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ROTFUCHS/105: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 151 - August 2010


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

13. Jahrgang, Nr. 151, August 2010



Inhalt
Die "Mauer": Das häßlichste und notwendigste Bauwerk der DDR
Gabriele Senft: Bilder einer Magdeburger Ehrenbürgerin
Angela Davis sagt danke für die Rosen
"Thälmann-Report" erschienen
Wie ist das mit der Dialektik?
Deutsche Zweistaatlichkeit ging vom Westen aus
Spekulationsblasen ohne Ende
"Krieg ist Frieden"
Christa Müller: Gemustert
Der Grog des Hiddensee-Fischers Thürke
Deutscher McCarthy: Joachim Gauck
Zwei Seiten einer Medaille
Schweizer wählte Standort für Berliner Fernsehturm
Dormagen: Stolpern über Stolperstein
Sachsen verhöhnt Opfer der NS-Militärjustiz
Anzapfen von Legitimitätsreserven?
Hobsbawms "undogmatischer Marxismus"
FDJ-Agitatorin Merkel: Eine Vier in ML?
RF-Extra Neubeginn in schwerer Zeit
Zum 65. LDPD-Gründungstag
RF-Extra Die Liberale Internationale destabilisiert Lateinamerika
Am deutschen Wesen soll die Welt genesen
Pokerspiel um den Zwei-plus-vier-Vertrag
Washingtons Atombombendrohung im August 1961
1932: Ford-Hungermarsch auf Detroit
Überbordender Religionschauvinismus
Grenada: Glut unter der Asche
Warum 1944/45 in Italien keine revolutionäre Situation entstand
Ein Hartz-IV-Empfänger als Romancier
Aus Hellges Anekdotenkiste
Insel der Morgenröte
Kein Lehrplan ohne "Käuzchenkuhle"
Ein Foto aus Leipzig
Hans Marchwitza: Schlacht vor Kohle
Archie und die Glaubwürdigkeit
Leserbriefe
Grafik des Monats

Raute

Hundte, die bellen, beißen auch

Und was immer ich auch noch lerne, das bleibt das Einmaleins: Nichts habe ich jemals gemeinsam mit der Sache des Klassenfeinds." Brechts Zeilen bergen - wie die Amerikaner sagen - "the whole truth in a nutshell - die ganze Wahrheit in einer Nußschale. Konzentrierter könnte man den unüberbrückbaren Graben zwischen den Klassen in der kapitalistischen Gesellschaft wohl kaum beschreiben.

Nun meinen manche - darunter auch solche, die links blinken und rechts abbiegen -, heutzutage stünden eher Klassenharmonie und Anpassung als Klassenkampf auf dem Programm. Konfrontation sei ein Rezept vergangener Tage. Ziel müsse es vielmehr sein, die von den Kommunisten ausgehobenen Gräben zwischen Besitzenden und Besitzlosen zuzuschütten und das "allgemein Menschliche" in den Vordergrund zu stellen. Begriffe des im 19. Jahrhundert entstandenen Marxismus wie Bourgeoisie und Proletariat seien angesichts der "sozialen Marktwirtschaft" und des "Sozialstaates" ideologische Muster ohne Wert.

Reformistischen Trommelwirbel dieser Art vernimmt man nicht nur aus der Ecke der SPD, sondern leider auch aus weiter links angesiedelten politischen Quartieren. Betrachten wir die Sache bei Licht: Wie verhält es sich seit 1945 mit den Klassen und dem Klassenkampf auf deutschem Boden?

Die 1990 von der BRD annektierte DDR stützte sich Zeit ihrer Existenz auf die politische und ökonomische Macht von Arbeitern und Bauern. Deren Staat verleugnete niemals seinen Klassencharakter und ergriff offen Partei für jene, welche von ihrer Hände oder ihres Kopfes Arbeit leben. Im Osten Deutschlands wurden die vom Kapital hinterlassenen sozialen Gräben eingeebnet, nachdem Fabrikherren, Bankiers und Gutsbesitzern der Boden entzogen worden war. Im Westen blieb die auf Ausbeutung der einen durch die anderen beruhende unüberwindbare Kluft bestehen.

Der dort die Macht ausübende Klassenfeind attackierte seinen östlichen Widerpart und dessen ausbeutungsfreie Gesellschaft von Beginn an mit Feuer und Schwert. Dabei orientierte er sich auf ihm zugängliche Bevölkerungsteile der sozialistischen Staaten.

Diese Runde der Geschichte ging aus inneren und äußeren, politisch-ideologischen und finanziell-ökonomischen Gründen an die Gegner des Neuen. Die DDR fiel unter die Räuber. Das Kapital ließ seine Hundte von der Kette.

Für jüngere Menschen sozialistischer Staaten war der Klassenfeind etwas Imaginäres. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit jungen sowjetischen Frauen, denen ich 1957 auf einer Touristenbasis des Komsomol im kaukasischen Pizunda begegnete. Die stupsnasige Moskauerin Natascha fragte mich unvermittelt, ob ich schon einmal einem "richtigen Kapitalisten" begegnet sei. Als ich bejahte, wollte sie wissen, wie dieser denn ausgesehen habe. Sollte sie noch am Leben sein, dürfte sich Nataschas Frage angesichts der "neuen Russen" des wilden Raubtierkapitalismus wohl inzwischen erledigt haben. Damals war der Klassenfeind für die junge Ingenieurin nur noch eine Gestalt aus dem Geschichtsbuch.

In der DDR wurde die soziale Neueingliederung der Produktionsmittelbesitzer im allgemeinen human gehandhabt. Sicher gab es auch Überspitzungen und Fehleinschätzungen. Nach der bedingungslosen Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher sowie der Großgrundbesitzer bestanden noch kapitalistische "Reste". Zu ihnen gehörten die Großbauern. Viele von diesen besaßen indes nur 20 oder 30 Hektar Land und beuteten kaum noch fremde Arbeitskräfte aus. Etliche von ihnen erwiesen sich als echte Gegner. Dennoch war es falsch, sie anfangs generell als Klassenfeinde zu behandeln, zumal sie später in den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften überwiegend eine verläßliche Arbeit leisteten. Ein weiterer Fehler war die überstürzte Umwandlung halbstaatlicher Betriebe in Volkseigentum. Den oft als Komplementäre beteiligten Alteigentümern wurde indes eine angemessene Entschädigung gezahlt.

Das Gestern hat uns eingeholt. Heute müssen wir in einer Gesellschaft leben, deren Haupttriebkraft die Jagd nach Maximalprofit ist. Der Staat und seine Gesetze schützen das Heer der Parasiten. Gegen sie richtet sich unser Klassenhaß.

Während sich Kanzlerin Merkel und ihr "Team" nach Kräften abrackern, den Bossen der Banken und Konzerne jeden Wunsch zu erfüllen, Rettungspakete ohne Ende zu schnüren und dem kleinen Mann in die Tasche zu greifen, können sich die im Hintergrund agierenden Impuls- und Befehlsgeber getrost zurücklehnen. Die Manager der Magnaten - von Ackermann bis Hundt - bilden die eigentliche Exekutive der BRD. Bei Kriegsminister zu Guttenberg wissen die Gutsbesitzer ihre Sache in guten Händen. An den unsichtbaren Fäden der wirklichen Spieler tanzen die Marionetten in ihren bunten Jacken. Und wenn sie einmal aus der Reihe tanzen sollten, müssen sie sich dessen gewiß sein: Hundte, die bellen, beißen auch!

Klaus Steiniger

Raute

13. August 1961: Die "Mauer" war das häßlichste und notwendigste Bauwerk der DDR

Als der Frieden am seidenen Faden hing

2010 - das 20. Jahr des Anschlusses der DDR an die BRD - ist ein neues Festival für Geschichtsfälscher und Massendompteure. Da wird natürlich auch der 13. August 1961 "neu beleuchtet".

Was geschah damals wirklich? Acht Jahre zuvor - am 17. Juni 1953 - war der imperialistischen Strategie des "Roll back" eine erste empfindliche Niederlage beigebracht worden. Die DDR hatte sich danach relativ gut entwickelt, unter enormen Anstrengungen die Fundamente einer leistungsfähigen Industrie gelegt, die dazu notwendigen Fachkader heranzubilden begonnen und stabile Wirtschaftsbeziehungen zu vielen Staaten der Welt hergestellt. Durch die von der BRD ausgehende Hallsteindoktrin der diplomatischen Alleinvertretungsanmaßung in ihrem außenpolitischen Radius noch eingeschränkt, war die DDR bereits ein verläßlicher Partner vieler junger Nationalstaaten. Die Länder der sozialistischen Gemeinschaft, vor allem die UdSSR, bezeugten ihr gegenüber Bündnistreue. Sie konnte als Subjekt des Völkerrechts nicht mehr verleugnet werden. Dennoch reifte in der ersten Hälfte des Jahres 1961 abermals eine Situation heran, die den Klassenfeind zu einem neuen Anlauf ermunterte.

Die beiden deutschen Staaten befanden sich im Zentrum des weltpolitischen Machtkampfes zweier Gesellschaftssysteme. Mitten durch Deutschland verlief die Grenze zwischen der "Freien Welt" des Imperialismus und den Staaten des "Ostblocks", die nach Lesart der bürgerlichen Presse "kommunistische Diktaturen" darstellten. Sie war weitgehend offen und daher ein ständiger Gefahrenherd. Das galt besonders für Berlin. Hier war die Grenze lediglich markiert, was verheerende ökonomische Auswirkungen hatte. Für jüngere Lesergenerationen ist das gedanklich kaum nachvollziehbar: Von der BRD war ein willkürlicher Wechselkurs zwischen den Währungen der beiden deutschen Staaten bestimmt worden, dem ausschließlich politische Motive zugrunde lagen. Er schwankte zwischen 1:4 und 1:6 zugunsten der westlichen D-Mark. In der DDR gab es hingegen ein stabiles Preisgefüge, das nicht an den Marktgesetzen orientiert war, sondern auf der Grundlage zentraler staatlicher Planung und Leitung der Volkswirtschaft funktionierte. Es galt das Prinzip, lebensnotwendige Güter wie Nahrungsmittel und Dinge des täglichen Bedarfs überwiegend sehr hoch zu subventionieren, während man andere Artikel mit mehr oder weniger hohen Akzisen belegte. Wie vernünftig oder unvernünftig dieses Festpreissystem war, soll hier nicht beurteilt werden. Seriöse Ökonomen können das besser. Ich meine aber, daß es dem sozialen Anliegen eines antikapitalistischen Staates entsprach und für die meisten Menschen große Bedeutung hatte. Überall an den Sektorengrenzen Westberlins gab es "Wechselstuben", in der BRD übernahmen Banken diese Aufgabe. Man muß wissen, daß damals Zehntausende Ostberliner in Westberlin arbeiteten. Wer also vom Osten nach dem Westen der Stadt ging, konnte seine Mark dort - auf rund ein Fünftel reduziert - in Westmark umtauschen. Umgekehrt aber konnte jeder Westberliner oder dort beschäftigte Ostberliner und jeder Westdeutsche für seine D-Mark rund das Fünffache an DDR-Mark eintauschen und damit im Osten nach Belieben einkaufen. Keine Wirtschaft der Welt - auch nicht die reichste - hält so etwas auf Dauer aus.

Ganz simpel ausgedrückt: In Ostberlin kostete eine Schrippe 5 Pfennig (Ost), in Westberlin aber 20 Pfennig (West). Auf diesem Wege erwarb der Westberliner sein Brötchen für 1 Pfennig (West). So ähnlich funktionierte das bei anderen Lebensmitteln und Artikeln des täglichen Bedarfs, bei Waren und Dienstleistungen aller Art. Kein Wunder, daß da empfindliche Versorgungsengpässe in der DDR auftreten mußten! Diese erzeugten zwangsläufig Zweifel an der Richtigkeit des sozialistischen Weges. Mit anderen Worten: Was aus eigener Kraft produziert und oft noch staatlich hoch subventioniert wurde, floß ohne realen Gegenwert in erheblichen Dimensionen auf einen Markt ab, für den es nicht gedacht war. Andererseits mußten Importe der DDR teuer mit Devisen bezahlt werden.

So entstand eine Situation, die nach Lösungen drängte. Auch die andere Seite hatte ein klares Ziel im Auge: die Liquidierung der DDR. Damals kam das Wort auf, Berlin (gemeint war Westberlin) sei "die billigste Atombombe der Welt". Einer solchen Entwicklung konnte eine verantwortungsbewußt handelnde Regierung nicht länger tatenlos zusehen.

In der Nacht vom 12. zum 13. August 1961 schloß die DDR - in Absprache mit ihren Verbündeten - schlagartig sämtliche Grenzen zur BRD und zu Westberlin. Damit wurde eine normale Grenzordnung geschaffen, wie sie damals überall auf der Welt üblich war. In Berlin standen zunächst die Kampfgruppen aus den volkseigenen Betrieben und den Institutionen an der Markierungslinie. Hinter ihnen wurde eine Mauer quer durch Berlin gebaut. Sie war das häßlichste und zugleich notwendigste Bauwerk ihrer Zeit. Natürlich ist die Frage legitim, ob es nicht eine bessere Lösung hätte geben können. Erlaubt sei die Gegenfrage: Hatte jemand in Ost oder West eine solche parat? Zweifellos griff die Entscheidung tief in die Privatsphäre vieler Menschen ein. Familien wurden getrennt, in Westberlin Tätige konnten über Nacht nicht mehr an ihren Arbeitsplatz. Für die DDR war das zwar keine elegante, aber die ökonomisch und politisch entscheidende, vor allem aber eine friedensbewahrende Lösung.

Noch eine Bemerkung zum "Grenzregime" und zu den "Mauertoten". Wie gestaltet und befestigt eine Grenze ist, gehört nach dem Völkerrecht in den Hoheitsbereich der jeweiligen Staaten. Ihr Charakter wird maßgeblich durch das Verhältnis zu den Nachbarn bestimmt, ob es freundschaftlich oder konfrontativ ist. Nicht nur die DDR hatte eine "Grenzmauer". Israel errichtete z. B. völkerrechtswidrig eine Mauer quer durch das Land der Palästinenser. Wer unter den Politikern der westlichen Welt regt sich darüber oder über die befestigte Grenze zwischen den USA und Mexiko auf, deren Sicherungsmaßnahmen die der DDR erheblich übersteigen? Auch dort kommen Jahr für Jahr viele Menschen, vor allem Wirtschaftsflüchtlinge, ums Leben. Fest steht: Jeder Tote an der "Mauer" (darunter befanden sich nicht wenige Grenzsoldaten der DDR) war einer zuviel. Allerdings gibt es daran keinen Zweifel, daß die Verletzung gesicherter Staatsgrenzen ein hohes Risiko birgt. Das wußte jeder. Dabei galt für die DDR-Grenzsoldaten zu keiner Zeit ein Schießbefehl, sondern nur eine Schußwaffengebrauchsordnung, die mit jener der alten BRD fast wörtlich übereinstimmte. - Ich habe die Entscheidung, die Ordnung an der Staatsgrenze herzustellen, politisch mitgetragen und begrüßt. Endlich fand die Ausplünderung der DDR ein Ende, konnte nicht jeder dahergelaufene Provokateur in unser Alltagsleben negativ eingreifen. So entstand eine Chance, unser gesellschaftliches System auf seinen eigenen Grundlagen weniger störanfällig zu entwickeln. In diesem Sinne hatte die "Mauer" jahrzehntelang eine den sozialistischen Staat bewahrende Funktion. Und ich sage ebenso offen, daß ich zu den Offizieren und Soldaten stehe, die ihren oft sehr harten Dienst an der Staatsgrenze West verrichteten.

Georg Dorn, Berlin

Siehe hierzu auch den Beitrag auf S. 19

Raute

Gabriele Senft: Bilder einer Magdeburger Ehrenbürgerin

Im Unterschied zu anderen, die ihre Berichterstattung über den fünftägigen BRD-Aufenthalt ihres Pressefest-Ehrengastes plötzlich einstellten, blieben wir dem Geschehen auf der Spur.

Am 22. Juni war Angela Davis in Magdeburg, deren Ehrenbürgerschaft ihr 1972 verliehen worden war, zu Gast. An der Otto-von-Guericke-Universität hielt sie eine vielbeachtete Vorlesung. Der Oberbürgermeister der Elbestadt hieß sie willkommen. Sie traf mit Stadtratsfraktionen zusammen und begegnete dann im Gewerkschaftshaus einer erwartungsfrohen Menge. Bei der durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung ausgerichteten und von der PDL-Bundestagsabgeordneten Dr. Rosemarie Hein moderierten Begegnung hatte außer Angela Davis und ihrer versierten Dolmetscherin auch RF-Chefredakteur Dr. Klaus Steiniger als Autor des Buches "Eine Frau schreibt Geschichte" im Podium Platz genommen. Auf Fragen, die sie zu einer Distanzierung von der UdSSR und der kommunistischen Idee veranlassen sollten, antwortete Angela Davis ebenso sachlich wie souverän. Sie nannte die Gründe für den 1991 erfolgten Austritt von etwa 400 Genossinnen und Genossen aus der KP der USA, sprach über die damals entstandenen Committees of Correspondence und schilderte die sich vollziehende Wiederannäherung zwischen beiden Formationen. Angela Davis ließ wissen, daß sie von der KP, deren ZK sie angehört hat, zu einer Rückkehr in die Partei eingeladen worden sei, was sie in Erwägung ziehe.

Meisterphotographin Gabriele Senft war in Magdeburg dabei und beobachtete mit der ihr eigenen Sensibilität, wie sich die überwiegend weibliche und zu einem erheblichen Teil junge Zuhörerschaft vom Enthusiasmus jener Frau anstecken ließ, an deren Rettung einst auch die Schulkinder der DDR mit einer Million selbstgemalter Rosen einen so großen Anteil hatten.

K. S.


Abbildungen aus der Originalpublikation im Schattenblick nicht veröffentlicht

Raute

Angela Davis sagt danke für die Rosen

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Zum Erscheinen des "Thälmann-Reports"

Es reicht heute nicht mehr aus, einzelnen Geschichtsumdeutern entgegenzutreten. So notwendig das auch im Detail erscheint, müssen wir insgesamt aus der Defensive heraus und den Kampf der DDR-Historiographie gegen die bürgerlich-antikommunistischen Fälscher verstärken. Wir marxistischen Historiker müssen uns mehr denn je an Lenins Ratschlag halten, daß es für die Analyse konkreter Situationen eine unabdingbare Voraussetzung ist, ein Fundament unbestreitbarer Tatsachen in ihrem Zusammenhang zu schaffen (Lenin-Werke, Band 24, S. 285 bis 286).

Die Wahrheit über die Kämpfe gegen Ausbeutung und Unterdrückung war und bleibt eine scharfe Waffe der Arbeiterklasse gegen die Herrschaft des Kapitals. Dessen ist sich sein politisches Personal durchaus bewußt. Daher organisiert es das Auslöschen der Erinnerung und ergänzt es durch faustdicke Fälschungen. Manche gewendeten DDR-Historiker haben sich zu seinen Helfern degradiert. Im Interesse eines antifaschistischen Gedenkens und des Kampfes der Werktätigen für Alternativen zu dieser aggressiven imperialistischen Gesellschaft müssen wir auch um ein wahrheitsfundiertes Geschichtsbewußtsein ringen. Nur damit können wir historische Tatsachen in gesellschaftliche Erinnerung zurückbringen und dem Trend von "erschreckenden Rückbildungen und Verkümmerungen" (Brecht, Über die Widerstandskraft der Vernunft) entgegenwirken sowie den Wirkungsradius bürgerlicher Ideologie begrenzen.

Lediglich eine Biographie Ernst Thälmanns als des Führers der KPD zu schreiben, reichte nicht aus. Es kam vielmehr darauf an, die politischen und sozialen Zusammenhänge darzulegen, welche Thälmanns Handeln bestimmten. Auf diese Weise gehen wir über eine reine Lebensdarstellung hinaus. Alte und manchmal liebgewonnene Sichten waren zu überwinden. Dazu gehört es, den Lesern die Wechselwirkung zwischen der Kommunistischen Internationale und der KPD sowie die Widersprüche im Klassenkampf und die Lösungen durch das Kollektiv der Partei zu schildern. Viele Erkenntnisse kommunistischer Strategie und Taktik scheinen heute in Vergessenheit zu geraten. Wir möchten mit unserem Report auf sie aufmerksam machen. Aber es geht nicht allein darum, zu verdeutlichen, daß die KPD in der Weimarer Republik als einzige politische Kraft konsequent gegen das Monopolkapital, gegen Ausbeutung und Sozialraub, für Frieden, reale Demokratie und Menschenrechte kämpfte, sondern es gilt auch die Tatsache hervorzuheben, daß sie zu einer massengestützten Partei wurde. Wir haben aber auch jene Fehler zu analysieren versucht, die es den Herrschenden ermöglichten, die bürgerliche Demokratie zu beseitigen, die Arbeiterbewegung brutal zu unterdrücken und Thälmann zu ermorden.

Geschichte ist mit unserer Gegenwart verbunden. Die Wurzeln des Faschismus sind im Gegensatz zur DDR in der BRD noch immer nicht ausgerottet. Und wenn Willi Bredel Thälmann "Sohn seiner Klasse" nannte, muß unser Report über die nationale Verantwortung dieser Klasse berichten und deutlich machen, daß Thälmanns Ringen um eine freie deutsche Republik noch lange nicht beendet ist. Er hat sein Leben für sie geopfert. Unsere Arbeit soll dazu beitragen, daß die Erfahrungen der Kämpfer früherer Etappen und ihr Einsatz für die Befreiung der Arbeiterklasse in späterer Zeit nicht vergessen werden.

Dr. Eberhard Czichon / Dr. Heinz Marohn

Raute

Abc des Marxismus - Wie ist das mit der Dialektik?

Materie und Bewußtsein sind ständig in Bewegung. Dialektik ist die Wissenschaft von den allgemeinen Bewegungs- und Entwicklungsgesetzen der Natur, der Gesellschaft und des Denkens. Seit der griechischen Antike hat sich dialektisches Denken entwickelt. Es erreichte einen glanzvollen Höhepunkt bei G.W.F. Hegel. Doch Hegel verstand Gesetzmäßigkeit als Wirken des "Weltgeistes", der "listig" die Menschen benutze, um die Vernunft schrittweise Realität werden zu lassen. "Meine dialektische Methode", so Karl Marx, "ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Bei mir ist ... das Ideelle nichts anderes als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle." Die Dialektik stehe bei Hegel auf dem Kopf. "Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken." (MEW, Band 23, S. 27)

Zu den wichtigsten Grundgesetzen der Dialektik gehören das Umschlagen quantitativer Veränderungen in qualitative und umgekehrt sowie die Einheit und der Kampf der Gegensätze. Die Entwicklung verläuft nicht geradlinig, sondern - vereinfacht ausgedrückt - wellenförmig und in größeren Kreisen. So entsteht oft der falsche Eindruck, sie werde immer wieder nur auf ihren Ausgangspunkt zurückgeworfen. Doch diese Zyklen bilden eine Spirale. Sie münden sprunghaft in qualitativ neuen Entwicklungsstufen, die Errungenes bewahren und wiederum von zur Lösung drängenden neuen Widersprüchen gekennzeichnet sind.

Der Marxismus-Leninismus beruht wesentlich auf diesen Erkenntnissen. Allein die materialistische Dialektik ermöglicht es auch, das Verhältnis von Reform und Revolution wissenschaftlich zu erfassen. Objektive Dialektik der vom Bewußtsein unabhängigen Realität und ihre Widerspiegelung im Bewußtsein der Menschen (subjektive Dialektik) fallen aber keineswegs automatisch zusammen. Bert Brecht betonte deshalb im "Lob der Dialektik":

Das Unrecht geht heute einher mit sicherem Schritt.
Die Unterdrücker richten sich ein auf zehntausend Jahre.
Die Gewalt versichert: So, wie es ist, bleibt es.
Keine Stimme ertönt außer der Stimme der Herrschenden.
Und auf den Märkten sagt die Ausbeutung laut:
Jetzt beginne ich erst.
Aber von den Unterdrückten sagen viele jetzt:
Was wir wollen, geht niemals.
Wer noch lebt, sage nicht: niemals!
Das Sichere ist nicht sicher.
So, wie es ist, bleibt es nicht.
Wenn die Herrschenden gesprochen haben
Werden die Beherrschten sprechen.
Wer wagt zu sagen: niemals?
An wem liegt es, wenn die Unterdrückung bleibt? An uns.
An wem liegt es, wenn sie zerbrochen wird? Ebenfalls an uns.
Wer niedergeschlagen wird, der erhebe sich!
Wer verloren ist, kämpfe!
Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?
Denn die Besiegten von heute sind die Sieger von morgen
Und aus Niemals wird: Heute noch!

RF

Raute

Wer von Beginn an die Zerstückelung des Landes im Auge hatte

Deutsche Zweistaatlichkeit ging vom Westen aus

Bürgerliche Politiker und Historiker behaupten, "eine fehlerhafte Politik Stalins" habe in den Nachkriegsjahren zur Entstehung von zwei deutschen Staaten geführt. Archive und Dokumente belegen indes: Erste Ideen der Teilung Deutschlands unterbreitete USA-Präsident Franklin Delano Roosevelt am 3. November 1943 auf der Teheraner Konferenz, an der er gemeinsam mit Stalin und Churchill teilnahm. Nach einem wenig bekannten Dokument hatte der britische Premier bereits bei einer Unterredung mit dem tschechoslowakischen Exil-Präsidenten Edvard Benes am 4. April 1943 über die dringliche Notwendigkeit der Liquidierung des Preußentums und der deutschen Militärmacht gesprochen. Stalin äußerte sich dann in Teheran über die Gefährlichkeit einer Spaltung Deutschlands, während Churchill die Aufteilungspläne der West-Alliierten auf der Krimkonferenz (Jalta) am 5. Februar 1945 ausdrücklich noch einmal bekräftigte. Stalin erklärte in seiner Ansprache an das sowjetische Volk am 9. Mai 1945: "Die Sowjetunion feiert den Sieg, wenn sie sich auch nicht anschickt, Deutschland zu zerstückeln oder zu vernichten."

Zur gefährlichen Ignorierung des Potsdamer Abkommens (Abschnitt B) meldete die Londoner Nachrichtenagentur Reuters am 9. Juni 1946: "Die britische Regierung hat einen Plan über die Zukunft Deutschlands entworfen, wonach ein aus 11 bis 12 fast autonomen Ländern bestehender deutscher Staatenbund gebildet werden soll. Der Plan wird vom Außenminister der Vereinigten Staaten Byrnes voll unterstützt. Als vorbereitende Maßnahme sollen in den verschiedenen Besatzungszonen allmählich Provinzregierungen mit erweiterten Befugnissen geschaffen werden. Im künftigen Verlauf sollen die einzelnen Länder dann die Mitgliedschaft der Vereinten Nationen erlangen können."

Die Besonderheit der praktischen Umsetzung dieser Pläne zur Zertrümmerung Deutschlands ist deren Unterstützung durch deutsche Finanzkapitalisten und politische Schrittmacher sowie deren Parteien. Konrad Adenauer, der Bankier Pferdmenges, Kurt Schumacher von der SPD und andere drängten 1947 auf die Errichtung der Bizone, forcierten 1948 die Einführung einer Separatwährung und betrieben dann die staatliche Spaltung Deutschlands, die im September 1949 vollendet wurde. Am 2. Juni 1948 gab die Londoner Konferenz der Außenminister der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Belgiens, der Niederlande und Luxemburgs die Marschroute für die seit Jahren vorbereitete Teilung Deutschlands, für die Emission der D-Mark und die Aufzwingung des Besatzungsstatuts bekannt. Drei Wochen später folgte die Währungsreform, d. h. die wirtschaftliche Spaltung Deutschlands.

Am 20. Juli 1948 fand im Frankfurter Hauptquartier der Militärgouverneure eine Tagung mit den westdeutschen Ministerpräsidenten statt. Sie wurde mit einer Erklärung beendet, die der hessische Sozialdemokrat Stock im Namen der Landeschefs verlas: "Wir enthalten uns aller Kritik an den uns am 1. Juli übergebenen Dokumenten I, II und III (gemeint waren die sogenannten Londoner Empfehlungen) ... Wir Ministerpräsidenten stimmen mit den Militärgouverneuren vollkommen darin überein, daß es wünschenswert ist, im Rahmen der Londoner Beschlüsse eine politische Organisation aufzubauen, die gleichzeitig eine solide Basis für Westdeutschland auf der Grundlage des Föderalismus bildet."

