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ROTFUCHS/117: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 163 - August 2011


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

14. Jahrgang, Nr. 163, August 2011



Inhalt
Ein häufig verkürztes Zitat: O-Ton Ulbricht
Als es 13 schlug. Ein Augenzeugenbericht
Liebich & Co.: Verkauf der eigenen Würde
Überzeugungstreue und Professionalität:
DDR-Auslandsaufklärung wurde 1951 gegründet
Stafettenwechsel bei den deutschen McCarthys
Bericht aus Düsseldorf: Die Stele auf dem Roten Platz
Ein "Whistleblower" hinter Gittern: Bradley Manning
Hermann Webers Verkleinerungsglas
Die Wandlungen des Klaus Kinner
German Titow, ein durchaus irdischer Weltraumerkunder
Warum der schwedische Diplomat Harald Edelstam in Kuba als Held gilt
Marxismus für Einsteiger: Religion
Das Lied vom "deutschen Schäferhund"
Lynchen bleibt Chefsache
"Überlistete" Lenin die Geschichte?
Ist faschistoide Ideologie "diskutierbar"?
Nachtigall, ick hör dir trapsen!
Wie die Rechten in der PDL mit der SPD kuscheln
Das Geheimnis der DDR-Sporterfolge
RF-Extra - Zum BRD Kampfbegriff von der "innerdeutschen Grenze"
RF-Extra - Staatlich verordneter Antikommunismus - 1956 wurde die KPD verboten
Eine Garrotte für Hellas
Damaskus im Fadenkreuz der CIA
Libyen: "Rebellen" als 5. Kolonne der NATO
Zur Rolle des Peronismus in Argentinien
Belgiens PTB trauert um Ludo Martens
KP Japans: Das nukleare Damoklesschwert
Wie eine Weltmacht liquidiert wurde - Zum Untergang der UdSSR
Ein neues Buch M. Balzers würdigt antifaschistischen Bekennermut aufrechter Christen
Unzertrennliche Freunde: Bredel und Weiskopf
Liszt und Kleist: Weimar gedenkt zweier Großer
Parteinahme eines Parteilosen: Gerhard Vontra
Nazis auf Bauernfang. Wie Hans Fallada einem Kriminalfall nachspürte
Rudi Strahl: "Ein irrer Duft von frischem Heu"
Merseburger Zaubersprüche
Archie über Ausblick und Durchblick
Immer bereit! Freiheitsmedaille für "Angie"
Leserbriefe
Grafik des Monats

Raute

Als sie an ihre Grenzen stießen

Bis zum 13. August 1961 standen allen Bürgern der DDR angesichts einer zwar markierten, aber nicht verschlossenen Grenze zu Westberlin zwei symbolische Türen offen. Die Wege dahinter führten zu diametral entgegengesetzten Zielen. Alle vor diese Wahl Gestellten konnten sich zwischen einer ausbeutungsfreien, aber noch von den Narben des Alten gezeichneten und mit den sich türmenden Schwierigkeiten des Anfangs ringenden sozialistischen Gesellschaftsordnung und dem wie Phönix aus der Asche der Niederlage gestiegenen deutschen Kapitalismus entscheiden. Diesen hatten üppige Marshallplan-Spritzen aus den USA zu unwirklicher Scheingröße aufgeblasen.

Der östliche Teil Deutschlands war der ärmere, was nicht ohne Sogwirkung zugunsten des reicheren Westens bleiben konnte. Wer sich für das sozialpolitische Gestern entschied, mußte lediglich die nächste S- oder U-Bahn nach Westberlin nehmen. Auch die durch Bonner Politiker irreführenderweise als "innerdeutsche Grenze" bezeichnete Trennlinie zwischen DDR und BRD war noch lange durchlässig.

Eingefleischte Faschisten und von antikommunistischem Haß inspirierte Reaktionäre anderer Machart hatten ihre Entscheidung für den "goldenen Westen" schon vor der DDR-Staatsgründung oder nur kurz danach getroffen. Jene aber, welche im Osten geblieben waren, standen nun vor der Alternative, sich entweder am Wegräumen der Hindernisse auf dem vorerst noch holprigen Weg zum Sozialismus zu beteiligen und dabei die "Mühen der Ebene" in Kauf zu nehmen oder dem von Bourgeois und Junkern befreiten Teil Deutschlands den Rücken zu kehren. Viele wollten nicht auf das Reifen der sich erst im Ansatz zeigenden Früchte warten und waren des Irrglaubens, "auf der anderen Seite" würden ihnen diese prall und saftig in den Schoß fallen. Hinzu kam die Vorstellung nicht weniger Abtrünniger, bei ihrem Schritt handle es sich ja gar nicht um einen Frontenwechsel, da sie doch nur "von Deutschland nach Deutschland" gegangen seien.

Abgesehen von Menschen, die aus familiären oder anderen privaten Motiven, aber auch aus Verdrossenheit über unsensible Entscheidungen von Staatsorganen und einzelnen Funktionären die DDR verließen, erfolgte die "Abstimmung mit den Füßen" ganz überwiegend aus materiellen Beweggründen. Das verhielt sich übrigens nach 1989/90 nicht anders, als zwei Millionen Deutsche vom durch die Treuhand ausgepowerten Osten in den Westen übersiedelten.

Ein hoher Prozentsatz jener Fachleute, welche sich schon bald nach dem Krieg absetzten, wurde durch im Osten enteignete, im Westen aber weiterbestehende Konzerne, denen komplette Listen ihrer früheren "Mitarbeiter" vorlagen, gezielt abgeworben. Unter denen, die sich in die Büsche schlugen, waren nicht wenige Bauern. Sie wollten sich den seit Anfang 1960 flächendeckend bestehenden Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften entziehen, trafen diese Entscheidung in erster Linie aber deshalb, weil ihnen die BRD-Behörden bei Verlassen der DDR hohe Abfindungen für ihr "durch die Kommunisten entrissenes Hab und Gut" in Aussicht stellten.

Ich melde mich hier als Zeitzeuge zu Wort. Ab August 1956 war ich Staatsanwalt im mecklenburgischen Güstrow. Jeden Morgen lag der neueste Rapport des Volkspolizeikreisamtes auf meinem Tisch. Seit dem Frühjahr 1961 gab es in diesem Bericht eine besondere Rubrik: Dort wurden die Namen und Tätigkeiten sämtlicher Personen aufgeführt, die sich in den vorangegangenen 24 Stunden in den Westen abgesetzt hatten. Daraus war zu ersehen, daß sich die Lage bedrohlich zuzuspitzen begann. Die Medien der BRD - allen voran der RIAS und der SFB, die bereits den konterrevolutionären Putschversuch vom 17. Juni 1953 "publizistisch begleitet" hatten - übernahmen wiederum den entscheidenden Part. Abermals ging es um das Schüren einer Massenpsychose. Und einmal mehr wurde die Destabilisierungskampagne geheimdienstlich gesteuert.

Nicht weniger gefährlich als der "Brain-Drain" - das systematische Abziehen hochqualifizierter und dringend benötigter Spezialisten - waren die Bestrebungen, ein ökonomisches Ausbluten der DDR herbeizuführen. Dazu diente vor allem der willkürlich in die Höhe getriebene Wechselkurs von D-Mark zu Mark der DDR. Enorme Beträge bei Westberliner Wechselstuben für einen Bruchteil ihres tatsächlichen Wertes erworbener DDR-Zahlungsmittel gelangten auf diese Weise in die Hände von Spekulanten, die am Kalten Krieg Unsummen verdienten. Überdies kam es zu einem beispiellosen Ansturm auf die "spottbilligen" Waren und Dienstleistungen im Osten, was die Wirtschaft der DDR spürbar belastete. Die Untergrabung der politischen und ökonomischen Stabilität des im Warschauer Vertrag verankerten sozialistischen deutschen Staates, bei der eine Eskalation bis zum heißen Krieg nicht mehr ausgeschlossen werden konnte, war von der sich immer mehr zuspitzenden Konfrontation der beiden Weltsysteme nicht zu trennen. Die imperialistische Strategie, die Westberlin als "Pfahl im Fleische der DDR" (Ernst Reuter) eine besondere Rolle zugedacht hatte, zielte auf eine radikale Veränderung des Kräfteverhältnisses zuungunsten des Sozialismus ab.

Was 1989/90 geschah, wurde erstmals 1953 erprobt und sollte schon 1961 zur Durchbrechung der westlichsten Verteidigungslinie der sozialistischen Staatengemeinschaft führen. Dabei preschte der deutsche Imperialismus am weitesten vor, während sich Präsident John F. Kennedy einen gewissen Realitätssinn bewahrte, als er die dann vom Warschauer Pakt ergriffenen Maßnahmen nüchtern zur Kenntnis nahm und auf zunächst angedrohte militärische Aktivitäten der Vereinigten Staaten verzichtete. Offenbar stellte der Chef der US-Administration dabei die Tatsache in Rechnung, daß die Vabanque-Spieler in Bonn und Westberlin im Ergebnis der buchstäblich über Nacht vollzogenen Abriegelung der Frontstadt und der nachfolgenden Errichtung einer "Mauer", mit der das bis dahin bestehende Leck abgedichtet wurde, an ihre Grenzen gestoßen waren.

Nicht ohne Grund sprach die DDR vom antifaschistischen Schutzwall, gegen den fortan die schwarz-braune Flut brandete. Die "Mauer" - das zweifellos häßlichste, zugleich aber wichtigste Bauwerk in der Geschichte der DDR - trug bei allen Belastungen für die von der plötzlichen Trennung betroffenen Menschen ganz wesentlich zur Entspannung der Lage in und um Berlin sowie zur Stabilisierung des europäischen Friedens bei. Zugleich entstanden mit der Schließung der eingangs erwähnten "zweiten Tür", die fortan eine prokapitalistische Option ihrer Bürger unterband, günstigere Bedingungen für eine erfolgreiche Fortsetzung des sozialistischen Aufbaus in der DDR. Dabei sollen negative Aspekte, die sich aus der nun eingetretenen Situation ergaben, keineswegs in Abrede gestellt werden.

Nachdem die Tore der zuvor für uneinnehmbar gehaltenen Festung Sowjetunion unter Gorbatschow von innen entriegelt worden waren, um "trojanische Pferde" in beliebiger Zahl einzulassen, konnte auch der DDR-Abschnitt der Front sozialistischer Staaten Europas nicht auf Dauer gehalten werden. In letzter Minute zur Entlastung der äußerst angespannten Situation geöffnete Ventile wie das zwar beschlossene, aber zur Fiktion verurteilte Reisegesetz vom November 1989 blieben wirkungslos, zumal es ja auch in Ostberlin einen angeblichen Zufallstäter gab, der von einer dubiosen Pressekonferenz aus - gewissermaßen per Knopfdruck - die Integrität der DDR zum Spielball ihrer Gegner gemacht hatte.

Fünfzig Jahre nach der antifaschistischen, Frieden und Sozialismus beschirmenden Großtat vom 13. August 1961, die ohne den rabiaten Ansturm des BRD-Imperialismus nicht notwendig gewesen wäre, schwelgen die antikommunistischen Mauerspechte, einstigen Maulwürfe und journalistischen Kanalratten im Taumel ihres Triumphes über das vor 21 Jahren durch die Konterrevolution zu Fall gebrachte sozialistische Deutschland. Inbrünstig stimmen sie ihre zur Siegeshymne verklärte Kakophonie an.

Geschenkt! Uns Kommunisten und Sozialisten können die "Jubiläums"-Tiraden des Klassenfeindes nicht aus dem politisch-ideologischen Gleichgewicht bringen. So grüßen wir am 50. Jahrestag des historischen Geschehens alle standhaft gebliebenen Angehörigen der DDR-Grenztruppen, vor allem aber jene Genossen, welche sich - durch die Rachejustiz der BRD verurteilt - weder ihren Eid noch ihren Schneid abkaufen ließen.

Klaus Steiniger


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Genossen der Kampfgruppen der Arbeiterklasse am Brandenburger Tor

Raute

O-Ton Walter Ulbricht

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Wie wir den Grenzabschnitt Schillingbrücke sicherten

Als es 13 schlug

Obwohl das Geschehen jetzt ein halbes Jahrhundert zurückliegt, erinnere ich mich noch sehr genau daran, wie ich im August 1961 an der Sicherung unserer Staatsgrenze beteiligt war. Lange Zeit hatte die DDR versucht, eine neue Gesellschaftsordnung bei jederzeit passierbarer Grenze zur antisozialistischen Frontstadt Westberlin aufzubauen. Die Zustände waren immer unerträglicher geworden. Schon 1948 - nach der separaten Währungsreform - hatte ich mir für mein Lehrlingsgeld, als wir unweit von Potsdam zelteten, in Kladow nichts mehr kaufen können. Andererseits tauschten Westberliner, aber auch Grenzgänger (DDR-Bürger, welche in Westberlin arbeiteten) ihre D-Mark zum Schwindelkurs von 1:4 bis 1:6 in Mark der DDR um. Zu einem Spottpreis kauften sie unsere Geschäfte leer. Die DDR sollte zugleich durch ein Handelsembargo und die gezielte Abwerbung von Fachleuten ruiniert werden. Von Westberlin aus wirkten unzählige Spionage- und Diversionszentren in unser Land hinein. Wir sollten im Würgegriff der BRD und ihrer Verbündeten erstickt werden.

Da schlug es 13! Auf einer Länge von 164 Kilometern wurde die Staatsgrenze zu Westberlin schlagartig dicht gemacht. Daran waren sämtliche Sicherheitskräfte der DDR - darunter auch die Kampfgruppen der Arbeiterklasse - beteiligt. In aller Frühe wurden wir alarmiert, um uns zum Einsatz im Betrieb zu melden. Das stieß auf nicht geringe Schwierigkeiten. Immerhin war Haupturlaubszeit und überdies ein Sonntag, an dem die Berliner traditionell "ins Grüne" fahren.

Wir Genossen vom Institut für Regelungstechnik gehörten zur Hundertschaft des VEB Meßelektronik. Unser Kommandeur war weit weg. Er leitete gerade das betriebliche Kinderferienlager im Thüringer Wald. Sein Stellvertreter befand sich auf einem Campingplatz an der Ostsee. Wir begleiteten unsere drei Jungen nach Stolzenhagen bei Wandlitz, wo meine Haidi das Landschulheim der Volksbildung übernehmen sollte. 40 Kinder und deren Eltern wollten sich zur Abfahrt mit der Heidekrautbahn in Wilhelmsruh treffen.

Aber da ich bereits alarmiert worden war, fuhr ich schnell wieder nach Hause, griff ein paar Sachen und begab mich zum Sammelpunkt. "Na, da bist Du ja endlich ...", begrüßte man mich mit Hallo. Rein in die Kampfgruppen-Uniform, dann direkten Weges zur Volkspolizei-Inspektion, wo ich die Waffe mit scharfer Munition statt der sonst üblichen Platzpatronen in Empfang nahm. Es handelte sich demnach um etwas Ernsteres. Nach der Einweisung gelangte ich mit einem Arbeitskollegen zum Einsatzort unweit des Ostbahnhofs. Wir wurden zur Sicherung des Grenzübergangs Schillingbrücke und des Uferstreifens der Spree eingeteilt. An Ort und Stelle trafen wir auf weitere Genossen unserer Hundertschaft. Der Auftrag lautete: Kontrolle des Personenverkehrs. Westberliner, die sich bei uns aufgehalten hatten, sollten nach Vorzeigen ihres Ausweises passieren dürfen, DDR-Bürger, die von drüben zurückkamen, nach Hause gelassen und unsrige, die nach Westberlin wollten, abgewiesen werden.

Nach dem Aufbau entsprechender Sperrvorrichtungen teilte man uns in Tag- und Nachtdienste ein. Als provisorisches Quartier diente eine nahegelegene Schule, wo wir auf einer Strohschütte zeitweilig schlafen konnten. An unserem Grenzabschnitt war es verhältnismäßig ruhig. Die Verkaufsstände auf der gegenüberliegenden Westseite verrieten, daß hier mit Kaugummi und Schokolade kein Geschäft mehr zu machen war. Die Grenzgängerei hatte ihr Ende gefunden.

Wir mußten uns auch auf mögliche Konfliktsituationen einstellen. Was sollte man tun, wenn plötzlich jemand in die Spree sprang und nach drüben schwimmen wollte? Gezielte Schüsse abgeben? Und wenn es nur ein dummer Junge war? Andererseits konnte es auch ein gesuchter Verbrecher sein. Wie auch immer - uns war klar: Jeder Tote an dieser Grenze ist einer zuviel. So verstärkten wir unsere Streifen am Ufer, um solche Ernstfälle erst gar nicht eintreten zu lassen.

Nach wenigen Tagen kehrten die ersten Genossen unserer Kampfgruppeneinheit an ihre Arbeitsplätze zurück, denn die Maschinen durften ja nicht allzulange stillstehen. Etwa eine Woche war ich an der Grenze im Einsatz. Zwischendurch fand ich auch mal die Zeit, um schnell zu Hause reinzuschauen und die Wäsche zu wechseln. In diesen Tagen bewährte sich die Verbundenheit zwischen den im Betrieb verbliebenen Kollegen und den Genossen der die Grenze sichernden Hundertschaft.

Am 23. August waren wir dann alle beim großen Appell und Vorbeimarsch der Kampfgruppen dabei. Uns erfüllte das Bewußtsein, an einer Aktion von höchster internationaler Bedeutung teilgenommen zu haben, mit der die Gefahr eines Krieges abgewendet wurde.

Natürlich waren viele Menschen und gerade auch Berliner Familien durch diese einschneidenden Maßnahmen empfindlich betroffen. Als mein Schwiegervater, der 40 Jahre bei Siemens gearbeitet hatte, plötzlich nicht mehr rüber durfte, habe ich ihn kurz entschlossen für unseren volkseigenen Betrieb gewonnen, brauchten wir doch dringend Elektromechaniker. Bis er in Rente ging, hat er sich dort sehr wohl gefühlt.

Gerd Rossignol, Berlin

Raute

Was Liebich & Co. für die Beteiligung am Berliner Senat bezahlten

Die eigene Würde als Preis

Im Zusammenhang mit dem 50. Jahrestag der DDR-Grenzsicherung wird der im Völkerrecht unbekannte Begriff "Unrechtsstaat" einmal mehr auf geradezu pathologische Weise strapaziert. Dabei lassen die solcherlei Sprachmißbrauch Treibenden bewußt außer acht, was den seinerzeit von der DDR ergriffenen Maßnahmen auf westlicher Seite vorausgegangen war. Und sogar solche, die es eigentlich besser hätten wissen müssen, besaßen bisweilen nicht mehr als den Mut zur Feigheit. Den Gipfel der Unterwürfigkeit und Anpassung an ihre antikommunistischen "Partner" lieferte 2001 die damalige Berliner PDS-Spitze um Stefan Liebich, als sie bei der Unterzeichnung des auf fünf Jahre ausgelegten Koalitionsvertrages mit der SPD die Aufnahme einer ihr durch Wowereits Leute vorgegebenen Bewertung des 13. August in die Präambel bedenkenlos akzeptierte. Der Text, den die seinerzeitigen PDS-Unterhändler billigten oder schluckten, lautete folgendermaßen: "Die 1961 von den Machthabern der DDR und der Sowjetunion errichtete Mauer vollendete und zementierte die Teilung und die Einordnung der Stadthälften in politisch gegensätzliche Systeme.

