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ROTFUCHS/115: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 161 - Juni 2011


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

14. Jahrgang, Nr. 161, Juni 2011



Inhalt
Wortmeldung aus Lüneburg: Wie "links" ist Die Linke?
Die Regisseure des "Arbeiteraufstandes" vom 17. Juni 1953
Gertrud Bobek: Biographie der besonderen Art
Hüttenwerker aus Thale: Unsere Brigade trug Herta Lindners Namen
Hat Gregor Gysi 1989 die Partei gerettet?
Wie sich ein Experte der Konrad-Adenauer-Stiftung in die Nesseln setzte
Schütt und der Schutt Gorbatschows
Mäusefänger oder Rattenkönig? Zum Rechtsruck in der Nordost-PDL
Der Impulsgeber in der Hosemannstraße
Einstige NDPD-Mitglieder: "Das nächste Mal besser!"
"Die Rote Spindel": Schwarzflunkler
Flinke Berliner Zunge: Die "Goldene Wippe"
Marxismus für Einsteiger: Opportunismus
Generalmajor der VP a. D. Dieter Winderlich: Lügen haben kurze Beine
Beißt sich die Katze in den Schwanz?
BRD gierte nach Nazi-Beamten
Der Fall "Makss Damage"
RF-Extra - Sahra Wagenknecht: Linke Politik heute
RF-Extra - Der tödliche Ring: 900 Tage Leningrader Hungerblockade
Nikos Belojannis: Der Mann mit der Nelke
Herr und Hund in der EU
Solidarisch mit Tschechiens KSCM
Aus Kubas Geschichte: Revolutionäre und Rebellen
Litauen: Hitlers baltische Blutsbrüder
Kiewer Farbspiele: Wo Weiß Orange heißt
Großbritanniens Labour Party: Es bleibt alles ganz anders
Die Visionen des Abdullah Öcalan
Türkische KP an der Seite der Kurden
Unvergessener Tawfik Toubi
Prof. Bergmann zum Nahostkonflikt
Das Vermächtnis des Alfred Schellenberger
Zinnowitz: Stille Würde einer Ruine
Warum sich Marx und Engels zu Darwin bekannten
Der große Weg des Ludwig Renn
Archie und die Lebenselixiere der Nepper
Leserbriefe
Grafik des Monats

Raute

Wadenbeißer

Nach dem Sieg der Konterrevolution, mit der sie in Europa die Geschichte zeitweilig zurückgedreht haben, sind sich die Ausbeuter ihrer Sache keineswegs sicher. Deshalb richten die am Kapital klebenden Klassenfeinde der Ausgebeuteten ihr Feuer auf eine Gesellschaftsformation der Zukunft: den Kommunismus, den es bisher in keinem Land der Welt gegeben hat und dessen Konturen sich noch unscharf am Horizont der Geschichte abzeichnen. Die größten Diebe aller Zeiten wollen den Anschein erwecken, dieses sie in ihren Wach- und Alpträumen unablässig verfolgende "Gespenst" drohe gerade um die Ecke zu biegen. Von pathologischem Haß auf ihre historischen Totengräber - die Arbeiter und deren kämpferische Parteien - getrieben, nehmen sie, eskortiert von ihren Politikern und Ideologen, seit dem Kölner Kommunistenprozeß von 1852 über Bismarcks Sozialistengesetz, Noskes Bluthund-Ära, Hindenburgs Auslieferung der Weimarer Republik an die Nazis und Hitlers Schreckensregiment bis zu Adenauers faschistoidem KPD-Verbot und den Schandtaten späterer BRD-Gesinnungsterroristen die Künder der Zukunft ins Visier.

Dabei zeigt sich die Fronde der antikommunistischen Giftmischer derzeit in einem schillernden Farbenkleid, das von Braun über Tiefschwarz und Gelb bis zu Rosa reicht, von einigen Rotdrapierten ganz abgesehen. Diese Phalanx verzeiht den durch Marx, Engels und Lenin geistig gewappneten, mit scharfen ideologischen Waffen ausgerüsteten und selbst durch die erlittene schwere Niederlage nicht demoralisierten Kommunisten und Sozialisten vor allem eines nicht: daß sie die Brechung der politischen und ökonomischen Macht des Kapitals auf ihre Fahnen geschrieben haben.

Noch immer ist das 1848 zuerst in Europa gesichtete "Gespenst" für Rückwärtsgewandte aller Schattierungen Anlaß zu einer "heiligen Hetzjagd". Die Tatsache, daß es nicht zu greifen ist, sowie der Umstand, daß der Sozialismus auf anderen Kontinenten weiterhin als staatlich formierte Kraft Bestand hat, löst bei der Meute seiner Gegner rabiate Beißreflexe aus.

Wenn Gesine Lötzsch und andere in ihrer Partei über den Kapitalismus hinausdenken und Wege zu einem Fernziel gesellschaftlicher Transformation erörtern, fällt nicht nur das reaktionäre Rudel über sie her, sondern auch die fds-Connection in den eigenen Reihen. Dabei gehören doch die Theorien von Marx, Engels und Lenin, welche die PDL-Vorsitzende übrigens gar nicht erwähnte, mit ihren drei Hauptsäulen - dialektischer und historischer Materialismus, politische Ökonomie und Lehre vom Klassenkampf - nicht nur zum theoretischen Gepäck von Revolutionären, sondern sind auch Teil der Allgemeinbildung.

Trotz des Wieder-Entstehens von Zirkeln zum Studium des Marxschen "Kapitals" und anderer Schriften geht das Wissen um die Fundamente unserer Weltanschauung in der BRD leider dramatisch zurück. Dafür gibt es objektive und subjektive Gründe.

Bis zum Zeitpunkt der konterrevolutionären Zerstörung der DDR sahen sich die meisten ihrer Bürger - manche auch ungewollt - mit Grundaussagen des Marxismus-Leninismus konfrontiert. Nicht wenige hatten sich diese Wissenschaft erschlossen, Karrieristen von Merkels Maß betrachteten sie hingegen als "aufstiegsförderndes Elixier".

Im Westen sorgten die herrschende Klasse und deren politisch-mediales Umfeld durch die seit Hitlers Sturz niemals unterbrochene Injektion hoher Dosen antikommunistischer Betäubungsmittel für eine fast totale Abschottung der Massen vom Marxismus.

Inzwischen sind im Osten Hunderttausende mit der Theorie ausgerüstete Mitstreiter der Sache durch Tod verlorengegangen. Hinzu kommt: Seit dem Untergang der SED und der Ächtung des Leninismus durch die Regisseure des Sonderparteitags im Dezember 1989 haben weder PDS noch PDL irgendwelche Anstalten unternommen, ihren Mitgliedern die Lehren der Klassiker authentisch zu vermitteln. So sind marxistisch gebildete Kommunisten und Sozialisten hierzulande selbst in linken Parteien und Bewegungen fast zur Rarität geworden.

Jüngste Überlegungen von Finsterlingen, allein den Begriff "Kommunismus" in der BRD offiziell zu verbieten, stießen zwar bei Umfragen mehrheitlich auf Ablehnung, erinnerten in ihrer Ungeheuerlichkeit aber an den Adenauer-Terror der 50er und 60er Jahre. Angesichts der gerade von Kommunisten im Kampf gegen die Nazi-Barbarei gebrachten Opfer einen solchen Schritt auch nur in Erwägung zu ziehen, läßt erkennen, daß die Zeiger der Uhr auf fünf vor zwölf vorrücken. Dabei wird offenbar, daß die BRD-Machthaber weder willens noch fähig sind, wenigstens einen "verordneten Antifaschismus" zu gewährleisten. Für sie gilt nach wie vor der "Fall Rot". Wir aber dürfen nicht schwarzsehen, besitzen wir doch - allen dräuenden Stürmen zum Trotz - einen den Weg in die Zukunft weisenden Kompaß.

Klaus Steiniger

Raute

Über eine Wahlalternative, die den Bürgern die Entscheidung immer schwerer macht

Wie "links" ist Die Linke?

Tausend Wege zum "demokratischen Sozialismus" auszuprobieren, hatte Gesine Lötzsch im Rahmen der Debatte über "Wege zum Kommunismus" in ihrem jW-Artikel Anfang Januar vorgeschlagen. Das war eigentlich ganz im Sinne von Parolen der einstigen PDS wie "Bei uns kannst Du sein, wie Du bist" oder "In der Vielfalt liegt unsere Stärke". Nach der Zerstörung des real existierenden Sozialismus in Europa hat noch keine derzeit bestehende Organisation bereits ausgereifte Zukunftsvorstellungen unter den neuen historischen Bedingungen entwickelt. Dieser Situation entsprechende Konzepte und Strategien müssen national wie international aufgrund marxistischer Analysen ausgearbeitet und erprobt werden. Der Haken besteht nur darin: Wohin führen "tausend Wege", wenn diejenigen, die sie suchen, ganz unterschiedliche Ausgangspunkte und Ziele haben?

Nehmen wir einen konkreten Fall aus jüngster Zeit: Die Bundesschiedskommission der PDL hob kurzerhand Satzungsänderungen des Landesverbandes Saar auf, welche Ausschlußverfahren gegen Mitglieder und Funktionäre wegen parteischädigender Auftritte in gegnerischen Medien sowie wegen persönlicher Verunglimpfung von Genossen ermöglichen sollten. Die Begründung lautete, so etwas ginge nur im Maßstab der Gesamtpartei. Also dürfte es angesichts der bisweilen konträren Positionen der Landesverbände nie dazu kommen. Andererseits werden kritische Äußerungen von links sowie der Gebrauch des Wortes "Kommunismus" grundsätzlich als parteischädigend zurückgewiesen.

Dabei haben die letzten Berliner und die jüngsten Hamburger Wahlen doch "Pseudoargumente" der Opportunisten, mit der Verwendung des "K"-Wortes sei die "Wählergunst" für die Partei geschmälert worden, widerlegt: In Berlin verlor man durch die Koalitionskungelei mit der SPD massenhaft Stimmen von Altwählern, in Hamburg mobilisierte man sie geradezu, auch durch die Kandidatur von DKP-Genossen auf den Listen der PDL. So entlarvt sich die "programmatische Vielfalt" als trügerische Konturlosigkeit, wohl vor allem auf den Zugewinn von Wählern der bürgerlichen Mitte ausgerichtet, wobei man gleichzeitig auf marxistische Linke verzichtet.

Dem liegt eine Haltung zugrunde, welche die gegnerische Behauptung vom Ende der revolutionären Arbeiterbewegung und des Marxismus teilt. Gregor Gysi brachte den angestrebten Wandel schon 2008 in Cottbus auf den Punkt: "Wir müssen uns gegenseitig verändern, das ist der richtige Weg. ... Jetzt sind wir die neue Linke des 21. Jahrhunderts und brauchen diese Schubladen nicht mehr. Wir müssen die neuen Fragen ... beantworten, dann werden wir eine neue Kraft!" Das bedeutet nicht weniger als den totalen Verzicht auf den Marxismus-Leninismus, auf die Erfahrungen der Jahrhundertkämpfe der internationalen Proletariats und seiner Parteien, die als ein für allemal gescheitert und nichtig betrachtet werden! Ein reformistischer Kniefall ersten Ranges! Auch Michael Brie und andere Ideologen des rechten PDL-Flügels sind bereits beim unverhohlenen Preisen der Bourgeoisie angekommen: "Wenn der Kapitalismus mehr als nur Unterdrückung ist, müßte dann nicht dieses 'Mehr' in einer neuen, einer sozialistischen Gesellschaft bewahrt werden, um nicht wieder mit wachsender Ineffizienz und wirtschaftlicher Stagnation konfrontiert zu sein, wie im späten Staats-Sozialismus?" Brie sprach schon im Mai 2005 von "Bindestrichgesellschaften", die kapitalistische, bürgerlich-demokratische und sozialistische Tendenzen vereinigen sollten.

Einerseits stellt die Gründung der PDL im Jahre 2007 objektiv einen echten Zugewinn durch die Präsenz einer Parlamentspartei links von der SPD dar, andererseits schafft der gewollte Verzicht auf den wissenschaftlichen Sozialismus und den revolutionären Zukunftsentwurf des Kommunistischen Manifests Rahmenbedingungen, die in Theorie und Praxis einen schleichenden Abstieg in Richtung Sozialdemokratie bedeuten. Woran ist dieser zu messen?

Erstens: Über die erforderliche Anerkennung des Grundgesetzes hinaus, an dem zumindest 53 legal vorgenommene Änderungen zu kritisieren wären, betrachtet man die bürgerliche Demokratie als "Nonplusultra". Dabei ist doch bereits 1793 im Manifest von St. Just, Roux, Babeuf zu lesen: "Die Freiheit ist ein eitles Hirngespinst, wenn eine Klasse von Menschen die andere ungestraft aushungern kann. ... Ein Wahlzettel macht den Hungernden nicht satt. ... Ohne soziale Gerechtigkeit ist die Republik wertlos." Statt dessen verstricken sich auch PDL-Mandatsträger durch ihre Vorliebe für haushaltstechnische und juristische Argumentationsfloskeln immer mehr in Spiegelfechtereien und Koalitions-Kuhhandel.

Zweitens: In sogenannten Zukunftsforen mit Vertretern reaktionärer Parteien werden "innovative Konvergenzmodelle" entwickelt, bei denen es um "die Überwindung von Fehlfunktionen des Kapitalismus, zum Wohle aller" geht. "Starre Parteilichkeit" und ein fester Klassenstandpunkt gelten als "Schnee von gestern". Ohne solide theoretische Basis oder hinreichende politische Erfahrung werden intellektuelle Teillösungen in den Himmel gehoben.

Drittens: Bündnis-Opportunismus und Nachtrab hinter dem "Zeitgeist" zeigen sich beim undifferenzierten Aufgreifen x-beliebiger "Bürgerforderungen". Dort müßte indes auf Klasseninteressen und sozialistisches Profil geachtet werden. Das "gesunde Volksempfinden" der Nazis besitzt bekanntlich hierzulande eine finstere Tradition. Wirkliche Demokratie und eine gesicherte Umwelt sind stets das Ergebnis von Klassenkämpfen für soziale und ökologische Rechte der Arbeitenden oder der wider Willen aus dem Arbeitsprozeß Ausgegliederten, aber keine "Volksgemeinschaftsideologie" faschistischer Herkunft. So abstruse Ideen wie die Mär vom "bedingungslosen Grundeinkommen" unter kapitalistischen Bedingungen muß man als populistisches Blendwerk erkennen und zurückweisen.

Viertens: Neue PDL-Mitglieder werden in der Partei nicht politisch gebildet und ideologisch weitergebracht. Angesichts der Widersprüchlichkeit und Unverbindlichkeit theoretischer Angebote der Rosa-Luxemburg-Stiftung kann keine weltanschauliche Übereinstimmung erzielt werden. Vereinzelung und Subjektivismus sind die Folgen.

Fünftens: Statt die Geschichte des Aufstiegs wie des Niedergangs der DDR vorurteilsfrei und allseitig zu analysieren, um die Lehren daraus ziehen zu können, stimmt man in das Dämonisierungsgeheul von Antikommunisten öffentlich ein. Chancen, die Tradition solcher Verdummung nach der "Wende" zu unterbrechen, wurden seitens der PDS/PDL-Führung vertan. Dabei gilt doch der Satz: "Wer keine Geschichte besitzt, hat auch keine Zukunft!" Jene, welche nicht erkennen, daß sich die Verunglimpfung der DDR zugleich auch gegen die eigene Partei richtet, fallen ihr irgendwann zum Opfer.

Bedenken hinsichtlich einer Wiederholung des Werdegangs der SPD und erkennbarer Parallelen zum Abstieg der Grünen durch Aufstieg ins Establishment der bürgerlichen Gesellschaft ließen sich beliebig fortsetzen. Dennoch bleibt die PDL als Wahlalternative für Linke in der BRD derzeit unverzichtbar.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

Raute

Warum ein konterrevolutionärer Putschversuch als Arbeiteraufstand ausgegeben wird

Der 17. Juni 1953 im Zeitzeugen-Prisma

Über den 17. Juni 1953 ist in den letzten Jahrzehnten schon viel geschrieben worden. Dabei präsentierte man Wahrheiten, Halbwahrheiten, Lügen, Verdrehungen und Verleumdungen.

Ich selbst habe als verantwortlicher Offizier der Kasernierten Volkspolizei (KVP) in der Zeit vom 16. bis 30. Juni an den Schwerpunktabschnitten Oberbaumbrücke, Potsdamer Platz, Brandenburger Tor und Alexanderplatz das gesamte Geschehen persönlich miterlebt. Bei Rapporten und Beratungen im Volkspolizeipräsidium Berlin war ich zugegen. Meine Einheit sicherte außer diesem Objekt auch das Ministerratsgebäude, das Haus der Ministerien und das Schloß Niederschönhausen - den Amtssitz des Präsidenten Wilhelm Pieck. Mit anderen Worten: Ich bin ein aussagefähiger Zeitzeuge und kann zu den Behauptungen von Journalisten und Politikern über den 17. Juni konkret Stellung beziehen.

Die heutige Betrachtung dieser Ereignisse erfolgt grundsätzlich nur aus westlicher Sicht. Westlich steht hier für kapitalistisch. Alle, die auf der anderen Seite der Barrikade - also der unsrigen - standen, wurden und werden (falls sie noch leben) nicht befragt. Auf ihre Meinung legen die heute in ganz Deutschland Herrschenden keinen Wert. Man hat sich allein um "gefällige" Gesprächspartner bemüht, die sich die passenden Antworten in den Mund legen ließen. Selbst einige Historiker, die sich als Linke darstellen, sind nicht gerade darauf bedacht, Materialien zu präsentieren, aus denen die Wahrheit hervorgeht. Sie spielt in ihren "Analysen" längst keine Rolle mehr. Auch so manche, die in der DDR Einblick hatten und daher genau wissen, in welchen bewegten Zeiten wir damals gelebt haben, hüllen sich in vornehmes Schweigen. Das erleichtert es den Siegern dieser Runde der Geschichte, die Vergangenheit auf ihre Weise darzustellen.

Die DDR zum "Unrechtsstaat" zu stempeln und ihre Staatssicherheit mit Hitlers Gestapo zu vergleichen, ist heute ein beliebtes Spiel, für das sich selbst frühere Staats- und Parteifunktionäre, auch Mitglieder der Partei Die Linke wie Helmut Holter, bereitwillig zur Verfügung stellen. Zugleich werden jene, welche ihre Weltanschauung nicht verkauft haben, als "Betonköpfe" oder "Ewiggestrige" der Lächerlichkeit preisgegeben.

Schon im März 1952 war in Bonn der "Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands" gebildet worden. Ihm gehörten solche Vertreter des Monopolkapitals und des Junkertums wie Friedrich Ernst, Friedrich Spennrath und Friedrich-Karl von Zitzewitz-Muttrin an. Herbert Wehner vertrat in diesem illustren "Gremium" die SPD, Ludwig Rosenberg den DGB. Der Beirat sollte alle "Überleitungspläne im Falle einer Inbesitznahme der Sowjetzone" ausarbeiten.

Bereiteten Leute dieses Schlages etwa einen Arbeiteraufstand vor?

Dem "Spiegel" vom 9. Juli 1952 zufolge verkündete BRD-Außenminister Heinrich von Brentano ganz ungeniert sein Credo: "Wir werden alles tun und das Letzte unternehmen, ich sage ausdrücklich alles und das Letzte, um die sowjetische Besatzungszone zurückzuholen."

Ging es Brentano dabei etwa um die Unterstützung berechtigter Forderungen oder Proteste von Arbeitern?

Bundesminister Jakob Kaiser (CDU) erklärte am 22. März 1953: "... es wäre keine Befriedigung, wenn das sogenannte friedliche Beieinander von Kommunismus und Kapitalismus auf deutschem Boden praktiziert werden sollte."

Hinzu kam die "Frontstadt"-Rolle Westberlins, das Ernst Reuter, damals dort Regierender Bürgermeister, als "Pfahl im Fleische der Sowjetzone" bezeichnete.

Schwebte auch ihm ein Arbeiteraufstand vor?

Mitte Juni 1953 hielten sich CIA-Chef Allen Dulles und der aus Korea berüchtigte US-General Ridgeway sowie mehrere Mitglieder des "Forschungsbeirates" in Westberlin auf, um letzte Vorbereitungen für einen konterrevolutionären Putsch gegen die DDR zu treffen. Bereits am 12. Juni hatten Vertreter enteigneter Konzerne wie AEG und Siemens Order erteilt, an sämtlichen Börsen die Aktien ihrer ehemaligen Betriebe aufzukaufen. 24 Stunden später erfolgte ein reger Zugriff auf "Ost-Werte".

Bereitete man so einen Arbeiteraufstand vor?

Der Stab der antikommunistischen Konterrevolution kalkulierte das Risiko ein, daß nach dem gerade in Korea ausgetretenen Brandherd neue Kriegsgefahr durch Operationen aus dem Brückenkopf Westberlin entstehen könnte. In den Nachmittagsstunden des 17. Juni erging über den RIAS der Appell zum Sturz der Partei- und Staatsführung der DDR. An der Spitze der Hetzer stand Egon Bahr, ein Sozialdemokrat, den manche in der Linkspartei inzwischen geradezu in ihr Herz geschlossen haben. Sein scharfmacherischer Aufruf ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Die Folge war eine Orgie der Gewalt, die Opfer forderte. Der Spuk fand nach wenigen Stunden sein Ende.

Unternehmen wir einen Zeitsprung. Am 13. Juni 1993 veranstaltete die PDS-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses ein Forum, zu dem auch der verstorbene Wolfgang Harich und ich als Gesprächspartner eingeladen waren. Als Referent trat Rainer Hildebrandt auf, der einstige Anführer der "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" (KgU), die Tag für Tag den Terror in die DDR getragen hatte. Ausgerechnet dieser Mann war als Zeitzeuge der Ereignisse des 17. Juni 1953 aufgeboten worden. Bemerkenswert ist nur, daß Hildebrandt für seine KgU-Tiraden auch noch Beifall erhielt. Besonders lebhaft klatschte (wenn ich mich recht erinnere) Petra Pau, während andere sich auf Kopfnicken und anschließende Verbeugungen beschränkten. Unter Applaus nahm der Terroristenführer einen großen Blumenstrauß entgegen.

Ohne Zweifel waren etliche Arbeiter - meist unwissentlich - gegen ihre eigenen Interessen in die Ereignisse einbezogen. Mit derlei Massenkulissen ist aber bekanntlich nicht selten ein völlig anderes Stück inszeniert worden. So war es auch am 17. Juni. Aus meiner Sicht handelte es sich um eine erste Vorbereitung auf den künftigen "Anschluß" der DDR. Als gestandener Antifaschist bin ich stolz darauf, aktiv an der Durchkreuzung des damaligen Manövers der Dulles, Bahr und Hildebrandt beteiligt gewesen zu sein.

Oberst a. D. Hein Friedriszik, Berlin

Raute

Erinnern an die Bautzener Ehrenbürgerin Gertrud Bobek

Eine Aktivistin der ersten Stunde

Es ist nur wenigen Menschen vergönnt, über 100 Jahre alt zu werden. Gleich gar Frauen oder Männern, die so vieles im Leben durchstehen mußten, deren Gesundheit immer wieder den fast unmenschlichen Widerständen und Schicksalsschlägen trotzte. Eine von diesen Unbeugsamen ist Gertrud Bobek, Ehrenbürgerin der Stadt Bautzen, deren Name von den neuen Machthabern allerdings aus der Liste der Würdigen getilgt wurde. Sie kam am 15. November 1898 in Bingen am Rhein als Tochter eines Ingenieurs und Lehrers zur Welt. Ihre letzten Jahre verbrachte sie, liebevoll umsorgt, im Alten- und Pflegeheim ihrer Oberlausitzer Wahlheimat.

Im Jahr der Oktoberrevolution hielt Gertrud die Bolschewiki und Lenin noch für Phantasten. Sie studierte in München und Berlin Wirtschaftsgeographie. In beiden Städten wurde sie in die Studentenparlamente gewählt. 1918 trat sie der SPD bei, bis sie 1924 aus Ärger über den Kurs der Parteizentrale die Beitragszahlung einstellte. 1926 heiratete sie den jüdischen Physiko-Chemiker Felix Bobek, einen Kommunisten. Im gleichen Jahr promovierte sie zum Dr. phil.

Ihrer zwischen 1965 und 1985 verfaßten Autobiographie "Erinnerungen an mein Leben" ist zu entnehmen, daß sich Gertud Bobek aktiv am illegalen antifaschistischen Widerstandskampf beteiligte. Kurz nach Auslieferung der Weimarer Republik an Hitler war sie der KPD beigetreten. 1935 emigrierte sie mit ihren beiden Töchtern auf Beschluß der Partei in die Sowjetunion. Ihr Mann sollte bald nachfolgen. Er wurde jedoch im Mai 1935 verhaftet, am 10. März 1937, obwohl österreichischer Staatsbürger, zum Tode verurteilt und im Januar 1938 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

In der UdSSR lebte Gertrud Bobek unter dem Decknamen Balzer bis 1941 in Moskau. Sie begann eine Tätigkeit als Stenotypistin in der Kommission, die den 50. Geburtstag des seit 1933 eingekerkerten KPD-Führers Ernst Thälmann vorbereitete. Später war sie im Internationalen Agrarinstitut als Bibliothekarin, danach als Sekretärin des späteren DDR-Ministers Heinrich Rau tätig. Manchen Schwierigkeiten trotzend wurde Gertrud in dieser Zeit zu einer ideologisch gefestigten Kommunistin. Nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion verlegte man ihre Arbeitsstätte, das Graphische Institut der Akademie der Wissenschaften, nach Alma-Ata. Ihre Töchter brachte man im Internationalen Kinderheim in Iwanowo unter, wo sie bis zum Schulabschluß hervorragend betreut wurden.

Vom Herbst 1944 bis zum Frühjahr 1945 besuchte Gertrud eine Parteischule der KPdSU. Dort wurde sie auf ihren Einsatz in Deutschland vorbereitet. Während des Kurses lernte sie viele Genossen kennen, die später in der SBZ und in der DDR wichtige Funktionen bekleiden sollten.

Am 28. Mai 1945 kehrte Gertrud nach Deutschland zurück. Sie wurde in Bautzen zunächst als Stadtrat für Fürsorge, später als Stadtrat für Volksbildung eingesetzt. Vom Herbst 1946 bis März 1950 gehörte sie der SED-Kreistagsfraktion an. Drei Jahre lang war sie Kreisrat für Volksbildung.

Als Gertrud Bobek Anfang Juni 1945 in Bautzen eintraf, waren die Trümmer bereits weggeräumt, doch an vielen Häuserwänden sah sie noch faschistische Losungen wie "Sieg oder Sibirien!"

In ihrer neuen Tätigkeit mußte sich Gertrud mit der ihr bis dahin völlig unbekannten Sorbenfrage vertraut machen. Dabei half ihr die Kenntnis der Nationalitätenpolitik der UdSSR. Sie unterhielt von Beginn an engen Kontakt zur sowjetischen Kommandantur, aber auch zum sorbischen Landrat Dr. Johann Ziesche.

Als Gertrud Bobek am 21. August 1945 Stadtrat für Kultur und Bildung wurde, standen in Bautzen nur etwa 50 Lehrkräfte ohne faschistische Vergangenheit und rund 60 Klassenräume zur Verfügung. Nach einem Aufruf an Antifaschisten, sich als Neulehrer zu bewerben, meldeten sich etwa 90 Männer und Frauen, die zu überprüfen und bei Annahme zu qualifizieren waren. Trotz des großen Lehrermangels hatte Gertrud schwere Entscheidungen zu treffen, wer weiter im Beruf bleiben durfte und wer dafür nicht mehr in Betracht kam. Fest stand, daß alle Nazi-"Pädagogen" aus dem Schuldienst zu entlassen waren. Da nicht sofort Lehrerbildungsanstalten eingerichtet werden konnten, mußten die Neulehrer einen Monat bei den besten verbliebenen Altlehrern hospitieren und sich abends noch methodisch schulen lassen. Zu sichern war der Unterrichtsbeginn mit antifaschistisch-demokratischem Inhalt ab 1. Oktober 1945. Außer Gertud Bobek widmete sich besonders der neue Kreisschulrat Paul Nedo, ebenfalls ein Sorbe, der Lehrerqualifizierung.

Zu den anstehenden Aufgaben von größter Dringlichkeit gehörte der beginnende Neubau von Schulen. Dem persönlichen Einsatz Gertrud Bobeks hat Bautzen zu verdanken, daß neben den Schulen in Neschwitz und Baruth auch das erste Jugendklubhaus der SBZ entstand. Für die Wiedereröffnung der Stadt- und Kreisbibliothek, des Stadtmuseums und des damaligen Stadttheaters (heute in einem neuen Domizil als Deutsch-Sorbisches Volkstheater bekannt) wurde von Gertrud unter veränderten Vorzeichen ebenfalls gesorgt.

Während sich Gertrud Bobek in Bautzen den ihr gestellten Aufgaben mit kommunistischem Elan und Pflichtgefühl widmete, hatten ihre Töchter den Schulabschluß in Iwanowo mit sehr guten Noten bewältigt. Auf dem Dresdener Flugplatz konnte sie beide wieder in die Arme schließen.

Ein halbes Jahrhundert später berührt es uns, daß sich Gertrud Bobek daran erinnerte, in den Jahren von 1945 bis 1950 am innigsten und leidenschaftlichsten gelebt und gearbeitet zu haben, weil damals etwas in der deutschen Geschichte Einzigartiges begonnen wurde, dem auch sie zum Durchbruch verhelfen konnte.

Am 1. März 1950 beendete sie ihre Bautzener Tätigkeit. Danach arbeitete sie zunächst beim Deutschen Pädagogischen Zentralinstitut. 1952 wurde Gertrud Bobek in den Bezirkstag und zur stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Bezirks Dresden gewählt. Nach weiterer Qualifizierung erfolgte ihre Ernennung zum Staatssekretär und später Stellvertreter des Ministers für Volksbildung der DDR. Als Direktorin der Pädagogischen Schule für Kindergärtnerinnen beendete sie ihre Berufstätigkeit.

Den Abschiedsworten, die Ursula Jeremies bei der Trauerfeier für die am 25. Juni 2000 in einem Bautzener Altenund Pflegeheim Verstorbene fand, ist kaum etwas hinzuzufügen: "Länger als viereinhalb Jahrzehnte war unsere Genossin Dr. Gertrud Bobek im Bund der Gleichgesinnten mit uns unterwegs zum gleichen Ziel. Sie hat mit uns soziale und politische Ergebnisse erreicht, wie noch kein deutscher Staat je zuvor. Auch Irrtümer und Fehler machen unsere Erfolge nicht ungeschehen. Und nichts, wofür Gertrud in ihren besten Jahren gelitten und entbehrt, wofür sie eingestanden und was sie geleistet hat, war umsonst."

Helge Tietze, Bautzen

Raute

Über Leben und Sterben der jungen Antifaschistin Herta Lindner

Meine Brigade trug ihren Namen

Herta Lindner hatte für mich und auch für die Angehörigen meiner Jugendbrigade im VEB Eisen- und Hüttenwerk Thale, die ihren Namen trug, große Bedeutung, obwohl sie zu dem Zeitpunkt, als wir erstmals von ihr erfuhren, schon lange tot war. 1920 in Mariaschein (Kreis Teplice/CSR) geboren, besuchte sie zunächst die dortige deutsche Volksschule und anschließend die tschechische Bürgerschule. Sie war aktive Sportlerin, aber als Kind sozialdemokratischer Eltern auch frühzeitig politisch engagiert. Mit vierzehn trat sie der Sozialistischen Jugend (SJ) bei. Der aus Nazideutschland vertriebene Berliner Kommunist Ludwig Mayer, der etwa zwei Jahre bei den Lindners als Emigrant lebte, schilderte den tief verinnerlichten Antifaschismus der Heranwachsenden. "Sie bewunderte den Mut und die Unbeugsamkeit der Hitlergegner, interessierte sich lebhaft für Politik und las auch die 'Rote Fahne', die ich regelmäßig mitbrachte."

1935 nahm Herta eine Lehre als Verkäuferin auf, obwohl sie lieber eine höhere Handelsschule besucht hätte, was ihr die Eltern aus finanziellen Gründen jedoch nicht ermöglichen konnten. In jener Zeit beteiligte sie sich bereits aktiv am gesellschaftlichen Leben.

Zu einem Schlüsselerlebnis wurde für Herta eine gemeinsame Großkundgebung von Deutschen und Tschechen, die 1935 in Teplitz (Teplice) stattfand. Gegen den Willen rechtssozialdemokratischer Führer wurde hier die antifaschistische Einheitsfront vollzogen. Hertas Eintreten für dieses Ziel führte zu ihrem Ausschluß aus der SJ. Doch sie steckte nicht auf. Die 17jährige gründete eine Ortsgruppe des Deutschen Jugendbundes und übernahm deren Leitung. Ihr leidenschaftlicher Einsatz für linke Anliegen blieb den politischen Gegnern indes nicht verborgen. Sie geriet ins Visier der Henlein-Faschisten, deren Formation ein Ableger der Nazipartei im Sudetenland war. Eines Abends wurde sie auf dem Heimweg überfallen und brutal zusammengeschlagen. Solchen Drohungen trotzend, bekannte sich Herta Lindner immer eindeutiger zu linken Anliegen. So beteiligte sie sich an Solidaritätsaktionen für die von Franco, Hitler und Mussolini überfallene Spanische Republik. Als 1938 dann die schlagartige Besetzung des Sudetenlandes durch die deutschen Faschisten erfolgte, wurden Tausende Hitlergegner sofort verhaftet. Herta Lindner konnte sich zunächst nach Prag retten. Nach einigen Monaten in ihren Heimatort zurückgekehrt, nahm sie an der Seite von Genossen der KP der Tschechoslowakei die illegale Widerstandsarbeit auf. Sie verteilte Flugblätter und gab verbotene Literatur weiter. Noch im selben Jahr übersiedelte sie nach Dresden, wo sie ihre unterbrochene Lehre als Verkäuferin fortsetzte, zugleich aber Kontakt zu dortigen Antifaschisten herstellte. Aktiv beteiligte sie sich an der Spendensammlung für politische Gefangene der Nazidiktatur. Vermutlich im Sommer 1940 wurde Herta Lindner Mitglied der illegalen KPC, für die sie zunächst als Kurier zu Genossen der KPD tätig war. Später setzte sie ihre Arbeit im Sudetenland fort, wohin sie zurückgekehrt war, um ihre erkrankte Mutter zu pflegen. Sie wurde in die Untergrundleitung der Partei aufgenommen, vermittelte Treffs und nahm Mitgliedsbeiträge entgegen. Auch ihr Vater wechselte von den Sozialdemokraten zu den Kommunisten.