Am 1. September 1948 trat in Bonn der Parlamentarische Rat zusammen - ein Gremium aus Abgeordneten der westdeutschen Länderparlamente -, um eine Art Verfassung für ein völkerrechtlich gar nicht existierendes Gebilde zusammenzuzimmern. Es handelte sich um das Grundgesetz der BRD. Bei der Eröffnung erklärte Stock: "Wir handeln heute zum ersten Mal ... nicht nach einem Diktat, sondern nach Vereinbarungen, die zwischen den Herren Militärgouverneuren und den Ministerpräsidenten zustande gekommen sind."

Nachdem der Generalsekretär der Vereinten Nationen, der Norweger Trygve Lie, 1951 von der "Deutschen Bundesrepublik" und der "sowjetischen Zone Deutschlands" gesprochen hatte und der Vorschlag Stalins vom 10. März 1952 zur Schaffung eines einheitlichen und unabhängigen deutschen Staates entschiedener Ablehnung verfallen war - insbesondere durch Adenauer -, vertrat Moskau auf der Grundlage des am 20. September 1955 mit der DDR geschlossenen Vertrages nun konsequent die Zwei-Staaten-Theorie.

Wie aber ging es weiter? Am 26. Mai 1952 unterzeichnete Konrad Adenauer gemeinsam mit den Außenministern der USA und Frankreichs Dean Acheson und Robert Schuman den Generalvertrag, der mit der "Einfügung der Bundesrepublik in die atlantische Gemeinschaft" die Spaltung Deutschlands besiegelte. Die BRD war fortan "ein Teil Westeuropas" (Staatssekretär Hallstein am 13. März 1952), wobei man als Ziel die Losung ausgab: "Vereinigung mit dem von der bolschewistischen Tyrannei befreiten Osteuropa".

Durch die Verkündung des Grundgesetzes und die Schaffung des Bundestages wurde entgegen dem Geist des Potsdamer Abkommens, dem Willen der Sowjetunion und den Interessen der Deutschen eine politisch-institutionelle Grenze gezogen.

Nach dem Ende des politischen Kampfes und der ideologischen Konfrontation zwischen beiden deutschen Staaten sieht sich die BRD noch heute vor eine schier unlösbare Aufgabe gestellt: die seit 1990 propagierte "Wiedervereinigung" tatsächlich zu vollziehen. Diese Herausforderung nimmt dramatische Züge an, da Ost und West eher weiter auseinanderdriften als auf vertretbare Weise zusammenzuwachsen.

Manfred Wozniak, Erfurt

Raute

Wie an den Börsen fernab jeder Produktion Profit erzielt wird

Spekulationsblasen ohne Ende

Finanzspekulation ist im modernen Kapitalismus der kürzeste Weg, sich materiellen Reichtum in großem Ausmaß anzueignen, ohne sich um dessen Produktion kümmern zu müssen. Reichtum zu besitzen ist der höchste gesellschaftliche Wert - und deshalb dort erstrebenswert, wo Eigentum als "freies Verfügungsrecht eines Besitzers über seine Sache" (Sklaven, Leibeigene, Produktionsmittel oder Natur) gilt. Das private Eigentum begründet persönlichen Einfluß, Wohlstand, Ansehen und Macht. Historisch ist das unumgänglich.

Solange das naturwissenschaftliche Weltbild der Physik die Entstehung der Materie aus dem Nichts (Urknall) erklärt, ist in letzter Konsequenz auch Wertschöpfung aus Nicht-Arbeit - also auch ökonomische Spekulation - logisch denkbar. In einer Gesellschaft, die auf Privateigentum basiert, ist darum die De-Legitimierung der Arbeitsgesellschaft moralisch und juristisch unverzichtbar. Sie ist Grund-Wert.

Das Wie: Am Geldmarkt wird ein Fonds - eine große, vor allem zusammengeborgte Summe - "eingerichtet", die den Anteils-Käufern hohe Rendite und - mehr oder weniger - Sicherheit verspricht. Vom Groß-Anleger bis zum kleinen Sparer oder Versicherungskunden (dessen Geld von "seiner" Bank, Versicherung oder anderen Vermögensverwaltern angelegt wird) ist vielerlei z. Z. verfügbares, vermehrungswilliges Geld aus allen Bereichen der Gesellschaft willkommen. Der Fondsmanager spekuliert (für sich und seine Miteigentümer) auf starke Kursschwankungen, d. h. auf deutliche Preisveränderung eines "Finanzprodukts" auf dem "Geldmarkt". Besonders sicher sind da ökonomisch ausweglose systemrelevante Zwangslagen.

Beispiel Griechenland: Der unrentable, daher verschuldete Staat braucht flüssiges Geld, um zu funktionieren - also um jeden Preis. Ein verdoppelter Zinssatz für gewährte Kredite verdoppelt die Rendite der kreditgebenden Bank. Je größer also die Not des Staates, um so größer die Wahrscheinlichkeit einer hohen Rendite. Und je größer die Kredit-Summe, um so einträglicher das Geschäft.

Die Sicherheiten: 1. Griechenland wird von der Euro-Gemeinschaft nicht in Bankrott geschickt. 2. Die Börsenkurse der beteiligten Banken springen bei EU-Eingriff nach oben. Dadurch ist ein Gewinn selbst ohne Kreditabschluß garantiert. 3. Der offizielle Einstieg der EU in die Spekulation - durch den Einsatz von 750 Mrd. Euro plus x - eröffnet den Finanzinvestoren eine noch erweiterte freie Spekulationsperspektive.

Wieso entsteht Wirtschaftswachstum aus Spekulationsprofit? Der Umsatz ist das Maß für die Leistung eines Unternehmens. Die Leistung einer Volkswirtschaft - ihr Bruttoinlandsprodukt (BIP) - wird darum als Umsatzsumme aller Unternehmen des Landes errechnet. Die Umsätze aus materiell produzierenden Branchen und aus verbrauchenden Branchen (Handels-, Verkehrs- oder Erholungsunternehmen sowie Banken, Versicherungen, privaten Medien u. ä.) fließen also gleichwertig in die Gesamtleistung und ihr Wachstum ein. Nicht beachtet wird das volkswirtschaftliche Verhältnis von Produktion und Verbrauch - ob der Verbrauch auch gedeckt ist.

Während beim alten Hauptbuchhalter z. B. Aufwendungen der Transportabteilung als Kosten, also Verlust, zu buchen waren, erwirtschaftet heute der "ausgegliederte" private Transportunternehmer einen Umsatz - d. h. Wachstum der Volkswirtschaft. Je höher also der Umsatz einer Bank, um so mehr wächst die Wirtschaft. Nicht nur das: Auch ihre Arbeitsproduktivität wächst damit. Mit der "Produktivität" eines Fondsverwalters kann selbst die automatisierte Autoproduktion nicht konkurrieren. Da in der Privatwirtschaft nur die Unternehmensproduktivität, bezogen auf Umsatz und Beschäftigte, interessiert, aber die Produktivität der Gesellschaft nicht ermittelt wird, sind die großen Umsätze der verbrauchenden Unternehmen in der Finanz- und Dienstleistungsbranche wichtige Wachstums- und Effektivitätsgrößen der Statistik.

Warum ist Finanzspekulation die Seele des Kapitalismus, seine Grundbedingung? Die bürgerliche Produktionsweise verknüpft zwei verschiedene Wachstumskulturen zu einer "Markt"-Wirtschaft: verarbeitende, materielle Produktion betreibende Handwerker und verteilende, materielle Zirkulation betreibende Händler. Beide Gewerbe treffen sich auf dem Markt als Kaufleute. Aus der gegenseitigen materiellen Abhängigkeit erwächst ihr gemeinsames Interesse an leistungsgerechtem Wertausgleich. Aber der Händler ist im Vorteil. Er beherrscht Produzenten und Verbraucher. Das Entstehen von Märkten führt zur Aufspaltung der sich selbst versorgenden Urgemeinschaften in viele einzelne Erzeuger und Verbraucher. Zwischen sie tritt der Händler, der von seinen Handelserträgen lebt. Der Markt wird zum Bindeglied der neuen Lebensweise. Seine Tragfähigkeit über historische Epochen hinweg resultiert aus der Wachstumsfähigkeit seiner noch heute lebendigen spekulativen Grundkonstruktion: A. Der Händler hat sich vom Verkäufer auf Rechnung des Produzenten zum Kaufmann auf eigene Rechnung entwickelt. Für ihn sind Schulden das unverzichtbare, selbstverständlich reale Gründungskapital eines Unternehmers. B. Die Marktpreise des Händlers sind nach Interessen- und Sachlage ausgehandelte, also spekulativ ermittelte Preise. C. Das sich entwickelnde Geld betritt den Markt als realer Gegenstand mit materiellem Gebrauchswert. Der Geldreichtum entspringt darum nur scheinbar einem unabhängigen Marktbereich - außerhalb des Handels mit realen Werten. Geld hat keinen eigenen Wert. Die globale Geldmenge vertritt nur den Realwert, den die verfügbare, also z. Z. real verbrauchbare materielle Güter-Menge besitzt. Der Rest ist pure Umverteilung durch unsichtbare Hände.

Am Horizont des globalen Marktes wird aber sichtbar: Profit aus Güterverteilung und aus Geldzirkulation ist spekulativer Mehrwert - ohne materiell erzeugte Grundlage. Er ist Quelle endloser Schuldenmacherei, von "Wertblasen" und Inflation. Er ist ebenso - weil zu bürgerlichem Recht erhoben - Quelle sozialer Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Ausgrenzung von Entrechteten der kapitalistischen Reproduktionsverhältnisse.

Dipl.-Ing. Günter Kramer, Schöneiche

Raute

BÜSGM verlieh Solidaritätspreis

Am 4. Juli wurde der afroamerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal, der sich seit 28 Jahren in der Todeszelle eines USA-Gefängnisses befindet, vom Bündnis für Soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde (BÜSGM) mit dem

Preis für Solidarität und Menschenwürde

ausgezeichnet. Preisträger ist ebenfalls "RotFuchs"-Chefredakteur Dr. Klaus Steiniger. Die Verleihung fand im Münzenberg-Saal des Berliner ND-Gebäudes statt.

Die Laudatio für Mumia Abu-Jamal hielt der Hamburger Schauspieler Rolf Becker. Die Vergabe des Preises an Klaus Steiniger begründete der Historiker Prof. Dr. Götz Dieckmann.

Raute

Wie bourgeoise Meinungsmacher Begriffe in ihr Gegenteil verkehren

"Krieg ist Frieden"

Was dabei herauskommt, wenn der oberste Repräsentant des aggressivsten Staates der Erde mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird, macht die Rede deutlich, die USA-Präsident Barack Obama bei der Entgegennahme dieses Preises in Oslo hielt. Da den Mächtigen, die besonders gut an Kriegen verdienen, die Friedenssehnsucht der Menschen bekannt ist, werden Werte und Begriffe in ihr Gegenteil verkehrt. Der Krieg wird zum eigentlichen Friedensbringer umfunktioniert. Der oberste Kriegsherr erklärt sich zum Friedenskämpfer. Nur viele Kriege ermöglichen vielleicht irgendwann Frieden - welch eine Perversion menschlichen Denkens (und Handelns)! So wurden auch gleich Kriegsdrohungen gegen Iran, Nordkorea, Myamar und Dafur ausgesprochen. Selten wurde die Menschheit so dreist verhöhnt. Obama erhielt den Friedensnobelpreis, nachdem er erst kurz zuvor den höchsten Rüstungshaushalt der Menschheitsgeschichte im Kongreß durchgebracht und den Befehl gegeben hatte, mit der Entsendung von zusätzlichen 30.000 Soldaten den Krieg in Afghanistan zu intensivieren.

Doch auch in Deutschland bemühen sich die Politiker der tonangebenden Parteien, den Krieg schönzureden und Kriegsverbrechen, wie das Massaker von Kundus am 4. September des Vorjahres, zu entschuldigen. Am 28. August 2009 sagte der inzwischen aus dem Amt geschiedene Bundespräsident Horst Köhler bei einem Besuch im Gefechtsübungszentrum der Bundeswehr in Letzlingen, nördlich von Magdeburg: "Wir alle, vor allem in der Politik, haben die Aufgabe, den Einsatz in Afghanistan zu erklären." Die Gesellschaft nehme an dem "Friedenseinsatz" am Hindukusch zu wenig Anteil. Herr zu Guttenberg bedauerte am 14. Dezember in der ARD-Sendung "Beckmann": "Wir leisten uns eine immense Schüchternheit, wenn es an den Einsatz von Waffen geht, um auch möglicherweise Frieden herzustellen." Der Freiherr fuhr fort: "Und trotzdem glaube ich, daß die Bevölkerung in unserem Lande es bei weitem mehr verstehen würde, würde man es ihr endlich auch anständig erklären." Im Zusammenhang mit den immer stärker werdenden militärischen Aktivitäten der Bundeswehr in Afghanistan, die durch das Mandat nicht gedeckt sind, sagte Guttenberg zu einem anderen Zeitpunkt: "Was heute Ausnahmesituation ist, muß zur Selbstverständlichkeit werden."

Das entspricht den Zielvorgaben im Weißbuch der Bundeswehr, in dem es heißt: "Sicherheitspolitik muß auch auf geographisch entfernte Regionen zielen." Im Zeitalter der Globalisierung könnten eigene Interessen "nicht mehr allein geographisch definiert werden". Das Wort Krieg wird hier noch durch "Konfliktverhütung und Krisenbewältigung" ersetzt. Allein die Ausrüstung mit modernsten Waffensystemen, um "Krisen und Konflikte effektiv zu bewältigen", kostet den deutschen Steuerzahler in diesem Jahre etwa sieben Milliarden Euro.

Im "schwarz-gelben" Koalitionsvertrag ist von einer "wertegebundenen und interessengeleiteten Außenpolitik" die Rede, die deutlich formuliert: "Als Exportnation haben wir ein hohes Interesse an einer freiheitlichen Ordnung der Weltwirtschaft." Nichts anderes hat dann auch Horst Köhler gesagt. Deutsche Außen- und Wirtschaftspolitik definiert sich zunehmend als Kriegspolitik.

Horst Neumann, Bad Kleinen

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Gemustert

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Wärme und Würde eines übriggebliebenen Hiddenseer Fischers

Der Grog des Hubert Thürke

Hiddensee ist wunderschön - niemand wird das bestreiten wollen. Ich war daher sehr glücklich, daß sich mir vor kurzem die Gelegenheit bot, dieses Naturparadies nahe der Insel Rügen gemeinsam mit einem Freund einige Tage besuchen zu können. Für mich war es auch eine Reise in die eigene Vergangenheit. Zuletzt war ich als Junger Pionier dort. Zugegeben: Meine Erinnerungen an das Ferienlager von damals sind mittlerweile recht verschwommen. Um so neugieriger war ich auf meine Eindrücke von heute. Wir besuchten Kloster. Ich möchte von dem Menschen erzählen, der in diesem Ort den stärksten Eindruck auf uns gemacht hat. Er ist einer der letzten Fischer Hiddensees.

Wir kehrten von einem Ausflug in das benachbarte Vitte ausgehungert nach Kloster zurück, als uns am Hafen der verführerische Duft von geräuchertem Fisch in die Nase stieg. Wir konnten einfach nicht daran vorbei! Also betraten wir den Gerüchen folgend einen Bootssteg, wo uns ein freundlicher Herr Anfang 50 in blauer Arbeitsmontur empfing und in seine Barkasse namens "Willi" einlud. Dort erwartete uns ein Verkaufstisch mit frisch geräucherten Schollen und Dorschen. Köstlich! Wir kauften ein und verschlangen gleich vor Ort jeder ein Bismarckheringsbrötchen.

Das wurde dann zum täglichen Ritual. Der freundliche Mann wuchs uns ans Herz. Die Atmosphäre bei ihm im Boot war echter als in den astronomisch teuren Touristenlokalen im Dorf. Wir fühlten uns dort viel wohler und das nicht nur der günstigeren Preise wegen. Bald kamen wir uns etwas näher, und er begann zu erzählen. Irgendwann fragte ich ihn, ob ich das alles mal aufschreiben dürfe. Ich berichtete ihm vom "RotFuchs". Zu meiner Freude stimmte er zu. Jetzt erfuhren wir auch seinen Namen. Er heißt Hubert Thürke. Während wir aßen, hörten wir von ihm so manches Wissenswerte.

Zu DDR-Zeiten gab es auf Hiddensee etwa 120 Fischer wie ihn. Sie lieferten mit den damals üblichen 26 Meter langen Kuttern ihren Fang in den Verarbeitungsbetrieben auf Rügen, in Rostock und Stralsund ab. Jeder hatte sein Auskommen. Konkurrenz untereinander gab es nicht. Das Leben war arbeitsreich, aber glücklich und abgesichert.

Dann kam die sogenannte Wende. Die Verarbeitungsbetriebe wurden vernichtet oder von Westunternehmen übernommen. Ein besonderes Glanzstück ereignete sich da wohl in Rostock. Hier hatte die DDR gerade nagelneue Verarbeitungsmaschinen eingebaut, die noch nicht einmal angelaufen waren. Dennoch wurden sie demontiert und irgendwohin verscherbelt. Danach habe man genau dieselben Maschinen - nur westdeutscher Bauart - wieder eingebaut, erzählte uns Hubert Thürke kopfschüttelnd.

Wir drei waren uns einig, daß Kapitalismus nichts mit gesundem Menschenverstand zu tun hat. Die Ostsee war für die westdeutschen Fangflotten interessant. Die früheren DDR-Fischer sollten verschwinden! Ihre Boote wurden aufgekauft und verschrottet, die Männer in den Ruhe- und den Vorruhestand oder einfach in die Arbeitslosigkeit gedrängt. Während die einheimischen Fischer in der Ostsee noch so auf Fang gegangen waren, daß sich die Heringsbestände immer wieder erholen konnten, nehmen die Konzerne heute darauf keine Rücksicht mehr. Ihre riesigen Fangschiffe können bei jedem Wetter raus, während die alten Kutter spätestens bei Windstärke 5 aufgeben mußten. Mit ihren bis zu 200 Meter langen Schleppnetzen fischen sie die Ostsee gnadenlos leer. Die Bestände haben keine Zeit mehr, sich zu regenerieren. Was allein zählt, ist der Profit. Vernunft spielt keine Rolle.

Und wie ging es mit Hubert weiter? Er wollte nicht aufgeben und fuhr Morgen für Morgen mit seinem Kutter raus. Doch er mußte seinen Fisch ja auch verkaufen. Zeitweilig zwangen die neuen Großhändler ihn, Preise von 2 Cent pro Kilo zu akzeptieren. Oft genug wurde er selbst darum betrogen. Wenn der Liter Diesel für das Boot 50 Cent kostet, wie sollen sich da solche Dumpingpreise rechnen? Zwar haben sie die Preise später wieder etwas erhöht, aber auch nun sicherte Fischfang allein nicht mehr das Überleben.

Hubert hörte schließlich von einer 1936 erbauten Hamburger Hafenbarkasse, die irgendwo gesunken war. Er fuhr zum Ort, wo das gut erhaltene Wrack lag, und hob es mit Freunden in mühevoller Arbeit. Es wurde nach Hiddensee geschleppt und in Kloster von ihm eigenhändig in die "Willi" verwandelt, in der wir nun saßen und wieder Bismarckheringsbrötchen mit einem kräftigen Grog genossen. Denn es war inzwischen empfindlich kühl geworden. Wir hörten "unserem" Fischer weiter zu:

In der Touristensaison, wenn die Gäste auf die Insel kommen, ist die "Willi" sein zweites wirtschaftliches Standbein. Frühmorgens, noch in der Dunkelheit, fährt er mit seinem gleich daneben liegenden Kutter "Alma" hinaus. Er kennt immer noch ein paar Stellen, wo die großen Fangschiffe nicht hinkommen. Am Morgen kehrt er heim. Jetzt muß der Fang entladen, bearbeitet und eingefroren, das Boot gesäubert werden. Dann wird auf der "Willi" alles für die Besucher hergerichtet. Hubert räuchert seinen Fisch, bereitet selbst Heringssalate, Rollmöpse und Bratheringe zu und stellt das Ganze zusammen mit allerlei Getränken bereit. Gegen Mittag kommen die ersten Gäste. Er bedient sie mit typisch norddeutschem Humor und netten Anekdoten. Oft bricht er in schallendes Lachen aus. Man fühlt sich sofort wohl. Bis 18 Uhr bleibt die "Willi" für die Besucher geöffnet. Danach muß aufgeräumt werden. Tausend andere Dinge einschließlich der nötigen Reparaturen an den Booten sind zu erledigen. All das tut Hubert allein. Ganz früh geht es dann wieder raus zum Fischen. Wann er denn schlafe, fragen wir ihn. Viel Zeit bleibe dazu nicht, meint er lächelnd und macht uns noch einen Grog.

Er will nicht aufgeben. Sein Urgroßvater Robert war Fischer, sein Großvater Otto war es, und sein Vater Johannis war es auch. Er folgte ihnen schon als Fünfzehnjähriger. Von einem kalten, menschenverachtenden System läßt er sich nicht unterkriegen, sondern behält Eigenschaften, die darin fast so selten geworden sind wie Fischer seiner Art. Er mag Menschen mit Wärme und Offenheit und begegnet ihnen trotz aller Sorgen und Mühen freundlich. Damit, so denke ich, zeigt er eine Art von Würde und Weisheit, wie sie den Konzernchefs der großen Fangschiffe und ihresgleichen in Politik und Wirtschaft immer fremd und unverständlich bleiben werden.

Wie viele der 120 Hiddenseer Fischer von einst sind eigentlich auf der Insel übriggeblieben? Hubert muß nur kurz überlegen. 16, antwortet er. Als wir heimfuhren, waren unsere Gedanken weniger bei den Schönheiten Hiddensees als vielmehr bei einem von diesen sechzehn.

Ulrich Guhl, Berlin

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Ein geltungsgieriger Gottesmann als professioneller Hexenjäger

Der deutsche McCarthy

Um die einstige Forderung des FDP-Mannes Kinkel, die DDR ganz und gar zu delegitimieren, in die Tat umzusetzen, bediente man sich in besonderem Maße der berüchtigten "Gauck-Behörde" - einer deutschen Variante des in den 50er Jahren von USA-Senator Joseph McCarthy geleiteten Hexenjagdausschusses. Bis zum Jahr 2000 leitete der zum Großinquisitor mutierte Rostocker Pfarrer Joachim Gauck dieses anrüchige, von Beginn an auf Rufmord spezialisierte Unternehmen. Heute quält sich die einstige Katechetin und professionelle DDR-Hasserin Marianne Birthler mit der Weiterführung und "internationalen Vernetzung" der längst schließungsreifen Einrichtung. Seit fast 20 Jahren betreibt man diese mittelalterlich anmutende Institution, welche auf Verketzerung und Verteufelung des sozialistischen deutschen Staates spezialisiert ist.

In engstem Schulterschluß zwischen Gaucks obskurer "Behörde" und der Medienmeute im Dienste des deutschen Kapitals erfand man ohne Unterlaß und nach Belieben Auftragsmord, Folter, Terror, Killerkommandos, Zwangsadoptionen, Wasserzellen, Strahlenkanonen und viele andere Delikatessen für den Appetit des Skandaljournalismus. Trotz angestrengter "Aufarbeitung" der angeblichen Stasi-Verbrechen gelang es Gaucks und Birthlers "ideenreicher" Einrichtung nicht, die Horrorfilmen entliehenen Szenarien nachzuweisen. Die BRD-Justiz war außerstande, auch nur einen einzigen Mitarbeiter des MfS wegen eines Tötungsdelikts, wegen Folter oder der Bedienung vermeintlicher Instrumente zur "Verstrahlung von Dissidenten" gerichtlich zu verurteilen.

Hunderttausende Ermittlungsverfahren stießen buchstäblich ins Leere, richteten sich gegen der Phantasie entstiegene Phantomtäter. Heute stehen die professionellen Antikommunisten aus dem Stall Gauck-Birthler vor einem Scherbenhaufen. Mit List und Tücke konnten sie in zwei Jahrzehnten acht (8!) ehemalige Mitarbeiter des MfS zu Freiheitsstrafen verurteilen lassen. Bei sieben von ihnen wurde Haftverschonung "zur Bewährung" angeordnet. Nur ein einziger Betroffener erhielt eine unbedingte Freiheitsstrafe.

Wer die Wahrheit ans Tageslicht bringen wollte, sich gegen Lüge und Verleumdung zur Wehr setzte, geriet ganz automatisch ins Fadenkreuz der Hexenjäger und Rufmörder. Ich selbst habe das als ehemaliger Leiter der MfS-Bezirksverwaltung Gera erlebt. Vor geraumer Zeit wandte ich mich gegen den Versuch, einen erwiesenen Selbstmord in ein "Stasi"-Verbrechen umzufälschen. Meine Richtigstellung des Sachverhalts wurde überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Man schwieg sie einfach tot und attackierte mich statt dessen als übles "Stasi"-Subjekt, welches obendrein noch Kritik zu äußern wage. Und da reden bestimmte Leute geschwollen von politischer Streitkultur, die angeblich mit dem Anschluß der DDR an die BRD im Osten Einzug gehalten habe!

Während man die Trompete vermeintlich von der DDR-Staatssicherheit begangener Verbrechen bläst, werden die tatsächlichen Untaten des BND gegen die DDR durch die Gauck-Birthler-"Behörde" gar nicht zur Kenntnis genommen. Dabei ist doch alles, was das MfS in den 40 Jahren seiner Existenz über die gegnerischen Geheimdienste in Erfahrung zu bringen vermochte, in seinen Archiven aufgefunden worden. Diese Regale waren für Gauck und seine Nachfolger absolut tabu.

So erteilte der BND seinen Spionen in der DDR u. a. folgenden Rat: "Kommen Sie mit fremden Personen zusammen, von denen Sie interessante Dinge erfahren können, so vermeiden Sie unbedingt, Ihre Gesprächspartner durch direkte Fragen stutzig zu machen. Versuchen Sie vielmehr, durch unverfängliche Bemerkungen dem Gespräch die gewünschte Richtung zu geben. Die anderen reden lassen, selbst aber ein aufmerksamer Zuhörer sein. Das von Ihnen gezeigte Interesse darf niemals den normalen Rahmen überschreiten."

Eigentlich sind solche "Empfehlungen" in Geheimdienstkreisen üblich. Doch gesetzt den Fall, es gäbe einen ähnlichen Ratschlag des MfS an seine Aufklärer, so könnte man sich die entsprechenden Kommentare in den Medien der Bourgeoisie wohl gut vorstellen: "Welche heimtückische und hinterhältige Aushorcherei", hieße es dann. Denn was dem einen recht ist, muß dem anderen noch lange nicht billig sein!

Ein ehemaliger Staatsminister im Bundeskanzleramt der BRD, der für den BND zuständig war, plauderte einst aus der Schule: "... so wie wir ohne bestimmtes Feindbild eine Bundeswehr unterhalten, brauchen wir unsere Nachrichtendienste. Zu wissen, was ein anderer Staat kann und macht oder machen will, ist das legitime Interesse eines auf seine Sicherheit und die Erhaltung des Friedens bedachten Staates. Die Nachrichtendienste eines Staates sind Ausdruck seiner Souveränität."

Damit ist die gesamte Tätigkeit des geltungsbedürftigen und politisch längst verbrauchten Gottesmannes, der als Boß einer übriggebliebenen Behörde des Kalten Krieges zum Gaukler wurde, ad absurdum geführt worden. Denn auch das MfS war nichts anderes als ein Ausdruck der Souveränität des Staates, dem es diente. Nur abgrundtiefer Haß gegen den Sozialismus dürfte die Führer von SPD und Grünen sowie deren Spielgefährten aus anderen Quartieren geritten haben, ausgerechnet eine Figur aus der antikommunistischen Mottenkiste hervorgeholt und für das formell höchste Staatsamt der BRD vorgeschlagen zu haben.

Generalmajor a. D. Dr. Dieter Lehmann, Dresden

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Zwei Seiten einer Medaille

Fabelhafte Melange

In der Märzausgabe der ADAC-Zeitschrift "Motorwelt" fand ich im Abstand von nur einer Seite zwei ganz tolle Hochglanzpapier-Anzeigen unserer stets so stimulierfreudigen Werbebranche. Sie werfen Schlaglichter auf das politische Geschehen in Kohls und Merkels Paradies. Einerseits will man dem Leser die vor fast 20 Jahren durch den Hoch- und Landesverrat der noch auf die gültige DDR-Verfassung vereidigten Regierung de Maizière möglich gewordene "deutsche Einheit" schmackhaft machen und ihm eine angeblich einzigartige Gedenkmünze andrehen. Andererseits stößt der Betrachter beim Umblättern auf die Ankündigung des im Kopp-Verlag erschienenen Buches von Michael Grandt "Der Staatsbankrott kommt! Hintergründe, die man kennen muß". Neben dem Pleitegeier ruft man die gerade erst beglückwünschten "Einheitsgewinner" zur Rettung ihres Vermögens auf, "solange noch Zeit dazu ist". Eine fabelhafte und treffsichere Melange!