Die Berliner Mauer wurde aber nicht nur weltweit zum Symbol der Blockkonfrontation und des kalten Krieges, sondern vor allem zu einem Symbol für Totalitarismus und Menschenverachtung. Die Schüsse an der Mauer haben schweres Leid und Tod über viele Menschen gebracht. Sie waren Ausdruck eines Regimes, das zur eigenen Machtsicherung das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit mißachtete. Die Mauer durch Berlin, das unmenschliche Grenzregime mitten in Deutschland haben Familien und Freunde auseinandergerissen. Wenn auch der kalte Krieg von beiden Seiten geführt wurde, die Verantwortung für dieses Leid lag ausschließlich bei den Machthabern in Berlin und Moskau."

Wie man sieht, war der Eintrittspreis für den Senat die eigene Würde. Die Unterzeichner diskreditierten damit nicht nur sich selbst, sondern - vermutlich gegen den Willen ihrer Mehrheit - auch eine große antifaschistisch-demokratische Partei.   RF

Raute

Vor 60 Jahren erfolgte die Gründung der Auslandsaufklärung der DDR

Überzeugungstreue und Professionalität

Bald nach der Befreiung vom Faschismus entbrannte in Nachkriegsdeutschland der Kalte Krieg. Als immanenter Bestandteil dieser Entwicklung entfaltete sich der "unsichtbare" Krieg der Geheimdienste. Schon im Sommer 1945 hatten diese in den drei westlichen Besatzungszonen und den Sektoren Westberlins ihre Tätigkeit aufgenommen. Terror- und Untergrundorganisationen betrieben vor allem von dort aus - unter Duldung und Förderung durch die Westalliierten - ihre Wühltätigkeit gegen die sich in der sowjetischen Besatzungszone entwickelnde antifaschistisch-demokratische Ordnung.

Spionage, Gewaltakte und Sabotagehandlungen waren an der Tagesordnung. Eine Vielzahl von Polizisten und Zivilisten wurde Opfer von bewaffneten Anschlägen.

In der sowjetisch besetzten Zone lagen die innere Sicherheit wie auch die Spionageabwehr in den Händen der entsprechenden Dienststellen und Organe der UdSSR, weitere Aufgaben wurden von der in Deutschland wirkenden sowjetischen Auslandsaufklärung wahrgenommen.

In der Überzeugung, daß ein deutscher Dienst unter den im Lande bestehenden Bedingungen größere Erfolgschancen haben würde, an bestimmte Informationen heranzukommen, befürwortete die sowjetische Spitze im Sommer 1951 den Aufbau einer eigenen Auslandsaufklärung der DDR.

Die praktische Arbeit zur Formierung dieses Organs leitete der Staatssekretär im Außenministerium der DDR, Anton Ackermann. Bei der Sowjetischen Kontrollkommission wurde eine Abteilung für Organisation und Instruktion gebildet, die speziell damit beauftragt war, bei der Schaffung des Dienstes zu helfen. Diese Kommission leitete Oberst Andrej Grigorjewitsch Grauer.

Anfangs stand der Außenpolitische Nachrichtendienst (APN) vollständig unter Kontrolle der UdSSR. Die sowjetischen Berater beteiligten sich persönlich an der Erarbeitung von Arbeitsprinzipien und Struktur des APN, an der Auswahl und professionellen Qualifizierung der Kader, beim Aufbau der Auslandsresidenturen und des entsprechenden Netzes. Sie vermittelten ihre Erfahrungen und halfen bei operativen Vorgängen.

In der offiziellen Geschichte der russischen Auslandsaufklärung (2003) heißt es: "Die sowjetische Aufklärung tauschte mit den deutschen Kollegen Informationen aus und erhielt mit jedem Jahr ein umfangreicheres und wertvolleres Endprodukt der Anstrengungen des APN ­... Mit wachsender Reife der ostdeutschen Aufklärung entwickelten sich unsere gegenseitigen Beziehungen allmählich von der Unterstützung durch sowjetische Beratung und Instruktion zur fruchtbringenden gleichberechtigten und für beide Seiten nützlichen Zusammenarbeit.

Schon Ende der 50er Jahre verfügte die Auslandsaufklärung als Bestandteil des MfS der DDR über hervorragende professionelle Kader, die sich durch ihre Ergebenheit gegenüber ihrer Heimat und die Fähigkeit zur selbständigen Entwicklung und Realisierung komplizierter Vorgänge und Operationen auszeichneten."

In dem jüngst in den USA und Großbritannien vom Routledge-Verlag herausgebrachten Buch "Die ostdeutsche Auslandsaufklärung" wird einleitend festgestellt: "Die Hauptverwaltung A wurde nach bescheidenen Anfängen zu einem der erfolgreichsten, wenn nicht dem erfolgreichsten Aufklärungsdienst des Kalten Krieges in Ost und West."

Gemäß der sowjetischen Orientierung war bereits am 16. August 1951 ein Beschluß des Ministerrates der DDR ergangen, dessen praktischer Vollzug Anfang September des gleichen Jahres erfolgte. Ministerpräsident Otto Grotewohl formulierte ihn handschriftlich: "Beim Ministerpräsidenten wird eine Hauptverwaltung für wirtschaftswissenschaftliche Forschung gebildet." Das war die Gründungsurkunde der Auslandsaufklärung der DDR, der späteren - ab 1956 - Hauptverwaltung A (HV A) des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.

Als leitende Mitarbeiter wurden Personen ausgewählt, die sich im illegalen Kampf, als Partisanen der Roten Armee, in Konzentrationslagern und Zuchthäusern oder in der Emigration bewährt hatten. Stellvertretend seien genannt: Anton Ackermann, Richard Stahlmann, Robert Korb, Markus Wolf, Gustav Szinda, Herbert Hentschke, Gerhard Heidenreich, Walter Muth, Willi Wöhl, Bruno Haid, Bruno Grap, Heinrich Weiberg, Helmut Hartwig, Alfred Schönherr.

Erste Mitarbeiter des APN wurden im Dezember 1951 Kurt Gailat und Werner Witzel. Verantwortung im neuen Dienst übernahmen bald auch Hans Fruck, Walter Freiberg, Klaus Rößler, Werner Steinführer sowie Horst Jänicke, Werner Großmann und Werner Prosetzky.

Als künftige Arbeitsrichtungen des APN legten die sowjetischen Mentoren "die Analyse der innenpolitischen und wirtschaftlichen Lage in Westdeutschland durch Beschaffung von Informationen aus der Bonner Regierung und ihren Ministerien, dem Bundestag, dem Bundesrat, den Führungsorganen der westdeutschen Parteien, den Kirchen und anderen gesellschaftlichen Organisationen sowie den wissenschaftlich-technischen Einrichtungen der BRD" fest. Außerdem sollte er helfen, Licht in die Politik der westlichen Besatzungsmächte zu bringen und die Tätigkeit ihrer in der BRD und Westberlin stationierten Dienststellen aufzuklären.

Unter der Tarnbezeichnung "Institut für wirtschaftswissenschaftliche Forschung" wurde Ende August 1951 der Außenpolitische Nachrichtendienst (APN) aus der Taufe gehoben. Da kein Protokoll vorlag, wurde (so die Erinnerung von Markus Wolf) "im nachhinein der 1. September 1951 zum Gründungstag unseres Nachrichtendienstes erhoben".

Entsprechend der Verfassung ihres Staates war die Tätigkeit der Auslandsaufklärung der DDR seit ihrer Gründung darauf gerichtet, durch rechtzeitige Erkundung der gegen sie und ihre Verbündeten gerichteten politischen, militärischen, ökonomischen, wissenschaftlich-technischen und geheimdienstlichen Pläne und Aktivitäten die Sicherheit der DDR und ihr stabiles Voranschreiten sowie eine friedliche Entwicklung in Europa zu fördern. Sie stellte sich diesen Aufgaben in kameradschaftlichem Zusammenwirken mit der Militäraufklärung der Nationalen Volksarmee und den Diensten der verbündeten sozialistischen Länder.

Der Beitrag der HV A zur Friedenserhaltung fand internationale Würdigung. Mit dem Untergang seines Staates wurden die Zerschlagung dieses Dienstes sowie die Verfolgung und Diffamierung seiner Angehörigen zu einem vorrangigen Anliegen der nun im "vereinigten" Deutschland Herrschenden.

Oberst a. D. Bernd Fischer

Raute

Abgesang der zur "Behördenchefin" aufgestiegenen Ex-Katechetin Marianne Birthler

Stafettenwechsel bei den deutschen McCarthys

Stasi, Stasi und nochmals Stasi. ... Nicht wenige Leute leben recht gut vom permanenten Schüren dieser Hysterie. Das gilt für "DDR-Unrechtsforscher" diverser Kategorien, in der Öffentlichkeit sonst kaum noch beachtete professionelle "Bürgerrechtler" und vor allem für die notorische Stasi-Unterlagenbehörde. In ihrem zehnten Tätigkeitsbericht mußte sie den Offenbarungseid leisten: "Die serienweisen spektakulären Enthüllungen sind vorbei", heißt es da. Noch verblüffender erscheint aber das Eingeständnis, die Bevölkerung der DDR sei "kein Volk von Spitzeln und Verrätern" gewesen. Wie sollte sie es auch, wäre zu fragen, "wenn kaum mehr als ein Prozent der Bevölkerung hauptamtlich oder inoffiziell etwas mit der Stasi zu tun hatte".

Aber natürlich gehört es zum Geschäft der drei deutschen McCarthys - Gauck, Birthler und Jahn - sowie ihrer illustren Behörde, deren weitere Existenzberechtigung unablässig nachweisen zu wollen. Das zieht sich wie ein roter Faden durch den ellenlangen Bericht, den die Ex-Katechetin Marianne Birthler noch kurz vor ihrem Ausscheiden als hochdotierte "Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen" vorlegen durfte. Einmal mehr holte sie dabei zum antikommunistischen Rundumschlag aus, zumal sie nach zehnjähriger Tätigkeit als Brunnenvergifterin fortan in der politischen Versenkung verschwinden dürfte. Ihr Machwerk enthält interessante Details, die der von den Medien abgerichtete BRD-Normalbürger indes kaum zur Kenntnis nehmen dürfte. Während z. B. stets behauptet wird, das Interesse an den Akten sei "ungebrochen", beweist der Bericht, daß seit 1990/91 ein kontinuierlicher Rückgang bei Anträgen und Ersuchen festzustellen ist. Registrierte man 2001/2002 noch 439 655, so waren es 2010 nur noch 120 919. Auf den ersten Blick sind das immer noch sehr hohe Zahlen.

Doch eine nähere Betrachtung verdeutlicht, worauf diese ganz wesentlich zurückzuführen sind. Die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen für Anträge und Ersuchen wurden nämlich ständig ausgeweitet, nachdem Gesetze zur Rehabilitierung und zur sogenannten Opferrente vom Bundestag verabschiedet worden waren. Das "Stasi-Unterlagengesetz" - übrigens hat es ein Nazi-Unterlagengesetz in der BRD niemals gegeben - erfuhr bereits sieben Novellierungen. Mit der letzten wurden die Aktenzugangsrechte auf Verwandte dritten Grades (Onkel, Tanten, Nichten, Neffen) ausgedehnt. Hinz und Kunz können sich also bedienen. Wie es heißt, gilt eine abermalige Novellierung als sicher. Der überprüfbare Personenkreis sowie der Überprüfungszeitraum sollen wiederum erweitert bzw. verlängert werden. So erklärt sich die im Brandenburger Landtag entfachte Hektik neuer "Stasi-Überprüfungen", welche von Herrn Woidke, dem Innenminister der "rotroten" Landesregierung, willig aufgegriffen wurde, um auch Polizisten unterhalb der Behördenleiterebene auf frühere "Stasi"-Kontakte zu durchleuchten. Bisher war das nämlich nicht möglich, weshalb die Behörde der deutschen McCarthyisten in den letzten zwei Jahren rund 80% der diesbezüglichen Ersuchen ablehnen mußte.

Übrigens wird Brandenburg im 10. Tätigkeitsbericht des "Hauses" Birthler wegen seiner besonders ausgeprägten "Stasi"-Manie - sie hat sich offenbar auf den ND-Berichterstatter Wilfried Neiße übertragen - als beispielgebend hervorgehoben. Vom Verfolgungswahn betroffen sind neben Polizei und Justiz vor allem auch die Kommunalparlamente. Während 2008 lediglich zu 83 Mandatsträgern Überprüfungsersuchen eingingen, wurden 2009 schon 694 und 2010 sogar 1697 Personen "gescreent".

Frau Birthler beklagt in ihrem Tätigkeitsbericht, daß immer mehr ehemalige MfS-Mitarbeiter ihren früheren Job ganz öffentlich als "rechtskonforme normale Geheimdiensttätigkeit zum Schutze der Bürger" darzustellen versuchten. In der Tat melden sich etliche von ihnen, aber auch Historiker und Wissenschaftler anderer Disziplinen mit Büchern und bei Veranstaltungen zu Wort, um ihre kenntnisreiche Sicht auf das MfS zu vermitteln. Als Beispiel dafür sei der 2010 in der edition ost der Eulenspiegel-Verlagsgruppe erschienene Band "Fragen an das MfS - Auskunft über eine Behörde" genannt. Statt auch nur ansatzweise auf die hier von 27 Autoren präsentierten Fakten und Argumente einzugehen, bezeichnet man diese authentischen Zeitzeugen in Birthlers Bericht dümmlich-borniert als "zahlenmäßig begrenzte Zirkel alter Männer". Weiter heißt es dort leicht beklommen: "Viel bedeutender als diese ... dürften Strömungen und Äußerungen aktiver Politiker sein, die nach wie vor den Kommunismus im allgemeinen und die DDR im besonderen als den legitimen, wenn auch fehlerhaften Versuch sehen, eine humanere Gesellschaft aufzubauen." Sollte man nicht in diesem Zusammenhang fragen, ob Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Meinungsfreiheit nach Artikel 4 und 5 des Grundgesetzes nur für handverlesene, durch Gauck, Birthler und Jahn Auserwählte gelten?

Immerhin deutet der 10. Tätigkeitsbericht den teilweisen Mißerfolg dieser "Dreierbande" zaghaft an. "Auch viele westdeutsche Intellektuelle mißtrauen der Aufarbeitung der DDR-Diktatur." Dann wird die Verleumdung auf die Spitze getrieben: "Sie, deren politische Sozialisation eng mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus verknüpft war, sehen in ihr geradezu eine Bedrohung ihrer Identität, erst recht, wenn sie sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, jahrzehntelang auf dem linken Auge blind gewesen zu sein." Bemerkenswert ist auch die im folgenden zum Ausdruck kommende Mischung aus Heuchelei und Resignation: "Das Verhältnis zu Freiheit und Demokratie begründete im geteilten Deutschland Kontroversen und verschiedene Wertungen - quer zur Demarkationslinie. Bis heute scheint dies die wahre Mauer in den Köpfen zu sein - und diese Mauer wird uns länger zu schaffen machen als jeder Ost-West-Konflikt."

Unser McCarthy Nr. 3 verlegte sich zum Auftakt seines Wirkens auf reine Spiegelfechterei, als er sich für die "Umsetzung" von etwa 50 durch die Behörde einst eingekauften ehemaligen MfS-Mitarbeitern stark machte - der Gefühle von "Stasi-Opfern" wegen. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Dieter Wiefelspütz nannte Jahn daraufhin einen "Eiferer, der mit Schaum vor dem Mund" agiere. Sein "Haus" sei "keine Einrichtung, in der es um Menschenjagd geht".

Um was denn sonst?

Volker Link, Frankfurt (Oder)

Raute

Untergerresheim erinnert an seine Zeit als "Klein-Moskau"

Die Stele auf dem Roten Platz

In Untergerresheim wurde am 21.5. die vorerst letzte Stele des Förderkreises Industriepfad Düsseldorf-Gerresheim enthüllt. Insgesamt geben 20 Stationen auf der vier Kilometer langen Strecke Auskunft über die Entwicklung von Manufaktur und Industrie im 19. und 20. Jahrhundert, über Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse.

Die dreiseitige Stele mit dem Titel "Arbeiterbewegung" ist eine Darstellung von Klassenkämpfen: Auf einer Seite erhält man eine klare Übersicht zu Stationen des Industriepfades, auf der zweiten Seite befindet sich ein Überblick zur Arbeiterbewegung in der roten Industriestadt: "Düsseldorf wurde in den 20er Jahren eine der Hochburgen der KPD." Verwiesen wird auf Barrikadenkämpfe und Straßenschlachten gegen die Nazis.

Die dritte Seite der Stele befaßt sich speziell mit der Arbeiterbewegung in Gerresheim. Für den Glashüttenbesitzer Ferdinand Heye galt das "Herr-im-Haus-Prinzip" - durchgesetzt mit Polizei, Kündigungen und Vertreibung aus den Werkswohnungen. Trotzdem wurde die SPD hier im 19. Jahrhundert stark - und heftig verfolgt.

Nach der Revolution von 1918 entschied sich besonders Untergerresheim für die KPD, "die bei Reichstagswahlen auf mehr als 70 Prozent der Stimmen kam". In seinem Herzen - dem Roten Platz - wurde jetzt die Stele aufgestellt. Diese Gegend hatte auch bei den Feinden der KPD einen Namen: "Klein-Moskau". So fand dort bereits am 5. Mai 1933 eine großangelegte Razzia von SA und Polizei statt. Es erfolgten 300 Verhaftungen. Auf der Rückseite der Stele heißt es dazu: "Dennoch hielt der Widerstand der linken Gruppen an."

Schließlich wird der Bogen bis in die Gegenwart geschlagen: Nach dem Zweiten Weltkrieg "blieb die KPD/DKP um die Glashütte herum eine wichtige politische Gruppe", die regelmäßig in der Bezirksvertretung präsent war.

Die Stelen sind, anders als in der Antike, keine Grabsäulen, sondern Fingerzeige, die einen Bezug zur Gegenwart haben und in die Zukunft weisen. Der Förderkreis unter seinem Vorsitzenden Prof. Niklaus Fritschi kämpfte dafür, markante Industriearchitektur wie die Elektrozentrale und das Kesselhaus der Gerresheimer Glashütte sowie den Gerresheimer Bahnhof unter Denkmalschutz zu stellen. Diese Auseinandersetzungen wurden bereits erfolgreich abgeschlossen. Jetzt geht es darum, die Bauwerke für eine soziale und kulturelle Nutzung zu sichern. Die Stadt Düsseldorf hat sich dieser Pflicht bisher entzogen. Aber der Kampf ist noch nicht beendet.

Uwe Koopmann, Düsseldorf


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Einen Ausriß aus der Einweihungsrede mit dem Titel "Marx hätte seine Freude gehabt ..."
finden Sie in der Printausgabe des Rotfuchs oder in der PDF-Version abzurufen unter:
http://www.rotfuchs.net/Zeitung/Archiv/2011/RF-163-08-11.pdf

Raute

Warum der 23jährige US-Obergefreite Bradley Manning unserer Solidarität bedarf

Ein "Whistleblower" hinter Gittern

Die Antikriegsbewegung der USA erklärt den Begriff "Whistleblower" so: "Das sind Männer und Frauen, die mit Warnpfiffen an die Öffentlichkeit bringen, was die Regierung uns nicht wissen lassen will." Einer dieser "Whistleblower", der Journalist Daniel Ellsberg, der 1971 die Pentagon-Papiere über Lügen und Verbrechen der USA im Vietnamkrieg publizierte, setzt sich heute gemeinsam mit einer weltweiten Solidaritätsbewegung für den jungen Obergefreiten Bradley Manning ein.

