaligen Hören ist das Hörvergnügen keineswegs geschwunden; es wird größer, denn jedes Mal wird man bereiter für Zwischentöne, erkennt man Gemeinsamkeiten, ist es ein Gewinn an Erkenntnissen. Die Autorin liest selbst mit einer angenehmen Erzählstimme.

Das Hörbuch umfaßt drei CDs. Ein Beiheft von Angelika Haas gibt Auskunft über das Anliegen und die Biographie der Autorin. Abbildungen nach Gemälden, Zeichnungen und Graphiken von Heidrun Hegewald sind in eine anspruchsvolle Gesamtgestaltung einbezogen.

Sie spricht über ihre Kindheit, über prägende Erlebnisse und sucht den inneren Dialog mit dem Hörer. Sie läßt ihn teilhaben an ihren Reisen nach Griechenland und Irland; sie reflektiert ihre Eindrücke über die Natur, über das Sehen. Und immer wieder sind es Musik und Bewegung, die sie faszinieren.

Da sind sie wieder, die endlosen Nächte in muffigen, kalkigen Luftschutzkellern, angstvoll aneinandergedrückte Menschen, plötzliche Stille, atemloses Lauschen - und ohrenbetäubendes Inferno. Unvergeßlich! Ich gehöre zum Jahrgang 1937. Können das später Geborene heute noch verstehen? "Aus den Tiefen dunkler Erinnerungen" erschüttert mich ihr Bericht über eine tapfere Frau, die zwei verblendete Halbwüchsige in Nazi-Uniform, Panzerfäuste in den Händen, vor dem sicheren Tod rettet. Ihre Griechenland-Reise mit der Sängerin und Schauspielerin Gina Pietsch "malt" Heidrun Hegewald. Es ist eine "Weihe von Farben", die sie uns miterleben und spüren läßt. Ein wunderbares Verhältnis hat sie zum Wasser und zum Himmel. Es ist erstaunlich, die Natur mit ihren Augen zu sehen, ihre Empfindungen zu teilen.

Die Ostsee ist eine "späte Liebe". Auf ihrer Reise als "aktive Beifahrerin" erleben wir Heidrun Hegewalds "Denkbilder" über die Stadt Berlin, über "das atemberaubende Tempo, Lügen zu speien", über Graffiti-Schmierereien und ihre uneingeschränkte Hochachtung vor Rosa Luxemburg. Prägende Erfahrungen im Krieg ("Ich habe meine Kindheit an den Krieg verloren") lassen ihr den Frieden kostbar erscheinen, das unsinnige, verbrecherische Bombardement der Brücke von Varvarin aufs schärfste verurteilen. "Erinnerung ist geizig." Ihr bewunderter Onkel Karl, mit dem "Geistmakel" behaftet, wird Opfer der Euthanasie. Die arme irre Jüdin Gertrud, die - Psalmen singend - um die Morde der Nazis weiß, macht sie als Kind betroffen und nachdenklich, wenn sie ständig wiederholt: "Sagt doch lieber, ihr wißt es nicht!"

Begeistert begrüßt sie den Walkman, der ihr den geliebten Bach und Brahms "abrufbar" macht, der ihr auch die Macht gibt, Freude zu verschenken. Ein Besuch bei Pina Bausch im Tanztheater Wuppertal, die Einheit von Musik und Bewegung, vermittelt ihr Genuß, die "Weisheit der unaufhörlichen Neugierde" auf menschliche Beziehungen, den "Wunsch und die Angst, geliebt zu werden" und die Erkenntnis, daß "mehr Zeit als Verstand in der Welt" ist. Staunend und "guckend" sieht sie den Reichtum an Ausdruck und Körpersprache. Parallelen entstehen, z. B. zu ihren Bildern "Kind und Eltern" und "Die kleinen Tanzmeister".

Dann nimmt sie uns mit auf ihre Irland-Reise, in ihre "skandinavische Sehnsucht", ihre Munch-Verehrung.

Die letzte CD schildert u. a. das "Sprachsterben" in Deutschland. Vierzig Jahre "Einheit" haben in Deutschland die Sprache in "Ostisch" und "Westisch" geteilt. Sie verarmt, wird kolonialisiert. "Denken ist das Schweben einer Ahnung, die Halt auf Wörtern sucht." Die DDR war ein Leseland, auch wenn das heute geleugnet wird. Man kann sich "Mut anlesen". "Menschen ohne Hoffnung schreiben nicht nur keine Romane, sondern, und das trifft die Sache genauer, sie lesen auch keine."

Meine Begeisterung über das Hörbuch haben Sie gespürt. Hören Sie es an; es ist ein großer persönlicher Gewinn und ein treffliches Geschenk für gute Freunde.

Maria Michel

Heidrun Hegewald: Land - dreimal anderes. Erzählte Bilder. Hegewald liest Hegewald, Hörbuch. 25 €, ARTE-MISIA-PRESS, Berliner Kunstverlag, Königsheideweg 90, 12437 Berlin, ISBN 978-3-9812216-0-2

Raute

Erinnern an Alfred Andersch

Alfred Andersch, der als einer der wichtigsten kritischen Schriftsteller Nachkriegsdeutschlands gilt, ist vor dreißig Jahren, am 21. Februar 1980, in Berzona bei Locarno gestorben. Er, der Sohn einer bürgerlich-konservativen bayerischen Familie, wurde 66 Jahre alt. Zu seinen wichtigsten Büchern gehört die Novelle "Der Vater eines Mörders". Dieser auch heute noch in den Schulen gelesene Text, im Jahre 1980 postum erschienen, beschreibt das Leiden des jungen Alfred Andersch unter dem Sadismus seines Griechisch-Lehrers am Wittelsbacher-Gymnasium in München. Dieser autoritäre und menschenverachtende Lehrer erlangte traurigste Berühmtheit als Erzeuger eines der schlimmsten Verbrecher der Menschheitsgeschichte. Sein Name ist Joseph Gerhard Himmler; er ist der Vater von Heinrich Himmler - eben "Der Vater eines Mörders".

Anderschs eigener Vater, der schon im Jahre 1920 Mitglied der NSDAP geworden war, stirbt 1929 an den Folgen einer Kriegsverletzung aus dem 1. Weltkrieg. Der junge Alfred muß wegen seiner schlechten Schulnoten - gepeinigt vom Mördervater Himmler sen. - das Gymnasium verlassen. Er beginnt eine Buchhändlerlehre. Im Jahre 1930 wird Andersch Mitglied der KPD. Seine Parteiarbeit beginnt er sehr konzentriert und engagiert, er wird bereits im Alter von 18 Jahren Organisationsleiter des Kommunistischen Jugendverbands in Südbayern.