Ich habe mir erlaubt, die beiden Annoncen einfach übereinander zu kleben. Denn: Was zusammengehört, soll auch zusammenwachsen.

Klaus Pinkau, Leipzig


Seine Wintzigkeit, der Graf

Die hier in bezug auf Eigentore bereits als besonders treffsicher ins Feld geführte "Motorwelt" veröffentlichte in ihren Spalten auch folgenden ergötzlichen Leserbrief: "Mit Interesse und Freude habe ich Ihren Bericht über die automobile Geschichte der Bundesrepublik gelesen. Meine Freude wurde jedoch getrübt, als ich den Schriftzug '60 Jahre BRD' zur Kenntnis nehmen mußte. Das Kürzel 'BRD' entstammt dem propagandistischen Wortschatz der DDR. Sie wollte auf diese Weise den Anspruch der Bundesrepublik negieren, das ganze Deutschland zu vertreten. Als Teil der Diktatursprache sollte die Abkürzung BRD deshalb heute in den Medien keinen Platz haben.

Heinrich Jobst Graf von Wintzigerode, Berlin


Zulässige Abkürzung

Die Redaktion der "Motorwelt" gehorchte Exzellenz aufs Wort: "Die Bundeszentrale für politische Bildung benutzt seit den 90er Jahren die Abkürzung in ihren Veröffentlichungen. Trotzdem verzichten wir ab jetzt auf die Verwendung des Kürzels, da wir die Einwände gegen den Begriff nachvollziehen können", antwortete sie dem Grafen.


Unser Leser Franz Hilbert, Rheinsberg, stellte dem Blatt die Frage: "Gibt es heute noch immer den Alleinvertretungsanspruch der Alt-Bundesrepublik?" In den gemeinsamen Duden für Ost und West von 1991 seien die drei Buchstaben BRD als "nichtamtliche Abkürzung" aufgenommen worden.

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Wie der Berliner Fernsehturm seinen zentralen Standort erhielt

Idee eines Schweizer Architekten

Hier soll für meine Lieblingslektüre "RotFuchs" eine wahre Begebenheit beschrieben werden. In dieser Sache bin ich wohl der einzige noch lebende Zeitzeuge.

Es war im März 1960, als ich, damals ein frisch gekürter Abteilungsleiter Bauwesen beim ZK der SED, von Walter Ulbricht zu einer Beratung eingeladen wurde. In dem Raum, wo die Zusammenkunft stattfand, war ein Modell des Berliner Stadtzentrums aufgestellt, mittendrin der Gestaltungsvorschlag für den künftigen Fernsehturm. Seinen Standort und sein Aussehen hatte man bereits so gewählt, wie das Projekt dann umgesetzt wurde. Außerdem hingen an den Wänden städtebauliche Pläne zum gleichen Thema. Beeindruckend war dabei die perspektivische Darstellung künftiger Stadtansichten, speziell der Hauptmagistralen. Es wurde deutlich, daß der Standort für den Fernsehturm ideal gewählt und klug durchdacht war. Doch weder aus den Plänen noch aus dem Modell ging der Urheber des Entwurfs hervor.

Walter Ulbricht nahm das Wort. Er sagte, daß es darum gehe, über den Bau eines Berliner Fernsehturms zu beraten, nachdem eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet worden sei. Als geeignete Plätze waren die Müggelberge und der Park im Stadtteil Friedrichshain vorgeschlagen worden. Beides wurde von Ulbricht als ungeeignet bezeichnet. Er wandte sich dann dem Modell des Stadtzentrums zu und bemerkte, daß sich der Fernsehturm aus seiner Sicht genau an der richtigen Stelle befände, da er bei klarem Wetter überall in Berlin als neue Dominante im Stadtbild gesehen werden könne. Auch die vorgeschlagene Gestaltung der funktionell erforderlichen Plattform als Kugel sei eine gute Idee und so bislang einmalig in der Welt.

Zugleich verwies Walter Ulbricht auf ablehnende Äußerungen zu diesem Standort im unmittelbaren Zentrum Berlins. Dabei berufe man sich hauptsächlich darauf, die westlichen Alliierten seien wegen der Luftbrücke dagegen. Darauf erwiderte Ulbricht: "Das interessiert mich wenig! Die sollen anständig fliegen lernen und endlich anerkennen, daß die DDR existiert!"

Der geistige Kopf des vorgestellten Projekts blieb in dieser Beratung - aus welchen Gründen auch immer - ungenannt. Auf Ulbrichts Frage, ob es gegensätzliche oder andere Vorstellungen gebe, meldete sich niemand.

Natürlich war nun bei den Teilnehmern - auch bei mir - die Neugier groß. Wer könnte der Spiritus rector des vorgestellten Entwurfs wohl sein?

In der DDR-Hauptstadt schlugen die Architekten Prof. Hermann Henselmann und Prof. Dr. Gerhard Kosel den Bau und die Gestaltung eines Fernsehturms vor. Beide hatten dabei für die Plattform eine Kugel im Auge.

Dies wurde Ende der 50er Jahre bekannt. Henselmann hatte die Idee mit seinem Beitrag zum Wettbewerb über den Wiederaufbau des Berliner Stadtkerns, der von der DDR-Regierung ausgeschrieben worden war, unterbreitet. Kosel befaßte sich ebenfalls ausgiebig mit dem Projekt und machte seine Vorstellungen hierzu öffentlich bekannt. Beiden war klar, daß die damals weltweite Tendenz, Plattformen von Fernsehtürmen stets als Tonnen-Gebilde mit nur geringen Variationen auszuführen, Schematismus darstellte und eher abstoßend wirkte. Deshalb gebührt diesen Architekten das Verdienst, erstmals einen anderen Weg beschritten zu haben.

Der langjährige Streit, wem von den beiden Könnern nun die Palme des Ersten bei der Kugel-Gestaltung zuzuerkennen sei, macht wenig Sinn. Wahr ist, daß Henselmann wie Kosel gleichermaßen für diese großartige Idee und deren Verwirklichung Anerkennung gebührt. Auch das vieldiskutierte Plus-Zeichen gehört dazu, das die Außenbekleidung der Kugel-Plattform bei intensiver Sonneneinstrahlung reflektiert. Es soll ein Lob für das Vollbrachte sein! Spekulationen über ein "heiliges oder unheiliges Kreuz" entbehren tatsächlich jeder Grundlage.

Mit dem Fernsehturm im DDR-Hauptstadtteil entstand ein friedliches Wahrzeichen für Berlin. Auch die heutige Metropole der Bundesrepublik kann sich dem optisch nicht entziehen.

Allerdings muß ergänzend bemerkt werden, daß die von beiden Kugel-Erfindern ursprünglich vorgeschlagenen Standorte für den neuen Fernsehturm nicht ins Schwarze trafen. Erst Prof. Hans Schmidt aus Basel erzielte nach eingehenden Studien den Treffer. Er war langjähriges Mitglied der Partei der Arbeit, in der die Kommunisten der Schweiz ihre politische Heimat sahen. Schmidt hatte schon in den 20er und 30er Jahren als Städteplaner der Sowjetunion bei deren Aufbauvorhaben geholfen.

Nach der Niederlage des deutschen Faschismus und der Gründung der DDR interessierte er sich vor allem für die Entwicklung des sozialistischen deutschen Staates. Das betraf nicht zuletzt die 1951 entstandene Deutsche Bauakademie in Berlin-Mitte. Dort lernte ich Prof. Schmidt im Jahre 1954 bei seinem ersten DDR-Besuch kennen.

Sein damaliger Wunsch war es, geraume Zeit ohne Honorar an der Bauakademie zu wirken. Er wollte sich vor allem mit Studien befassen, die den Wiederaufbau Berlins - beim Zentrum angefangen - betrafen. Dabei erhielt er offenbar auch von den Fernsehturm-Absichten der Architekten Henselmann und Kosel Kenntnis. So begab er sich selbst auf die Suche nach einem günstigen Platz inmitten der Stadt. Der Turm sollte aus allen Himmelsrichtungen mit dem Blick auf das Zentrum der Hauptstadt wahrgenommen werden. Schließlich machte Schmidt den günstigsten Standort ausfindig. Dort hebt er sich seit 1969 in den Himmel.

Hans Schmidt schickte seine Unterlagen - einschließlich eines kompletten Modells des Berliner Stadtzentrums - an Walter Ulbricht, dem er offenbar kühne Entscheidungen zutraute. Er hatte damit den "richtigen Riecher". Übrigens wurde der Turm auf Schweizer Grund und Boden errichtet. Wie das delikate Eigentumsproblem geklärt worden ist, bleibt bis heute ein Geheimnis.

Gerhard Trölitzsch, Berlin

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Dormagens Stadtobere verweigerten Ehrung eines durch die Nazis ermordeten Kommunisten

Stolpern über Stolperstein

In der zweiten Maihälfte war der 62jährige Kölner Künstler Gunter Demnig, der seit 1993 unzählige Stolpersteine zum Gedenken an von den Faschisten aus politischen oder rassistischen Gründen Ermordete verlegt hat, bereits zum neunten Mal in Dormagen unterwegs. Vor dem Haus Krefelder Straße 20 klopfte er drei weitere Gedenksteine für jüdische Naziopfer in das Trottoir. In der Stadt wurden bereits 36 solcher Erinnerungsstätten geschaffen.

Doch einen Stolperstein durfte Gunter Demnig im Stadtteil Zons nicht einlassen. Er sollte für den einstigen IG-Farben-Maschinisten Ernst Junghans bestimmt sein. Dabei war auch die Ehrung des von der SA ermordeten Kommunisten bereits beschlossene Sache. Sogar der CDU-Bürgermeister hatte seine Teilnahme zugesagt.

Das KPD-Mitglied Junghans war acht Jahre Gemeinderat in Zons gewesen. Nur vier Tage vor dem feierlichen Akt sagte Dormagens Stadtverwaltung den Termin plötzlich ab.

Ein "Historiker" habe "Unstimmigkeiten" festgestellt. Es gäbe "neue Erkenntnisse", die "gründlich geprüft" werden müßten, hieß es. Bei der Verfolgungsjagd auf Ernst Junghans sei auch ein Nazi ums Leben gekommen. Schüler der Dormagener Bertha-von-Suttner-Gesamtschule, die - inspiriert von ihrem beherzten Lehrer Uwe Koopmann - in monatelanger Kleinarbeit zu Leben und Sterben von Ernst Junghans recherchiert hatten und bereits als Paten des Gedenksteins auftraten -, zeigten sich über die Absage entsetzt. Für die Jugendlichen, die sogar ein dem Thema gewidmetes Theaterstück einstudiert hatten, sei eine Welt zusammengebrochen, sagte Koopmann.

Was hatten die Ermittlungen der jungen Leute ergeben?

In der Nacht des 3. Februar 1933 - nur vier Tage nach Hitlers Machtantritt - veranstalteten die Faschisten in Dormagen eine regelrechte Hatz auf stadtbekannte Mitglieder der KPD. Während andere mit knapper Not überlebten, erlag Ernst Junghans am Morgen nach dem Feuerüberfall seinen schweren Schußverletzungen.

Auf dem Sterbebett sagte er seiner Frau, von den SA-Leuten sei sofort geschossen worden, als er das Haus Kölner Straße 147 habe verlassen wollen. Der Kommunist besaß zwar auch selbst eine Waffe zur persönlichen Verteidigung, hatte von dieser jedoch keinen Gebrauch machen können. Einen Tag nach dem Tod des KPD-Funktionärs starb der Dormagener Faschist Friedrich Schreiber. Die Nazis nannten eine Straße nach ihrem "Märtyrer".

Am 17. Februar 1933 befahl Hermann Göring als preußischer Ministerpräsident in der Auseinandersetzung mit politischen Gegnern rücksichtslos von der Schußwaffe Gebrauch zu machen. Die Dormagener SA-Leute waren dem nur um einige Tage zuvorgekommen.

Ernst Junghans hatte sich den besonderen Haß der Faschisten vor allem auch dadurch zugezogen, daß er bei den durch die NSDAP nach schweren Schlappen im Vorjahr für entscheidend erklärten Landtagswahlen in Lippe am gleichen Tag wie Hitler dort eine öffentliche Rede gehalten und vor den Folgen eines Sieges der Nazi-Liste gewarnt hatte.

In Dormagen sind jetzt die vielgepriesenen Musterdemokraten über den Stolperstein für einen im antifaschistischen Kampf gefallenen Kommunisten gestolpert. Ein schändliches Eigentor!

RF, gestützt auf einen Bericht von Liesel Bauer, Dormagen

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Wie Sachsens Regierende in Torgau von der NS-Militärjustiz Verfolgte schmähen

"Ehrung" von Opfern und Tätern

Unlängst wurde in der Torgauer Gedenkstätte Fort Zinna ein Mahnmal für die Opfer der hitlerfaschistischen Kriegsgerichte enthüllt. Es drängt mich dazu, diesen Vorgang zu kommentieren. Nach den Worten der sächsischen Wissenschafts- und Kunstministerin Sabine von Schorlemer soll dieses Monument "an die Leiden der Opfer der NS-Militärjustiz, der sowjetischen Speziallager nach 1945 und der Opfer der politischen SED-Justiz bis 1989" erinnern. Allein die in dieser Formulierung zum Ausdruck gelangende Gleichsetzung empört mich zutiefst, wenn ich an meinen Vater denke.

In Torgau wurde am 9. Mai überdies ein Gedenkort eingeweiht, der "an die Opfer der NS-Militärjustiz, der sowjetischen Speziallager und des DDR-Strafvollzugs" erinnern soll. Beide genannten "Gedenkstätten" stehen sich in unmittelbarer Nähe der Justizvollzugsanstalt gegenüber und sind nur durch eine Hainbuchenhecke voneinander getrennt.

Zur Sache: Torgau war in der Tat der zentrale Ort der Verfolgung und Ermordung von Kriegsdienstverweigerern, Deserteuren und sogenannten Wehrkraftzersetzern der faschistischen Zeit. 1943 verlegten die Nazis den Sitz ihres obersten Militärgerichts in die Stadt an der Elbe. Bei insgesamt über einer Million von der Wehrmacht und anderen Einheiten "in Gewahrsam Genommenen" verhängten Hitlers Militärrichter über 30.000 Todesurteile, von denen 20.000 vollstreckt wurden. Tausende Gefangene starben an den unmenschlichen Haftbedingungen. Unzählige andere wurden auf "Bewährung" in die Himmelfahrtskommandos der Strafbataillone an die Ostfront und in andere Länder geschickt. Mein Vater hatte von Torgau aus seine Leidenszeit als Angehöriger einer solchen "Spezialeinheit" begonnen.

Während die sogenannten Opfer des Stalinismus bereits 1992 pauschal rehabilitiert und durch ein Denkmal "geehrt" wurden, mußten die Opfer der NS-Militärjustiz bis zum 9. Mai 2010 darauf warten. Das war natürlich so gewollt. Seit 1945 kämpften die von den NS-Richtern Verfolgten um ihre Rehabilitierung und um eine Gedenkstätte am Ort ihrer Leiden. Wenn nun für alle drei "Opfergruppen" ein gemeinsamer Ort der Ehrung eingeweiht wurde, kann das so nicht hingenommen werden. Der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Opfer des NS-Systems, Ludwig Baumann, bezeichnete die sogenannte Gedenkstätte in Torgau als "Schandmal". Ich kann ihm als Sohn eines dort inhaftiert gewesenen und verurteilten Soldaten nur zustimmen.

Auf den Schrifttafeln wurde mit keiner Silbe erwähnt, daß 492 namentlich bekannte Kriegsrichter und Militärstaatsanwälte Hitlers sowie andere Verantwortliche für Repressionen nach 1945 in Torgau einsaßen. Es waren Personen, die Opfer der Militärjustiz verurteilt und gemordet haben. Mit solchen Leuten kann es absolut keine Gemeinsamkeiten geben. Opfer und Täter in eine Gemeinschaft stellen zu wollen, kann nur als absolute Schizophrenie betrachtet werden und deutet auf die völlige Negierung der Untaten der NS-Zeit hin. Hier muß eine eindeutige Klarstellung erfolgen.

Ein würdiger Höhepunkt war indes die Enthüllung des Denkmals für die Opfer der faschistischen Barbarei, das der Rostocker Künstler Jo Jastram geschaffen hat. Es zeigt einen Toten und eine trauernde junge Frau, dazu die Inschrift: "Nie wieder Krieg!" Zum ersten Mal wurde an diesem Ort auf solche Weise der durch die verbrecherische NS-Justiz Ausgelöschten gedacht.

Dipl.-Ing. Hermann Ziegenbalg, Riesa-Weida

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Anzapfen von Legitimitätsreserven?

Außenpolitiker aus dem Berliner Establishment diskutieren über einen möglichen Nutzen diktatorischer Regierungsformen. Nach Auffassung mancher Beobachter befinde sich der Westen derzeit in einem "Zustand der Erschöpfung demokratischer Energie und der Erosion demokratischer Institutionen", heißt es in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Internationale Politik". Zugleich sei "verschiedentlich von diktatorischen Befugnissen und Maßnahmen die Rede", wenn auch meistens im Sinne einer temporären Diktatur.

Die zentrale Frage sei, ob "jenseits der Legalordnung Legitimitätsreserven angezapft" werden könnten, um "eine in die Jahre gekommene Ordnung" - die Demokratie - "zu verjüngen", schreibt die Zeitschrift unter Nutzung von Begriffen, die der NS-Kronjurist Carl Schmitt in den 30er Jahren verwendete, um die Außerkraftsetzung einer demokratischen Verfassung zu begründen.

Der Artikel legt nahe, daß manche Wirtschaftsvertreter autoritären Maßnahmen keineswegs abgeneigt sind, und fragt, ob "der Verfassungsstaat im Systemwettbewerb" gegenüber China und Rußland "noch bestehen" kann. Die Diktatur, urteilt der Autor, ein Beiratsmitgl ied der Berliner Bundesakademie für Sicherheitspolitik, "hat sich als Irrweg erwiesen". Einer Grundsatzdebatte über den Nutzen diktatorialer Praktiken verweigert er sich jedoch nicht.

Internetportal "Informationen zur deutschen Außenpolitik"

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Einspruch gegen Eric Hobsbawms "undogmatischen Marxismus"

Verworrene Gesellschaftskonzepte

Gegenwärtig werden die Schriften Eric Hobsbawms als "undogmatischer Marxismus" vorgestellt.

Um das Wesen des von Hobsbawm vertretenen Marxismus zu erkennen, kann das Studium seines Hauptwerkes "Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts" helfen. Hobsbawms heutiges Weltbild tritt in dieser umfangreichen Arbeit mit ebensolcher Deutlichkeit zutage wie in seiner Autobiographie.

Der Autor ist der Überzeugung, daß der Kommunismus eine Utopie sei. Damit stellt er den Marxismus-Leninismus als Ganzes in Abrede. Er schreibt: "Es gehörte nicht viel dazu, in Europa während der beiden Weltkriege und dazwischen zu dem Schluß zu kommen, nur eine Revolution könne der Welt eine Zukunft geben. Die alte Welt war in jedem Fall zum Untergang verurteilt." Zu den Elementen, "die den kommunistischen Utopismus von anderen Zukunftsvisionen unterschieden" hätten, "gehörte der Marxismus, der mit den Methoden der Wissenschaft die Gewißheit unseres Sieges bewies, eine Vorhersage, die durch den Sieg der proletarischen Revolution auf mehr als einem Sechstel der Erdoberfläche und das weitere Vordringen der Revolution in den vierziger Jahren bestätigt worden war", schreibt Hobsbawm.

"Heute sind die Fundamente dieser Gewißheit, zu wissen, welchen Verlauf die Geschichte nehmen werde, zerstört, insbesondere die Überzeugung, die industrielle Arbeiterklasse werde die Trägerin dieser Veränderung sein." Bei der Wertung der 68er Bewegung kommt er zu dem Schluß: "Niemand in der westlichen Welt erwartete noch eine soziale Revolution. Nicht einmal unter den Revolutionären gab es noch viele, die, abgesehen von der Treue zur alten Doktrin, die industrielle Arbeiterklasse - Marx' 'Totengräber des Kapitalismus' - noch als prinzipiell revolutionär betrachtet hätten."

Den Kommunismus als Zukunft der Menschheit und die damit verbundene Herausforderung an die Arbeiterklasse hält Hobsbawm für nicht zeitgemäß. Er erklärt das Ideal der revolutionären Arbeiterbewegung für unrealistisch und spricht zugleich dem Proletariat die Fähigkeit ab, zusammen mit seinen Bündnispartnern die weltgeschichtliche Aufgabe wahrzunehmen, in den Klassenkämpfen gegen das internationale Kapital den Übergang zu einer kommunistischen Gesellschaft zu erstreiten.

Hobsbawm betrachtet den Sozialismus und den Kapitalismus lediglich als Varianten der "Industriegesellschaft". Die gegenwärtigen Hauptprobleme der Menschheitsentwicklung sind für ihn demgemäß die ungleiche Entwicklung der Regionen, das Bevölkerungswachstum, die Umweltschäden und der Neoliberalismus. Um sie zu bewältigen, tritt er für eine globale (regionale, nationale) Regulierung der Wirtschaftstätigkeit ein, die den Verbrauch der natürlichen Ressourcen begrenzt und eine größere Verteilungsgerechtigkeit herstellt. Der Autor kommt nicht zu dem Schluß, daß die Menschheit an einem Punkt ihrer Entwicklung angelangt ist, an dem die Klassenherrschaft der Monopolbourgeoisie als die Hauptursache sozialer Katastrophen überwunden werden muß.

Seine reformistischen Vorstellungen für die Lösung von Gegenwartsfragen finden ihre Fortsetzung in der Einschätzung des Entwicklungsweges jener europäischen Völker, die nach der Errichtung der Volksmacht in die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus eingetreten waren. Die Staaten des Warschauer Vertrages werden von Hobsbawm als "kommunistische Regimes", "Satelliten der Sowjetunion", "Moskaus Kolonien" bezeichnet.

Die DDR war nach seiner Auffassung ein System der Unterdrückung. Sie verfügte über eine monströse, alles erfassende Bürokratie, welche die Staatsbürger zwar nicht terrorisierte, aber fortwährend schikanierte, belohnte und bestrafte. Die neu entstandene Gesellschaft sei zwar keine schlechte gewesen: Arbeit und sozialer Aufstieg für alle, Bildungschancen und soziale Sicherheit. Aber den DDR-Bürgern sei diese Gesellschaft durch Gewalt aufgezwungen worden: "Sie konnten ihr Leben nicht selbst bestimmen. Sie waren nicht frei." Diese mangelnde Freiheit unter dem "DDR-Regime" sollen u.a. Vorhaltungen über den angeblich allgegenwärtigen Geheimdienst belegen. Als Freiheitsapostel gilt dagegen Wolf Biermann, den er in einem Ostberliner Hinterhaus besuchte, "wo er die Protestlieder sang, die ihn berühmt gemacht hatten".

Begriffe wie "Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953", "ungarische Revolution 1956", "Prager Frühling 1968", aber auch seine Bekenntnisse zum "Eurokommunismus", zum "demokratischen Sozialismus", zum "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" und die Wertschätzung für M. S. Gorbatschow, den "charmanten und ehrlichen kommunistischen Reformer", geben Auskunft über seine Gesellschaftsvorstellungen. Zum europäischen Sozialismus jedenfalls urteilt er, daß die Oktoberrevolution nur einen erbarmungslosen und brutalen Kommandosozialismus hervorbringen konnte.

Hobsbawm meint, daß es am Ende des 20. Jahrhunderts keine Revolutionen in den europäischen sozialistischen Ländern gegeben habe. "Zwar wirkt dieser Begriff durchaus angemessen, da Ereignisse, die zum endgültigen Sturz von Regimes führen, revolutionär sind, aber er ist irreführend. Denn keines der osteuropäischen Regimes wurde gestürzt. Außer in Polen hatte es in keinem Land eine organisierte oder auch nur nichtorganisierte interne Kraft gegeben, die eine ernsthafte Bedrohung dargestellt hätte ..." Die sozialistischen Länder sind seiner Auffassung nach implodiert. Daß der Untergang des Sozialismus in Europa ein Ergebnis des internationalen Klassenkampfes zwischen Proletariat und Bourgeoisie war, wird von Hobsbawm bestritten.

Er hält Lenin für einen orthodoxen, fundamentalistischen Marxisten. "Der Leninismus ... dachte seinem Wesen nach in militärischen Kategorien. Das bezeugen ja Lenins Bewunderung für Clausewitz und das ganze politische Vokabular der Bolschewiken. 'Wer - wen?' war Lenins Grundmaxime: Der Kampf als Nullsummenspiel, in dem der Gewinner alles und der Verlierer nichts bekommt." Die Gründung der Kommunistischen Internationale war - seiner Einschätzung nach - keine gute Idee Lenins, weil sie u. a. die neue kommunistische Bewegung nach dem Muster der Leninschen Vorhutpartei strukturierte.

Hobsbawms Zukunftsideen sehen den Kommunismus nicht einmal als Möglichkeit vor. Die Darstellungen laufen auf eine reformistische staatsmonopolistische Lösung weltweiter Probleme hinaus. Den Krisen und Katastrophen sollen Elemente wie gemischtes Eigentum, liberaler Pluralismus, Konsens zwischen den Parteien und politischen Organisationen sowie Umverteilung entgegenwirken. Revolutionsvermeidung und die Absage an die Führung der Gesellschaft durch kommunistische Parteien sind typisch für seine Gesellschaftsvorstellungen.

Die hier vorgestellten Ansichten Eric Hobsbawms widersprechen dem Marxismus. Er wiederholt in seiner "Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts" revisionistisches Gedankengut und diskreditiert damit den europäischen Sozialismus und Kommunismus in einer Weise, die den Beifall von Antikommunisten finden wird.

Dr. Ehrenfried Pößneck

Raute

Angies verschwundene Belegarbeit

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

RF-Extra

Gedanken zum 65. Jahrestag der Gründung der Liberaldemokratischen Partei Deutschlands

Neubeginn in schwerer Zeit

Parteigründungen haben stets ihre Wurzeln in geschichtlichen Gegebenheiten und werden von Persönlichkeiten bestimmt, die selbst Teil ihrer Zeit sind und sich von deren Notwendigkeiten zum Handeln veranlaßt fühlen. Allein unter diesem Gesichtspunkt sind sie zu beurteilen.

Das trifft auch auf die Gründung der LDPD zu, die ursprünglich LDP hieß.

Keine vier Wochen nach dem Ende des fürchterlichsten aller Kriege wurde in Moskau der Weg für die Zulassung von Parteien in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) freigemacht. Stalin hatte am 4. Juni 1945 die KPD-Führer Ulbricht, Ackermann und Sobottka überraschenderweise nach Moskau kommen lassen. Die Unterredung mit den deutschen Genossen dauerte eine Stunde und 45 Minuten. Stalin teilte seinen Gesprächspartnern mit:

1. Die KPD solle ab sofort gemeinsam mit den sowjetischen Besatzungsbehörden Möglichkeiten schaffen, daß neben der SPD auch bürgerliche Parteien tätig werden könnten. 2. In der SBZ sei umgehend eine Bodenreform durchzuführen, das Junkertum müsse entmachtet werden.

Sechs Wochen vor Beginn der Potsdamer Konferenz (17.7. bis 2.8.) traf Stalin diese beiden Entscheidungen. Was bezweckte er damit?

Offensichtlich wollte er seine westlichen Kriegsverbündeten testen, inwieweit sie mit einer Demokratisierung Deutschlands und der Entmachtung der alten "Elite" einverstanden wären; zugleich war es auch eine Willensbekundung der Sowjetunion, was man unter der Zukunft Deutschlands zu verstehen habe.

Zügig werden die Ergebnisse der Zusammenkunft vom 4. Juni in die Praxis umgesetzt.

- Am 7. Juni erarbeitet Ackermann den Entwurf eines programmatischen Aufrufs der KPD, der mit Stalin im Beisein von Dimitroff besprochen wird. Stalin lehnt die Einführung des sowjetischen Systems in der SBZ ab und spricht sich für eine antifaschistisch-demokratische Ordnung aus. Die KPD schlägt daraufhin die Gründung eines Blocks der antifaschistischen Parteien vor.