Der 23jährige Nachrichtenanalyst der U.S. Army befindet sich seit Mai 2010 unter dem Vorwurf in Haft, der Enthüllungsplattform Wikileaks neben Tausenden Seiten interner US-Regierungsdokumente aus den Kriegen in Afghanistan und Irak auch Videomaterial über den Einsatz von zwei AH-64-Apache-Kampfhubschraubern in Bagdad zugespielt zu haben. Die Aufnahmen zeigen, wie am 12. Juli 2007 neun irakische Zivilisten und zwei Journalisten der Agentur Reuters auf offener Straße unter gezieltem Beschuß der US-Helikopter und begleitet von hämischen Funkkommentaren der Besatzungen sterben.

Am 5. April 2010 enthüllte Wikileaks das dokumentierte Kriegsverbrechen unter dem Titel "Kollateraler Mord" im Internet. Dadurch geriet Washington vorübergehend in arge Erklärungsnot. Das Heimatschutzministerium wurde angewiesen, dieses Leck im eigenen Apparat sofort zu verschließen. Wenige Wochen später verhaftete die US-Militärpolizei Bradley Manning an seinem Einsatzort nahe Bagdad. Als Gefangener des Pentagons wurde er über Kuwait in das Militärgefängnis der US-Marinebasis Quantico in Virginia verbracht.

"Stoppt die Kriegsmaschine!" und "Freiheit für Bradley Manning!" waren am Wochenende des 19./20. März 2011 die Parolen vieler Demonstranten aus der Friedensbewegung der USA, Kanadas, Australiens und Europas. Die Solidarität war dringend geboten, da sich Mannings Haftsituation dramatisch verschärft hatte.

Schon über 300 Tage hielt ihn das Pentagon in einer Isolierzelle, die Schikanen im Gefängnisalltag nahmen ständig zu. Für Jeff Patterson vom "Unterstützungsnetzwerk Bradley Manning" war das ein eklatanter Rechtsbruch, weil der Obergefreite damit ohne Prozeß für seine Standhaftigkeit bestraft und die Untersuchungshaft de facto in Strafhaft verwandelt werde. Gerade er, den man beschuldige, Beweise für Kriegsverbrechen an Wikileaks weitergegeben zu haben, werde wie ein Krimineller behandelt, während die wirklichen Täter unbehelligt blieben. Manning müsse täglich 23 Stunden in einer kahlen Einzelzelle zubringen, persönliche Habe sei ihm entzogen worden, nachts sogar seine Kleidung. Bei Besuchen werde er an Händen und Füßen gefesselt.

Nachdem sich monatelang Hunderttausende für Bradley Manning eingesetzt hatten, darunter auch 37 britische Unterhausabgeordnete, zeigten die Proteste gegen die Haftbedingungen Wirkung. Ende April 2011 wurde er aus Quantico in das Militärgefängnis Fort Leavenworth im US-Bundesstaat Kansas verlegt. Nach Einschätzung seiner engsten Freunde war das eine unmittelbare Reaktion auf Äußerungen des UN-Sonderbeauftragten für Folter, Juan E. Mendez, der die US-Regierung wegen Mannings Behandlung scharf kritisiert hatte.

Im Gegensatz zur Isolationshaft in Quantico bleibt Mannings Zellentür in Fort Leavenworth tagsüber offen, er hat Kontakt zu zehn von 150 Untersuchungshäftlingen. In seiner Zelle darf er nun Sport treiben, überdies auch die Gefängnisbibliothek nutzen. Die Post- und Besuchsregelungen wurden gelockert, Gespräche mit Freunden werden jedoch außer von Wärtern zusätzlich durch Kameras und Mikrofone überwacht.

Die verbesserten Haftbedingungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich Bradley Manning in großer Gefahr befindet. Im März 2011 wurde die 22 Punkte umfassende Anklage auf den neuen Hauptvorwurf "Unterstützung des Feindes" zugespitzt. Manning habe "verteidigungsrelevante Informationen" veröffentlicht, obwohl "er wußte, daß sie dann dem Feind zugänglich werden". Ohne nähere Erklärung, wer dieser "Feind" sein solle, wird Mannings angebliches Delikt damit rechtlich als Hochverrat eingestuft. Einem Militärgericht wäre es nun möglich, ihn nicht nur zu lebenslanger Haft, sondern auch zum Tode zu verurteilen.

Niemand weiß, ob Bradley Manning getan hat, was ihm vorgeworfen wird. Aber er hat sich trotz aller Bedrängnis nicht davon distanziert, sein Schweigerecht in Anspruch genommen und jede Zusammenarbeit mit den Staatsanwälten der U.S. Army abgelehnt.

Eine noch stärkere solidarische Unterstützung des jungen Kriegsgegners ist dringend geboten, zumal er stellvertretend für alle büßen soll, die dafür eintreten, als geheim eingestufte Dokumente über die Aggressionspolitik der Vereinigten Staaten und vom Imperialismus begangene Untaten ans Tageslicht zu bringen.

Weil Bradley Manning durch seine mutige Haltung zum Vorbild für viele Armeeangehörige geworden ist, deren Zweifel an den Kriegseinsätzen wachsen, gebührt ihm besonders auch die Solidarität aktiv dienender und ehemaliger Soldaten aus NATO-Ländern.

Jürgen Heiser

Raute

Wie das "Prinzip rechts" einem einstigen Linken den Blick trübte

Hermann Webers Verkleinerungsglas

Im Internet bin ich auf das schon 2006 erschienene Buch "Leben nach dem 'Prinzip links'" von Hermann und Gerda Weber gestoßen. Neugierig sah ich mir einige Seiten an, die dieses Paar verfaßt hat. Schon bald stieß ich auf folgende Zeilen: "Unter der Losung, die FDJ zum Verband der 100.000 zu machen (ein ganz irreales Ziel), hatte sie für den 1. Oktober 1950 verschiedene Zusammenkünfte organisiert. Ich wurde an diesem Tag nach Nürnberg geschickt, wo die Demonstration ebenfalls verboten war. In der Stadt bildeten sich jedoch immer wieder Ansammlungen, und ich mischte mich darunter." Als ich das meiner Frau vorlas, äußerte sie spontan: "Der Mann lügt!" Darin waren wir uns einig.

Zur Vorgeschichte dessen, um was es geht: Wir westdeutschen FDJler hatten der Adenauer-Regierung Kampf und Widerstand angesagt, weil sie die BRD massiv aufrüsten wollte. Wir machten aus unserer Abneigung gegen diesen Kurs kein Hehl, wobei wir die große Mehrheit der Bevölkerung in dieser Frage auf unserer Seite wußten.

Als die FDJ der DDR im Frühjahr 1950 auch an uns appellierte, zu Pfingsten am Deutschlandtreffen der Jugend in Berlin teilzunehmen, unterstützten wir dieses Vorhaben sofort. Es ging uns vor allem darum, möglichst viele noch nicht im Verband organisierte Jugendliche für die Reise zu gewinnen.

Das Adenauer-Regime tat alles in seinen Kräften stehende, um die Ankunft westdeutscher Jugendlicher zu verhindern. Es verbot ihnen unverblümt die Teilnahme. Presse und Rundfunk verbreiteten immer neue Drohungen. Man streute das Gerücht aus, der Bundesgrenzschutz werde notfalls auf Reisewillige schießen. Und wo diese Art von Propaganda nicht fruchtete, prügelte man ganze Gruppen aus den Zügen.

Es waren etwa 50 junge Leute, die mit mir von Fürth aus aufbrachen. Als wir bei Pabstleithen über die Grenze gingen, waren wir gerade noch sieben. Von den Bewaffneten gejagt und eingeschüchtert, hatten etliche aufgegeben, andere wurden von ihren Freunden getrennt. Daß am Ende dennoch 30 000 Jugendliche aus dem Westen ihr Ziel erreichten, war gewiß ein Erfolg.

In Anbetracht dessen, daß so viele Mädchen und Jungen dabeigewesen waren, beschloß das Zentralbüro der westdeutschen FDJ am 1. Oktober 1950 eine ähnliche Veranstaltung im Ruhrgebiet durchzuführen. Ja, wir trauten es uns sogar zu, für ein Treffen von 100.000 jungen Bundesbürgern zu werben. Damit wollten wir der Welt zeigen, daß es auch im Westen hinreichend Kräfte gab, die gewillt waren, für ein demokratisches Deutschland ohne Faschismus, Militarismus und Monopole einzutreten.

Es ging also nicht darum, 100.000 Mitglieder für die FDJ zu gewinnen, wie Herr Weber behauptet. Obwohl unsere Organisation 1950 immerhin etwa 30 000 junge Westdeutsche in ihren Reihen wußte, waren wir nicht so vermessen, derart irreale Ziele anzuvisieren.

In jener Zeit begannen sich in der Bundesrepublik bereits die Konturen des durch die Adenauer-Regierung ins Auge gefaßten Polizeistaates abzuzeichnen. Die massive Unterdrückung linker und antifaschistischer Kräfte wurde auf die Tagesordnung gesetzt. Ein Verbot folgte dem anderen. Konsequenterweise wurde auch das Treffen der 100.000 im Ruhrgebiet ins Visier genommen. Die Leitung unseres Verbandes sah sich daher gezwungen, die geplante Großveranstaltung zu dezentralisieren und Meetings in größeren Städten der BRD ins Auge zu fassen. Dafür kamen in Bayern nur Nürnberg im Norden und München im Süden in Frage.

Natürlich wurden auch diese Veranstaltungen verboten, obwohl Artikel 5 des Grundgesetzes die freie Meinungsäußerung garantiert. "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten", heißt es dort. Gerade dieses Recht wollten wir uns nicht nehmen lassen. Das erneute Verbot spornte uns, die wir für das Treffen in Nürnberg die Verantwortung trugen, dazu an, auf keinen Fall klein beizugeben.

Einige Tage vor dem festgelegten Termin beschlossen wir, die für Nürnberg vorgesehene Kundgebung in Fürth stattfinden zu lassen. Dort wird alljährlich am 1. Sonntag im Oktober eines der größten Kirchweihfeste Mittelfrankens begangen. Dazu stellen sich Besucher aus nah und fern ein. 1950 war der 1. Oktober ein Sonntag. Ein besseres Zusammenfallen konnte es nicht geben.

Während öffentlich weiter von Nürnberg als dem Ort der Begegnung die Rede war, trafen die Teilnehmer bereits mit Bussen und Zügen ein. Keiner durfte ein Blauhemd tragen, da die Polizei an diesem Tag Straßen und Bahnhöfe im ganzen Revier scharf kontrollierte. Nur den jeweiligen Delegationsleitern wurde die Verlegung mitgeteilt. Es ging darum, die Busse in letzter Minute umzuleiten. Die Zugreisenden konnten ja von Nürnberg mit der Straßenbahn nach Fürth gelangen, wo die Kundgebung vor dem Schauspielhaus stattfinden sollte.

Zur festgelegten Stunde füllte sich der Platz vor dem Theatergebäude.

Zunächst verlief alles friedlich, und es wäre sicher auch ruhig geblieben, hätte die Polizei nicht bereits während der Ansprachen damit begonnen, Jugendliche festzunehmen und abzuführen. Da geriet die Situation außer Kontrolle. Es kam zu einer regelrechten Straßenschlacht. Eiligst wurden Uniformierte aus der ganzen Umgebung zusammengezogen, Wasserwerfer fuhren auf, etwa 15 FDJler wurden abgeschleppt. Man stellte sie vor ein US-Militärgericht, das Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren aussprach. Als ich im März 1951 vor einem solchen Tribunal stand, schrieb die "Bayerische Volkszeitung", der Anklagevertreter habe die Fürther Friedensdemonstration vom 1. Oktober als "kleinen Bürgerkrieg" bezeichnet.

Der Renegat Weber hat das, was dort geschah, wohl durch das antikommunistische Verkleinerungsglas betrachtet. Er sprach von "verschiedenen Zusammenkünften und Ansammlungen", unter die er sich gemischt habe. Wahrheit statt Dichtung wäre da wohl angebrachter gewesen.

Stephan Blöth, Jena

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Wie Denkblockaden ein neues Ideologieraster hervorbrachten

Die Wandlungen des Klaus Kinner

Nicht alle DDR-Historiker haben die Konterrevolution 1989/90 verkraftet. Viele, die aus den Instituten heraus "evaluiert" wurden, zogen sich ins Private zurück. Einige - unter ihnen Kurt Pätzold und Dieter Eichholz - fanden Möglichkeiten, ihre Forschungen fortzusetzen sowie in Publikationen und Vorträgen marxistische Aufklärung zu betreiben - angesichts des heute vorherrschenden Geschichtsrevisionismus eine notwendige und verdienstvolle Arbeit. Historiker wie Horst Schneider und Götz Dieckmann zeigen im "RotFuchs" seit Jahren Flagge.

Etliche Jüngere haben in der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine völlig anders gelagerte Möglichkeit zur Selbstbestätigung gefunden. Einer von ihnen, er ist jetzt Geschäftsführer der RLS in Sachsen, leistete zu DDR-Zeiten eine honorige Arbeit. Er veröffentlichte 1982 ein fulminantes Buch mit dem Titel: "Marxistische deutsche Geschichtswissenschaft 1917 bis 1933". Es beruhte auf seiner Dissertation und der Habilitation, welche zu einer Universitätsprofessur führte. Der tüchtige Forscher - er heißt Klaus Kinner - hat keineswegs eine ideologisch dominierte Geschichtspropaganda betrieben, sondern eine recht fundierte Untersuchung auf breiter Materialgrundlage vorgenommen. Er hatte dabei Zugang zum Historischen Archiv der KPD, das sich damals im Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED befand. Nach seinen zusammenfassenden Erkenntnissen und Bewertungen erreichten die deutschen Kommunisten unter Thälmanns Führung eine neue Qualität und Dimension in ihrem Geschichtsdenken (S. 517). Er hob seinerzeit hervor, daß das Vermächtnis Rosa Luxemburgs und des Spartakusbundes nur von Positionen des Leninismus aus bewahrt werden konnte (S. 269). Ernst Thälmann, so urteilte der sachkundige Gelehrte, habe die KPD am Beispiel der flexiblen Strategie und Taktik der Bolschewiki orientiert (S. 297), wobei schrittweise ein leninistisches ZK entstanden sei (S. 331). Der marxistische Forscher arbeitete also ganz besonders die Formierung und den Sieg der leninistischen Kräfte in der KPD heraus (so auf S. 338) und verwies auf Thälmanns Wirken zur Hebung des Niveaus der theoretischen Arbeit, um hinter den Leninismus zurückgefallene Auffassungen zu überwinden (S. 423 f.). Diese "zutiefst dialektisch-historische Sicht" habe es dem KPD-Vorsitzenden ermöglicht, meinte Kinner, "eine unversöhnliche Haltung gegenüber jedem Versuch einzunehmen, die Fehler und Schwächen der Linken ... gegen den Leninismus zu richten" (S. 425).

Diese Analyse der politisch-ideologischen Entwicklung der KPD vertiefte der angesehene Leipziger Professor dann noch am Beispiel der Abwehrkämpfe der deutschen Arbeiterklasse gegen den Kapp-Putsch 1920, der Märzkämpfe 1921 und der revolutionären Aktionen des Jahres 1923, um damit die neue Etappe der Bolschewisierung nach 1931 als ein dringendes Erfordernis der KPD zu begründen (S. 452).

Nach 1990 revidierte der Historiker seine Sicht. Den Gesinnungswandel begründete er mit vermeintlichen "Denkblockaden". Ein "Leninismus-Axiom" habe ihm nur begrenzte Erkenntnisfortschritte ermöglicht. Auf denen beruhte indes Kinners gesamte wissenschaftliche Graduierung. Erst nach 1990 will er infolge "neuen Denkens" über Stalins Doktrinen erkannt haben, wie sehr der Leninismus mit diesem durchsetzt gewesen sei.

Von nun an widmete sich unser anpassungsfähiger Geist - in strikter Abstimmung mit entsprechenden Gremien der PDS - einer "antistalinistischen Revision" der Geschichte der Arbeiterbewegung. Einerseits streben deren Verfechter danach, ein Deutungsmonopol zur Gesamtthematik an sich zu reißen, andererseits distanzieren sie sich von den revolutionären Kämpfen des deutschen und internationalen Proletariats. Dabei geraten sie mit ihrem Anspruch und ihrer "antistalinistischen" Orientierung immer stärker in den Bannkreis der Traditionsschule des "klassischen" Antikommunismus.

Klaus Kinner will Thälmann für die Zwecke der Partei Die Linke zurechtstutzen und dabei den Revolutionär und klassenkämpferischen Arbeiterführer "freiheitlich-sozialistisch" ummodeln. Wie einst Rosa Luxemburg von der PDS knallhart vereinnahmt wurde, indem man ihre politischen Prämissen verfälschte, sucht Kinner nun nach einem Weg, mit Thälmann in ähnlicher Weise zu verfahren. Kommunisten und konsequente Sozialisten dürfen eine solche Entstellung der revolutionären Traditionen der KPD und die Fehldeutung Thälmanns nicht hinnehmen.

Eberhard Czichon, Berlin

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German Titow, ein durchaus irdischer Weltraumerkunder

Vor 50 Jahren - am 6. August 1961 - wäre ich am liebsten nicht mehr vom Radio gewichen. Die sowjetische Nachrichtenagentur TASS berichtete an jenem Tag in kurzen Abständen über Start und Flug des zweiten bemannten Raumschiffes, mit dem der UdSSR-Kosmonaut German Titow 17mal die Erde umrundete.

Was mag der kühne Weltraumfahrer wohl für ein Mensch sein? Wird er sich von anderen "irdischen Wesen" unterscheiden? Über diese und ähnliche Fragen dachte ich an jenem Tag oft nach. Aber sie blieben unbeantwortet, trennten mich doch viele tausend Kilometer von jenem Major der Sowjetarmee, über dessen glückliche Landung dann ausführlich berichtet wurde. Wochen vergingen. Da erfuhr ich plötzlich, daß der sympathische Fliegeroffizier mit seiner Frau im Rahmen eines größeren Programms auch die LPG Magdeburg-Neustadt besuchen würde. Als Mitglied der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD) hatte ich das Glück, den Aufenthalt der Gäste mitzuerleben. Ich konnte beiden Titows die Hände schütteln und sie beim Rundgang durch die Stallanlagen begleiten. Dabei erlebte ich den Kosmonauten im Gespräch mit Genossenschaftsbauern und spürte, wie aufmerksam er ihren Berichten zuhörte. Ich hatte sofort das Gefühl, daß der Weltraumflieger durchaus irdisch gepolt, also ein Mensch wie wir alle war. Da gab es keinen Anflug von Überheblichkeit. Immer wieder sprach German Titow von der Notwendigkeit einer Welt ohne Krieg. Titows Worte am Schluß des Rundgangs, der Einsatz für die Erhaltung des Friedens sowohl im Weltall als auch auf Erden müsse zum obersten Handlungsmotiv jedes Menschen werden, haben in mir einen tiefen und nachhaltigen Eindruck hinterlassen, der auch nach 50 Jahren nicht verblaßt ist.

Wolfgang Müller, Schwerin


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

German Titow und Frau bei ihrem Besuch in der LPG Magdeburg-Neustadt. Ihr Vorsitzender Karl-Heinz Tausche erläutert die modernen Anlagen.

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Warum Schwedens Chile-Botschafter Harald Edelstam in Kuba als Held gilt

Am 16. April 1989 starb Gustav Harald Edelstam in Stockholm. Er war Sohn einer adligen Familie und ging auf Schloß Karlberg zur Schule. 1939 legte er das juristische Staatsexamen ab. Danach wurde er vom schwedischen Außenministerium als Attaché eingestellt und noch im gleichen Jahr nach Rom entsandt. Während des 2. Weltkrieges war Edelstam zunächst in Berlin und ab 1942 in Oslo tätig. Als Diplomat in Norwegen rettete er Hunderte Widerstandskämpfer und Juden vor dem Zugriff der Faschisten. Er war das Bindeglied zwischen der norwegischen Widerstandsbewegung "Hjemmefront" und deutschen Hitlergegnern. Damals erhielt er den Namen "Schwarze Nelke".