Andersch hat es der KPD nicht leicht gemacht. Leider war er weniger standhaft als viele Genossinnen und Genossen unter dem Faschismus. Nach dem Reichstagsbrand 1933 fällt er der faschistischen Verhaftungswelle zum Opfer und wird im KZ Dachau eingekerkert, gelangt aber nach drei Monaten wieder auf freien Fuß. Bei einer Razzia in einer kommunistischen Druckerei verhaftet man ihn erneut, er kann sich einer abermaligen Inhaftierung in Dachau jedoch entziehen.

Parteipolitisch blockieren Andersch diese schlimmen Erfahrungen, sie stürzen ihn in eine tiefe Depression. Der junge Mann zieht sich aus der Arbeit für die KPD zurück - sicherlich aus Angst vor weiterer Verfolgung und der drohenden Ermordung durch die Faschisten. Andersch wird im 2. Weltkrieg Wehrmachtssoldat und kann im Juni 1944 desertieren. Er gerät in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Die Fahnenflucht thematisiert er in seinem Roman "Die Kirschen der Freiheit".

Nach dem Krieg vertritt Alfred Andersch nach wie vor - wenn auch parteipolitisch nicht mehr organisiert - linke Positionen. Er ist Mitglied der "Gruppe 47". Freundschaftliche und literarische Bindungen pflegt er u. a. zu Johannes R. Becher. Seine politischen Äußerungen gegen den sich abzeichnenden Kalten Krieg führen schnell dazu, daß die amerikanische Besatzungsmacht ihm die Herausgeberschaft der wichtigen Literaturzeitschrift "Der Ruf" entzieht.

In den 60er Jahren engagiert sich Andersch gegen die Berufsverbote in der BRD und verläßt aus Protest gegen die reaktionäre Entwicklung dieses Land endgültig im Jahre 1972, um sich in der Schweiz niederzulassen, wo er bis zu seinem Tode lebte.

Dr. Frank Beckmann, Berlin

Raute

Als Archie nach den Sternen griff

Nachdem Archie in einer Kleinstadt Sachsens am Rande der Lausitz auf einem renommierten Gymnasium sein Abitur gemacht hatte, fragte er sich: Was nun? Er hatte eine sehr gute Ausbildung auf der Goethe-Oberschule erhalten. Im sprachlichen Zweig wurden Russisch, Englisch und Latein auf hohem Niveau unterrichtet, Deutsch und Geschichte sehr lebendig und anspruchsvoll dargeboten, auch wenn der Lehrer Abweichungen vom Lehrplan auf sich nahm. Kunsterziehung und Kunstgeschichte waren die Domäne des Direktors, der selbst malte. Ein älterer Studienrat und begeisterungsfähiger Künstler, vermittelte er die vielen Kunstepochen anschaulich und mit Temperament. Seine Vorliebe galt der Renaissance, vor allem Michelangelo. Der Musik- und Mathelehrer, übrigens ein guter Klavier- und Orgelspieler, war ebenfalls ein älterer Herr. Der Kriegsinvalide klappte öfter das Klassenbuch laut seufzend zu und ging mit den Schülern in die Aula. Dort spielte er ihnen Beethoven-Sonaten vor, um das Gehör zu schulen. Die Zöglinge saßen mucksmäuschenstill, wenn Dr. Mehlhose in die Tasten griff. Die Lehrer waren insgesamt recht kauzige Unikate, die aber ihre Schüler mit Respekt behandelten, für sich selbst diesen jedoch ebenfalls einforderten. Das funktionierte. Bevor Archie auf diese Oberschule kam, die einstmals als Lehrerseminar gebaut worden war, trug sie den Namen eines Nazis, der völlig unerheblich ist. Danach war sie eine Zeitlang namenlos.

Als Archie 1948 dann dort einrückte, wurde diese frühere Eliteschule gerade nach Goethe benannt, samt dem umliegenden Park. Man suchte einen Findling als Gedenkstein. Der wurde entdeckt, geliefert und vom Rektor begutachtet. So geschah es, daß dieser mitten in den Deutsch-Unterricht hineinplatzte, was er zuvor noch nie getan hatte. Die Faust erhoben, rief er: "Und wie der wuchtet!" Dann hielt er sich am Katheder fest und atmete schwer wegen des Laufschritts. Der stets etwas ängstliche Deutschlehrer griff nach dem Stuhl hinter dem Lehrertisch, plazierte den Rektor darauf und fragte: "Wer wuchtet?" Der Direx war der Meinung, der gelieferte Findling wuchte als Goethe-Gedenkstein kolossal. Alle strömten sofort in den Park zur Besichtigung. Einhellig war man der Meinung, der Stein sei wirklich eine Wucht, worauf der Direktor erklärte, was für eine Schrift er dafür im Auge habe. Die Schule war zufrieden, sogar die Parteileitung, obwohl es ein Alleingang des Direktors war. Die allgemeine Begeisterung für Kultur und Fortschritt kannte in dieser Zeit der frühen DDR keine Grenzen.

In der Schule wurden gute Voraussetzungen für ein späteres Hochschulstudium gelegt. Natürlich gab es auch eine gewisse Fluktuation, vor allem aus sozialen Gründen. Von über 20 nach 1945 in der Klasse angetretenen Schülern schafften nur 8 das Abitur. "Wenn unser Staat will, daß sich dieser ungute Zustand ändert, dann muß er unterstützend eingreifen und vor allem die sozial Benachteiligten in den Dörfern fördern", predigte Direktor Paul Kegel, Maler und Kunsterzieher von früh bis spät. Er handelte auch strikt danach.

Die Schule hob als eine der ersten die Zuzahlungen für die Internatsunterbringung auf, so daß Archie im Abiturjahr den langen Hin- und Rückweg nicht mehr bestreiten mußte. In Breslau, woher er ursprünglich kam, wäre er über die damalige Volksschule nicht hinausgekommen. So brauchte er in dieser Frage Schlesien keine Träne nachzuweinen. Damals hieß es nämlich, die Armen seien selber schuld an ihrer Unbildung, heute klingt es wieder so ähnlich. Armut sei eine Folge der mangelnden Unterschichtkultur und Arbeitslosigkeit, sie käme von zu geringer Bildung, tönt es fast täglich aus den TV-Kanälen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz, glaubt Archie. Bildung als Allheilmittel gegen die Krebsschäden der kapitalistischen Gesellschaft dürfte wohl kaum ein Erfolgsrezept sein und eher die Hühner zum Lachen bringen. Doch selbst die Bildungsministerin wird nicht müde, die Mär von der Chancengleichheit aller BRD-Schüler zu erzählen, wobei sie wie eine Märchentante lächelt. Die ist sie ja auch tatsächlich.

Als Archie an der Berliner Humboldt-Uni immatrikuliert wurde, kam ein hohes Studienpensum auf alle zu. Lernen, lernen und nochmals lernen! So lautete Lenins Devise. (Heute heißt es wohl eher: Lärmen, lärmen und nochmals lärmen.)