- Am 9. Juni nimmt die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) ihre Tätigkeit auf.

- Am 10. Juni erläßt sie den Befehl Nr. 2, auf dessen Grundlage sofort deutsche Parteien zugelassen werden können.

- Am 11. Juni wird der Aufruf der KPD veröffentlicht, der die Aussage enthält, das Wirken der Partei sei auf ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland gerichtet.

- Am 15. Juni wird die SPD neu konstituiert.

- Am 26. Juni tritt die CDU als eine bürgerlich-christliche Partei an die Öffentlichkeit.

- Am 5. Juli nimmt der liberale Großberliner Gründerkreis den Status einer Partei an. Die Liberale Demokratische Partei (LDP) ist gegründet. Sie hat indes eine interessante Vorgeschichte.

Unter Duldung der USA, deren Truppen im April 1945 die Elbe erreichten, kam es durch nichtfaschistische bürgerliche Persönlichkeiten vielfach zu Parteigründungen. Es gab 20 Gründerkreise, die sich später dem Berliner Gründerkreis anschlossen. Die Parteigründer verstanden die LDP als einen Zusammenschluß Gleichgesinnter. Waldemar Koch, Sprecher des liberalen Gründerkreises, erklärte gegenüber der SMAD: "Das Arbeitsgebiet der LDP ist Deutschland." Die SMAD förderte solche Gedanken auch in den anderen Parteien.

Was waren das für Menschen, die sich in der LDP trafen?

- Die Beteiligten erstrebten unter dem Eindruck des Zusammenbruchs der Nazi-Diktatur ein Leben in Frieden mit allen Völkern.

- Sie sehnten sich nach humanistischem Gedankengut und wollten ihr Leben wie das der anderen Menschen danach ausrichten.

- Sie träumten von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

- Es waren Frauen und Männer aller Altersgruppen, Menschen aus den unterschiedlichsten Schichten und Berufen.

Die bitteren Erfahrungen, die sie während der Nazi-Herrschaft und besonders in den Kriegsjahren machen mußten, führten sie zu der Erkenntnis, daß in einem neuen Deutschland die Lösung aller Fragen - auch der sozialen - in Übereinstimmung mit der Arbeiterbewegung erfolgen müsse. Eine Zersplitterung der demokratischen Kräfte dürfe es nicht geben.

Wilhelm Külz - ehemals kaiserlicher Kommissar in Deutsch-Südwestafrika, dann Reichsminister in der Weimarer Republik und schließlich von den Nazis gemaßregelter Oberbürgermeister Dresdens, um nur einen zu nennen - sah sich vor die Aufgabe gestellt, liberaldemokratische Politik in allen vier Besatzungszonen zu gestalten. Er selbst stand unter dem Eindruck der enormen Kriegsschuld Deutschlands, der Untaten der Faschisten und der Katastrophe, die über das deutsche Volk hereingebrochen war. Gewisse eigene Schuldgefühle, daß bürgerliche Demokraten und somit auch er in der Weimarer Republik den Machtantritt Hitlers nicht verhindert hatten, prägten seine Gesinnung. Ihm brachten die Zustimmung zum Block der antifaschistischen Parteien, zur Bodenreform und zum Deutschen Volkskongreß für Einheit und gerechten Frieden nicht nur Ehre ein, sondern auch heftige Angriffe politischer Gegner. Der spätere BRD-Präsident Theodor Heuss bezeichnete Külz sogar als "Russenknecht". Doch schon 1945 hatte dieser formuliert: "Eine Partei, die nicht in Dogmen erstarren will, muß sich immer von neuem an den großen Problemen der Zeit lebendig orientieren."

Die Zeichen der Zeit bestanden im Juni 1945 darin, daß die Westmächte durch das Vorpreschen der Sowjetunion kurz vor der Potsdamer Konferenz überrascht worden waren. Neben den bereits erwähnten Zielstellungen hegte die UdSSR auch bestimmte innenpolitische Erwartungen.

Sie wollte den Neuaufbau der KPD und deren bereits ausgearbeitete Konzeption zur Gestaltung der Nachkriegspolitik nicht der Partei allein überlassen.

Die SPD sollte auf eine enge Zusammenarbeit mit der KPD festgelegt werden.

LDP und CDU wollte man so beeinflussen, daß sie der sowjetischen Deutschlandpolitik nicht im Wege stünden.

Was die bürgerlich-demokratischen Parteien jener Zeit betrifft, so berichten Zeitzeugen von Gesprächen mit sowjetischen Offizieren. Diese zitierten nicht etwa die Klassiker des Marxismus, sondern sprachen über Goethe, Schiller und Lessing.

Sie waren hochgebildet. Man hob den bürgerlichen Humanismus hervor, die demokratischen Traditionen der Revolution von 1848. Die sowjetischen Militärs forderten die Parteigründer auf, Menschen aus dem Bürgertum aller Besatzungszonen, die sich nicht mit den Nazis eingelassen hatten, für die LDP zu gewinnen. Heute wird diesen vorgeworfen, sie wären damals zu leichtgläubig gewesen. Eine derart anmaßende Behauptung geht an der Realität weit vorbei: Natürlich standen hinter solchen Gesprächen glasklare politische Interessen. Das aber galt für alle Siegermächte.

Als sich die LDP für den Block der demokratischen Parteien entschied, der am 14. Juli 1945 erstmals zusammentrat, ging sie von der Gewißheit aus, daß die Zusammenarbeit aller vier Parteien von existentieller Bedeutung für das deutsche Volk war. Sie verstand den Block als eine Notgemeinschaft zur Behebung der Kriegsfolgen, zur Beseitigung der Überreste des Hitlerregimes und zur Rückgewinnung des Vertrauens der Völker.

Die KPD entwickelte - gestützt auf ihren Aufruf vom 11. Juni 1945 - eine breit angelegte Aktion zur Enteignung der Großgrundbesitzer und Nazigrößen mit dem Ziel, die feudalen Überreste und den preußischen Militarismus restlos auszurotten. Im August 1945 drang die SMAD auf ein höheres Tempo. Es bestand Handlungsbedarf. Den vielen Menschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten mußten mit der kostenlosen Übergabe von Grund und Boden eine Existenzgrundlage und ein neuer Lebensinhalt geschaffen werden. Die KPD hatte sich nicht erst seit dem 4. Juni 1945 mit der Bodenreform beschäftigt. Zwischen Dezember 1944 und Mitte 1945 waren von Anton Ackermann und Edwin Hoernle entsprechende Konzepte erarbeitet worden.

In ihrem Grundanliegen folgte ihnen die Bodenreform-Verordnung vom September 1945. Die SMAD fügte zwei wesentliche Ergänzungen hinzu. Es sollte ohne Ausnahme und ohne Entschädigung enteignet werden. Sie verfügte auch, daß die expropriierten Großgrundbesitzer nicht am Ort verbleiben dürften und notfalls festzunehmen seien. Stalin machte seinen Kriegsbündnispartnern klar, was die UdSSR unter Ausmerzung der ökonomischen und gesellschaftlichen Wurzeln des Junkertums, das mit dem preußischen Militarismus eng verknüpft und seit Jahrhunderten Ursache des Drangs nach Osten war, verstand. Die deutschen antifaschistischen Kräfte und deren Parteien sollten, gestützt auf den Volkswillen und von der sowjetischen Besatzungsmacht beschirmt, die Entmachtung selbst vollziehen.

Die KPD versuchte, LDP und CDU mit der Aussage zu gewinnen, die Bodenreform sei ja nichts anderes als die Verwirklichung der antifeudalen Forderungen aus der Revolution von 1848. So zielte der Vorwurf der KPD nicht nur auf die reaktionäre Haltung der Großgrundbesitzer in der Weimarer Republik und der Nazizeit, sondern auch auf feudales Unrecht, unter dem besonders die Landbevölkerung zu leiden hatte. Obwohl das kein leichter Prozeß war, gelang es ihr, die Blockausschüsse für die Bodenreform zu gewinnen. Diese stellte ohne Zweifel ein Grundbedürfnis jener Zeit dar. Es ging um die Wiederansiedlung derer, welche von östlich der Oder stammten; Tagelöhner, Pächter, Landarbeiter und landarme Bauern sollten Grund und Boden sowie Inventar aus der Enteignung erhalten; Ziel war auch die Beseitigung von Privilegien einer reaktionären Schicht, welche in der Dorfgemeinschaft mit Staat, Schule und Kirche die Bevölkerung unterdrückte. Sie mußte verurteilt und entmachtet werden. Eine Differenzierung war dabei nicht möglich. So erwiesen sich Vorstellungen der LDP, daß Großgrundbesitzer, die sich nicht mit Hitler arrangiert hatten, wenigstens 100 ha Land behalten sollten, als nicht durchsetzbar.

Am 1. Juli 1945 empfing General Bozow den Gründerkreis der Liberalen. Er warf die Frage der Haltung zum Großgrundbesitz auf. Die Antworten, die er erhielt, veranlaßten ihn zu der Bemerkung, die Liberalen, deren Parteigründung noch nicht genehmigt war, sollten ihre Einstellung noch einmal überdenken.

Im Aufruf vom 5. Juli 1945 bekundet die LDP - wenn man zwischen den Zeilen liest: Enteignung nur in Ausnahmefällen und gegen Entschädigung. Diese Linie vertrat auch Waldemar Koch, der nach der Zulassung der LDP deren amtierender Vorsitzender war. Er orientierte sich an den Bodenreformern der Weimarer Republik, die unrentable Güter aufkaufen und diese Siedlern zu kulanten Preisen verkaufen wollten. Die Basis der Partei, z. B. in Sachsen und Thüringen, war im Erkenntnisprozeß jedoch weiter. Sie erkannte überwiegend die historische Notwendigkeit der Reform und deren Ziele. Ihr war bewußt, daß die Berliner Parteiführung mit ihrer Position "Keine Enteignung ohne Entschädigung" auf verlorenem Posten stand.

Am 24. September 1945 wurden die nachgeordneten Vorstände der LDP von ihrer Zentrale darüber informiert, daß die Stellungnahme der Parteien im Block bindend und eine eigene Politik außerhalb dieser Richtlinien nicht möglich sei. Die Gründerväter der LDP setzten auf die Verordnung zur Durchführung der Bodenreform, mit deren Hilfe Ungerechtigkeiten evtl. gemindert bzw. beseitigt werden könnten.

Das realisierte sich aber ebensowenig wie die Hoffnung auf einheitliche rechtliche Festlegungen aller Siegermächte für Deutschland. Waldemar Koch lehnte die Bodenreform mit diesen "Härten" strikt ab. In einer Parteiveranstaltung in Berlin-Zehlendorf sprach er sich offen gegen sie aus und bezeichnete es als ungerecht, Menschen, die für ihre Lage nichts könnten, ohne Entschädigung zu enteignen. Es sei unklug, ständig nur über die deutsche Schuld zu sprechen; ein Teil davon träfe auch den Versailler Vertrag. Die Ausführungen Kochs fanden sich in einem Bericht der SMAD an Molotow und Shukow wieder. Der Druck der SMAD auf die Parteiführungen von LDP und CDU - besonders im Zuge der Bodenreform -, führende Persönlichkeiten auszuwechseln, erhöhte sich. Waldemar Koch mußte gehen, denn auch in der Partei stieß er wegen seines Führungsstils auf Kritik. Berliner Mitglieder des Hauptausschusses forderten ihn im September 1945 auf, den Parteivorsitz an Wilhelm Külz abzutreten.

Die KPD drängte wie die SMAD auf Tempo. Das Muster für den Ablauf der Bodenreform war einfach:

1. Grundsatzentscheidung des Landesblocks einholen. 2. Zustimmung des Präsidenten der Landes- bzw. Provinzialverwaltung erwirken. 3. Bestellung der Bodenkommissionen vornehmen. 4. das Land an die Bewerber vergeben.

So nahm die Bodenreform ihren Lauf. Sie wurde zügig vorbereitet, beschlossen und durchgeführt. Im besetzten Deutschland des Jahres 1945 galten allein die Befehle der vier Mächte, die dadurch den Willen der jeweils herrschenden Kräfte ihrer Länder zum Ausdruck brachten.

Was im Nachkriegsdeutschland geschah, wurde in Paris, Washington, London und Moskau entschieden. Die SMAD sorgte im Osten dafür, daß dieser Wille buchstabengetreu umgesetzt wurde.

Klaus-Peter Weichenhain, Berlin

Raute

Westerwelles FDP und die Friedrich-Naumann-Stiftung befinden sich unter den Einpeitschern

Die Liberale Internationale destabilisiert Lateinamerika

Am 13. November 2009 berief die Liberale Internationale (IL) den honduranischen Putschisten Roberto Micheletti zu ihrem neuen Vizepräsidenten. Damit enthüllte sie einmal mehr ihren reaktionären Charakter. IL-Chef Hans van Baalen sparte nicht mit Lob für den vor aller Welt des Sturzes legitimer Institutionen seines Landes Angeklagten: "Es war mir ein Vergnügen, Präsident Micheletti mitzuteilen, daß der Kongreß der Liberalen Internationale ihn gewählt hat. Mit seinem Mut ermöglichte er es, daß der demokratische Wahlprozeß in Honduras am 29. November eine enorme und mutige Handlung für die Demokratie ist", sagte er damals. Die IL werde zu diesem Ereignis, das sie selbst mit vorbereitet hatte, ihre Beobachter schicken. Auf diese Weise segnete van Baalen das Zusammenspiel seiner Organisation mit gewissen Sektoren der USA ab, die daran interessiert waren, den Weg zur Wiedereinsetzung des rechtmäßigen und durch die Putschisten um Micheletti gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya zu blockieren.

In gleicher Weise ging van Baalen auch gegen Präsident Daniel Ortega vor. Kurz nachdem er Nikaragua besucht hatte, rief er dazu auf, "die honduranische Erfahrung in diesem Land nachzuvollziehen". Am 19. Oktober 2009 attackierte er die Entscheidung des zuständigen Gremiums, einen Weg zur Wiederwahl Daniel Ortegas als Staatspräsident zu ebnen. "Ortega sollte verstehen, daß es keine aufeinanderfolgende Wiederwahl gibt", mischte sich van Baalen offen in nikaraguanische Angelegenheiten ein. Zuvor hatte er versucht, den Chef der Streitkräfte General Omar Halleslevens zu einem Putsch gegen den Präsidenten zu überreden. Dieser "Sondierungsversuch" scheiterte an der Antwort der Militärs, sie würden die Verfassung respektieren.

In Managua konspirierte van Baalen mit Vertretern der rechten Oppositionsparteien gegen den Sandinismus. Sein Ziel war es, eine gemeinsame Front verschiedener als liberal bezeichneter Parteien zustande zu bringen, um der FSLN Ortegas bei den Wahlen 2011 eine Niederlage zu bereiten. Einer der Gastgeber van Baalens in Nikaragua war übrigens der Millionär Eduardo Montealegre, der bis ins Mark mit den honduranischen Putschisten versippt ist. Bei ihm handelt es sich um jenen Kandidaten der Reaktion, den Ortega 2006 besiegte. Ohne Respekt vor der Souveränität Nikaraguas rief van Baalen dazu auf, das Land durch systematische Proteste zu destabilisieren.

Die 2008 in Managua abgehaltene internationale Konferenz über "Sozialismus und Populismus als Urheber der Armut" stand unter der Schirmherrschaft der notorischen Friedrich-Naumann-Stiftung der bundesdeutschen FDP und des nicht minder reaktionären Liberalen Netzes von Lateinamerika (RELIAL). Hier leitete Emil Kirjas, Generalsekretär der IL, seine Attacken auf die Sandinisten ein. Er rief direkt zum Rücktritt Ortegas auf, weil dieser das Land "auf einen falschen Weg" bringe. Der frühere belgische Premier Guy Verhovstadt bekannte sich eindeutig zur Rolle des Provokateurs van Baalen und erklärte: "Wenn Daniel Ortega nicht darauf vorbereitet ist, Meinungsfreiheit und Kritik zu akzeptieren, ist er keines neuen Mandats würdig."

Ein Wort zur Liberalen Internationale. Diese Ansammlung überwiegend rechtsbürgerlicher Parteien wurde 1947 in der englischen Stadt Oxford gegründet und hat ihren Sitz in London. Die von ihr verkündeten hehren Prinzipien bürgerlicher Demokratie werden von den Ideologen der IL nach Gutdünken ausgelegt und angewandt. Sie entsprechen den wirtschaftlichen Machtinteressen der mit dem Kapital verbundenen liberalen Parteien der jeweiligen Länder. Gleichzeitig werden jene destabilisiert, deren Regierungen auf dem sogenannten Liberalismus "fremde Optionen" setzen. In diesem Sinne ist die IL seit eh und je ein von Reaktionären und Konterrevolutionären genutztes Instrument, das in Kuba, Venezuela, Bolivien, Ekuador und anderen Ländern Lateinamerikas das öffentliche Leben untergräbt.

Unter den einflußreichsten Parteien der IL ragt die BRD-Gruppe mit ihrer Freien Demokratischen Partei (FDP) hervor. Eine bedeutende Rolle spielen auch entsprechende Formationen aus Österreich, Belgien, Kanada, Dänemark, Spanien, Finnland, den Niederlanden, Frankreich, Ungarn, Norwegen, Israel, Schweden, Großbritannien, der Schweiz sowie Jabloko aus Rußland.

In Lateinamerika bedient sich die IL vor allem konterrevolutionärer Splittergruppen, wie es in Kuba der Fall ist. Hier entwickelt sie eine besonders aktive Destabilisierungskampagne zur Unterstützung der Fünften Kolonne im Land, die sie finanziert und in Koordination mit entsprechenden Kräften der USA betreibt. Die sich selbst als Parteien bezeichnenden Gruppen spielen eine provokatorische Rolle und haben sich stets bei gegen die kubanische Revolution gerichteten internationalen Diffamierungsmanövern besonders engagiert.

Die von dem CIA-Agenten Carlos Alberto Montaner geführte Liberale Kubanische Union bezichtigte die Insel der Freiheit unablässig angeblicher Menschenrechtsverletzungen. Der 1943 in Kuba geborene Montaner firmiert als Schriftsteller und Journalist. Er lebt abwechselnd in Spanien und Miami. Die Formen des ideologischen Kampfes gegen Havanna, welche er praktiziert, reichen vom Terrorismus über die Spionage bis zur politischen Verleumdung. Seine zur Untergrabung Kubas verrichtete Tätigkeit veranlaßte ihn 1990 mit ausdrücklichem Auftrag der CIA zur Gründung seiner obskuren "Liberalen" Union. Montaner brachte die keineswegs vorzeigbare Truppe in die IL ein und besetzt seit 1992 den Posten eines ihrer Vizepräsidenten. Der kanadische Journalist Jean Guy Allard stellte am 29. April 2008 in einem Artikel fest: "Der in Madrid lebende antikubanische Kolumnist Montaner, der gerade an einer mafiaähnlichen Zusammenkunft in der dortigen Yankee-Botschaft teilgenommen hat, gehörte kubanischen Militäreinheiten der US-Armee an, die von der CIA Anfang der 60er Jahre aufgestellt wurden. In diesen Söldnertruppen befand sich auch der bekannte Terrorist Luis Posada Carriles. Der war ein Spezialist für die Verwendung von Sprengstoffen sowie in Techniken der Entführung, der Folter und der Eliminierung Verdächtiger im Rahmen gegen Kuba gerichteter schmutziger Operationen Washingtons."

Im September 1960 - so berichtete UPI -, als die noch sehr junge kubanische Revolution bereits von US-Kräften angegriffen wurde, begab sich Montaner in die Vereinigten Staaten, um dort seine Dienste der von der CIA gelenkten Frente Revolucionário Democrático (FRD) anzubieten. Am 30. Dezember 1960 meldete die Tageszeitung "La Habana" die Festnahme mehrerer Mitglieder dieser kriminellen Organisation. Unter den Gefaßten befand sich Montaner, der im Besitz eines ganzen Sprengstoffarsenals war. Dieser Mann, der 20 Jahre Gefängnis bekam, konnte fliehen und gelangte am 8. September 1961 nach Miami. Später, als er schon in Madrid wohnte, hielt er ständigen Kontakt zu den Terroristen der von Florida aus operierenden Fundación Nacional Cubano Americana (FNCA), für die er den Kontakt zum späteren spanischen Regierungschef und Führer der rechtskonservativen Volkspartei, José Maria Aznar, herstellte.

Jetzt richtet der zum Vizepräsidenten der IL avancierte exilkubanische Berufsterrorist seine Dreckschleudern auf die Mitglieder der fortschrittlichen lateinamerikanisch-karibischen Staatengemeinschaft ALBA. Vor allem die von Hugo Chávez angeführte Bolivarianische Revolution Venezuelas entging den Attacken der IL und ihrer Diener nicht. Vor fünf Jahren wurde die Beteiligung der CIA am Putsch gegen Chávez im April 2002 in allen Einzelheiten nachgewiesen. Einen Monat zuvor war Montaner mit doppelter Absicht in Caracas: zu der dem Putsch vorausgehenden antibolivarianischen Desinformationskampagne beizutragen und beim Staatsstreich aktiv mitzuwirken.

In einem kürzlich freigegebenen Bericht des Diplomaten der US-Botschaft in Caracas, H. Cook, der nach Washington übermittelt worden war, formulierte dieser: "Montaner traf sich in einem Restaurant mit einer Gruppe venezolanischer und kubanischer Persönlichkeiten, unter denen sich der Präsident der Fedecamaras, Pedro Carmona, befand." Dieser Unternehmer war das Haupt der Verschwörung gegen Chávez.

Als Teil der ideologischen Kriegführung wurde im März 2008 in Rosario (Argentinien) ein Treffen durchgeführt, auf dem sich Führungspersonal der Liberalen Internationale mit Spaniens José Maria Aznar, dem Expräsidenten Mexikos Vicente Fox, Ecuadors Osvaldo Hurtado, Boliviens Jorge Quiroga und Uruguays Luis Lacalle traf. Einziges Ziel: die Verstärkung der Angriffe auf Kuba, Bolivien und Venezuela. Alle Projekte eines sozialen und politischen Wandels in Lateinamerika wurden verteufelt.

Die konterrevolutionären Teilnehmer des IL-Treffens erhielten eine würdige Antwort. Einer ihrer Busse, in dem sich Montaner und seine Kumpane befanden, wurde in Rosario mit Steinen beworfen. Die angstvollen Schreie Montaners, des rechtsgerichteten Schriftstellers Mario Vargas Llosa sowie des Vizepräsidenten der IL und Präsidenten der Friedrich-Naumann-Stiftung Wolfgang Gerhardt waren nicht zu überhören.

Den letzten Streich gegen Venezuela, Kuba und die übrigen ALBA-Staaten führte IL-Präsident Hans van Baalen selbst, indem er während einer Rundreise die Erklärung abgab: "Lateinamerika wird in diesem Augenblick vom Chávismus bedroht.

Man muß in Rechnung stellen, daß die engen Beziehungen von Hugo Chávez zu Iran, Kuba und dem Nikaragua der Sandinisten eine für die Welt sehr gefährliche Koalition hervorgebracht haben." Arrogant verwies der Boß der Liberalen Internationale auf seine Mitgliedschaft im Europaparlament. Er werde dafür sorgen, daß die EU die auf dem Wege eines Staatsstreichs herbeigeführten Pseudowahlen in Honduras "vollständig anerkennt".

Wie wir am Beispiel Lateinamerikas gesehen haben, ist die Liberale Internationale, in der die FDP und ihre Naumann-Stiftung zu jenen gehören, die den Taktstock schwingen, ein besonders infames Instrument zur aggressiven und systematischen Untergrabung von Frieden und Freiheit der Völker. Das Wort liberal wird so mit Füßen getreten.

Redaktionell bearbeiteter Artikel von Percy Francisco Alvarado Godoy in "Rebelión"

Übersetzung: Isolda Bohler †

Ende RF-Extra

Raute

Am deutschen Wesen soll die Welt genesen

Nahost: Berlin trumpft auf

Berlin nutzt die internationale Empörung über die israelische Attacke auf die Gaza-Flottille zur Stärkung der deutschen Stellung in Nahost. Wie Kanzlerin Merkel fordert, soll die EU an einer internationalen Untersuchung der Gewalttaten vom 31. Mai beteiligt werden. Damit erhielte Deutschland Chancen zu weiterer Einf lußnahme auf den israelisch-palästinensischen Konflikt. Bereits seit Jahren baut die Bundesrepublik ihre Stellung im unmittelbaren Umfeld Israels systematisch aus - mit Militär- sowie Polizeieinsätzen im Namen der Vereinten Nationen und der EU. Ziel ist die vollständige Normalisierung deutscher Operationen im gesamten Nahen Osten.

Zugleich intensiviert Berlin die Zusammenarbeit mit der Palästinensischen Autonomiebehörde und fordert die Beendigung der Blockade von Gaza. Sie stärke letztlich nur die antiwestlichen Kräfte der Region, urteilen Regierungsberater. Berlin verbindet Kooperationssignale an die arabischen Staaten, deren Beitrag zu den Exportgewinnen der Bundesrepublik stark wächst, mit unveränderter Unterstützung Israels.


Bangkok: Zöglinge der FDP

Westerwelles FDP und deren Parteistiftung kooperieren mit Putschprofiteuren in Thailand. Ihr Kooperationspartner ist die Democrat Party von Premierminister Abhisit, dessen Regierung in Bangkok wochenlang Militär gegen Demonstranten aufmarschieren ließ. Die Kampftruppen erschossen zahlreiche Demonstranten. Die Democrat Party, die von der Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP) unterstützt wird, sei Ende 2008 von jenen Kräften ans Ruder gebracht worden, welche hinter dem Putsch von 2006 standen, urteilt der Thailand-Experte Mark Teufel. Sie unterstütze die Monarchie und die sich hinter ihr verbergenden Machtzirkel Thailands, deren Einfluß sie gegen die erstarkende Demokratiebewegung verteidige. Zuletzt traf der Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung, Wolfgang Gerhardt, Ende März mit hochrangigen Vertretern der Partei zusammen.


BRD "stabilisiert" Südafrika

Berliner Regierungsberater empfehlen die Durchführung von Maßnahmen zur inneren Stabilisierung Südafrikas. Die demokratisch-marktwirtschaftliche Ordnung müsse konsolidiert, gesellschaftliche Desintegrationsprozesse sollten bekämpft werden, heißt es in einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) ­... Andernfalls sei der Nutzen Südafrikas für die deutsche Wirtschaft ebensowenig gesichert wie die Rolle des Landes als Juniorpartner der deutschen Außenpolitik. Die Kluft zwischen Arm und Reich könne dazu führen, daß sich die Regierungspartei ANC "radikalisiere" und "ernste Eingriffe in die Marktwirtschaft, insbesondere in das Recht auf privates Eigentum", vornehme. Dem müsse mit Staatsprogrammen zur Verbesserung der Erwerbschancen von Unterschichten oder auch mit Mitteln der Kulturpolitik vorgebeugt werden. Ratschläge der SWP werden schon jetzt von der sogenannten deutschen Entwicklungspolitik befolgt. Bestimmte Projekte wurden zwar eigens zur Vorbereitung des Landes auf die Fußball-Weltmeisterschaft in Kraft gesetzt, dienen aber ebenso langfristigen deutschen Interessen.


"Energieallianz" mit Rußland

Nach dem Baubeginn der Ostsee-Pipeline "North Stream" dringen Berliner Regierungsberater auf einen weiteren Ausbau der deutsch-russischen Kooperation. Man müsse verhindern, daß Moskau sich nach Ostasien orientiere und seine Rohstoffe in stärkerem Maße als bisher an China liefere, heißt es in der BRD-Hauptstadt. Zu empfehlen sei deshalb die Gründung einer "Energieallianz" zwischen Rußland und der EU nach dem Vorbild der einstigen westeuropäischen Montanunion. Eine Gefahr, in Abhängigkeit von russischem Erdgas zu geraten, bestehe nicht; das sei durch die schnell zunehmende Verfügbarkeit von Flüssiggas und die geschwundene Macht Moskaus gewährleistet. Rußland sei "kein großer Spieler auf der Weltbühne" mehr, heißt es bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Zugleich bemühen sich deutsche Firmen um beträchtliche Anteile an der bevorstehenden Privatisierung von mehr als 5000 Staatsbetrieben in Rußland.

Wie es beim Ost-Ausschuß der deutschen Wirtschaft heißt, soll Moskau die Erfahrungen der BRD beim Ausverkauf der DDR-Staatsbetriebe nutzen.