Regelmäßig verfolgte Herta inzwischen die aus Moskau und London im Rundfunk übertragenen Nachrichten, stenographierte Texte und verwendete sie für Flugblätter. Im Auftrag der Partei schloß sie sich im Frühjahr 1941 einem aus Antifaschisten bestehenden Bergsteiger-Klub an, dessen Mitglieder von ihren weiteren Aktivitäten indes nichts wußten. Sie nutzte auch diese Möglichkeit für die Vermittlung von Kontakten und Informationen zwischen illegal kämpfenden Kommunisten in Deutschland und der CSR. Herta legte ihre Post in "toten Briefkästen" ab, die sich im Felsgebirge zwischen Fieland und Tyssa (heute Ostrov und Tisa) befanden.

Währenddessen setzte sie ihre Tätigkeit als Verkäuferin fort. Mit Bestellzetteln von Kunden empfing sie Mitteilungen ihrer Genossen und verpackte ihrerseits wichtige Nachrichten in die verkaufte Ware.

Die antifaschistische Widerstandstätigkeit war schwer und gefährlich. Solidarität und gegenseitige Hilfe erwiesen sich als lebenswichtig, zumal es Spitzel gab, die mutige Kämpfer an die Gestapo auslieferten. 1941 wurde Heinrich Lindner verhaftet, nur einen Tag später seine Tochter. Beide waren durch Verräter preisgegeben worden.

Am 12. Januar 1942 wurde Herta von der Gestapo verhört. Dem Protokoll ist folgendes zu entnehmen: "Ich weiß nicht, daß im Sudetengau eine kommunistische Organisation besteht. Mir sind keine Personen bekannt, die sich illegal betätigen ... Ich weiß nicht, warum ich festgenommen wurde, und bitte um meine Entlassung."

Auch noch Wochen und Monate später trotzte die junge Kommunistin den Foltern und Repressalien der faschistischen Geheimpolizei. Diese erhielt von ihr bis zuletzt keinerlei Hinweise auf die Organisation. Im Herbst 1942 verurteilte Freislers Volksgerichtshof Heinrich Lindner zum Tode. Nach nervenaufreibendem Bangen zwischen Hoffnung und Verzweiflung erfuhr die erst 22jährige Herta am Mittag des 29. März 1943, daß sie am Abend desselben Tages hingerichtet werde. Mit ihr starben zur gleichen Zeit auf dem Schafott auch ihre enge Kampfgefährtin Wilhelmine Rubal und weitere Genossen. Zwei Wochen nach Hertas Tod wurde ihr Vater ermordet. Sie alle, Deutsche wie Tschechen, bleiben als aufrechte Kämpfer für die kommunistische Idee, für Frieden und Menschlichkeit unvergessen.

Jens Wunderlich, Stecklenberg (Harz)


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Auch der Name der Fritz-Schmenkel-Straße in Berlin-Karlshorst (heute Rheinsteinstraße) - sie führt zum deutsch-russischen Museum, wo im Mai 1945 Hitlers Generalfeldmarschall Keitel vor Marschall Shukow und den Vertretern der Westallierten bedingungslos kapitulierte - wurde von den Bilder- und Schilderstürmern der Konterrevolution geschleift.

Raute

Freimütige Meinungsäußerung zu einer brisanten und kontrovers diskutierten Frage

Hat Gregor Gysi 1989 die Partei gerettet?

In letzter Zeit habe ich wiederholt mit Anhängern der Partei Die Linke gesprochen, die ein weites Meinungsspektrum repräsentierten. Es reichte von einem - im Grunde genommen - rechten Sozialdemokraten bis zu einem Unterstützer der Kommunistischen Plattform. Bei allen Meinungsunterschieden stimmten meine Gesprächspartner darin überein, Gregor Gysi sei das Verdienst zuzuschreiben, in der kritischen Phase zwischen Dezember 1989 und März 1990 "die Partei gerettet" zu haben. Ohne sein Zutun gäbe es diese wohl nicht mehr, wurde mir bedeutet. Auch die relativ starke Präsenz der PDL im Bundestag und den meisten Landtagen sei ihm zuzuschreiben.

Die intellektuelle Brillanz und den politischen Einfluß Gregor Gysis keineswegs verkennend, bin ich in der Sache anderer Meinung: Eine marxistisch-leninistische Partei, die diese Bezeichnung verdient - wobei weder die PDS noch die PDL in ihrem subjektiven Verständnis und bei objektiver Bewertung ihrer Positionen die revolutionäre Vorhut der Arbeiterklasse sein wollen oder sind -, ist nach meiner Kenntnis niemals untergegangen. Das Beispiel der griechischen KKE und der portugiesischen PCP, die selbst schwerste Zerreißproben intakt überstanden, beweist das sehr anschaulich.

Eine solche Partei hat Gregor Gysi aber weder gerettet noch jemals retten wollen. Er und sein politisch-ideologisches Umfeld haben die an Marx, Engels und Lenin orientierte SED, die jahrzehntelang eine grandiose Aufbauarbeit leistete, am Ende aber fatale Defizite aufwies, bewußt durch eine Partei mit ganz anderen Inhalten ersetzt. In diesem Sinne war es durchaus kein Zufall, daß Gysi, Bisky, Berghofer u. a. auf dem Berliner Sonderparteitag im Dezember 1989 ausgerechnet Eduard Bernstein, den Begründer des modernen Revisionismus, als einen der Vorväter der dort kreierten SED/PDS auf den Schild hoben, während sie im gleichen Atemzug Lenins Namen aus dieser Liste verbannten.

Und auch das sei gefragt: Gehörte es etwa zur "Rettung" der Partei, daß man die überwiegend besonders standhaften Genossen des MfS zum Freiwild erklärte und den Wölfen der Konterrevolution zum Fraß vorwarf?

Großen Anteil an der Liquidierung der SED hatte ohne Zweifel auch der Beschluß der gerade erst installierten neuen Führung, nicht nur die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, sondern auch sämtliche Betriebsparteiorganisationen mit sofortiger Wirkung aufzulösen und den Genossen den "Rat" zu erteilen, sich doch in den Wohngruppen zu "melden".

Zahlreiche SED-Mitglieder, deren Zugehörigkeit zur Partei möglicherweise hätte bewahrt werden können, gingen so "unterwegs" verloren, was wesentlich zur Zerstörung der ohnehin bereits demoralisierten und geschwächten SED beitrug. Während sich Scharen von Karrieristen ohne Zeitverlust in die Büsche schlugen und die Suche nach neuen "Entwicklungshelfern" für ihr persönliches Fortkommen aufnahmen, gaben unzählige Enttäuschte und Entmutigte, die ehrlichen Herzens auf den Sozialismus gesetzt hatten, frustriert und resignierend ihre Dokumente bei den jeweiligen Parteileitungen ab.

Nach der systematischen Zerschlagung der "alten" SED durch die angeblichen Retter warf deren "Nachfolgepartei" sofort den Marxismus-Leninismus als Leitideologie über Bord, obwohl das keineswegs alle in ihren Reihen wünschten.

Dessen ungeachtet ist die heutige Partei Die Linke nicht nur eine erstrangige politische Größe im Kampf um den Frieden, sondern zugleich auch die derzeit wichtigste antifaschistisch-demokratische Kraft der BRD. Eine revolutionäre, marxistische und klassenkämpferische Partei mit gesellschaftsverändernder Orientierung ist sie indes nicht, selbst wenn ihr - von der Basis bis an die Spitze - neben Angepaßten und Bernsteinianern auch viele Genossen und Genossinnen angehören, die wie Gesine Lötzsch über den Kapitalismus hinausdenken und es sogar wagen, sich des geschmähten K-Wortes zu bedienen.

Gregor Gysi, der frühzeitig für einen "dritten Weg" plädierte und in einem ND-Interview darauf bestand, er sei "nur" in zwei Fragen - denen der Macht und des Eigentums - "vom Marxismus weg", hat bei all seiner anerkannten Eloquenz und beneidenswerten Schlagfertigkeit vor Kameras der konsequenten Linken in Deutschland eher keinen guten Dienst erwiesen. Besonders erschütterte mich seine Position zum Schutz der DDR-Staatsgrenze am 13. August 1961, deren Notwendigkeit er anerkannte und im selben Atemzug wieder bestritt.

Auf welche Gleise ist die SED, die sich bei ihrem Gründungsparteitag im April 1946 nach gemeinsamer Auffassung der Delegierten von KPD und SPD ausdrücklich zum Marxismus bekannte, 1989/90 umgeleitet worden? Gregor Gysi hat diese Frage eigentlich selbst beantwortet, als er sagte: "Wir waren keine kommunistische Partei, wir sind keine kommunistische Partei, und wir werden niemals eine kommunistische Partei sein."

Da fragt man sich doch unwillkürlich, warum er dann immer noch in jedem Januar der beiden Gründer der KPD - Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs - in Friedrichsfelde gedenkt. ...

Reiner Ernst, Erfurt

Raute

Wie sich ein Experte der Konrad-Adenauer-Stiftung in die Nesseln setzte

Wie die Ostsee-Zeitung am 2. März berichtete, gab es während des Vortrags eines gewissen Dr. Eckhard Lemm von der Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU, der in einem Berliner Hotel gehalten wurde, "tumultartige Szenen und Radau". Für den Referenten habe sich "eine prekäre Situation" entwickelt. Sein Thema lautete: "Wie war die DDR wirklich? Der Arbeiter-und-Bauern-Staat zwischen Legenden und Realität."

Der Referent in Sachen Antikommunismus warf mehrere Fragen auf und beantwortete sie dann alle mit "Nein!" Ein Beispiel: "War die medizinische Versorgung besser als im Westen?" Der CDU-Propagandist wußte Bescheid: "Natürlich nicht!"

Als einer vom Jahrgang 1932 erwidere ich mit einem deutlichen "Ja!" Warum? Meine Familie und ich lebten und arbeiteten seit ihrer Gründung und bis zu ihrer Zerschlagung in der DDR. Seit mindestens 20 Jahren sind auch wir nun Verhältnissen "wie im Westen" ausgesetzt. So bin ich dazu imstande, vergleichen zu können. An die Spitze meiner Überlegungen stelle ich ein Wort Lenins: "Eine abstrakte Wahrheit gibt es nicht, die Wahrheit ist immer konkret." ("Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück", LW Bd. 7, S. 373)

Wir erlebten eine medizinische Versorgung, die sich von der anderer DDR-Bürger in keiner Weise unterschied. Für alle galt die gleiche gesetzliche Basis. In der DDR gab es nur eine Krankenkasse, die SVK, bei der jeder Lohn- und Gehaltsempfänger monatlich 10 % seines Bruttoverdienstes als Pflichtbeitrag einzahlte, allerdings niemals mehr als 60 Mark der DDR. Wer über 600 Mark brutto verdiente, konnte ab März 1971 der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) beitreten und von dem diese Grenze übersteigenden Einkommen weitere 10 % bis zur Höchstgrenze von 1200 Mark entrichten. Die FZR gewährte ein höheres Krankengeld. Überdies verlängerte sich die Zeitspanne der Zahlung.

Trotz unterschiedlicher SV-Beiträge erhielt jeder erkrankte DDR-Bürger alle medizinischen Leistungen, die zur Wiederherstellung seiner Gesundheit erforderlich waren, unabhängig von der Behandlungsdauer. Ein Beispiel aus der eigenen Familie: Nach der Geburt unserer Tochter im Februar 1956 erkrankte meine Frau und war fast 14 Monate ununterbrochen in stationärer Behandlung. Für diese ungewöhnlich lange und sehr aufwendige Therapie wurde nicht ein Pfennig Zuzahlung gefordert.

Zum Vergleich: Bis Ende Mai 1954 war meine Frau berufstätig. Ihr monatlicher SVK-Beitrag belief sich auf 23 Mark der DDR. Heute zahlt sie als Rentnerin bei der Barmer EK einen Beitrag von 15,5 % der monatlichen Bruttorente = 53,86 € und als Anteil zur Pflegekasse 1,95 % = 12,81 €.

Hinzu kommt die Praxisgebühr von 10 € im Quartal (pro Monat anteilig 3,33 Euro). An Zuzahlung für verordnete Medikamente erhält die Apotheke im Durchschnitt 15 €. Alles zusammen macht 85 €.

Dieser Betrag für Inanspruchnahme der "medizinischen Versorgung" würde bei klinischer Behandlung durch "Zuzahlungen" beträchtlich steigen. 1998 mußte meine Frau im Klinikum West des hiesigen Krankenhauses Am Sund für eine etwa vierwöchige Behandlung 398 DM zuzahlen.

Ich hatte während meiner aktiven Dienstzeit in der Volksmarine der DDR 1967 einen Bandscheibenvorfall. Dieser wurde 15 Jahre lang ambulant und mit häufigen physiotherapeutischen Maßnahmen sowie teuren Medikamenten behandelt. 1982 erfolgte eine Operation, an die sich 14 Tage stationäre Nachbehandlung und vier Wochen Physiotherapie in der Reha-Klinik anschlossen. Mit der Entlassung zu ambulanter Nachbehandlung war eine weitere sechswöchige Krankschreibung verbunden. Für all das wurden von mir keinerlei Zuzahlungen verlangt.

Zum Vergleich: 1998, nun schon Altersrentner mit einem aktuellen Kassenbeitrag von 186,11 Euro, Pflegebeitrag einbegriffen, mußte ich mich einer Nierensteinentfernung unterziehen. Diese und aufgetretene Komplikationen erforderten eine klinische und ambulante Behandlung von acht Monaten. Die Therapie sowie Zuzahlungen für Medikamente während der ambulanten Behandlung kosteten mich an die 600 DM.

Noch ein weiterer Vergleich: Bei Zahnprothesen waren in der DDR Zuzahlungen nur erforderlich, wenn der Patient Edelmetall wünschte. Für Brillen wurde man lediglich zur Kasse gebeten, wenn zu deren Anfertigung das vom Patienten gewählte Gestell mehr kostete als von der SVK bewilligt.

Anders in der BRD: Ich bekam vor sieben Jahren neue Prothesen für Ober- und Unterkiefer. Das machte 1876,85 €. Für eine Weitsichtbrille sowie eine Lesebrille bei Weiterverwendung eines bereits getragenen Gestells zahlte ich in diesem Jahr 826 €.

Ein akutes Problem sind die Pflegeheimkosten. In der Programmzeitschrift "TV 14" vom November 2010 erfuhr ich dazu, ... "daß das Heim jeden Monat 1323 € Pflegekosten verlangt. Dazu kommen aber noch 623 € für Unterkunft und Verpflegung, 537 € Investitionskosten und 25 € für eine Ausbildungsumlage. Alles in allem sind das 2507 €, von denen die gesetzliche Pflegekasse nur 1023 € (Pflegestufe I) übernimmt, so daß 1484 € ungedeckt bleiben." Sie müssen von der Pflegeperson oder deren Angehörigen aufgebracht werden. Bei Pflegestufe II betragen die Heimkosten 2900 €, wovon 1627 € selbst zu erbringen sind. Bei Pflegestufe III werden 3350 € Heimkosten verlangt, von denen 1840 € auf die Pflegeperson entfallen.

1981 nahm mein Vater im Altersheim mit medizinischer Betreuung in Diebzig/Kr. Köthen einen Heimplatz bis zu seinem Ableben 1985 in Anspruch. Er erhielt damals 430 Mark der DDR Altersrente. Von dieser wurden 380 Mark durch das Heim einbehalten, meinem Vater verblieb damit ein monatliches Taschengeld von 50 M. Weder von meiner Schwester noch von mir wurde jemals irgendeine Zuzahlung gefordert.

Nach meiner Dienstzeit in der Volksmarine arbeitete ich als Leiter der Kaderabteilung im VEB Bauelemente-Werke Stralsund. Dort waren 1850 Menschen beschäftigt. Das Unternehmen wurde auf dem Weg über die Treuhand und einen als Liquidator auftretenden "Investor", da es sich "nicht rechnete", schon Anfang der 90er Jahre aus dem Verkehr gezogen.

Zu den Errungenschaften des VEB aus DDR-Zeiten gehörte ein neues Sozialgebäude mit einer leistungsfähigen Betriebsküche. Dort befanden sich Speiseräume für die Belegschaft, HO-Verkaufseinrichtungen sowie die Betriebsarztpraxis. Von der Betriebsküche wurden die im Drei-Schicht-System arbeitenden Kollegen mit jeweils drei Mahlzeiten versorgt, von denen eine warm war. Die Kosten wurden vor allem aus dem Sozialfonds des Betriebes bezahlt, während die Werktätigen für das Essen nur täglich 50 Pfennig zu entrichten hatten.

In der Betriebsarztpraxis hielt an drei Werktagen zwischen 10 und 16 Uhr ein Arzt der Bauambulanz Stralsund seine Sprechstunden ab. Überdies wurden die Kollegen, die an gesundheitsgefährdenden Arbeitsplätzen beschäftigt waren, in regelmäßigen Abständen untersucht. Solche oder ähnliche soziale und medizinische Versorgungseinrichtungen gab es in sämtlichen dem Ministerium für Bauwesen unterstehenden VEB. Dazu gehörten natürlich auch Betriebsferienheime und betriebseigene Sanatorien.

Vorbei sind die Jahre, in denen es für die Werktätigen blühte. Jetzt blüht nur noch der Profit. Doch das Vergangene haftet in meiner Erinnerung.

Fregattenkapitän a. D. Friedrich Bieler, Stralsund

Raute

So mancher liebt den Verrat, doch wer rühmt den Verräter?

Schütt und der Schutt Gorbatschows

Vor 20 Jahren gehörte Michail Gorbatschow (noch) zu den einflußreichsten Politikern der Welt. Als er am 2. März achtzig wurde, offenbarten seine Gratulanten in ihren Festreden, wofür er eigentlich gefeiert wurde. Sie lobten den "kühnen Reformer", den Erfinder von Glasnost und Perestroika, wobei sie die zerstörerischen Folgen seines Tuns nicht einmal andeutungsweise umschrieben.

Beide Begriffe dienten als Granaten zur Erzeugung jener Nebelwand, hinter welcher die innere und äußere Konterrevolution ihre tödlichen Schläge gegen den Sozialismus vorbereitete.

Nicht wenige bürgerliche Politiker und Publizisten sahen damals im jung und dynamisch wirkenden Generalsekretär der KPdSU einen neuen "Messias". Daß ihn Helmut Kohl anfangs als "modernen Goebbels" ortete, stand der späteren "Männerfreundschaft" nicht im Wege.

In der Tat klangen manche verbale Vorgaben Gorbatschows verlockend: eine atomwaffenfreie Welt bis 2000, ein reformierter Sozialismus, rascher Wohlstand für alle. Wie aber sieht die Bilanz zwei Jahrzehnte später aus?

Die Feiern zu Ehren Gorbatschows begannen, wie "Der Spiegel" zu berichten wußte, bereits in der Woche vor seinem Geburtstag mit der Eröffnung einer Fotoschau in der früheren Offiziersreitschule des Zarenheeres. "Kein einziger Kreml-Vertreter gratulierte. Als ranghöchster Huldigungsredner sprach USA-Botschafter John Beyerle."

Der Jubilar selbst gab einen Witz zum Besten, welcher während seiner Kampagne gegen Alkoholgenuß entstanden war: Die Schlange derer, die nach Wodka anstanden, sei lang gewesen, aber immer noch kürzer als die derjenigen, die ihn hätten erschießen wollen, amüsierte sich Gorbatschow.

Außer solchen Exkursionen in die Welt der Anekdoten wußte das Hamburger Nachrichtenmagazin auch über die aktuelle Wertschätzung für Gorbatschow Auskunft zu geben: "Der größte russische Reformer, der die Perestroika erfand und damit die Sowjetunion zum Einsturz brachte, hört heute nur noch selten schmeichelhafte Worte. Die Mehrheit der Russen macht ihn für Massenarmut und den Verlust des Weltreichs verantwortlich."

In Moskau gab es einen Auftritt Gorbatschows, bei dem seine schmähliche Rolle besonders deutlich wurde: Der einstige Generalsekretär der KPdSU nahm freudigen Herzens den Andreas-Orden, eine durch Jelzin wieder eingeführte zaristische Auszeichnung, entgegen.

Auch das gewandelte ND durfte unter den Gratulanten natürlich nicht fehlen. In einem Artikel aus der Feder seines Feuilleton-Chefs Hans-Dieter Schütt - einst Mitglied des Büros des Zentralrats der FDJ und Chefredakteur der FDJ-Zeitung "Junge Welt" - wurde "Gorbatschows Schicksal" geschildert. Indem er das Tun und Unterlassen eines anderen beschrieb, sah der Autor wohl zugleich in den Spiegel. "Den eigenen Dämon, der sich Sozialismus nannte, hat er politisch und militärisch entwaffnet; aus dem Alptraum der gesellschaftlichen Öde erhob sich die launische Freiheit als neue Galionsfigur. Sie ist eine Figur des Glücksspiels, und nicht jeder hat Kraft und Masse für den nötigen Einsatz. Die sozialen Verwerfungen werden gern Gorbatschow vorgeworfen, noch immer. Er muß sich sogar gegen Stalin-Heldenbilder wehren. Lehre: Der Mensch ist und bleibt ein Grund, vorsichtig zu sein." Damit dürfte klar sein, in welchem Licht manche "Linken" einen ihrer Ahnherren sehen.

Schütt offenbarte in einem weiteren Beitrag am 7. April übrigens einmal mehr, daß er Gorbatschow nicht nachstehen möchte. Er schrieb: "Kommunismus ist eine Denkrichtung. Eine. Sie muß, so scheint es, in bestimmten Situationen mit Autorität befestigt werden, die ihr teilweise abhanden kam - aufgrund der Erfahrungen von Millionen Menschen mit kommunistisch grundierten Herrschaftsformen im 20. Jahrhundert."

Gerry Woop, Mitglied des Parteivorstandes der PDL, steuerte ebenfalls sein Scherflein bei. Gorbatschow habe den Sozialismus von Verkrustungen, Ineffizienz und Unfreiheit erlöst, ihm wieder ein humanes Antlitz verschafft, Menschen die Angst genommen und Hoffnung gegeben. Zu solchen "Leistungen" rechnete Woop, daß er den Weg zur "Transformation" (soll heißen: Zerschlagung) der SED freigemacht habe. Deshalb gehöre das Wirken des Moskauer Tribuns zur Tradition der Linkspartei.

Wenn man bedenkt, daß sich diese Vorgänge im vollen Einvernehmen mit Helmut Kohl und im Ergebnis der durch ihn bereitgestellten Finanzspritzen abspielten, müßte dem "Kanzler der Einheit" ein Extraständchen gespielt werden. Wer sich zwischen Woops Wertung der Sargträger der Sowjetunion und dem Urteil des "Spiegel"-Redakteurs entscheiden müßte, dürfte dem bürgerlichen Blatt wohl mehr Realitätssinn zubilligen.

Gorbatschows Geburtstag bescherte der Öffentlichkeit auch andere Überraschungen. So fand in London die repräsentativste Party zu seinen Ehren statt. Schauplatz des Geschehens war die Royal-Albert-Hall, wo das Londoner Symphonie-Orchester die Begleitmusik bot. Warum aber wurde der einst mächtigste Mann des Kreml ausgerechnet im Merry Old England der Churchills und Thatchers so gefeiert? Dieses Rätsel hat Gorbatschow selbst gelöst.

In seinen "Erinnerungen", die 1995 in Berlin erschienen, berichtet er über seinen Besuch in der Stadt an der Themse. Zu diesem Zeitpunkt war er noch nicht Generalsekretär, sondern nur einer der Sekretäre des ZK der KPdSU. Ihm zu Ehren gab es ein äußerst großzügiges Protokoll. Er durfte vor dem Unterhaus auftreten und wurde mit Raissa auf den Landsitz der britischen Premiers eingeladen. In London deutete Gorbatschow erstmals seine künftige Strategie an, fand dafür den Beifall der Presse und wurde zum Lieblingspolitiker der Regierungschefin. In den "Erinnerungen" wird Margaret Thatcher gleich zehnmal hervorgehoben. Auch sie sparte in ihren Memoiren nicht an Lob für den Gast aus dem "Ostblock".

Zufällig war ich als Vertreter der DDR-Liga für die Vereinten Nationen in jenen Tagen von der britischen UN-Vereinigung gerade nach London eingeladen und erlebte so "aus der Nähe", wie ein Moskauer Politiker hofiert wurde. Für mich kam das völlig überraschend. Heute darf man fragen: Wurde mit Thatchers Hilfe der "kommunistische" Heiland geboren?

Wenn Schiller über Wallenstein sagte, dessen Charakterbild sei von Gunst und Haß geprägt gewesen, dann ist diese Vorstellung nicht ohne weiteres auf Gorbatschow zu übertragen. Die Tatsachen sind unwiderlegbar: Gorbatschow war der Totengräber Nr. 1 des Sowjetstaates, die Schlüsselfigur auch bei der Zerschlagung des Bruderbundes der Länder des Warschauer Vertrages, die einzeln und isoliert dem Imperialismus zum Fraß vorgeworfen wurden. Er war jener Politiker der UdSSR, der dafür sorgte, daß im UN-Sicherheitsrat nicht mehr das Moskauer Veto imperialistischen Kriegsplänen den Weg verlegte, sondern der russische Bär zu einem Tanzbären mutierte, der fremden Takten folgte. Er und seine Kamarilla ließen die Staaten mit nichtkapitalistischer Orientierung, die Befreiungsbewegungen und die Friedenskräfte schmählich im Stich.

Ohne Zweifel hatte Gorbatschow "mehr als nur einen Koch" bei sich. Helfer und Verbündete aus dem Lager der Bourgeoisie und Renegaten aller Schattierungen standen ihm zur Seite.

Den durch ihn hinterlassenen Schutt verwendete Schütt für den Sockel seines Denkmals.

Prof. Dr. Horst Schneider

Raute

Zum frappierenden Rechtsruck der PDL in Mecklenburg-Vorpommern

Mäusefänger oder Rattenkönig?

Im RF Nr. 159 plädiert Jobst-Heinrich Müller aus Lüneburg für "kritische Solidarität" mit der PDL. Was er dazu an Argumenten vorträgt, regt zweifelsohne zum Nachdenken an, und seine Warnung vor realitätsfernen Zielvorgaben, welche die politische und wirtschaftliche Situation in der BRD und - vor allem - den "Bewußtseinsgrad des Volkes" nicht in Rechnung stellen, muß ernst genommen werden.

Während Genosse Müller vor "überzogenen Ansprüchen auf ideologische 'Reinheit' warnt, ist ihm zugleich bewußt, von wo die tatsächlichen Gefahren für das politische Wirken - und vielleicht sogar Überleben - der PDL ausgehen. Völlig richtig konstatiert er, daß es insbesondere der "innere Rechtstrend" ist, durch den diese Partei mehr und mehr ihres antikapitalistischen und damit progressiven Charakters verlustig geht. "Da wird die Katze, die Mäuse fangen soll, leicht selbst zum Rattenkönig", schreibt er im Mai-RF.

Neu ist diese gefährliche Tendenz indes keineswegs. Nicht erst, seitdem sich die offen reformistischen Kräfte unter dem Dach des "Forums Demokratischer Sozialismus" (fds) auch organisatorisch eine eigene Plattform geschaffen haben, unterliegt diese Partei einem antikommunistisch akzentuierten Prozeß der Sozialdemokratisierung. Der RF warnte davor bereits zu einem Zeitpunkt, als sich mit der Umwandlung der einstigen SED in die PDS etwas abzeichnete, das man als grundlegende Trendwende bezeichnen könnte.

Ein Schlüsselwort, das diese Umwandlung von Beginn an begleitete, begründete und mit "demokratischem Gütesiegel" versah, heißt: Pluralismus. In der "neuen und von stalinistischen Unsitten gereinigten Partei" sollten fortan auch miteinander unvereinbare Strömungen Platz und Wirkungsmöglichkeiten erhalten. Ein für alle ihre Teile verbindliches Programm - bei dessen Umsetzung natürlich uneingeschränkte Diskussionsfreiheit innerhalb der Partei bestehen müßte - wäre ein "Rückfall in den Stalinismus". Statt dessen entzog sich die "neue" Partei mit ihren programmatischen Eckpunkten jeglicher Verbindlichkeit. Herauskommen konnte so - und das war gewollt - nichts weiter als eine Art politischer Gemischtwarenladen, der alles Mögliche und Unmögliche an Verheißungen führte: Von linksliberalen über "grüne" bis zu rechtssozialdemokratischen Konzepten, noch garniert mit kommunistischen Restbeständen. Für den politisch wachen Zeitgenossen blieb all das stets mit der Frage verbunden, welche dieser widerstreitenden Tendenzen sich letztendlich durchsetzen und als verkündete Wahlversprechen eingelöst oder preisgegeben würden. Der Mangel an Glaubwürdigkeit fällt nun der PDL immer öfter auf die Füße. Ihre dürftigen Wahlergebnisse in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sprachen dafür. Offensichtlich haben viele eigentlich linksorientierte Wähler dieser beiden Bundesländer - im Unterschied zu Genossen Müller - "in der Wahlkampfplattform der PDL" nicht "die derzeit wirksamste und wichtigste Grundlage des Zusammenschlusses aller fortschrittlichen Kräfte" gesehen.

Wie inzwischen hinlänglich erwiesen, sind die politischen Nutznießer dieses "pluralistischen Verzichts auf ideologische Reinheit" die Verfechter eines opportunistischen, ausgeprägt antikommunistischen, das bestehende Gesellschaftssystem sogar stabilisierenden Kurses.

Bei denen handelt es sich nicht um Dilettanten, sondern um Profis, für die Politik zugleich (und vorzugsweise) darin besteht, die Kunst der Intrige gegen innerparteiliche Konkurrenten zu beherrschen. Eine Vorstellung davon, wie diese Kräfte sich in Szene zu setzen verstehen, was man -in Anspielung an eine Fernsehshow - als "Intriganten-Stadl" bezeichnen könnte, lieferte im April der Wahlparteitag der PDL von Mecklenburg-Vorpommern in Göhren-Lebbin. Als Hauptakteure eines raffiniert eingefädelten Putsches gegen den Landesausschuß und die Kreisvorsitzenden der eigenen Partei agierten Leute mit entsprechendem "Bekanntheitsgrad": So wurde der jetzige Fraktionschef der PDL im mecklenburgisch-vorpommerschen Landtag, Helmut Holter, schon vor zwei Jahrzehnten vom damaligen SPD-Ministerpräsidenten als "lupenreiner Sozialdemokrat" bezeichnet und freudig ins gemeinsame Regierungsboot genommen. André Brie, einst als ideologischer "Vordenker" der PDS herumgereicht, entwickelte bereits seinerzeit ein politisches Konzept, um marxistischen Kräften in der PDS durch entsprechende "Umorientierung" das Verbleiben in dieser Partei unerträglich zu machen, sie also hinauszumobben. Überdies empfahl er, auf einen Zustand der PDS Kurs zu nehmen, der diese geeignet mache, "wieder in den Schoß der Mutterpartei" SPD zurückzukehren. Dieser Vision hängt, wie er im vorigen Jahr öffentlich verkündete, auch Bries Gesinnungszwilling Lothar Bisky an.

Genau einem solchen Grundmuster wurde jetzt auf dem Wahlparteitag der PDL zum "Durchbruch" verholfen. Die trickreichen, im Ausnutzen von Verfahrensmodalitäten versierten Strippenzieher um Dietmar Bartsch, den Gysi nach dessen Intrige gegen Oskar Lafontaine demonstrativ zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der PDL im Bundestag machte, und den karrierebeflissenen neuen Landeschef Bockhahn hebelten die vom Landesausschuß - dem laut Statut höchsten Gremium zwischen den Parteitagen - gemeinsam mit den Kreisvorsitzenden aufgestellte Kandidatenliste für die bevorstehenden Wahlen aus und "öffneten" sie für neue Bewerber. Diese kamen dann ausschließlich aus der ganz rechten "fds-Ecke". So ergatterte der zwischenzeitlich in die politische Bedeutungslosigkeit versunkene André Brie einen aussichtsreichen Listenplatz, während Kandidaten des linken Parteiflügels wie die ihrem Namen Ehre machende einstige Landessozialministerin Marianne Linke weichen mußten.