Das Diplom oder das Lehrer-Staatsexamen mußte in maximal vier Jahren erreicht sein. Danach gab es kein Stipendium mehr. Gut, daß Archie auf der Oberschule selbständiges Arbeiten gelernt hatte. Der Staat brauchte dringend Fachleute auf allen Gebieten, die Absolventen wurden von der Gesellschaft mit Kußhand genommen. Um alles im Lot zu halten, gab es eine Berufslenkungskommission, was sich heute antiquiert anhört. Es ging aber darum zu verhindern, daß alle akademisch Ausgebildeten in Berlin blieben. Auch beim Studium gab es Ausfälle. Manche klagten, der Ablauf komme ihnen wie eine verschärfte Oberschule vor, das Pensum sei zu starr, es mangele an Variationsmöglichkeiten.

Später sollte sich das ändern, z. B. bei der Wahl des Haupt- und des Nebenfachs. Archie wollte Slawistik als Nebenfach studieren. Aber das ging damals nicht. Dennoch wußten die jungen Leute, weshalb sie in die Hörsäle und Seminarräume strömten. Die junge DDR brauchte sie. So studierten sie nicht vor allem aus Gelderwerbsgründen. Heute geht es allein darum, die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und den Verwertungsinteressen des Kapitals entgegenzukommen.

Der seinerzeitige Bildungsbegriff war weit umfassender. Jetzt steht immer die brennende Frage: Was wird aus mir? Mit Master oder Dr. phil. in der Tasche - Taxi fahren oder auswandern, sich irgendwie anpassen oder irgendwo unterkriechen? Auf alle Fälle nicht links sein! Denn Linke müssen immer einen "Rucksack" tragen. Das ist Archies Erfahrung.

Dr. Gottfried Benn, Arzt und Lyriker sah das in der Weimarer Republik so: "Dumm sein und Arbeit haben, das ist Glück." Zu DDR-Zeiten verstand Archie diesen Spruch überhaupt nicht, inzwischen schon eher. Man braucht ja nur die Nachrichten einzuschalten.

Manfred Hocke


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Dieses "Bildungsgrab" haben die Besetzer der Münchener Ludwig-Maximilian-Universität errichtet. Die Aufnahme machte unser Leser und Autor Bernd Gutte aus Görlitz während des Bildungsstreiks der Studenten.

Raute

Leserbriefe an ROTFUCHS

Seit einigen Jahren lese ich bereits den "Rotfuchs". Dabei liegt mir eines am Herzen. Als 27jähriger gehöre ich jener Generation an, welche die DDR nur noch schwach in Erinnerung hat. Ich war zu jung, um ML in der Schule zu haben. Alles, was ich darüber weiß, hat mir mein Vater beigebracht. Manches habe ich mir im Selbststudium angeeignet. Daher kann ich mit vielen Begriffen (Klassenkampf, Ausbeuter, NÖP, Mehrwertgesetz usw.) etwas angefangen. Die meisten aus meiner Generation und Jüngere besitzen aber eine solche Vorbildung nicht und haben dadurch beim Lesen des RF sicherlich Probleme, Sachverhalte richtig zu verstehen. Meine Frage: Besteht nicht die Möglichkeit, eine Rubrik Marxistisches Grundwissen für Leute ohne Vorbildung auf diesem Gebiet einzuführen? Unser Ziel ist der Kommunismus, doch was das bedeutet, "erfahren" die meisten Jungen nur aus den Medien des Klassenfeindes.

Kai Bergmann, Mahlow


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Mit großem Interesse habe ich den Beitrag über das ehemalige Kraftwerk "Artur Becker" in Trattendorf gelesen. Von 1971 bis 1973 absolvierte ich dort meine Ausbildung zum Maschinisten. Es war eine der schönsten Zeiten meiner Jugend. Tolle, sehr interessante Jahre, hervorragende Lehrkräfte und ein Schulleiter, der begeistern konnte. In unserem Wohnheim am Artur-Becker-Ring ist niemals Langeweile aufgekommen.

Es gab unzählige Veranstaltungen sportlicher wie kultureller Natur. Auch das beheizte Schwimmbad hatte es uns angetan, das wir zu jeder Jahreszeit nutzten. Von den hübschen Mädels möchte ich gar nicht erst reden. Aus uns Jugendlichen wurden in Trattendorf gründlich ausgebildete Facharbeiter, denen das Rüstzeug auch in anderen Bereichen mitgegeben wurde. Unseren Urlaub konnten wir für einen Apfel und ein Ei in den betriebseigenen Ferienheimen an der Ostsee verleben, was wir reichlich nutzten.

Übrigens: In Trattendorf haben wir auch sehr viel über Geschichte und Kultur der Sorben erfahren. Ich bedaure es sehr, daß dieser hervorragende Betrieb - wie viele andere - plattgemacht wurde. Das Andenken an Artur Becker und das nach ihm benannte Kraftwerk werden mir immer in Erinnerung bleiben. Das können uns die Kapitalisten bei aller Hetze nicht nehmen.

Hans-Jürgen Langer, Pöhl


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Dem vom RF veröffentlichten "Prawda"-Artikel über Soja Kosmodemjanskaja möchte ich einige Gedanken hinzufügen. Zweimal war ich direkt mit diesem heldenhaften Schicksal konfrontiert. Im Sommer 1955 befand ich mich - noch von der KVP delegiert - gemeinsam mit vier anderen NVA-Politoffizieren als einer der ersten deutschen Hörer an der Militärpolitischen Akademie W. I. Lenin in der Nähe von Petrischtschewo. An der Minsker Chaussee hatte man ein Denkmal zu Ehren Sojas errichtet. Gemeinsam mit Offizieren anderer Bruderarmeen legten wir dort Blumen nieder und hatten ein Gespräch mit Augenzeugen der bestialischen Ermordung dieser jungen sowjetischen Frau durch die faschistische Soldateska. Es waren Bauern aus Petrischtschewo, die uns sehr eingehend befragten, wer wir seien und wie wir zur Sowjetunion stünden. Wir waren die ersten Deutschen, so versicherten sie uns, mit denen sie nach dem Großen Vaterländischen Krieg sprechen konnten.

Einige Jahre später - ich war inzwischen der verantwortliche Politoffizier der 9. Panzerdivision - erhielt eine Kaserne als erste in der NVA den Namen einer ausländischen Antifaschistin, den Soja Kosmodemjanskajas. Mit großer Freude konnten die Soldaten des Panzerregiments 22 Sojas Mutter - Ljubow Timofejewna - begrüßen. Sie hatte auch ihren Sohn Alexander - Panzerleutnant und Held der Sowjetunion - im Krieg verloren. Nie werde ich ihre Worte vergessen: "Wir müssen gemeinsam darüber wachen, daß es keinem jemals gelingt, unsere Freundschaft zu beschädigen und den mit so viel Blut unserer Völker errungenen Frieden zu gefährden."

Leider ist uns das nicht ganz gelungen. Wer aber solche Erlebnisse hatte - dessen bin ich gewiß - wird immer Freund der Völker der einstigen Sowjetunion bleiben und gegen die neuerlichen Kriegsgelüste deutscher Politiker kämpfen.