Mogadischu: Abrichtung von Somalis

Unter deutscher Beteiligung hat die EU mit der Ausbildung somalischer Soldaten begonnen. 140 Militärs aus europäischen Staaten, rund ein Zehntel von ihnen Deutsche, bereiten 2000 Offiziere und Unteroffiziere unter anderem auf den "Kampf im bebauten Gelände" vor. Die Somalis sollen in Zukunft für ein vom Westen installiertes, aber bislang fast machtloses "Übergangsregime" in Mogadischu Krieg führen. Ort des "Trainings" ist ein Lager in Uganda. Die dortige Regierung unterstützt das Übergangsregime schon jetzt mit eigenen Soldaten, die unter dem Dach der Afrikanischen Union in Mogadischu stationiert sind. Die East African Community (EAC), eine Vereinigung von fünf ostafrikanischen Staaten, der neben Uganda drei ehemalige deutsche Kolonien angehören, wird mit dem neuen Ausbildungsprojekt noch stärker als bisher in den Dienst der EU-Afrika-Politik gestellt. Die Bundesregierung plant, für die "Befriedung" Somalias auch Tansania zu nutzen, wo mit deutscher "Entwicklungshilfe" ein neues EAC-Hauptquartier gebaut werden soll. Dort könnten somalische Polizisten ausgebildet werden, hieß es nach dem Aufenthalt zweier BRD-Minister im früheren "Deutsch-Ostafrika".


Maghreb: Gier nach Solarkolonien

Der deutsche EU-Energiekommissar Günther Oettinger kündigte den baldigen Import von Solarstrom aus der Sahara an. Innerhalb der nächsten fünf Jahre würden in Nordafrika die ersten Modellprojekte zur Erzeugung von Sonnenenergie für die Länder der EU starten, erklärte Oettinger nach einem Treffen mit den Energieministern der Maghrebstaaten. Darauf werde das Großprojekt "Desertec" folgen - ein 400 Milliarden Euro teures Vorhaben der deutschen Industrie, das die Potentiale Nordafrikas und des Nahen Ostens an Solar- und Windenergie für die Wohlstandszentren der EU aufbereiten soll. Trotz erheblicher Widerstände, so in Algerien, das eine neokoloniale Ausbeutung seiner Ressourcen an erneuerbaren Energien beklagt, hat Oettinger eine wichtige Voraussetzung für Desertec sicherstellen können: Die Maghrebstaaten werden ihre Strommärkte vereinheitlichen und damit eine systematische Lieferung von Solarstrom in die EU erleichtern.

Internetportal "Informationen zur deutschen Außenpolitik"

Raute

Wie Markus Meckel an Genschers Leine den Ausverkauf der DDR betrieb

Pokerspiel um den Zwei-plus-vier-Vertrag

Diejenigen, welche seit Bestehen der DDR auf deren Beseitigung hingewirkt hatten, erkannten im November 1989 die Gunst der Stunde. Es begann jenes "weltpolitische Machtspiel", an dessen Ende nach einem knappen Jahr die "Wiedervereinigung" stand.

Die Verhandlungen zwischen George Bush, Helmut Kohl und Michail Gorbatschow samt ihrer Partner, die damals weitgehend geheim geführt wurden, spielten eine entscheidende Rolle. Für die Strategen der "Wiedervereinigung" stellte sich die Aufgabe, die internationalen Rahmenbedingungen für den "friedlichen" Verlauf des Anschlusses der DDR an die BRD zu schaffen. Ende 1989 galten noch die Vorbehaltsrechte der Siegerstaaten, die ihren Ursprung in der "Übernahme der obersten Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands" hatten und wegen des fehlenden Friedensvertrages nie vollständig aufgehoben wurden. In den Pariser Verträgen zwischen der BRD und den Westmächten vom 23. Oktober 1954 war ausdrücklich auf die "Rechte und Verantwortlichkeiten der vier Mächte in bezug auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung" hingewiesen worden.

Die praktischen Auswirkungen waren erheblich. Die BRD hatte vierzig Jahre verhindert, daß mit einem Friedensvertrag ein Schlußstrich unter den verlorenen Krieg gezogen wurde. Die DDR war ein souveräner Staat, Mitglied der Vereinten Nationen und des Warschauer Vertrages, eine Bastion des Friedens in Mitteleuropa. Eben diese Tatsachen veranlaßten die Bonner Regierungen über Jahrzehnte, einen Friedensvertrag auf den Sankt-Nimmerleins-Tag in der Hoffnung zu verschieben, das Blatt könne sich wenden. Die Formel lautete "Wiedervereinigung in Freiheit", was hieß: im Kapitalismus. Ende 1989 aber war für Kohl Eile geboten. Der Kanzler rechnete mit einem kurzen "Zeitfenster" und wußte um die schwache Stellung Gorbatschows.

Kohl schloß aus, alle Staaten zu Verhandlungen einzuladen, die gegen Hitler gekämpft und gesiegt hatten, weil sie nicht schnell unter einen Hut zu bringen gewesen wären und eigene Ansprüche angemeldet hätten. Eine andere Lösung mußte gefunden werden. Wenn Gorbatschows "Erinnerungen" zu trauen ist, entstand die Idee zu den "Zwei-plus-vier-Verhandlungen" in einem Gespräch mit US-Außenminister James Baker in Moskau am 9. Februar 1990. Zu diesem Zeitpunkt gingen Baker und Gorbatschow davon aus, das am 18. März 1990 in der DDR jene Kräfte die Wahl gewinnen würden, die Kohls Kurs auf rasche "Wiedervereinigung" unterstützten. Die Idee sollte allerdings bis zum 18. März geheim bleiben, um nicht den Eindruck der Einmischung zu erwecken.

Der offizielle Beginn der Zwei-plus-vier-Verhandlungen war ein Treffen der beteiligten Außenminister am 5. Mai 1990 in Bonn. Dort wurde der "Fahrplan" beschlossen. Das letzte von insgesamt vier Treffen fand am 12. September 1990 in Moskau statt. Das Ergebnis war der "Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland". Er legt die Außengrenzen des vereinigten Deutschlands entsprechend denen der Bundesrepublik und der DDR endgültig fest. Die beiden deutschen Staaten bekräftigen ihren Verzicht auf ABC-Waffen und verpflichten sich zu einer Verkleinerung der gesamtdeutschen Armee.

Die Sowjetunion zieht ihre Truppen bis Ende 1994 vom Gebiet der DDR ab. Dort dürfen weder Atomwaffen noch ausländische Truppen stationiert werden.

Der Vertrag bestimmt, daß die vier Mächte ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes beenden, das geeinte Deutschland damit die volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten erhält. Damit wurde auch die Wahl der Bündniszugehörigkeit eine "freie" Entscheidung Deutschlands.

Auf dem Wege zu diesen Festlegungen hatte es Stolpersteine für Bush und Kohl gegeben. Die beiden wichtigsten waren, die Zustimmung Polens zur "Wiedervereinigung" zu erhalten und Gorbatschow das Ja zur NATO-Mitgliedschaft des "geeinten Deutschland" abzukaufen. Der Mann, der Glasnost und Perestrojka erfunden hatte, stimmte (zunächst geheim) gegen ein Milliarden-Honorar zu.

Der Zwei-plus-vier-Vertrag hat ähnliche Mängel wie das Münchner Diktat von 1938. Es wurde über einen Staat "verhandelt", dessen Todesurteil bereits feststand. In München wurde auf einen tschechischen Vertreter verzichtet, bei den Zwei-plus-vier-Verhandlungen war der Mann, der eigentlich die Interessen der DDR hätte vertreten sollen, der Pfarrer, Sozialdemokrat und Außenminister Markus Meckel. Über dessen klägliche Rolle gibt es viele Urteile, die sich von seiner arroganten Selbsteinschätzung unterscheiden.

Zu fragen ist: Welche Direktive hatte Meckel von Regierung und Volkskammer? Wie hat er bei der Verteidigung der DDR-Interessen die Trommel gerührt? Hatte er lediglich die Aufgabe, den Vorgang als "demokratisch" erscheinen zu lassen? Auf USA-Seite wurde Meckel, wie wir von Außenminister James Baker und Präsidentenberaterin Condoleezza Rice wissen, kaum wahrgenommen, nicht einmal als "Störenfried".

In Hans-Dietrich Genschers Erinnerungen taucht "Bruder" Meckel zwölfmal auf.

- Der Außenminister der DDR habe sich seine Direktiven im Privathaus Genschers in Bonn abgeholt.

- Bei seinem Auftreten auf der ersten Zwei-plus-vier-Konferenz im Mai 1990 in Bonn war sein Beraterteam überwiegend aus Bonner "Leihbeamten" rekrutiert.

- Genschers Amtskollege aus Berlin hatte schon am 24. April 1990 dem "Einigungs"prozeß nach Artikel 23 des Grundgesetzes zugestimmt.

- Meckel setzte sich für gute Beziehungen zu Polen ein. Da kam er vierzig Jahre zu spät. Die Oder-Neiße-Grenze war von der DDR im Juli 1950 völkerrechtlich endgültig anerkannt worden.

Es gäbe manches Kuriose zu berichten, z. B., daß die 10. Volkskammer am 23. August den "Beitrittstermin" festlegte, obwohl zu dieser Zeit weder der Zwei-plus-vier-Vertrag noch der "Einigungsvertrag" vorlagen. Die Mehrheit der Abgeordneten erteilte eine Blankovollmacht. Ein ähnliches Durcheinander herrschte in den Auslandsvertretungen der DDR, deren Dienstherr Markus Meckel war. Er zeichnete verantwortlich für die "Abwicklung" der Diplomaten der DDR.

Am 12. September setzten Baker, Schewardnadse, Genscher, Dumas, Hurd und de Maizière ihre Unterschrift unter den "Moskauer Vertrag", mit dem Deutschland am 3. Oktober 1990 seine Einheit und Souveränität wiedererlangen sollte.

Der Zwei-plus-vier-Vertrag ist kein Ersatz für den Friedensvertrag, schon deshalb nicht, weil viele am Krieg gegen Hitlerdeutschland beteiligte Staaten (z. B. Jugoslawien, Griechenland und die Tschechoslowakei) von den Verhandlungen absichtsvoll ausgeschlossen waren. Dennoch haben einige Artikel für die Zukunft Deutschlands und Europas eine große Bedeutung. Der Artikel 2 z. B. bestimmt: "Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihre Erklärungen, daß von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird. Nach der Verfassung des vereinten Deutschland sind Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig und strafbar. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erklären, daß das vereinte Deutschland keine seiner Waffen einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen."

Zwanzig Jahre später ist festzustellen: Die gesamtdeutsche Verfassung gibt es immer noch nicht. Deutschland verletzt ständig die UNO-Charta, die Gewaltverzicht fordert und Aggressionen und Interventionen verbietet.

Auch das Völkerrecht basiert auf dem Prinzip von Treu und Glauben.

Die bundesdeutsche Politik verwandelt den Zwei-plus-vier-Vertrag, der die außenpolitische Bedingung für die Einheit darstellte, in einen Fetzen Papier. Damit entfällt die "Geschäftsgrundlage" für die Einheit.

Nicht nur die einstigen DDR-Bürger, sondern auch Staaten, Parteien und Politiker, die damals den Vertrag für eine Garantie deutscher Friedenspolitik hielten, fühlen sich betrogen, vor allem die osteuropäischen Völker. Wohin steuert die BRD?

Prof. Dr. Horst Schneider

Raute

Moskauer Zeitschrift zu Washingtons Atomkriegsplänen im August 1961

Die nukleare Drohung

Die Moskauer Wochenschrift "Argumenty i Fakty", die von der "Berliner Mauer" als einem "Symbol des Kalten Krieges" spricht, zog in ihrer internationalen Ausgabe Nr. 31/09 den Schluß: "Nur Eingeweihte wissen, daß ihre Errichtung seinerzeit die Welt vor einem nuklearen Krieg bewahrt hat." Die Publikation stützt sich u. a. auf ein Interview mit Constantin Melnik, dem Enkel einer russischen Emigrantenfamilie. Er war in den 60er Jahren unter Charles de Gaulle Koordinator der französischen Geheimdienste. 1960 weilte der damalige sowjetische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow auf Einladung de Gaulles in Paris. In einem Interview mit der Korrespondentin der russischen Presseagentur Itar-Tass erinnerte sich Melnik an das seinerzeitige Geschehen. "Kurz nach dem Besuch des Moskauer Regierungschefs entbrannte zwischen der UdSSR und den USA wegen des Status von Berlin ein heftiger Konflikt. Chruschtschow sprach von der Hauptstadt der DDR und ignorierte dabei völlig die BRD. Anfang 1961 war klar: Sowjetische Truppen können die Stadt blockieren. Doch der Westen wollte sich damit nicht abfinden, war doch zu dieser Zeit bereits ganz Osteuropa in die Hände des Kommunismus gefallen. Die Einnahme Westberlins hätte für ihn eine Niederlage im Kalten Krieg bedeutet. So wurde in den USA ein Plan zur Bombardierung der UdSSR mit Kernwaffen der NATO ausgearbeitet. de Gaulle als Führer eines Mitgliedsstaates der Allianz erfuhr davon und erschrak. Er rief mich sofort zu sich und bat, diese Information unverzüglich dem KGB zu übermitteln. Die sowjetischen Geheimdienste betrachteten das als Provokation. Daraufhin bestellte de Gaulle den sowjetischen Botschafter ein und informierte diesen persönlich über die Möglichkeit eines Atomkrieges. Doch der Diplomat lachte nur und meinte: 'Das bedeutet, daß wir gemeinsam untergehen'.

In der UdSSR glaubte man nicht, daß die USA so weit gehen könnten. In Wirklichkeit existierte bereits ein offizielles Dokument, in dem schwarz auf weiß geschrieben stand: 'Führung eines Atomschlages gegen die Sowjetunion im Falle einer Okkupation Berlins'.

Zum Glück übergab der NATO-Presseattaché, der französische Bürger Georges Paque, dieses Dokument dem KGB. Ich kannte ihn gut. Das Erstaunlichste ist: Paque war ein eifriger Katholik und Antikommunist. Er half der UdSSR nur deshalb, weil er nicht wollte, daß die USA in der Welt dominieren. Seine Arbeit für die Sowjetunion begann schon in der Zeit des Kampfes gegen den Faschismus. Er übte bedeutende Funktionen aus, darunter im französischen Generalstab und zuletzt bei der NATO. Paque kopierte die geheimen Papiere. So gelangten sie auf den Tisch von Chruschtschow. Auch dieser erschrak. Das Problem mit Berlin bestand jedoch weiter. Täglich flüchteten Menschen aus dem Ostteil der Stadt in den Westen. Wenn schon nicht ganz Berlin zu besetzen war, konnte man zumindest eine Grenze ziehen. Die Mauer wurde buchstäblich über Nacht errichtet. Das soll selbst eine Überraschung für den damaligen Leiter der DDR-Aufklärung Markus Wolf gewesen sein. Er erzählte mir davon in einem privaten Gespräch."

So weit das Interview Melniks, das auf seine Art die vielen einseitigen "Mauerbeiträge" durch eine weitere Hintergrundinformation zur damaligen Weltlage korrigiert. Die darin erwähnten Fakten spielten vor geraumer Zeit auch im Fernsehen der BRD zu später Stunde eine Rolle. Es handelte sich um die Sendung "Geheimdienste im Kalten Krieg".

Übermittelt von Bruno Mahlow


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Der Schriftsteller Willi Bredel besuchte unmittelbar nach dem 13. August eine an der DDR-Grenzsicherung beteiligte Panzereinheit

Raute

Eine legendäre Klassenschlacht der USA-Autoarbeiter

Der Ford-Hungermarsch von 1932

Am 7. März 1932 wurde eines der blutigsten Kapitel in der Geschichte der Arbeiter von Detroit geschrieben: der Ford-Hungermarsch.

Im Oktober 1929 war in New York der Aktienmarkt zusammengebrochen. 1930 hatten Millionen im amerikanischen Mittelwesten keine Arbeit mehr. Am härtesten traf es die Autometropole Detroit, die weltweit als Beweis der Prosperität des Kapitalismus galt. Für den 6. März 1930 riefen die Liga für Gewerkschaftseinheit, die KP der USA und deren Jugendverband YCL sowie die kurz zuvor gebildeten Arbeitslosenräte zu einer nationalen Protestdemonstration auf. Unter deren Millionen Teilnehmern befanden sich auch 100.000 kampfbereite Männer und Frauen der Autoarbeiterhochburg Detroit, das man in den USA als Motor City bezeichnete. Die Polizei griff die Demonstranten brutal an, schlug viele von ihnen zusammen und verhaftete Hunderte Proletarier.

Zwei Jahre später hatte sich die Krise noch mehr vertieft und ausgeweitet. Jeden Tag starben vier Detroiter an Hunger. Arbeitslosenunterstützung wurde nicht gezahlt.

Nachdem zwei Drittel der Autowerker auf die Straße geworfen worden waren, erklärte Henry Ford - damals der reichste Mann der Welt - in Westerwelle-Manier, die Erwerbslosen seien an ihrem Elend selbst schuld, da sie nicht hart genug geschuftet hätten.

Das Netzwerk der Detroiter Arbeitslosenräte entwickelte sich zum effektivsten in den USA und rettete durch die von ihm organisierte Solidarität unzählige Familien vor dem Absturz ins nackte Elend. Inzwischen bestanden über 80 Gliederungen dieser Räte. Sie riefen für den 7. März 1932 zu einem Marsch auf den in Dearborn (Michigan) gelegenen River-Rouge-Komplex des Fordkonzerns auf. Auch die damals revolutionäre Gewerkschaftszentrale United Auto Workers (UAW) unterstützte die Aktion. Es wurden 14 Forderungen erhoben: Jobs für alle entlassenen Fordarbeiter; sofortige Auszahlung des halben Lohnes; Siebenstundentag ohne Kürzung der Bezüge; Verringerung der Arbeitshetze; zwei fünfzehnminütige Pausen pro Schicht; keine Diskriminierung schwarzer Kollegen; Einführung eines medizinischen Dienstes; kostenlose Behandlung beschäftigter und erwerbsloser Fordarbeiter und ihrer Familien im Krankenhaus des Unternehmens; fünf Tonnen Kohle und Koks für den Winter; Abschaffung der Service Men, wie Fords Privatarmee aus Spitzeln und Streikbrechern firmenoffiziell hieß; keine Schließung der Arbeiterheime des Unternehmens; sofortige Auszahlung von 50 Dollar als Winterzuschuß; ungekürzte Löhne für Zeitarbeiter; Abschaffung des Bestechungssystems bei Neueinstellungen; Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren.

Tausende Fordarbeiter nahmen an dem Protestmarsch teil. Ihnen gingen Solidaritätsadressen aus dem In- und Ausland zu. Die Demonstranten forderten Freiheit für die Scottsboro Boys - neun junge Schwarze, die grundlos der Vergewaltigung zweier weißer Frauen bezichtigt wurden. "Hände weg von China!" skandierten die Teilnehmer, wobei sie sich gegen die Lieferung von Schrott an Japan wandten, der umgeschmolzen dessen Aggression gegen China diente.

Der Detroiter Marsch begann zunächst ohne Zwischenfälle. In Dearborn, Henry Fords persönlicher Zitadelle, sah es dann ganz anders aus. Der Cousin des Magnaten, Bürgermeister Clyde Ford, ließ die Demonstranten schon an der Stadtgrenze mit Tränengas attackieren. Ein Steinhagel auf die Polizisten war die Antwort. Am Eingang zum Fordkomplex spitzte sich die Situation noch mehr zu. Hier kamen auch Feuerwehreinheiten mit ihren Schläuchen und Fords privater "Service" zum Einsatz. Die Polizei feuerte Salven in die Menge. Mehrere Arbeiter - unter ihnen der 19jährige Bezirksleiter des Kommunistischen Jugendverbandes, Joe York - wurden getötet. Man zählte etwa 50 Verletzte.

Als Alfred Goetz, der Vorsitzende des Detroiter Arbeitslosenrates, den geordneten Rückzug einleiten wollte, schoß Fords Privatarmee mit Maschinengewehren in die Menge. Der als rechte Hand des Autobosses geltende Sicherheitschef Harry Bennett wurde als Drahtzieher dieses Feuerüberfalls ausgemacht und durch Steinwürfe verletzt. Bennett selbst schoß daraufhin zwei Revolvermagazine leer. Er und seine Leute ermordeten den 16jährigen Jungkommunisten Joe Bussel und verwundeten etliche Demonstranten. 48 Arbeiter wurden festgenommen, einige davon in ihren Hospitalbetten.

Weitere Repressalien folgten. Hunderte Fordler wurden entlassen, weil sie linke Literatur besessen oder einen Beitrag zu den Beisetzungskosten geleistet hatten. Die bloße KP-Mitgliedschaft war ein Verhaftungsgrund.

Als Joe Bussel zu Grabe getragen wurde, spielte eine Band die Internationale. 80.000 folgten seinem Sarg durch die Straßen Detroits. Im Juni 1932 erlag Curtis Williams, ein schwarzer Arbeiter, seinen schweren Verletzungen. Der herrschende Rassenterror ließ es nicht zu, daß er gemeinsam mit seinen Genossen bestattet wurde. Das Beerdigungskomitee charterte daraufhin ein Kleinflugzeug, von dessen Bord aus die Asche des Toten über dem Friedhof verstreut wurde.

Der Anwalt Maurice Sugar konnte die Grand Jury nach monatelangem Tauziehen dafür gewinnen, von einem Strafverfahren gegen die verhafteten Fordarbeiter abzusehen.

Erst 1941 setzten die United Auto Workers ihre Anerkennung als rechtmäßige Vertreter der Fordbelegschaften durch. 1992 kauften die Arbeitsveteranen des UAW-Ortsvereins 600 fünf Grabsteine - darunter einen für Williams - und stellten sie auf die vier Grabstätten. Jeder von ihnen trug die Inschrift "Sie gaben ihr Leben für die Gewerkschaft".

Inzwischen hat sich die Lage für Amerikas Autowerker nach Jahren der Konjunktur abermals dramatisch verschlechtert. Da dürfte der Gedanke naheliegen, daß bei so manchem die Rede auch wieder auf den Ford-Hungermarsch von 1932 kommen könnte.

RF, gestützt auf "Workers World" (USA)


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Holzschnitt von Peter Peitersen (1922 - 1988) aus "Ret & Vrang", Dänemark
- Aus "Antifascistisk Forum", Dänemark

Raute

Ist von Nehrus Vision eines modernen Indien nichts geblieben?

Überbordender Religionschauvinismus

Wohl hat die Globalisierung nicht wenigen Indern zunehmenden Wohlstand gebracht, zugleich aber wenden sich die Massen wieder der Religion zu. Die Tradition des Hinduismus erweckt ein Nationalbewußtsein, das jetzt neue Giftblüten des Glaubens-Chauvinismus treibt. Allerdings sieht die indische Verfassung bis heute noch keine Staatsreligion vor.

Dennoch fördert der Staat durch massive Subventionen den Bau von Tempeln, Aschrams und Priesterschulen, berichtet William Dalrymple im Londoner "The New Statesman".

Das Ende des Nehru-Säkularismus läßt wieder das Geschäft mit dem Glauben florieren. Die Akademikerin Meera Nanda spricht vom indischen "Karma-Kapitalismus", der den amerikanischen Tele-Evangelisten gleicht. So hat z. B. Sri Ravi Shankar, auch Indiens Pat Robertson genannt, weltweit 20 Millionen Anhänger, denen er "Die Kunst des Lebens" beibringt. So heißt sein Geschäft mit dem Glauben. Laut Nanda gibt es in Indien heute 2,5 Millionen Gotteshäuser, aber nur 1,5 Millionen Schulen und kaum 75.000 Krankenhäuser. Millionen Pilger besuchen alljährlich den Taj Mahal, den Balaji-Tempel in Tirupati oder den Bergschrein der Göttin Vaischio-Devi.

Hindu-Nationalismus wird politisch von der Bharatija-Dschanata-Partei (BJP) und dem extrem rechtskonservativen Raschtrija-Swadschamsewak Sangh (RSS) - dem Nationalen Freiwilligenbund - angestachelt, zu dessen Mitgliedern auch Gandhis Mörder zählte. Der RSS besitzt besonders starken Einfluß unter technisch ausgebildeten jungen Stadtbewohnern. Seine Mitglieder nehmen regelmäßig an paramilitärischen Übungen teil. Bei Paraden (in Khaki-Uniform) wird mit erhobenem rechtem Arm salutiert. Wie auch die libanesische Falange wurde der RSS nach dem Muster des europäischen Faschismus organisiert. Das Ziel ist eine Rückkehr zum "Goldenen Zeitalter" des Hinduismus, zu neuer nationaler Stärke und Läuterung.

Die BJP, Indiens Regierungspartei zwischen 1999 und 2004 - heute befindet sie sich in der Opposition -, ist der politische Arm des RSS, gibt sich aber liberal und pragmatisch. Beide Organisationen teilen die Überzeugung, daß Indien eine Nation des Hinduismus sei und daß andere im Lande vertretene Religionen dies anerkennen müßten. Die friedliche Koexistenz der verschiedenen Religionen ist wohl ein Idealzustand, die Praxis aber kennt leider nur zu häufig blutige Auseinandersetzungen. Beispiele dafür sind der gewalttätige Hindu-Muslim-Konflikt in Ayodhya (1992) oder die antichristlichen Revolten in Orissa (2009). Es gehört nicht viel dazu, den schlafenden Leviathan des Glaubenschauvinismus zu wecken.

Westler suchen in den östlichen Religionen nach Quellen jahrtausendealter Weisheit. In Wirklichkeit, schreibt Dalrymple, ist Indiens religiöse Identität an bestimmte soziale Gruppen, Kasten und Familientraditionen gebunden. Sie alle werden heute bis zur Unkenntlichkeit umgestaltet.

Die indische Historikerin Romila Thapar spricht von einem neuen "syndikalisierten Hinduismus", der sich erst unter dem britischen Raj im 18. Jahrhundert entwickelte. Es wurde versucht, die verschiedenen religiösen Sitten, Kulte, Mythen, Bräuche und Götterfiguren der nicht-abrahamischen Religionen zu einer neuen Einheit zu verschmelzen, welche die Bezeichnung "Hinduismus" erhielt. Unter dem Einfluß indischer Reformer wie Vivekananda wurde diese Entwicklung im 19. Jahrhundert weiter gefördert, so daß ein zentralisierter, monolithischer Hinduismus entstand - ähnlich dem Islam oder dem Christentum. Dieser trägt wohl Züge einer antiken Tradition, ist aber im Grunde eine Neuschöpfung, sagt Thapar.

In ganz Indien glaubten einst die Dorfbewohner an ein Pantheon von Geistern und Göttergestalten - es gab da Baumgeister, den Schlangengott -, die das tägliche Leben der Menschen lenken.

Um aus meiner persönlichen Erfahrung zu berichten: Mein indischer Arzt in Melbourne, mit britischen Diplomen ausgestattet, flog kurz in die alte Heimat, um seine zunehmende Blindheit untersuchen zu lassen. Nach der Rückkehr erzählte er mir, ein weiser Mann, ein Guru, habe ihm gesagt, daß die Blindheit auf den Ärger des Schlangengottes zurückzuführen sei. Dr. Reddy war fest von der Richtigkeit dieser "Diagnose" überzeugt!

Heute sind neue Gottheiten populär. Da gibt es die Super-Macho-Helden Lord Krischna und Lord Rain. Santoschi-Ma wurde seit 1970 durch einen Bollywood-Film, wie man die nach Hollywood-Vorbild gestalteten indischen Streifen nennt, populär; Shani Maharadsch kann den bösartigen Einfluß des Planeten Saturn abwenden und Aids Amrna heilt HIV.

Unter der Modernisierungstünche verschwindet das alte Indien der Erzähler, der Barden. Mohan Bhopa, ein Ziegenhirte aus Radschastan, ist der letzte, der heute noch ein heiliges Epos von 4000 Zeilen auswendig rezitieren kann. Aber vom Fernsehen wurde das Dasein des wandernden Künstlers untergraben. Er kann kaum noch Zuhörer finden.