Wo aber blieb die von Genossen Müller zu recht geforderte und so dringend notwendige "Abwehr des Rechtstrends auf allen Parteiebenen"? Dafür standen die Mitglieder des Kreisvorstandes Bad Doberan. In einer Erklärung verurteilten sie mit aller Schärfe, daß ihre Partei "in die Hand karrieregeiler, machtbesessener Autokraten" gefallen sei, die - leider mit Erfolg - Kritiker in den eigenen Reihen mundtot machen und die PDL zum bloßen Mehrheitsbeschaffer für die SPD degradieren, sie als eigenständige politische Kraft auf Landesebene liquidieren wollen.

Bei allem Respekt vor der Courage, die damit von den Bad Doberaner Genossen bewiesen wird: Eine Schwalbe macht leider noch keinen politischen Sommer. Und wenn einem Renegaten wie Helmut Holter auf dem Wahlparteitag mit 93prozentiger Zustimmung (!) der Spitzenplatz zu den Landtagswahlen eingeräumt und seine Bewerbung um den Posten des Ministerpräsidenten bejaht wird, stellt sich mir jene Frage, mit der sich auch Jobst-Heinrich Müller konfrontiert sah: Welche Konsequenzen müßte man aus dem Umstand ziehen, daß "der Mangel an Entschlossenheit", den Verzicht darauf bewirkt hat, "selbst die der Partei abträglichsten 'Genossen' aus deren Reihen zu entfernen". Sich darauf zu verlassen, daß "das Kind noch nicht endgültig in den Brunnen gefallen ist" - also immer noch Hoffnung besteht -, erscheint mir zumindest für Mecklenburg-Vorpommern derzeit nur schwer nachvollziehbar. Ich jedenfalls könnte - kritische Solidarität mit der PDL hin oder her - bei anstehenden Wahlen meine Stimme nicht für Leute abgeben, die der fds-Connection zu politischem Einfluß und sattem Einkommen verhelfen wollen.

Wolfgang Clausner

Raute

Als ich 1948 dem Berliner FDJ-Vorsitzenden Heinz Keßler gegenübersaß

Der Impulsgeber in der Hosemannstraße

"Deutscher Knabe, vergiß nicht, daß du ein Deutscher bist!" hieß es bei den Nazis. Eben den "Pflanzstätten der Nation", wie Hitler die Schulen nannte, entronnen und nun in demselben Klassenzimmer, in derselben Schule in der Prinzenallee 8/9 ein Heimabend, gestaltet von der FDJ? Das geschah im Herbst 1948 im französischen Sektor Westberlins.

Als ich in der Osloer Straße im Herbst 1945 Stubben ausbuddelte und dafür in meiner alten Schule in der Gotenburger Straße ein warmes Essen bekam, waren mir die Zusammenhänge noch nicht bewußt. Mitglieder des Berliner Jugendausschusses, die gleichwohl Arbeit und Essen organisierten, standen dahinter. Und was geschah, als der Mittelstreifen frei von Stubben war?

Eine nahegelegene Schneiderei suchte einen Laufburschen. Dessen Aufgabe: täglich zum Kaiserdamm fahren und für britische Offiziersfamilien Konfektionsstücke und Schnittmuster transportieren. Erlaubte es das Wetter, fuhr ich mit einem Damenfahrrad vom Chef. Auf der Rücktour eroberte ich nach und nach Berlin. Dabei geriet ich unter die Teilnehmer einer öffentlichen Kundgebung im Prenzlauer Berg. Es war, wie ich erst später in Erfahrung brachte, Heinz Keßler, der dort mitreißend sprach.

Aber noch war ich Bürger Westberlins. Und erst am 11. Oktober 1947 veröffentlichte das Amtsblatt der Alliierten Kommandantura mit Sitz in Berlin-Dahlem eine Stellungnahme zum "Antrag auf Zulassung der Freien Deutschen Jugend", währenddessen die SMAD bereits per Dekret vom 26. Februar 1946 die FDJ nach ihrer Gründung als einheitliche, selbständige, demokratische Jugendorganisation zugelassen hatte.

Es war Anke Kaufmann in jenem mir bekannten Klassenzimmer, die sich meiner Sorgen annahm, überhaupt einen Beruf zu erlernen. Von ihr erhielt ich bald darauf den Hinweis, ich solle mich doch mal zum Landesvorstand der Berliner FDJ begeben. Der befand sich in der Hosemannstraße 14. Kurz zuvor war ich 19 geworden. Welche Perspektive eröffnete sich mir? 1944 hatte ich als 14jähriger eine Lehre begonnen - und zwar im Rathaus von Weißwasser. Sie war aber durch die Kriegsereignisse jäh beendet worden. Und hernach galt es, das Nötige zu erarbeiten, um leben zu können.

Beschäftigung mit Anspruchsvollem? Geistige Interessen? Fast drei volle Jahre im Kinderlandverschickungslager der Nazis hatten mich einer gezielten Abrichtung zum Kadavergehorsam unterworfen. Im Wehrertüchtigungslager war ich dann als Kanonenfutter dressiert worden. Und nun kam ich, ein neues Mitglied der Freien Deutschen Jugend, mit völlig andersgeartetem Gedankengut in Berührung!

Der Schlanke, dem ich gegenübersaß, hieß Heinz Keßler. Er überraschte mich mit etlichen Brocken Russisch. Ich hörte "Rabota" und "Russki" heraus. "Du hast doch auch bei den Russen gearbeitet?" erkundigte er sich bei mir. Hatte Anke ihm das etwa erzählt? "Ja! Ja!" "Und was für Erfahrungen hast du dabei gemacht, welche Erinnerungen sind noch in dir lebendig?"

Heinz Keßler, der FDJ-Stadtvorsitzende, verwickelte mich in eine lockere Plauderei. Es ging zwanglos, ja heiter zu. Wir lachten gemeinsamen über meinen "Todesritt", als die von mir zu hütenden Pferde der Roten Armee plötzlich wie wild davongejagt waren.

Heinz selbst wußte von der Bedeutung der Pferde vor den Panjewagen der Rotarmisten im 2. Weltkrieg zu berichten, gehörte er doch zu den Frontbevollmächtigten des Nationalkomitees Freies Deutschland. Aber er prahlte nicht mit heroischen Episoden aus seinem eigenen Wirken. Ich spürte Wärme und fühlte instinktiv, daß er Verständnis für die Sorgen anderer Menschen aufbrachte, ja bereitwillig Zeit in Gespräche mit ihnen investierte. Er fragte mich nach einem Berufswunsch. Ich erklärte ihm daraufhin mein ursprüngliches Anliegen, Landvermesser werden zu wollen. Heinz Keßler bog meinen Wunsch mit den Worten ab, daß es nach der Bewältigung der Bodenreform jetzt darum gehe, den Aufbau einer leistungsstarken Industrie voranzubringen, wozu vor allem Facharbeiter gebraucht würden. Er habe sich schon vorsorglich erkundigt, welcher Betrieb mich als Lehrling einzustellen bereit sei.

Mit einem Laufzettel versehen, setzte ich mich zur Andreasstraße im Stadtbezirk Friedrichshain in Bewegung. Die Strecke sollte ab Januar 1949 dann für knapp zweieinhalb Jahre mein ständiger Weg zur Arbeitsstelle werden. Ich war also Dreher-Lehrling im SAG-Betrieb Julius Pinsch. Als SAG bezeichnete man damals noch von der sowjetischen Besatzungsmacht unterhaltene Firmen.

Bei Pinsch gab es bereits eine FDJ-Betriebsgruppe, die mich freundlich aufnahm. Im ersten Lehrjahr wetteiferten wir darum, wer wohl im Sommer 1949 zu den II. Weltfestspielen nach Budapest delegiert werde. Denn einem von uns wurde die Chance dazu geboten. Siegerin war Ingeborg Kempe - Lehrling wie ich -, eine stets gutgelaunte, positiv denkende und verläßlich handelnde junge Kollegin.

Als mir nach dem vorzeitigen Abschluß der Lehre die Aufgaben des FDJ-Sekretärs übertragen wurden, vereinbarte ich eine Patenschaft mit der Maschinen-Traktoren-Station (MTS) Golzow im Odergebiet. Mein Vorbild, dessen erzieherischer Einfluß für mich bestimmend wurde, war Heinz Behrendt. Wenige Jahre älter als ich, hatte man ihn noch zur Wehrmacht eingezogen. Als Kriegsgefangener besuchte er in der UdSSR eine Antifa-Schule. Mit ihm führte ich lange Diskussionen über Gott und die Welt. Sein Beispiel als junger Genosse steckte andere an und riß viele von uns mit. 1951 löste ich Heinz als FDJ-Sekretär ab.

Wir alle schwärmten damals von den bevorstehenden III. Weltfestspielen, bei denen wir Berliner die Gastgeber sein durften. Unter der Leitung von Werner Lamberz bereiteten wir im FDJ-Landesvorstand eine Reihe kultureller Veranstaltungen vor. Hierbei half uns auch eine Kölnerin. Sie hieß Käthe Zilles und erreichte später als eine der ersten Ansagerinnen des jungen Adlershofer Fernsehens in der DDR einen recht großen Bekanntheitsgrad.

Blicke ich heute auf meine Jugendjahre zurück, dann wird mir bewußt, daß ich vor allem auch durch die aktive Teilnahme am Aufbau der FDJ ein Fundament fester Überzeugung gewann. Dazu gehörte die Gewißheit, daß wir in der DDR auf dem richtigen Weg waren, ein Deutschland aufzubauen, in dem die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen Vergangenheit ist. Daß wir später einmal in die Vergangenheit zurückgeworfen würden, konnten wir damals wohl kaum voraussehen.

Hans Horn


Raute

Frühere NDPD-Mitglieder debattierten über Gründe des Untergangs der DDR

"Das nächste Mal besser!"

Im März fand das traditionelle Jahrestreffen unserer Sache treu gebliebener, untereinander solidarisch verbundener ehemaliger NDPD-Mitglieder statt. Im Kongreßsaal des Karl-Liebknecht-Hauses in Berlin hatten sich auch ehemals nicht der Partei angehörende Gäste sowie interessierte Teilnehmer aus der Kinder- und Enkel-Generation eingefunden, die sich in dieser politischen Atmosphäre wohl fühlten. Im Einladungsschreiben hieß es: "Bei der 1990 erfolgten Verhökerung unserer Partei, getarnt als kooperativer Beitritt der NDPD zum Bund Freier Demokraten -Die Liberalen, wurde vom kurzfristigen letzten Vorsitzenden Wolfgang Rauls in seinem Brief an alle Parteifreunde von dem Ziel gesprochen, "auf dem Wege zur deutschen Einheit eine gemeinsame demokratische Kraft der politischen Mitte national- und sozial-liberaler Prägung in Gestalt einer gesamtdeutschen Partei zu schaffen".

Politische Wissenslücken, Demagogie oder Illusion zeugten von diesem Brief, denn der damalige FDP-Vorsitzende Hans-Dietrich Genscher hatte schon 1982 mit dem Beitritt der FDP zur schwarz-gelben Koalition unter Helmut Kohl den sozialliberalen Flügel der FDP längst abgerissen.

Die FDP hatte bei den Bundestagswahlen 2009 mit dem Versprechen, die Steuern zu senken - und das angesichts maroder öffentlicher Kassen und steigender Rüstungslasten - von politisch naiven Wählern 14,6 % aller Stimmen erhalten. Nach Bruch dieser Zusage ist sie inzwischen unter die Fünf-Prozent-Grenze gestürzt.

Kürzliche Landtagswahlen haben diese Umfrage-Ergebnisse bestätigt. Die FDP flog in ihrer ostdeutschen Hochburg, im Genscherland Sachsen-Anhalt, mit 3,8 % und in Brüderles Rheinland-Pfalz mit 4,2 % aus den Landtagen. Ausgerechnet diese Vorhutpartei des entfesselten Kapitalismus und seiner Kriegspolitik sollte einmal zur politischen Heimat der NDPD-Mitglieder werden! Die meisten von ihnen verweigerten sich damals dieser marktradikalen Westpartei und traten aus.

In einer lebhaften Diskussion waren wir sofort wieder bei der Frage nach den Grundursachen des Untergangs aller nach dem sowjetischen Sozialismusmodell strukturierten und Moskauer Vorgaben folgenden Länder des RGW. Eine bohrende Frage, weil es nur schwer gelingen will, mit der selbst erlebten Niederlage umzugehen, zumal wir Angehörigen der älteren Generation sehr bewußt in der DDR gelebt haben und selbst Beteiligte der geschichtlichen Ereignisse waren.

Im Disput wurde betont, daß es zu einfach wäre, eine Konterrevolution für die Niederlage des sogenannten Staatssozialismus in Europa als Hauptursache zu benennen. Als Antwort auf diese Frage gelte wohl eher Lenins Erkenntnis: "Die Arbeitsproduktivität ist in letzter Instanz das Allerwichtigste, das Ausschlaggebende für den Sieg der neuen Gesellschaftsordnung ... Der Kapitalismus kann endgültig besiegt werden und wird dadurch endgültig besiegt werden, daß der Sozialismus eine neue, weit höhere Arbeitsproduktivität schafft ..." (Lenin "Die große Initiative") Das aber hat der reale Sozialismus nicht zu erreichen vermocht.

Die Differenz zwischen der geringeren Arbeitsproduktivität in den ökonomisch rückständigen osteuropäischen RGW-Ländern gegenüber den kapitalistischen Industriestaaten haben wir - auch aufgrund zu starrer Planvorgaben - nicht verringern können. Wir blieben in der wissenschaftlich-technischen Revolution hoffnungslos zurück. Die Folgen - Versorgungsengpässe, ein Mangel an hochwertigen Konsumgütern, Wartezeiten von 13 Jahren beim Kauf des Trabant, fehlende Devisen für Reisefreiheit in das nichtsozialistische Ausland - führten mit offenkundigen Demokratiedefiziten wie eingeschränkter Meinungs-, Medien- und Versammlungsfreiheit zu steigender Unzufriedenheit. Was die diskutierte Frage der Konterrevolution betraf, so wurde bei dem Treffen konstatiert, daß der Feind kräftig mit- und sich zunehmend eingemischt habe, was nicht überraschen durfte. Es war doch schließlich seine Aufgabe.

Eine Mehrheit skandierte 1989, wie wir uns erinnerten, zunächst "Wir sind das Volk!" und "Demokratie jetzt!" Es mangelte aber an Konzepten im Sinne einer sozialistischen Erneuerung. Ja, die Bewegung schlug um. Am Ende der sogenannten Herbstrevolution stand die von der Mehrheit der letzten Volkskammer erbetene Vereinnahmung der DDR durch die BRD und damit die Konterrevolution, die Restauration kapitalistischer Gesellschaftsverhältnisse. Gerade der Mut zur Wahrheit bei der Suche nach den letzten Ursachen des Mißerfolgs unseres ersten Sozialismusversuchs, die Kritik an den Schattenseiten der DDR vom sozialistischen Standpunkt aus - all das ist ein wertvoller Erfahrungsschatz für unsere Enkelgeneration. In Friedrich Wolfs "Die Matrosen von Cattaro" ruft der Maat Franz Rasch: "Kameraden, das nächste Mal besser!"

Am Nachmittag war Prof. Dr. Lothar Bisky, Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Linkspartei im Europaparlament, als Redner und Gesprächspartner bei uns zu Gast.

Unsere Jahrestreffen haben die erfreuliche Wirkung, daß der mit dem Ende der NDPD abrupt abgebrochene Zusammenhalt zwischen ehemaligen Parteifreunden wieder aufgenommen, mancher von ihnen aus politischer und menschlicher Resignation geholt und ermutigt wurde, den Kopf zu heben.

Erhard Lonscher, Berlin

Unser Autor war von 1973 bis 1985 Sekretär des Hauptausschusses der NDPD und bis 1990 Mitglied seines Sekretariats.

Raute

Schwarzflunker

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Die "Goldene Wippe"

Der Berliner hat eine flinke Zunge und gilt als gedankenschnell: Schaukel, Riesenwippe, Reichsbanane, Hartz-IV-Rutschbahn oder Bettpfanne verspottet er das "Einheitsdenkmal", mit dem man seine Stadt verschandeln will. Biertischprotest: "Zehn Millionen soll das Ding kosten, die haben was an der Waffel!"

Mein Vorschlag: Nehmt das ruhig als ein echtes Denk- und Mahnmal! Der Entwurf symbolisiert doch nichts anderes als die große goldene Opferschale, in die wir DDR-Bürger 1990 unser ganzes Volkseigentum legen mußten: Fabriken, Maschinen, Wohnungen, Grund und Boden. Geopfert wurde auch unser geistiger Besitz: Wissenschaft, Kunst und Kultur. Hinzu kam die gestohlene, aber von manchen auch weggeworfene soziale Sicherheit, die jedem schon so selbstverständlich geworden war, daß viele ihren Wert nicht mehr zu schätzen wußten. Als "Entgelt" gab es leere Worte, die Schamanen des Kapitals wie Nebel in die Köpfe der Bestohlenen bliesen. Doch die Dunstschleier beginnen sich allmählich zu lichten. Beim neuen Denkmal wird mancher nachdenklich, wenn er auf die Inschrift schaut: "Wir sind ein Volk!"

Ja, als Bringer von Opfergaben sind wir in der Tat ein Volk. Denn mit dem Fall der Mauer, die nichts anderes als eine Abgrenzung der gesellschaftlichen Alternative war, wurde im Westen flugs die schöne Sozialstaatsfassade abgerissen. Und gemeinsam fallen inzwischen unsere Söhne auf fernen Kriegsschauplätzen.

Ich bin indes kein Traumtänzer. Wenn man die "Goldene Wippe" einweihen wird, dürften die umnebelten Gehirne noch keine Klarheit gewonnen haben. Die übergroße Mehrheit durch das Denkmal zu verschaukeln ist angesagt. Aber Stuttgart 21 und der Widerstand gegen Gorleben zeigen, daß das Motto des Monuments: "Bürger in Bewegung" schneller zur Realität werden könnte, als manchem lieb ist.

Bernd Gutte

Raute

Marxismus für Einsteiger - Opportunismus

Marx und Engels haben ihre Theorie in scharfer Auseinandersetzung mit verschiedenen kleinbürgerlichen Sozialismus-Konzeptionen entwickelt. Sie konnten aber noch davon ausgehen: Anhänger solcher Gruppierungen, wenn auch nicht alle ihre Chefs, irrten in gutem Glauben. Der I. Internationale schlossen sich verschiedene Strömungen dieser Art an. Der Marxismus wurde zur allgemein anerkannten Richtschnur. Dann änderte sich die Situation. Engels verwendet den Begriff "Opportunismus" ab 1882: "Die Streitfrage ist rein prinzipiell: soll der Kampf als Klassenkampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie geführt werden, oder soll es gestattet sein, auf gut 'opportunistisch' ­... den Klassencharakter der Bewegung überall da fallenzulassen, wo man dadurch mehr Stimmen, mehr 'Anhänger' bekommen kann?" (MEW, Bd. 35/S. 382) Und später: "Dies Vergessen der großen Hauptgesichtspunkte über den augenblicklichen Interessen des Tages, dies Ringen und Trachten nach dem Augenblickserfolg, ohne Rücksicht auf die späteren Folgen, dies Preisgeben der Zukunft der Bewegung um der Gegenwart der Bewegung willen mag 'ehrlich' gemeint sein, aber Opportunismus ist und bleibt es, und der 'ehrliche' Opportunismus ist vielleicht der gefährlichste von allen." (MEW, 22/234 f.) Besorgt vermerkt er, die SPD in Bayern sei "sehr opportunistisch geworden und fast schon eine ordinäre Volkspartei". (MEW, 39/334) Der aufkommende Imperialismus warf seine Schatten voraus. Wenig später trat Eduard Bernstein auf den Plan und bekannte nun, die "Bewegung" sei alles, das "Endziel" bedeute ihm nichts. Die Opportunisten waren bestrebt, sich bei der Aushöhlung des Marxismus als dessen Anhänger auszugeben; es gehe ihnen lediglich darum, "Überspitzungen zu revidieren". Opportunismus auf dem Felde der Theorie heißt seitdem "Revisionismus". Lenin und Rosa Luxemburg, anfangs auch noch Kautsky, sind zu Beginn des 20. Jahrhunderts dem Revisionismus entschieden entgegengetreten.

Doch der Vormarsch des Opportunismus führte schließlich zum Zusammenbruch der Internationale und spaltete die Arbeiterbewegung in Revolutionäre auf der einen und Sozialreformisten auf der anderen Seite. Lenin deckte mit seiner Imperialismustheorie den gesetzmäßigen Zusammenhang von Imperialismus und Opportunismus auf. Opportunismus ist eine Strömung der Arbeiterbewegung, welche die Einflußnahme der Bourgeoisie auf die Arbeiterklasse widerspiegelt. Er leugnet die Notwendigkeit des Klassenkampfes, der revolutionären Beseitigung kapitalistischer Macht- und Eigentumsverhältnisse, der Errichtung der politischen Macht der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten unter Führung kommunistischer Parteien. Der Imperialismus, schrieb Lenin, "brachte eine ganze opportunistische Richtung hervor, die sich auf eine bestimmte soziale Schicht innerhalb der modernen Demokratie stützt, eine Schicht, die mit der Bourgeoisie ihrer eigenen nationalen 'Farbe' durch zahllose Fäden gemeinsamer ökonomischer, sozialer und politischer Interessen verbunden ist - ... die jedem Gedanken an 'Störungen der schrittweisen Entwicklung' direkt, offen, völlig bewußt und systematisch feindselig gegenübersteht. ... Die grundlegende Idee des Opportunismus ist das Bündnis oder die Annäherung ... zwischen der Bourgeoisie und ihrem Antipoden." (LW, 21/142 f.) Hinzu kommt: "Ohne Wahlen geht es in unserem Zeitalter nicht; ohne die Massen kommt man nicht aus, die Massen aber können im Zeitalter des Buchdrucks und des Parlamentarismus nicht geführt werden ohne ein weitverzweigtes System von Schmeichelei, Lüge, Gaunerei, das mit populären Modeschlagwörtern jongliert, den Arbeitern alles mögliche, beliebige Reformen und beliebige Wohltaten verspricht - wenn diese nur auf den revolutionären Kampf für den Sturz der Bourgeoisie verzichten." (LW, 23/114 f.) Verheerende Waffen gegen den Internationalismus sind heute die Massenmedien. Täglich wird vermittelt: Selbst qualifizierte Arbeiter z. B. in Indien sind materiell schlechter gestellt als ein Arbeitsloser in Deutschland. Auch er habe also "etwas zu verlieren".

Prof. Dr. Götz Dieckmann

Raute

Wie berufsmäßige Verleumder den DDR-Strafvollzug anzuschwärzen suchen

Lügen haben kurze Beine

TABULARASA, die "Kulturzeitung aus Mitteldeutschland", brachte einen Artikel von Jörg Bernhard Bilke "'Die Volkspolizei' und die DDR-Zuchthäuser - Dieter Winderlichs 'humaner Strafvollzug'". Dort las ich: "Dieter Winderlich war begeisterter 'Volkspolizist' der ersten Stunde und eingefleischter Marxist-Leninist. Beide Überzeugungen vertritt der ehemalige Generalmajor und, nach Karl Maron und Friedrich Dickel, letzte Anführer der 'Deutschen Volkspolizei' noch heute."

Leider war es mir, wegen der späten Geburt, nicht vergönnt, zu den Volkspolizisten der ersten Stunde zu gehören. Meist freut man sich über ein Lob. Es spornt an. Auf das Lob des Herrn B. verzichte ich indes gerne. Ich lege keinen Wert auf die Meinung eines Menschen, der seit über 14 Jahren für die faschistoide "Junge Freiheit" schreibt.

Bemerkenswert ist, daß Herr Bilke immerhin den RF liest. Er versucht, meinen Artikel zum 45. Jahrestag der Deutschen Volkspolizei und den Beitrag "Was geschah in Hoheneck?" zu widerlegen.

Im Material über Hoheneck habe ich zur Verpflegung und Versorgung in den Einrichtungen aus dem Buch einer politischen Gefangenen, der Erfurterin Gabriele Stötzer, zitiert. Deren sachliche und objektive Schilderung kann Herr B. nicht so einfach ignorieren. So greift er zu einer Falschaussage. "Es mag sein, daß es im letzten DDR-Jahr, als der Untergang des Sozialismus absehbar war, solche Dinge gegeben hat", schreibt er.

Worin besteht die Fälschung? Herr B. verschiebt die Haftzeit von Gabriele Stötzer, die 1977/78 in Hoheneck arretiert war, einfach um 10 Jahre auf die Endphase der DDR. Und schon stürzen sich in den verschiedensten Internetforen deren Gegner auf diese Falschaussage und debattieren stundenlang darüber, daß es eine solche Versorgung, wie sie Gabriele Stötzer beschreibt, in den Jahren vor 1988 nicht gegeben habe.

Herr Hofmann von der "SuperIllu" wußte folgendes zu berichten: "Der ursprüngliche Verpflegungssatz der Häftlinge wurde zwar Anfang Dezember 1989 von 1,10 DDR-Mark auf 3,50 und ab 4. Juli auf 4 DM erhöht, aber das reichte noch längst nicht aus, um eine menschenwürdige Verpflegung zu gewährleisten."

Auch hier wird eine Lüge bemüht. Tatsache ist, daß sich die Grundnorm bereits seit 1979 auf 2,40 Mark der DDR belief. Es gab indes unterschiedliche Verpflegungssätzen, so für nicht arbeitende Inhaftierte (Grundnorm), für arbeitende Inhaftierte, für schwerstarbeitende Inhaftierte, für Inhaftierte in medizinischen Einrichtungen des Strafvollzugs und für schwerstkranke Inhaftierte. So betrug die Zulage für Arbeitende 0,45 Mark, für Schwerstarbeitende 1,00 Mark und für Strafgefangene mit konfessionell bedingter Sonderkost 1,20 Mark der DDR. Ein Gefangener, der Schwerstarbeit verrichtete, hatte demnach einen Verpflegungssatz von 3,40 M und ein frommer Moslem oder Jude 3,60 M.

Eine weitere Erhöhung der Verpflegungssätze für Inhaftierte erfolgte im Bereich des MdI zum 1. Januar 1990, im Bereich des MfS bereits 1987.

Um die Verpflegungssätze für Gefangene in der DDR und heute in der BRD nach ihrer Kaufkraft bewerten zu können, fehlen bundesweite Angaben, da es sich hier um eine Ländersache handelt. In Bayern betrug der Verpflegungssatz 2010 z. B. 2,19 €. Verschaffen wir uns einen Überblick, was den Gefangenen dafür verabreicht werden konnte:


DDR 1989
Bayern 2010

Preise in DDR-Mark
Preise in EUR
 500 g Roggenbrot
 100 g Schweinefleisch
 100 g Jagdwurst
  50 g Margarine
 100 g Zucker
 100 g Nährmittel
0,31
0,75
0,68
0,20
0,15
0,15
1,20
0,61
0,60
0,14
0,07
0,09

2,24 Mark
2,71 Euro

Diese Gegenüberstellung geht an den tatsächlichen Verhältnissen etwas vorbei. Ich habe z. B. Butter weggelassen, die in Bayern für Gefangene mit Normalkost nicht vorgesehen ist. Beachtet werden muß auch, daß die eigentliche Kaufkraft beider Verpflegungssätze wesentlich höher ist, da Vollzugseinrichtungen lediglich Großhandelspreise bezahlen, Rabatte erhalten und durch eigene Veredlung Geld sparen.

Bei der Bewertung der Versorgung der Inhaftierten in der DDR muß beachtet werden, daß in der Regel kaum einem Gefangenen durchgehend nur die Grundnorm zustand, da sie ja alle arbeiteten.

Die 1. Durchführungsbestimmung zum Strafvollzugsgesetz der DDR bestimmte in § 54: "(1) Die Gemeinschaftsverpflegung für Strafgefangene besteht aus mindestens drei Mahlzeiten, von denen eine als warme Mahlzeit zu verabreichen ist. (2) Im Drei- und durchgehenden Schichtsystem arbeitende Strafgefangene erhalten während jeder Nachtschicht zusätzlich zu der in Absatz 1 genannten Verpflegung eine warme Mahlzeit. (3) Die außerhalb von Strafvollzugseinrichtungen und Jugendhäusern in Arbeitseinsatzbetrieben oder gleichgestellten Einrichtungen zur Arbeit eingesetzten Strafgefangenen bzw. in der Berufsausbildung befindlichen Jugendlichen erhalten an allen Arbeitstagen Werkküchenessen."

Die Strafvollzugseinrichtungen verabreichten das Essen in einer ordentlichen Qualität. Dies bedeutet allerdings nicht, daß es keine Mängel gegeben hätte. Schließlich bestand das Küchenpersonal aus Gefangenen, die sich zwar sehr bemühten, aber nicht immer die geforderte Qualifikation besaßen. In jeder Einrichtung gab es eine Küchenkommission der Gefangenen, die auf die Gestaltung des Speiseplanes Einfluß nahm. Der medizinische Dienst überprüfte regelmäßig die Einhaltung der Hygienevorschriften. Große Einrichtungen wie Brandenburg u. a. hatten eine eigene Bäckerei, Fleischerei und Gärtnerei. Man kaufte kein Brot, keine Wurst und weniger Gemüse, sparte so Geld für andere Nahrungsmittel. Viele Volkseigene Betriebe, in denen Strafgefangene arbeiteten, boten direkt im Betrieb ein kostenloses Mittagessen, was sie aus dem Sozialfonds finanzierten.

Natürlich gab es auch Versuche, den Strafvollzug mit Manipulationen am Essen und Unterstellungen in Verruf zu bringen. So fand z. B. ein Gefangener in Berlin-Rummelsburg angeblich Rattenfleisch in der Suppe. Eine Probe wurde zur Begutachtung ins Kriminalistische Institut geschickt und entpuppte sich dort als Fleisch vom Rüssel eines Schweines, an dem noch ein paar längere Haare wuchsen. Das Beispiel zeigt, daß jeder Beschwerde nachgegangen wurde.

Generalmajor der VP a. D. Dieter Winderlich

Unser Autor war stellvertretender Innenminister der DDR und letzter Chef der Deutschen Volkspolizei.

Raute

Hochentwickelte Produktivkräfte setzen die Produktionsverhältnisse immer mehr unter Druck

Beißt sich die Katze in den Schwanz?

Die seit 2008 anhaltende Krise verdeutlicht, daß der Kapitalismus trotz einer enormen Entwicklung der Produktivkräfte außerstande ist, die sozialen und ökologischen Probleme der Menschheit im Weltmaßstab zu lösen. Gerade rechtzeitig vor der Ausarbeitung des Programms der Partei Die Linke präsentierten die Professoren Karl Hartmann und Herbert Meißner ein Buch, das die gegenwärtige Lage besser zu verstehen hilft und zu erwartende gesellschaftliche Veränderungen aus marxistischer Sicht analysiert. Es macht den Prozeß der Produktivkraftentwicklung in seinen Hauptbestandteilen und wechselseitigen Zusammenhängen deutlich und verweist zugleich auf heranreifende Probleme, soziale und ökologische Möglichkeiten. In der Gegenwart wird die Arbeitsmittelentwicklung vor allem durch mehrere Hochtechnologien wie die Informations- und Kommunikationstechnik, die Biotechnologie, die Optik und Lasertechnik, die Nanotechnologie und Mikrosystemtechnik, die Medizintechnik und die erneuerbaren Energien vorangetrieben.

Die beiden Wissenschaftler verfolgen zwei Anliegen: Erstens weisen sie nach, daß die rasche Entwicklung der Produktivkräfte, ihre gegenwärtige Revolutionierung und künftige Entwicklungstendenzen zur "Gestaltung einer humanen und gerechten Welt" durchaus erforderlich sind und die Beseitigung des Hungers in der Welt, die Schonung von Naturressourcen sowie den Klimaschutz erleichtern. Zweitens liefern sie Beweise dafür, daß die Wirkungen der jeweiligen Produktionsverhältnisse unter allen Einflußfaktoren die entscheidenden sind. Das betrifft nicht nur diese Wechselbeziehungen im kapitalistischen System, sondern bezieht auch Gedanken zur Vorbereitung und Realisierung einer dem Kapitalismus sozial, ökologisch und kulturell überlegenen Ordnung ein. Damit werden zugleich neue Fragen im Sinne einer Weiterführung marxistischen Denkens aufgeworfen und Antworten auf diese gesucht.

Ein besonderes Anliegen des Buches ist es, die neuen Bedingungen der gesellschaftlichen Entwicklung unter dem Aspekt der Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen herauszuarbeiten und auf sich daraus ergebende Zusammenhänge aufmerksam zu machen. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts vollzogen sich tiefgreifende Veränderungen in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen. Dies geschah in Form einer generellen Durchkapitalisierung aller Sphären des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses. Das betraf z. B. die Mikroelektronik, das moderne Informations- und Nachrichtenwesen, die Nahrungsmittelindustrie, die Hotel- und Warenhausketten sowie den Einzelhandel. Neue Märkte und Möglichkeiten zur Profitmaximierung wurden durch umfangreiche Privatisierung bisher gemeinnütziger und kommunalwirtschaftlicher Bereiche geschaffen. Die Einkommens- und Vermögenssituation verschlechterte sich für einen großen Teil der Arbeitenden dramatisch. Das zeigt vor allem Hartz IV. Erhebliche Veränderungen fanden auch im Finanzbereich statt. Die Banken, gemischten Konzerne, Versicherungen, Investmentfonds u. a. sind noch stärker zu den einflußreichsten Gestaltern der Produktionsverhältnisse geworden. Unter den Bedingungen eines als Globalisierung bezeichneten weltumspannenden Prozesses werden sie heute immer mehr von den Aktivitäten der transnationalen Konzernimperien, internationalen Großbanken, Versicherungsgesellschaften und Investmentfonds bestimmt. Multis diktieren überall die Konditionen von Produktion, Handel, Investitionen, Technologien, Transport- und Konsumgewohnheiten, um Extraprofite zu erzielen.