Vielen Dank für die Veröffentlichung des Artikels im RF.

Generalmajor a. D. Heinz Bilan, Leipzig


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Zur Klärung von Mißdeutungen: Wir erfuhren aus der Rubrik "Abgeschrieben" der "jungen Welt" (19. 1.) von einem Brief des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden (OKV) an den Bundesgeschäftsführer der Partei Die Linke. Dazu ist mitzuteilen: Der "RotFuchs"-Förderverein gehört diesem Kuratorium an. Doch ein solcher Brief ist nicht mit seiner Zustimmung abgesandt worden. Es handelt sich dabei offenbar um die persönliche Meinung der Unterzeichner, welche unkorrekt auf einem Briefbogen des OKV verschickt worden ist. Der Inhalt des Briefes entspricht nicht der Position des "RotFuchs"-Fördervereins.

Rolf Berthold, Berlin


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Frau Lay-Rudel hat in der Leserbrief-Rubrik des Januar-RF die Notwendigkeit einer völligen Aufklärung der Treuhand-Machenschaften betont.

Die VEB wurden in der Regel zu einem Negativpreis verkauft. Das heißt, dem Betrieb wurden diverse "Altschulden" meist in Milliardenhöhe, angehängt. Viele VEB, für die es ernsthafte Interessenten gab, machte man einfach platt oder stieß sie zum Preis von einer symbolischen Mark ab. Der sogenannte Käufer bekam dafür neben dem Grundstück, sämtlichen Maschinen und Patenten auch noch die Ferienanlagen des VEB an der Ostsee oder im Erzgebirge geschenkt.

Wir müssen endlich konsequent damit beginnen, alles, was mit dem Eigentum des Volkes der DDR geschah, aufzudecken. Die Eroberer haben sich ja auch das kommunale Eigentum, die Wohnungen, die Stromversorger, die Post, die Wasserbetriebe usw. illegal angeeignet. Das widerspricht nicht nur dem Treuhand-Gesetz, sondern auch Art. 134, 135 GG, demgemäß das Eigentum der Kommunen und Länder diesen gehört.

Die Betriebsdirektoren und Leiter wurden wegen angeblicher Unfähigkeit und SED-Zugehörigkeit rausgeworfen. Jeden Tag wickelte die Treuhand bis zu 20 VEB ab. Das Datenmaterial der DDR wurde in Containern in Großbeeren stationiert, wohin es 500 LKW einer privaten Firma 2007 brachten. 2011 soll es vernichtet werden. Es müßte dringend analysiert werden. Doch der Staat BRD hat daran kein Interesse. Meine Briefe an den Bundesfinanzminister und andere Regierungsmitglieder, in denen ich über Machenschaften der Treuhand beim Verkauf u. a. auch des Strumpfwarenwerkes ESDA berichtete, wurden entsprechend behandelt.

Dr. Helga-Helena Liebecke, Dresden


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Am Hindukusch, wo die freiheitlich demokratische Grundordnung der BRD an Ort und Stelle verteidigt wird, muß mehr getan werden. In der "Panorama"-Sendung des ZDF hatte unlängst ein Hauptmann d. R. seine Erfahrungen mit den afghanischen Partisanen bekanntgegeben. Jetzt sei die Zeit herangekommen, in der man "Schluß mit lustig" machen müsse. Die deutschen Soldaten würden durch die Taliban bei ihrem friedlichen Tagewerk, dem Auftrag der UNO gemäß, unablässig gestört. Ständig schlügen Raketen in ihre Festung ein, und in Gottes freier Natur, wenn sie z. B. auf der Suche nach Schlafmohnfeldern seien, würden sie durch herumschwirrende Geschosse verunsichert.

Hier sei bemerkt, daß PR-Burschen wie gewisse Fernsehkorrespondenten vor Ort bis 1945 PK-Frontberichterstatter hießen und dem Reichspropagandaministerium eines Dr. Goebbels unterstanden.

Es scheint, daß sich der Krieg in Afghanistan allmählich zu einem ähnlichen Desaster entwickelt, wie der vor Jahrzehnten durch die USA in Vietnam geführte Mordfeldzug, der mit einer vernichtenden Niederlage für die Aggressoren endete.

Dr. agr. Günther Freudenberg, Bernburg


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Die ISAF-Truppen in Afghanistan erlitten 2009 hohe Verluste. Offiziell starben 504 Militärpersonen. Davon waren 304 USA-Soldaten, doppelt so viele wie 2008. Unerwähnt bleiben die Verluste "privater Sicherheitsdienste" und der Geheimdienste. Hinzu kommen Hunderte Verwundete und Tausende Traumatisierte. Von den kriegstoten Afghanen wird kaum berichtet. Allein die Entscheidung eines deutschen Kommandeurs kostete 142 Menschen das Leben. Im Vordergrund der Kommentierung stehen jedoch nicht die Schuldfrage und die Verantwortung für den Massenmord. Demagogie und Verschleierung herrschen vor.

Exkriegsminister Jung verlor sang- und klanglos seinen Posten. Herr Guttenberg wechselte das Personal aus. Die Kanzlerin schlängelt sich durch, und SPD-Steinmeier, früher Verantwortungsträger, geht in Deckung. Hinter dieser Nebelwand vollzieht sich die deutsche Truppenverstärkung am Hindukusch. Die Berliner Politik folgt Washington in ungebrochener Nibelungentreue. Doch der Ruf nach mehr Truppen bestätigt nur das Scheitern der bisherigen Strategie. Während Kriegsminister Guttenberg die Frage des Rückzugstermins offenhält, schlagen die "oppositionellen" Sozialdemagogen der SPD zunächst weitere fünf Jahre Kriegsdauer vor.

Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin


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Einen Tag vor dem Erdbeben in Haiti wurde im Hauptquartier des US Southern Command (SOUTHCOM) in Miami ein Katastrophen-Hilfs-Szenario durchgespielt...

Einen Tag vor dem Erdbeben - am 11. Januar 2010 - war Jean Demay, der technische Direktor der Defense Informations Systems Agency (DISA), zufällig im Hauptquartier des US Southern Command zur Vorbereitung der Erprobung des Systems in einem Planspiel, das die Organisation von Hilfsmaßnahmen für Haiti nach einem Hurricane mit einschloß ..." Diese Feststellungen traf der kanadische Professor Michel Chossudovsky.

Ausgerechnet dieses pentagongestützte DISA-System leitet jetzt sämtliche "Hilfsmaßnahmen" der USA. Deren erste waren die Besetzung des Präsidentenpalastes und die Errichtung einer totalen Kontrolle über den Flughafen, was die Entscheidung über Landegenehmigungen einschließt.