Indiens Religiosität treibt noch immer seltsame Blüten der Phantasie. Om Singh, ein junger Landbesitzer in Radschastan, starb, als er mit seinem Motorrad gegen einen Baum prallte. Sein Vater errichtete unter diesem ein kleines Denkmal: Das Motorrad wurde auf einem Betonblock installiert und überdacht. Wie Oms Onkel Shaitan Singh berichtet, erklärte man es plötzlich zu einer Wallfahrtsstätte. "Om war kein Heiliger, er soll sogar angetrunken gewesen sein, als der Unfall geschah." Doch heute halten ihn viele für einen Gott, der ihre Wünsche erfüllt. Frauen, die schwanger werden wollen, klettern aufs Motorrad und harren dort eine Weile aus. Eine von ihnen behauptete, ihr seien Blumen in den Schoß gefallen. Dem neuen Heiligen werden Opfer gebracht, Festlichkeiten von einer Menge buntgekleideter Gläubiger besucht, goldgewirkte Fahnen wehen im Wüstenwind. Da sind Dholak-Trommler. Tee und Paan-Brot stehen für die Pilger bereit, ebenso Postkarten und Statuetten Oms. Selbst Muslime kommen. Kein Lastwagen fährt vorbei ohne anzuhalten und dem Gott Om Singh-dschi zu opfern.

Ist von Nehrus sozialer Vision eines modernen Indien nichts geblieben als ein Meer wuchernder Großstädte mit Hochhäusern - Symbolen des Kapitals -, an deren Rand Kinder auf Abfallhalden scharren, deren Eltern ihre wenigen Rupien irgendwelchen Gottheiten spenden, um den Nachwuchs zu retten?

Dr. Vera Butler, Melbourne


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Indiens Kommunisten - hier Teilnehmer eines Meetings der KPI (M) in Kalkutta, von wo aus die Partei seit mehr als 30 Jahren den Bundesstaat West-Bengalen regierte, ehe sie ihn bei den jüngsten Wahlen an die Rechte verlor - führen einen erbitterten Kampf gegen Reaktion und geistiges Dunkelmännertum

Raute

Das freie Grenada war ein Leuchtfeuer in der Karibik

Glut unter der Asche

Grenada - ein nur 344 km² umfassender Inselstaat im Karibischen Meer - wurde bis 1979 von einem korrupten, durch London ausgehaltenen Regime unter Premier Eric Gairy verwaltet. Es verfolgte einen so volksfeindlichen Kurs, daß selbst Anhänger des Regierungslagers und Teile des Polizeiapparats der Spitzenmarionette mit wachsender Ablehnung begegneten. Die fortschrittliche, Masseneinfluß gewinnende NEW-JEWEL-Bewegung sah unter diesen Umständen im Kampf für den Sturz des Gairy-Regimes den einzigen Ausweg.

Der geeignete Zeitpunkt für einen bewaffneten Aufstand ergab sich, als Gairy, der in seinem Mystizismus sogar vor der UNO über "fliegende Untertassen" und andere "unbekannte Flugobjekte" schwadroniert hatte, am 12. März, von Ministern begleitet, in die USA reiste. Die Information über den bevorstehenden Abflug war seinen Gegnern aus Polizeikreisen zugespielt worden. In der darauf folgenden Nacht wurde die Aktion durchgeführt. Während der Erhebung kamen nur drei Menschen ums Leben.

Mit der Machtübernahme durch die Revolutionäre Volksregierung und der Zerschlagung des alten Staatsapparates wurde der Weg zu einer Republik freigemacht, deren innere Strukturen auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern unter Mitwirkung aller Volksschichten und deren außenpolitischer Kurs auf den Prinzipien des Antiimperialismus beruhten.

Gemeinsam mit Gewerkschaften und neugebildeten Massenorganisationen wurden die zu lösenden Aufgaben zielgerichtet in Angriff genommen. Es entstanden Genossenschaften, die einheimische Produktion wurde gesteigert, und teure Lebensmittelimporte konnten abgelöst werden. Dramatische Veränderungen zugunsten der ärmeren Bevölkerungsschichten traten im Bildungs- und Gesundheitswesen ein. Die Nationalisierung der Banken und die Errichtung einer strikten Kontrolle über den Außenhandel sowie die Schaffung eines staatlichen Agrarsektors setzten einen Prozeß echter sozialer Veränderungen in Gang.

Die bis dahin vernachlässigte Infrastruktur nahm durch Verbesserungen bei der Elektrifizierung und Wasserversorgung, durch Straßenbau und Modernisierung des Verkehrs- und Nachrichtenwesens einen Aufschwung. Große Bedeutung erlangte die Errichtung eines internationalen Flughafens, um Touristenströme aus aller Welt auf die Insel zu lenken.

In der historisch kurzen Frist von 4 ½ Jahren, in denen der beherzte Antiimperialist Maurice Bishop als Ministerpräsident an der Spitze Grenadas stand, wurden positive Veränderungen auf wichtigen Gebieten erreicht. Die Arbeitslosigkeit, die 1979 noch 49 % betragen hatte, ging auf 12 % zurück. Ihre völlige Überwindung wurde anvisiert.

Der Staat übernahm die Fürsorge für Alte, Kranke und Behinderte. Kinder unter fünf Jahren erhielten kostenlos Milch, Schüler wurden damit ebenso wie mit einem warmen Frühstück versorgt. Die Gleichstellung der Geschlechter, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, bezahlter Schwangerschaftsurlaub sowie unentgeltliche medizinische Versorgung gehörten zu den Errungenschaften des freien Grenada. Die Insel war 1983 das einzige englischsprachige Land der Region, wo man das Analphabetentum nahezu überwunden hatte. Bis Mitte 1982 konnten die Wohnverhältnisse von mehr als 7000 Familien verbessert werden.

Die sozialistischen Staaten unterstützten Grenada großzügig. Kuba half mit Ärzten, Lehrern, Agronomen, Technikern, Ingenieuren, Forstwirtschaftlern und Spezialisten der Asphaltproduktion, vor allem aber mit Arbeitern beim Flughafenbau. Die UdSSR lieferte Medikamente, Verbandsstoffe, Pkw und Traktoren. Die DDR engagierte sich bei der Errichtung eines polygraphischen Betriebes, beim Ausbau des Fernsprechnetzes sowie bei der Heranbildung von Facharbeitern. Sie lieferte Erzeugnisse der elektrotechnischen Industrie und des Landmaschinenbaus. Auch andere RGW-Staaten übten gleichermaßen Solidarität.

Grenadas Volksrevolution sah sich von Beginn an inneren und mächtigen äußeren Feinden gegenüber. Diplomatische, politische, ökonomische und militärische Erpressungsversuche der USA und anderer imperialistischer Mächte gegen die Volksregierung lösten einander ab. Konterrevolutionäre Verschwörungen, Mordanschläge auf Grenadas Führung, Sabotage und Brandstiftungen wurden von der CIA in Szene gesetzt, um das kleine karibische Land zu destabilisieren und international in Verruf zu bringen.

Die massive Kampagne gegen die Volksmacht verfehlte auf Dauer selbst in den Reihen der NEW-JEWEL-Bewegung nicht ihre Wirkung. Meinungsverschiedenheiten, die im Sommer 1983 unter ZK-Mitgliedern der sich als Vorhut verstehenden Organisation um die Frage der Führung aufbrachen, wurden durch die Gegner des revolutionären Prozesses Grenadas geschürt und genutzt. Im Ergebnis von Auseinandersetzungen enthob das ZK am 12. Oktober 1983 Maurice Bishop seines Postens in der Partei. Er wurde zunächst unter Hausarrest gestellt, dann aber von Demonstranten wenige Tage später befreit. Hunderte zogen mit dem Premier zum Fort Rupert, wo sich Arsenal und Stab der Streitkräfte befanden.

Über das weitere Geschehen gibt es widersprüchliche Berichte. Ein LKW mit Soldaten soll zum Fort beordert worden sein, um dort "für Ordnung zu sorgen". Wer den ersten Schuß auf die Menge abgab, ist ungeklärt. Nach Augenzeugenberichten wurde Bishop zunächst verwundet, dann von Soldaten ergriffen und am Zugang zum Fort ermordet.

Am 20. Oktober verhängte ein "Revolutionärer Militärrat" den Ausnahmezustand. Er ersuchte die USA, Großbritannien und Jamaika, "Kräfte zur Erhaltung des inneren Friedens" nach Grenada zu entsenden.

Im Morgengrauen des 25. Oktober begann das Pentagon - unter dem Vorwand, Lehrer und Studenten einer angeblich bedrohten USA-Hochschule auf der Insel schützen zu müssen - seinen von langer Hand geplanten Überfall auf Grenada. Daran beteiligten sich vietnamkriegserfahrene Spezialeinheiten.

In den ersten Tagen der Intervention, der vor allem kubanische Bauarbeiter heftigen Widerstand entgegensetzten, wurden mehr als 2000 Anhänger der Volksmacht festgenommen und grausamen Repressalien unterworfen. Hunderte Menschen kamen ums Leben. Mitglieder der Regierung Grenadas und Spitzenfunktionäre der NEW-JEWEL-Bewegung wurden auf Grund falscher Anschuldigungen eingekerkert, einige auf Jahrzehnte.

Heute trägt Grenadas Internationaler Flughafen den Namen Maurice Bishop. Wie man sieht, ist noch Glut unter der Asche.

Detlef Henkel, Bernau


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Sie standen Seite an Seite im antiimperialistischen Kampf: Grenadas Maurice Bishop und Kubas Fidel Castro

Raute

Warum sich 1944/45 in Italien keine revolutionäre Situation entwickelte

Auf halbem Wege abgefangen

In Italien gab es 1944/45 einige Besonderheiten gegenüber anderen westund osteuropäischen Ländern, die sich erschwerend für die Absicherung des eingetretenen Linksrucks und begünstigend für den dann erfolgenden Rechtsruck erweisen sollten.

Zunächst die Vorgeschichte: Offene faschistische Diktaturen bestanden außer in Spanien und Portugal im Westen Europas und in den meisten osteuropäischen Staaten nicht oder waren nur von relativ kurzer Dauer. Ausnahmen bildeten Ungarn, wo die Folgen bis heute zu spüren sind, und Bulgarien, wo es indes immer auch einen starken Antifaschismus gegeben hat.

In Italien herrschte nicht nur die am längsten währende faschistische Diktatur, sondern auch eine Form des klassischen Faschismus mit allen Konsequenzen. Der Mussolini-Partei PNF mit 600.000 Mitgliedern (1924) war es gelungen, in Teile der Arbeiterklasse einzudringen. 16 % ihrer organisierten Anhänger waren Industrie-, 24 % Landarbeiter. Italien zeigte sich zweigeteilt: Während der Norden gesellschaftlich entwickelt war, herrschten südlich von Rom feudale Verhältnisse. Durch einen Kompromiß zwischen den Kapitalisten des Nordens und den Gutsbesitzern des Südens wurde die durch die Volksmassen erkämpfte geographische Einheit gewahrt und die sozialpolitische Zweiteilung des Landes konserviert. Was die meisten süditalienischen Arbeiter in den Norden mitbrachten, war bewußtseinsmäßige Rückständigkeit.

Im Süden herrschten Großagrarier im Verbund mit dem katholischen Klerus uneingeschränkt über die Ärmsten der Gesellschaft. Fast jeder Zweite konnte weder lesen noch schreiben. Die soziale Hoffnungslosigkeit hatte sich über Jahrhunderte gehalten. Jeder Widerstand war lebensgefährlich. Mafia-Banden terrorisierten die Bevölkerung und mordeten straflos. Deren Mitglieder waren neben Kriminellen und Lumpenproletariern meist bitterarme Menschen, die dadurch das eigene Überleben und das ihrer Familien zu retten suchten.

Im Süden befanden sich die Hochburgen des Faschismus. Er stellte den Verelendeten Dinge in Aussicht, die ihnen der bürgerlich-demokratische Staat nie versprochen hatte. Die Schwarzhemden zogen vor allem arme Jugendliche an. Diese hofften auf Stellen in den unteren Verwaltungsebenen und im Repressionsapparat. Vasallentreue und die Bereitschaft, skrupellos Gewalt anzuwenden, wurden gefordert. Dabei änderte sich das hierarchische Verhältnis kaum, stellten doch die Gutsbesitzer das drittgrößte Kontingent unter den Faschisten.

Die Hoffnungen der einfachen Mussolini-Anhänger, ihre Gewaltbereitschaft ausleben zu können, schienen sich schon vor der Machtübernahme des Duce (1922) zu erfüllen. Von 1919 bis zum "Marsch auf Rom" wurden mehr als 4000 Antifaschisten ermordet. Selbstverwaltungen mit linker und demokratischer Mehrheit trieb man auseinander, Tausende Gegner der Schwarzhemden wurden zum Wohnortwechsel gezwungen. Die Staatsmacht sah zu.

1922 fand eine bis dahin einmalige "Säuberung" des öffentlichen Dienstes statt. Betroffen waren neben Linken auch bürgerliche und kleinbürgerliche Antifaschisten. Allein im ersten Monat des "neuen Regimes" wurden 65.000 Beamte entlassen. Arbeitssuchende mußten nun ein spezielles Papier vorlegen, in dem neben ihrer beruflichen Qualifikation auch Hinweise auf die politische Einstellung des Inhabers vermerkt waren. Das wirkte sehr disziplinierend.

Kurz nach Mussolinis Machtantritt erlebte seine PNF einen Massenzustrom. Das Personal im öffentlichen Dienst wuchs auf über eine Million an, wobei ab 1932 dann eine längere und aktive PNF-Mitgliedschaft verlangt wurde. Hier war schätzungsweise jeder zweite Faschist beschäftigt. Für die meisten von ihnen bedeutete das einen enormen sozialen Aufstieg.

Mit der Befreiung Italiens vom Faschismus und der Installierung einer Regierung unter Einschluß von kommunistischen und sozialdemokratischen Ministern drohte nicht nur ein revolutionärer Umbruch, sondern auch die Bestrafung und Entlassung Zehntausender belasteter Faschisten.

Nur in Norditalien, wo sich zwischen 1943 und 1945 eine von Kommunisten geführte Partisanenbewegung erbitterte Kämpfe mit den deutschen und italienischen Faschisten geliefert hatte, wurden 1732 Parteigänger Mussolinis - darunter der Duce selbst - zum Tode verurteilt. Hier säuberte man auch die Verwaltung von ihnen. Doch schon bald nach der Befreiung des ganzen Landes setzte die Regierung Amnestien und die Revision von 11.000 gegen Faschisten gefällten Urteilen durch. Diese blieben fortan unbehelligt und wurden - wenn es sich nicht um Wahlfunktionen handelte - wieder in die Verwaltung eingegliedert. Aus den Schutz-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Justizapparaten wurde kein Faschist entlassen. Es gab nicht einmal eine Alibiveranstaltung wie die deutsche "Entnazifizierung".

Der Landessüden war, vielfach in Absprache mit der Mafia, durch US-Truppen besetzt worden. Hier fand keine Befreiung statt. Die Italiener streckten bei Abwesenheit deutscher Besatzer schnell die Waffen. Mafiosi stellten sich an die Spitze der Verwaltung und übernahmen "Ordnungsfunktionen".

Während in Mittel- und vor allem Norditalien die werktätigen Massen im antifaschistischen Widerstand nicht wenig Klassenkampferfahrung sammelten, was zu ihrer Radikalisierung führte, wurde der Faschismus im Süden konserviert. Er blieb die Hochburg der Reaktion. In der Frage der Abschaffung der Monarchie stimmte man dort zu 66 % für deren Beibehaltung, während es im Norden und im Zentrum nur 35 % waren, die sich so entschieden. Insgesamt jagten 54 % der Italiener den König zum Teufel, was blutige Exzesse im Süden zur Folge hatte. Dort versuchte man, das Ergebnis des Referendums für ungültig erklären zu lassen.

Da Mussolinis PNF ihre Legalität verloren hatte, suchten die meisten Faschisten nun neue Formen der Organisation. Doch trotz des Wohlwollens der US-Besatzer für die extreme Rechte hatte es im Lande einen deutlichen Linksruck gegeben. So war Vorsicht geboten. Deshalb gab man sich demokratisch. Dieses Zauberwortes bedienten sich alle restaurativen Kräfte. Die Christlich-Demokratische Partei - von den Amerikanern und dem Vatikan unterstützt - wurde in aller Eile hochgezogen. Sie hatte sich schon früh vom antifaschistischen Konsens verabschiedet und setzte auf "nationale Versöhnung". Bei den Kommunalwahlen 1946 erreichte sie auf Anhieb 50 %. Bei den ersten Parlamentswahlen im selben Jahr kam sie auf 35 %. Die Linken erreichten zusammen fast 40 %, was die italienische Reaktion und deren imperialistische Freunde in Unruhe versetzte. Um den künftigen Sieg einer Volksfront zu verhindern, wurde die Marshallplan-Hilfe der Amerikaner angekurbelt.

Ein Teil der Faschisten trat mit einer "Jedermann-Partei" an, die sofort 5,3 % erhielt. 1946 schuf der "harte Kern" der Mussolini-Anhänger mit der Sozialen Bewegung (MSI) eine neue offen faschistisch profilierte Partei, die bald in allen Regionen präsent war und über eine Million Mitglieder hatte. Bei den Parlamentswahlen von 1948, als eine rechte Konzentration des Votums zugunsten der Christdemokraten und ihrer Verbündeten (49 %) entstand, erreichte die MSI allerdings nicht mehr als zwei Prozent. Auf die Volksfront entfielen damals 31 %. So war ein neuerlicher Rechtsruck herbeigeführt worden, der das gemeinsame Erbe des Antifaschismus entwertete und einer reaktionären Entwicklung den Weg bahnte. Übrigens wurde der Neofaschist Fini später Stellvertreter von Premier Berlusconi.

Dr. Bernhard Majorow

Raute

Eindringliches Plädoyer für Menschenwürde: Die Thingler

Ein Hartz-IV-Empfänger als Romancier

Der Norden ist eben immer etwas anders, nicht nur, weil die Elenden hier noch elender sind. Das Besondere ist eine Schweriner Sozialministerin, die sich nicht zurückpfeifen läßt, obwohl sie der SPD angehört. Sie schreibt, "daß in unserem Land (gemeint ist Mecklenburg-Vorpommern) jedes dritte Kind aus einem Haushalt kommt, in dem die Eltern nicht ohne Hilfe in der Lage sind, den Lebensunterhalt zu sichern". Sie weiß sogar und spricht es deutlich aus, "daß nach wie vor viele, die 40 Stunden und mehr arbeiten, auf zusätzliche Sozialleistungen angewiesen sind".

Manuela Schwesig hat den seltenen Mut, uns mit ihrem Autorenbeitrag in der Zeitung "die straße" wissen zu lassen, daß selbst "dort, wo Menschen Arbeit haben, Familien vielfach von Armut bedroht sind". Es handelt sich um jene, welche in teuflischer Absicht von der BRD-Regierung nicht zu den Millionen des entwaffneten Arbeitslosenheeres gerechnet werden, das in Wahrheit viel größer ist, als uns amtliche Statistiken weismachen wollen.

Daß sich Ministerin Schwesig in dieser Sache der Wahrheit verpflichtet fühlt, sollten wir ihr hoch anrechnen. Sie hat sogar die Courage, Mindestlöhne zu fordern und meint damit "... ein Stück Menschenwürde für Arbeitende".

Menschenwürde ist das Thema des Romans von Rainer Stankiewitz, der selbst Hartz-IV-Empfänger ist und weiß, wovon er spricht und worüber er schreibt.

Seine Romangestalten - keine Helden - sind Leute, die noch einige Jahre bis zur Rente haben, aber ohne Chance sind, Geld zu verdienen, nachdem ihre Welt - in der sie niemals betteln mußten - einer Treuhand zum Opfer gefallen ist. Doch sie finden einen Ausweg, versammeln sich unter einer schönen großen Linde, beraten und beschließen es eigentlich gar nicht und folgen doch dem Gedanken, den Barski hat. Der gewinnt sie allmählich für die Idee, sich von Zeit zu Zeit unter diesem alten Baum zu treffen. Sie nennen es Thing. Es ist ihr ganz eigenes Parlament.

Die Thingler, wie sie bald in der Umgebung des fiktiven Landstädtchens genannt werden, unterscheiden sich von anderen. Sie lehnen nicht etwa gute Arbeit ab, die ihnen ohnehin niemand anbietet, sondern verweigern die Annahme der Almosen von der Berliner Hartz-IV-Republik. Das ist ein unerhörter Vorgang. Den Leitern auf dem Amt Hegen sind die Thingler nicht nur ein Dorn im Auge, sondern ein schmerzhafter Stachel im Fleisch des Staates. Man sinnt darauf, dem Übel beizukommen.

In den unvergeßlichen Episoden des Romans entfalten sich die Temperamente der etwa dreißig handelnden Personen, Ossis und Wessis, ihre Gefühle von Liebe und Haß. Leben und Tod spielen hier ihre Rolle.

Wie ein roter Faden zieht sich ein unaufgeklärter Mord in der "Wendezeit" durch die Geschichte. Aber die Gefahr, die den Thinglern im mecklenburgischen Hegen-Ausbau wirklich droht, ist keine, die Justiz oder Polizei der BRD von ihnen abwenden könnte. Ihre Zukunft bleibt ein großes Ostwest-Westost-Fragezeichen.

Günter Jaffke, Schwerin


Rainer Stankiewitz "Die Thingler",
Roman, Wieden-Verlag 2010, 398 Seiten,
15 Euro, ISBN 978-3-9813076-7-2

Raute

Aus Hellges Anekdotenkiste

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Die Eulenspiegel-Verlagsgruppe stellte ihre neue Edition Aurora vor

Insel der Morgenröte

Wer heutzutage nach guter Literatur sucht, sollte nicht unbedingt die Buchhandlungen durchforsten. Auch dann nicht, wenn diese zwei oder mehr Etagen haben. Und auf keinen Fall, wenn nach linker Literatur gefahndet wird. Die kann der Interessierte dort in der Regel zwar bestellen, aber kaum entdecken. Es bleibt nur der zufällige Tip, die Empfehlung eines Freundes oder der Rat des Sachkundigen, um ans Ziel zu gelangen. Auf solches Gedankengut stößt man in herzensverwandten Publikationen wie der "jungen Welt", dem "RotFuchs" und "Ossietzky".

Das zu Buchläden Gesagte läßt sich, ins Überdimensionale gesteigert, auch auf die Leipziger Buchmessen übertragen. Da gibt es den Lichtblick auf jene Inseln, welche im Navigationsmuster des Kopfes zu speichern sind, will man dem Milchreisberg von Nichtigkeiten entgehen, durch den sich jeder hindurchzufressen hat, der alles sehen will. Unbedingt des Merkens würdig sind der Verlag 8. Mai und die Eulenspiegel-Verlagsgruppe. Dort konnte ich in Händen halten, was bereits angekündigt war: Im Verlag 8. Mai erschienen die ersten Exemplare aus der Bibliothek des Widerstandes, und es gibt Aurora, wofür ich hier schwärmend werben möchte. Diese bei Eulenspiegel angesiedelte neue Edition wird sich laut Verlagsprogramm vornehmlich mit Werken von und über Peter Hacks befassen oder Autoren zu Wort kommen lassen, deren Schriften in einem Bezug zu Leben und Werk dieses Mannes stehen und sich der Entwicklung materialistisch-dialektischen Denkens wie auch klassischen Kunstauffassungen verpflichtet fühlen. Wenn sich beim auf dieser Strecke vorbelasteten Leser angesichts des Namens Aurora eine Gedankenverbindung zum Exilverlag Wieland Herzfeldes einstellt, so ist diese gewollt und berechtigt. Mit dem gleichen Mut, der gleichen Kühnheit des Programms und dem gleichen Vertrauen in die Intelligenz der Leser stellte sich bereits das Aurora-Frühjahrsprogramm vor. Analogien ließen sich fortsetzen: von der finanziellen Erreichbarkeit durch Besitzer kleiner Geldbörsen über die avantgardistische Typographie bis zur Titelauswahl.

Bei "Vorsicht, Hacks!" will ich kurz verweilen. Dieser Titel ist wohl der Universellste. Hacks-Freunde und -Kenner kommen ohnehin nicht daran vorbei, dem Einsteiger aber wird Appetit auf mehr gemacht. Man zieht ihn in den Bann des Genies. Präsentiert wird, was über den Dichter in der "jungen Welt" zwischen 1999 und 2009 erschienen ist. Nicht alles, was in dieser wundervollen linken Tagesszeitung seither zum Thema gedruckt wurde, ist hier erfaßt worden, wohl aber das Beste! Eine Sammlung neuer Hacks-Texte, literaturwissenschaftliche Analysen zu seinem Werk, Aufführungsberichte und Rezensionen sieht man hier ebenso versammelt wie eine Vielzahl von Glossen.

"Er schreibt uns aus der Zukunft", lese ich - wie wahr! Hacks geht über rein Literarisches weit hinaus. Er philosophiert über die Welt und was sie antreibt oder über den Weltgeist, auf den er sich bisweilen beruft. Bei seinem Scharfsinn kann dieser nur ein kommunistischer sein. Das sollte ihm und diesem Band auch solche Leser sichern, die über weniger Anspruchsvolles bisher nicht hinausgekommen sind.

Als ich das Verlagsprogramm im Internet durchblätterte, sagte ich mir zu "Vorsicht Hacks!": Das hast du alles schon in deiner Zeitung gelesen, ausgeschnitten, gespeichert und archiviert. Das mußt du nicht noch einmal als Buch dazustellen. Am Ende aber war gerade das der erste Band, den ich mir von Aurora kaufte.

Warum? Zunächst, weil die gebundene Sammlung ein ganz anderes Lese- und Wiederlese-Erlebnis bietet als ein Stapel loser Artikel. Dann natürlich, weil die Wiederbegegnung mit diesem Material Kopf- und Herzensfreude bereitet. Und schließlich, weil doch viel Neues geboten wird. Ich will nur Hacks' "Brief an eine unbekannte Adressatin" nennen und nicht zuletzt den Nachtrag Matthias Oehmes. Dieser profilierte Hacks-Verleger hat eigens für den Band eine aktualisierte Bestandsaufnahme zum Nachlaß des Dichters verfaßt. Daß die Verlagsrechte der von Hacks klassifizierten Gesamtausgabe bei Eulenspiegel in besten Händen liegen, ist ebenso bekannt wie deren Umfang, da uns der Verlag die Werkausgabe in zwei Fassungen sorgsam aufbereitet vorlegte.

Weniger bekannt ist allerdings, was sich darüber hinaus im Nachlaß verbergen könnte, dessen Bewahrung der Dichter dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach anvertraut hat. Hier ist nicht Raum, dem Lichtstrahl Oehmes zu folgen, mit dem er noch verborgene Schätze aufblitzen läßt; seine Recherche weckt Hoffnung, daß die Kostbarkeiten nicht im Dunkeln bleiben. Man ist geneigt zu sagen: Hacks und kein Ende!

Die RF-Leser mögen mir diesen Exkurs zu "Vorsicht, Hacks!" verzeihen. Der sei auch eine Verneigung vor der "jungen Welt", der wirklich sozialistischen Tageszeitung, die den Dichter mit großer Leidenschaft dem Vergessen zu entreißen sucht und sich vielleicht am konsequentesten gegen Verzerrungen stellt. Es handelt sich um ein Blatt, das neben dem "RotFuchs", zu dessen frühen Förderern Peter Hacks gehörte, vielleicht am ehesten in seinem Sinne Journalismus betreibt. Das jW-Motto "Sie lügen wie gedruckt - wir drucken, wie sie lügen" ist ja fast das Hackssche:

"Freiheit der Presse, na ja. Doch Wahrheit der Presse zu fordern,
hat sich, seh' ich das recht, vor mir noch keiner getraut." (HW 1/245)

Wie eingangs erwähnt, sind Buchhandlungen in Sachen Literatur oft unsichere Ratgeber. In Hamburgs größtem Buchhaus, wo ich nach dem Aurora-Frühjahrsprogramm fragte, war hilflos-panisches Unwissen die Antwort. In Görlitz konnte das bei Nachhaken aus Hinterzimmern herbeigeschafft werden.

Bernd Gutte


Stefan Huth (Hrsg.): Vorsicht, Hacks! Der Dichter in der "jungen Welt" 1999 bis 2009,
320 Seiten, 14,95 Euro, ISBN 978-3-359-02502-3

Raute

Horst Beseler - einer der beliebtesten DDR-Kinderbuchautoren

Kein Lehrplan ohne "Käuzchenkuhle"

Seit 1969 lebt er in einem Bauernhaus in Hinzenhagen unweit von Güstrow. Der Autor von "Käuzchenkuhle" wurde am 29. Mai 1925 in Berlin geboren. Er zählte zu den erfolgreichsten Kinderbuchautoren der DDR, schrieb aber auch Romane und Filmszenarien. Ende der 40er bis Mitte der 50er Jahre erschienen in Ost und West zahlreiche Prosaarbeiten mit Erlebnisberichten, Abrechnungen und Rückblicken auf den 2. Weltkrieg, aber auch Versuchen, seiner Mystifizierung und Fehldarstellung zu begegnen. Aus der Feder von DDR-Autoren stammten u. a. viel gelesene Titel Franz Fühmanns, Dieter Nolls, Karl Mundstocks, Harry Thürks und Herbert Ottos. In diese Reihe gehört auch Horst Beseler mit "Im Garten der Königin" (1957). Der Autor erzählt in dem novellistisch angelegten Roman von Sanitätern einer Fallschirmjägereinheit der faschistischen Wehrmacht. Diese haben im Spätsommer 1944 in einem idyllischen französischen Schloßpark ihre Zelte aufgeschlagen. Ludwig XV. hatte vor 200 Jahren dieses Areal für die Königin anlegen lassen. Beseler schildert, wie drei verführte deutsche Soldaten desillusioniert werden, sich wandeln und die Nazi-Phrase von der "Volksgemeinschaft" zu durchschauen beginnen.