Die Autoren schlußfolgern, daß es der Kapitalismus bei allen Widersprüchen zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen bisher weitgehend vermocht hat, diese den sich verändernden Produktivkräften anzupassen und mit Hilfe eines Vorsprungs von Wissenschaft und Technik in den entwickelten Industrieländern eine bedeutende Steigerung der Arbeitsproduktivität zu erreichen. Dennoch zeigt die anhaltende Wirtschaftskrise, daß die Regelungsmechanismen des Kapitalismus immer mehr unter dem Druck der von ihm selbst erzeugten Produktivkräfte versagen. Die Krise machte keinen Bogen um die hochentwickelten Länder. Der Kapitalismus ist eine Gesellschaftsordnung, die mit ihren Fortschritten auf dem Gebiet der Produktivkräfte ihre eigene Existenz abzusichern versucht, zugleich aber auch wichtige Voraussetzungen für deren historische Ablösung schafft.

Das kapitalistische System ist nicht stabiler geworden. Seine sich in immer neuen Kriegen manifestierende Destruktivität und das gesellschaftliche Chaos nehmen weiter zu. Das Mißtrauen der Menschen in bezug auf bisher für stabil gehaltene Werte und staatliche Institutionen ist auch in den westlichen Industrieländern gewachsen. Breite Bevölkerungsschichten sind in dieser Hinsicht sensibler geworden. Immer häufiger wird nach den Ursachen gefragt und Gegenwehr geleistet. Das offenbarte sich bei Stuttgart 21 wie im Widerstand gegen die Castor-Transporte zur "Entsorgung" von Atomabfällen. Die Entscheidung der Merkel-Regierung, die beschlossene Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke rückgängig zu machen, zeugt ebenfalls von gewachsenem Druck.

Beide Autoren gelangten zu der Überzeugung, daß die weitere Entwicklung der Produktivkräfte letzten Endes zu einer dem Kapitalismus überlegenen Gesellschaftsordnung führen wird. Natürlich vollzieht sich das nicht automatisch oder in kurzer Frist. Karl Hartmann und Herbert Meißner stellen dazu fest: "Soziale Konflikte und der Kampf um Reformen im heutigen Kapitalismus nehmen einen so fundamentalen Charakter an, daß soziale und demokratische Reformen enger mit grundlegenden, strukturellen und antimonopolistischen Umgestaltungen und einer tiefgreifenden Demokratisierung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft verbunden sind. Insofern sind Reformen innerhalb des kapitalistischen Systems kein Gegensatz zu dessen gesetzmäßiger Ablösung, sondern ein Schritt auf dem langen und komplizierten Weg dahin." Das aber erfordert Veränderungen in den Macht- und Eigentumsverhältnissen. Darauf hat auch Oskar Lafontaine in seinem Exklusivbeitrag für den RF Nr. 155 ausdrücklich hingewiesen.

Die wirtschaftliche und politische Machtposition der kapitalistischen Industriestaaten war nicht ohne jahrhundertelange Ausbeutung und Unterdrückung der Völker der dritten Welt zu erreichen. Das betrifft die Aneignung von Rohstoffen und Naturressourcen, die Ausbeutung von Arbeitskräften sowie die diskriminierende Gestaltung der Handelsbeziehungen. Diese Ausbeutung und Unterdrückung trug wesentlich dazu bei, die Machtpositionen in den hochentwickelten Industriestaaten zu stärken. Gleichzeitig entstehen jedoch in diesen Ländern neue Voraussetzungen für fortgeschrittene gesellschaftliche Lösungen in der historischen Perspektive.

Das Buch von Karl Hartmann und Herbert Meißner wird den wissenschaftlichen Meinungsstreit zu der behandelten Thematik wie auch zu aktuellen Fragen fördern und vermag zugleich die Programmvorstellungen der Partei Die Linke theoretisch zu bereichern.

Dr. Werner Liebig / Prof. Dr. Rolf Sieber

Karl Hartmann/Herbert Meißner: "Produktivkräfte
und Produktionsverhältnisse in der Gegenwart.
GNN-Verlag 2010, 236 S., 17 Euro


Zu unseren Autoren: Der Maschinenbauexperte Dr. Werner Liebig war stellvertretender Sekretär des RGW. Prof. Dr. Rolf Sieber vertrat die DDR als deren Botschafter in den USA.

Raute

Wie die BRD die "Eliten" der Nazipartei in ihren Apparat einbaute

Bonn gierte nach faschistischen Beamten

Die Klagelieder von angeblich überraschten Journalisten der bürgerlichen Medien zur Durchdringung des Auswärtigen Amtes der BRD mit hochrangigen Hitler-Faschisten, die nach dem Zweiten Weltkrieg von Ribbentrop einfach in Adenauers Apparat übernommen wurden, traten kurzzeitig wegen der peinlichen Affäre um Kriegsminister zu Guttenberg in den Hintergrund.

Daß auch der Bundesnachrichtendienst (Stichwort: General Gehlen) nicht von Altnazis "verschont" blieb, wurde seitens der DDR bereits vor Jahrzehnten offengelegt. Der "verordnete" Antifaschismus trug offensichtlich Früchte. Das wird - auch im 21. Jahr nach dem Anschluß der DDR an die BRD - selbstverständlich nicht zugegeben.

Ein Blick in das für die alte BRD entworfene Grundgesetz hätte bereits deutlich gemacht, daß ... "die Rechtsverhältnisse ehemaliger Angehöriger des öffentlichen Dienstes", ... die am 8. Mai 1945 in diesem standen, "aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen ausgeschieden sind und bisher nicht ihrer früheren Stellung entsprechend verwendet werden", in einem Gesetz zu regeln sind. (Art. 131) Am 11. Mai 1951 wurde in einem speziellen Gesetz zu diesem Artikel bestimmt, welche Personengruppen unter die Regelung fielen. Mit anderen Worten: Es ging explizit um die Wiederaufnahme faschistischer Beamter in den öffentlichen Dienst der BRD. So wurde z. B. festgeschrieben, daß dort mindestens 20 % NSDAP-Mitglieder einzustellen seien. Ausgeschlossen waren lediglich Gestapo-Leute.

Bereits im Zusammenhang mit der Erarbeitung des GG wurde eindeutig geregelt, welche Beamten in erster Linie dafür in Betracht kamen: Es waren diejenigen, "die infolge Untergangs ihrer Dienststelle im früheren Reichsgebiet ihren Dienstherrn verloren haben. Es fallen weiterhin verdrängte Beamte, also heimatvertriebene Beamte, darunter. Ferner Beamte, die durch Maßnahmen der Besatzungsmacht ihr Amt verloren haben, insbesondere soweit sie parteipolitisch belastet waren, inzwischen denazifiziert wurden und nicht zu der Gruppe der Belasteten oder der Hauptschuldigen gehören, die kraft Gesetzes ihr Amt verloren haben. Es fallen ferner Beamte darunter, die aus der Kriegsgefangenschaft zurückkommen, ihre Stelle besetzt finden, oder für die kein Dienstherr mehr vorhanden ist."

Die Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Erarbeitung des Artikels 131 drehten sich nicht um die Verantwortung der aktiven Faschisten, sondern um finanzielle Belange bzw. um "reine Rechtsstandpunkte".

In der damaligen SBZ galt der Befehl Nr. 201 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) über die Anwendung der Kontrollratsdirektiven 24 und 38 über die Entnazifizierung vom 16. August 1947. Der Befehl hatte u. a. zum Inhalt: Gewährung des aktiven und passiven Wahlrechts für ehemalige NSDAP-Mitglieder, die keine Verbrechen "gegen den Frieden und die Sicherheit anderer Völker oder Verbrechen gegen das deutsche Volk selbst begangen haben".

Die deutschen Verwaltungsorgane und Entnazifizierungskommissionen werden verpflichtet, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, welche die Beschleunigung der Durchführung und den Abschluß der Entnazifizierung in der sowjetischen Besatzungszone entsprechend den Direktiven 24 und 38 des Kontrollrats und dem vorliegenden Befehl sichern: "Die Prüfung der dem Gericht durch die Entnazifizierungskommissionen, Staatsanwaltschaften oder andere entsprechende Organe übergebenen Fälle zur Feststellung der Schuld und zur Bestrafung der Kriegsverbrecher, ehemaligen Nazis, Militaristen, Schieber und Industriellen, welche das Hitlerregime inspirierten und unterstützten, ist von deutschen Gerichten unter Anwendung der in der Direktive Nr. 38 des Kontrollrats vorgesehenen Sanktionen durchzuführen ..."

"Die Verantwortung für die Durchführung des vorliegenden Befehls wie auch für die Durchführung der Direktiven 24 und 38 des Kontrollrats wird den Deutschen Verwaltungen für Inneres und für Justiz und den Länderregierungen der Sowjetischen Besatzungszone übertragen.

Die allgemeine Kontrolle für die Durchführung des vorliegenden Befehls wird den Verwaltungschefs der sowjetischen Militäradministration der Länder auferlegt."

Nominelle Mitglieder der Nazi-Partei wurden demnach bereits seit August 1947 in der SBZ als normale Bürger behandelt. Wie aber verhielt es sich in der gerade erst gegründeten BRD?

Dazu einige Beispiele: Bereits in der 24. Kabinettssitzung am 22. November 1949 erläuterte der Bundesminister der Justiz seine Vorstellungen, den Hohen Kommissaren der Westmächte "eine Weihnachtsamnestie für von Militärgerichten Verurteilte vorzuschlagen".

Konkret ging es um "über 65 Jahre alte Personen; um solche, die bei der Begehung der Tat jünger als 21 Jahre waren; um bis zu 10 Jahren Gefängnisstrafe Verurteilte, nach Verbüßen eines Viertels der Strafe. Die zu der letzten Gruppe gehörigen Personen sind in der Regel nach geltendem deutschen Recht nicht strafwürdig."

Während der 125. Kabinettssitzung am 23. Januar 1951 bzw. der 136. Sitzung am 16. März 1951 wurde über "Ernennungen von Beamten des höheren Dienstes der obersten Bundesbehörden, BMI" bzw. "Prüfung der Ernennungen von Beamten des höheren Dienstes der obersten Bundesbehörden ..." beraten. Sämtliche "Ernennungsvorschläge für Ministerialdirektoren und Ministerialdirigenten als Abteilungsleiter, Personalreferenten und Ministerialbürodirektoren, sofern sie Mitglieder der NSDAP gewesen waren", sollten dem Adenauer-Kabinett "geschlossen vorgelegt werden". Auch hier spielte die Überprüfung eventueller Verbrechen während der Zeit des Faschismus keine Rolle. Der Bundesminister des Innern betonte, daß dieses Prüfungsverfahren "mit der Frage der Entnazifizierung nicht" zusammenhänge. Es ging um eine "gleichmäßige Beurteilung der beamtenrechtlichen Erfordernisse und der personalpolitischen Gesichtspunkte".

RA Dr. Klaus Emmerich, Kassel

Raute

Wie ein "linker" Kommunist des "Radikalismus" wegen zu den Faschisten überlief

Der Fall "Makss Damage"

Nicht ohne Grund bezeichneten sich die Hitlerfaschisten selbst als "Nationalsozialisten". Diese Eigenbezeichnung sollte ihre Verbundenheit mit der Arbeiterklasse vortäuschen. Eine solche Taktik blieb nicht ohne Wirkung, stand doch ein großer Teil der Werktätigen während der Zeit des "tausendjährigen Reiches" hinter den Faschisten. Auch heute kommt es vor, daß Leute aus den eigenen Reihen plötzlich beim Gegner auftauchen. Mitte Februar 2011 verkündete der aus linken Kreisen bekannte Rapper Julian aka "Makss Damage" plötzlich, er sei fortan "National-Sozialist", wobei er seine "volksdeutsche Herkunft" betonte. In einem Interview mit der rechtsradikalen Gruppierung "Medinet West" sagte er sich von seinen alten Liedern los und verkündete seinen "Bruch mit der Arbeiterbewegung".

Wer ist "Makss Damage"?

Als Mitglied der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) tat er sich vor allem durch auffallend scharfe Texte hervor. Mit seinen Alben "Alarmstufe Rot", "Stalins Way" besang er den Klassenkampf auf seine Art. Die Lieder lassen sich neben richtigen Aussagen vor allem als gewaltverherrlichend, sexistisch und homophob beschreiben. Dies wurde toleriert - wobei man beide Augen zudrückte und bemüht war, die Texte als zugespitzt formulierte Polemiken aufzufassen. Spätestens mit seinem letzten Album "MaKssismus 2010" ging der Rapper dann vom Antizionismus zum Antisemitismus über. Mit Sätzen wie "Laßt den Davidstern brennen!" und "Israels Soldaten haben von den SS-Leuten gelernt" war der Bogen überspannt. Die SDAJ distanzierte sich noch rechtzeitig von ihm.

In seinen Liedern findet sich fast nirgendwo eine differenzierte Position, so daß man mit Fug und Recht von "ultraradikalem Kampfgeheul" sprechen kann. "Makss Damage" sah sich als "besonders harten Kommunisten", bereit, bis zum Äußersten zu gehen. Er verherrlichte den individuellen Terror, den Lenin bereits 1920 in seiner Schrift "Der 'linke' Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus" entschieden zurückwies. "Makss Damage" forderte in seinen abenteuerlichen Liedtexten diese kleinbürgerliche Radikalität ein. Er sah die "Lösung" in der "sofortigen Beseitigung der Herrschaft der Bourgeoisie", ungeachtet der Tatsache, daß eine Avantgarde ohne Massenbasis handlungsunfähig ist. Uns geht es natürlich auch um die Überwindung des Kapitalismus, wobei wir im Unterschied zu "Makss Damage" die Notwendigkeit zeitweiliger Kompromisse erkennen und Gewalt niemals als Selbstzweck betrachten. Der "radikale" Weg von "Makss Damage" ähnelte in gewisser Weise dem der Sozialrevolutionäre im zaristischen Rußland. Diese hielten sich nach Lenin "für besonders 'revolutionär' oder 'linksradikal', weil sie für den individuellen Terror, für Attentate waren, was wir Marxisten entschieden ablehnten". (LW 31, 18)

Der ultralinke Radikalismus ist seinem Wesen nach nur ein Reflex auf den Rechtsopportunismus und die Zersplitterung der Arbeiterbewegung, wie sie heute besonders auch in Deutschland besteht. Dort, wo keine massengestützte und schlagkräftige kommunistische Vorhut existiert, entsteht leicht die Tendenz einiger Gruppierungen, sich als besonders "links" zu gerieren, um vor dem Hintergrund eigener Enttäuschung über die zeitweilige Stagnation im Klassenkampf den Eindruck von Schlagkraft zu vermitteln. Es gilt das Motto: Lautes Pfeifen im Wald vertreibt die Wölfe. Doch gerade Kommunisten bedürfen der Fähigkeit zur Geduld. Abwarten zu können, auch in schwierigen Zeiten wie diesen, fällt Revolutionären nicht leicht, aber die ultralinke Alternative führt unweigerlich in die Isolierung und damit zu tatsächlichem Stillstand.

Doch die Gefahr ist weit größer. Neben der drohenden Lähmung besteht bei solchen Gruppierungen stets auch die Möglichkeit eines plötzlichen Gesinnungswandels. Clara Zetkin schrieb in ihrem Aufsatz "Kampf gegen den Faschismus": "Kein Zweifel, daß gerade manche der aktivsten, energischsten, revolutionär gesinnten Proletarier nicht den Weg zu uns gefunden haben oder auf diesem Wege umgekehrt sind, weil wir ihrer Empfindung nach nicht tatkräftig, nicht aggressiv genug aufgetreten sind und weil wir nicht verstanden haben, ihnen genügend klar zum Bewußtsein zu bringen, weshalb wir unter Umständen auch eine gerechtfertigte unfreiwillige Zurückhaltung üben mußten."

Entsprechend verhielt sich "Makss Damage", als er in dem erwähnten Interview die mangelhafte Solidarität bei Demonstrationen der "linken Szene" anprangerte. Er habe dort ein Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl vermißt, auf welches er dann angeblich bei den Faschisten gestoßen sei. Dies sollte uns zu denken geben, denn es sind auch unsere Fehler, welche bisweilen eigene Leute in deren Arme treiben.

Natürlich ist es nicht der Marxismus-Leninismus, den "Makss Damage" einer vernichtenden Kritik unterzogen hat - dazu ist er absolut nicht in der Lage. Er sprach vielmehr von Abneigung gegenüber ehemaligen Genossen, von Mangel an Organisiertheit und fehlender Entschlußkraft. Dabei stellt sich mir die Frage, wie sich "Makss Damage" künftig verhalten wird, um seinen neuen faschistischen Freunden zu imponieren. Die Spirale der Radikalisierung kann auch unter anderen Vorzeichen ins unendliche gesteigert werden. Dem keine Beachtung zu schenken, wäre falsch.

Dreierlei ist festzustellen: Erstens: Zwischen dem ultralinken Rand und den Faschisten gibt es offensichtlich eine Schnittmenge, die solche Übertritte ermöglicht und attraktiv macht. Zweitens: Die innere Solidarität scheint bei uns nicht genügend ausgeprägt zu sein, um zu verhindern, daß einige unserer Leute sogar zu den Faschisten überlaufen. Wir befinden uns derzeit nicht in einer Etappe des revolutionären Aufschwungs, so daß der "richtige Rückzug" zur ideologischen Konsolidierung, von dem Lenin sprach, seine Berechtigung hat. Will man andere führen, muß zunächst im eigenen Lager die Einheit hergestellt werden. Dieser mittelfristige Klärungsprozeß muß zu einer überschaubaren Linie in Theorie und Praxis führen. Drittens: Wir haben "ultralinkem" Radikalismus bisher zu wenig Beachtung geschenkt. Mit dem Kampf gegen Rechtsopportunismus und Revisionismus allein ist es aber nicht getan, denn gerade in schwierigen Zeiten breitet sich eine solche Tendenz besonders schnell aus.

Unsere Aufgabe besteht darin, Schlüsse aus dem Fall "Makss Damage" zu ziehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob er jemals dazu in der Lage gewesen wäre, unsere Weltanschauung wirklich zu erfassen, ob er den Ansprüchen, die an einen Kommunisten gestellt werden, hätte genügen können oder ob er nur ein nach Gewalt strebender Jugendlicher war, für den die Ideologie beliebig austauschbar ist. Wir wissen lediglich, daß er sich in unseren Reihen aufhielt und dem gegnerischen Druck ideologisch nicht gewachsen war. Wir sollten die Schlußfolgerung ziehen, daß der Kampf gegen Rechtsopportunismus und "linken Radikalismus" gleichermaßen entschlossen geführt werden muß.

Der Beitrag, den ich - selbst noch ein sehr junger Kommunist aus dem Westen der BRD - extra für den "RotFuchs" geschrieben habe, soll hierzu einen ersten Denkanstoß liefern. "Denn die ganze Aufgabe der Kommunisten besteht darin, daß sie es verstehen, die Rückständigen zu überzeugen, unter ihnen zu arbeiten, und sich nicht durch ausgeklügelte kindische 'linke' Losungen von ihnen abzusondern." (LW 31, 39)

Marcel Kunzmann, Bermatingen-Achausen

Raute

RF-Extra

Die Macht- und Eigentumsverhältnisse des Kapitalismus in Frage stellen!

Linke Politik heute

Vorbei sind für die Grünen die quälenden Zeiten, als sie noch um den Einzug in die Parlamente zittern mußten und wegen ihrer gesellschaftskritischen und pazifistischen Einstellungen den Haß der Etablierten aus Politik, Wirtschaft und Medien zu spüren bekamen. Gesellschaftskritik und Pazifismus gehören bei ihnen längst der Vergangenheit an. Heute sind sogar kriegerische Interventionen und Völkerrechtsbruch mit ihnen möglich, solange Geld und Posten winken. Nicht nur ihre aggressive Forderung nach deutscher Unterstützung des Libyen-Krieges macht deutlich: Die Grünen sind keine friedenspolitische Alternative zu den Konservativen und Wirtschaftsliberalen. Und wer Militäreinsätze und Luftangriffe fordert, kann nicht mehr ernsthaft für sich in Anspruch nehmen, Umweltschutzpartei zu sein. Krieg ist eine der schlimmsten Formen der Umweltzerstörung. Dennoch geben die Mainstream-Medien den Grünen das verlogene Image einer Partei, die für Menschenrechte, Frieden und ökologische Vernunft stünde. Bei den jüngsten Landtagswahlen konnten sie eindrucksvolle Wahlsiege feiern. Die Grünen sind - ähnlich wie die FDP vor zwei Jahren - im Aufwind. Und sie können sich auch für die Zukunft medialer Unterstützung sicher sein, denn sie haben sich im modernen Kapitalismus plüschig eingerichtet.

Reaktionen auf den Programmentwurf

Das Establishment muß die Grünen sicher nicht mehr fürchten, um so mehr aber eine Partei, die sich vorgenommen hat, linken Idealen treu zu bleiben und nicht so zu werden wie "jene Parteien, die sich devot den Wünschen der Wirtschaftsmächtigen unterwerfen und gerade deshalb kaum noch voneinander unterscheidbar sind". Das verspricht der Programmentwurf der LINKEN. Keine andere der im Bundestag vertretenen Parteien wird von der politischen Konkurrenz und den Massenmedien ähnlich abwertend und ausgrenzend behandelt. Die Welle der heftigen Angriffe hat auch nicht vor dem Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm Halt gemacht. Dieser betreibe eine "rigide Sozialdemagogie" und einen "populistischen Pseudopazifismus", schäumten einflußreiche Meinungsmacher. Besonders wütend griffen führende Sozialdemokraten den Programmentwurf an. Die Generalsekretärin und Vertreterin der SPD-"Linken", Andrea Nahles, sah darin "DDR-Nostalgie" und "kleinbürgerliche Allmachtsphantasien" aufleben und meinte: "Wer den Austritt der Bundesrepublik aus der NATO fordert, kann für die SPD kein Bündnispartner sein." Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, bescheinigte dem Entwurf "neokommunistische Grundzüge" und stellte klar: "Wenn das Programm so kommt, dann wird es auf sehr lange Sicht keine Zusammenarbeit der SPD mit der Linkspartei auf Bundesebene geben können."

Die Ansage von Oppermann und Nahles formuliert der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel als Auftrag an die "Reformer" in der LINKEN: Diese "müssen endlich mal kämpfen um ihre Partei! Ob sie sich durchsetzen, werden wir erst wissen, wenn Die Linke ihr Grundsatzprogramm beschließt." Soweit die SPD-Prominenz. Auch in den Reihen der LINKEN hat der Programmentwurf manch harsche Reaktion erfahren. So wurde kritisiert, dieser male eine "Horrorwelt", welche von einigen hundert Unternehmen und Individuen beherrscht werde und sich am Abgrund befände. Vertreter des "Forums Demokratischer Sozialismus" attestieren dem Kapitalismus sogar "potentielle Friedensfähigkeit" und halten es für falsch, jeden Militäreinsatz der Bundeswehr und NATO abzulehnen.

Kapitalismus darf nicht verharmlost werden!

Bei der Basis der LINKEN hingegen erfährt der Programmentwurf in seiner grundsätzlichen Ausrichtung - anders als von den meisten Medien immer wieder dargestellt - prinzipiell Zustimmung. Davon zeugen nicht zuletzt die zahlreichen positiven Stellungnahmen. Sicher gibt es noch Verbesserungs- und Ergänzungsbedarf. Viele Beiträge und Zuschriften aus der Parteibasis liegen vor, die genau das erreichen wollen. Der gegenwärtige Kapitalismus etwa ist in Wirklichkeit noch verkommener als im Entwurf beschrieben. Über 100.000 Menschen verhungern jeden Tag auf dieser Welt oder sterben qualvoll an Hungerfolgen. Rund eine Milliarde Menschen ist chronisch unterernährt. Mehr als 100 Millionen Menschen wurden allein aufgrund des schweren weltweiten Finanzcrashs in die Armut gedrängt. Hunger und Elend in der "Dritten Welt", Atomlobbyismus, Libyen-Krieg, brutale Kürzungspakete zu Lasten der Bevölkerung in den europäischen Staaten wie auch in den USA und vieles mehr belegen die zerstörerische Kraft und Verkommenheit eines Systems, in welchem der Profit das Maß aller Dinge ist. Wer die vielen Grausamkeiten und das Elend auf der Erde beschreibt, malt ganz bestimmt keine "Horrorwelt". Er spricht nur aus, was für Millionen Menschen bittere Wirklichkeit ist. Wer verändern will, muß aber sagen, was ist und was man tun kann, statt Schönfärberei zu betreiben. Dies schließt ein, mit dem Mythos des "friedensfähigen Kapitalismus" aufzuräumen. Nicht zuletzt die Kriege des Westens gegen Irak, Jugoslawien, Afghanistan und nun Libyen und die erneut gestiegenen Rüstungsausgaben bestätigen die kriegerische Tendenz, die dem Kapitalismus innewohnt. Über 1,6 Billionen Dollar wurden 2010 weltweit für Rüstungsausgaben verpulvert - ein neues Rekordhoch. Führend sind dabei die USA. Dem Kapitalismus Friedensfähigkeit zu unterstellen wäre ähnlich absurd wie der Gedanke, daß ihn sein Profitstreben dazu befähige, dauerhaft für hohe Löhne und gute Arbeitsbedingungen, sichere Renten und kostenlose Gesundheitsbetreuung zu sorgen. Soziale, friedenspolitische und ökologische Zugeständnisse - letzteres hat nicht zuletzt der heftige Streit mit den Atomlobbyisten gezeigt - müssen vielmehr gegen den Widerstand der Kapitalmächtigen erstritten werden. Frieden ist möglich, aber in Auseinandersetzung mit der bestehenden Ordnung, keineswegs indem man sich mit und in ihr einrichtet. Solange privatkapitalistisches Eigentum die Wirtschaft maßgeblich bestimmt, entscheiden eben nicht gesellschaftliche und menschliche Bedürfnisse nach sozialer Sicherheit, Solidarität und Frieden, sondern allein die erwartete Rendite. Und die spielt letztlich auch beim NATO-Krieg gegen Libyen eine Rolle.

Establishment fürchtet eine einflußreiche Linke

Natürlich geht es dem Establishment und der SPD-Spitze weder darum, den Kapitalismus so zu zeichnen, wie er wirklich ist, noch wollen sie eine Verständigung über inhaltliche Zukunftsfragen im Interesse der Bevölkerung. Sie gehen vielmehr auf Distanz zu den antikapitalistischen, sozialen und friedenspolitischen Grundaussagen des Programmentwurfs der LINKEN. Nicht zuwenig Systemkritik, sondern zuviel Antikapitalismus stört sie. Nicht zuwenig Friedenspolitik, sondern die unmißverständliche Absage an jedwede Militäreinsätze geht ihnen gegen den Strich. Ihre massiven Angriffe bezwecken daher nichts anderes als die Beerdigung der Kerninhalte des Programms. Da aber für sie immer klarer wird, daß es in der LINKEN keine Mehrheit für eine Verwässerung des politischen Profils gibt, brechen die Mainstream-Medien eine Personaldebatte vom Zaun. Daß von ihrer Seite versucht wird, die Parteiführung der LINKEN zu demontieren, ist nicht neu. Von ihnen kann man nichts anderes erwarten. Problematisch ist allerdings, daß bekannte Funktionsträger aus den eigenen Reihen sich an dieser Demontage beteiligen.

Die Motive für die Angriffe der politischen Gegner liegen auf der Hand. Die Machthaber fürchten eine LINKE, die der Sehnsucht der Bevölkerung nach Frieden, Solidarität und sozialer Gerechtigkeit eine laute, unüberhörbare Stimme gibt. Und vor allem fürchten sie eine stärker werdende linke Partei, die Multimillionäre nicht länger mästen will und ein ökonomisches System in Frage stellt, welches Reiche reicher und die Mehrheit der Bevölkerung ärmer macht. Angst vor einer starken LINKEN hat insbesondere auch die Sozialdemokratie, an deren Spitze nach wie vor Leute stehen, die für die rücksichtslose Durchsetzung des größten Sozialraubs der deutschen Nachkriegsgeschichte verantwortlich waren. Leute, die weiterhin für NATO-Hörigkeit, militärische Gewalt und immer noch - auch wenn dies in den Medien oftmals unterschlagen wird - zum Kern der neoliberalen Agenda-2010-Politik stehen: Hartz IV, rüdem Lohndumping und massiven Rentenkürzungen. Nichts erachtet die SPD-Spitze offenbar so sehr als Gefahr wie eine starke linke Kraft, die sie mit konsequenten Forderungen vor sich hertreibt und möglicherweise zu Kurskorrekturen drängt. Ihre Absicht, daß DIE LINKE sich selbst schwächt oder gar überflüssig macht, indem sie ihr Profil verwässert, ist erklärbar. Allerdings wäre diese schlecht beraten, wenn sie ausgerechnet einem Kurs folgen würde, der bereits der SPD einen massiven Mitgliederschwund und politischen Niedergang beschert hat. Auch nach den enttäuschenden Wahlergebnissen bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gibt es für die LINKE keinen Grund, die eigenen sozialen und friedenspolitischen Positionen unscharf zu machen, um dadurch leichter mit Grünen und Sozialdemokraten koalieren zu können. Vielmehr sollte es darum gehen, daß sie ihren politischen Kurs selbstbewußter und offensiver vertritt. Die LINKE muß sich zudem stärker mit dem "Ökokapitalismus" der Grünen auseinandersetzen.

500 Konzerne bestimmen die Weltpolitik

Etwa 500 Wirtschaftsriesen beherrschen heute ungefähr die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung. Die Politik bestimmt schon lange nicht mehr die Rahmenbedingungen für die Unternehmen, sondern die Konzerne selbst sind es, die der Politik den von ihnen gewünschten Rahmen aufnötigen, um das für sie renditeträchtige Umfeld zu schaffen. Illusorisch ist es daher auch, unter den heutigen Voraussetzungen immer noch daran festzuhalten, nur durch ein paar Gesetze ließen sich etwa die Energiekonzerne E.ON und RWE zu Vorkämpfern einer Solarrevolution oder die privaten Großbanken zu Freunden von Kleinsparern und großzügigen Kreditgebern für Hartz-IV-Betroffene machen. Natürlich spricht nichts dagegen, sich für Regelwerke einzusetzen, welche die soziale Lebenslage der Mehrheit verbessern oder die Finanzmärkte regulieren helfen. Forderungen nach Besteuerung von Finanztransaktionen und Kapitaleinkommen, Verbot von Hedgefonds, Private-Equity-Gesellschaften und riskanten Finanzinstrumenten, Schließung von Steueroasen und weitere Regulierungsmaßnahmen bleiben zweifellos richtig. Sie reichen allerdings nicht aus, um die Geld-Industrie unter demokratische Kontrolle zu bringen und künftige Finanzcrashs zu verhindern. Man darf eben nicht in den Aberglauben verfallen, nur durch ein paar bessere Regeln könne man dem Kapitalismus eine komplett andere Entwicklungsrichtung aufnötigen. Denn bei jedem neuen Regelwerk setzen die Zentralen der Konzerne alle Hebel in Bewegung, um Tricks und Hintertürchen zu finden, wie man diese unterlaufen könnte. Riesige Kanzleien und Unternehmensberater wie McKinsey oder Freshfields Bruckhaus Deringer und weitere Beraterstäbe stehen dafür zur Verfügung. Immer stärker nehmen die Kapitalmächtigen auf direktem Wege Einfluß auf politische Weichenstellungen. Im Lobbydschungel um Brüssel drängen rund 15.000 Lobbyisten die Institutionen der Europäischen Union zu Optionen, welche mächtige Konzerne und Banken begünstigen. Die Bürokratenclique in den EU-Gremien gewährt den Lobbyisten leichteren Zugang zu Entscheidungsprozessen und weitere Privilegien, von denen Vertreter sozialer und ökologischer Bewegungen nur träumen dürfen. So wird die ohnehin schon arg gebeutelte "Parlamentsdemokratie" durch den massiven Einfluß der Kapitalmächtigen und deren Lobbygruppen noch weiter untergraben.

Erpressungspotential der Finanzhaie überwinden

Wie gefährlich die Macht der Banken ist, zeigt sich auch bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise. Hunderte Milliarden Euro werden für Bankenrettungspakete verschleudert. Aber nicht den Verursachern der Krise, sondern der Bevölkerung bürdet man die immensen Kosten auf. Das renditegetriebene Geschäftsgebaren der Privatbanken aber bleibt im Grunde unangetastet, die Spekulation darf weiterhin blühen - zunehmend auch auf den Rohstoffmärkten. Die mächtigen Finanzinstitute haben sich in den entscheidenden Fragen durchgesetzt. Geschafft haben sie das nicht zuletzt mit der Androhung des totalen Zusammenbruchs der Wirtschaft. Das Erpressungspotential der Finanzhaie sowie der enorme Einfluß der Konzerne und Wirtschaftsmächtigen auf die Politik ist nur durch eine Neuordnung der Eigentumsverhältnisse zu überwinden. Linke Politik heute bedeutet deshalb vor allem, die kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnisse in Frage zu stellen - insbesondere dort, wo Unternehmen so viel Potenz entwickeln, um damit jede grundlegende Veränderung zu blockieren, die ihren Interessen widerspricht. Wer aber den Menschen einredet, fundamentale ökonomische und soziale Umwälzungen ließen sich auch auf leichtere Art durchsetzen, der macht ihnen etwas vor.