1958 wurde er Schwedens Botschafter in Wien. 1972 übernahm er die gleiche Funktion in Chile. Harald Edelstam drückte offen seine Sympathie für den vom Volk gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende aus. Anders als die Diplomaten der BRD und der übrigen "demokratischen Staaten" stellte er sich konsequent gegen die Faschisten. Nach dem Pinochet-Putsch rettete er viele verfolgte Chilenen und andere Lateinamerikaner, die aus Brasilien und Uruguay wegen dort bestehender faschistischer Diktaturen fliehen mußten und in Chile lebten. Er bot ihnen freies Geleit und Asyl in Schweden an.

Als die kubanische Botschaft gegen jedes Völkerrecht von Panzern des Pinochet-Regimes attackiert wurde, stellte sich Harald Edelstam mit der schwedischen Fahne zwischen das Botschaftsgebäude und die Angreifer. Diese beendeten daraufhin den Beschuß. Die Kubaner konnten Busse besteigen und über die schwedische Botschaft in ihre Heimat zurückkehren. Auf die Frage, weshalb er das getan habe, soll er geantwortet haben: "Weil ich kein Unrecht vertrage."

Das faschistische Regime wies ihn aus. Der schwedischen Regierung war dieser Schritt der in Santiago an der Macht Befindlichen nicht unwillkommen, wurde sie dadurch von der Notwendigkeit befreit, ihn abzuberufen.

Bei einem Besuch Kubas wurde Harald Edelstam dann als Held gefeiert. Die USA betrachteten die Visite mit Mißfallen. In den 70er Jahren wurde der beherzte Diplomat zu einem Vorbild der schwedischen studentischen Linken. Nach Gerüchten soll er wegen seines mutigen Einsatzes in Chile sogar für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen worden sein. Das chilenische Parlament würdigte Edelstam postum und stiftete einen nach ihm benannten Preis. Erster Laureat war der Diplomat selbst. 36 Jahre nach dem Sturz Salvador Allendes durch faschistische Kreise der chilenischen Armee, erkannte Chile damit die Leistung des unerschrockenen Schweden an.

2007 kam in Chile ein Film über Harald Edelstam heraus. Er trug den Titel: Svarta nejlikan (Die schwarze Nelke) und erinnert an den kühnen antifaschistischen Einsatz des Diplomaten, der als "Schwedens umstrittenster Botschafter" bezeichnet wurde.

Ramona Gehring

Mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift "Links der Neiße", Görlitz, leicht redigiert

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Marxismus für Einsteiger - Religion

Karl Marx, der Materialist und Atheist, hat 1843 geschrieben: "Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes." (MEW, Band 1 / Seite 378) Man darf bei der Interpretation dieser sehr bekannten Aussage nicht vergessen: Opium war, neben Alkohol und Schierlingskraut, zu dieser Zeit noch das einzige Mittel, unerträgliche Schmerzen, etwa bei Operationen, zu dämpfen. Übersehen soll man auch nicht, welche große Rolle die Religionskritik bürgerlicher Philosophen im gesamten Prozeß der Herausbildung und Entwicklung des Marxismus-Leninismus gespielt hat. Diese Auseinandersetzungen gehören zu den Quellen der revolutionären Theorie der Arbeiterklasse.

Nun wird aber immer wieder behauptet, Lenin habe - im Gegensatz zu Marx - die Religion als Opium "für" das Volk bezeichnet, sie demzufolge auf ein von den herrschenden Klassen bewußt eingesetztes Herrschaftsinstrument reduziert. Das ist unrichtig. Lenin hat Marx' Definition stets nicht nur korrekt zitiert, sondern war sich auch über die vielfältigen Ursachen religiösen Glaubens völlig im klaren. Er unterschied sehr genau zwischen politischem Kampf gegen die Kirche, soweit diese die Ausbeutung verteidigte, und der Haltung gegenüber religiös gebundenen Menschen. Wer seine Schriften anders deutet, handelt böswillig.

"Die Ohnmacht der ausgebeuteten Klassen im Kampf gegen die Ausbeuter", betonte er 1905, "erzeugt ... unvermeidlich den Glauben an ein besseres Leben im Jenseits ... Wir fordern, daß die Religion dem Staat gegenüber Privatsache sei, können sie aber keinesfalls unserer eigenen Partei gegenüber als Privatsache betrachten. Den Staat soll die Religion nichts angehen, die Religionsgemeinschaften dürfen mit der Staatsmacht nicht verbunden sein. Jedem muß es vollkommen freistehen, sich zu jeder beliebigen Religion zu bekennen oder gar keine Religion anzuerkennen, d. h. Atheist zu sein, was ja auch jeder Sozialist in der Regel ist. ... Wir fordern die völlige Trennung der Kirche vom Staat, um gegen den religiösen Nebel mit rein geistigen und nur geistigen Waffen, mit unserer Presse, unserem Wort zu kämpfen. ... Wenn dem so ist, warum erklären wir in unserem Programm nicht, daß wir Atheisten sind? Warum verwehren wir es Christen und Gottesgläubigen nicht, in unsere Partei einzutreten? ... Die Einheit (des) wirklich revolutionären Kampfes der unterdrückten Klasse für ein Paradies auf Erden ist uns wichtiger als die Einheit der Meinungen der Proletarier über das Paradies im Himmel. ... Das ist der Grund, warum wir den Proletariern, die noch diese oder jene Überreste der alten Vorurteile bewahrt haben, die Annäherung an unsere Partei nicht verwehren dürfen." (LW, 10 / 70-74)

Nun könnte man meinen, Lenin habe seine Haltung nach der Oktoberrevolution geändert. Das war aber nicht der Fall. 1918, mitten im blutigen Bürgerkrieg, unterstrich er in seiner "Rede auf dem I. Gesamtrussischen Arbeiterinnenkongreß": "Im Kampf gegen religiöse Vorurteile muß man außerordentlich vorsichtig vorgehen; großen Schaden richtet dabei an, wer in diesem Kampf das religiöse Gefühl verletzt. Der Kampf muß auf dem Wege der Propaganda, der Aufklärung geführt werden. Wenn wir den Kampf mit scharfen Methoden führen, können wir die Massen gegen uns aufbringen; ein solcher Kampf vertieft die Scheidung der Massen nach dem Religionsprinzip, während unsere Stärke doch in der Einigkeit liegt. Die tiefsten Quellen religiöser Vorurteile sind Armut und Unwissenheit; eben diese Übel müssen wir bekämpfen." (LW, 28/176)

Es ist eine Verleumdung, Lenin, diesen entschiedenen Streiter des dialektischen und historischen Materialismus, zum Urheber der Umwandlung russisch-orthodoxer Kirchen in Viehställe zu machen, wie es ja später in der Tat geschehen ist. Dümmliches Eifern schadet und darf nicht mit weltanschaulicher Prinzipienfestigkeit verwechselt werden.

Prof. Dr. Götz Dieckmann

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Am 5. August 1950 formierte sich die BRD-Revanchisten-Zentrale

Das Lied vom "deutschen Schäferhund"

Daß sich fünf Jahre nach dem blutigsten Krieg, den die Weltgemeinschaft bis dahin erfuhr, ein Teil der von den Folgen direkt Betroffenen miteinander verband, ist vielleicht nicht allzu verwunderlich. Befremden aber muß die Tatsache, daß der Zusammenschluß zum "Bund der Heimatvertriebenen" a priori unter der Fahne des Revanchismus erfolgte. 61 Jahre nach Gründung der Organisation von Möchtegern-Ostlandreitern hat sich an deren Zielstellung nichts geändert. Geht man vom Projekt der "Vereinigten Staaten von Europa" aus - und nichts anderes stellt ja die EU im Grunde genommen dar -, dann sind die Möglichkeiten einer Revision der Grenzziehung von Jalta und Potsdam bereits abgesteckt. Selbstverständlich soll das nicht so primitiv teutonisch geschehen, wie es sich die berufsvertriebene Dame Steinbach und deren Kohorten vorstellen, sondern immer unter Beachtung der durch die BRD weitgehend mit abgesteckten "gesamteuropäischen Interessen".

Daß entsprechende Pläne bereits in der Nachkriegszeit entstanden sind, als sie noch - hätte man damals von ihnen erfahren - als Hirngespinste betrachtet worden wären, zeigt das "vorausschauende Denken" der alten und neuen Revanchisten. Wenn auch die gebetsmühlenartig vorgetragene Litanei über von polnischtschechischer Seite "begangene Greuel" eine die Aufmerksamkeit mindernde Monotonie erzeugt hat, darf der psychologische Zündstoff dennoch nicht unbeachtet bleiben, den das ständige Gerede Frau Steinbachs und ihres Umfeldes zu "Menschenrechtsverletzungen gegenüber Deutschen" enthält. Die "Charta der Heimatvertriebenen" deutet unmißverständlich die Hauptstoßrichtung des strategischen Spiels an.

Interessant ist dabei, daß die Zahl der "Vertriebenen" ständig zunimmt. Denn auch ihre Kinder, Enkel und Urenkel werden von den Berufsrevanchisten mitgerechnet, so daß eines Tages fast das ganze deutsche Volk aus "Heimatvertriebenen" bestehen könnte. Welch ein grotesker Gedanke!

Neben der erwähnten "Charta der Heimatvertriebenen" ist vor allem der Aufbau einer großdeutschen Zielen dienenden Fünften Kolonne in Polen zu erwähnen. Im Zeitraum zwischen 1950 und 1987 wurden die Fundamente zur systematischen Unterwanderung vor allem der polnischen Westgebiete gelegt. Wie ging dieser Versuch, zunächst auf leisen Sohlen in der Volksrepublik Fuß zu fassen, vonstatten? Die Gelegenheit war relativ günstig, weil es aus den verschiedensten Gründen - trotz der als "Vertreibung" bezeichneten Aussiedlung - in den polnisch gewordenen Gebieten noch deutsche Minderheiten gab.

Der BRD, die sich als selbsterklärte Rechtsnachfolgerin des Hitlerschen Dritten Reiches verstand, fehlte es nicht an verfügbaren Diensten, um in Polen Fuß zu fassen. Dabei ging man mit "erfahrenen Kräften" ans Werk.

Auf einer Dienstreise im Winter 1981 nahm ich den D-Zug Hamburg-Wroclaw, wobei ich hoffte, in einer stillen Ecke ein Nickerchen machen zu können. Abteile und Gänge waren mit Bündeln, Kisten und Paketen vollgestopft. Im Zug herrschte ein geschäftiges Treiben. Da an einen Kurzschlaf nicht zu denken war, hielt ich die Augen offen. Die Reisenden waren sehr verschiedenen Alters. Mindestens drei Generationen gehörten dazu. Fast alle kannten sich untereinander. Sie sprachen überwiegend Deutsch, erteilten den Kindern aber Anweisungen auf Polnisch, wenn diese zu laut wurden. Auf meine Fragen nach dem Woher und Wohin erhielt ich nur einsilbige Antworten.

Offenbar hatte man den Fahrgästen in Hamburg empfohlen, sich vorsichtig zu bewegen, da der Zug DDR-Gebiet passierte. Dort sollte man nicht mitbekommen, was hier gespielt wurde.

Mit der Zeit wich die Zurückhaltung der Passagiere mir gegenüber. Eine junge Frau begann "aufzutauen" und erzählte mir ihre Geschichte, die jener der anderen Reisenden ähnlich war. Alle stammten aus Westpolen, das damals auf BRD-Karten noch immer als "unter polnischer Verwaltung stehendes deutsches Reichsgebiet" geführt wurde. (Bereits 1950 war die Oder-Neiße-Grenze zwar von der DDR anerkannt worden, doch die BRD sah sich erst 40 Jahre später zum Nachziehen gezwungen, wobei sie mit bitterer Miene in den sauren Apfel biß.)

Die "Reisegruppe" bestand aus "Volksdeutschen", die allesamt mindestens einen im Krieg gegen die "Russen" gefallenen oder verwundeten Verwandten und möglichst noch einen deutschen Schäferhund nachweisen konnten. Freudig hatte man dabei klerikale Hilfsdienste in Anspruch genommen. In der Folgezeit stellten sich für jene, welche solche Glücksumstände erfuhren, handfeste Vorteile gegenüber Bürgern ohne Hund und Helden ein. Sie vertieften die Vorstellung, als Deutsche in fremder Umgebung überdauert zu haben.

Was ich auf jener Fahrt herausfand, war folgendes. Bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen gewährte Bonn polnischen Staatsbürgern deutscher Nationalität drei Privilegien: eine jährlich anzutretende und bezahlte mehrwöchige Erholungsreise für die ganze Familie nach Westdeutschland; die Auszahlung eines offenbar nicht gerade bescheidenen Taschengeldes für die Dauer des Aufenthalts; die Einbeziehung auch der Nachkommenschaft in den Kreis der Nutznießer.

Mit solcherlei Wohltaten organisierte sich die BRD nicht unerhebliche Vorteile im Kampf um Köpfe und Brückenköpfe in der Volksrepublik Polen. Die Reisen der "volksdeutschen" Gruppen erfolgten in der "Saure-Gurken-Zeit" für Hotels und Pensionen. Die hier geschilderte Rückfahrt der "Gäste" fand im Januar statt. Die Gruppe war auf einer Nordseeinsel gewesen.

Das den Teilnehmern ausgezahlte Taschengeld mußte am Urlaubsort ausgegeben werden, wobei die Reisezeit mit dem Winterschlußverkauf der Bekleidungsbranche zusammenfiel. Das erklärte den vor allem mit Textilien vollgestopften Zug. Und schließlich wurde auch das Fernziel angesteuert: Bei Einbeziehung der Nachgeborenen wuchs der Anteil "deutschstämmiger" Polen erheblich.

So schließt sich der Kreis, und wir sind wieder bei der Berufsvertriebenen Erika Steinbach, die nicht zufällig der CDU-Fraktion des Bundestages angehört, und ihrem schattigen Verein. Denn "Heimatvertriebene" und "Deutschstämmige" waren und sind auch heute zwei Seiten einer Medaille.

Dr. Günther Freudenberg, Bernburg

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Steht der § 140 des StGB der Mordsfreude unserer Kanzlerin im Wege?

Lynchen bleibt Chefsache

Betrachten wir das erste Bild: USPräsident Barack Obama und Mitglieder seiner Administration verfolgen die Hinrichtung Osama bin Ladens. Außenministerin Hillary Clinton, sonst ein lächelnder Eisblock, gelingt es am Monitor nicht, ihr Erschrecken zu unterdrücken. Ist sie vielleicht menschlicher als unser tonangebender deutscher Holzklotz, der sich seine Freude über die Tötung eines Terrorverdächtigen durch ein staatliches Killerkommando auch öffentlich nicht verkneifen konnte? Handelte es sich bei ihr um einen Ausbruch individueller Blutrünstigkeit oder Rachsucht, ein Zeichen strenggläubiger Christlichkeit oder gar das Signalisieren deutscher Grundwerte?

Übrigens: Hillary Clinton erschrak nicht des simplen Mordes wegen, sondern weil einer der Kampfhubschrauber der Navy Seals bei der Landung abstürzte.

Was sind überhaupt Grundwerte?

Während es instinktlose Menschen gibt, haben Tiere nur Instinkte, denen sie gewohnheitsgemäß folgen. Menschliche Grundwerte sollten eigentlich Ideale oder Ideen sein, die wegen ihrer Bedeutung bewahrt und gefördert werden müssen. Es handelt sich demnach um Vorstellungen, auf die Mitglieder der Gemeinschaft nicht grundlos stolz sind. Sie wurden gewissermaßen von Menschen für andere Menschen erdacht und werden - hält man sie für besonders wichtig - in ein Grundgesetz geschrieben, damit man sie jederzeit dort nachlesen kann.

Da Konzerne "als solche" nicht lesekundig sind, haben sie keine Grundwerte - ausgenommen das Streben ihrer Bosse nach Profit. Es kann nicht mit menschlichem Appetit, sondern eher mit dem Instinkt von Raubtieren verglichen werden.

Für die meisten Regierungen sind Grundwerte wenig praktikabel, weil sich Institutionen vor diesen ohnehin kaum retten können und sie ebenfalls als leseunkundig gelten.

Betrachten wir die zweite Abbildung etwas genauer. Hier geht es um überseeische "Grundwerte". Gezeigt wird die New Yorker Freiheitsstatue, deren Fackel durch das abgeschlagene Haupt des selbstgezeugten Phantomfeindes Nr. 1 der Vereinigten Staaten ersetzt worden ist. Die Montage symbolisiert den Horror der imperialistischen Hauptmacht vor dem Völkerrecht. Sie drückt aus, daß die Tötung von Menschen in den USA offenbar einen ganz besonderen Grundwert darstellt. Dafür spricht auch die Tatsache, daß dort in fast jeden geordneten Haushalt ein paar grundsolide Schußwaffen gehören, die im Lauf der Jahrhunderte nur in den seltensten Fällen zum Büchsenschießen bei Kindergeburtstagen benutzt worden sind.

Unsere Kanzlerin lebt leider nicht am Hudson, obwohl Obama die Grill-Freundin seines Vorgängers George W. Bush erst unlängst zur Freiheits-Ritterin geschlagen hat. Sie ist eine inbrünstige deutsche Christin von großer Überzeugungstiefe. Wenn sie sich dennoch von Herzen an einem Mord ergötzt hat - muß ihr Gefühlsausbruch dann nicht auch zu einem Grundwert für ihre Untertanen werden? Sind Mord und Totschlag - eigentlich zwei ganz gewöhnliche kriminelle Delikte - damit zur Durchsetzung von "Freedom and Democracy" erlaubt? Man denke nur an die Verteidigung unserer Grundwerte am Hindukusch!

Das alles steht natürlich nicht im Grundgesetz. Dafür gibt es andere Regeln, die Normalverdienern nicht zukommen. Ihnen dürfen nur ganz besondere Menschen folgen, die von Amts wegen dazu berufen sind.

Setzen derlei Grundwerte nun die hehren Prinzipien außer Kraft, welche uns zwischen dem Frühstücksfernsehen und der Abendschau mit fürsorglicher Beharrlichkeit eingetrichtert werden? Gemeint sind solche Bagatellen wie Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und ein auf Beweise gestützter Richterspruch.

Der Laie ist verunsichert: Darf fortan jeder jeden lynchen, oder bleibt das auch weiterhin Chefsache, wie das die hier wiedergegebene Aufnahme von der Obama-Administration zeigt, die einen durch sie in Auftrag gegebenen Mord am Bildschirm mitverfolgt?

Übrigens hat ein Richter unsere Kanzlerin wegen öffentlicher Billigung eines vorsätzlich begangenen Tötungsverbrechens im Sinne des § 140 StGB angezeigt. Das beweist doch sehr eindringlich, daß wir in einem Rechtsstaat leben, in dem von Rechts wegen so ziemlich alles möglich ist.

Da bleibt am Ende die Frage: Was soll nur aus dem vorwitzigen Kerl mit der Robe werden? Hat er denn überhaupt keinen Nerv für Grundwerte - und sei es auch nur die eigene Karriere?

Wolfgang Klages, Berlin

Raute

"Überlistete" Lenin die Geschichte?