Der spannende Roman über eine "Idylle im Schatten der Barbarei" habe bereits "echtes erzählerisches und kompositorisches Talent" verraten, bemerkte damals der Rezensent des "Sonntag". Das Werk, für das der Autor den Fontane-Preis erhielt, erreichte zwölf Auflagen und wurde u. a. ins Tschechische übersetzt.

Mit der Erzählung "Der lange Schatten" (1987) griff Beseler jahrzehntelang nachwirkende, belastende und unbewältigte Kriegserlebnisse auf, wobei er thematisch an "Im Garten der Königin" anknüpfte. Ein Sechzehnjähriger sieht seine kameradschaftliche Bindung an den Onkel plötzlich in Frage gestellt, als ihn eine Reihe von Rätseln beim Besuch einer französischen Ausstellung in Berlin bedrängt. In der Geschichte lüftete Beseler den "Mantel trügerischen Vergessens".

Der Schriftsteller veröffentlichte acht Kinderbücher - darunter "Die Moorbande" (1951, auch als Theaterstück), "Heißer Atem" (1953), "Auf dem Flug nach Havanna", "Die Linde vor Priebes Haus", "Der Baum" (alle drei 1970), "Jemand kommt" (1972) und "Tiefer blauer Schnee" (1976). Herausragend ist jedoch Beselers Bestseller "Käuzchenkuhle" (1965). Dieses Buch erreichte mehr als ein Dutzend Auflagen. Der Stadtjunge "Jampoll", der die Ferien bei den Großeltern in einem märkischen Dorf verbringt und hier mit anderen Kindern bereits befreundet ist, wird auf ungewöhnliche Weise mit der Vergangenheit konfrontiert, versucht sie unbewußt zu ergründen. "Käuzchenkuhle" zählte zu den mit Abstand beliebtesten und meistgelesenen Kinderbüchern der DDR, so daß es zu Recht zur willkommenen Lektüre im Literaturunterricht der 7. Klassen gehörte. Der "Kinderkrimi" wurde weit über ein Jahrzehnt als Ganzschrift in allen Schulen von der Ostsee bis zum Erzgebirge und von der Oder bis ins Eichsfeld behandelt. Für "Käuzchenkuhle" waren vier Unterrichtsstunden vorgesehen. Offensichtlich vermittelte das Buch ein nachhaltiges Leseerlebnis. Die an abenteuerlich-kriminalistischen Elementen reiche, stimmungsvolle Geschichte mit ihrer wirklich atemberaubenden Spannung und farbenprächtigen Romantik sprach die Heranwachsenden intellektuell und emotional an. Regisseur Walter Beck drehte 1968 den gleichnamigen Kinder- und Jugendfilm mit Manfred Krug, Martin Flörchinger, Dieter Wien, Regina Beyer und anderen.

Einen weiteren Höhepunkt im Schaffen Beselers bildete der Roman "Tule Hinrichs Sofa" (1981), der besonders für junge Erwachsene gedacht war. Der Autor setzte eine gegenwärtige Liebesgeschichte in Beziehung zu einer in den 30er Jahren, die unerfüllt blieb und tragisch endete. Dabei zog sich die Ausdeutung der Legende um Tule Hinrich und Oma Wulff wie ein roter Faden durch den Roman. Auch hier bereicherten abenteuerhafte und kriminalistische Elemente die Handlung. Der Antiquitäten-Spekulant, der beharrlich das alte, legendenumwobene Sofa erwerben wollte, erinnerte an den "Fremden" in "Käuzchenkuhle". Beselers Roman bot detaillierte Einblicke in das konfliktreiche Leben der Altersstufe zwischen Kindheit und frühem Erwachsensein.

Beseler verschmolz in seinen Büchern immer wieder eine moderne Alltagswelt mit Abenteuerlichkeit und Romantik. Er verfolgte dabei auf zunächst rätselhafte Weise Nachwirkungen von Menschenschicksalen aus dem 2. Weltkrieg. Der Schriftsteller wurde mit dem Fontane-Preis, dem Fritz-Reuter-Preis und dem Alex-Wedding-Preis ausgezeichnet.

Beselers Tochter Ulrike illustrierte 1997 die Erzählung ihres Vaters "Der Fall der schwarzen Eule". Bestechend an Horst Beselers Geschichten "war immer wieder das sauber durchgearbeitete gedankliche Konzept und sein kultiviertes Erzählen", resümierte Katrin Pieper in ihrer Laudatio zu seinem 70. Geburtstag 1995.

Auch "Tiefer blauer Schnee" ist verfilmt (1981, Regie: Fred Noczynski) und ins Tschechische, Russische und Norwegische übersetzt worden. Beselers Kurzgeschichte "Im Schatten des großen José" war in Lehrmaterialien deutschsprachiger Gymnasien Australiens enthalten und wurde später in eine Anthologie von 35 europäischen Short-Stories aufgenommen.

Dieter Fechner

Raute

Ein Foto aus Leipzig

Anneliese Schellenberger übergab Angela Davis bei ihrem Aufenthalt in Leipzig dieses Foto(*). Dazu schrieb sie:

Liebe Genossin Angela,
das ist meine Klasse 3 R der 3. Oberschule in Leipzig. Sie durfte Dir 1972 auf dem Georgi-Dimitroff-Platz Blumen überreichen. Das war eine Auszeichnung, weil sich die Pioniere besonders aktiv am Kampf für Deine Freilassung beteiligt hatten. Heute sind die Schüler von einst Mitte 40, haben selbst Familien und erinnern sich noch gern an ihre schöne und interessante Kindheit in der DDR. Sie haben sich ohne jeden Zwang und heißen Herzens dafür eingesetzt, daß die Dir drohende Verurteilung abgewendet werden konnte. In heller Aufregung und voller Bewunderung für Dein mutiges Verhalten vor Gericht nahmen sie den Freispruch auf. Sie haben damals gelernt, was Solidarität vermag.

Alles Gute wünscht Dir die Tochter eines kommunistischen Widerstandskämpfers, der von den Faschisten zum Tode verurteilt wurde und sich beim Bombenangriff auf Dresden selbst befreien konnte. Als 15jährige war ich im Gerichtssaal zugegen, als das Urteil gegen meinen Vater gefällt wurde. Deshalb konnte ich mir beim Lesen des Buches von Klaus Steiniger sehr gut Deine damalige Situation vorstellen.


(*) Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:
Siehe in der Printausgabe oder PDF-Datei des Rotfuchs, die aufgerufen werden kann unter:
www.rotfuchs.net

Raute

Hans Marchwitza und die "Höllen der Ruhr"

Schlacht vor Kohle

Wenn sich das Ruhrgebiet in diesem Jahr im Rahmen von "Ruhr 2010" als Kulturmetropole zeigt, wird natürlich an die lange Tradition der Zechen und Stahlbetriebe erinnert. Werden dabei die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Kumpel und ihrer Familien betrachtet, dann dürfte in offiziellen Texten und Ansprachen ein Name wohl kaum fallen: der von Hans Marchwitza.

Der Arbeiterschriftsteller war jedoch jemand, der das Leben an der Ruhr in all seinen Facetten beschrieben hat, wie es nur wenige Autoren taten. Marchwitza lebte von 1890 bis 1965. Er kam 1910 aus Oberschlesien ins Ruhrgebiet. "Es war eine große Enttäuschung, denn wir bekamen nicht nur die dreckigste Arbeit, wir sollten auch Lohndrücker gegen die dortigen Bergleute spielen", berichtet er.

Um 1922 beginnt Marchwitza zu schreiben. Er arbeitet für das "Ruhr-Echo" in Essen und wird dabei durch dessen Redakteur Alexander Abusch gefördert. Als Mitglied der KPD und des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller verfaßt er schließlich seinen ersten Roman "Sturm auf Essen". Darin wird das Jahr 1920 in den Mittelpunkt gerückt und geschildert, wie die Rote Ruhrarmee die Pläne der Kapp-Putschisten durchkreuzt.

Es folgt der Roman "Schlacht vor Kohle", in dem Marchwitza das Leben in einer Zechenkolonie darstellt. Der Leser erlebt die Familien der Bergleute mit all ihren Nöten, die schlechten Arbeitsbedingungen auf den Zechen und die miserable Entlohnung, die kaum zum Leben reicht. Besonders bedrückend ist die Beschreibung eines Grubenunglücks. Die Leserschaft kann aber auch am Widerstand der Kumpel und an einem Streik teilnehmen, der die gesamte Region erfaßt. Nach einem Bericht über ein Treffen des gewerkschaftlichen "Roten Einheitsverbandes" gibt Marchwitza im Roman eine kurze Beschreibung des Ruhrgebiets, die als typisch gelten kann: "Der Zug, der die Kumpels zurückbrachte, fuhr an Stahlwerken vorüber. Die Höllen der Ruhr. Lohende Glut schoß aus den Hochöfen. Rauch verdunkelte die Umgebung. Die Stahlwerke entschwanden. Schächte tauchten auf. Kohle. Überall Kohle. Stinkender Qualm jagte in die Wagenabteile. Kohlenstaub spritzte in die Augen. Flimmernder Stahlstaub und Kohle tanzten in der Luft. Der Zug fuhr an grau verstaubten und verrußten Häusern entlang."

Anfang der 30er Jahre ist Marchwitza als proletarischer Schriftsteller unter Arbeitern schon recht bekannt. Auch die Kripo hat ein Auge auf ihn geworfen. So wird der in Hamborn (heute ein Stadtteil Duisburgs) Wohnhafte in den Mitteilungen des Landeskriminalpolizeiamtes Berlin vom 1. Mai 1932 erwähnt.

Sein bekanntestes Werk veröffentlicht Marchwitza 1934 in der Schweiz. Es sind "Die Kumiaks". Der Bergmann und Literat befindet sich längst auf der Flucht vor den Nazis. Sein Weg führt bald nach Frankreich und schließlich in die Vereinigten Staaten. Angst, Verfolgung und tägliche Mühsal bestimmen Marchwitzas Leben. In New York ist er oft genug auf die Unterstützung von Hilfskomitees angewiesen. Erst 1946 kann der Schriftsteller nach Deutschland zurückkehren. Sein Wunsch, in die sowjetische Besatzungszone zu fahren, ruft Argwohn hervor. So schlägt er seine Zelte zunächst in Stuttgart auf und übersiedelt erst 1947 nach Potsdam-Babelsberg. Seine Erlebnisse als Emigrant sind in den Büchern "In Frankreich" und "In Amerika" festgehalten. Marchwitza läßt 1952 und 1959 noch zwei Kumiak-Bände folgen. Damit umfassen die Kumiaks den Zeitraum zwischen 1920 und 1950 aus der Sicht eines Arbeiters. Peter Kumiak und seine Familie begleiten den Leser durchs Ruhrgebiet, während der Zeit des Faschismus bis hin zu den Tagen des Aufbaus der DDR.

Wer einen Einblick in Marchwitzas Kindheit und Jugend sowie dessen Jahre als Bergmann nehmen möchte, sollte zu "Meine Jugend" (1947) greifen. Mit dem Roman "Roheisen" (1955) widmet sich Marchwitza zwischen den beiden letzten Kumiak-Teilen dem Aufbau des Stahlwerkes Ost in Eisenhüttenstadt. Seine frühen Bücher schreibt der Autor zum Teil noch einmal um, so daß sie in verbesserter Form erscheinen können. Denn wir wollen nicht vergessen: Marchwitza hatte nur eine geringe Schulbildung, wuchs mit einem deutsch-polnischen Dialekt auf und mußte sich später vieles selbst erarbeiten.

"Wenn man so will", schreibt der Leipziger Professor Dr. Alfred Klein, "hat der Schriftstellerkumpel mit 'Meine Jugend', 'Sturm auf Essen' und mindestens noch mit dem ersten Band seiner Kumiak-Trilogie etwas Einzigartiges für die erzählerische Weitergabe der Menschenschicksale im Ruhrgebiet geleistet - für die dortigen Leser sowieso, aber eben darüber hinaus für das deutsche Publikum überhaupt." Die DDR würdigte Marchwitzas Schaffen durch Nationalpreise und andere Ehrungen. 1960 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Humboldt-Universität verliehen.

Paul Sielaff

Raute

Archie und die Glaubwürdigkeit

Im Laufe seines langen Lebens hatte Archie mühselig herausgefunden, daß es mit der Glaubwürdigkeit eine besondere Bewandtnis hat. Einerseits heißt es im Sprichwort: "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht ...", dann wieder sagt man: "Einmal ist keinmal". Genausogut könnte man für die bürgerliche Demokratie das Sprichwort einführen: "Lügen die Parteien immer bunter das Blaue vom Himmel herunter, schlafen die Wähler nicht ein, sondern sie bleiben munter." Andererseits scheint bei Wahlen die Wahrheit fast unerwünscht und gar verpönt zu sein, die meisten fallen auf fast jeden Schwindel herein. Die Öffentlichkeit vermutet oft einen besonders raffinierten Trick hinter der Wahrheit.

Überhaupt hat Archie den fatalen Eindruck, daß der bereits hinter das Licht geführte Alt-Wähler immer noch fürchtet, durch eine Täuschung in einen gut getarnten Hinterhalt gelockt zu werden. Etwa so, wie die bundesdeutschen Truppen in einen Krieg auf dem Boden Afghanistans verstrickt sind, obwohl man sie als Ordnungshelfer ausgibt. Dasselbe trifft auf die politischen Fernseh-Talkrunden und deren Glaubwürdigkeit zu; sie sind dem Unterhaltungswert völlig untergeordnet, ob trivial oder paradox.

Besonders deutlich wird es, wenn es sich um sogenannte Dauerbrenner mit Stammgästen handelt, die stets dieselben Scheinlösungen anbieten, ob für die Betroffenen traurig oder erheiternd. Überhaupt ist die ständig zur Schau gestellte angebliche Glaubwürdigkeit des Mediums Fernsehen, besonders auch bei Dokumentationen, stark in Zweifel zu ziehen.

Beispiel FDGB-Heime: Archie war mit drei Kindern in solchen Heimen, von der Ostsee bis in den Thüringer Wald als Urlauber untergebracht, wobei auch die DEFA und das Berliner Ensemble, bei denen er als Dramaturg arbeitete, eigene Ferieneinrichtungen besaßen. Ohne Ausnahme, mal mit mehr, mal mit weniger Komfort, hat sich die Familie bei guter Kost und Logis bestens erholt, mit äußerst preiswerten Freizeitangeboten, wenn sie nicht überhaupt kostenlos waren. Auch in der Umgebung Berlins, so im Lehrerdorf Blossin, gab es in Bungalows die besten Bedingungen für Urlaub mit Kindern, in Wald- und Wasserumgebung, bei Spiel, Sport und Beschäftigung. Als Kuriosum existiert noch ein originelles Konterfei von Archie mit Neptunsgabel und der Überschrift "Verdienter Neptun der Kinder".

Wird heute im Fernsehen darüber berichtet, dann war alles nur von ständigem Mangel gezeichnet, trübe und trist, sogar die Sonne schien in der DDR weniger als anderswo. Allein die Funktionäre hatten das Wort, und überall mußte man anstehen. Unbeschwerter Urlaub war für DDR-Bürger nicht möglich, glaubt man den billig zusammengeschusterten und meist diffamierenden Berichten der BRD-Medien zu diesem Thema. Objektive Wiedergabe dessen, was damals tatsächlich Sache war, ist unerwünscht. Das hat natürlich Konsequenzen für die Glaubwürdigkeit. Alle, die in FDGB-Heimen zu Gast waren, werden hier und dort sicher auch ein Haar in der Suppe gefunden haben, aber sie waren keineswegs im selben Gulag, wo stets dieselbe Suppe gelöffelt wurde, wie Leuten suggeriert wird, die nie dort gewesen sind. Das macht den Zuschauer mißtrauisch: Holzauge, sei wachsam, glaub nur das, was du selbst gesehen hast!

Dieser Spruch trifft auch für das sozialistische Ausland zu. Archie war oft bei einem befreundeten Musiker, einem Geiger des bekannten litauischen Kammerorchesters, in Vilnius zu Gast. Er fuhr mit der Bahn dorthin, 24 Stunden, anstrengend. Im Liegewagen gab es Tee, ohne daß man dafür etwas bezahlen mußte, bei Aufenthalten unterwegs oft eine Art Mitropa-Karren mit herzhaftem Imbiß. In Vilnius konnte man sich auf dem Bahnhof erfrischen, sogar Rasur und Haareschneiden standen zur Debatte. Alles für wenig Geld. Der Markt war fest in polnischer Hand. Überhaupt zeigte sich Litauen in Sowjetzeiten vielsprachig. Die Kinder konnten in der Schule eine Zweitsprache nach Wunsch wählen, auch Deutsch wurde angeboten. Es gab sogar Schulen mit Unterricht in drei Sprachen.

Einmal saß Archie auf einer Bank, es war vor der orthodoxen Heiliggeistkirche, dem ältesten Gotteshaus der Stadt, der Nikolauskirche oder dem Gediminas-Turm, als sich auf der Nebenbank drei Frauen verschiedenen Alters in drei Sprachen unterhielten. Russisch und Polnisch verstand er, das Dritte mußte Litauisch sein, eine der ältesten europäischen Sprachen. Archie fragte die freundlich Auskunft gebenden Frauen etwas. Jede antwortete in der Sprache, die ihr am leichtesten fiel, aber sie verstand die anderen auch. Die Jüngste sprach Russisch, die Mittlere Polnisch, die Ältere Litauisch und etwas Deutsch. Es waren Enkelin, Mutter und Großmutter. Die beiden Älteren gehörten auch verschiedenen Konfessionen an, die Jüngste kicherte dabei. Die Kirchen waren damals stets halb gefüllt, die katholischen etwas voller und ständig geöffnet. Religiöse Vorbehalte gab es nicht. Bekennende Atheisten wie Archie wurden allerdings eher belächelt. Das war in den 70er Jahren. Wilna, das jetzt Vilnius hieß, war einst die alte Hauptstadt Polens. In dessen Nationalepos "Pan Tadeusz" von Adam Mickiewicz beginnt die erste Strophe mit einem Bekenntnis zu Litauen, dem Vaterland. Mit Polnisch kam man damals dort überall durch, mit Russisch natürlich auch. In Lettland sei die antirussische Stimmung stärker gewesen als in Litauen, hörte Archie damals von seinem Freund, dem Geiger.

In Sowjet-Litauen herrschte kein Mangel an Waren, die Basare quollen im Sommer regelrecht über. Heute behaupten die Fernsehsender der BRD, Litauen sei ein einziger Gulag gewesen. Alles konzentriert sich dabei auf die Ereignisse von 1939, als die baltische Republik Teil der Sowjetunion wurde. Dann fielen Hitlers Horden ein. Die meisten der 70 000 Juden, die in Vilnius lebten, haben die Nazi-Barbarei nicht überstanden. Sie wurden bis auf etwa 800 von den deutschen Okkupanten umgebracht, allerdings mit Unterstützung litauischer Faschisten. Darüber glaubwürdig zu berichten, ist keineswegs einfach, doch Knoppsche Geschichtsklitterung hilft da nicht weiter, denkt Archie, wenn er die tendenziösen Berichte der Westmedien verfolgt.

Manfred Hocke

Raute

Leserbriefe an ROTFUCHS

Die Veranstaltung mit Angela Davis in Leipzig war ein großer Erfolg. Der Saal war voll, und es herrschte eine hervorragende Stimmung. Diese Frau ist eine Persönlichkeit, die sich in ihrer Bescheidenheit nicht von anderen abheben will. Da ich Klaus Steinigers Buch "Eine Frau schreibt Geschichte" bereits gelesen hatte, konnte ich Angelas in Englisch vorgetragener Schilderung gut folgen. Das Buch hat vieles aus meiner eigenen Vergangenheit wieder aufgewühlt. Ich habe es mit großem Interesse bis zur letzten Zeile gelesen. Am Ende der Veranstaltung hatte ich mir eine gute Position bei der Signierung erkämpft, so daß ich als Erste Angelas Autogramm bekam.

Anneliese Schellenberger, Leipzig


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Am 20. Juni war ich beim "Fest der Linken" in der Berliner Kulturbrauerei. Dort und zuvor schon in den Hackeschen Höfen konnte ich Angela Davis live erleben und ihr endlich eine echte Rose überreichen. Als kleines Kind hatte ich ihr eine von mir gemalte ins Gefängnis geschickt. Bei dieser Gelegenheit signierte sie mir das Buch "Eine Frau schreibt Geschichte". Ich hatte es mir bei der Präsentation in der Ladengalerie der "jungen Welt" gekauft. Ich fand Angelas Worte auf der Pressefest-Veranstaltung mit den "RotFüchsen" sehr ehrlich und aufrichtig. Gut hat mir auch die Einführung ins Thema durch den Moderator gefallen. Ein großer Kreis von Menschen wurde angesprochen und stimmte den Worten zu. Das Gesagte war sehr treffend, ohne daß der Anspruch auf den Besitz der alleinigen Wahrheit erhoben wurde. Das machte auf mich großen Eindruck. Angelas Signierstunde am RFStand war eine gelungene Sache. Alles Gute für den "RotFuchs"!

Carsten Wölk, Berlin


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Immer wirkt noch die Erinnerung an eine großartige Zusammenkunft nach, die am 9. Juni auf Initiative der Berliner Freunde der Völker Rußlands e. V. anläßlich des 65. Jahrestages der Befreiung vom Hitlerfaschismus bei den Seelower Höhen stattfand. Ich möchte meine Empfindungen mitteilen, die - so hoffe ich - manche RF-Leser dazu bewegen könnten, diese Gedenkstätte selbst einmal zu besuchen. Die Führung durch deren Leiter Gerd-Ulrich Herrmann, der anschließende Film und die Aussprache waren ein großer Gewinn für alle Zuhörer und Zuschauer. Es wurden zwei Filme gezeigt, darunter eine RF-Produktion. Beide demonstrierten auf erschütternde Weise die Sinnlosigkeit des Krieges, der von den Faschisten ohne Skrupel vom Zaun gebrochen worden war.

Die Teilnahme eines Vertreters der russischen Botschaft unterstrich die Bedeutung dieser Ehrung gefallener Kämpfer der Sowjetarmee. Die Veranstaltung paßte sehr gut zur Maiausgabe des RF und ihrem Leitartikel: Dank Euch, Ihr Sowjetsoldaten!

Erika Tiepold, Berlin


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Noch ein Nachtrag zum 65. Jahrestag der Befreiung. Beliebt ist die Legende von der entscheidenden Rolle, welche die Landung der Westalliierten in der Normandie für den Ausgang des Krieges gespielt hat. Nun soll diese Militäraktion keineswegs geringgeschätzt werden, doch wissen wir, daß die Wende des Krieges in Stalingrad eintrat. Der Verfälschung dienen auch Versuche, die Kapitulation der faschistischen Wehrmacht auf den 7. Mai 1945 vorzuverlegen. Tatsächlich wurde an jenem Tag in Reims (Frankreich) - dem Hauptquartier des Oberbefehlshabers der westalliierten Streitkräfte General Dwight Eisenhower - von deutschen Generälen ein Kapitulationsprotokoll unterzeichnet. Der sowjetische Vertreter Suslofarow unterschrieb unter Vorbehalt. Moskau protestierte. Es sah in dem Dokument nur ein Vorprotokoll und forderte, daß die Kapitulation Hitlerdeutschlands in der Hauptstadt erfolgen sollte. So unterschrieben am 8. Mai 1945 in Berlin-Karlshorst Generalfeldmarschall Keitel, Generaloberst Stumpf und Generaladmiral von Friedeburg vor Marschall Shukow und den Vertretern der anderen alliierten Mächte, Luftmarschall Tedder, General Spaatz und General de Tassigny die bedingungslose Kapitulation.

Dr. Kurt Laser, Berlin


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Sowjetische Soldatenfriedhöfe in Deutschland werden zwar nicht geschändet, aber ihre Pflege muß beobachtet werden. Und bei Gedenkveranstaltungen an diesen Orten sucht man vergeblich Vertreter der heute regierenden Parteien. Linke bleiben unter sich. Das ist das unbewältigte Schisma der Deutschen: Der Haß auf den "historischen Urknall'" des 20. Jahrhunderts, die Oktoberrevolution und das daraus entstandene Staatsgebilde bestimmt die unterschiedliche Sicht auf die Befreier der Antihitlerkoalition. Solange dieser nicht überwunden wird, gibt es keine Vollendung der inneren Einheit. Ehrt die Sowjetsoldaten, vergeßt sie nie!

Ralf Becker, Hohenstein-Ernstthal


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Bei einer Diskussion in Leipzig über Israels aggressives Vorgehen im Mittelmeer erhielt ich auf meine Frage leider keine Antwort. Ich wollte wissen, warum das eigentlich geschehen sei. Ist Israel etwa auch in der Linkspartei ein "Tabu-Thema"?

Ich war DDR-Bürger. Nein, ich weine nicht! Aber es sei mir doch erlaubt zu sagen, daß ich dem Anstand, der Ehrlichkeit und der Sauberkeit einer schönen Zeit meines Lebens nachtrauere. In meiner Erinnerung war die Sowjetunion ein Freundesland. Ich selbst habe Reisen nach Buchara, Samarkand, Taschkent, Omsk und Tomsk unternommen. Das waren Erlebnisse, die ich einfach als schön empfand. Heute vernichten sich Menschen unterschiedlicher Nationalitäten im einstigen Land unserer Freunde. Wer kann mir Auskunft geben, warum in Kirgisien wieder so viel Blut geflossen ist?

Gerhard Masuch, Plaussig-Portitz


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Ich bin und bleibe ein Freund des israelischen Volkes. Allerdings wende ich mich vehement gegen die uneingeschränkte, staatlich verordnete politische Kumpanei mit Tel Avivs regierungsamtlichem Zionismus. Die völkerrechtswidrige Blockade Gazas durch Israel muß ebenso unverzüglich beendet werden wie jede andere inhumane Blockade, z. B. die über Kuba verhängte.

Freiheit für die fünf Aufklärer von Miami! Solidarität mit jenen kubanischen Helden, welche seit vielen Jahren in Knästen des USA-Imperialismus wegen ihres mutigen Kampfes gegen ihr Heimatland bedrohende Terroristen gequält werden!

Falk Moldenhauer, Bochum


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Am 8. Juni hat das ungarische Parlament mit den Stimmen des regierenden rechtskonservativen "Bundes Junger Demokraten" (FIDESZ) die "Leugnung kommunistischer Verbrechen" unter Strafe gestellt. Mit Freiheitsentzug bis zu drei Jahren kann belegt werden, wer "den vom nationalsozialistischen oder vom kommunistischen System begangenen Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, in Zweifel zieht oder in ihrer Bedeutung herabmindert".

Der Vorstoß der neuen ungarischen Rechtsaußen-Regierung steht in einer Reihe mit ähnlichen Beschlüssen anderer ost- und mitteleuropäischer Staaten. Im vergangenen Jahr wurden in Polen kommunistische Symbole verboten. In Tschechien strebte man ein Verbot des Kommunistischen Jugendverbandes an und will auch gegen die KP Böhmens und Mährens juristisch vorgehen. In Moldawien droht ein Verbot der KP.

Alle Versuche der Diffamierung der sozialistischen Vergangenheit dieser Länder gehen mit einer schleichenden Faschisierung der Gesellschaft einher. Auch in der BRD betreiben reaktionäre Kreise unter Rückgriff auf die Totalitarismusdoktrin die Gleichsetzung von Hitlerfaschismus und Sozialismus. Daß auch die Partei Die Linke davor nicht gefeit ist, zeigen stetige "Stalinismus"-Vorwürfe seitens des rechtsopportunistischen "Forums demokratischer Sozialisten" sowie die im vergangenen Jahr vorgestellten "Thesen" zum Herbst 1989.