Sahra Wagenknecht


Die Autorin dieses exklusiv für den "RotFuchs" geschriebenen Beitrags ist stellvertretende Vorsitzende der Partei Die Linke.

Raute

Vor 70 Jahren begann die 900tägige Hungerblockade Leningrads

Der tödliche Ring

Die "Informationspflicht" der Medien ist natürlich selektiv. Es gibt Themen, bei denen sie sich dumpf bis bedeckt halten. Nehmen wir nur das grausige Kapitel der Hungerblockade von Leningrad 1941 bis 1944, die man nur schwer den "Greueltaten des Kommunismus" zuordnen kann. Es wird auch zum 70. Jahrestag des Würgegriffs vermutlich kein "ZDF-spezial" geben, denn da hatten ja nur die "Ruthenen" (ein faschistischer Spezialbegriff für "Russen") leiden müssen.

Nach drei Monaten Vormarsch rückten die deutsch-faschistischen Vandalen in die Zarenschlösser von Pawlowo, in das Katharinapalais von Puschkino und in Peterhof ein, wo sie gleich kräftig ausräumten. Die Herren Ritterkreuzträger entdeckten sich plötzlich als "Kenner", ja als "Liebhaber" und bedienten sich mit Gold, Schmuck, Edelsteinen, Gobelins und Kristallvasen, mit Gemälden und Miniaturen, bevor Luftmarschall Göring selbst zugriff. Der vor dem Schloß stehende goldene Samson - das Symbol des Sieges Peters I. über die Schweden - wurde kurzerhand eingeschmolzen.

Auf den Pulkowo-Höhen, neben der bekannten Sternwarte und unmittelbar vor Leningrad, brachte die Wehrmacht ihre Geschütze in Stellung, um am 8. September 1941 den tödlichen Ring des Hungers endgültig zu schließen. Die Stadt war weder auf einen Krieg noch auf eine Belagerung vorbereitet. Sie verfügte nur über dürftige Lebensmittelvorräte. Die Badajew-Lagerhäuser, wo die bescheidenen Reserven lagerten, wurden schon in den ersten Wochen mit Brandbomben belegt, so daß sich in der ganzen Stadt der Geruch einer süßlichen Mischung aus brennendem Zucker und ätzendem Mehlrauch verbreitete. Der Hunger begann bereits im November. Der besonders strenge Winter 1941/42 stand noch bevor. Schon anfangs starben täglich etwa dreitausend Menschen, an einzelnen Tagen waren es sogar 20.000 - bei 125 Gramm Brot für die überwiegend nichtarbeitende Bevölkerung. Die gesamte Industrie, außer Betrieben, die unmittelbar für die Front arbeiteten und z. B. Panzer oder andere Militärfahrzeuge reparierten, war stillgelegt worden. Die Arbeitenden erhielten das Doppelte der Mindestration, also 250 Gramm Brot, ebenfalls zum Daseinserhalt zu wenig. Weitere Nahrungsmittel gab es nicht. Die wenigen Bäckereien waren auf die Versorgung über den "Weg des Lebens", d. h. über den zugefrorenen Ladogasee, angewiesen.

Schon beim Anstehen nach der kargen Ration fielen immer wieder Menschen plötzlich tot um. Die Leichen wurden zügig abtransportiert, Abteilungen freiwilliger Komsomolzen sorgten (bei der genannten Brotration) für die Bestattung. Sie erfolgte meist in Massengräbern bei der stadtnahen Siedlung "Piskarjow". Hier entstand in den Nachkriegsjahren der bekannte Piskarjow-Memorial-Friedhof mit einer mächtigen Statue "Mutter Heimat" und der in den Granit gemeißelten Mahnung der Dichterin Olga Fjodorowna Bergholz, welche die Stadt wie Dmitrii Schostakowitsch und andere prominente Kulturschaffende nicht verlassen hatte: "Hier liegen Leningrader, Einwohner der Stadt, Männer, Frauen und Kinder, neben ihnen Rotarmisten. Mit ihrem Leben haben sie dich, die Wiege der Revolution, verteidigt. Ihre edlen Namen können wir hier nicht aufzählen, so viele liegen unter dem Schutz des Granits, aber sei dessen gewiß: Nichts ist vergessen, niemand ist vergessen."

Eine zügige Bestattung der Toten war nötig, um Seuchen zu vermeiden. Deshalb befanden sich die gesundheits-hygienischen Dienste unermüdlich im Einsatz. Lenigrad blieb während der 900tägigen Blockade seuchenfrei. Tiere, die Infektionen hätten übertragen können, bis hin zu Ratten, gab es ja nicht mehr, weder Hunde noch Katzen. Alles war aufgegessen worden.

Die Journaille will heute natürlich davon gehört haben, daß auch Kannibalismus festgestellt worden sei. Sie "vermutet" ihn aber nicht, um die furchtbare Lage der Menschen zu verstehen, sondern um "die Russen" noch nachträglich in die Nähe von Menschenfressern zu bringen. Ja, es gab Kannibalismus - im gesamten Stadtgebiet wurden während der Blockade etwa 600 Gerichtsverfahren deswegen eingeleitet. Die Menschen wurden nicht erschlagen, um sie zu verzehren, sondern steif gefrorenen Toten entnahm man Weichteile, um vielleicht doch noch ein paar Tage länger überleben zu können.

Der eiserne Wille der Leningrader, die Stadt um keinen Preis den deutschen Faschisten auszuliefern, war einhellig und ist später durch aufgefundene sowjetische und deutsche Geheimberichte bestätigt worden. Der Sieg der Unbewaffneten wurde gegen Hunger, Bombardierung und Artilleriebeschuß, gegen "Tiger" und "Ferdinand" errungen. Auf dem Newski-Prospekt wird bis heute eine Inschrift behütet: "Wegen des Artilleriebeschusses benutzen Sie besser die andere Straßenseite." Da Leningrad "lediglich" belagert, aber nicht umkämpft wurde, blieb der Stadt die Totalvernichtung, wie sie Smolensk und Minsk erlebten, erspart. Die Schäden hielten sich in Grenzen. Etwa 3000 zivile Gebäude wurden beschädigt oder zerstört. Die Perlen, so die Admiralität, die Isaak-Kathedrale oder das Winterpalais/Eremitage, blieben weitgehend verschont.

"Radio Leningrad" schweißte die Bevölkerung der Newa-Metropole täglich fester zusammen, stärkte ihren Willen, in der Stadt auszuharren. Der Sender war eine einzigartige Station, die während der ganzen Blockade ihren Betrieb niemals unterbrach. Sie wurde über verkabelte Lautsprecher - die privaten Empfangsgeräte hatte man 1941 eingesammelt - empfangen. Deren Stimme war in den Wohnungen, Heimen, Bunkern und auf den Straßen allgegenwärtig. Übertragen wurde Agitprop. Schließlich war Krieg. Dennoch bot man den darbenden Menschen über die Nachrichten hinaus manche Abwechslung. "Radio Leningrad" berichtete z. B. über kulturelles Leben in der umzingelten Stadt. Das gab es tatsächlich. So komponierte Dmitrij Schostakowitsch im Hungerring seine berühmte "Leningrader Symphonie", die eine öffentliche Aufführung durch das geschwächte Leningrader Symphonieorchester erlebte.

Gesendet wurde nicht nur in Russisch, sondern auch in Fremdsprachen, darunter Deutsch, Estnisch und Finnisch. Den Sender speiste man täglich in das Radio-Netz der Union ein, so daß er auch im "Reich" gehört werden konnte. Da die Sprecher ständig Listen mit den Namen neu in sowjetische Gefangenschaft geratener deutscher Militärs verlasen, weckte das bei den Angehörigen vorsichtiges Interesse.

Uns war es vergönnt, mit Überlebenden der Blockade zu sprechen und dabei außergewöhnliche Erkenntnisse zu gewinnen. "Wissen Sie, Walter, es ist mir fast unmöglich zu rekapitulieren, was wir eigentlich gegessen, wovon wir gelebt haben", sagte Tatjana Milowanowa. "Ich habe darüber nie nachgedacht. Sie sind überhaupt der erste, mit dem ich über diese Jahre spreche." So tief war die Traumatisierung. Marina Kustowa berichtete, daß sich die Komsomolzen bei Fliegeralarm nicht in die Keller verzogen hätten, sondern auf die Dachböden gestiegen seien, um Brandbomben sofort begegnen zu können.

Eines der tragischsten Kapitel dieser Hungerblockade bestand darin, daß schon bald nach der Schließung des Ringes die Trinkwasserversorgung versiegte. Außerdem konnten die Wohnungen nicht mehr beheizt werden. Viele Fensterscheiben waren durch die Bombardements zerborsten, in den Wohnungen herrschten fast Außentemperaturen. Die Menschen verbrachten ihre Zeit im Liegen, inmitten von Halbdunkel und Kälte.

Ein wenig Wasser mußte dennoch herbeigeschafft werden. So zog die ganze Stadt an die winterliche Newa, um sich aus riesigen Eislöchern zu versorgen. Das Wasser war genießbar, da es keine funktionierende Kanalisation und praktisch keine industriellen Abwässer mehr gab. Zunächst mußte man aufpassen, nicht selbst in das Eisloch zu rutschen. Wenn man endlich den Eimer herausgehievt hatte, ging es die zugeschneiten und vereisten Treppen hinauf auf die Straße, welche natürlich nicht geräumt war. So pilgerten täglich Tausende und Abertausende mit kleinen Schlitten über drei, vier und mehr Kilometer an den Leben spendenden Fluß.

Das eigentliche Martyrium begann aber erst am Hausaufgang, da das kostbare Naß meist einige Stockwerke hochgeschleppt werden mußte. Im Treppenhaus herrschten Außentemperaturen. Jeder verschüttete Tropfen gefror sofort zu Eis. Im Laufe der Wochen wurde die Treppe, selbst bei größter Vorsicht, zu einer gefährlichen Schlitterbahn, die es mit letzten Kräften zu überwinden galt.

Völlig erschöpft sanken die Wasserträger, die so für ihre Familien gesorgt hatten, auf irgendeine Couch, während sich zur gleichen Zeit die faschistischen Belagerer in den Zarenschlössern vor Leningrad lümmelten, um genau nach Plan die Stadt mit ihren todbringenden Granaten zu belegen.

Vom ersten Tag der Blockade an galt die besondere Fürsorge der sowjetischen Verwaltungsorgane den hilflosen alten Menschen, Müttern und Kindern. Als die Belagerung nach einigen Monaten zum Alltag geworden war, unternahmen sie Schritte zur Evakuierung dieser besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen. Sie erfolgte im Herbst mit Booten, später dann über das Eis des Ladogasees.

Wenn die wackligen Laster sich endlich auf diesem befanden, kreisten die faschistischen Bomber schon wie Aasgeier in der Luft, denn auch Frauen und Kinder betrachteten sie als "Ziele". Dabei mußten sie die LKW gar nicht direkt treffen. Es genügte, das Eis im Umkreis zu bombardieren, damit die Fahrzeuge mit Mann und Maus in den eisigen Fluten versanken. Die voranfahrenden wie die nachfolgenden Lastwagenfahrer sahen im Halbdunkel eine Tragödie, die ihnen selbst jede Minute drohen konnte. Natürlich waren Flak-Scheinwerfer der Roten Armee eingeschaltet, selbstverständlich wurde auf die Angreifer geschossen. Die sehr schnellen Maschinen der Faschisten wichen dem Feuer jedoch aus. Unzählige Leningrader versanken im Glauben an ihre unmittelbar bevorstehende Rettung. Auf dem gegenüberliegenden Festlandsufer waren jene, welche es erreichten, damit endlich geborgen. Den entkräfteten "Passagieren" halfen viele Hände von den Ladeflächen der LKW. Anschließend wurden sie entlaust und gewaschen. Man behandelte Krätze und Wunden, hüllte die in Sicherheit Gebrachten in warme Decken ein. Sie bekamen heißen Tee, sogar mit Zucker, vorsichtig etwas Eßbares, woran die ausgemergelten Körper erst behutsam wieder gewöhnt werden mußten. Nach einigen Tagen der Ruhe wurden die Geretteten tief ins Hinterland, zur Rückkehr ins Leben, gebracht.

Viele Leningrader Kinder kamen nach Iwanowo - eine Stadt mit langer, auch internationalistischer Tradition - in eine solche Betreuung. Bei den dort Eintreffenden handelte es sich vorwiegend um Waisenkinder, deren Verwandte an Hunger gestorben waren. Man gliederte sie in ein gut funktionierendes Schulsystem ein, so daß viele von ihnen später das Studium aufnehmen konnten. Die Kindereinrichtungen von Iwanowo ersetzten so auf Dauer Eltern und Heimat. Diese Leningrader wurden dann Geologen, Piloten oder Lehrer.

Die "Endlösung" der faschistischen Aggressoren sah vor, die Bevölkerung in der Stadt an der Newa durch Seuchen auszurotten. Die Freiwilligenabteilungen der Jugend konnten das durch ihren heldenhaften Einsatz verhindern. Hitler hatte seiner Wehrmacht befohlen, selbst nicht in die dahinsiechende Stadt einzurücken, die ihnen früher oder später kampflos in die Hände fallen würde. Andere Ausrottungspläne sahen vor, Leningrad kurzerhand zu fluten und die Menschen zu ertränken. Das war ein Teil der angestrebten Totalvernichtung slawischer "Untermenschen". Die sowjetische Führung drehte den Spieß aber um, indem sie den ursprünglich von ihr abgelehnten Panslawismus in Europa und den USA wiederbelebte, was private Spenden in erheblichem Umfang einbrachte.

Im Januar 1944 stießen die Belorussische, die Baltische, die Leningrader und die Wolchow-Front der Roten Armee auf den Todesring vor, um ihn am 27. September endgültig zu sprengen. So gewann die Stadt ihre lebendige Verbindung mit der Heimat zurück, während die Eindringlinge - wie bereits seit Stalingrad - einen nicht mehr zum Halten kommenden Rückzug antraten.

Am Ende der zum Leningrader Flughafen führenden Moskauer Chaussee steht ein imposantes Denkmal mit einem gigantischen Ring, der einen Spalt aufweist. Es symbolisiert den auch an der Leningrader Front errungenen Sieg über die faschistischen Barbaren.

Heute wird uns St. Petersburg - besonders von der florierenden Tourismusbranche - als "moderne" Stadt angepriesen. Sofort nach dem Abzug der Belagerer hatten die Einwohner damit begonnen, ihre demolierte Stadt und die Zarenschlösser in der Umgebung, zum Teil mit bloßen Händen, wieder aufzubauen. Die Partei- und Sowjetorgane unterstützten dieses Bestreben nach Kräften. Unverzüglich wurden aus der kämpfenden Truppe Restauratoren und sonstige Fachleute abgezogen. Mit Herzblut setzte man Stein auf Stein. Die Schlösser erstanden in alter Pracht, der goldene Samson steht wieder in Peterhof, und aus dem Nichts wurde das geraubte Bernsteinzimmer neu erschaffen.

Heute haben an der Newa wie in zaristischen Zeiten Oligarchen das Sagen. Sie feiern ihre prunkvollen Hochzeiten und Jubiläen im Katharinapalais. St. Petersburg - in unseren Gedanken nach wie vor Leningrad - ist tief zerrissen. Einerseits lebt dort die Stammbevölkerung, darunter auch noch Menschen, die den ersten Schutt beseitigt haben, andererseits herrschen "veränderte Besitzverhältnisse", unter denen alles käuflich erworben werden kann - selbst Filetstücke am Newski-Prospekt. Erst unlängst mit Mühe restaurierte Gebäude haben Casinos, Luxushotels, Kaufhäusern und Spielsalons weichen müssen. Eine zahlungskräftige Lobby - mit milliardenschweren Baulöwen an der Spitze und durch eine korrupte Stadtverwaltung beschirmt - sorgt dafür, daß jeglicher Widerstand gegen solche "Modernisierung" der mit Lenins Namen verbundenen Stadt abgewürgt wird.

Walter Ruge


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Diese Skulpturengruppe erinnert an Leid und Größe der Opfer der Hungerblockade.

Ende RF-Extra

Raute

Griechenlands Nikos Belojannis konnte trotz weltweiter Solidarität nicht gerettet werden

Der Mann mit der Nelke

Vor 60 Jahren, in der Nacht vom 29. zum 30. März 1952, wurde der griechische Kommunist und Patriot Nikos Belojannis zusammen mit drei anderen Mitstreitern in Athen hingerichtet. Er wurde zum Opfer eines Justizmordes. Wer war dieser Mann, der noch heute in seinem Heimatland als Nationalheld verehrt wird?

Nikos Belojannis wurde 1915 in Amaliás auf dem Peloponnes geboren. Er wuchs in einfachen Verhältnissen auf, zeichnete sich aber schon als Kind durch großen Wissensdurst aus. Sehr früh erkannte er die Nöte der griechischen Arbeiter und Bauern und kam mit den Lehren des Marxismus-Leninismus in Berührung. Als 17jähriger trat er dem Kommunistischen Jugendverband und mit 18 der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) bei. Sehr bald erwarb er sich als Organisator und Agitator die Bewunderung seiner Genossen, lenkte aber zugleich den Haß der Feinde auf sich. In den 30er Jahren wurde er unter dem Metaxas-Regime inhaftiert. Als Nikos Belojannis 1943 fliehen konnte, war Griechenland längst von den deutschen Faschisten besetzt.

Schon 1942 entstand aus dem Zusammenschluß verschiedener Partisanenverbände die Griechische Volksbefreiungsarmee ELAS als militärischer Arm der Nationalen Befreiungsfront EAM. Ihre Schläge gegen die deutschen Okkupanten waren so erfolgreich, daß bis Mitte 1943 fast ein Drittel des griechischen Festlandes von diesen geräumt werden mußte. Im Frühjahr 1944 kontrollierte die ELAS sogar bereits zwei Drittel des nationalen Territoriums. Bis zum Herbst 1944 verdrängte sie schließlich die deutschen Besatzer endgültig nach Norden.

Diese Erfolge riefen in Washington und London durchaus keine Freude hervor. Man hatte nämlich bemerkt, daß die KKE innerhalb der EAM großes Ansehen genoß und erheblichen Einfluß besaß. So fürchtete man, den strategisch wichtigen Balkan als Einflußgebiet an die Kommunisten zu verlieren.

Am 4. Oktober landeten britische Truppen im bereits von der ELAS befreiten Griechenland. Eiligst wurden vor den Faschisten ins Ausland geflüchtete bürgerliche Politiker wieder nach Athen zurückbeordert und in einer "Regierung der Nationalen Einheit" unter britischer Aufsicht zusammengefaßt. Die ELAS sollte entwaffnet werden, während man Kollaborateure der Faschisten schonte. Die politische Rechte unter Konstantinos Tsaldaris übernahm die Macht, errichtete ein Schreckensregiment und verfolgte gnadenlos ehemalige ELAS-Kämpfer. Der Bürgerkrieg entbrannte.

Nach seiner Flucht hatte sich auch Belojannis 1943 der ELAS angeschlossen. Drei Jahre später wurde er Politoffizier der Demokratischen Armee Griechenlands. 1949 griffen die USA, die einen Sieg der Linkskräfte befürchteten, in den griechischen Bürgerkrieg ein. Sie lösten die Briten als eigentliche Herren über Griechenland ab und entschieden den Kampf zugunsten der monarcho-faschistischen Kräfte. Hellas wurde in die globale Strategie der USA gegen die UdSSR und die Volksdemokratien einbezogen.

Nikos Belojannis, der in das ZK der seit 1947 verbotenen KKE gewählt worden war, ging nun abermals in die Illegalität. Am 20. Dezember 1950 wurde er verhaftet und monatelang durch US-Verhörexperten und einen Mann mit Gestapo-Erfahrung brutal gefoltert. Sogar ein Elektroschockgerät gelangte dabei zum Einsatz. Während etliche Gefangene ermordet wurden, wandte man gegen andere die denkbar grausamsten Methoden wie Stromschläge, das Ausrenken von Gliedmaßen, anhaltenden Schlafentzug, Dunkelhaft und Lichtfolter an. Wer denkt da nicht an Guantánamo oder Abu Ghraib?

Vor allem auf Betreiben des US-Botschafters John Peurifoy, eines fanatischen Antikommunisten, wurde am 19. Oktober 1951 vor einem Militärgericht der Prozeß gegen Belojannis und 95 Mitangeklagte eröffnet. Die Anklage lautete auf "Organisierung staatsfeindlicher Umtriebe". Das Urteil stand schon vorher fest. Beobachter aus Großbritannien und Frankreich entlarvten das aus fünf hohen Offizieren bestehende Tribunal als Farce. Unter den "Richtern" befand sich auch der spätere Anführer der faschistischen Junta der "Schwarzen Obristen" Georgios Papadopoulos.

Nikos Belojannis erschien vor Gericht stets mit einer Nelke, was durch Pablo Picasso in einer Skizze festgehalten wurde. Er trat selbstbewußt vor seine Richter und entlarvte in seiner Verteidigungsrede deren Heuchelei.

Erwartungsgemäß wurden Nikos Belojannis und mehrere seiner Genossen im November 1951 zum Tode verurteilt. Ein weltweiter Proteststurm brach los. Botschafter Peurifoy drängte auf baldige Vollstreckung. Im Februar 1952 wurde dann noch ein zweiter Prozeß nachgeschoben, in dem Belojannis und seine Mitstreiter des "Geheimnisverrats an fremde Mächte" - gemeint war die UdSSR - bezichtigt wurden. Wieder handelte es sich um eine Farce. Der angebliche Funker, der die Geheimnisse verraten haben sollte, entpuppte sich als Analphabet und war zum vermeintlichen Tatzeitpunkt überdies längst in Haft. Entlastungszeugen hinderte man gewaltsam am Erscheinen vor Gericht. Die preisgegebenen "Geheimnisse" waren so geheim, daß sie aus jeder Tageszeitung hätten entnommen werden können. Die Belastungszeugen erwiesen sich als frühere Nazikollaborateure. Dennoch beantragte der Staatsanwalt gegen den "Mann mit der Nelke" und elf seiner Genossen abermals die Todesstrafe, die auch verhängt wurde.

Wieder erhob sich internationaler Protest. Da Athen unter Druck geraten war, mahnte US-Botschafter Peurifoy abermals zur Eile. Er wollte um jeden Preis den Tod der verurteilten Kommunisten.

In der Nacht zum 30. März 1952 wurde das Urteil vollstreckt. Nikos Belojannis rief: "Es lebe die KKE!"

Die DDR erinnerte durch ein von René Graetz geschaffenes Denkmal auf dem Gelände der einstigen Hochschule für Ökonomie "Bruno Leuschner" in Berlin-Karlshorst an den aufrechten Patrioten und Internationalisten. Es blieb bislang wie durch ein Wunder von der Denkmalstürmerei der sich als Sieger der Geschichte wähnenden neuen und alten Herren verschont.

Ulrich Guhl, Berlin


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Partisanendenkmal bei Karakolithos

Raute

Herr und Hund: Merkel und Sarkozy führen Schwächere an der Leine

Auch wenn die Medien den Eindruck erwecken wollen, Deutschland bringe selbstlos Opfer, um in Bedrängnis geratenen EU-Ländern aus der Klemme zu helfen, ist das Gegenteil der Fall. Die BRD zieht aus der Notlage anderer enorme Gewinne - sowohl ökonomisch als auch politisch. Natürlich ist hier nicht die deutsche Bevölkerung gemeint. Der finanzielle Gewinn kommt einzig und allein den Banken und Großunternehmen zugute. Mit einem Anteil von zwei Dritteln ist die EU nämlich der bei weitem größte Absatzmarkt für "Finanzprodukte" der Bundesrepublik. Der Kollaps der Staatshaushalte in Griechenland, Irland und Portugal ist nicht nur eine unmittelbare Folge der aggressiven BRD-Außenwirtschaftspolitik, sondern für deren Macher geradezu ein Geschenk des Himmels.

Mit ihrer durch Niedriglöhne angetriebenen Exportmaschine wurden die Volkswirtschaften schwächerer Länder brutal niedergewalzt. Der BRD-Überschuß in der Handelsbilanz beträgt allein im EU-Raum nicht weniger als 97 Mrd. Euro.

Die Verschuldung gegenüber der Deutschen Bank beläuft sich z. B. in Griechenland auf 47 Mrd. Dollar, in Portugal auf 47 Mrd. Dollar, in Spanien auf 240 Mrd. Dollar und in Irland auf 184 Mrd. Dollar. Die Defizite wurden durch steigende Staatsverschuldung - im Falle Griechenlands - und spekulative "Blasenbildung" auf dem Immobilienmarkt - in Spanien und Irland - "ausgeglichen". So ist nicht nur das Außenhandelsdefizit dieser Länder für die Misere ihrer Staatsfinanzen ursächlich, sondern auch die Fehlspekulationen der Banken, deren Verluste durch den Staat übernommen wurden, stehen hier zu Buche.

Die Schulden Irlands entstanden vor allem durch die Rettung der dortigen Geldinstitute und letztlich der europäischen Großbanken. Der Staat übernahm rund 90 Mrd. an "faulen" Krediten. Die vergleichsweise zwergenhaften irischen Banken hatten vor allem bei britischen und deutschen Bankriesen wie der Deutschen Bank, der Commerzbank und der berüchtigten Hypo Real Estate Kredite aufgenommen, um den Bau von Bürohäusern, Luxusappartements und Eigenheimsiedlungen finanzieren zu können. Insgesamt handelt es sich um 1,9 Millionen Immobilien, die als Geisterstädte voller Eigenheime und Appartements ungenutzt leerstehen und ständig an Wert verlieren. Aus der EU-Operation zur "Rettung" Irlands ziehen die BRD-Banken gleich doppelten Gewinn: Sie müssen ihre in den Wind gesetzten Kredite nicht abschreiben und können überdies unter abgesicherten Konditionen an Irland und andere EU-Staaten weiter Geld verleihen.

Da es sich um derzeit maßlos geschwächte Länder handelt, verlangen die Verleiher höhere Zinsen. Um den Gewinn der Banken aber noch zu steigern, verweigern sich BRD-Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy dem Vorschlag, gemeinsame Kredite mit einem einheitlichen Zinsniveau für Staatsanleihen an Euro-Länder zu vergeben.

Das kann sich ändern, wenn dafür von den ins Schlingern geratenen "Partnern" der politische Preis vollständiger Aufgabe der nationalen Entscheidungskompetenz gezahlt wird. Griechenland und Irland haben ihre Souveränität in dieser Hinsicht schon eingebüßt. Der als angebliche Hilfe gepriesene "Rettungsschirm" der EU und des Internationalen Währungsfonds hat die Durchsetzung einer Politik des sozialen Kahlschlags zur Vorbedingung. Den betroffenen Ländern wurde bis ins letzte Detail vorgegeben, wie sie ihre Haushalts-, Arbeitsmarkt-, Sozial- und Rentenpolitik auszurichten haben. Selbst über den Ausbau von Infrastrukturmaßnahmen bestimmen nun Brüssel, Berlin und Paris mit. Ein solches Diktat wollen sie auch für andere EU-Länder festschreiben.

Vor jeder Hilfszusage soll fortan das Verlangen geltend gemacht werden, das Renteneintrittsalter auf bundesdeutsches oder zumindest französisches Niveau anzuheben, die Absenkung der Lohnquote nach BRD-Vorbild und der Sozialleistungen im Sinne von Hartz IV vorzunehmen. In der EU sollen künftig, was finanzielle Macht betrifft, nur noch die BRD und Frankreich das Sagen haben.

Mit einer solchen Politik wird nicht die Krise bekämpft, sondern eine Vermögensumverteilung zugunsten der Besitzenden im europäischen Maßstab vorgenommen. Das führt unvermeidlicherweise zu neuen ökonomischen und sozialen Verwerfungen. Griechenland verzeichnet bereits einen Rückgang seiner Wirtschaftskraft um 4,5 % und einen drastischen Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Knapp anderthalb Jahre nach dem Inkrafttreten der Lissabonner Verträge wird offensichtlich, wer in Europa die Vorherrschaft ausübt.

Horst Neumann, Bad Kleinen

Raute

Solidarisch mit Tschechiens Kommunisten

Es ist seit Jahren Teil einer langfristigen Strategie der rechtskonservativen Kräfte Tschechiens, Mittel und Wege zu suchen, um die KP Böhmens und Mährens (KSCM) nicht nur zu diffamieren und zu isolieren, sondern auch ihr Verbot zu erreichen.

Stets stand sie verläßlich zu ihren Wahlprogrammen, war in keinerlei Skandale verwickelt und setzte sich mit Sachkompetenz für soziale Gerechtigkeit ein, was ihr erhebliches Ansehen bei der Bevölkerung verschaffte.

Seit zwei Jahrzehnten wird von den Medien nichts unversucht gelassen, die Kommunisten auszugrenzen und zu isolieren. Abgesehen vom KSCM-Blatt "Halo noviny" sind sämtliche Tageszeitungen in der Hand westdeutscher und Schweizer Konzerne. Antikommunistische Propaganda gehört da zum ständigen Repertoire. Rundfunk und Fernsehen, von denen die KSCM nicht ganz ausgeblendet werden kann, sitzen als Fallensteller auf der Lauer, wenn sie Kommunisten in politischen Magazinsendungen gelegentlich das Wort erteilen.

Bei Parlaments- und Kommunalwahlen erhält die KSCM - regional unterschiedlich - zwischen 13 und 18 % der Stimmen. Seit zwei Legislaturperioden zählt die kommunistische Parlamentsfraktion 26 Abgeordnete. Die Partei hat einen festen Platz im politischen Spektrum der tschechischen Gesellschaft erobern und behaupten können.

Als Pilotprojekt zur Verdrängung der Kommunisten aus dem öffentlichen Leben der Tschechischen Republik galt der gescheiterte Verbotsprozeß gegen den Kommunistischen Jugendverband. Seit Jahren arbeitet nun eine Kommission unter Leitung des hysterisch anti-kommunistischen Senators Stetina an der Sammlung von "Argumenten" zum Beweis der vermeintlichen Verfassungsfeindlichkeit der KSCM. Die seit September 2010 am Ruder befindliche rechtskonservative Regierungskoalition hat durchblicken lassen, daß sie jegliche Möglichkeiten zum Verbot der Kommunisten auszuschöpfen entschlossen ist.

Das ZK der KSCM ist sich der akuter werdenden Gefahr bewußt und hat auf seiner jüngsten Tagung im März erstmals um internationale Unterstützung für ihr legales politisches Wirken gebeten. Es war zu erfahren, daß ebenso wie kommunistische Parteien und andere fortschrittliche Organisationen vieler Länder auch die Vorsitzenden der Partei Die Linke den tschechischen Kommunisten in dieser Sache ihre Solidarität versichert haben.

Klaus Kukuk, Berlin

Raute

Wie sich die Sozialistische Volkspartei und Fidel Castros "M-26-7" zusammenrauften

Kuba: Revolutionäre und Rebellen

Auf der diesjährigen Buchmesse von Havanna - einem wahren Großereignis - hat der in Santiago de Cuba angesiedelte Verlag Oriente den letzten Band einer Trilogie von Angelina Rojas zur Geschichte der ersten Partei der kubanischen Kommunisten vorgestellt. Er berührt ein heißes Thema, das nicht nur unter Kubas Revolutionären lebhafte Diskussionen ausgelöst hat: das Verhältnis zwischen Fidel Castros Rebellen und der seinerzeitigen Sozialistischen Volkspartei (Partido Socialista Popular - PSP). Die Erörterung dieser Frage ist auch deshalb von besonderem Interesse, weil zahlreiche PSP-Mitglieder nach dem Triumph der Revolution im politischen Leben Kubas eine bedeutende Rolle gespielt haben. Diese wird - je nach Standort des Betrachters - durchaus unterschiedlich bewertet. Während die einen den Anteil der Kommunisten am revolutionären Sieg zu übertreiben geneigt sind, suchen ihn andere bewußt herunterzuspielen. Einige Gegner Fidels haben überdies beharrlich versucht, dem Führer der kubanischen Revolution zu unterstellen, er sei schon lange vor dem Einmarsch des Rebellenheeres in Havanna ein "verdecktes Mitglied der PSP" gewesen. Angelina Rojas, die am Institut für Geschichte Kubas der hauptstädtischen Universität forscht, gebührt das Verdienst, bislang wenig bekannte Geschehnisse und Zusammenhänge beleuchtet zu haben. Der dritte Band ihres voluminösen Werkes wurde übrigens allen Delegierten des 6. Parteitags der KP Kubas (PCC), der im April in Havanna stattfand, als Geschenk überreicht.

Während die ersten beiden Bände die Anfänge der kommunistischen Bewegung Kubas in den 20er Jahren bis zum Coup des Diktators Fulgencio Batista im März 1952 darstellen, beschäftigt sich Band 3 mit der Reaktion der PSP auf diesen Putsch und ihrer Rolle während des sich anschließenden Kampfes, der schließlich im Sieg der von Fidel Castro geführten Barbudos gipfelte. Das überaus spannende Geschehen wird - gestützt auf solide Recherchen, umfangreiche Archivforschungen und die Aussagen zahlreicher Zeitzeugen - detailliert dargestellt, wobei die Beziehungen zwischen der PSP und Castros Bewegung des 26. Juli (M-26-7) im Mittelpunkt stehen.