Das ND veröffentlichte am 29. April einen Artikel Prof. Rosenfelds zur Einordnung der vor Jahren verfaßten Lenin-Biographie des verstorbenen Prof. Wolfgang Ruge. Dieser spricht darin von der "Tragödie eines großen Revolutionärs". Rosenfelds Rezension ist mehr oder weniger eine Beschreibung der Ansichten Ruges über Lenin. Gleich zu Beginn wird dessen Meinung angeführt, "Lenins System" habe "Stalin hervorgebracht". Das vom Führer der Bolschewiki in Wort und Schrift entwickelte Programm nennt Ruge "realitätsfremd". Es sei das "Wunschbild eines Mannes, der nur über höchst unvollkommene Kenntnisse der Staatsführung, der Wirtschaftsorganisation und der Verwaltungstechnik verfügt" habe. Dabei werden Lenins wegweisende Schriften zu dieser Thematik, seine "Aprilthesen" vom Frühjahr 1917 - das kurz gefaßte Konzept des Übergangs von der bürgerlich-demokratischen zur sozialistischen Revolution in Rußland - völlig außer acht gelassen. Ihnen folgten bekanntlich solche fundamentalen Arbeiten wie "Staat und Revolution", "Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky" und "Der 'linke' Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus". Damit wies sich Lenin nicht nur als gründlicher Kenner des Marxismus aus, sondern zugleich auch als dessen Fortsetzer unter neuen historischen Bedingungen.

Lenin mit Stalin gleichzusetzen, ist in bestimmten Kreisen und Gremien heutzutage zwar Mode, doch die damit verfolgte Absicht schimmert allenthalben durch. Damit soll Lenins Integrität und seine Treue zur Sache der revolutionären Partei des Proletariats in Zweifel gezogen werden. Als standhafter und erfahrener Marxist akzeptierte er kein Abdriften in opportunistische Gefilde. Ein Wesenszug seines Arbeitsstils war das Bedürfnis nach Kollektivität bei der Lösung aller Fragen von prinzipieller Bedeutung. Er vertraute seinen Mitstreitern und setzte sich niemals über gewählte Organe hinweg. So erteilte er einem Genossen, der die Ansicht vertrat, alle Fragen im ZK würden "von Lenin allein" entschieden, eine unmißverständliche Antwort. "Sie irren sich", ließ er ihn wissen, "wenn Sie sagen, daß ich das ZK sei. ... Weshalb die Nerven verlieren ... wenn Sie etwas so Unmögliches schreiben." (Lenin, Briefe, Bd. 7, S.192)

J.W. Stalins Entwicklung zum Marxisten nahm nach dessen eigener Darstellung viele Jahre in Anspruch. Das erklärt auch die Tatsache, daß zwischen ihm und Lenin in grundsätzlichen Fragen des öfteren Meinungsverschiedenheiten auftraten. Ein Beispiel: Als Volkskommissar für Nationalitätenpolitik vertrat Stalin den Gedanken einer Autonomie der nichtrussischen Völker. Erst nach einer lebhaften Debatte mit Lenin schloß er sich dessen Idee eines Staatenbundes mit Selbständigkeit aller Partner an, wie ihn die spätere UdSSR verkörperte.

Lenins persönliches Urteil über Stalin war wohl am deutlichsten jenem Brief zu entnehmen, den er an die Delegierten des 13. Parteitages der KPR (B) richtete. Darin charakterisierte er mehrere Mitglieder des ZK, darunter auch Stalin. Lenin schrieb wörtlich: "Stalin ist zu grob, und dieser Mangel, der in unserer Mitte und im Verkehr zwischen uns Kommunisten durchaus erträglich ist, kann in der Funktion des Generalsekretärs nicht geduldet werden. Deshalb schlage ich vor, sich zu überlegen, wie man Stalin ablösen könnte, um jemand anderen an diese Stelle zu setzen, der sich in jeder Hinsicht von Genossen Stalin nur durch einen Vorzug unterscheidet: nämlich dadurch, daß er toleranter, loyaler, höflicher und den Genossen gegenüber aufmerksamer und weniger launenhaft ist." (LW, Bd. 36, S. 580)

Die Delegierten des 13. Parteitages der KPR (B) hielten es dennoch für zweckmäßig, Stalin auf seinem Posten zu belassen, nachdem er gelobt hatte, Lenins Hinweise künftig zu befolgen. In der ersten Zeit trug er dessen Ansprüchen Rechnung und setzte sich nachdrücklich für die Erfüllung seines Vermächtnisses ein. Wenn Stalin später in seine alten Gewohnheiten zurückfiel, dann war das nicht nur eine Charakterfrage, sondern auch den Umständen jener Zeit geschuldet, die eine besonders straffe Disziplin und ein einheitliches Handeln der Partei erforderten. Als Stalin ab 1925 die sozialistische Industrialisierung einleitete, gab er diese fälschlicherweise als Fortsetzung der Leninschen Neuen Ökonomischen Politik (NÖP) aus, obwohl der mit dieser eingeschlagene Weg de facto verlassen wurde. Lenin hatte die NÖP offenbar als längerfristige Variante im Auge gehabt.

Mit der forcierten und einseitigen Kursnahme auf die zweifellos notwendige Industrialisierung fielen wichtige wirtschaftliche Potenzen aus, darunter die erforderliche Entwicklung der Warenproduktion, die Steigerung der Erträge in der Landwirtschaft sowie die Orientierung auf eine gewisse Zusammenarbeit mit ausländischen Unternehmen, um entsprechende eigene Erfahrungen sammeln zu können.

Offensichtlich ließen sich Stalin und die KPdSU von der Feststellung der ersten Unionskonferenz der Funktionäre der Industrie im Februar 1931 leiten: "Wir sind hinter den fortgeschrittenen Ländern um 50 bis 100 Jahre zurückgeblieben. Wir müssen diese Distanz in zehn Jahren durchlaufen. Entweder wir bringen das zuwege, oder wir werden zermalmt" (Stalin, Werke, Bd. 13, S. 36).

Kehren wir zu der Frage zurück, ob Stalin nach den Weisungen Lenins gearbeitet hat. Die Frage ist aus meiner Sicht nur mit Ja und Nein zu beantworten. Ja bedeutet, daß Stalin der Leninschen Linie folgte, eine "gewisse Festigung des Sozialismus zu sichern, wie schwach und wenig ausgedehnt sie auch sein mag, bis die Revolution in anderen Ländern heranreift" oder zumindest günstigere Bedingungen für die Sowjetrepublik entstanden sind. Nein, was die dabei angewandten Methoden betrifft. Hier haben sich die Bestrebungen, der "Weltrevolution" ihre Basis zu erhalten, mit negativen Tendenzen einer immer stärkeren Personifizierung der Macht vereint. Ich gehe davon aus, daß es die folgenschweren Repressalien gegen angebliche Parteifeinde - überwiegend alte Bolschewiki - unter Lenin nicht gegeben hätte. Er bevorzugte die freimütige und kameradschaftliche Diskussion, wobei er rechts- oder linksopportunistische Auffassungen inhaltlich kompromißlos bloßstellte. Ich werde die Vermutung nicht los, daß nach Lenins Tod und in späteren Jahren an der Spitze der KPdSU Politiker überwogen, die sich zwar auf den Begründer ihrer Partei beriefen, seinen Führungsstil aber nicht oder nicht hinreichend verinnerlicht hatten. Der Versuch, Lenin als einen Mann zu karikieren, der keine Vorstellung vom Sozialismus gehabt habe und angetreten sei, "die Geschichte zu überlisten" (ND 21.1.1999) oder der "die Macht zu früh ergriffen" habe (ND 7.8.07), bedeutet ein Abgehen von den Kriterien wissenschaftlicher Geschichtsbetrachtung.

Dr. Rudolf Dix

Raute

Warum die SPD nicht auf ihren "Genossen" Thilo Sarrazin verzichten möchte

Ist faschistoide Ideologie diskutierbar?

1. Mai 2020: Der brandenburgische SPD-Innenminister läßt Internierungslager für "arbeitsunwillige" Migranten aus der Türkei und den arabischen Ländern einrichten. Der Berliner SPD-Polizeipräsident verfügt ein totales Demonstrationsverbot in der Bundeshauptstadt. SPD-Chef Thilo Sarrazin verlangt, das "S" aus dem Parteinamen zu streichen und es fortan durch ein "N" zu ersetzen. Im Bundestag stimmt die SPD-Fraktion einer Resolution über die außenpolitischen Ziele der neuen nationalen Regierung von Bundeskanzler Holger Apfel (NPD) zu.

Sind das alles nur Schreckensvisionen und Alpträume eines von Paranoia Befallenen, oder gibt es für die Anbiederung bestimmter Kräfte innerhalb der Sozialdemokratie an prononciert rechte Ideologie und Politik etwa historische Vorbilder? Ziehen wir den SPD-Kurs zu Zeiten der Weimarer Republik und unmittelbar nach Hitlers Machtantritt zum Vergleich heran.

1921: Der preußische Innenminister Carl Severing (SPD) läßt in Cottbus und Stargard (Pommern) auch so bezeichnete "Konzentrationslager" für Juden aus Osteuropa einrichten. Die Insassen werden vom schwer rechtslastigen Wachpersonal als "Saujuden" beschimpft, erbärmlich verpflegt und zum Teil sogar mißhandelt. Erst nach heftigen Protesten, vor allem in jüdischen Zeitungen, werden beide "Konzentrationslager" 1923 wieder aufgelöst.

1925: Gustav Noske (SPD), der Jahre zuvor den "Bluthund" bei der Niederschlagung der deutschen Revolution spielen wollte, bringt im Reichstag einen Antrag ein, sogenannte Rheinland-Bastarde (Kinder von deutschen Frauen und farbigen französischen Besatzungssoldaten) staatlich zu registrieren - eine Geste, welche später von den Nazis, die Noske wohlwollend in Rente schicken, dankbar honoriert wird.

1. Mai 1929: Der Berliner SPD-Polizeipräsident Zörgiebel (SPD) verbietet jegliche Demonstrationen und läßt seine Polizeikohorten blindwütig in die Menge der dennoch demonstrierenden kommunistischen, sozialdemokratischen und parteilosen Arbeiter schießen. Der Tag geht wegen der vielen Toten als "Blut-Mai" in die Geschichte ein.

1933: Nachdem Hindenburg den Hitler-Faschisten am 30. Januar die Staatsmacht ausgeliefert hat, beginnt sich die SPD-Führung den neuen Herren in halsbrecherischer Weise anzubiedern. Otto Wels offeriert den Nazis in seiner Reichstagsrede vom 23. März, die SPD wolle fortan eine "loyale Oppositionspartei" sein, wenn sich die NSDAP an die parlamentarischen Spielregeln halte. Daß dies keine leeren Versprechungen sind, stellt die SPD-Reichstagsfraktion am 17. Mai unter Beweis, als sie den außenpolitischen Zielen (!) der Hitler-Regierung zustimmt und im Anschluß daran gemeinsam mit den Faschisten alle drei Strophen des Deutschlandliedes singt.

Zudem distanziert sich die Partei 13 Tage (!) vor ihrem Verbot von dem nach Prag verlegten Vorstand und wählt eine neue staatstragende Leitung unter Löbe, Westphal und Stelling. Sie schweigt auch später zur systematischen Ausrottung der europäischen Juden durch die deutschen Faschisten, obwohl sie über die Vorgänge in den Vernichtungslagern informiert ist. Der Exilvorstand kann sich trotz wiederholter Aufforderungen durch jüdische Organisationen zu keiner diesbezüglichen Stellungnahme aufraffen.

Sicher wiederholt sich die Geschichte nicht und wenn doch, dann lediglich als Farce. Aber jeder Verzicht auf den Kampf gegen die neofaschistische Ideologie, welche sich u. a. im Antisemitismus, Rassismus und Sozialdarwinismus äußert, bedeutet eine Schwächung des Antifaschismus in der SPD und in der BRD-Gesellschaft insgesamt.

Dadurch, daß man Antisemiten - Sarrazin spricht von einem "Juden-Gen" - und anderen Rassisten ("Antiislamismus", Ausfälle gegen türkische und arabische Migranten) in die Hände arbeitet und den Sozialdarwinismus durch eine üble "Unterschichtdebatte" propagiert, ist man in den Augen der heutigen SPD kein Unerwünschter.

Thilo Sarrazin wird wegen der in seinem Elaborat "Deutschland schafft sich ab" vertretenen Thesen nicht etwa aus der SPD ausgeschlossen, die seinen Standpunkt für "diskutierbar" hält, was dem Vordringen neofaschistischer Ideologie objektiv den Weg bereitet. Da ist es kein Wunder, wenn viele aufrechte Antifaschisten unterdessen die SPD in Richtung der linkssozialdemokratischen und antifaschistischen PDL verlassen.

Karsten Schönsee

Raute

Wie die Rechten in der Linkspartei mit der SPD kuscheln

Nachtigall, ick hör dir trapsen!

Der Chefredakteur des gewandelten ND, Jürgen Reents, gibt sich in letzter Zeit recht "pluralistisch", wie sein Interview mit dem "Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen" Roland Jahn und sein Artikel über das "Stern"-Gespräch zwischen dem Vorsitzenden der SPD Sigmar Gabriel und dem stellvertretenden Vorsitzenden der PDL-Bundestagsfraktion Dietmar Bartsch erkennen lassen.

Das ND sieht sich bei der Veröffentlichung solcher Texte als "geläutertes linkes Blatt", das dem Pluralismus-Verständnis der "Reformer" in der Partei Die Linke (es handelt sich dabei um die Rechten unter den "Linken") Rechnung trägt. Beispiele dafür liefern immer wieder die argumentativ schütteren Veröffentlichungen des Feuilletonchefs, der die Leser mit seinen antikommunistischen Ausbrüchen förmlich überschüttet. Der Huldigung Gorbatschows folgte die nicht weniger peinliche Eloge auf Monika Maron.

Nur leicht verschlüsselten Klartext spricht Dietmar Bartsch in besagtem Dialog mit Sigmar Gabriel. Ihr "Gedankenaustausch" ist deshalb so aufschlußreich, weil er zu einem Zeitpunkt stattfand, in dem der Wahlkampf bereits Gestalt anzunehmen begann. Vieles deutet darauf hin, daß die sogenannten Volksparteien zugunsten der Grünen Federn lassen müssen, von Westerwelles FDP, die jetzt der renommierte Wirtschaftsfachmann Philipp Rösler leitet, ganz zu schweigen.

Bemerkenswert ist, daß sich ausgerechnet Dietmar Bartsch für dieses Gespräch einbrachte, obwohl der Vorstand der PDL doch erst unlängst beschlossen hatte, die innerparteilichen Querelen zu beenden und damit nicht mehr in die Medien zu gehen. Offensichtlich ist bei Bartsch das Geltungsbedürfnis derart stark ausgeprägt, daß er glaubt, sich nicht an solche Vorgaben halten zu müssen.

Der frühere Bundesgeschäftsführer der PDL versucht sich auf schäbige Art und Weise von seiner Partei abzugrenzen, indem er die angeblich irgendwo in der PDL geäußerte Meinung zum besten gibt: "Solange die Sozialdemokraten nicht die Kriegskredite von 1914 zurückgezahlt haben, reden wir nicht mit ihnen." Er interpretiert das als fundamentale Verweigerungshaltung.

Ähnlich unfein erscheint mir Bartschs abgrenzende Äußerung mit antisowjetisch-antikommunistischem Unterton: "Der KGB hat manchen erst zum Sozialdemokraten gemacht. Herbert Wehner ging als Kommunist nach Moskau und kehrte als Sozialdemokrat zurück." Da darf man doch wohl fragen, in welche politische Schule Bartsch eigentlich gegangen ist und wo er bis vor 20 Jahren gelebt hat.

Offenbar zögert er einstweilen, sich zu entscheiden, weil er noch nicht weiß, wohin das Pendel ausschlagen wird. Mit dem Herzen ist er längst in der SPD, mit dem Verstand aber einstweilen woanders. Der Grund dieses Zögerns: Bartsch will abwarten, wie der Machtkampf in der PDL endet. Setzen sich die ehrlichen Sozialisten, von denen nicht wenige unter dem Banner eines "demokratischen Sozialismus" versammelt sind, durch, dann ist immer noch Zeit, von Bord zu gehen. Gewinnen indes seine "Reformer", dann könnte sich Bartsch berechtigte Hoffnungen machen, die Nr. 1 in dieser "zweiten SPD" zu werden. Sie hätte mit einer sozialistischen Partei nichts mehr gemein.

Was Herrn Gabriel betrifft, so hält sich dieser an die 2003 von Schröder kreierte Formel vom "Entzaubern" der PDS. Damals wurde in dieser die Parole ausgegeben: "Lieber Schröder als Stoiber", was zu empfindlichen Stimmenverlusten führte, so daß nur noch zwei Abgeordnete im Bundestag übrigblieben. Solche Niederlagen hindern Bartsch jedoch nicht daran, sie als Siege auszugeben.

Heute fordert Gabriel die SPD-nahen PDL-Mitglieder auf: "Kommt doch zu uns!" Der SPD-Vorsitzende geht davon aus, daß die Partei Die Linke nach wie vor tief gespalten ist und die Rangelei um Posten weitergehen wird. Diesen Zustand könnte nur ein rigoroser Schnitt beenden, der aber kaum zu erwarten ist. Gabriel will daher "reformorientierte Sozialisten" wie Bartsch, den er lockend als "Ausnahmetalent" bezeichnet, für seine nicht nur durch die Grünen in Bedrängnis gebrachte Partei werben. Er baut darauf, daß sich die so umgarnten Sozialdemokraten in der PDL über kurz oder lang nach einer neuen politischen Heimat umsehen könnten.

Bartsch wartet trotz der süßlichen Lockrufe des Herrn Gabriel vorerst ab. Er gibt sich noch PDL-engagiert und spricht salbungsvoll von seiner "emotionalen Bindung" an die Linkspartei, obwohl er doch zu den wenigen in der Fraktion gehört, die auch Gauck als Bundespräsidenten akzeptiert hätten. Vielleicht hat er einfach nur erkannt, daß er bei einem Übertritt zur SPD als deren Parteisoldat in Reih und Glied marschieren müßte, während er bei der PDL fast kritiklos und natürlich ungestraft in jedem beliebigen Revolverblatt oder auch im seriöseren "Stern" seine "genialen" Gedanken vortragen darf.

Nachtigall, ick hör dir trapsen!

Günter Bartsch, Berlin

Raute

Soziale Rahmenbedingungen, Trainingsfleiß und Treue zur olympischen Idee

Das Geheimnis der DDR-Sporterfolge

Der Sport der DDR errang erst nach und nach internationales Ansehen, weil hervorragende Leistungen seiner Protagonisten trotz massiver Störversuche, angesichts der Alleinvertretungsanmaßung Bonns - kurz Hallstein-Doktrin genannt - sowie ständiger Interventionen der westdeutschen Sportführung errungen werden mußten. Auf der 90. Tagung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), die 1985 in Berlin stattfand, würdigte dessen damaliger Präsident Juan Antonio Samaranch erstmals den bedeutenden Beitrag der DDR zur olympischen Bewegung und die Leistungen ihrer Sportler bei den Spielen.

Die Forderung "Sport für alle" war in der DDR zur Realität geworden. Das entsprach dem Prinzip des Sozialismus, Leistungsvermögen zu entdecken, zu entwickeln und zu fördern.

Im Geiste der olympischen Idee waren 1989 Verbände und Gremien des DDR-Sports als aktive Mitglieder in 92 internationalen Sportföderationen und -organisationen tätig. 129 seiner Repräsentanten hatten dort verantwortungsvolle Funktionen übernommen.