Hartmut Barth-Engelbart, Internet


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Rund 270 Gäste hatten den Weg zur RF-Veranstaltung am 27. Januar in der Rostock-Lichtenhagener Gaststätte "Nordlicht" trotz ungünstiger Wetterlage gefunden. Die Erwartungen der Teilnehmer waren gewiß sehr unterschiedlich, aber das Interesse an den Ausführungen von Egon Krenz war mit Sicherheit sehr groß. Einleitend machte Harry Machals, Leiter der RF-Regionalgruppe Rostock, darauf aufmerksam, daß Egon Krenz nun schon zum dritten Mal Gast einer der inzwischen über 60 Veranstaltungen der Rostocker RotFüchse sei. Anfangs habe man 34 Teilnehmer gezählt. Seither sei das Bedürfnis nach qualitativ wertvoller politischer Bildung stetig gewachsen. Egon Krenz sprach über das brisante Thema: "Zum Umgang der BRD mit der Geschichte der DDR".

In seinen Ausführungen würdigte er den beeindruckenden Weg der DDR, sparte aber auch nicht mit Selbstkritik. Den Werktätigen sei das Bewußtsein, selbst Eigentümer der Produktionsmittel zu sein, ungenügend vermittelt worden. Das habe sich nicht zuletzt an der Tatsache ablesen lassen, daß die Arbeitsproduktivität der DDR deutlich unter jener der BRD gelegen habe. In diesem Zusammenhang wurde aber auch betont, daß die Strukturen in den Betrieben der DDR verglichen mit denen der BRD wesentlich sozialer ausgerichtet gewesen seien. Das habe sich u. a. in der Eigenverantwortung für die Kindergärten, die medizinische Versorgung der Werktätigen, das Betriebsessen und die Ferienobjekte gezeigt.

Carsten Hanke, Lambrechtshagen


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Am 1. Dezember 2009 fand im Greifswalder Literatursalon eine zweite Buchlesung mit Egon Krenz statt. Diesmal ging es um "Gefängnisnotizen". Wie im Vorjahr war der für seine kulturelle Vielfalt bekannte Salon mit über 100 Besuchern voll ausgebucht. Neben jenen, welche eine "normale" Lesung erwarteten, waren auch etliche der Erschienenen an zusätzlichen Auskünften des letzten DDR-Staatsratsvorsitzenden interessiert.

Nach der negativen Berichterstattung der lokalen Medien - auch ein Rundfunkreporter war anwesend - erfolgte drei Wochen später die Kündigung der WGG Greifswald als Vermieter für die Betreiber des Literatursalons. Die offizielle Begründung lautete, "eine bessere wirtschaftliche Nutzung" der Räume und das Ende der Beschwerden von Mietern über zu laute Musik erreichen zu wollen. Der aggressive Ton gewisser Publikationsorgane ("Die Strukturen des Literatursalons sollten hinterfragt werden.") zeigt indes, was tatsächlich hinter der Auseinandersetzung steckt. Das allgemeine Interesse in den Greifswalder östlichen Stadtvierteln am Erhalt des Literatursalons ist daran zu messen, daß bis zum 10. Januar die Berichte darüber in der Internet-Ausgabe der Ostseezeitung fast 700mal angeklickt worden sind.

Dr. Dieter Krause, Greifswald


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Liebe Füchse, sicher habt Ihr den Artikel von Inge Viett in der jW vom 26.1. gelesen. Zu solchen Gedanken sind die Nachfahren Oskars natürlich nicht fähig. Die "machen derweil weiter Politik", geben sich keine "Blößen", "warten ab", "legen sich nicht fest", "suchen Kompromisse". Und da kommt eine Inge Viett und sagt ganz schlicht, was Sache ist.

Walter Ruge, Potsdam


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Mir hat es besonders Tucholskys Monolog "Ein älterer, aber leicht besoffener Herr" angetan. Vor jeder Wahl höre ich ihn mir an.

Wolfgang Clausners "Gretchenfrage" im Dezember-RF hat mich erneut daran erinnert. Nicht etwa, daß die Frage einer Regierungsbeteiligung durch "Die Linke" oder deren Verhältnis zur SPD unwichtig wären. Schon Lenin hat ja nach Kräften das Für und Wider abgehandelt. Und ich will auch nicht all die ernsthaften Erörterungen dazu geringschätzen. Bloß manchmal, wenn mir die Nabelschau zu viel wird, denke ich an Kurt Tucholsky, der im erwähnten Monolog einen älteren, leicht besoffenen Herrn, einen selbständigen Gemüsehändler, zur Wählbarkeit der SPD sagen läßt: "Ich werde wahrscheinlich diese Pachtei wähln - es is so ein beruhjendes Jefiehl. Man tut wat vor de Revolutzion, aber man weeß janz jenau: Mit diese Pachtei kommt sie nich. Und das is sehr wichtig fier einen selbständjen Jemieseladen!"

Wolfgang Kroschel, Cottbus


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Ein Hinweis zum Artikel "Paul Robeson in Peekskill": Martin Schwander veröffentlichte im Neue-Impulse-Verlag das Buch "Paul Robeson - Eine Biographie" über den großen Humanisten, Sänger und Schauspieler. Es ist sehr empfehlenswert.

Gunter Heinemann, Seggiano/Italia


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Wir sind durch gute Freunde zu ständigen Lesern des "RotFuchs" geworden. Jede Ausgabe ist von Anfang bis Ende hochinteressant und entspricht genau unseren Vorstellungen. Danke auch für den Kalender. Einen Termin suchte ich allerdings vergebens: den Gründungstag der Roten Armee am 23. Februar. Unserer Meinung nach ist das ein sehr wichtiger Termin, zumal man diese siegreiche Armee aus Deutschland regelrecht vertrieben hat. Was geschah hingegen mit den anderen Armeen, die Deutschland 1945 besetzt hatten? Zum 65. Jahrestag der Befreiung Deutschlands wird es ja genügend Anlaß geben, die sowjetische Befreierarmee zu würdigen.

Doris und Peter Moritz, Schorfheide


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Kuba steht für Solidarität. Das weiß man auch bei Politikern und Journalisten in aller Welt. Dennoch können es bestimmte Leute wie die UNICEF-Botschafterin Sabine Christiansen in Anne Wills Sendung über Haiti nicht lassen: "Kuba ist Nachbarinsel, und da hört man gar nichts von Hilfe und Ärzten", tat die Dame kund. Das ist gezielte Desinformation.

Man sollte Fidel Castro im Internet lesen: "Rund 400 Ärzte und Spezialisten aus dem Gesundheitswesen offerieren dem haitianischen Volk unentgeltliche Dienste, und zugleich sind nicht weniger als 400 junge Haitianer in unserer Heimat als Ärzte ausgebildet worden. Sie werden jetzt mit den Verstärkungskräften zusammenarbeiten, die gestern aufbrachen ... Infolgedessen können ohne besonderen Aufwand bis zu 1000 Ärzte und Gesundheitsspezialisten mobilisiert werden ..." Das ist nur möglich, da Kuba als einziges Land der Welt über ein speziell ausgebildetes Ärztekontingent verfügt, welches dann mit Ländern zusammenarbeitet, wenn sie durch Naturphänomene des Schweregrades wie Katharina 2005 in den USA betroffen sind.