Nach seinem Putsch bewegte sich Batista anfangs noch vorsichtig, was der Opposition - darunter auch den Kommunisten - einen gewissen Handlungsspielraum ließ. Unter diesen Bedingungen wandte sich die PSP entschieden gegen die Taktik des bewaffneten Kampfes. Sie stellte dem, was sie als individuellen Terror und Putschismus ansah, ihre Akzentsetzung auf massengestützte Aktionen entgegen. Als Fidel und seine Freunde dann am 26. Juli 1953 ihren legendären Sturm auf die Moncada-Kaserne unternahmen, verurteilte die PSP diese Attacke als pseudolinkes Abenteurertum. Während sich der Überfall in Santiago de Cuba im nachhinein auszahlte, mußte er in der konkreten Situation jener Zeit tatsächlich als sinnloses Unterfangen erscheinen.

Zwischen 1953 und der Rückkehr Fidels mit der berühmten "Granma" (Ende 1956) konzentrierte sich die PSP auf die Formierung von Kadern einer nun illegalen Organisation unter den Bedingungen der sich rabiat verschärfenden Repression Batistas. Diese Haltung erfuhr nach dem Beginn des Guerillakampfes in der Sierra Maestra eine Modifizierung. Kubas Kommunisten, die nach wie vor für Massenaktionen plädierten, wurden - nicht anders als Castros Rebellen aus der inzwischen entstandenen Bewegung M-26-7 - zur Zielscheibe extremer Gewalt, vor allem auch von irregulären Todesschwadronen. Ihr fielen vor allem Arbeiterkader der PSP zum Opfer. Am schärfsten wütete die Diktatur im Osten der Insel, wo sich Castros Rebellenarmee formiert hatte. Zwischen der Provinzorganisation der PSP von Oriente und der Parteizentrale in Havanna gab es in der Frage einer Teilnahme am bewaffneten Kampf Meinungsverschiedenheiten. Besonders Proletarier, die der Partei nahestanden oder angehörten, forderten eine wirksamere Verteidigung ihrer Klasseninteressen. Auf unterer Ebene führte das zu einer Annäherung zwischen Revolutionären und Rebellen. Diese Konvergenz an der Basis wurde von Historikern, die sich auf Divergenzen zwischen den Spitzen konzentriert hatten, oft übersehen. Der Druck aus Oriente führte schließlich dazu, daß beide Organisationen auch im nationalen Maßstab enger zusammenarbeiteten. Die PSP ging zur Unterstützung des bewaffneten Kampfes über.

Im März 1958 ernannte Fidel Castro den Eisenbahner Nico Torres aus Guantánamo zum Verantwortlichen für den Aufbau einer Nationalen Arbeiterfront (FON). Er sollte mit den Kommunisten der PSP über gemeinsame Aktionen beraten. Angesichts von Vorbehalten auf beiden Seiten war das keineswegs leicht. Doch schon fünf Monate später kam es zur Formierung der Vereinten Nationalen Arbeiterfront (FONU) unter Einschluß der Kommunisten. Die FONU organisierte zwei Arbeiterkongresse und entwarf Pläne für einen allgemeinen Streik der Zuckerarbeiter zur Verzögerung des Erntebeginns 1959.

Am Neujahrstag floh Batista. Ein von Millionen befolgter Streik fegte sein Regime innerhalb von Stunden landesweit hinweg, bevor der US-Botschafter seine Eingreifpläne verwirklichen konnte.

Wie ist der kommunistische Beitrag am kubanischen Befreiungsaufstand demnach zu bewerten?

Der Hauptvorwurf, den ihre Gegner der PSP machten, lautet, die Partei sei erst auf den rollenden Zug aufgesprungen, als der Sieg bereits sicher war. Diese Behauptung läßt eine entscheidende Tatsache außer Betracht: Als sich die PSP im März 1958 für die Unterstützung des Guerillakampfes erklärte, war der künftige Triumph der Rebellen noch keineswegs abzusehen. Vor allem ignoriert diese These den fundamentalen Umstand, daß unzählige kubanische Kommunisten im langjährigen illegalen Kampf - nicht zuletzt durch die Verteilung von Millionen Flugblättern und Untergrundzeitungen - jenen Unmut der arbeitenden Massen ganz wesentlich mit erzeugt haben, der in eine neue Qualität umschlug, als die überwiegende Mehrheit der Kubaner Fidels Aufruf zum Generalstreik am 1. Januar 1959 Folge leistete.

Die kühne und kluge Entscheidung der PCC-Führung, das Buch von Angelina Rojas über Kubas erste KP gerade am Vorabend des 6. Parteitages herauszubringen, spricht für sich.

RF, gestützt auf "The Socialist Correspondent", London


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Am 1. Januar 1959 zog das Rebellenheer Fidel Castros nach opferreichem Kampf in Havanna ein.

Raute

Litauens "Musterdemokraten" stehen in den Schuhen ihrer faschistischen Vorgänger

Hitlers baltische Blutsbrüder

Im jungen Sowjetlitauen begann 1940/41 der sozialistische Aufbau - verglichen mit Estland und Lettland - reibungsloser, weil hier Kommunisten und andere Linke stärker waren. Der antisowjetische Widerstand konnte sich deshalb erst im Spätherbst 1940 in Gestalt der Litauischen Aktivistenfront (LAF) formieren. Diese orientierte sich an Hitlerdeutschland, zu dem sie über den ehemaligen litauischen Gesandten in Berlin Kontakt aufnahm. Ziel war die modifizierte Wiedererrichtung der 1940 gestürzten ältesten faschistischen Diktatur Osteuropas als mit den Nazis verbündeter unabhängiger Staat. Treibende Kraft waren dabei die Faschisten der verbotenen Nationalisten-Partei. Diesen gelang es, auch Vertreter anderer rechter Gruppierungen und einen Teil der Jugend um sich zu scharen. Unterstützt wurden sie klassenmäßig vor allem von wohlhabenden Bauern, die durch die Bodenreform Land und politischen Einfluß hatten abgeben müssen. Die LAF verlegte sich als "5. Kolonne" der Nazis vor allem auf Spionage, Sabotage und antisowjetische Propaganda. Dieser gegenüber verhielten sich die litauischen Kommunisten lange Zeit recht indifferent. Als LAF-Leute Anhängern der UdSSR offen mit Konsequenzen nach einem erhofften deutschen Einmarsch drohten, die Litauer zunehmend verunsicherten, einige bewaffnete Gruppen aus ehemaligen faschistischen Offizieren bildeten und mit Spionen in das nur aus Litauern bestehende 29. Korps der Roten Armee eindrangen, schlug die Sowjetmacht zurück. Kurz vor dem Überfall auf die UdSSR wurden etwa 27.000 besonders exponierte Vertreter des früheren faschistischen Litauens, die bisher straffrei ausgegangen waren, mit ihren Familien nach Westsibirien und Kasachstan deportiert. Die LAF konnte dadurch zwar geschwächt, aber nicht zerschlagen werden. Eigenen Angaben zufolge soll sie im Juni 1941 samt Helfern über etwa 30.000 Mann verfügt haben.

Einen Tag nach Hitlers Überfall auf die UdSSR rief die LAF zur "bewaffneten Erhebung" gegen die sowjetische Okkupation auf. Damit war sie eindeutig ein Teil der faschistischen Aggression. Bis zu 15.000 bewaffnete Konterrevolutionäre, die man heute aus Irreführungsgründen als Partisanen ausgibt, griffen zurückweichende sowjetische Einheiten und Ziviltransporte an. Die alte Hauptstadt Kaunas eroberten sie noch vor dem Eintreffen der Wehrmacht. Binnen einer Woche war Litauen von den Nazis besetzt. Am 23. Juni wurde eine Provisorische Regierung aus Vertretern der reaktionärsten bürgerlichen Gruppierungen (Christdemokraten und Nationalisten) gebildet. Unter den Ministern befand sich auch der Vater des ersten litauischen Staatspräsidenten nach der Konterrevolution von 1990 Vytautas Landsbergis. Die Sowjetmacht hatte ihm in den 50er Jahren die Rückkehr nach Litauen gestattet. Der alte Landsbergis bestärkte seinen Sohn in dessen antisowjetischen Auffassungen.

Die Provisorische Regierung der Nazikollaborateure setzte sofort alle Gesetze der UdSSR außer Kraft und beschlagnahmte das Eigentum von Juden und Linken. Sie erließ in kurzer Zeit über 100 Dekrete. In einer Begrüßungsdeklaration an die Hitlerfaschisten wurden deren großartige Siege bewundert und den Eindringlingen "Sympathie und Gastfreundschaft" versichert. Unaufgefordert verabschiedete man am 1. August ein antisemitisches Gesetz, das Juden zum Wohnen in Ghettos und zum Tragen gelber Armbinden zwang. Damit hatte sich die litauische Quisling-Regierung als faschistisch klassifiziert.

Die LAF-Leute suchten grausame Rache an Anhängern der UdSSR zu üben. Da sich diese aber zurückgezogen hatten oder bewaffneten Widerstand leisteten, konzentrierte das neue Regime seinen Terror auf Juden als angebliche "Bolschewisten-Freunde". In den ersten Tagen des "Unabhängigkeitsaufstandes" wurden in Kaunas durch LAF-Leute und den weißen Mob über 3500 Juden mit Knüppeln, Eisenstangen und Äxten bestialisch umgebracht. Doch die Nazis verweigerten den Litauern selbst unter diesen Vorzeichen die Unabhängigkeit und lösten die "Regierung" im August auf. An ihrer Stelle etablierten sie einen Generalberater mit dazugehöriger Verwaltungsstruktur. An deren Spitze stand der faschistische General Petras Kubiliunas.

Als einzige Partei ließ man die Nationalisten zu. Die LAF wurde aufgelöst. Etliche ihrer "Kader" nahm man in die der SS unterstellte litauische Geheimpolizei Saguma auf, die den sowjetischen und polnischen Widerstand bekämpfte. Andere gehörten der 10.000 Mann starken Ordnungspolizei und den Polizeibataillonen an. In ihnen diente 1944 auch Litauens heutiger Staatspräsident Valdas Adamkus. Die meisten der 200.000 ermordeten litauischen Juden wurden von diesen Einheiten umgebracht. Sie wüteten übrigens auch in Belorußland. Mehr als 200 Einwohner des Dorfes Chatyn wurden lebendigen Leibes verbrannt. Selbst das antisowjetisch orientierte Litauische Zentrum für Völkermord mußte offiziell zugeben, daß mehr als 20.000 weißrussische Zivilisten durch die Einheit des Polizeimajors Antanas Impulevicius zu Tode kamen. Insgesamt wurden von deutschen und litauischen Faschisten mehr als 700.000 Menschen ermordet. Unter ihnen befanden sich 370.000 Bürger der Litauischen SSR, 229.000 sowjetische Kriegsgefangene sowie etwa 100.000 Bürger weiterer Sowjetrepubliken und anderer europäischer Staaten. Darüber hinaus begingen Einheiten litauischer Faschisten unvorstellbare Greueltaten bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes im Spätsommer 1944.

Die Nazis mißtrauten den Litauern dennoch und brachten ihnen sogar Verachtung entgegen. Hitlers Reichskommissar für Litauen, Theodor von Renteln, bezeichnete sie als "dumm, faul und heuchlerisch". Die litauischen Nazianhänger hingegen wollten einen noch größeren Beitrag an der Seite der deutschen Faschisten leisten. Im Frühjahr 1943 riefen sie zur Schaffung antisowjetischer Militärabteilungen auf. Doch auch ihr Appell zur Formierung einer litauischen SS fand kaum noch Anklang. Daraufhin erlaubten die Hitleristen nach einem erneuten Aufruf von 45 prominenten Kollaborateuren die Aufstellung "Litauischer Sonderverbände zur Partisanenbekämpfung". Unter dem Befehl des faschistischen Generals Povilas Plechavicius traten im Frühling 1943 etwa 20.000 Litauer gegen polnische Partisanen an, die den Befehlen der Londoner Exilregierung folgten. Doch sie wurden von den Polen mehrfach geschlagen, so daß die Nazis ihr Hilfskontingent schließlich auflösten. Sie verzichteten damit auf die Gewinnung von Litauern für den Kampf gegen die herannahende Rote Armee. In wilder Panik flohen 60.000 litauische Faschisten mit den Naziverbänden in westlicher Richtung. 36.000 von ihnen setzten sich später in die USA ab.

Nach der Befreiung wurden viele überführte litauische Nazi-Kollaborateure durch die sowjetische Justiz abgeurteilt. Im Jargon der heutigen Machthaber heißt das natürlich: "Genozid an der litauischen Nation".

Der Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums Ephraim Zuroff bemerkte hierzu: "Die baltischen Staaten reden zwar viel vom Leid ihrer Länder während der Sowjetzeit, doch sie unternehmen nichts, um die Mörder zu bestrafen, die mit den Nazis kooperiert haben. Es gilt heute als politisch unkorrekt und wenig populär, offen einzugestehen, wie viele litauische Bürger an den Massentötungen beteiligt waren."

Dr. Bernhard Majorow

Raute

Wie Konterrevolutionäre und Nationalisten die Sowjetukraine zerstörten

Kiew: Orange war Weiß

In der Ukraine hat sich ein radikaler Wandel vollzogen. Er erfolgte in wilder und krimineller Form. Dabei ging es um die restlose Zerschlagung aller Grundpositionen des Sozialismus und die Wiederherstellung einer bürgerlich-kapitalistischen Ordnung. Das dabei zugrundegelegte Schema glich jenem, welches in sämtlichen Unionsrepubliken der UdSSR und den anderen sozialistischen Ländern Europas verfolgt wurde: antikommunistische Hysterie, Diskreditierung des Sozialismus als System, Liquidierung der Volksmacht, Verächtlichmachung der Planwirtschaft, totale Privatisierung, Allmacht der bürgerlichen Ideologie und Moral.

Doch in der Ukraine war dieser Prozeß einigen Besonderheiten unterworfen: Erstens standen an der Spitze der gegenrevolutionären Kräfte - wie sonst nur in den baltischen Sowjetrepubliken - extreme Nationalisten, die besonders in den Westgebieten um Lwow nach wie vor Regie führen. Sie brachten es zuwege, den Willen führender Funktionäre der Ukrainischen SSR und der KPdSU zu paralysieren. An die Macht gelangt, betätigten sie sich zunächst als systematische Zerstörer der Volkswirtschaft und des sozialen Gefüges der Sowjetukraine, ohne selbst Konstruktives zustande zu bringen.

Zweitens wurde diese "undankbare Arbeit" in der Absicht, dem antisozialistischen Umschwung einen legalen Anstrich zu geben, überwiegend von Renegaten der KP geleistet. Die Ukraine spielte die Rolle einer Vorhut bei der Zerschlagung der UdSSR, nachdem ihre "Eliten" bereits in zwei Jahren der Perestroika Gorbatschows die "Befreiung vom Diktat Moskaus" geübt hatten. Kiew trug maßgeblich zum Scheitern der kurzfristig ins Spiel gebrachten Idee einer "erneuerten Union" bei.

Drittens wagten es die neuen Machthaber zunächst nicht, zu einer "Schocktherapie" wie in Polen und anderswo zu greifen, lehnten aber zugleich einen Weg wie in Belarus, wo die Grundlagen des Sozialismus erhalten blieben, entschieden ab. Die Einführung kapitalistischer Modelle wurde so zum Dauerschock ohne Therapie. Dadurch kam es in der Ukraine zur schlimmsten Krise aller Nachfolgestaaten der UdSSR. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging in zehn Jahren um 59,2 % zurück, die industrielle Produktion sank um 48,9 %, die der Landwirtschaft um 51,5 %. Der Reallohn verringerte sich auf etwas mehr als ein Viertel des früheren Betrages, die Renten sanken auf 25 %.

Viertens herrschte in all den Jahren nach der "Abkoppelung" der Ukraine von der Union ein ständiger Streit unter den ans Ruder Gelangten. Das Ergebnis: Die Regierung mußte in 15 Jahren zwölfmal "erneuert" werden.

Die "orangene Revolution" der Weißen führte nicht zur Wiederherstellung geordneter Verhältnisse. Insbesondere die berüchtigte "Gasprinzessin" Julia Timoschenko - die reichste Frau der Ukraine - setzte alle Hebel in Bewegung, um mit ihrem Anhang noch mehr Einfluß zu gewinnen. Im Ergebnis der kapitalistischen Restauration wurde ein großer Teil der Bevölkerung durch massive antikommunistische Propaganda, die an Gorbatschows Verrat anknüpfte, und den Chauvinismus rechtsnationalistisch-faschistoider Kräfte verdummt und manipuliert. Mit ihrer "Befreiung vom russischen Joch" wollte die kapitalistische Ukraine "in Europa ankommen".

Trotz der enormen Verschlechterung der Lebenslage des überwiegenden Teils der Ukrainer gab es bisher keine Explosion von Massenunzufriedenheit. Die Mehrheit des Volkes ist zum organisierten Kampf für ihre Rechte, die Überwindung des volksfeindlichen Regimes und eine Rückkehr zu sozialistischen Verhältnissen vorerst nicht bereit.

Wie in den anderen früheren Unionsrepubliken mit Ausnahme von Belarus befindet sich auch in der Ukraine der Löwenanteil des Nationalreichtums in den Händen der neuen Bourgeoisie und der Gutsbesitzer. 78,39 % der Betriebe sind Privateigentum. Die Oligarchen führen einen erbitterten Kampf für dessen Umverteilung und die Inbesitznahme des noch nicht Privatisierten, darunter einiger großer Werften und metallurgischer Werke. Hart wird auch um den freien Verkauf von Grund und Boden gestritten. Katastrophal hat sich die Lage auf dem Dorf entwickelt, wo das System sozialer Garantien völlig zerstört wurde. Die Intelligenz, die in den Jahren der Perestroika antikommunistischen Einflüssen besonders zugänglich war und den konterrevolutionären Umsturz weitgehend unterstützte, sieht sich jetzt vor die Folgen der kapitalistischen Restauration gestellt. Hochqualifizierte Fachleute sind zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen. Nach Schätzungen arbeiten fünf bis sieben Millionen Ukrainer im Ausland. Besonders verzweifelt ist die Lage von etwa 15 Millionen Rentnern, die mehrheitlich ein Bettlerleben führen müssen.

Im Bereich des Überbaus wurde die Restaurierung des Kapitalismus primär mit der Vernichtung der Sowjetmacht verbunden. Das Sagen vor Ort haben jetzt vom Präsidenten ernannte Gefolgsleute, die sich auf die Oligarchen und das Militär stützen. Der antisozialistische Umsturz erfolgte unter Parolen wie "Freiheit!", "Demokratie!", "Kampf gegen Totalitarismus!", "Für ideologischen und politischen Pluralismus!" Das wahre Gesicht der "Musterdemokraten", von denen viele noch kurz zuvor geheuchelten Stolz auf ihr Parteidokument bekundet hatten, zeigte sich schon am Beginn der Konterrevolution: Zu den ersten Festlegungen der neuen Machthaber gehörte das Verbot der KP der Ukraine. Es wurde erst nach zehn Jahren für verfassungswidrig erklärt.

Um die Positionen der KPU zu schwächen, werden - besonders vor Wahlen - pseudokommunistische Parteien wie die "KP der Arbeiter und Bauern" und die "KP der Erneuerung" erfunden. Eine äußerst negative Rolle haben die Medien der Bourgeoisie übernommen, die den antikommunistischen Reigen anführen. Nur in der Presse der KP erfährt man zum Beispiel, daß Belarus ökonomisch wieder das Niveau von 1990 überschritten hat und dort Betriebe in Stadt und Land gut arbeiten, wobei alle sozialen Garantien aus Sowjetzeiten erhalten geblieben sind.

Das Fazit: Wie in den anderen früheren Sowjetrepubliken erfolgte in der Ukraine eine Rückwärtsbewegung der Gesellschaft. Man muß sich den Tatsachen stellen, darf aber nicht in Fatalismus verfallen.

RF, gestützt auf die Broschüre von Georgij Krjutschkow, "Über die Ergebnisse der kapitalistischen Restauration in der Ukraine"

Übersetzung und Zusammenfassung: Dr.-Ing. Peter Tichauer

Raute

Keine neuen Akzente nach dem Führungswechsel in der britischen Labour Party?

Es bleibt alles ganz anders

Auf der Jahreskonferenz 2010 der britischen Labour Party in Manchester wurde ein Führungswechsel vollzogen, der - so verkündete man damals vollmundig - neue Akzente setzen werde. Nach 16jähriger Beherrschung der Partei durch "New Labour", wie sich die den rechten Flügel verkörpernde Mannschaft um Tony Blair und dessen Nachfolger Gordon Brown unter Vortäuschung eines angeblich vollzogenen Wandels zum Besseren nannte, ging der 40jährige Ed Miliband mit dem nur äußerst knappen Vorsprung von 1,3 % der Delegiertenstimmen als Sieger aus dem Kampf um den Leader-Posten hervor. Sein älterer Bruder David, der als innerparteilicher Rivale angetreten war, hatte das Nachsehen.

Die rechtsbürgerliche Presse hob unverzüglich den Umstand hervor, daß Ed und David Söhne kommunistischer, atheistischer und jüdischer Eltern seien. Bei seiner Bewerbung um den Spitzenposten der Partei habe Ed die massive Unterstützung des Labour-Gewerkschaftsflügels - der Unions - erhalten. Die Tory-Blätter bedachten den jüngeren Miliband überdies mit einem revolutionären Kampfgeist unterstellenden Spitznamen. Sie nannten ihn "The Red", was so viel wie der Rote heißt, und verlegten sich überdies auf finstere Prognosen von einem nun ins Haus stehenden "Schwenk nach links".

Miliband führte solche Vermutungen sofort ad absurdum. Ohne Zögern lockerte er seine im Wahlkampf nützlichen engen Verbindungen zur Basis der Partei und der Gewerkschaften, ja, er warnte sogar vor "Wellen unverantwortlicher Streiks", für deren Unterstützung er keineswegs zu haben sei. Sich ökonomischen Fragen zuwendend, erklärte er sich für "ein strenges Sparregime" und die weitere Einschränkung öffentlicher Ausgaben. "Es wird zweifellos Einschnitte geben - und sie würden auch erfolgen, wenn wir an der Regierung wären", sagte er unverblümt. "Einige davon dürften recht schmerzhaft sein. Ich werde aber nicht gegen jeden Schritt, den die Koalition (aus konservativen Tories und Liberaldemokraten - d. R.) unternimmt, opponieren. Die Regierung wird manches tun, was wir als Partei nicht mögen, dem wir aber zustimmen werden." Anders ausgedrückt: Auch in London serviert man die übliche rechtssozialdemokratische Brühe.

Positiv war, daß Ed Miliband das "Engagement" von New Labour in Irak als "unrecht" zurückwies, wobei er allerdings nicht so weit ging, den Überfall auf das arabische Land als illegal zu bezeichnen. Besonders aber ist die Haltung des Labour-Leaders in einer anderen Frage von fundamentaler Bedeutung zu verurteilen. Mit den Worten: "Ich unterstütze die Mission in Afghanistan als eine notwendige Antwort an den Terrorismus", übernahm Miliband Auffassungen, wie man sie auch aus dem Munde maßgeblicher SPD-Politiker vernehmen kann. Während er "Fehler bei New Labour" einräumte, pries er zugleich deren Protagonisten Blair und Brown als "mustergültige Parteiführer".

Der langen Rede kurzer Sinn: Die im September 2010 gewählte Labour-Spitze verfolgt unverändert eine Politik, die den Wünschen der Weltbankbosse, des Internationalen Währungsfonds sowie der Mächtigen in der Londoner City und von großen internationalen Geldhäusern als den Hauptkreditgebern des hochverschuldeten britischen Staates maximal entgegenkommt. Zugleich aber vermag Miliband nicht den Eindruck zu erwecken, die britische Sozialdemokratie gedenke unter seiner Führung zum mystischen "Golden Age" - dem goldenen Zeitalter vor der Ära von New Labour - zurückzukehren. Formell ist der Kurs Tony Blairs und Gordon Browns zwar Geschichte, in Wahrheit jedoch bleibt er nach wie vor allgegenwärtig.

Auch in diesem Falle trifft die fundamentale marxistische Erkenntnis zu, daß die herrschende Ideologie immer die Ideologie der politisch und ökonomisch Herrschenden ist. Die Weltanschauung der Bourgeoisie durchdringt bedauerlicherweise auch das Denken der Organisationen jener Klasse, die eigentlich ihr Totengräber sein sollte. Das ist in Großbritannien kaum anders als in der BRD. Reaktionäre Gesetze zur Zügelung der Unions, die 1900 als deren Gründer an der Wiege der Labour Party standen, sind noch heute in Kraft.

Ed und David Miliband wurden zweifellos durch die 16jährige Dominanz von New Labour ganz wesentlich geprägt: Unter Tony Blair siegte die Partei bei drei aufeinanderfolgenden Parlamentswahlen und konnte sich 13 Jahre lang auf solide Mehrheiten im Unterhaus stützen. Das war zugleich eine Periode des triumphierenden Kapitalismus, dessen Ideologie auch die britische Arbeiterbewegung - sieht man von den Kommunisten ab - zu durchdringen vermochte. Unter Blair driftete New Labour so weit nach rechts, daß selbst ein "kräftiger Schwenk nach links" lediglich in die politische Mitte führen würde. Dorthin sucht Milibands "neue Generation von Labour-Führern" offenbar zu gelangen, wobei links blinken und rechts abbiegen - wie anderswo auch - zu ihrer Grundausstattung gehört.

RF, gestützt auf "The Socialist Correspondent", London


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Britische Demonstranten verändern die Buchstabenfolge des Namens Blair in Bliar (Liar = Lügner).

Raute

Beachtenswerte Überlegungen des kurdischen Politikers Abdullah Öcalan

Was kommt nach dem Kapitalismus?

Das im September 2010 in der Mesopotamien Verlags GmbH erschienene Buch von Abdullah Öcalan "Jenseits von Staat, Macht und Gewalt - Verteidigungsschriften" (ISBN 978-94-1012-20-2) vermittelt nicht nur die "Vision einer kommunal organisierten demokratisch-ökologischen Gesellschaft", sondern ist zugleich ein Beitrag zur Diskussion über die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse "nach dem Kapitalismus".

Der Autor läßt sich bei seiner Analyse von der Erkenntnis leiten, daß "ein richtiger Kampf für Demokratie nur mit einem richtigen Verständnis der Geschichte möglich ist". Er verweist darauf, daß das herrschende System durch chaotische Verhältnisse - von der Finanzmisere bis zur Umweltzerstörung - charakterisiert wird. Diese Aussagen präzisiert Öcalans drastische Kapitalismusdefinition. Er spricht von deren Auswirkungen wie Konkurrenz, Profitjagd, Hunger und Rassismus, die von ihm als "Krebsarten des kapitalistischen Systems" beschrieben werden.

Die politische Ordnung, die A. Ö. vorschwebt, ist ihrem Wesen nach eine Art Basisdemokratie oder, besser gesagt, eine Demokratie aller Ebenen (lokal, regional, ethnisch). Das bedeutet gegenüber den heutigen Gegebenheiten eine Umverteilung und Gewichtung der Kompetenzen zugunsten der untergeordneten Gliederungsinstanzen. Das "Gemeinwohl - das gemeinsame Interesse der Gesellschaft bei allen Themen" - müsse im Vordergrund stehen. Es schließt im Gegensatz zu heutigen Verhältnissen auch die Wirtschaft ein. Wirtschaftsdemokratie heißt unmittelbare Beteiligung aller in der Wirtschaft aktiven Menschen am Geschehen (Planung, Organisation, Produktion, Finanzierung, Gewinnverteilung usw.). A. Ö. bezieht hierzu folgende Position: "Die Menschheit kann nicht länger mit dieser Wirtschaftspolitik leben. Hier stehen wir vor der eigentlichen Aufgabe des Sozialismus. Wir können sie definieren als einen langsamen Übergang von der Warengesellschaft zu einer Gesellschaft, die für den Gebrauchswert produziert, von einer profitorientierten Produktion zu einer Produktion, die auf Teilen beruht. Dies ist die Wirtschaftspolitik des Sozialismus." Auch Öcalans Konzeption zur Ökologie erfordert eine sozialistische Wirtschaftsordnung. Er plädiert für den Schutz des kollektiven Eigentums.

Der seit vielen Jahren im NATO-Staat Türkei eingekerkerte und in Isolationshaft gehaltenen Kurdenführer wendet sich auch der Stellung der Frau in der Gesellschaft zu. A. Ö. widmet dieser Frage breiten Raum und tritt entschieden für die Gleichberechtigung und Gleichstellung der Frauen ein. Eine "wahre Demokratie" kommt für ihn um diese Frage nicht herum. Selbst in der BRD mit ihrer vielgepriesenen parlamentarischen Demokratie gibt es in dieser Hinsicht deutliche Defizite. Es sei nur daran erinnert, daß in vielen Bereichen die Löhne der Frauen bei gleicher Leistung nur etwa 80 % von denen der Männer betragen.

Abschließend sei zu den Ausführungen Öcalans über Demokratie vermerkt, daß sich der kurdische Politiker Lenins These zu eigen gemacht hat: "Sozialismus kann man nur mit einem Maximum an Demokratie erreichen." Bleibt festzustellen, daß Demokratisierung mit umfassender Beteiligung des Volkes gleichbedeutend ist und es dazu bestimmter Organisationsformen bedarf. Dafür plädiert Öcalan. Auf oberster Ebene sieht er den Kongreß, auch Volkskongreß, als Grundform an. Daneben ordnet er diesem eine Reihe von Basisorganen zu (Kommunen, Kooperativen, zivilgesellschaftliche Organisationen usw.). So demonstriert sich ihm Demokratie als "Selbstverwaltung des Volkes".

Öcalan entwirft ein kritisch-drastisches Bild vom Staat in der Klassengesellschaft. Er konkretisiert das durch folgende Aussagen: "Staat als Lebensform der unterdrückenden und ausbeutenden Klassen". Eine "Clique" nutzt den Staat "zur Aneignung von Reichtümern im Inneren und von außen". Andererseits "verliert der Staat vollständig die essentielle Funktion für das Gemeinwohl, die einzig sinnvolle Funktion, die er je hatte". Öcalan zitiert Engels, der den bürgerlichen Staat "als kaputtes Werkzeug" bezeichnet, "das auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen ist".

Sich einem anderen Hauptthema zuwendend, schreibt Öcalan: "Die Umwelt funkt ständig SOS." Das seien "Zeichen einer ökologischen Fehlentwicklung - eines der Hauptprobleme unserer Zeit". Die Grenzen der Belastbarkeit seien erreicht. "Das Band zwischen Leben und Natur zerfällt."

Noch einmal sei der Führer der kurdischen Befreiungsbewegung zitiert: "Es wird zur Gewohnheit, Tiere und Pflanzen unkontrolliert auf jede mögliche Weise auszurotten und Boden, Wasser und Luft zu verschmutzen, als sei dies das grundlegendste Recht der menschlichen Gesellschaft." Diese negative Entwicklung sei indes nicht schicksalhaft. Raubbau und Profit gehörten zum Wesen des herrschenden Systems, das damit im Widerspruch zur Natur stehe. Dieser könne nur "durch eine Abkehr vom System überwunden" werden, liest man bei Öcalan.

So weit seine Positionen zu einer sozialistischen Option in der gesellschaftlichen Zukunft. Die Anregungen für die generelle Diskussion sind offensichtlich und können einen wertvollen Beitrag dazu leisten.

Heinz Gliemann, Wismar

Raute

Türkische KP an der Seite der Kurden

Geh zu den Wahlurnen, übe Solidarität mit deinen Klassenbrüdern, mit dem kurdischen Volk, laß das kurdische Volk nicht allein! Du brauchst es, es braucht dich. Nimm am Kampf um die Demokratie teil, der in der Türkei geführt wird. Lehne die bürgerlichen Parteien ab, tritt ihnen entgegen. Gib deine Stimme den unabhängigen Kandidaten der BDP - der Partei des kämpfenden kurdischen Volkes! Deine Stimme wird ein Beitrag zur Erstarkung der Demokratie in der Türkei und eine Unterstützung zur friedlichen Lösung der kurdischen Frage sein.

Das kurdische Volk führt seit 30 Jahren einen harten Kampf für seine nationalen und demokratischen Rechte gegen das rassistische türkische Herrschaftssystem. Dieser Kampf des kurdischen Volkes war niemals gegen das türkische Volk und gegen die demokratischen Kräfte der Türkei gerichtet. Dieser Widerstand des kurdischen Volkes wird gegen eine Handvoll militärischer und ziviler herrschender Kräfte geführt, die seit der Gründung der Republik die Völker der Türkei an die Kette der Ausbeutung, der Unterdrückung, der Grausamkeit gelegt haben.

Die herrschenden Kräfte haben das ganze Volk der Türkei im Namen des Türkentums mit Rassismus, Chauvinismus und Islamismus gefangengenommen. Es sind diese Kräfte, die im täglichen Leben durch verschiedene Methoden versuchen, die Völker der Türkei gegen das kurdische Volk aufzuhetzen, sie einer Gehirnwäsche zu unterziehen und zwischen ihnen Feindschaft zu säen. Schenke diesen Lügen der herrschenden Kreise keinen Glauben, sprenge die Ketten des Jochs, die sie dir angelegt haben. Glaube nicht ihren Lügen und ihrem Geschwätz, daß der Widerstand, den die Kurden seit 30 Jahren leisten, Terrorismus und gegen das türkische Volk gerichtet sei.

Der Wahlerfolg der BDP wird nicht nur ein Erfolg der Kurden, sondern ein Erfolg aller revolutionären und demokratischen Kräfte der ganzen Türkei sein.

Aus dem Aufruf der Kommunistischen Partei der Türkei 1920 zu den Parlamentswahlen am 12. Juni

Raute

Unvergessener Tawfik Toubi

Schon am 12. März ist der palästinensische Kommunist Tawfik Toubi - wie der Jude Meir Vilner einer der historischen Führer der KP Israels - in Haifa gestorben. Er war der letzte überlebende Abgeordnete der ersten Knesset, des israelischen Parlaments.