Wir erklären unsere Solidarität mit allen Sozialisten, Kommunisten und anderen progressiven Kräften in Ungarn, Polen, Tschechien und Moldawien.

Dominik Gläsner,
KPF der Partei Die Linke, Görlitz


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Ein Bundespräsident darf Unterschriften leisten, Empfänge geben, im Ausland deutsch auftreten. Was darf er sagen? Nicht viel! Und wenn ihm Worte entschlüpfen, die den Kern einer Sache treffen, dann bezieht er Prügel.

Wie reagiert ein machtloser Präsident darauf? Er dankt ganz einfach ab.

Ja, wenn das so einfach ist, warum suchte man dann hektisch nach einem Ersatz? Der befindet sich doch in der gleichen Position eines Nichtsdürfers.

Die vernünftige Lösung? Keine auf Repräsentation allein gestützte Person mehr auf dem Thron. Das sollen die Engländer weiter erdulden. Wir müssen es nicht nachäffen.

Vorteile? Weniger Ärger, Geld gespart, Schloß gewonnen, Neubau in Mitte überflüssig. Das wäre doch etwas!

Dr. Günter Fischer, Berlin


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Horst Köhler hat das einzig Richtige getan und ist zurückgetreten. Nach unseren Überlegungen war dieser Schritt schon lange fällig. Denn wer den Politikern, Wirtschafts- und Finanzbossen und auch den Bürgern der BRD ungeschminkt sagt, wie die Dinge liegen, wird unweigerlich zur Zielscheibe haßerfüllter Angriffe. Der Krieg in Afghanistan ist auch ein Krieg für wirtschaftliche und politische Interessen der BRD. Dafür werden in Zukunft noch viele Angehörige der Bundeswehr ihr Leben lassen müssen.

Major a. D. Kurt Winfried Kramer, Erfurt
Hauptmann a. D. Rüdiger Kramer, Strausberg


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Mit der Niederlegung seines Amtes zeigte Horst Köhler immerhin Größe und führte allen die Verlogenheit des Staates vor, dessen Präsident er war. Wer in einem christlich-liberal regierten Land nicht "falsch Zeugnis ablegt", sondern Sachverhalte so darstellt, wie sie tatsächlich sind, muß eben gehen. Dort, wo die Menschen vermerkelt und verarscht werden, ist Wahrheit nicht gefragt.

Was haben Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan und am Horn von Afrika anderes zu tun, als Interessen des deutschen Monopolkapitals abzusichern? Ist die BRD tatsächlich schon so groß, daß ihre Grenzen nun am Hindukusch geschützt werden müßten? "Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt", sang man einst. Europa gehört "uns" schon weitgehend, der "Rest" soll folgen.

Wolfgang Zierold, Oelsnitz/Erzgebirge


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Werner Wunderlich, damals Kapitän z. S. der DDR-Volksmarine, promovierte 1966 mit einer Arbeit, die zehn Jahre später unter dem Titel "Zwischen Flottenschlacht und Zufuhrkrieg" veröffentlicht wurde. Darin analysierte er die theoretische Grundlage der Operationsplanung der Kriegsmarine des faschistischen Deutschlands in Vorbereitung des 2. Weltkrieges. Diese wurde in Auswertung des 1. Weltkrieges bei der Wiederaufrüstung des deutschen Imperialismus entwickelt. Als atlantischer Zufuhrkrieg dünkte sie den herrschenden Kreisen als geeignetste Form des Seekrieges. Liest und hört man die Äußerungen des zurückgetretenen Bundespräsidenten über die heutige Aufgabenstellung für die Bundesmarine, dann ist man geneigt, Vergleiche anzustellen und Traditionslinien zu bemerken.

Dr. Werner Knoll, Berlin


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Im März 2009 hielt Horst Köhler eine Rede an die Deutschen. Ich verfolgte sie im Fernsehen und war über einige Passagen maßlos entrüstet. "Wir leben alle über unsere Verhältnisse", sagte der Schloßherr aus Bellevue und meinte damit sicher nicht seine ausgewählten Gäste in den vorderen Zuhörerreihen.

Ich bin vom Jahrgang 1940. Bis zur sogenannten Wende gehörte ich zu den äußerst kritischen DDR-Bürgern, denen es in Beruf und Familie zwar gut ging, die aber - ohne Wissen und Überlegung - noch viel mehr haben wollten. Nach dem Herbst 1989 kam dann die Ernüchterung. Bei einem Besuch in Coburg zog ich noch den Schluß: Das ist eine Überflußgesellschaft mit einem Banken- und Versicherungsunwesen. 20 Jahre später korrigiere ich mich: Der damalige Eindruck vom scheinbaren Überfluß und Wohlstand aller hat sich mittlerweile auf den Überfluß an Arbeitskräften und Armut verlagert.

Nun hat ja der Herr Bundespräsident das Handtuch geworfen. Warum, wird weitgehend ausgeblendet. Für mich steht fest: Die Köhlers kommen und gehen, Volksverdummung und Meinungsmanipulation aber bleiben. Ein Glück, daß es den "RotFuchs" gibt!

Steffen Heimlich, Suhl


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Bereits im Vorjahr, als er anläßlich der "Tafel der Demokratie" zu einer Suppe eingeladen hatte (siehe RF 143), wirkte Horst Köhler auf mich recht farblos. In seinem ersten Interview nach der Neuwahl erklärte er jedoch: "Deutschland braucht einen Prozeß der Veränderungen, nicht nur in der Wirtschaft." Das Lachen, auf das er sich verstand, verging ihm bald, als sich die Bundesregierung mit Frau Merkel an der Spitze von ihm abwandte. Sympathie brachte ihm bei vielen seine nach langem Stillschweigen zur Finanzkrise gehaltene Rede ein, in der er die Schuldigen als "Monster" bezeichnete. Damit hatte er sich aber zu weit aus dem Fenster gelehnt, denn so etwas hört man in Kreisen der Bosse von Konzernen und Banken nicht gern.

Der wirre Endlossatz in einem Radio-Interview, bei dem er eigentlich nur das zu artikulieren suchte, was offizielle Politik der Bundesregierung ist, war lediglich ein Vorwand für seinen Rücktritt. Er wurde von jenen fallengelassen, aus deren Reihen er selbst hervorgegangen war: von den Finanzkapitalisten.

Wolfgang Kutz, Brehna


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Pfarrer Gauck hat sich seit seiner Ernennung zum Chef der nach ihm benannten Behörde und auch später nicht um die "innere Einheit der Deutschen", sondern um die Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen im Osten "verdient" gemacht. Er ist weder liberal noch ein toleranter Kirchenmann, sondern ein fanatischer Antikommunist, dessen Handeln inquisitorische Züge trägt. Eltern und Großeltern fordert er ultimativ auf, ihren Kindern und Enkeln die "Wahrheit" über die DDR zu erzählen. Gemeint aber ist das Gegenteil der Wahrheit. Auf einen solchen "Repräsentanten" des Staates kann man gut und gerne verzichten.

Gottfried Fleischhammer, Leipzig


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Da ist sie wieder, die antikommunistische Lichtgestalt, frisch poliert und aufgemotzt, strahlend im Glanz unablässig gepriesener Freiheit: Joachim Gauck, von Kapital und Kirche gesegneter Jäger antikapitalistischer Sünder, vor allem jener der für ihn besonders jagenswerten Sorte. Viel interessanter als diese Unperson aber ist, welche Signale Gaucks politische Sänftenträger mit der Nominierung ihres "volksnahen" Präsidentschaftskandidaten aussenden wollten. Es geht darum, klarzumachen, Leute welchen Schlages für den Fall bereitstehen, daß die schwarz-gelbe Merkel-Koalition nicht mehr zu halten ist.

Wolfgang Mäder, Neubrandenburg


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Es ist unfaßbar, daß SPD und Grüne einen derart belasteten Mann als ihren Präsidentschaftskandidaten aufgeboten haben. Auch viele RF-Leser wurden von seiner "Behörde" kriminalisiert, vor den Kadi gezerrt und ins Gefängnis geworfen, weil sie einen Staat verteidigt hatten, der in den 40 Jahren seines Bestehens niemals Kriege vom Zaun gebrochen hat.

Warum verschwende ich überhaupt meine Zeit und die des Lesers, um über das politische Personal des Finanzkapitals zu räsonieren? Die beiden Parteien, die diese miese Figur ins Spiel gebracht haben, zeichnen für die Kriegsbeteiligungen der BRD und den Sozialabbau im Lande mit verantwortlich.

Walter Drexler, Berlin


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Es bestand die reale Gefahr, daß der Exorzist und Großinquisitor Gauck als Präsident gewählt werden könnte. Dieser Haßprediger spaltet und polarisiert, kann also niemals Präsident aller Deutschen sein. Als Beitrag zum Sparprogramm der Regierung möchte ich vorschlagen, die teuerste ABM - die viele Millionen verschlingende Gauck-Birthler-Behörde samt ihrer Wurmfortsätze in den Ländern - endlich aufzulösen.

Werner Opitz, Erfurt


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Ein Freund hat mich neulich damit vertraut gemacht, daß es den "RotFuchs" gibt. Er ließ mich die jüngsten Veröffentlichungen lesen. Ich war erfreut, von einer Presse zu erfahren, mit der ich mich hundertprozentig identifizieren kann. Das macht Mut und bestärkt mich, gegen die ständige Verteufelung der DDR und die unaufhörliche Geschichtsverfälschung aufzutreten.

Was mich betrübt, ist die Tatsache, daß ich den "RotFuchs" nicht schon früher kennenlernen durfte.

Siegfried Oester, Plauen/Vogtland


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In der DDR wußte jeder Schüler, daß Ernst Thälmann ein in Hamburg-Altona am 16. April 1886 geborener Arbeiterführer war. Heute können die meisten Heranwachsenden mit diesem Datum nichts mehr anfangen. Thälmanns Kampf gegen den deutschen Faschismus und für die Befreiung der Arbeiterklasse kommt in aktuellen Geschichtsbüchern nicht vor. Die Thälmann-Gedenkstätte Ziegenhals bei Berlin wurde geschleift. Das von Lew Kerbel geschaffene Denkmal im Berliner Thälmannpark ist immer wieder mit Grafitti übersät. Viele Straßenschilder mit seinem Namen verschwanden im Osten Deutschlands aus den Ortsbildern. Ich freue mich, wenn ich hier und dort noch auf eine Thälmannstraße stoße.

Manche heutigen Historiker tun alles, um Thälmann zu diffamieren. So gab z. B. der berüchtigte "Kommunismusforscher" Hermann Weber von sich: "Thälmann muß bei allem Respekt für seine Standhaftigkeit in Hitlers Kerker nachgesagt werden, daß er nur ein Provinzpolitiker mit demagogischem Talent war." Schmähungen dieser Art sprechen für sich.

Wilfried Steinfath, Berlin


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Was eigentlich eine dicke Schlagzeile wert gewesen wäre, soll hier wenigstens kurz kommentiert werden. Die Vorgeschichte ist bekannt. Ein hochmodernes, völlig intaktes Gebäude - der Palast der Republik - wurde unter großem Aufwand abgerissen. Offenbar war der Stallgeruch der DDR-Volkskammer für gewisse Leute unerträglich, weshalb das "Haus des Volkes" von den Medien als "asbestverseucht" präsentiert und als "Erichs Lampenladen" verunglimpft wurde.

Vor einiger Zeit las ich in der "Berliner Morgenpost", das Schloß werde vermutlich ohne Fassade und Kuppel wieder aufgebaut. Warum? Weil die Berliner nur 16 % der erwarteten Spendensumme aufgebracht hätten, solle das Bauwerk halbfertig verharren. "Eine gewisse Entkoppelung zur Wiedererrichtung der historischen Fassaden gegenüber dem sonstigen Baukörper ist machbar." So klingt das im miserablen Amtsdeutsch des zuständigen Staatssekretärs Enak Ferlemann. Im Mittelalter hatte man die Schuldentürme. Gäbe es sie noch, dann könnte man ja die säumigen Berliner einfach dort einsperren. "Ein Redaktionskollege hatte noch eine andere Idee: den Wiederaufbau des Schlosses mit der Fassade des Palastes der Republik", meinte die "Morgenpost" etwas ironisch.

Inzwischen hat man wohl das ganze Projekt auf Eis gelegt.

Walter Ruge, Potsdam


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Unrecht ist nicht nur eine moralische Kategorie, sondern hat auch juristische Bedeutung. Ihm steht das Recht gegenüber. Gemeint ist damit wohl ein Recht, das auch dem Ziel der Gerechtigkeit folgt. Abstrakte oder immerwährende Gerechtigkeit ist indes ein Wunschtraum, weil hier eine Trennung von den ökonomischen Beziehungen innerhalb der Gesellschaft erfolgt.

Unrecht ist mit Sicherheit immer dann gegeben, wenn Ungerechtigkeit per Gesetz vorliegt und dessen willkürliche oder exzessive Anwendung sowie die Gleichschaltung von Politik, Medien, Verwaltung und Justiz praktiziert werden. Genau das trifft auf die Hartz-IV-Gesetze zu, die eine einmalige Menschenrechtsverletzung darstellen. Sie nehmen den Arbeitslosen den letzten Rest an Menschenwürde. Hinzu kommt eine kriminelle Entrechtung: Konten werden kontrolliert, Eigentums- und Wohnverhältnisse ausgekundschaftet, das Erbrecht ausgehebelt, Wohnortbindung als Gegensatz zur Reisefreiheit erzwungen, Erklärungen bei Androhung des völligen Entzugs der Sozialhilfe erpreßt. Hinzu kommen oftmals Zwangsarbeit für einen Sklavenlohn und soziale Sippenhaftung.

Jochen Singer, Leipzig


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Die nach wie vor auf hohem Niveau stehenden Beiträge einschließlich der Leserbriefe bestätigen, daß der "RotFuchs" bei Autoren und Lesern das Bedürfnis nach wahrheitsgemäßer Geschichtsaufarbeitung befriedigt, was woanders nicht zu haben ist. Soviel Blaues wie vom Himmel heruntergelogen wird, ist gar nicht oben.

Klaus J. Hesse, Berlin


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Demokratie heißt Volksherrschaft. Dazu gehören Volksbefragungen und Volksentscheide. Doch warum wird dem Bürger der BRD diese Form realer Demokratie gesetzlich vorenthalten?

Wir wissen, wie Mehrheiten für eine Regierungsbildung zustandekommen. Die derzeitige schwarz-gelbe Koalition wurde lediglich von einem Drittel der Bevölkerung gewählt, wenn man die Nichtwähler einbezieht. Deshalb ist die Forderung nach Volksentscheiden auf Bundesebene mehr als berechtigt. So verlangten z. B. bei einer Befragung im Mai 87 %, den Banken Zügel anzulegen, Spekulationen zu verbieten und dafür notwendige Gesetze zu verabschieden. Das Volk muß auch über den Abzug der Atomwaffen vom Territorium der BRD und die sofortige Rückführung der Bundeswehr aus Afghanistan mit entscheiden dürfen.

Die Forderung nach Volksbefragungen und Volksentscheiden wird auch von Oskar Lafontaine mit Nachdruck erhoben. Ich finde, daß er in der BRD jener Politiker ist, welcher aus Erfahrung darüber spricht, woran das System krankt. Von ihm sollten viele lernen - auch in der Linkspartei. Unter den Frauen sehe ich eine solche Persönlichkeit in Sahra Wagenknecht.

Werner Juhlemann, Geithain


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Eine Bemerkung zum Beitrag "Gysis Wechselbadtheorie" im RF 148. Man kann zu Gregor Gysi stehen, wie man will. Aber die Methode, sich aus dessen Vortrag vor Dozenten und Studenten der Universität Marburg "Ende der Geschichte? Über die Chancen eines modernen Sozialismus", den er am 24. Januar 2007 gehalten hat, zwei Sätze herauszuklauben und zur "Theorie" zu erheben, ist unwissenschaftlich.

Gysis Originaltext lautet folgendermaßen: "Eine Überwindung dieser kapitalistischen Verhältnisse kann und muß in einer Demokratie enden und auf demokratischem Weg erfolgen, mit dem Risiko, auf demokratischem Weg auch wieder abgewählt zu werden. Dann waren die Vorschläge der Sozialistinnen und Sozialisten eben nicht klug genug. Die Überwindung setzt zweitens einen über viele Jahre währenden Prozeß der Aneignung von Wissen und Erfahrungen aus den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen voraus."

Dr. Hermann Wollner, Berlin


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Der PDL sind die innerparteilichen Querelen, die Tendenzen der Anbiederung an die Herrschenden und deren "Ordnung" sowie die Aufgabe revolutionärer Ziele abträglich. Fragwürdige Gruppierungen, die sich wie Ramelow und Brie bei der Bourgeoisie anbiedern, um ihre "Koalitionsfähigkeit" unter Beweis zu stellen, sowie dubiose Zusammenschlüsse wie "BAK Shalom" schädigen die Partei.

Auch halte ich - wie die meisten meiner Mitstreiter im RF - das Streben sogenannter linker Berufspolitiker (Pau, Liebich, Wolf) nach gut bezahlten Posten und Ämtern in Parlamenten und Regierungen für opportunistisch und gefährlich. Diese Kategorie von "demokratischen Sozialisten" erzeugt keine Glaubwürdigkeit.

Dennoch bin ich vorsichtig-optimistisch hinsichtlich der Entwicklung der PDL, aber auch ungeduldig, wenn ich das Schneckentempo innerparteilicher Klärungsprozesse in Betracht ziehe. Oskar Lafontaine ist in dieser Hinsicht weiter und glaubwürdiger, mutiger und konsequenter als so manche Spitzenfunktionäre aus dem Osten.

Oberstleutnant a. D. Hans-Joachim Hartlieb, Dresden


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Im Zusammenhang mit einer ND-Beilage "De omnibus dubitandum" (An allem ist zu zweifeln) schrieb ich im Mai an die Zeitung: "Marx hatte diesen Satz als Antwort auf mehrere Fragen seiner Tochter Laura geschrieben. Wenn ich den Versuch wage, mit seinem Lebensmotto als seiner dialektischen Arbeitsmethode den Programmentwurf der Partei Die Linke zu beurteilen, so folgere ich, daß in naher Zukunft weder in Deutschland noch in Europa eine revolutionäre Entwicklung zu erwarten ist.

Wenn ich dann aber in Betracht ziehe, wie unsere Vordenker den Entwurf bewerten dürften, dann zweifle ich sehr, ob Rosa Luxemburg ihr Urteil in die Wort fassen würde: 'Wir sind wieder bei Marx...', eher schon: ­... 'Wir sind noch nicht wieder bei Marx'.

Marx, Engels, Bebel, Liebknecht, Luxemburg würden zuerst verlangen, daß die DDR - diese bisher größte Errungenschaft in der Geschichte der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung - umfassend und gründlich analysiert wird."

In Baden-Württemberg klagte übrigens eine Bürgerin vor Gericht, weil sie wegen ihrer ostdeutschen Herkunft bei einer Bewerbung benachteiligt worden sei. In Medien wurde in diesem Zusammenhang darüber philosophiert, ob die früheren DDR-Bürger "ein eigener ethnischer Stamm" seien.

Die Stuttgarter Richter entschieden, wie nicht anders zu erwarten: Nein, alle sind Deutsche! Wahrscheinlich muß man dieser Frage indes tiefgründiger nachgehen, weil sich immer mehr herausstellt, daß sich in den 40 Jahren des Bestehens der DDR im Osten eine souveräne Volksgruppe entwickelt hat, was vor allem auf das andere gesellschaftliche System zurückzuführen ist. Auf spezifisch ostdeutsche Eigenschaften, Verhaltensweisen und Reaktionen ist hinzuweisen. Sie dürften noch eine ganze Weile bestehen bleiben.

Günther Stegner, Ilsenburg


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Ein Magdeburger Bürger, zur Zeit der DDR aus der katholischen Kirche ausgetreten, erhielt vom Finanzamt die Aufforderung, eine beträchtliche Summe an Kirchensteuern nachzuzahlen. Das erinnert mich an Matthäus 25, 26 ... "Ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und ich sammle, wo ich nicht ausgestreut habe."

Braucht der katholische Klerus die so erpreßten Steuern, um seine jüngst bekanntgewordenen Opfer abzufinden?

Adolf-Eduard Krista, Worbis


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"Wer keinen Taufschein hat, kommt nicht ins Paradies", sagt Kardinal Meißner. Hitler und Himmler hatten einen Taufschein. Auch George W. Bush besitzt ihn.

Wer will da schon ins Paradies?

Artur K. Führer, Bottrop


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Den Namen Feldjäger hörte ich erstmals bewußt, als von der Tötung zahlreicher Zivilisten an den Tankwagen bei Kundus die Rede war. Diese hätten kurz nach dem Geschehen einen Bericht über den tatsächlichen Hergang an das Berliner Ministerium geliefert.

Es gibt also Feldjäger am Hindukusch - als Teil der Bundeswehr. Bei dem Wort hätte ich mir Jäger auf den Maisfeldern der Bauern vorstellen können, die Wildschweine schießen oder die als Kammerjäger Mäusen nachstellen. Im Gegensatz zu jenen, welche Ungeziefer oder anderes Schadzeug aller Art vernichten, jagen Feldjäger weder Schweine noch Mäuse, sondern Menschen. Manchmal verrät ein Wort Sinn und Zweck des ganzen Tuns.

Früher gab es ja einmal die Gebirgsjäger. Deren Veteranen treffen sich unterdessen traditionell in Bayern, schießen dort aber keine Gemsen.

Hermann Friedrich, Chemnitz


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Ich möchte auf die Unsitte aufmerkam machen, häufig nicht unter authentischer Quellenangabe zu zitieren. Die Anführung von Quellen erhöht stets die Glaubwürdigkeit eines Textes.

Noch ein Wort zu Götz Dieckmanns Artikel "Lenin - Fanal, nicht Ikone" im RF 147. Der Text steht nach meiner Auffassung im Gegensatz zur Überschrift. Mit Blick auf das Jahr 1887 heißt es z. B. wörtlich: "Da war er schon Marxist." Ich erlaube mir, darauf hinzuweisen, daß Lenin damals erst 17 Jahre alt war, und glaube kaum, daß er da bereits das Kommunistische Manifest gelesen hatte. Wird er nicht doch als Ikone behandelt?

Dieter Hornung, Berlin


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In "Merkels Garde der Mantelwender" (RF 149) werden Karrieristen und Frontenwechsler an den Pranger gestellt. Zu Angela Merkel, die dieser Kategorie von Skrupellosen zuzuordnen ist, möchte ich ergänzend bemerken, daß sie obendrein noch eine schamlose Lügnerin ist. In Burdas "SUPER-Illu" Nr. 7/2009 behauptete sie: "Der Beginn meines politischen Lebens ist auf den 1. Februar 1990 zu datieren." Dreist streicht sie ihre politische und berufliche Karriere in der DDR aus der geschönten Autobiographie. Wer war schon FDJ-Verantwortliche für Agitation und Propaganda an der Akademie der Wissenschaften der DDR, und wer hatte dort einen so begehrten Posten wie die heutige Kanzlerin der BRD!

Heinz Behrendt, Plauen/Vogtland


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Für viele ältere Arbeitslose über 50 kam plötzlich Hoffnung auf, Nutznießer einer Sonderförderung der Bundesagentur für Arbeit zu werden und endlich nach Jahren diskriminierender Zeitarbeit mit empfindlichen Lohneinbußen eine feste Stelle zu bekommen. So war es auch im Falle eines Markkleeberger Bauarbeiters mit 30jähriger Berufserfahrung. Man stellte ihn als Hausmeister ein. Fachlich gab es keine Probleme. Allerdings sechs Monate Probezeit! Er leistete gute Arbeit, war stets pünktlich und zuverlässig. Niemand kritisierte ihn. Nach einem halben Jahr wurde er per Post gekündigt. Ohne Begründung. In der Probezeit hat der Gesetzgeber die Firmenchefs davon befreit. Deshalb verbinden sie selbst einfache Jobs mit langen "Probezeiten". Ein solches Vorgehen hätte sich in der DDR kein Betrieb erlauben dürfen.

Unser Markkleeberger sieht sich nicht als Mensch, sondern als Wegwerfartikel. Zuvor war er Zeitarbeiter gewesen - das Opfer eines modernen Sklavensystems. Das wird von der Pfarrerstochter Angela Merkel beklatscht. Sie ist ja in der komfortablen Lage, mit ihrem Wissensvorsprung in solcherlei Dingen den Regierungskollegen in Athen, Lissabon und Madrid Ratschläge geben zu können, wie man das Kündigungsrecht aushöhlt, Lohndumping bis unter 2 Euro organisiert und Stellen im Staatsdienst wegputzt, ohne Ersatz anbieten zu können.

Joachim Spitzner, Leipzig


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Seit einiger Zeit bin ich arbeitsuchend. Mit 42 ist es nicht so einfach, eine Stelle zu finden. Da greift man nach jedem Strohhalm. Vor einigen Wochen bekam ich von der ARGE die Adresse eines privaten Arbeitsvermittlers in Gotha. Am Telefon behandelte er mich freundlich und sagte mir, er habe vielerlei im Angebot. Einen Vermittlungsgutschein sollte ich bei der ARGE beantragen und ihm eine Kopie davon samt Lebenslauf zusenden. Drei Tage später erhielt ich das Versprechen, für ein Monatsgehalt von mindestens 1200 Euro Netto im Bahnsicherheitsdienst arbeiten zu können. Ich mußte zunächst zum psychologischen Eignungstest und dann zum Bahnarzt. Anschließend sollte ich an einem zehntägigen Lehrgang in Halle/Saale teilnehmen. Ich fuhr dorthin und absolvierte ihn. Als ich nach bestandener Prüfung bei der Eisenbahn-Fachschule nach Hause fuhr, rief mich plötzlich die Firma M & L-Verkehrsunternehmen an. Man bat mich, nach Eckardtshausen bei Eisenach zur Unterzeichnung des Arbeitsvertrages zu kommen. Die dortige "Firma" entdeckte ich im Keller eines Mietshauses. Eine junge Frau legte mir den Vertrag vor. Ich traute meinen Augen nicht, sollte ich doch bundesweit für sage und schreibe 5,90 Euro die Stunde arbeiten. Ich sagte der Dame, daß ich nicht unterschreiben und das Ganze der ARGE mitteilen würde, worauf sie meinte, das wäre mein gutes Recht. Draußen gäbe es genug Arbeitslose, die für diesen Lohn bereitstünden. So fuhr ich wieder nach Hause. Ich habe die Untersuchungen und den Lehrgang (ca. 700 Euro) vorfinanziert und bis jetzt von der ARGE noch keinen Cent zurückbekommen.

In meinem Leben habe ich schon einiges durchmachen müssen, aber das Schlimmste ist der Kapitalismus, den ich nie haben wollte. Seit kurzem gehöre ich dem RF-Förderverein an.

Mario Landgraf, Greußen


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Bei vollstem Respekt vor den Leiden Ralph Giordanos unter den deutschen Faschisten kann ich die durch ihn im ND vom 16. Juni vorgenommene Gleichsetzung von rechts und links in einer "Internationale der Einäugigen" nicht akzeptieren. Er ist empört über die "infamste Form von Nivellierung und Relativierung des Nationalsozialismus ... durch seine Verfälschung als Faschismus".

In seinem Fall waren es doch die deutschen Faschisten, die ihm Leid zufügten, auch wenn er sie als "Nationalsozialisten" bezeichnet wissen will.

Herr Giordano sollte sich eigentlich darüber im klaren sein, daß Faschismus der Oberbegriff für eine in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts vor allem in Europa entstandene rechtsextremistische politische Bewegung und ideologische Strömung ist, die nach ihrem Machtantritt eine dementsprechende Staatsform hervorbrachte.

Faschistische Parteien mit unterschiedlichen Namen gelangten z. B. in Deutschland (NSDAP) Frankreich (Parti Populaire de France), Italien (Partito Nazionale Fascista), Rumänien (Eiserne Garde), Spanien (Falange), Ungarn (Pfeilkreuzler), der Slowakei (Hlinka-Garde), Kroatien (Ustascha) und Großbritannien (British Union of Fascists) an die Macht. All diese Bewegungen und Staatsformen werden unter dem Oberbegriff Faschismus zusammengefaßt. Dessen Akteure sind Faschisten, ob es Herrn Giordano paßt oder nicht. Daß er Antifaschisten bezichtigt, mit der Benutzung dieser Bezeichnung die "Singularität des Holocaust-Staates aufzuheben", entstellt die Tatsachen auf das infamste.

Siegfried Wunderlich, Plauen/Vogtland

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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2010