Der Deutsche Turn- und Sportbund (DTSB) der DDR unterhielt Beziehungen zu nationalen Sportorganisationen in etwa 90 Ländern. Trainer und Experten unseres Landes förderten die Sportentwicklung in über 50 Staaten. An der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig wurden mehr als 2100 Sportkader aus 90 Staaten ausgebildet. Damit erfüllte die DDR ihre Verpflichtungen im Rahmen des Programms für Olympische Solidarität des IOC.

Besondere Aufmerksamkeit maß man im DDR-Sport der Entwicklung einer allseitig gebildeten, geistig und körperlich leistungsfähigen jungen Generation bei. Dieses Ziel stellte dem DTSB gemeinsam mit den Volksbildungsorganen sowie der Pionierorganisation und der FDJ die Aufgabe, Kinder und Jugendliche für eine regelmäßige sportliche Betätigung zu gewinnen. Es ging darum, ihnen Freude und Erholung bei Sport und Spiel zu vermitteln und im Trainingsprozeß mitzuhelfen, körperliche Leistungsfähigkeit und Gesundheit zu erwerben sowie wertvolle moralische Eigenschaften wie Beharrlichkeit, Zielstrebigkeit, Mut und Einsatzbereitschaft zu entwickeln.

Die Anerkennung, die dem Sport in der DDR zukam, zeigte sich nicht zuletzt in den Leistungen bei der gesundheitlichen Betreuung der Athleten sowie in der prophylaktischen Medizin.

Auch die Trainingswissenschaft der DDR beantwortete wichtige Fragen. Sie betrafen vor allem die Trainierbarkeit menschlicher Leistungsfähigkeit. Niemals wurde der Sport dazu mißbraucht, in natürliche Schutzmechanismen des Sportlers gegen Überanstrengung "einzudringen".

Die wissenschaftliche Neubestimmung des Trainingsgegenstandes erfolgte zu Beginn der 60er Jahre. Ihm zufolge war nicht die internationale Integrations- und Konkurrenzfähigkeit Ziel der Entwicklung von Leistungskapazitäten, sondern Ergebnis des Wirkens sozialer Faktoren und der Förderung von Voraussetzungen sportlicher Leistungsfähigkeit, die von allgemeinen Theorien der Entwicklung menschlichen Leistungsvermögens ausgingen. Die DDR gehörte zu den wenigen Mitgliedsländern des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), die sich bei zunehmender Härte sportlicher Auseinandersetzungen und angesichts des Ringens vieler Länder um sportlichen Erfolg immer einer breiten Förderung des olympischen Sports verpflichtet fühlten. Eine Gleichsetzung von olympischem Sport mit anderen Sportarten im Programm der Spiele sowie eine Trennung von Massen- und Leistungssport fanden keinen Anklang.

1989 übten in der DDR 70.000 Kinder in Trainingszentren, 12.000 Heranwachsende besuchten die Kinder- und Jugendsportschulen, und 3500 Aktive gehörten als A- und B-Kader den Sportclubs an. Der Antrieb zum Erreichen des höchsten Niveaus wurde aus dem Bewußtsein des humanistischen Wertes sportlicher Spitzenleistungen (nicht zu verwechseln mit jetzt immer mehr zunehmenden mittelmäßigen Siegleistungen) geschöpft.

Als Trainer und Übungsleiter in einem Trainingszentrum vertraute ich dem Leistungswillen und Fleiß der Kinder und der hochmotivierten Sportler. Es ist nicht hinnehmbar, daß das humanistische Ideal des körperlich und geistig gebildeten Menschen - Hauptthema der sozialen Verantwortung des Sports - den Profitinteressen der kapitalistischen Industrie und millionenschwerer Finanzkräfte geopfert wird.

Manfred Wozniak, Meister des Sports, Erfurt


Von Sportlern der DDR bei Olympischen Spielen errungene
Medaillen
Winterspiele
Gold
Silber
Bronze
 1956 Cortina d'Ampezzo
 1960 Squaw Valley
 1964 Innsbruck
 1968 Grenoble
 1972 Sapporo
 1976 Innsbruck
 1980 Lake Placid
 1984 Sarajevo
 1988 Calgary
-
2
2
1
4
7
9
9
9
-
1
2
2
3
5
7
9
10
1
-
-
2
7
7
7
6
6
Sommerspiele
Gold
SiIber
Bronze
 1956 Melbourne
 1960 Rom
 1964 Tokio
 1968 Mexiko-Stadt
 1972 München
 1976 Montreal
 1980 Moskau
 1988 Seoul
1
3
3
9
20
40
47
37
4
9
11
9
23
25
37
35
2
7
5
7
23
25
42
30

Raute

RF-Extra

Warum sich die BRD auf den Kampfbegriff "innerdeutsche Grenze" versteifte

Die Sprache des Kalten Krieges

Die irreführende Vokabel "innerdeutsch" wurde von 1945 bis 1990, wird aber auch nach der Annexion der DDR durch die BRD als ein ideologisierter Kampfbegriff mit stereotyper Beharrlichkeit angewendet. Er unterstellt, daß die DDR - ein souveräner und gleichberechtigter deutscher Staat - von der BRD nicht als Ausland zu betrachten war. Das kam einer Leugnung ihrer Staatlichkeit gleich.

Im allgemeinen, aber auch im amtlichen Sprachgebrauch der BRD, wurden die Begriffe Zonengrenze bzw. innerdeutsche Grenze aufrechterhalten. Daran änderte sich auch nichts, nachdem der Grundlagenvertrag abgeschlossen und beide deutsche Staaten als Mitglieder in die UNO aufgenommen worden waren.

Passiert man heute die Grenze zwischen den alten Bundesländern und dem früheren Territorium der DDR, kann man Schilder mit der Aufschrift entdecken: "Hier verlief bis 1989 die innerdeutsche Grenze."

Neben der Verwendung des irrigen Begriffs innerdeutsch wird in diesem Falle auch die Tatsache geleugnet, daß die Staatsgrenze zwischen BRD und DDR bis zur Annexion im Oktober 1990 fortbestand. Die politische Bedeutung einer strikten Trennung des Grenzregimes als eines staatsrechtlichen und des Verlaufs der Staatsgrenze als eines völkerrechtlichen Problems kommt hier besonders deutlich zum Ausdruck.

Im Entwurf der Regierung der UdSSR für einen Friedensvertrag mit Deutschland aus dem Jahre 1959 gibt es keine "innerdeutschen" oder "Zonen"-Grenzen.


Klar definierte Hoheitsgebiete

Unter Hinweis auf eine beigefügte topographische Karte werden die Hoheitsgebiete beider deutscher Staaten im Artikel 8 "durch die Linie voneinander abgegrenzt, die am 1. Januar 1956 bestanden" hat. In einem Gutachten des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten der DDR-Volkskammer vom 9. Februar 1959 wurde hervorgehoben, daß die Grenzregelungen der Artikel 8 bis 12 des Entwurfs von den bestehenden Grenzen ausgehen, die ein friedliches Zusammenleben mit den Nachbarstaaten gewährleisten.

Damit war selbstverständlich auch die Staatsgrenze DDR-BRD gemeint, ohne daß sie besonders genannt wurde.

Die DDR sei immer davon ausgegangen, sichere Grenzen trügen dazu bei, daß "weder in unserer Zeit noch in Zukunft ein Krieg von deutschem Boden ausgehen kann", erklärte 1964 der DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht.

Zu jener Zeit wurden noch Begriffe wie "Demarkationslinie zwischen der DDR und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands", "Gebiet der DDR und des demokratischen Sektors von Groß-Berlin", "Interzonenreiseverkehr", "Grenze zwischen der DDR und der Deutschen Bundesrepublik" in Titeln von Rechtsvorschriften der DDR verwendet.

Später hieß es dann Westgrenze der DDR, Staatsgrenze der DDR, Staatsgrenze zwischen der DDR und Westberlin und schließlich 1990 (unter massivem "Einfluß" der BRD) innerdeutsche Grenzen. Unabhängig von der Bezeichnung war es eine Staatsgrenze zwischen zwei damals noch bestehenden deutschen Staaten.

Im Februar 1972 erklärte das SED-Politbüromitglied Hermann Axen im Gespräch mit dem seinerzeitigen französischen Außenminister Schuman: "Der Begriff innerdeutsch ist nicht nur Unsinn, sondern gefährlicher Unsinn. Es gibt keine innerdeutschen Grenzen, sondern Grenzen zwischen der DDR und der BRD. Es gibt keine innerdeutschen Konflikte. Und die Bombe, die von der BRD auf die DDR abgeworfen würde, jede feindliche Handlung gegen unsere Grenze und unser Territorium, wären nicht innerdeutsch, sondern Aggression im Sinne des Völkerrechts. Die Beziehungen zwischen der DDR und BRD sind ebensowenig innerdeutsch wie die Beziehungen zwischen Frankreich und Kanada innerfranzösisch genannt werden können, nur weil es französisch sprechende Kanadier gibt."


Achtung der territorialen Integrität

In einer gemeinsamen Erklärung über eine Unterredung des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker mit Bundeskanzler Helmut Kohl, die am 12. März 1985 in Moskau stattfand, hieß es unmißverständlich: "Die Unverletzlichkeit der Grenzen, die Achtung der territorialen Integrität und der Souveränität aller Staaten in Europa in ihren gegenwärtigen Grenzen sind eine grundlegende Bedingung für den Frieden."

Während eines Besuchs von Bundesminister Seiters Anfang Juli 1989 in Berlin erklärte DDRAußenminister Oskar Fischer unwidersprochen, es sei generell notwendig, "die Grenze als eine Grenze zwischen zwei souveränen Staaten zu achten; die Bezeichnung 'innerdeutsche Grenze' verschleiert diesen Sachverhalt."

Schon aus diesem Grunde mutet es wie ein Witz an, wenn in der Anordnung der bereits untergehenden DDR über die Aufhebung der Personenkontrollen an den Staatsgrenzen 1990 auf einmal von "innerdeutschen Grenzen" die Rede ist.

Selbstverständlich hatte all das nichts mit einer Destabilisierung der DDR zu tun!

Bei einem Treffen des Staatsratsvorsitzenden mit Seiters am 4. Juli 1989 stellte Erich Honecker ohne Einspruch seines Gesprächspartners fest: "Eine Politik der Veränderung der Grenzen ist illusionär. Die Philosophie des Fortbestandes des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 ist nicht haltbar; das Deutsche Reich ist untergegangen. Seit 1949 gibt es zwei deutsche Staaten."

Egon Krenz, der Honecker in diesem Amt folgte, stellte am 20. November 1989 in Berlin bei einem Gespräch mit dem Bundesminister fest, die DDR mache die Grenzen durchlässiger, was aber nicht bedeute, daß sie in Frage gestellt würden. Das gelte auch für die Grenze in Berlin.

In einem Gespräch Kohls mit US-Außenminister Baker am 12. Dezember 1989 sagte der Bundeskanzler, die Grenzfrage sei wichtig. Es gehe ihm um eine "friedliche Änderung der Grenzen" im Sinne der KSZE-Schlußakte.


Grundlagenvertrag markierte neuen Abschnitt

Die Bedeutung des Grundlagenvertrages besteht darin, daß er als "Kernstück eines ganzen Geflechts von Vereinbarungen und Regelungen, die das Verhältnis zwischen der DDR und der BRD auf eine normale gutnachbarliche Basis stellen sollten", angesehen wurde. Seine Regelungen trugen Kompromißcharakter und waren ausgewogen, so daß man - wie DDR-Botschafter Karl Seidel konstatierte - "kaum etwas hinzufügen oder wegnehmen konnte, ohne das ganze Gebäude aus dem Gleichgewicht zu bringen".

Der Grundlagenvertrag und dessen Regelungen zur Grenzproblematik trugen dazu bei, die fundamentale Frage zu beantworten, ob die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten völker- oder staatsrechtlichen Charakter trugen.

Sie enthielten insofern einen Trick, als bei weitläufiger Auslegung auch Grenzveränderungen darunter verstanden werden konnten ...

Auch nach Unterzeichnung und Inkrafttreten des Grundlagenvertrages ging es in der Auseinandersetzung zwischen den beiden deutschen Staaten vorrangig um Folgevereinbarungen auf verschiedenen Gebieten. Eine Nebenrolle spielten - offenbar aus der Sicht beider Seiten - die Verhandlungen der Grenzkommission und die damit im Zusammenhang stehenden Fragen wie z. B. die Feststellung des Grenzverlaufs in der Elbe, der Abbau der Braunkohlevorkommen im Raum Harbke sowie die Nutzung des Erdgasbestände im Raum Salzwedel.

Trotz dieser "Nebenrolle" wurden die Verhandlungen immer wieder mediengerecht und damit öffentlichkeitswirksam durch Grenzzwischenfälle und Berichte über die Anwendung der Schußwaffe durch DDR-Grenzsicherungskräfte "umrahmt".

Von Gewicht in bezug auf Grenzfragen zwischen beiden deutschen Staaten war ohne Zweifel das unmißverständliche Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag mit der DDR vom 31. Juli 1973. Darin hieß es u. a., daß "das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert" habe und fortbestehe. Die DDR könne "nicht als Ausland angesehen" werden. Bei der Grenze zwischen BRD und DDR handele es sich um eine staatsrechtliche Grenze "ähnlich derer, die zwischen den Ländern der Bundesrepublik Deutschland verlaufen". Die deutsche Frage bleibe bis zur Herstellung der Einheit offen.


Grenzregime - eine innerstaatliche Angelegenheit

Stets wurde und wird in Rechtswissenschaft, Politik und Medien die Tatsache ignoriert, daß das Grenzregime grundsätzlich eine innere Angelegenheit des Staates ist, von dem es praktiziert wird. Die DDR ging stets davon aus, daß die Festlegung von Grenzübergangsstellen und Transitstrecken sowie das Grenzregime in ihre alleinige souveräne Kompetenz fallen.

Seitens der DDR wurde es als die "Gesamtheit notwendiger, staatsrechtlicher Normen eines Staates zur Gewährleistung der territorialen Integrität und der Unverletzlichkeit seiner Grenzen sowie zur Regelung der Sicherheit und Ordnung in den grenznahen Räumen, der rechtmäßigen Grenzpassage und grenzüberschreitenden Kommunikation in Grenzangelegenheiten sowie des Tätigwerdens der zu diesen Regelungen herangezogenen staatlichen Organe und gesellschaftlichen Kräfte" betrachtet.

Die Sicherungsanlagen, egal in welcher Form, verliefen niemals auf der Grenzlinie, sondern waren begradigt und hatten einen Abstand zum Verlauf der Grenze von mindestens einem Meter, der aber auch mehrere hundert Meter betragen konnte.

Die Errichtung von sechs Meter hohen Mauern auf fremdem Staatsgebiet, wie es Israel gegenüber den Palästinensern praktiziert, wäre mit Sicherungsanlagen der DDR auf BRD-Hoheitsgebiet gleichzusetzen. Wenn der Ort für Grenzübergangsstellen nur mit dem Nachbarn vereinbart werden kann, dann ist die Regelung des Übertritts von Personen (eigenen Staatsbürgern, Staatenlosen und Ausländern) immer eine innere Angelegenheit des Staates, der verlassen oder betreten werden soll.

Selbstverständlich gehörte zum Grenzregime der DDR auch die Sicherung der Seegrenze bzw. der Küste.

In der alten BRD waren Bestandteile des Grenzregimes u. a. der Grenzschutz (Sicherheit der Grenzen, Schutz des Festlandsockels, Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs, Paßnachschau, Grenzfahndung, Gefahrenabwehr im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern; Aufgaben im Notstand und Verteidigungsfall; Schutz von Bundesorganen; Unterstützung anderer Bundes- und Landesbehörden; Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten insbesondere im Grenzgebiet.


Aufgaben der Organe beider Seiten

Die Demarkationslinie bzw. Zonengrenze wurde 1945/46 von westlicher Seite mit blau-rot gestreiften Holzpfählen gekennzeichnet. Später wurden dann zusätzlich Stacheldrahtzäune gezogen, um - wie es hieß - "die anhaltende Flucht aus der sowjetisch besetzten Zone in den Westen zu verhindern oder zumindest zu erschweren".

Die westliche Überwachung der Demarkationslinie erfolgte zunächst durch den Einsatz einer Deutschen Hilfspolizei in Zivil. Sie wurde zur Unterstützung der Besatzungstruppen mit einer Armbinde gekennzeichnet und teilweise mit alten Karabinern bewaffnet. Die Demarkationslinie war "offen". Sie konnte in beiden Richtungen ohne Schwierigkeiten - auch von Schmugglern, Schiebern und anderen Kriminellen - passiert werden.

Ab 1948/49 versah der Zollgrenzschutz bzw. Zollgrenzdienst, teilweise beritten, diese Aufgabe. Seit 1951 wurde der Bundesgrenzschutz auch zur Überwachung der Staatsgrenze zwischen der BRD und der DDR eingesetzt.

Im Artikel 87 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes ist geregelt, daß "durch Bundesgesetz ... Bundesgrenzschutzbehörden ... eingerichtet werden (können)". Dieser den BGS betreffende Text des GG wurde während des Zeitraumes von 1949 bis 1990 nicht geändert.

Die Grenzpolizei und später die Grenztruppen der DDR hatten zwei grundsätzliche Aufgaben: Die Grenzsicherung unter Friedensbedingungen zu gewährleisten und bereit zu sein, Gefechtshandlungen zur Verteidigung nicht nur der Staatsgrenze zu führen, sondern das gesamte sozialistische Weltsystem zu schützen und den Weltfrieden zu erhalten.

RA Dr. Klaus Emmerich, Kassel

Raute

Vor 55 Jahren verbot Adenauers Bundesverfassungsgericht die Partei der Märtyrer und Widerstandshelden

Staatlich verordneter Antikommunismus

Die letzten Worte des Urteilsspruchs waren kaum verklungen, da rückten von Kiel bis München die Polizeikommandos aus, um die Büros der Kommunistischen Partei Deutschlands und die Redaktionsräume ihrer Zeitungen zu besetzen. Am 17. August 1956 - elf Jahre nach der Befreiung vom Faschismus - wurde in der BRD erneut jene Partei außerhalb von Recht und Gesetz gestellt, von der im Widerstand gegen das hitlerfaschistische Regime die meisten Opfer gebracht worden waren.

Begonnen hatte die staatliche Repression bereits 1951 mit dem Verbot der FDJ und des Rates der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes sowie der Einführung des politischen Strafrechts durch das am 11. Juli 1951 von der Mehrheit des Bundestages - nur die KPD-Abgeordneten stimmten dagegen - angenommene 1. Strafrechtsänderungsgesetz, das als "Blitzgesetz" in die Geschichte der BRD einging. Noch im gleichen Jahr, am 23. November, beschloß das Bundeskabinett auf Betreiben Konrad Adenauers, den Antrag auf ein Verbot der KPD zu stellen.

Ein Resultat dieses Vorgehens war das sich über fast zwei Jahrzehnte erstreckende Wüten einer politischen Strafjustiz, deren Folgen bis heute nachwirken. Gegen mehr als 200.000 Personen wurden staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren eingeleitet, in etwa 10.000 Fällen kam es zu Verurteilungen.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts liegt jetzt 55 Jahre zurück. In einer 2006 durchgeführten Anhörung der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke zum immer noch gültigen KPD-Verbot gelangten die Juristen Dr. Heinrich Hannover und Dr. Rolf Gössner sowie der Politikwissenschaftler Professor Joachim Pereis (Universität Hannover) zu der Auffassung, daß die Entscheidung von 1956 ein durch die Adenauer-Regierung angestrebtes Unrechtsurteil gewesen sei, das auch durch die historische Entwicklung nicht als überholt angesehen werden dürfe. Im Falle der Nichtaufhebung des Urteils bestehe die Gefahr, daß es gegebenenfalls von der Staatsmacht herangezogen werden könne, um gegen ihr mißliebige Organisationen vorzugehen. So kann es nicht verwundern, daß die Bemühungen der PDS/PDL-Fraktion, die Aufhebung des KPD-Verbots zum Thema des Bundestages zu machen, bis heute erfolglos geblieben sind.