Der 1922 in Haifa Geborene schloß sich 1941 der Palästinensischen KP an. Später zählte er zu den Gründern der Nationalen Befreiungsliga. Während des ersten Arabisch-Israelischen Krieges verteidigte Toubi die verbliebene palästinensische Bevölkerung gegen zionistischen Terror. 1949 zog er als auf der Liste der KP Israels gewählter Abgeordneter in die Knesset ein. Dieser gehörte er mehr als 40 Jahre ohne Unterbrechung an. Mitglied des Präsidiums des Weltfriedensrates und Generalsekretär der Demokratischen Front für Frieden und Gleichheit (Haddash), kämpfte er in vorderster Front gegen die aggressive Innen- und Außenpolitik Tel Avivs. Seit 1990 war Toubi Chefredakteur von "Al Ittihad", der arabisch-sprachigen Tageszeitung der KP Israels.

RF, gestützt auf "The New Worker", London

Raute

Prof. Bergmanns Schrift zum Nahostkonflikt

Wenn es um den Nahen Osten geht, sind sich Kommunisten, Sozialisten, Linke aller Schattierungen in Deutschland in einem einig: Der Kurs der Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel ist wegen seiner Einäugigkeit abzulehnen. Er trägt in verheerendem Maße dazu bei, den Konflikt zu vertiefen. Geht es jedoch um die Frage, welche Wege zur Bewältigung des arabisch-israelischen Konflikts und zu einer für alle Beteiligten gerechten Lösung beschritten werden müssen, weichen die Ansichten weit von einander ab.

Das ist für Theodor Bergmann, der gerade seinen 95. Geburtstag begehen konnte, Anlaß, sich in einem Essay mit den divergierenden Positionen auseinanderzusetzen und selbst Gedanken für eine mögliche Lösung zu entwerfen.

Der Autor unternimmt es, auf 83 Seiten viele Facetten der über 100jährigen Geschichte des Konflikts um und in Palästina zu untersuchen. Das erfolgt unter besonderer Beachtung der diesbezüglichen Auffassungen in der Arbeiterbewegung und unter den "deutschen Linken".

Sein Büchlein hat der emeritierte Professor für international vergleichende Agrarpolitik der Universität Hohenheim unter den Titel "Der 100jährige Krieg um Israel. Eine internationalistische Position zum Nahostkonflikt" gestellt. Es ist 2011 im VSA Verlag, Hamburg, ISBN 978-389965-460-8, erschienen.

Der historische Überblick bleibt angesichts der Vielzahl und Vielfalt der Probleme auf so geringem Raum zwangsläufig verkürzt. Eine Vollständigkeit und eine umfassende Analyse aller in Betracht kommenden Aspekte kann nicht erwartet werden. Prof. Bergmanns interessanter Vorschlag für eine Konfliktlösung ist ohne Zweifel ernsthaft internationalistisch ausgerichtet und enthält wichtige und realistische Komponenten einer anzustrebenden Bewältigung des Problems.

Sein Ansatz ist bedenkenswert.

Bernd Fischer

Raute

Das Vermächtnis des Alfred Schellenberger

Das Leben und den Kampf von Antifaschisten in der Zeit der Hitler-Diktatur zu dokumentieren hat bis heute nichts an Bedeutung verloren. Authentische Quellen und Überlieferungen, die darüber Auskunft geben können, müssen wie ein Augapfel gehütet werden, sind sie doch unser "Pfand" in der Auseinandersetzung mit Geschichtsverfälschern à la Guido Knopp, deren Sendungsbewußtsein auf das Reinwaschen des Faschismus hinausläuft.

Anneliese Schellenberger fühlt sich dem Vermächtnis ihres Vaters, eines Wiesbadener Kommunisten, verpflichtet. Sie suchte lange nach Menschen, denen sie seinen politischen Nachlaß anvertrauen konnte. In Ulrich Schneider und Horst Gobrecht von der Lagergemeinschaft Buchenwald/Dora e. V. fand sie aufmerksame und interessierte Gesprächspartner, die den großen Wert der Sammlung erkannten. Beide - der eine Historiker, der andere Journalist - ermunterten Anneliese Schellenberger, den Weg ihres Vaters in einer Dokumentation nachzuzeichnen. In akribischer und mühevoller Arbeit gelang es ihnen, dieses Vorhaben zu verwirklichen. Entstanden ist eine geschlossene Biographie, die über ein heroisches Kapitel des Widerstandes gegen die Naziherrschaft Zeugnis ablegt. Dessen Geschichte trägt vor allem auch die "Handschrift" von Kommunisten. In der Weltanschauung und Solidarität seiner Genossen fand der gelernte Maschinenschlosser und Betriebselektriker die Kraft, trotz Verfolgung und des ihn täglich begleitenden Risikos, das eigene Leben zu verlieren, nicht aufzugeben.

Im Kampf gegen Hitler und seinen verbrecherischen Krieg habe er "einen bescheidenen Beitrag geleistet", vermerkt Alfred Schellenberger. Doch wer das Buch liest, begreift: Es war weit mehr.

Schon im März 1933 wurde er in "Schutzhaft" genommen und mußte durch die Hölle der Konzentrationslager - von Esterwegen über Sachsenburg und Lichtenburg bis Buchenwald - gehen. Am 19. April 1939 - dem Vorabend des 50. Geburtstages Hitlers - wurde Alfred Schellenberger entlassen. Er setzte seinen Widerstand in den Reihen des Nationalkomitees "Freies Deutschland" fort. Nach erneuter Verhaftung im Juni 1944 verurteilte ihn der faschistische "Volksgerichtshof" wegen "Vorbereitung zum Hochverrat und Feindbegünstigung" zum Tode.

Als Bomben der Alliierten am 13. Februar 1945 auch das Dresdner Gefängnis, in dem er auf seine Hinrichtung wartete, trafen, gelang ihm die Flucht. Mit der Befreiung vom Faschismus begann für Alfred Schellenberger ein neues Leben. Er nutzte die Zeit, um aktiv am antifaschistisch-demokratischen Aufbau in Leipzig teilzunehmen.

Die Mutter Anneliese Schellenbergers hat über Jahrzehnte alle wichtigen Dokumente gesammelt und vor der Gestapo verborgen, darunter über 50 während der KZ-Haft verfaßte Briefe, die Charlotte Schellenberger und ihr Mann einander schrieben. Auch der Abschiedsbrief nach seiner Verurteilung zum Tode ist erhalten geblieben. Dieser wertvolle Schatz - ergänzt durch Zeitdokumente, Niederschriften und Berichte aus Archiven - bildet den Grundstock des nun vorliegenden 250 Seiten umfassenden Werkes. Mit ihm wird einem unerschrockenen Kämpfer ein Denkmal gesetzt, sein Leben damit dem Vergessen und Verdrängen entrissen.

Bruni Steiniger

Ulrich Schneider/Horst Gobrecht (Hg.):
"... einen bescheidenen Beitrag geleistet". Alfred Schellenberger - antifaschistischer Widerstand
und Briefe aus den Konzentrationslagern Lichtenburg und Buchenwald.
GNN-Verlag, Schkeuditz 2011, 250 Seiten, 16,50 Euro, ISBN 978-3-89819-349-7

Raute

Wie die neuen Geistesriesen das Zinnowitzer Kulturhaus verkommen ließen

Die stille Würde einer Ruine

Im letzten Winter besuchte ich mit einem Freund das Ostseebad Zinnowitz auf Usedom. Ich hatte nach einem Unfall etwas Erholung nötig und freute mich auf die Einsamkeit des im Sommer überlaufenen Urlauberortes. Die für meinen Geschmack etwas zu strahlend und perfekt restaurierten Fassaden der Hotels und Villen aus der Kaiserzeit erfreuten das Auge, andererseits stießen mich die Preise der Restaurants und der meisten Geschäfte ab. Zinnowitz ist eben kein Seebad der Werktätigen mehr, sondern ein luxuriös aufgemotzter Tummelplatz für Betuchtere. Mitten im Ort lenkt ein gewaltiger Bau den Blick auf sich. Er versinnbildlicht das, was Zinnowitz zu DDR-Zeiten war und was aus ihm geworden ist. Es handelt sich um das einstige Kulturhaus.

Nach 1945 wurden die Hotels und Restaurants, in denen bis dahin nur eine dünne Oberschicht Zutritt hatte, Schritt für Schritt dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) und später dem Feriendienst der Sowjetisch-Deutschen Aktien-Gesellschaft Wismut übereignet. Hier sollten sich Kumpel aus den Uranbergwerken im Süden der Republik erholen. Schon 1950 konnte Zinnowitz wieder 20.505 Sommer-Gäste begrüßen.

Doch die Werktätigen sollten auch in kultureller Hinsicht auf ihre Kosten kommen. Im Herbst 1953 begannen die Bauarbeiten am Kulturhaus. Der neoklassizistische Stil jener Jahre stand dabei zur Debatte. Eine monumentale Freitreppe führt zum Pfeilerportikus, der die Eingangstüren mit dem dahinter liegenden Vestibül gestalterisch hervorhebt. Zwei Seitenflügel schließen sich links und rechts an. Die Proportionen sind harmonisch und wurden so gewählt, daß sie den kleinen Badeort trotz aller Monumentalität nicht optisch erschlagen. 1957 weihte man die neue Zinnowitzer Sehenswürdigkeit dann als Kulturhaus der DSF feierlich ein.

Zum Kulturhaus gehörten ein Theater und ein Kinosaal mit 900 Plätzen, ein Speisesaal für 400 Personen, ein Tanzcafé, eine Bibliothek mit Leseräumen und andere Multifunktionseinrichtungen. Durch die Großküche konnten täglich 1000 Urlauber versorgt werden.

Jahrzehntelang war das Zinnowitzer Kulturhaus Usedoms geistig-kulturelles Zentrum. Hier traten Künstler aus aller Welt auf. Im Theatersaal spielte die Mailänder Scala ebenso wie die Grand Opera Paris, gastierten Sänger und Tänzer aus Moskau, das indische Nationalballett und viele andere Ensembles. Es fanden Sport- und Kinderveranstaltungen statt. Täglich standen Tanzabende und Filmvorführungen auf dem Programm. Die Preise waren, wie in der DDR üblich, staatlich gestützt und so für alle erschwinglich.

Nach drei Jahrzehnten intensiver Nutzung wurde ab 1987 eine gründliche Sanierung des Gebäudekomplexes erforderlich. Die Wiedereröffnung war für den Tag des Bergmanns 1992 vorgesehen, der alljährlich am 1. Sonntag im Juli begangen wurde. Die Arbeiten schritten gut voran. Als die DDR dann am 3. Oktober 1990 von der BRD annektiert wurde, war das Kulturhaus bereits so weit rekonstruiert, daß man es schon im darauffolgenden Jahr wieder hätte eröffnen können. Fast alle Einrichtungsgegenstände waren bereits vorhanden. Man hatte moderne Technik installiert, nagelneue Küchen warteten auf den Appetit der Gäste.

Mit dem Ende der DDR wurden die Arbeiten sofort abgebrochen. Da es die Wismut AG als Träger nicht mehr gab, war die Eigentumsfrage nun ungeklärt. Doch die eigentliche Katastrophe sollte für dieses schöne Bauwerk erst noch kommen. "Versehentlich" vergaßen die nun in Zinnowitz politisch den Ton Angebenden, es nach dem Abbruch der Rekonstruktion zu sichern. Binnen kürzester Zeit wurde das Kulturhaus völlig ausgeplündert. Niemand unternahm etwas dagegen.

Heute ist das einst erstrahlende, von Leben erfüllte Gebäude eine Ruine. Im Inneren sind sämtliche Einrichtungen verschwunden. Sogar die Stuckdecken wurden zertrümmert. Schmierereien, auch Hakenkreuze, verunstalten das Bühnenhaus des einstigen Theaters. Die Fenster sind zerbrochen, und die Fußböden bedeckt Unrat. Die historische Inneneinrichtung ist für immer verloren. Dabei steht das Haus unter Denkmalsschutz!

Im Vorjahr fand sich übrigens ein Interessent für das Gebäudeskelett. Ein Luxushotel sollte hier entstehen. Gewiß wäre das Bauwerk dadurch zunächst einmal gerettet worden. Doch wo einst Arbeiter ihren in der DDR selbstverständlichen kulturellen Bedürfnissen nachgingen, sollten nun reiche Nichtstuer residieren. Allerdings kam es nicht dazu, weil der Investor auch das weitläufige Parkgelände haben wollte, welches das Kulturhaus umgibt, um es in einen Stellplatz für die erwarteten Nobelkarossen zu verwandeln.

Es ist gleich, wie die Zukunft dieses bedeutenden Werkes der frühen DDR-Architektur aussehen mag - eines steht unverrückbar fest: Ein Kulturhaus der Werktätigen wird es unter den heutigen Bedingungen nicht, denn Kapitalisten errichten keine Gebäude dieser Art für Arbeiter. Daß aber der Zinnowitzer Bau immerhin dreißig Jahre lang ein Ort kultureller Höhepunkte für Zehntausende einfache Menschen meines Heimatlandes DDR war, ist eine Tatsache, die auch jene nicht auszulöschen vermögen, welche es "versehentlich" zur Ruine verkommen ließen. So strahlt es für mich immer noch mehr Würde und Stolz aus als all die aufpolierten Luxushotels, Nobelrestaurants und Schickimicki-Boutiquen der einstigen "Kaiserbäder".

Ulrich Guhl, Berlin

Raute

Warum sich Marx und Engels zur Darwinschen Theorie bekannten

Grundstein materialistischer Naturwissenschaften

Clemens Dutt schrieb 1959 in der britischen marxistischen Monatsschrift "Labour Monthly", Charles Darwin habe "den Grundstein für eine historisch fundierte, materialistische und moderne Naturwissenschaft gelegt". "The Socialist Correspondent" druckte diesen Beitrag zum Abschluß einer seit Darwins 200. Geburtstag geführten Debatte. Wir stützen uns im folgenden auf wesentliche Aussagen dieses wichtigen Materials.

Der am 12. Februar 1809 geborene britische Forscher widerlegte in seinem Hauptwerk "Die Entstehung der Arten" durch schlagende Beweise die zuvor geltenden Theorien von der Unveränderlichkeit durch eine Schöpfung entstandener Tiere und Pflanzen. Was Marx und Engels bei der Durchdringung der Gesetze der menschlichen Gesellschaft geleistet haben, vollbrachte Darwin auf naturwissenschaftlichem Gebiet. Er lieferte als erster eine materialistische Erklärung für die Entwicklung höherer Organismen und schuf damit die Basis einer modernen Biologie. Friedrich Engels bezeichnete Darwins theoretische Konzeption - neben der Zellteilung und der Umwandlung von Energie - als eine jener drei großen Entdeckungen, durch welche eine materialistische Naturwissenschaft erst möglich geworden sei.

Gegen Darwins Erkenntnisse wandten sich sofort sämtliche ideologischen Dunkelmänner seiner Zeit - vor allem Theologen als Verfechter der Schöpfungslehre und reaktionäre Wissenschaftler. Am meisten empörten sie sich darüber, daß die Evolutionstheorie objektiv den Nachweis der Entwicklung des Menschen aus dem Tierreich erbrachte. Bis heute ist deren Verbreitung von akademischen Kathedern und durch Lehrer allgemeinbildender Schulen in besonders konservativen Bundesstaaten der USA wie Utah verboten.

Darwin selbst hielt sich übrigens aus dem Streit um seine Entdeckungen heraus. Er war kein Anhänger von Polemik. Nach seinem Tode verbreiteten geistige Finsterlinge den Mythos, Darwin sei im Grunde ein religiöser Mann gewesen. In seiner vornehmlich für die eigene Familie verfaßten Autobiographie hatte er indes dazu Stellung genommen und deutlich gemacht, wie ihn die intensive Beschäftigung mit der Evolution Schritt für Schritt zur Abkehr vom Glauben bewogen habe.

Für gegenteilige Interpretationen sorgte dann Darwins Familie, vor allem seine Frau Emma, die 6000 Worte aus dem Text streichen ließ, um die eindeutige Distanzierung ihres Mannes von der Religion nicht weltweit bekannt werden zu lassen.

In einer früheren Version der Autobiographie als der heute verbreiteten fehlte sogar Darwins Kernsatz: "Alles in der Natur ist das Ergebnis feststehender Gesetze."

Indes wäre es übertrieben, wollte man den instinktiv zum Materialismus drängenden Forscher auch subjektiv als dessen Anhänger bezeichnen. Darwin zog für sich selbst nicht jene weitreichenden Schlußfolgerungen, die andere aus seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen ableiteten.

Man muß Karl Marx und Friedrich Engels zu Rate ziehen, um Darwin richtig einordnen zu können. Nur drei Wochen nach dem Erscheinen von "Die Entstehung der Arten" schrieb Engels an Marx: "Bis jetzt hat es noch keinen so großen Versuch gegeben, die geschichtliche Entwicklung in der Natur zu zeigen, und in der Tat mit solchem Erfolg."

Im Dezember 1860 äußerte Marx in einem Brief an Engels: "Dieses Buch liefert die wissenschaftlich-historische Grundlage für unsere Ansichten."

Zugleich übersahen beide Begründer der Weltanschauung des Proletariats nicht gewisse Defizite der Darwinschen Evolutionslehre: die undialektische Art des Herangehens, die Annahme, daß die Entwicklung sanft und beständig, ohne scharfen Wechsel verläuft sowie Darwins unkritische Haltung gegenüber der reaktionären Bevölkerungstheorie von Malthus.

Darwin gab seine Unkenntnis in einer Reihe von Fragen unumwunden zu. Am Ende seiner Autobiographie - einem durch Aufrichtigkeit und Bescheidenheit geprägten Dokument - drückt er geradezu Erstaunen darüber aus, daß er die Auffassungen von Wissenschaftlern "in einigen wichtigen Punkten bis zu einem beachtlichen Maß beeinflußt" habe.

RF, gestützt auf "The Socialist Correspondent", London


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Charles Darwin wurde von der versammelten Reaktion verächtlich gemacht, wie diese Karikatur zeigt, die am 22. März 1871 in der Zeitschrift "The Hornet" erschien.

Raute

Vom adligen Offizier des Kaisers zum Bahnbrecher der DDR-Literatur

Der große Weg des Ludwig Renn

Der Zeuge des 20. Jahrhunderts, um den es hier geht, wurde am 22. April 1889 als Arnold Friedrich Vieth von Golßenau geboren. Er stammte aus sächsischem Uradel. Der hochgeehrte Schriftsteller starb 1979 als Prof. Dr. Ludwig Renn. Sein Weg führte ihn vom Adjutanten des Regimentskommandeurs, der während des Kapp-Putsches 1920 nicht auf Arbeiter schießen wollte, über ein Jura-Studium in München 1928 in den Bund proletarischrevolutionärer Schriftsteller. Nach 30monatiger Haft unter den Faschisten emigrierte er in die Schweiz, wurde Kommandeur bei den Internationalen Brigaden in Spanien und 1939 in ein französisches Internierungslager eingeliefert. Er floh ins Exil nach Mexiko, wurde dort Professor für Geschichte und kehrte 1947 nach Berlin zurück, wo er eine Professur für Anthropologie angetragen bekam. Die Akademie der Künste berief ihn zu ihrem Ehrenpräsidenten. Ludwig Renn publizierte außer seinen großen Romanen "Krieg" (1928), "Nachkrieg" (1930), "Adel im Untergang" (1944) und autobiographischen Schriften auch erfolgreiche Kinderbücher.

Seine Werke, die Bestseller waren, gab seit 1947 der Aufbau Verlag Berlin heraus. Er veröffentlichte erneut die Erfolgsromane "Adel im Untergang" (1947) und "Krieg/Nachkrieg" (1948). Anläßlich des 75. Geburtstages des Schriftstellers im Jahre 1964 begann dieser Verlag mit der Herausgabe von zehn Bänden "Gesammelte Werke in Einzelausgaben". Diese faßten Renns literarisches Schaffen nach autobiographischen Schriften, Romanen und Kinderbüchern geordnet zusammen. In seiner letzten Arbeit "In Mexiko" hielt dieser Rückschau auf die Zeit im Exil, die Heimkehr ins befreite Deutschland und seine Vorstellungen von einer Teilnahme an der Neugestaltung der Heimat. 1984 umfaßte die Gesamtauflage der Werke Renns allein im Aufbau-Verlag 850.000 Exemplare. Nach der Zerschlagung der DDR und ihrem Anschluß an die BRD war kein Titel des Autors mehr lieferbar.

Nach Renns berühmtem Roman "Adel im Untergang" schuf Wolf-Dieter Panse einen zweiteiligen Fernsehfilm mit Erwin Berner als Vieth von Golßenau. Er wurde 1981 gesendet.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts entschloß sich die Eulenspiegel-Verlagsgruppe, eine neue Gesamtausgabe der Werke Ludwig Renns vorzulegen. Eröffnet wurde diese mit dem Epochenroman "Adel im Untergang" und dem Kinderbuch "Nobi". Übrigens hieß "Adel im Untergang" - eines der großen autobiographischen Bücher des 20. Jahrhunderts - ursprünglich "Am sächsischen Fürstenhof". Renns Vater war dort Prinzenerzieher, und der Sohn begann seine Offizierskarriere im Leibgrenadierregiment des Königs. Renn erhellte mit kritischem Blick und sanfter Ironie die Widersprüchlichkeit eines solchen Lebens und führte dem Leser vor Augen, wie alte Formen und Regeln versagten.

Generationen lasen begeistert "Neger Nobi". Das Buch war zu DDR-Zeiten Pflichtlektüre im Literaturunterricht der 5. Klasse. Die märchenhafte Erzählung besticht mit ihrer klaren Ausdrucksweise, Spannung, Exotik, dem kindgerechten Humor und dem liebenswerten Helden. Der Herausgeber fügte nach den sieben Abenteuern Nobis im Anhang weitere Texte hinzu, so Eva Strittmatters Rezension des Buches und etliche Kinderbriefe sowie Antworten Renns darauf. In einer Nachbemerkung wird hervorgehoben, bei "Nobi" überlagere das Pädagogische nicht das Poetische.

In der Werkausgabe folgten 2002 dann Renns Romane "Krieg" und "Nachkrieg" sowie sein Kinderbuch "Trini" (1976 von Walter Beck verfilmt). Unter den Versuchen, den ersten Weltkrieg literarisch zu deuten, gelangte Renns "Krieg" neben Remarques "Im Westen nichts Neues" und Zweigs "Der Streit um den Sergeanten Grischa" zu Weltruhm. In "Nachkrieg" werden Vorgänge geschildert, die sich zwischen 1918 und 1920 in Dresden, Riesa und Chemnitz ereigneten. Alles kreist um den Ich-Erzähler Ludwig Renn. 2006 gab Günther Drommer "Der spanische Krieg" erstmals nach dem Urmanuskript heraus. Als Kommandeur führte Renn 1936 zunächst das Thälmann-Bataillon und war dann Stabschef der XI. Internationalen Brigade. In dem Buch "Anstöße in meinem Leben" bekannte er: "Vieles jedoch, was ich erlebte, lähmte mich zunächst eher. Wenn ich jedoch über das Ganze blicke, erscheinen meine Irrtümer, meine Perioden der Spinnerei und unnützen Tuns als Notwendigkeiten für Späteres. Das Individuelle bekommt einen gesellschaftlichen Sinn. Ich bedaure nichts."

Dieter Fechner


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Ludwig Renn (rechts) als Stabschef der XI. Internationalen Brigade mit dem holländischen Filmemacher Joris Ivens und Ernest Hemingway im Spanischen Bürgerkrieg.

Raute

Archie und die Lebenselixiere der Nepper

Reklame, Werbung, Marketing und Public Relations (PR) sind Begriffe, die Archie auf Dauer Migräne verursachen. Selbst wenn er einen bestimmten Artikel kaufen müßte, würde er nie gerade jenen erwerben wollen, für den die Werbetrommel am heftigsten gerührt wird. Ständiges Aufdrängen - z. B. von Toilettenartikeln zur Abendbrotzeit - empfindet er als Belästigung. Besonders zynisch aber wirkt auf Archie die Mercedes-Werbung, die so tut, als könne sie sogar einen Hartz-IV-Empfänger zu einem raschen "Billigkauf" bewegen, wenn der nur wolle. Und erst recht die extra billigen Immobilienangebote für Obdachlose ...

Auch im Klassik-Radio kann einem Klassik durch das beharrliche Einstreuen kreischiger, dümmlicher Werbetexte verleidet werden. Eine besonders hinterhältige Lockvariante sind Briefe, die einem immer wieder ins Haus flattern und ungeheure Summen aus diversen Lotterien oder neuerdings auch aus Telefongewinnspielen versprechen, an denen die Benachrichtigten gar nicht teilgenommen haben. So werden Herrn Archibald Einfalt - wie Archie mit bürgerlichem Namen heißt - 1000 oder mehr Euro in Aussicht gestellt, wenn er sich auf diese oder jene Werbefahrt einläßt, wo an Ort und Stelle alles Zugesagte nicht mehr stimmt. Bunte Prospekte ohne Ende, die das Blaue vom Himmel herunterschwindeln, versprechen jenen, welche auf diesen Leim gehen, viele nützliche Geschenke. Wer es glaubt, wird selig, heißt eine Redensart.

Nur eines kann Archie nicht begreifen: Wieso legen der Gesetzgeber und die Polizei solchen Leuten nicht endlich das Handwerk? Obwohl im Fernsehen unablässig vor Neppern, Schleppern und Bauernfängern gewarnt wird, dürfen sogenannte Werbetouren, getarnt als Ausflugsfahrten, aus Gründen reiner Beutelschneiderei veranstaltet werden.

Es sind vorwiegend ältere Menschen auf der Suche nach ein bißchen Freundlichkeit und menschlicher Zuwendung, die immer wieder darauf hereinfallen. Selbst Frau Einfalt, Archies klügere Hälfte, ist in diese Falle gegangen. Gemeinsam mit einer lieben Nachbarin wollte sie Jüterbog oder Brandenburg sehen und erlag den Roßtäuschern einer Werbeagentur. "Gut, daß du nicht mit warst", sagte sie zu Archie, "du hättest dich wieder in die Nesseln gesetzt. Aber ich habe eine Reise gewonnen, für zwei Personen natürlich, weil ich angeblich schon so oft teilgenommen hätte. Für nur 99 Euro zwei Übernachtungen in einem Hotel in Thüringen." "Und Frühstück?", erkundigte sich Archie. "Steht nicht dabei." Archie wollte kein Spielverderber sein, zumal er in Thüringen ewige Zeiten nicht war. So fragte er noch mal: "Steht wirklich nichts von Frühstück oder von Halbpension dabei?"

Beide versuchten, die Reisefirma wiederholt anzurufen, als der Termin näherrückte. Ohne Erfolg, denn niemand hob ab. Doch dann fuhren sie in aller Herrgottsfrühe im März vom Ostbahnhof los. Selbst der Busfahrer tat so, als wüßte er noch gar nicht, wohin die Reise überhaupt gehen solle. Gegen Mittag kamen sie im Berg-Hotel von Friedrichroda an. Es handelte sich um einen mächtigen Bau mit Blick ins Land, sehr schön gelegen, alles zweckmäßig, noch aus DDR-Zeiten, ein ehemaliges FDGB-Heim.

Aber der Schock folgte auf dem Fuße. Der sehr redegewandte Reiseleiter, eine Art Empfangschef des Unternehmens Schöne FFO Welt Reisen GmbH, erklärte, ohne jeden Anflug von Skrupeln, die entrichteten 99 Euro seien erst eine "Anzahlung" gewesen, jetzt kämen für jeden noch einmal 99 Euro hinzu. Dabei handele es sich um ein "Ausflugs- und Verpflegungspaket". Ein Rücktritt komme nicht in Frage, man müsse das "Paket" als Ganzes nehmen.

"Da hast du dein Frühstück", sagte Archie. Manche von den Mitreisenden gerieten in Verlegenheit, hatten sie doch gerade noch einen Hunderter in der Tasche. Im Ausflugspaket war eine Drei-Bäder-Rundfahrt nach Bad Liebenstein, Bad Salzungen und Bad Langensalza enthalten, auch ein Blick auf Oberhof und die Wintersportanlagen gehörte dazu. Alles ereignete sich im Schweinsgalopp, mit einem Erklärer, der wenig Ahnung von Thüringen hatte und immer erst im "Marco Polo" blättern mußte.

Dann kam die zweite böse Überraschung, Club-Shopping genannt. Ort der Handlung war die Peripherie von Schmalkalden, der "Gelbe Dragoner". Rund viereinhalb Stunden lang bearbeitete ein "Werbefachmann" mit öliger Stimme per Mikrofon die älteren Herrschaften, meist alleinstehende Damen. In unglaublicher Beharrlichkeit und mit ermüdenden Redeschleifen hämmerte er den Senioren ein, daß die ausgebreiteten Lebenselixiere auf der Stelle gekauft werden müßten, wolle man nicht das alsbaldige Dahinscheiden in Kauf nehmen. Hierbei ging es um ziemlich hohe Beträge, so daß eine gewisse Ratlosigkeit eintrat. Darüber verdrossen, begann der Seelenmasseur aus der Werbebranche die Leute unter Druck zu setzen. Er warf ihnen vor, geizig zu sein. Sie gäben ihr Geld für allerhand Schnickschnack aus, wollten indes nichts für ihre Gesundheit tun. Archie war sehr verwundert, was sich die alten Leutchen am Ende alles aufschwatzen ließen, bis hin zu extrateuren Salben und Cremes. Der Umsatz mag bei 8000 Euro gelegen haben, eher noch darüber.

An Archies Tisch saß ein freundlicher alter Herr, der schon ganz eingemauert war von vor ihm aufgebauten Werbeprodukten aller Art. Er könne eben nicht nein sagen, meinte der Großeinkäufer. Als Archie ihn von weiteren Erwerbungen abhalten wollte, bekam er Ärger mit dem Veranstalter.

Das Beste an der Fahrt waren das herrliche Sonnenwetter und Thüringens schöne Landschaft. Allerdings ist es nicht mehr jenes Thüringen, das Archie von früheren Reisen her kannte. So eine Werbetour kann einem ganz schön die Augen öffnen, nicht nur das Portemonnaie, ging es ihm durch den Kopf. Der Sozialismus glaubt eben an das Gute im Menschen, der Kapitalismus an den Profit.

Manfred Hocke

Raute

Leserbriefe an ROTFUCHS

Die Aprilausgabe des RF stellt einen weiteren Schritt in die richtige Richtung dar. Während wie bisher auf eine gründliche Vergangenheitsanalyse nicht verzichtet wird, greifen etliche Beiträge unmittelbar in das aktuelle Geschehen ein und vermitteln wichtige Anregungen für die Debatte über Künftiges. Mir gefällt besonders auch das, was in mehreren Artikeln zum Kommunismus gesagt wird, vor allem die Stellungnahme des thüringischen Landessprechers der "solid"-Jugend.

Mit Klaus Steinigers Leitartikel "Der Zwang zur Vereinigung" bin ich völlig einverstanden. Seine Aussagen decken sich mit meinen eigenen Wahrnehmungen vor 65 Jahren. Damals habe ich in Berlin-Charlottenburg als Kommunist den Zusammenschluß mit einigungswilligen Sozialdemokraten selbst erleben und einen Beitrag dazu leisten können.

Fritz Teppich, Berlin


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Dem Leitartikel im RF 159 stimme ich voll und ganz zu. Im März 1946 wurde ich als junges Mitglied der SPD in meiner Heimatstadt Suhl zu einer gemeinsamen Kreiskonferenz von SPD und KPD delegiert. Nach einleitenden Worten beider Kreisvorsitzender fand eine lebhafte Diskussion zur Frage der Vereinigung statt. Es gab nur wenige Redner, die Vorbehalte anmeldeten. Schließlich stimmten mehr als 90 % der über 200 Delegierten für einen Zusammenschluß.

Wie Klaus Steiniger bin auch ich der Meinung, daß man nicht von einer Zwangsvereinigung sprechen kann. Ich habe danach die ganze Entwicklung miterlebt und bin nun, seit mehr als 65 Jahren organisiert, festes Mitglied meiner sozialistischen Partei.

Dr. Willi Paubel, Berlin


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Mit Interesse verfolgte ich die "RotFuchs"-Debatte über den PDL-Programmentwurf. Als Außenseiterin erlaube ich mir einige Bemerkungen dazu.

Als politische Partei im westlichen parlamentarischen System hat die PDL das Ziel, in den Bundestag gewählt und irgendwann auch an der Regierung beteiligt zu werden. Bestenfalls kann sie sich so als linker Flügel der SPD profilieren, nicht aber als marxistische Partei. Darin stimme ich mit Prof. Ingo Wagner überein.

Wie Jobst-Heinrich Müller schreibt, sieht man am Beispiel der KPD, daß die Tätigkeit einer marxistischen Partei ganz überwiegend außerparlamentarischer Natur sein muß, um Wähler zu motivieren und deren Anliegen zu vertreten. Das sollte auch heute die Taktik marxistischer PDL-Mitglieder sein.

Günter Bartsch zitiert Friedrich Engels, der den "demokratischen Sozialismus" seinerzeit positiv bewertete. Wie der RF bereits bemerkte, ist dieser Begriff insofern widersprüchlich, als Sozialismus eo ipso demokratisch ist. Der neue "demokratische Sozialismus" ist ein vom Marxismus-Leninismus gesäuberter Pseudo-Sozialismus unter dem Fähnlein einer freiheitlich-liberalen kapitalistischen Gesellschaft. Marxisten in der PDL sollten sich keine faulen Kompromisse aufschwatzen lassen, deren einziges Ziel es ist, Konfusion und Zwist zu stiften.