Überdies hat Havanna den USA gestattet, für Hilfsflüge in die haitianische Erdbebenregion den kubanischen Luftraum zu nutzen. Dadurch wurden etwa 90 Minuten gewonnen.

Es bleibt dabei: Kuba ist ein kleines Land mit einem großen Herzen.

Karl Scheffsky, Neubrandenburg.


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Seit einigen Jahren bin ich Bezieherin des RF. Als ehemalige Kulturredakteurin lese ich besonders gern Ihre Beiträge über Schriftsteller und andere Berichte zu kulturellen Themen. Auch bin ich Fan der Archie-Beiträge, an denen mir besonders der gute literarische Stil gefällt.

Gisela Wagner, Berlin


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Ich hatte die Dreistigkeit, bei Merkel anzufragen, ob sie mir mal erklären könne, warum sie ihre frühere FDJ-Tätigkeit aus der eigenen Vita streichen ließ. Die DDR habe ihr doch das Rüstzeug für die Karriere mitgegeben. Sie möge mir bitte sagen, warum sie sich nicht dafür schämt, heute den Staat zu verleumden, der ihr eine kostenlose Ausbildung ermöglichte und somit den Weg ins Leben ebnete. Auch Wessis (wie ich) nannten und nennen Charaktere wie die Kanzlerin immer noch Charakterschweine. Ob sie sich selbst so empfinde, wenn sie in den Spiegel schaue, wollte ich wissen.

Komisch, ich bekam keine Antwort ...

Erich Kronschnabel, Leipzig


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Ich gliedere die Partei Die Linke in etwa vier Gruppen.

Erstens: die DDR-Treuen, also jene, welche genau wissen, wie das Leben in der DDR und was im Vergleich mit dem uns übergestülpten System eindeutig besser gewesen ist. Das normale Leben war von Ängsten befreit.

Zweitens: die Postenjäger. Hier tun sich einige etwas jüngere Funktionsträger aus den sogenannten neuen Bundesländern besonders hervor. Sie tendieren eher zu sozialdemokratischen Positionen, wobei unklar ist, ob zu Brandt oder zu Schröder. Von denen ist weder für das "Ostvolk" noch für arme Leute im Westen etwas zu erwarten. Menschen dieser Art wollen und können nicht gegen das kapitalistische System kämpfen.

Drittens: die von SPD und Gewerkschaften verärgerte Klientel aus dem Westen, die mehrheitlich nichts mit DDR und SED zu tun haben will. Sie möchten ihre alte, vor der "Wende" und im Rahmen der Systemkonkurrenz gewollte und gekonnte bessere Sozialität wiederhaben. Immerhin gibt es hier in Bayern etliche, die im Ergebnis der Systemkonfrontation zu Haus und Geld gekommen sind.

Viertens: die Revolutionäre aus dem Westen, die an keine Regierungsbeteiligung denken, und jene aus dem Osten, die sagen, der Sozialismus müsse nur besser gemacht werden als vor 1989/90. Beide wollen das bekämpfen, was ist.

Ich kann mir nicht vorstellen, daß das alles zusammenpaßt. Es sei denn, man verständigt sich auf einen gemeinsamen Nenner, der da heißt: ein Minimum an sozialer Gerechtigkeit wie Mindestlohn durchzusetzen, weg mit Hartz IV, weg mit Rente ab 67, raus aus Afghanistan!

Werner Vanselow, Ebensfeld (Oberfranken)


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Eine 20 Jahre erlebte Wirklichkeit hat in großen Teilen der ostdeutschen Bevölkerung eine positive Rückerinnerung an die DDR bestärkt. Das ist sogar Herrn Gauck aufgefallen, der anläßlich des Jahrestages der "Erstürmung der Stasi-Zentrale" in Berlin darauf verwies. Er habe erlebt, daß Gymnasiasten, obwohl erst nach der "Wende" geboren, die DDR als den sozialeren deutschen Staat beurteilten.

Die Gaucks, Birthlers und Knabes sollten zur Kenntnis nehmen, daß wir nicht bereit sind, die politische Meinungsbildung unserer Kinder und Enkel den kalten Kriegern zu überlassen.

Übrigens gibt es jetzt bemerkenswerte Buchveröffentlichungen, wobei sich Autoren ehrlich und verantwortungsvoll mit der deutsch-deutschen Geschichte und der heutigen Wirklichkeit auseinandersetzen. Ich will nur einen von ihnen nennen: Heinz Florian Oertel in "Pfui Teufel!"

Herrn Gauck ist zu empfehlen, seine Vorträge über den Unrechtsstaat DDR und die jetzige große Freiheit der Abwechslung halber einmal vor den 27.000 Obdachlosen und den mehr als 100.000 Tafelbedürftigen in Ostdeutschland zu halten.

Erich Niejaki, Harzberg OT Blumberg


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Aus dem Kulturausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses wurde vermeldet, alle Parteien mit Ausnahme der FDP hätten ein "Zentrum für Widerstands- und Oppositionsgeschichte gegen die SED-Diktatur" zu errichten gefordert.

Gleichzeitig erleben wir eine Zuspitzung der Angriffe auf die Rechte der Lohnabhängigen, Erwerbslosen, Rentner und Versicherten.

Von Obdachlosigkeit sind allein in Berlin nach offiziellen Angaben 10.000 Menschen betroffen. Die Dunkelziffer wird von den Wohlfahrtsverbänden weit höher angesetzt. Etliche können den Arzt nicht aufsuchen, weil sie außerstande sind, die Praxisgebühr zu entrichten. Medien berichten von Schlangen vor den Lebensmittelausgabestellen und Suppenküchen. Unter den Wartenden befinden sich viele Kinder. Hunderttausende Kinder und Jugendliche der bundesdeutschen Hauptstadt gelten als arm. Immer wieder werde ich in Supermärkten mit der Aufforderung konfrontiert, für Notleidende ein Stück mehr zu kaufen und in einen Wagen am Eingang der Halle zu legen. Als ob das an der Situation der Betroffenen etwas ändern würde!

Werner Rubisch, Berlin


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Auch nach 20 Jahren zeigt die "Stasi-Keule" noch immer Wirkung, obwohl es ja inzwischen viel interessanter wäre zu erfahren, wer eigentlich die V-Leute des Verfassungsschutzes sind, ob es dort auch Aktenberge gibt und man diese einsehen kann. Die ständige Hetze gegen die DDR, die sich bis zum 3. Oktober noch steigern wird, veranlaßte mich schon immer, kritische Beiträge zu ihr skeptisch aufzunehmen, selbst wenn ich mit dem Inhalt übereinstimmte. Bei dem RF-Artikel (Januarausgabe) von Oberst a. D. Dr. sc. Horst Österreich ist das anders, zumal er bei aller berechtigten Kritik auch die positiven Seiten der DDR aufführt.

Übrigens habe ich während einer Reservistenausbildung bei der NVA 1972 erlebt, daß die militärische Unterweisung zwar konsequent durchgeführt, auf ideologische Klarheit aber nicht geachtet wurde. Im Politunterricht konnten die Soldaten den größten Unsinn erzählen.

Dr. Kurt Laser, Berlin


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Vielen Dank für den "RotFuchs". Es ist für mich eine große Genugtuung zu wissen, daß es landesweit viele Bürger gibt, welchen Gerechtigkeit, Wahrheitsliebe sowie wirkliche ethische und moralische Werte noch Herzenssache sind, die dafür kämpfen und sich dafür einsetzen. Dies bestärkt mich auch in meinem eigenen Eintreten gegen die Willkür, die Herrschsucht, die Ignoranz und die Ausbeutung in dem System, unter dem wir derzeit leben müssen.

Torsten Barucki, Gävernitz


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Ich muß den Lesern des RF ja nicht erzählen, was uns in diesem abermaligen "Jubiläumsjahr" vom "Westen" und dessen Repressionsapparat erwartet. Noch fehlt die organisierte Gegenmacht. Inzwischen hat der Klassenfeind seine Diktatur so eingerichtet, daß ihm auch der Schritt zu faschistoiden oder faschistischen Verhältnissen jederzeit möglich wäre.

Ich betrachte den "RotFuchs" als ein Blatt, das in der Bündelung der antifaschistischen Gegenkräfte heute eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Was die Zeitung als kollektiver Propagandist, Agitator und Organisator betrifft, so bleiben wir auch hier Lenin treu, obwohl der RF ja kein Parteiorgan ist.

Konrad (Konny) Zink, Berlin


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Ich würde alle Soldaten warnen, sich vor den mörderischen Karren der "neuen Afghanistanstrategie" der Bundesregierung spannen zu lassen, egal wie gut der Einsatz bezahlt wird. Das Massaker wird so lange anhalten, bis der letzte Afghane, der seine Heimat gegen fremde Besatzer verteidigen will, ermordet worden ist.

Meine Mutter verlor in Hitlers verbrecherischem Krieg ihre drei Söhne, ich meine drei Brüder! Damals starb man für "Führer, Volk und Vaterland". Wofür stirbt ein Bürger der Bundesrepublik heute beim "Engagement" am Hindukusch?

Elisabeth Monsig, Schwedt


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Das "Fest der Freiheit" ist Geschichte. Und das ist auch gut so. Doch der 20. Jahrestag des Anschlusses wirft bereits seine Schatten voraus. So wird das, was gerade etwas abgekühlt ist, in diesem Jahr aufs neue aufgewärmt. Ein ehemaliger FDP-Justizminister gab einst die Parole "Delegitimierung" aus. Danach wird verfahren.

Es geht darum, alles zu beschmutzen, was die DDR an Vorbildlichem aufzuweisen hatte. Da ist Ernüchterung bei vielen Menschen im Osten eingekehrt, erweist sich doch das meiste in der BRD als schillernde Fassade. Nicht der Mensch, wie wir es kannten, steht im Mittelpunkt. Ihr alleiniger Gott ist das Geld.

Alles, was den wirklichen Wert im menschlichen Leben ausmacht, ging verloren, und jeder muß jetzt selber sehen, wo er bleibt. Das einzuordnen vermag nur jener, welcher hier gelebt hat. Zeitzeugen, die aufschreiben, wie es wirklich war, sind mehr denn je gefragt - vor allem, um das Gestern und Heute gegenüberzustellen und miteinander zu vergleichen.

Das Raubtier Kapitalismus fletscht die Zähne, die Verdummungsmaschine läuft auf Hochtouren. Es ist so kalt in diesem Land.

Werner Juhlemann, Geithain


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Es vergeht kaum ein Tag ohne abendländische Belehrungen über die DDR und den Sozialismus. "Geschichtslehrer" wie Guido Knopp vom ZDF oder Bundespräsident Horst Köhler vermitteln uns früheren DDR-Bürgern in den Medien zwar keine Anregungen zum Nachdenken, teilen uns dafür aber mit, was wir als Wahrheit zu verstehen hätten. Das ständige Gezeter über die "furchtbare" DDR und die angeblich völlig irrealen Sozialismusvorstellungen scheint 20 Jahre nach dem Anschluß der DDR an die BRD zur unverrückbaren Ausgangslage jeglicher Meinungs- und Geschichtsbildung zu gehören.

Der 3. Oktober 1990 war nicht das Ergebnis einer friedlichen Revolution, sondern einer scheinbar unblutig verlaufenen Konterrevolution. Nur das einheitliche Handeln der politischen Linkskräfte und der Gewerkschaften vermag hier etwas zu bewegen.

Mario Kettler, Reichenbach


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Auch die kleinen Parteien bringen in die schwarzgelbe Koalition etwas ein, selbst wenn es unsinnig und kontraproduktiv ist. Die FDP tut sich mit der längst ad absurdum geführten Steuersenkung als angeblicher Wachstumsbeschleuniger (in Wahrheit: Wahlköder für die Deppen - mehr Netto vom Brutto) hervor. Und die CSU bietet ihre antiquierte Vorstellung von Familienerziehung mit Betreuungsgeld (Herdprämie) für die züchtige Hausfrau an, die ihre Kinder zu Hause behält.

Nach Aussage von CSU-Landesgruppenchef Friedrich sollen Eltern mit dem Betreuungsgeld "eine kleine Anerkennung für das bekommen, was sie da leisten". In Wirklichkeit ist es eine Prämie dafür, daß die Mutti ihre Kleinen nicht in Kindereinrichtungen schickt. Bayerns Familienministerin Christine Haderthauer (CSU) bekräftigt ihre Forderung nach Barauszahlung des geplanten Betreuungsgeldes: "Ich will die Entscheidungsfreiheit im Kopf." Ja, wo trifft man denn in Bayern sonst seine Entscheidung? Damit die Eltern die von der CSU gewünschte Entscheidung (im Kopf) treffen, muß man die Köpfe erst einmal anständig vernebeln. CSU-Generalsekretär Dobrindt zufolge ist es eine "völlig verfehlte Uraltdenke, daß der Staat den jungen Familien ihre Kindererziehung vorschreiben kann". Es gehe deshalb "jetzt um echte Wahlfreiheit, ob sie ihre Kinder zu Hause erziehen oder in die Betreuung geben". Dieser "Logik" zufolge schreibt der Staat den Eltern ihre Kindererziehung dann vor, wenn er für alle Kinder im Vorschulalter ausreichend Plätze zur Verfügung stellt. Dann haben sie keine "echte Wahlfreiheit" mehr. Die haben Eltern nach CSU-Diktion nur, wenn sie zwischen Kinderbetreuung und Herdprämie wählen können.