Dr. Vera Butler, Melbourne


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Die Aprilausgabe des RF war wieder einmal Extra-Klasse. Als angenehm empfinde ich eine differenzierte Versachlichung der kritischen Haltung zur Partei Die Linke. Wir kämpfen nämlich an der Basis wie die Löwen.

Oberst a. D. Hans Linke, Suhl


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Noch immer beschäftigt die "K"-Frage die Politiker. Genossin Lötzsch hatte sich mit ihrem Beitrag in der jW, der meine volle Zustimmung findet, zur rechten Zeit diesem fundamentalen Thema zugewandt. Heinz Vietze, Vorstandsvorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung, verlangte "ausgedehntes Wissen über die K-Frage". Rechtsstaatlichkeit und Innovation seien hier in Betracht zu ziehen. "Dabei sollten wir nicht hinter dem zurückbleiben, was der Chefhistoriker des Zweiten öffentlichen Fernsehens bietet", sagte er und meinte Guido Knopp. Ausgerechnet dieser fanatische Antikommunist wird hier als Orientierungshilfe bemüht!

Ich stelle mir die Frage: Was würde wohl Rosa Luxemburg, deren Namen die der Partei Die Linke nahestehende Stiftung trägt, dazu sagen? Man sollte einigen in Erinnerung rufen, daß sie Kommunistin und sogar Mitbegründerin der KPD gewesen ist. Allzuoft wird sie instrumentalisiert oder einseitig interpretiert, so auch mit dem Satz von der "Freiheit der Andersdenkenden". Da läßt man ihr Credo "Sozialismus oder Barbarei" gern in Vergessenheit geraten. Übrigens nimmt sich Gesine Lötzsch gerade die Freiheit, einmal "anders zu denken".

Waldemar Arndt, Vellahn


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Am 1. Mai sollte ich im Auftrag meiner DKP-Grundorganisation bei einer in Neubrandenburg von der PDL durchgeführten Kundgebung "am Rande des Geschehens" sprechen. Am Rande deshalb, weil das große von DGB und SPD organisierte Event auf dem Marktplatz zum zweiten Mal als "Neubrandenburger Demokratiefest" unter der Schirmherrschaft des CDU-Oberbürgermeisters durchgeführt wurde.

Ich habe indes nicht gesprochen, denn im April fand ein Landesparteitag der PDL statt, der meine Stimmabgabe für diese Partei bei der kommenden Landtagswahl ernsthaft in Frage stellt. Der hiesige "Nordkurier" bemerkte dazu: "Die Antikapitalistische Linke hat das Nachsehen!"

Auch in der PDL selbst spricht man von einem deutlichen Rechtsruck - einem großen Schritt in Richtung SPD. Namen wie Helmut Holter, Steffen Bockhahn, Peter Ritter, André Brie und Dietmar Bartsch sprechen dafür. Oder sollte man den "Landesparteitag" besser als von oben organisierten Putsch bezeichnen?

Wolfgang Mäder, Neubrandenburg


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Erst nachdem ich den humorvollen Beitrag "42 Regisseure und ein Besen" im Mai-RF mit wachsendem Amüsement zu Ende gelesen hatte, las ich in der danebenstehenden Gratulation, daß der Autor Rudi Kurz am 9. Mai 90 (!) Jahre wird. Ich konnte es kaum glauben. Der Artikel strotzt nur so von jugendlichem Schalk, Selbstironie und - wie die Redaktion zu Recht schreibt - geistiger Frische.

Chapeau und Glückwünsche, lieber Rudi Kurz! Ich hoffe auf viele weitere Beiträge dieser Art "mitten aus'm Leben".

Heinz-W. Hammer, Essen


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Anläßlich des 80. Geburtstages von Gorbatschow fühlte sich Parteivorstandsmitglied Gerry Woop - ein Protagonist des "Forums Demokratischer Sozialismus" - dazu berufen, Glückwünsche an den Zerstörer der UdSSR und der sozialistischen Staatengemeinschaft zu senden. "Michail Gorbatschow ist es zu verdanken, daß der Sozialismus in seiner europäischen staatssozialistischen Form mit Verkrustungen, Ineffizienz und Unfreiheit verschwand", heißt es bei Woop.

Wem und in welcher Form dieser Mann gratuliert, welchen zwielichtigen Gestalten er sich verbunden fühlt, ist Woops Privatsache. Wenn dies aber im Namen der Partei geschieht, darf solcher Unfug nicht unwidersprochen bleiben.

Dominik Glaesner, Zittau


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Als parteiloser Sympathisant möchte ich die Frage der "Strategie und Taktik" aufwerfen. Liebe Freunde, ist euch nicht bewußt, daß die jahrzehntelange Hetzkampagne zum Begriff "Kommunismus" bis heute Früchte trägt? Das Kräfteverhältnis ist noch auf lange Zeit so, daß die Taktik nur aus "kleinen Schritten" bestehen kann, denn Marx wird von den bürgerlichen Ideologen mit "totaler Enteignung" und sogar "Erschießen der Potentaten" kolportiert, was Millionen dieser Propaganda unablässig Ausgesetzte auch verinnerlicht haben.

Ich bin, ehrlich gesagt, entsetzt über die fast bodenlose Dummheit der zersplitterten linken Strömungen. Hätte es die bundesweite Parlamentspräsenz der Linken je gegeben, wenn sich WASG und PDS nicht vereinigt hätten? Warum treten Linksdenkende immer noch gegeneinander an und auf?

Werner Köppe, Bautzen


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Ohne den subjektiven Faktor zu vernachlässigen, müßte in der Kommunismus-Debatte von Marxisten stärker der objektive Aspekt der gesellschaftlichen Entwicklung beachtet werden. Nach der materialistischen Geschichtsauffassung ist die Überwindung des Kapitalismus hin zu einer auf Gemeineigentum beruhenden kommunistischen Gesellschaft ein objektiver gesetzmäßiger Prozeß und keine Heilslehre. Ursache dafür ist das Wirken des von Marx entdeckten dialektischen Entwicklungsgesetzes der Gesellschaft. Im Kommunismus geht die Entwicklung weiter - mit der Lösung neuer Widersprüche.

Günther Röska, Leipzig


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Bei der neuerlichen Lektüre von Goethes Faust II fielen mir zwei Gedanken auf, die angesichts der durch die meisten Medien der BRD betriebenen Gehirnwäsche von verblüffender Aktualität sind: "Die Menge schwankt im ungewissen Geist, dann strömt sie hin, wohin der Strom sie reißt", heißt es bei Goethe. Aber auch diese treffende Feststellung stammt von ihm: "Und auf vorgeschriebenen Bahnen zieht die Menge durch die Flur: Den entrollten Lügenfahnen folgen alle - Schafsnatur."

Im Gespräch mit Maxim Gorki äußerte Lenin einmal, daß die Menschen nicht aus den Fehlern anderer lernen, sondern nur aus den eigenen. Das hat sich immer wieder bestätigt.

Dr. sc. Fritz Welsch, Berlin


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Der im RF 159 abgedruckte offene Brief von Prof. Dr. Horst Schneider an Bundespräsident Wulff hat mich ob seiner Sachlichkeit, Konkretheit und überzeugenden Argumentation sehr beeindruckt. Die konkreten Beispiele sind unwiderlegbar, sie regen an, über Historisches mit persönlichen Schlußfolgerungen nachzudenken, bezogen auf die Jahre von 1989 bis heute.

Allein, mir fehlt die Veröffentlichung der Antwort des Herrn Bundespräsidenten auf den Brief von Prof. Schneider.

Manfred Reinsch, Bautzen


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Es hat mich gefreut, daß in der Aprilausgabe des RF ein Artikel zum 80. Geburtstag von Klaus-Dieter Baumgarten erschienen ist. Er gehörte zu jenen, welche vor 18 Jahren den Grundstein für die Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung (GRH) gelegt haben. Selbst von politisch-motivierter Strafverfolgung betroffen, war er einer der verläßlichsten Mitstreiter unserer Widerstands-, Solidar- und Opfergemeinschaft im Kampf gegen Diskriminierung, Verleumdung und Kriminalisierung von DDR-Bürgern wegen ihres Einsatzes für den Schutz und die Sicherheit des sozialistischen Staates.

Übrigens trägt die Territoriale Arbeitsgruppe der GRH Königs Wusterhausen/Zeuthen, der Klaus-Dieter Baumgarten 15 Jahre angehörte, seinen Namen.

Dieter Stiebert, Geschäftsführer der GRH, Berlin


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Der Mann, der 1944 Anne Frank in ihrem Amsterdamer Versteck aufspürte und ins KZ Auschwitz schickte, hat nach Kriegsende als Werber für den Bundesnachrichtendienst gearbeitet. Das Magazin "Focus" vermeldete, der Hamburger Publizist Peter-Ferdinand Koch habe in US-Archiven entsprechende Beweise gefunden. Danach habe der ehemalige SS-Oberscharführer Josef Silberbauer - ein berüchtigter "Verhörspezialist" - jahrelang als V-Mann Spitzel für den BND ausgewählt. In seinem neuen Buch schildert Koch, wie gut die Seilschaften der einstigen SS im bundesdeutschen Auslandsgeheimdienst funktioniert haben. Zeitweilig hätten bis zu 200 Mitarbeiter des früheren Reichssicherheitshauptamtes in Pullach gearbeitet.

Uwe Scheer, Hamburg


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Sehr gut gefallen hat mir der Artikel "Mit Lenin-Maske gegen den Leninismus", in dem Willi Gerns die Zersetzung des Sozialismus durch Gorbatschow und dessen Anhänger in der Partei analysiert. Der Quintessenz dieses hervorragenden Beitrags kann man nur zustimmen: Es bedarf einer vitalen Partei mit einer lebendigen Diskussionskultur, um derartige Katastrophen zu verhindern.

Marcel Kunzmann, Bermatingen-Ahausen


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Alle Staaten Nordafrikas werden durch ihre Machthaber mit harter Hand regiert. Die Herrschaft Gaddafis bildet da keine Ausnahme. Doch in Libyen geht es um etwas ganz anderes. Nach dem Sturz des Marionettenkönigs Idris wurden die Militärstützpunkte der USA und Großbritanniens aufgelöst. Tripolis nationalisierte die Banken und das Öl. Der Boden italienischer Großgrundbesitzer wurde enteignet. Ein Teil der Gewinne von Banken und Ölindustrie diente zur Überwindung der Arbeitslosigkeit. Ein Sozialprogramm mit Wohnungsbau und kostenloser medizinischer Versorgung wurde auf den Weg gebracht, ein hochentwickeltes Bildungssystem geschaffen.

Welche Ziele außer dem Sturz Gaddafis verfolgen die vom Westen aufgehetzten und ausgehaltenen "Rebellen"? Soll in Bengasi die Anhängerschaft von Idris wie früher wieder das Sagen haben? Die eigentlichen Ziele - vor allem die Gier nach Öl - werden hinter einer Nebelwand versteckt.

Während die BRD zunächst auf eine direkte Teilnahme an den Kampfhandlungen verzichtete, stellte sie "lediglich" ihre Flugplätze für die Bomber der USA zur Verfügung und bewacht deren Stützpunkte in der BRD. Als "Kompensation" für die "Zurückhaltung" in Libyen schickte sie ihre Awacs-Besatzungen nach Afghanistan.

Helmut Baumgarten, Halle/Saale


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Als der UN-Sicherheitsrat, dessen nichtständiges Mitglied derzeit auch die BRD ist, seine Resolution Nr. 1973 beschloß und damit den Krieg gegen den UNO-Mitgliedsstaat Libyen sanktioniere, enthielt sich Merkels Botschafter der Stimme. Die Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP wurde daraufhin auch aus den eigenen Reihen massiv kritisiert. Redner der SPD und der Grünen schlugen in dieselbe Kerbe. Einzig die Partei Die Linke billigte die Zurückhaltung der BRD und lobte die Kanzlerin persönlich. Diese bemühte sich um "Schadensbegrenzung" durch Solidaritätsbekundungen für die in Libyen bombenden Mächte.

Das taktische Konzept der schwarz-gelben Koalition ist gestaffelt: Mit der Stimmenthaltung im UN-Sicherheitsrat stellte man sich auf die Seite der "Guten". Der Friedensheuchelei folgte das Angebot "humanitärer Hilfe". Diese soll ausgerechnet durch die Bundeswehr erwiesen werden. Dafür stehen 990 deutsche Soldaten in den zwei jederzeit abrufbaren EU-Battlegroups als "Schnelle Eingreiftruppe" zur Verfügung. Nur zu dumm, daß man die UNO bitten muß, bei der EU die "Hilfe" abzufordern.

Richard Georg Richter, Cloppenburg


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Während es sich in Tunesien und Ägypten um eine breite Volksbewegung handelte, wurde in Libyen offensichtlich ein Putsch fernab der Hauptstadt inszeniert. Hätte es kein militärisches Eingreifen westlicher Staaten gegeben, wäre in Libyen vermutlich längst wieder Ruhe eingekehrt, und man hätte viele sinnlose Opfer vermeiden können. Dafür, daß Gaddafi nach wie vor Unterstützung in der Bevölkerung hat, spricht die Tatsache, daß er sich gegen die vom Westen gestützten Putschisten an der Macht halten konnte. Wenn diese Massenbasis langsam bröckelt, so ist das vor allem der Angst vor der Allmacht der Aggressoren zuzuschreiben. Keiner möchte auf der Seite der Verlierer stehen. Wer aber Sieger ist, das entscheidet nicht mehr die Bevölkerung Libyens. Es sind jene, die nach seinen Ölvorräten und Süßwasserreserven gieren.

Dieter Hainke, Magdeburg


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Ich habe folgendes Schreiben an den MDR gerichtet: "Mit Ihrer am 5. April ausgestrahlten Sendung 'Der Fall X - Wie die DDR Westberlin erobern wollte' haben Sie Ihren Zuschauern einen sehr interessanten Einblick in die Geschichte des Kalten Krieges gegeben. ... Bringen Sie doch freundlicherweise in einer ähnlichen Dokumentation einen Beitrag über die NATO-Übung Wintex, bei der noch im Frühjahr 1989 Dresden atomares Ziel war. Auskunft darüber kann General a. D. Naumann geben.

Klaus-Detlef Haas, Berlin


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Explosionsartig haben sich die Wähler der ökokapitalistischen Grünen vermehrt. Die Medien werden den "grünen Trend" bis Ende des Jahres weiter aufbauschen, so daß im Bewußtsein und in der Wahrnehmung Unbedarfter jede gelbe Sonnenfahne und jede Anti-Kernkraft-Veranstaltung unterstützend für diese Partei wirken dürften. Daß auch die PDL gegen Kernkraft ist, wird entweder als selbstverständlich betrachtet oder als Trittbrettfahrerei dargestellt. SPD-Vorsitzender Gabriel erklärte nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, seine Partei werde eine Arbeitsteilung mit den Grünen einhalten: SPD als "Sozialexperte", Grüne als "Ökologie-Champion".

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg


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Eine erstaunlich große Menge Baden-Württemberger wandte sich gegen das Profit-Projekt "S 21" - das steuermilliardenschwere Verlegen des Stuttgarter Hauptbahnhofs in den Untergrund. Dabei haben es die dortigen Grünen sehr geschickt verstanden, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen und als deren Sachwalter wahrgenommen zu werden. Wie sie einst als Regierungspartei in Berlin die auch von ihnen beschlossene Bestandsgarantie für Atomkraftwerke als "Atomausstieg" verkaufen konnten, so wenden sie diese Demagogie nun bei S 21 an. Verbal ist die Kleinbürgertruppe um den Ex-KBWler Kretschmann strikt für den Erhalt des Kopfbahnhofs.

Die Regierungsparteien SPD und Grüne haben sich darauf verständigt, daß die Kretschmann-Partei formal gegen S 21 auftritt, während die SPD - den Willen ihrer Basis negierend - dafür ist. Schließlich haben sich beide Parteien eine Hintertür gezimmert: den sogenannten Volksentscheid. Dabei werden nicht nur die Einwohner Stuttgarts befragt, sondern die Bürger ganz Baden-Württembergs - eines Flächenlandes, das überwiegend schwarz wählt. So werden sich die Kretschmann-Grünen hinter SPD und Volksentscheid verstecken und erklären, leider müsse man nun doch S 21 bauen, wobei man sich der Mehrheit und dem Koalitionspartner beuge.

Hans Dölzer, Hirschberg


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Prof. Peter Häberle, 1935 geboren, war der Doktorvater des Herrn zu Guttenberg. Er hat nach 1945 in Tübingen studiert und gehörte dort einer schlagenden Verbindung an, die in der BRD gesetzlich verboten ist. Dennoch durfte der inzwischen Emeritierte stolz seinen Schmiß zeigen und als Staatsrechtler künftige Juristen ausbilden. Dafür wurde der Mann, wie die "Nürnberger Zeitung" am 8. März berichtete, mit Ehrendoktor-Titeln geradezu überhäuft. Häberle ist noch heute stolz darauf, Herrn zu Guttenberg bei "seiner" Dissertation begleitet und so für "Summa cum laude" - die allerhöchste Note - gesorgt zu haben, welche die Bayreuther Uni einem Plagiat zuerkannte.

Hanne List-Weidler, Nürnberg


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Generalleutnant a. D. Volland hat die Verdienste der drei DDR-Verteidigungsminister im RF 159 überzeugend gewürdigt. Er schreibt: "Der Anstand verbietet jeglichen Vergleich mit den 15 Verteidigungsministern der BRD seit 1955."

Demgegenüber bin ich der Meinung, daß sich dieser Vergleich keineswegs verbietet, sondern geradezu geboten ist. Vergleichen heißt ja keineswegs gleichsetzen. Erst der Vergleich macht die schändliche Rolle aller bisherigen BRD-Verteidigungsminister deutlich.

Der CSU-Mann Franz-Joseph Strauß trompetete am 20. März 1958 im Bundestag, nach seiner Generalstabsplanung gebe es nur noch den "Fall Rot". Deshalb forderte er die atomare Bewaffnung der Bundeswehr.

Der SPD-Mann Rudolf Scharping begründete 1999 mit seinen Lügen die Bombardierung Belgrads und den dritten "deutschen" Krieg gegen Jugoslawien.

Der CSU-Mann und Lügenbaron zu Soundso besichtigte "seine" Truppen in Afghanistan und bemühte sich, die Bundeswehr aus einer auf allgemeiner Wehrpflicht beruhenden Armee in eine weltweit intervenierende Heerschar von Profikillern umzuwandeln.

Was hat der CDU-Mann Thomas de Maizière vor?

Prof. Dr. Horst Schneider, Dresden


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Ergänzend zu dem durch Dr. Peter Fisch gelieferten dokumentarischen Nachweis in Sachen Carl-Hans von Hardenberg möchte ich bemerken, daß in meinen persönlichen Gesprächen mit Fritz Perlitz stets von gegenseitigem Respekt zwischen den beiden früheren Häftlingen des KZs Sachsenhausen die Rede war. Der Kommunist und der Adelsmann machten aber nie ein Hehl aus ihren jeweiligen Standpunkten zur Rolle des Preußisch-Deutschen. Fritz Perlitz setzte sich ein Leben lang für die Landlosen, die Zwerg- und Kleinbauern sowie für die der Konkurrenz Stärkerer ausgelieferten werktätigen Mittelbauern ein. Dementsprechend wirkte er nach der Befreiung besonders in der Mark Brandenburg für die demokratische Bodenreform. Er erkannte, daß diese weit über die Begrenztheit der bürgerlichen Reformen von Stein-Hardenberg hinausgehen mußte. Mein Anliegen im RF 156 war es, den neuerlich unternommenen Angriffen auf die demokratische Bodenreform entgegenzutreten. An meiner Hochachtung für den opferbereiten Einsatz so mutiger Menschen wie Hardenberg, Treskow, Stauffenberg u. a. gegen das verbrecherische Naziregime sollte nicht gezweifelt werden.

Hans Nieswand, Potsdam


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Ich möchte Euch sagen, daß der "RotFuchs" für mich etwas ganz Besonderes ist, weil an keine Partei gebunden. Das entspringt meiner Einstellung zu der Frage, wie es möglich war, daß eine 2,3 Millionen Mitglieder zählende Partei bei der Wahl am 18. März 1990 ein so schlechtes Ergebnis erzielte. Seit dieser Zeit kann ich leider mit jener Anrede, welche für mich mit vielen Emotionen verbunden war, nichts mehr anfangen. Vielleicht ist es ja falsch, aber ich bringe das Wort derzeit einfach nicht über die Lippen, Ja, und gerade deshalb ist Euer "RotFuchs" für mich einfach mein Lebenselixier.

Brigitte Wackernagel, Berlin


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Walter Ruge hat im RF 158 über den heute "kaum bekannten großen Humanisten" Granin geschrieben. Ich möchte dazu bemerken: Granin ist keinesfalls vergessen, sondern wurde regelmäßig mit höchsten Auszeichnungen von derzeitigen russischen und deutschen Machthabern dekoriert. Aus meiner Sicht ist "Gorbis" Lieblingsschriftsteller ein geistiger Vorreiter der Konterrevolution. Am 3. Oktober 1993 forderte Granin mit 41 anderen Schriftstellern den damaligen Präsidenten Jelzin auf, gegen die "Braun-Roten" Gewalt anzuwenden, da diese keine andere Sprache verstünden. Explizit verlangte er das Verbot der KP.

P. S.
Ich lese den RF schon seit zwei Jahren. Die Zeitschrift ist für mich ein Trost und geistige Unterstützung. Vielen Dank!

Aleksandr Worobjow, Nishni-Nowgorod


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Die "Sachliche Nachbetrachtung" Walter Ruges zum XX. Parteitag der KPdSU weckt Erinnerungen an die Zeit nach der Rückkehr der SED-Delegation aus Moskau.

Viele junge Genossen, zu denen auch ich gehörte, haben den Tod Stalins am 5. März 1953 ehrlich betrauert, sind ihm zu Ehren Verpflichtungen eingegangen, ja - haben sogar Tränen vergossen. Der historische Sieg über den deutschen Faschismus, der mit der Führerschaft Stalins auf das engste verbunden war, gab uns eine Chance. Wir sangen: "Für eine bess're Zukunft richten wir die Heimat auf."

Zugleich entstanden Fragen, wie wir mit der Wahrheit umgehen sollten. Die danach einsetzende Verdrängung des Namens Stalin aus den Stadtbildern in fast ganz Osteuropa vermittelte einen Eindruck davon, wie nachhaltig die geschichtliche Offenbarung wirkte.

Man sollte weder Positives noch Negatives unter den Teppich kehren.

Hans Horn, Berlin


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Herzlichen Dank für die Zusendung der April-Ausgabe des RF, die ich überrascht und erfreut genau an meinem Geburtstag erhielt. Ja - Einheit, Einheit, Einheit! Wir brauchen in Deutschland wirklich eine geeinte, fest in den Massen verwurzelte marxistisch-leninistische Partei!

Einigkeit, Zusammenhalt und Geschlossenheit suche ich in der Linkspartei bis dato leider vergeblich. Und vom Leninismus hat man sich, wenn er überhaupt je in Erwägung gezogen worden sein sollte, längst verabschiedet. Selbst dem Erbe Thälmanns wird keinerlei Bedeutung mehr beigemessen. Da stehe ich hier allein auf weiter Flur. Aber es gibt ja noch den "RotFuchs", die "junge Welt" und die KPF ...

Kerstin Sterzenbach, Heidelberg


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Wolfgang Behrendt, der 1956 als Boxer in Melbourne die erste olympische Goldmedaille für die DDR holte, gab dem FAZ-Sportredakteur Michael Reinsch im März ein Interview. Auf dessen Fragen antwortete er u. a.: "Man hat uns das Selbstbewußtsein genommen, unsere Erfolge totgeschwiegen. Man erkennt unser bisheriges Leben nicht an und hat uns keine neue Chance gegeben ... In einem anderen Land als der DDR hätte ich vielleicht nie die Unterstützung bekommen, um Olympiasieger werden zu können." Auf die Frage: "Sind Sie bitter?" antwortete Wolfgang Behrend: "Nein, ich fühle mich nur so, daß alles, was ich sportlich und beruflich erreicht habe, negiert und nur dann abgerufen wird, wenn man es gerade braucht."

Dabei ging es um die Ausstellung "Ästhetik und Politik. Deutsche Sportfotografie im Kalten Krieg".

Der frühere Fotoreporter der ND-Sportredaktion wurde dann vom FAZ-Interviewer gefragt: "Sind die Sportfotos, auch Ihre, die man hier sehen kann, politische Dokumente?"

Der clevere Wolfgang Behrend antwortete: "Ja, allein durch die Art, wie sie ausgewählt wurden ... Für diese Ausstellung hatte ich meine besten Bilder herausgesucht. Doch die wollten sie nicht. Der Titel der Ausstellung heißt ja '... im Kalten Krieg'. Da kann man wohl keine schönen Sportfotos zeigen."

Immerhin war auch ein Bild von der Friedensfahrt darunter. Daß die Bundesregierung dem westdeutschen Nationalteam lange Jahre - allein wegen des Namens Friedensfahrt - die Teilnahme verboten hatte, erfuhr man in der Ausstellung allerdings nicht.

Gerd-Rolf Rosenberger, Bremen-Nord


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Der "RotFuchs" ist mir über den Weg gelaufen. Deshalb bitte ich ab sofort um dessen Zusendung.

Hein Kolberg, Aachen


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Den Beitrag von Peter Franz zum Mißbrauch der Sprache möchte ich etwas ergänzen: Im allgemeinen versteht man unter einer Prämie Geld, das man für eine besondere Leistung erhält. In der Versicherungswirtschaft ist eine Prämie aber das Geld, das der Versicherungsnehmer an die Versicherung zu zahlen hat.

Unter einer Wiederaufbereitungsanlage versteht man eine Einrichtung, in der man einen Gegenstand so bearbeitet, daß er wieder verwendet werden kann. In der Atomwirtschaft indes ist eine Wiederaufbereitungsanlage eine Einrichtung, in der die abgebrannten Brennelemente irgendwie bearbeitet werden, wobei sie danach das gleiche Teufelszeug bleiben wie zuvor. Brennelemente werden also nicht wieder in den Wirtschaftskreislauf eingebracht, sondern irgendwo zwischengelagert und strahlen dort - evtl. in verminderter Intensität - über die nächsten Jahrtausende.

In der BRD gibt es Betriebe, deren Angestellte - meist Psychologen - den ganzen Tag nichts weiter zu tun haben, als durch "verkaufsfördernde Maßnahmen" den Verbraucher hinters Licht zu führen. So kostet eine Ware statt 5 € "nur" 4,99 €. Zeitlich begrenzte "Sonderangebote" erzeugen eine hysterische Kaufeuphorie. Jeder könnte diese Liste beliebig verlängern.

Dr. Wolfgang Plaschke, Berlin


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Ein paar Bemerkungen zu Gerda Hubertys Beitrag über die "Mär vom bedingungslosen Grundeinkommen". Käme es dazu, könnten die "Arbeitgeber" sagen: "Ihr habt doch alle das bedingungslose Grundeinkommen, da müssen wir Euch ja nur noch 1 € oder 1,50 € in der Stunde dazuzahlen."

Erst einmal sollte das obere Drittel der Gesellschaft die Steuern begleichen, zu deren Entrichtung es gesetzlich verpflichtet ist. Hätten wir eine Regelung wie in Nachbarländern, dann wären schon mal 33 Milliarden mehr in den Kassen und diese nicht mehr leer.

Ich befürworte eine Bildungs- und Ausbildungspflicht für alle Bürgerinnen und Bürger. Jeder sollte sich gut überlegen, was er oder sie einmal machen möchte, um stolz auf sich und die eigene Arbeits-Lebensleistung sein zu können. Als "Hartzerin" habe ich Schwierigkeiten mit dem Gedanken, bei einem "bedingungslosen Grundeinkommen" stünde das nicht nur Ackermann zu, sondern auch demoralisierten Menschen auf der untersten Stufe der Gesellschaft, die gar nicht arbeiten wollen. Arbeit ist nun einmal die Lebensgrundlage von allem.

Übrigens wird das bedingungslose Grundeinkommen auch durch Rechte gefordert!

Gesine Unger, Düsseldorf


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Durch Euren "Marxismus für Einsteiger" sollen Menschen, die noch nie etwas davon gehört haben, Wissen erwerben und damit umgehen können. Ist das hier wirklich garantiert?

Wäre es nicht möglich, Psychologie des Denkens, Pädagogik und Didaktik zu berücksichtigen, zunächst eine Definition zu geben und erst danach eine Begründung und Vertiefung folgen zu lassen? Gerade der Beitrag über Chauvinismus veranlaßt mich zu dieser Bemerkung.

Im Interesse einer guten Sache bitte ich, darüber nachzudenken.

Wilfried Meißner, Blankenburg


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Seit einiger Zeit lese ich allmonatlich mit großer Freude, Begeisterung und Dankbarkeit den "RotFuchs" von der ersten bis zur letzten Seite. Ich finde es sehr gut, daß es diese Zeitschrift gibt! Sie vermittelt mir heute 62jährigem Wissenszuwachs und Argumentationshilfe, Bestätigung und Stärkung, Heimat und Geborgenheit. Mein großer Wunsch ist es, daß sie immer größere Verbreitung finden und vor allem zahlreich in die Hände junger Menschen gelangen möge - als wirksames Mittel gegen die übermächtige antikommunistische Indoktrination der Heranwachsenden.

Eberhard E. Küttner, Chemnitz


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Wie viele andere Leser erwarte ich jede neue Ausgabe des RF. Ich würde mich sehr freuen, wenn meine Zeitschrift ihren Lesern jemanden vorstellen würde, der es aus meiner Sicht verdient. Fast täglich steht Hans-Jürgen Westphal in Dresdens Prager Straße mit einer roten Fahne und sucht das Gespräch mit Passanten. Er verweist auf das Leben in der DDR und wendet sich gegen dessen heutige Entstellung. Oft muß er Beschimpfungen über sich ergehen lassen, die ihn indes nicht entmutigen. Mich wundert, daß bisher kein Dresdner "RotFuchs"-Leser auch nur ein Wort über ihn verloren hat.

Kein Zweifel, nicht alles, was H.-J. W. sagt und schreibt, kommt bei jungen Menschen wie beabsichtigt an. So manches paßt auch nicht mehr in die heutige Zeit. Dennoch sollte der Mann mit der roten Fahne im RF einmal Erwähnung finden.

Volkhard Stöbel, Gotha


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In den vergangenen Monaten wurde der Merkelsche Musterstaat durch mehrere Skandale als "Possendemokratie" bloßgestellt. Die Namen Guttenberg und Westerwelle waren dabei nur die Spitze des Eisbergs. Skandalös ist auch nach wie vor, wie die Arbeitslosenzahlen in der BRD systematisch frisiert werden. In der "Heldenstadt" machen die neu Betroffenen, die Monat für Monat zu Tausenden in das riesige Gebäude der für sie zuständigen Behörde strömen, eher den Eindruck französischer Soldaten nach der Völkerschlacht bei Leipzig als den von Gewinnern Merkelscher Politik ...

Leipzig bietet überdies noch den erbitterten Streit um das "Einheitsdenkmal" an. Viele lehnen es ab, zumal der Realkapitalismus in unserer Stadt ein zu DDR-Zeiten für völlig überflüssig gehaltenes Monument bereits errichtet hat: das Arbeitsamt. Auch die Industrieruinen tragen durchaus "Denkmals-Charakter" und zeugen von einem mehr als 20jährigen Dauerpfeifen auf dem letzten Loch.

Joachim Spitzner, Leipzig


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Das Unglück im Atomkraftwerk Fukushima bewegte wieder mehr Menschen dazu, bei Ostermärschen gegen die Gefahren der Atomkraft zu protestieren. Doch was ist mit Rüstungsgütern? Ein Atomkraftwerk kann Schaden bringen, hat aber auch einen Nutzen für die Stromerzeugung. Welchen Nutzen haben Waffen? Sie sind nur zum Töten hergestellt. Und solange sie produziert werden, muß es Kriege geben, damit man sie auch anwenden kann. Denn friedliche Lösungen bringen den Rüstungsindustriellen keinen Profit. Müßten wir alle nicht unsere ganze Energie zuerst darauf verwenden, gegen die Produktion von Kriegswerkzeug zu protestieren? Die BRD ist einer der führenden Waffenexporteure! Auch in Libyen wird von beiden Seiten mit importierten Waffen geschossen.

Woher stammen z. B. die Waffen der "Rebellen"? Wann wurde die Zivilbevölkerung jemals durch Bomben geschützt? Waren denn nicht in allen Kriegen besonders Frauen und Kinder die Leidtragenden?

Mit welchem Recht greift die NATO in Libyens Innenpolitik ein und bedroht jetzt auch Syrien? Wann folgen alle Staatsmänner der Einsicht, daß Gewalt keine Lösung herbeiführen kann? Was nützt es, wenn sich Obama für den Tod afghanischer Kinder entschuldigt, während das Töten nicht aufhört? Wie viele Tote es in Libyen inzwischen gibt, erfährt man nicht aus den Medien. Und was ist mit den Tausenden von Kindern, die täglich verhungern? Was würde es kosten, sie alle satt zu machen und gesund aufwachsen zu lassen? Ist es nicht endlich an der Zeit, der permanenten Herstellung von Kriegswerkzeug einen Riegel vorzuschieben? Stoppt die Rüstungsindustrie! Nie wieder Krieg - nirgends!

Monika Neidnicht, Niedergörsdorf

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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2011