Im angeblich völlig maroden und menschenverachtenden Unrechtsstaat DDR gab es ausreichend gut ausgestattete Kinderkrippen und Kindergärten für alle Kinder. Allein zur Betreuung der Jüngsten in den Kinderkrippen standen 1989 mehr als 90.000 ausgebildete Kräfte zur Verfügung.

Dr. Gerhard Ferchland, Ahrensfelde


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In unserer regionalen Tageszeitung "Freies Wort" schreibt ein Dr. Bilke aus Coburg: "Der vielgepriesene Antifaschismus war eine DDR-Legende." Dieser Beitrag gipfelt in der Behauptung: "Es wimmelte von Altnazis nicht nur in der SED ..." Diese Klischees begleiten uns nun schon fast 20 Jahre. Mag sein, daß die DDR mit kleinen Nazis und Mitläufern nicht so hart ins Gericht gegangen ist. Man gab ihnen Gelegenheit, sich in die neue Gesellschaft einzufügen. Nazi- und Kriegsverbrecher dagegen wurden streng bestraft. Die BRD nahm mit Artikel 131 GG aus dem Jahre 1951 die meisten Beamten der faschistischen Diktatur unter ihre Obhut. Viele Nazigrößen und überführte Verbrecher brachten es bis in höchste Ämter. Baden-Württembergs Ministerpräsident Filbinger war da nicht ganz untypisch. Die Aufstellung der Bundeswehr erfolgte 1956 direkt durch die belasteten Hitlergenerale Heusinger, Kammhuber und Speidel. Der zuletzt Genannte wurde am Ende mit dem Titel eines Oberkommandierenden der NATO-Landstreitkräfte in Europa bedacht.

Globke, Kommentator der Auschwitz vorbereitenden Nürnberger Rassegesetze, war Adenauers graue Eminenz. Der bekannte Strafverteidiger Rolf Bossi konstatierte: "Die deutschen Richter, Staatsanwälte und Justizbürokraten hatten sich nahezu vollständig der NS-Diktatur angedient. Sie hatten tausendfach Unrechtsurteile gesprochen, Mord- und Völkermord legitimiert. Doch keiner von ihnen wurde deswegen nach deutschem Recht verurteilt. Kein Nazijurist hat je seine Schuld in einem (bundes-)deutschen Gefängnis abgebüßt. Welch eine Schande für unser Land!"

Hans Linke, Suhl


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Ich will hier an den zurückliegenden 25. Jahrestag der legendären Rennschlitten- und Bobbahn Altenberg (RSBB) erinnern, der in der Fülle angeblicher und echter Jubiläen der zurückliegenden Periode faktisch untergegangen ist. Dieses offiziell kaum erwähnte Datum hätte es ohne die DDR nie gegeben. Parallel zur Planung der künstlichen Eisrille im Altenberger Kohlgrund wurden sehr umfangreiche Erschließungsmaßnahmen erforderlich. Sie konnten durch die Betriebe des Bezirks Dresden nicht allein realisiert werden. Um die rechtzeitige Vorbereitung der DDR-Teilnehmer auf die seinerzeitige Winterolympiade in Calgary zu gewährleisten, mußten kurzfristig zusätzliche Baukapazitäten erschlossen werden. So kamen Soldaten der Pioniertruppen aus Pirna, Angehörige der Dresdner Bereitschaftspolizei, Straßenbaupioniere und Soldaten des MfS-Wachregiments "F. E. Dzierzynski" bis zur Herstellung der Trainingsbereitschaft im September 1983 und danach bis zur Objektfertigstellung im Dezember 1984 zum Einsatz.

Die Rennschlitten- und Bobbahn Altenberg ist eine sportlich anspruchsvolle Anlage, die mit ihren 1413 m Länge, 122 m Gefälle und 17 Kurven allen Anforderungen für den Trainings- und Sportbetrieb entspricht. Die DDR schuf damit für die Wintersportler im Osterzgebirge eine einzigartige Einrichtung. Mit ihrer Zerschlagung im Jahr 1990 wurden nicht nur die Träger der Großsportanlage wie die SG Dynamo Zinnwald aufgelöst, sondern mit der Stillegung der Zinnerzgewinnungs- und -aufbereitungsanlage Altenberg sollte es nach dem Willen der BRD auch ein Aus für die RSBB Altenberg geben. Zehn Jahre lang war deren Schicksal ungewiß, erst 2000 besann man sich im Freistaat Sachsen auf die Existenz dieses modernen und international bekannten Objekts. Dennoch vermeidet man bis heute die Erwähnung der Tatsache, daß es die DDR war, welche die RSBB geplant und gebaut hat.

Armin Lufer, Berlin


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Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hob für die Winterspiele in Vancouver als Zielstellung hervor, die BRD müsse die Nationenwertung gewinnen. Der "Jagd nach Medaillen" werde seitens der Politik "für die Einflußnahme auf die gesellschaftliche Psychologie eine hohe Bedeutung beigemessen". In der "Thüringer Allgemeinen" las man: "Mancher fühlte sich an die DDR erinnert." Die hätte ihre Medaillen ja auch sehr ernst genommen. Ein gewisser Sergej Lochthofen bemerkte dazu: "Ich glaube nicht, daß das der Sinn ist, warum wir das machen. Wir wollen einfach einem kleinen Bundesland, das wir sind, zu ein bißchen Selbstbewußtsein verhelfen."

Im Gegensatz zu den Versuchen, den Sport als internationale Erscheinung in den Dienst einer nationalistischen Ideologie und Politik zu stellen, hatte die DDR die Länderwertung als Symbol der Gleichberechtigung der Sportler unterschiedlicher Staaten und Kontinente verteidigt. Sie diente zur Kontrolle des Einwirkens sozialer Faktoren auf Talente und leistungsmotivierte Sportler sowie der Maßnahmen, um Leistungsvermögen zu entwickeln, zu entdecken und schließlich zu fördern. Mittlerweile liegen uns Leistungsergebnisse aus über 40 Jahren vor.

Gab es in den sechs Olympiazyklen 1968 bis 1988 noch 45 Athleten und Athletinnen, die in Thüringens Paradesportart, dem Eisschnellauf, für die olympischen Wettkämpfe ausgebildet und vorbereitet werden konnten, so waren es in den vergleichbaren Olympiazyklen 1992 bis 2010 noch 38.

Während an den nationalen Rekordentwicklungen im deutschen Eisschnellauf in den Olympiazyklen 1968 bis 1988 über 60 Sportler teilhatten, verringerte sich die den Leistungsfortschritt tragende Sportleranzahl in den vergleichbaren Olympiaden von 1992 bis 2010 (also zu BRD-Zeiten) um über 30 Sportler oder 66 % dramatisch. Fachleute wissen, daß es sich bei der Verringerung um ernste Anzeichen dafür handelt, daß die Gesellschaft nichts leistet.

Manfred Wozniak, Erfurt

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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2010