Bonn will massiv aufrüsten

Die BRD war gerade ein halbes Jahr alt, als der mit einer Stimme Mehrheit - seiner eigenen - zum Kanzler gewählte Konrad Adenauer, einer US-Provinzzeitung ein Interview gab, in dem er unverblümt für eine "autorisierte deutsche Streitmacht" unter "europäischem Kommando" eintrat.

Auf eine Anfrage der KPD-Bundestagsfraktion stellte Adenauer dieses Interview in Abrede. Doch er hatte das Thema Remilitarisierung auf diese Weise in die Öffentlichkeit lanciert. Bald folgten den Worten knallharte Tatsachen. Mit der Begründung, der "kommunistische Osten" bedrohe die "westliche Freiheit" - dabei diente der Korea-Krieg als Vorwand -, wurde die Formierung einer Europa-Armee unter bundesdeutscher Beteiligung in Angriff genommen. Im Oktober 1950 beauftragte Adenauer die ihm direkt unterstellte "Dienststelle Blank", deren Schlüsselpositionen die Hitler-Generäle Heusinger und Speidel einnahmen, Pläne für eine neue Armee auszuarbeiten.

Unter der Losung "Ohne mich" erhob sich zwischen Flensburg und Konstanz energischer Protest. Die Antwort der Adenauer-Regierung ließ nicht lange auf sich warten. Nachdem am 28. Januar 1951 in Essen 1700 Delegierte aus allen Teilen Westdeutschlands eine Volksbefragung zum Thema der Remilitarisierung gefordert hatten, wurden nur drei Monate später alle diesbezüglichen Aktivitäten durch Kabinettsbeschluß untersagt. Von nun an folgte für Kundgebungen, Demonstrationen und Unterschriftensammlungen Verbot auf Verbot. Wer dennoch den Mut hatte, aktiv für die Befragung einzutreten, wurde kriminalisiert.

Die staatliche Verfolgung aller, die sich der Restauration kapitalistischer Machtund Eigentumsverhältnisse sowie der Wiederaufrüstung in der BRD widersetzten, hatte bereits am 19. September 1950 mit dem sogenannten Adenauer-Erlaß begonnen, der die Mitglieder von elf Organisationen mit Berufsverboten für den öffentlichen Dienst belegte. Unter ihnen befanden sich die KPD, die Sozialdemokratische Aktion, die FDJ, die Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion, der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN).

Diese Verordnung bildete den Auftakt zu einer ganzen Serie von Gesetzen, Gesetzesänderungen und Erlassen, die das zwei Jahre zuvor verabschiedete Grundgesetz systematisch untergruben. Hunderte Beamte und Angestellte des Bundes, der Länder und der Kommunen wurden so zu den ersten Opfern des Kalten Krieges in der BRD.

Der Adenauer-Regierung war neben der KPD vor allem die FDJ ein Dorn im Auge. Dabei ging der Jugend-Widerstand gegen die Remilitarisierung der BRD keineswegs nur von dieser aus. Mitstreiter fanden sich auch in der Evangelischen und Katholischen Jugend, in der Guttempler-, Schreber- oder Naturfreundejugend, bei den Falken und Jungsozialisten sowie unter Nichtorganisierten. Die FDJ war indes der einzige Verband, der insgesamt Position bezog und sich z. B. an der Unterschriftensammlung für den Stockholmer Appell zum Verbot der Atombombe (1950) und der Kampagne für eine Volksbefragung gegen die Remilitarisierung und für den Abschluß eines Friedensvertrages im Jahre 1951 beteiligte. Ihrem Aufruf zur Teilnahme am Deutschlandtreffen Pfingsten 1950 in Berlin waren fast 30 000 westdeutsche Jugendliche gefolgt, zu den III. Weltfestspielen im folgenden Jahr sollten es sogar 35.000 werden.


Treibjagd gegen FDJler

Bereits seit September 1950 gingen die Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen mit Polizeiverordnungen gegen die FDJ vor. Im April 1951 untersagte der NRW-Innenminister der FDJ jegliche Aktivitäten. Diesem Schritt folgte wenige Wochen später das Verbot der FDJ in der gesamten BRD. Am 26. Juni faßte die Bundesregierung folgenden Beschluß: 1. "Die Tätigkeit der 'Freien Deutschen Jugend (FDJ)' stellt einen Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes dar. Die FDJ ist daher durch Artikel 9 Abs. 2 GG kraft Gesetzes verboten.

2. Die Landesregierungen werden ... "ersucht, jede Betätigung im Sinne der FDJ zu unterbinden".

Das war ein massiver Bruch des Grundgesetzes. Erst nachdem einige Gerichte FDJ-Mitglieder, die der "Geheimbündelei" angeklagt waren, freisprachen, beantragte die Adenauer-Regierung 1953 beim Bundesverwaltungsgericht offiziell ein Verbot der FDJ. Dieses erfolgte am 16. Juli 1954.

Auf der Grundlage des seit September 1951 gültigen politischen Strafrechts wurden bis 1956 etwa 6430 Jugendliche arretiert. Es fanden 425 Prozesse statt, in denen insgesamt 1012 Jahre Gefängnis verhängt wurden.

Am 18. August 1956 warteten die Abonnenten von elf Tageszeitungen der KPD vergeblich auf ihre Blätter. Für die Partei von Max Reimann, die am Vortag verboten worden war, gab es die im Artikel 5 des Grundgesetzes festgeschriebene Pressefreiheit nicht mehr.

"Der Kalte Krieg und die Konfrontation der Gesellschaftssysteme bestimmten in Westdeutschland darüber, für wen das Grundrecht der Pressefreiheit galt. Darunter hatten außer mir viele Redakteure kommunistischer Zeitungen zu leiden", schreibt Günther Wilke in einem Rückblick. In den zwei Jahren, in denen er verantwortlicher Redakteur der "Hamburger Volkszeitung" war, leitete man gegen ihn 54 Strafverfahren ein.


"Verfassungsklage" contra Grundgesetz

Fast auf den Tag genau drei Jahre waren seit dem von Adenauer inszenierten Regierungsbeschluß vergangen, die KPD verbieten zu lassen, als am 23. November 1954 in Karlsruhe die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht begann. Das war in der Zwischenzeit nicht untätig geblieben. Kaum hatte Innenminister Lehr - ein besonders übler Reaktionär mit faschistoider Gesinnung - am 10. Januar 1952 beim Gericht die "Verfassungsklage" eingereicht, beschloß dieses eine Durchsuchung des Parteivorstandes und sämtlicher Landes- und Kreisbüros der KPD. Die Aktion begann am 31. Januar 1952 um sechs Uhr früh. Da das in großen Mengen beschlagnahmte Material dem BVG offenbar nicht ausreichte, erschienen die Polizeikommandos am 12. Juli ein zweites Mal in den KPD-Büros, um erneut massenhaft Akten wegzuschleppen. Protokolle darüber, was beschlagnahmt wurde, erhielt die der Polizeiwillkür ausgelieferte Partei nicht.

Doch die Behinderungen, denen sich die KPD ausgesetzt sah, erschöpften sich darin nicht. Ihre Prozeßvertreter, die Mitglieder des Parteivorstandes Fritz Rische und Josef Ledwohn, waren zuvor vom VI. Senat des BGH wegen "Hochverrats" zu je dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden und saßen im Gefängnis, so daß sie sich nur eingeschränkt auf die Sitzungen vorbereiten konnten. Und für den früheren KPD-Bundestagsabgeordneten Walter Fisch lag ebenfalls ein Haftbefehl vor, der nur für die Dauer des Verfahrens ausgesetzt wurde. Im Gegensatz dazu besaßen die Vertreter der Regierung, an ihrer Spitze der berüchtigte Staatssekretär im Innenministerium Ritter von Lex, alle erdenklichen Möglichkeiten. Übrigens hatten nicht nur er, sondern auch weitere Prozeßbevollmächtigte des Antragstellers tiefbraune Westen. Alle diesbezüglichen Befangenheitsanträge der KPD-Anwälte wurden vom Senat zurückgewiesen.


Ein zweites Mal im Fadenkreuz

Als am 16. Dezember der Fortgang des Verfahrens für Ende Januar angesetzt wurde, war an 13 Verhandlungstagen nur ein einziges Problem erörtert worden: die Zulässigkeit des Verfahrens. Das Gericht folgte natürlich dem Verlangen Adenauers und setzte die Verhandlungen 1955 fort. Sitzung für Sitzung wurden nun Zitate aus marxistischen Schriften vorgetragen, welche die angebliche Verfassungsfeindlichkeit der KPD belegen sollten. Dabei wurde immer deutlicher, daß hier nicht die Politik der KPD in der BRD zur Debatte stand, sondern die Weltanschauung der Kommunisten.

Am 14. Juli 1955 beendete der Senat die mündliche Verhandlung. Es sollte noch mehr als ein Jahr dauern, bis das Urteil gesprochen wurde. Am 17. August 1956 verkündete das BVG seine Entscheidung. Sieben Jahre nach Gründung der BRD wurde die Partei der antifaschistischen Widerstandshelden abermals verboten. Für die KPD begann erneut die harte Zeit der Illegalität. In den Strafkammern, die gegen Kommunisten und deren Verbündete vorgingen, wimmelte es geradezu von Nazi-Richtern, die ihre einstigen Opfer nun ein zweites Mal verurteilten.

Zwischen 1951 und 1968 wurden unzählige Genossen der KPD wegen Hochverrats, Staatsgefährdung, Geheimbündelei oder Verstoßes gegen das Parteiverbot eingekerkert und vor Gericht gestellt. Auch der Bezug von Literatur aus der DDR, ja selbst der Besitz marxistischer Schriften war gelegentlich Gegenstand der Anklage. Vor allem tat sich der 6. BGH-Senat mit drakonischen Strafen gegen führende KPD-Funktionäre hervor. So verurteilte er Jupp Angenfort zu fünf Jahren Zuchthaus.

Zu den besonders berüchtigten politischen Strafkammern, die bei den Landgerichten eigens eingerichtet worden waren, gehörte die Lüneburger. Die hier ausgesprochenen Urteile übertrafen im Strafmaß die anderer Landgerichte oftmals erheblich. Eine weitere Infamie bestand darin, daß dort die Dauer der Untersuchungshaft nicht oder nur zum Teil angerechnet wurde. Das führte dazu, daß - wie im Fall des Genossen Karl Stiffel - aus 18 dann 22 Monate Gefängnis wurden.


Proteste in aller Welt

Die immer extensivere Anwendung des politischen Strafrechts in den 60er Jahren führte schließlich zu heftigen Protesten, vor allem auch von Juristen im In- und Ausland - was nicht ohne Wirkung blieb. Im Mai/Juni 1968 sah sich der Bundestag gezwungen, mit dem 8. Strafrechtsänderungsgesetz eine Reform des politischen Strafrechts vorzunehmen und eine Amnestie für alle zurückliegenden "politischen Straftaten" zu erlassen. Doch auf eine Rehabilitierung oder gar Entschädigung für erlittenes Unrecht warten die bundesdeutschen Opfer des Kalten Krieges bis heute. 55 Jahre nach dem Verbot der KPD schwebt das Damoklesschwert der Strafverfolgung noch immer über allen konsequent demokratischen und linksgerichteten Kräften der BRD. Der selbsterklärte Nachfolgestaat des Dritten Reiches setzt den gefährlichen Anachronismus der Kommunistenverfolgung trotz der 1968 erfolgten Zulassung der DKP in neuen Formen und bei veränderten Dimensionen fort. Deshalb muß lauter denn je die Forderung nach uneingeschränkter Aufhebung des vom "Rechtsstaat" gefällten Unrechtsurteils erhoben werden: Freiheit für die KPD! Schluß mit dem staatlich verordneten Antikommunismus!

Dr. Edmund Schulz, Leipzig


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Max Reimann war Vorsitzender der KPD (1948 bis 1956) und von 1971 bis zu seinem Tod 1977 Ehrenvorsitzender der DKP.
- Jupp Angenfort erhielt als erster Kommunist der BRD eine fünfjährige Zuchthausstrafe.
- Herbert Mies, Vorsitzender der neu gegründeten DKP, wurde 1968 bei der Vorstellung der Ziele der Partei festgenommen.


Ende RF-Extra

Raute

Das griechische Drama erinnert an den Treuhand-Ausverkauf der DDR

Eine Garrotte für Hellas

Griechenland geriet 2010 in eine der schwersten Wirtschaftskrisen seiner Geschichte. Die Folgen waren und sind verheerend. Das alles geschah nicht etwa plötzlich oder unerwartet: Das traditionsreiche südeuropäische Land wurde durch die Europäische Union (EU) und den Internationalen Währungsfonds (IWF) in den ökonomischen und finanziellen Abgrund gestürzt. Griechenlands Verschuldung beträgt mehr als 330 Mrd. Euro - etwa 143 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Der bankrotte Staat ist nur noch mit internationalen Finanzspritzen in der Lage, vorerst der Insolvenz zu entkommen.

Anfang Mai 2010 einigten sich die EU, die Europäische Zentralbank (EZB) und der IWF auf ein erstes "Hilfspaket" in Höhe von 110 Mrd. Euro. Der IWF übernahm davon 30 Mrd., während die übrigen 80 Mrd. Euro bilaterale Kreditzusagen aus Euro-Ländern sind. Das Geld dient nicht etwa dazu, die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Es soll lediglich das Defizit der Zahlungsbilanz ausgleichen, d. h. Kredite und Zinsen ausländischer "Kapitalgeber" bedienen. Dieses "Hilfspaket" war und ist mit einschneidenden Auflagen und Forderungen verbunden: Abbau von Sozialausgaben, umfassende Lohn-, Gehalts- und Rentenkürzungen, Erhöhung des Renteneintrittsalters, Anhebung der Mehrwertsteuer, Verkauf von Staatsbetrieben und Staatseigentum. Die Zwangsauflagen haben eine doppelte Wirkung: Einerseits werden vornehmlich abhängig Beschäftigte, einfache Bürger und Rentner für das Versagen der Herrschenden zur Kasse gebeten; andererseits bedeuten sie ein totales Abwürgen eigener Entwicklungspotenzen, eine dauerhafte Schwächung der Volkswirtschaft. Mit anderen Worten: Das Land wird - um im Bild zu bleiben - wie mit einem in Franco-Spanien noch zu Hinrichtungszwecken benutzten mittelalterlichen Würgeeisen buchstäblich garrottiert.

Bis Juni 2011 wurden dem griechischen Staat 53 Mrd. Euro in vier Tranchen bereitgestellt. Die fünfte Tranche beträgt 12 Mrd. Euro. Sie wird an noch härtere Sparmaßnahmen seitens des griechischen Staates gebunden. EU und IWF diktieren, daß Hellas noch einmal 78 Mrd. Euro am Volk "sparen" soll. 50 Mrd. Euro sind allein durch den Verkauf von Staatseigentum und -unternehmen eingenommen worden. Überdies wird ein neues "Rettungspaket" in einer Größenordnung von 120 Mrd. Euro geschnürt, da Griechenland in absehbarer Zeit keine ausreichenden Einnahmen erzielen kann, um seinen internationalen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen.

Hier schließt sich der Teufelskreis. Die Ergebnisse bisheriger "Finanzhilfe" und des Kaputtsparens sind fatal. Die Arbeitslosigkeit erreichte im März 2011 mit mehr als 800 000 registrierten Menschen ohne Job den höchsten Stand seit 1983. Die OECD weist die Arbeitslosenquote mit 16,2 Prozent aus. Real dürfte sie jedoch über 22 % liegen. Innerhalb der letzten 12 Monate ist die Erwerbslosigkeit um etwa 40 % angewachsen. Besonders erschreckend sind ihre Auswirkungen auf junge Leute zwischen 15 bis 24 Jahren. In dieser Altersgruppe stieg sie auf über 42 %. Im Juni überschritt die offizielle Quote die 17-Prozent-Marke. Arbeitsplatzverlust, Lohn-, Renten- und Sozialausgabenkürzungen führten zur Schwächung der Nachfrage in allen Bereichen des Konsums und der Produktion. Das Einkommen der Mehrheit der Bevölkerung sinkt bei gleichzeitigem Steigen der Preise rapide. Dementsprechend ging die Wirtschaftsentwicklung Griechenlands im Jahre 2010 um ca. 2 Prozent zurück. Für das laufende Jahr schätzt man, daß das BIP um 4,8 bis 5 Prozent sinken wird. Abgabenerhöhungen, z. B. bei der Mehrwertsteuer, der Mineralölsteuer, der Getränkesteuer, der Einkommenssteuer, aber auch die Erhöhung der Elektrizitätssteuer heizen die Inflation gewaltig an und reduzieren das Realeinkommen der Bevölkerung noch zusätzlich. Die Inflationsrate lag 2010 offiziell bei ca. 5,4 Prozent.

Angesichts dieser Gesamtsituation erweisen sich die Auflagen von EU, EZB und IWF an Griechenland, weitere 78 Mrd. Euro "einzusparen", als Würgeschlinge. Sie verschärfen die Lage noch mehr und treiben Hellas an den Rand bürgerkriegsähnlicher Zustände. In diesem Zusammenhang wird selbst Wissenschaftlern aus dem Lager der Bourgeoisie mehr und mehr bewußt, daß von der Einführung des Euro im Jahre 2002 und der damit verbundenen Aufhebung der Entscheidungs- und Kontrollhoheit des Nationalstaates über seine Wirtschafts-, Währungs- und Finanzbeziehungen nur mächtige überseeische und europäische Monopole sowie die wirtschaftlich stärksten Staaten der EU - vor allem die BRD - profitieren.

Deshalb besteht eine wirkliche Lösung des griechischen Verschuldungsproblems nicht in der Gewährung von immer neuen Krediten, sondern in der radikalen Streichung sämtlicher Schulden und der Förderung wirtschaftlicher Entwicklung. Auch bundesdeutschen Wirtschaftswissenschaftlern dämmert es inzwischen, daß ohne Schuldenstreichung und In-die-Pflicht-Nahme privater Banken und Versicherungskonzerne nichts mehr läuft. Eine Umschuldung wäre nur eine Verlängerung des Verelendungsprozesses der Griechen und würde Athen nicht vor der Pleite bewahren. Griechenland muß sich aus der bevormundenden Umklammerung lösen und die Souveränität über seine Währungs- und Finanzbeziehungen zurückgewinnen. Mit anderen Worten: Ihm bleibt kein anderer Weg, als aus dem Euro-Raum auszuscheiden. Das derzeitige politische "Kartell", bestehend aus der rechtssozialdemokratischen PASOK und der erzkonservativen Neuen Demokratie, muß aufgehoben werden. Es trägt als Ausdruck bestehender Machtverhältnisse die Verantwortung für den ökonomischen und sozialen Niedergang. Ein weiterer wesentlicher Schritt wäre die Umgestaltung der Eigentumsstrukturen: Die Schlüsselbereiche der Volkswirtschaft sollten durch den Staat übernommen oder unter dessen Kontrolle gestellt werden.

Übrigens: Das griechische Drama erinnert verdammt an den Ausverkauf der DDR-Volkswirtschaft durch die Treuhand. Dieser begann bekanntlich mit der Einführung der D-Mark und endete mit "blühenden" Landschaften und einem mehrmillionenfachen Bevölkerungsexodus.

Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin

Raute

Syriens Kommunisten: Feinde der Nation gießen Öl ins Feuer

Damaskus im Fadenkreuz der CIA

Seit Monaten wird Syrien von heftigen Konflikten und blutigen Auseinandersetzungen erschüttert, wobei angestaute Frustration, oppositioneller Widerstand und die Wühltätigkeit politischer Achtgroschenjungen im Dienste des "Westens" auf staatliche Gewalt stoßen. Während etliche Zivilisten ums Leben kamen, zählte man zugleich Hunderte getötete Polizisten und Armeeangehörige. Die instabile Situation in Syrien ist nicht nur ein Widerhall von Ereignissen in anderen Ländern des arabischen Raumes, sondern wird - wie in Libyen - in erster Linie von außen erzeugt.

Die aus einer Spaltung der traditionsreichen KP Syriens unter dem damaligen Generalsekretär Chaled Bagdache hervorgegangenen zwei kommunistischen Parteien des bedeutenden Nahost-Staates - die Vereinigte KP und die KP (Bagdache) - haben zur Lage in ihrem Land klar Stellung bezogen. "Diese Ereignisse hätten vermieden werden können, wenn die pure Sicherheitslogik durch eine politische Logik ersetzt worden wäre", urteilte die Vereinigte KP in einer Erklärung. "Die sich vollziehende Tragödie nützt nur den Feinden Syriens, den Gegnern unseres nationalen Projekts, den Kräften, die den Prozeß von Reformen auslöschen wollen."

Beide kommunistische Parteien, von denen zumindest eine Zugang zur staatlichen Entscheidungsebene besitzt, unterstützten von Beginn an die Position des Präsidenten Bashar el Assad als des Repräsentanten der regierenden Arabischen Sozialistischen Baath-Partei, den vor langer Zeit verhängten Ausnahmezustand aufzuheben, Demonstrationsrechte einzuräumen, Sondertribunale abzuschaffen und der kurdischen Minderheit den Status einer Nationalität zuzubilligen.

Zunächst gehe es um die Verbesserung der angespannten ökonomischen Situation des Landes, um den bescheidenen Lebensstandard der Arbeiter, Bauern, Kleinverdiener und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes anheben zu können. Diesbezügliche Beschlüsse des Präsidenten würden gebilligt.

Die KP Syriens (Bagdache), die darauf verweist, daß Feinde der Nation systematisch Öl ins Feuer gießen, setzt sich in einer Erklärung überdies für die Nationalisierung lebenswichtiger Wirtschaftssektoren wie der Stromerzeugung ein, fordert eine Ausweitung der demokratischen Rechte des Volkes und betrachtet einen entschiedenen Kampf gegen die ausufernde Korruption als vorrangige Aufgabe.

Syrien, dessen Bevölkerung ein Mosaik vieler Nationalitäten und Glaubensbekenntnisse bildet, ist aus historischen Gründen und wegen seiner strategischen Lage als Brücke zwischen Europa, Asien und Afrika das Schlüsselland des Nahen Ostens. Dort geht es nicht nur um nationale Belange.

Strebte die Mehrheit der Teilnehmer an den Kundgebungen und Demonstrationen der letzten Monate nur partielle Veränderungen oder den Sturz der Regierung an?

Präsident Assad wird - mit Einschränkungen und bei berechtigter Kritik - von einer Mehrheit der Landesbürger weiterhin als Symbol der Einheit des Staates betrachtet. Westlichen Medien zufolge gelten die Teilnehmer an oppositionellen Aktionen in ungeliebten Staaten grundsätzlich als friedfertig und nach Freiheit dürstend, während die Vertreter der Staatsmacht in solchen Fällen generell als gewaltorientiert dargestellt werden. Das gilt besonders auch für Syrien, wo beide Seiten auf die Anwendung drastischer Mittel und Methoden nicht verzichtet haben. Doch gerade die auffällig hochgefahrene Kampagne des imperialistischen Propagandaapparats nach dem durch eine 5. Kolonne von "Rebellen" planmäßig vorbereiteten Überfall auf Libyen nun auch das unbotmäßige Syrien "sturmreif" zu schießen, verrät weitgesteckte Pläne. Es geht dem "Westen" um die Aufhebung des bisherigen Kräfteverhältnisses im nahöstlichen Raum.

Allerdings stoßen die Regisseure in Washington, London und Paris sowie die reaktionären arabischen Regimes diesmal insofern auf größere Schwierigkeiten, weil sich Rußland und China im UN-Sicherheitsrat nicht bereitfanden, Syriens Politik als "Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit" zu bezeichnen. Moskaus stellvertretender UNO-Botschafter Alexander Pankin verwies darauf, daß in Syrien die Gewalt nicht nur von einer Seite ausgehe. "Eine wahre Bedrohung der regionalen Sicherheit könnte aber durch eine ausländische Intervention entstehen", fügte der Diplomat hinzu. Sie würde "zu einer Kette von Gewalttätigkeiten führen und einen Bürgerkrieg auslösen".

Ein Sprecher des Außenministeriums der Volksrepublik China vertrat die Auffassung, Damaskus sei durchaus dazu imstande, seine Probleme selbst zu lösen. Die dortigen Kontrahenten müßten den politischen Dialog zur Überwindung ihrer Divergenzen und zur Beilegung der gegenwärtigen Krise suchen, um Syriens nationale Stabilität zu bewahren. Ein sehr ausgewogener Standpunkt, der in Bezug auf Libyen leider fehlte.

Unterdessen wurde durch die weltweite Verbreitung von US-Botschaftstelegrammen über die Enthüllungs-Website Wikileaks bekannt, in welchem Ausmaß die USRegierung den Gegnern Präsident Assads materiell unter die Arme greift. Das geht bis zur Einrichtung des von London aus operierenden antisyrischen Hetzsenders Barada-TV. Die Finanzierung der proimperialistischen Agenten wurde bereits 2005 eingeleitet, nachdem der damalige US-Präsident George W. Bush die diplomatischen Beziehungen zu Syrien abgebrochen hatte.

Seit 2006 läßt Washingtons Außenministerium einer nicht gerade zufällig entstandenen "Bewegung für Gerechtigkeit und Entwicklung" jährliche "Spesen" in Höhe von 4 Millionen Euro überweisen. Es handelt sich dabei um das Netzwerk regierungsfeindlicher syrischer Emigranten. In durch Wikileaks publik gemachten Telegrammen beschreiben die US-Diplomaten ihre syrischen Kumpane als "gemäßigte Islamisten" und "frühere Anhänger der Moslembruderschaft".

Das U.S. State Department kümmert sich schließlich auch noch um eine CIA-gelenkte "Partnerschaftsinitiative für den Mittleren Osten". Diese wird durch einen in Los Angeles angesiedelten "Rat für Demokratie" gesponsert. Der mysteriöse "Democracy Council" erhält als "Überlebenshilfe" jährlich bis zu 12 Millionen Dollar überwiesen, vor allem zur Unterhaltung von Barada-TV.

Dem Vernehmen nach wurden die "freiheitsfördernden Programme" aufeinanderfolgender US-Administrationen durch die syrischen Sicherheitsorgane, deren Agenten in das gegnerische Netz einzudringen vermochten, von Beginn an "begleitet".

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

Raute

Zu Hintergründen des imperialistischen Überfalls auf Libyen

"Rebellen" als 5. Kolonne der NATO

Seit März wüten die Kampfmaschinen der NATO mit mörderischer Brutalität in Libyen - einem souveränen Mitgliedsstaat der UNO. Das Völkerrecht wird mit Füßen getreten. Bereits Mitte Juni hatten mehr als 4000 Bombenangriffe stattgefunden - bis zu jenem Zeitpunkt waren durch die von Friedensnobelpreisträger Barack Obama regierten USA etwa 750 Millionen Dollar in den Massenmord an der libyschen Bevölkerung investiert worden. Acht der 28 NATO-Staaten nehmen direkt an der Aggression teil, weit mehr unterstützen die als "Rebellen" maskierten Agenten des Imperialismus in Benghazi.

Wir bringen im folgenden - leicht gekürzt - ein Interview Bernd Duschners aus Pfaffenhofen mit dem italienischen Journalisten und Dokumentarfilmer Filvio Grimaldi, der das nordafrikanische Land unter Bomben wiederholt bereist hat.

Die NATO führt Krieg gegen Libyen, bombardiert seine Städte und seine Infrastruktur, terrorisiert die Bevölkerung. Welche Ziele verfolgen die USA und die NATO-Staaten mit ihrer Aggression? Woher kommt ihr Haß auf die Regierung Gaddafi?

Der Haß und die Diffamierung Gaddafis sollen ausschließlich dazu dienen, eigene Interessen durchzusetzen. Wir haben es mit einem Konflikt zwischen zwei politischen, sozialen und geopolitischen Konzeptionen zu tun: Gaddafi und die Mehrheit der Libyer verteidigen die Souveränität der Völker und ihren sozialen Fortschritt gegen das Vordringen, die Einmischung, die Destabilisierung und Aggression der imperialistischen Mächte, die eine massive neokoloniale Offensive betreiben. Für die Regierungen der NATO-Staaten unter Führung der USA ist es nicht hinnehmbar, daß es in der Welt Regionen gibt, die sich wie Libyen, Syrien und bestimmte Länder Lateinamerikas ihren Vorgaben entziehen. Diese laufen auf die größte Umverteilung des Reichtums in der Geschichte der Menschheit hinaus. Gaddafi hat in den Augen der Räuber des imperialen Kapitalismus unverzeihliche Schuld auf sich geladen: Er verteilt den nationalen Reichtum gerecht und erlegt seinen ausländischen Handelspartnern Bedingungen auf, die für die nationalen Interessen Libyens förderlich sind. Mit dieser Politik hat er den strategischen Feinden der USA - Rußland und China - breite Möglichkeiten eröffnet.

Seit Jahrzehnten unterstützt er die arabisch-afrikanische Einheit und Unabhängigkeit. Er hat die afrikanischen Regierungen überzeugt, dem US-Aggressionsstab Africom keinen Sitz in ihrem Land einzuräumen. Er hat sich stark gemacht für eine an Gold gebundene afrikanische Währung. Sie hätte die Rolle des Dollar zerstört und die wirtschaftliche und politische Krise der USA verschärft.

Mittlerweile wird deutlich, daß die Regierung Gaddafi über einen breiten Rückhalt in der libyschen Bevölkerung verfügt. Wie erklärst Du diesen?

Libyen hat 6,5 Millionen Einwohner. Von ihnen leben gut 5 Millionen in dem Bereich, den die legitime Regierung kontrolliert. Eine Million befindet sich in der Region, welche die Söldner für den westlichen Staatsstreich unter Kontrolle halten. Nur ein kleiner Teil der dortigen Bevölkerung steht auf seiten der Putschisten in Benghazi. Das gesamte libysche Volk trägt Waffen und unterstützt seine legitime Regierung und Führung. Das haben die 2000 Stammesführer deutlich gemacht, die sich in Tripolis zu einem Treffen gegen die Aggression und den Putsch versammelt hatten. Sie vertreten die weit überwiegende Mehrheit der libyschen Stämme.

Wenn man durch Tripolitanien reist, trifft man ständig auf spontane Massenkundgebungen gegen die NATO, zur Unterstützung der Regierung und ihres Führers. Das wird auch deutlich an den geringen militärischen Erfolgen der "Rebellen". Ohne die Intervention der Bomber und der Spezialeinheiten der NATO wären die Kämpfe längst beendet.

Die Libyer wissen das Urteil der UNO richtig einzuordnen. Sie hat den Entwicklungsstandard der libyschen Bevölkerung (Gesundheitswesen, Bildung, Arbeit, Wohnen, Frauen, Mutterschaft, Lebenserwartung) als den höchsten auf dem gesamten Kontinent klassifiziert.

Die USA und ihre Verbündeten haben ein Embargo gegen Libyen verhängt. Welche Auswirkungen hat dieses auf die Versorgung der libyschen Bevölkerung mit Lebensmitteln und Medikamenten, auf ihr tägliches Leben?

Die Auswirkungen dieser Maßnahmen verschärfen sich von Tag zu Tag. Das wird an den kilometerlangen Schlangen vor den Tankstellen am deutlichsten sichtbar. Ein Tanker mit Treibstoff aus Sardinien ist von der NATO aufgehalten worden. Sie blockiert jeden Zugang vom Meer und von Ägypten aus. Wir haben es mit einer Situation wie in Irak und Gaza zu tun: Man will eine Gesellschaft lahmlegen, aushungern, zerstören. Ohne Benzin gelangt man nicht zur Schule, zum Krankenhaus, zum Markt, zum Arbeitsplatz, zu den Einrichtungen der Behörden. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind gestiegen, aber momentan sieht es noch nicht so aus, als gäbe es in dieser Hinsicht großen Mangel. Mit der Fortsetzung des Embargos können diese Probleme jedoch dramatische Ausmaße annehmen. Wie lange wird es wohl dauern, bis es wie für Gaza einen Schiffsverband "Freies Libyen" geben wird?

Von Solidarität mit dem libyschen Volk und seiner Regierung ist selbst in Zeitungen der Linken kaum etwas zu spüren. Wie beurteilst Du die Haltung: "Keine Unterstützung für die NATO, aber auch nicht für Gaddafi?"

Wenn man sich die Sicht des Imperialismus zu eigen macht, daß jede Regierung oder Führung zu beseitigen ist, welche die westlichen Vorstellungen von "Demokratie" und "Menschenrechten", von freier Marktwirtschaft und begrenzter Souveränität nicht übernehmen will, dann kann man nicht mehr erkennen, wer im Recht und wer im Unrecht ist. Manchen Linken genügt es, daß man ihnen die Worte "Demokratie" oder "Diktatur" hinwirft, und sie plappern ohne jegliche tiefergehende Analyse fremder historischer und kultureller Prozesse diese sinnentleerten Worte, hinter denen eine Ideologie zur Beherrschung der Welt steckt, gedankenlos nach.

Die Proteste gegen den Krieg bleiben schwach und vollkommen wirkungslos, wenn sie nicht mit der Unterstützung für die Opfer dieses Krieges verknüpft werden. Diese diffamiert man, wenn man sagt: "Der Krieg ist schlimm, aber Gaddafi ist noch schlimmer." Eine solche Position ist Ausdruck von Ignoranz, Überheblichkeit, der Vorstellung, Europa sei das Maß aller Dinge. Sie ist Ausdruck der Angst, in die Ecke des "Terrorismus" gestellt zu werden - eines Begriffs, mit dem viel Mißbrauch betrieben wird.

Was können und sollten wir tun, um das libysche Volk zu unterstützen und diesen mörderischen Krieg zu stoppen?

Man könnte als Antwort sagen: "Beten." Aber abgesehen von der zweifelhaften Wirkung des Betens würde das auf eine Unterordnung unter die Kirche hinauslaufen. Der Klerus aber hat zum Frieden nur Banalitäten zu sagen, er erhebt nicht wirklich seine Stimme für die Gerechtigkeit.

Wir dagegen haben die Aufgabe, mit ganzem Einsatz die Wahrheit über die tatsächlichen Motive zu dieser Aggression, über das Wesen der "Rebellion", die verheerenden Folgen der Aggression und über die politische, soziale und ökonomische Situation in Libyen bekanntzumachen ...

Raute

Das Urteil des Arztes und Literaten Dr. Alfredo Bauer, Buenos Aires

Zur Rolle des Peronismus in Argentinien

Der in Buenos Aires lebende Mediziner und Literat Dr. Alfredo Bauer gewährte einer Zeitschrift österreichischer Marxisten ein Interview, das kurz vor den argentinischen Präsidentenwahlen im Oktober von besonderem Gewicht ist. Wir zitieren aus diesem Gespräch.

Im vergangenen Jahr ist der ehemalige Präsident Nestor Kirchner unerwartet an einem Herzinfarkt gestorben. Was bedeutet sein Tod aus Deiner Sicht für die argentinische Politik?

Der Tod von Nestor hat uns schwer getroffen, wenngleich wir bereits lange zuvor wußten, daß er herzkrank war. Ich habe ihn persönlich geschätzt, wie ich auch Cristina Kirchner, seine Frau und die jetzige Präsidentin Argentiniens, persönlich schätze für ihr kulturelles Engagement, für ihre Handschlagqualität, auch für ihr Bemühen um Gerechtigkeit für die Opfer der Militärjunta.

Beurteilst Du die Politik der Regierung(en) Kirchner als fortschrittlich?

Als sehr widerspruchsvoll. Wir Kommunisten haben die Kirchners überall unterstützt, wo sie für eine fortschrittliche Politik standen, aber niemals bedingungslos. Man darf nicht übersehen: Die Kirchners kommen aus der peronistischen Bewegung - und die Schwierigkeiten, die sie haben, ergeben sich zum größten Teil aus dieser und deren Geschichte.

Um die Bedeutung der Regierung Nestor Kirchners zu ermessen, müssen wir uns vergegenwärtigen, was er und die kleine Gruppe um ihn und Cristina seit 2003 geleistet haben. Nicht nur war durch die blutige Diktatur der peronistischen Rechten (1976-1983) die vormals sehr bedeutende politische und gewerkschaftliche peronistische Linke physisch fast ausgerottet.

Die linken Peronisten waren fast noch mehr gefährdet als die Kommunisten. Es war auch - in Fortsetzung der politischen Diktatur - das gesamte Staatseigentum privatisiert worden. Und zudem hatte "die Politik" als solche in der öffentlichen Meinung einen schweren Schlag erlitten. Es gab die Bewegung "Que se vayan todos - Alle sollen gehen!" Nestor Kirchner und seine Mitstreiter haben hier angesetzt, sie haben einer Mehrheit des Volkes das Vertrauen in die Politik wiedergegeben. Das kann gar nicht hoch genug bewertet werden.

Die Ereignisse des Jahres 2001 sind als spontan-explosiver Massenausbruch des Volkszorns zu verstehen. Auf dem Höhepunkt der Krise ließ der Finanzminister von Präsident Fernando De la Rua plötzlich sämtliche Bankkonten einfrieren, was de facto einer Enteignung des Mittelstandes und der Kleinsparer gleichkam, während das große Kapital längst ins Ausland verschoben worden war. Die Protestbewegung konnte nicht abgewürgt werden. Das Kleinbürgertum, die Arbeiter und die starken Arbeitslosenverbände, die Piqueteros, marschierten. Und was tat De la Rua? Er ließ die Polizei in die Menge schießen und 31 Menschen töten, um dann schmählich im Helikopter zu flüchten.

Hätte es damals eine organisierte politische Alternative von links gegeben wie 1998 in Venezuela, dann hätte diese glatt nach der politischen Macht greifen können.

Die reaktionären Kräfte, die formell am Ruder waren, wußten Ende 2001 weder ein noch aus. Sie waren zumindest ebenso zersplittert wie die Linke, hatten aber keinen Rückhalt im Volk. Nach der Flucht von De la Rua wurden innerhalb einer Woche fünf Präsidenten zusammengeschustert, die sich allesamt nicht halten konnten.

Schließlich etablierte sich mit Mühe und Not der Rechts-Peronist Eduardo Duhalde. Er wurde aber von Beginn an durch das Volk in Schach gehalten, vor allem von der Massenbewegung der Arbeitslosen. Im Juni 2002 wurden dann zwei Aktivisten von der Polizei erschossen. Der darauf folgende Massenprotest erzwang die Abhaltung von Wahlen, bei denen der Rechts-Peronist Carlos Menem 24 Prozent der Stimmen erhielt und der Links-Peronist Nestor Kirchner 22 Prozent. Menem trat schließlich von der für ihn aussichtslosen Stichwahl zurück.

Welche strategische Perspektive verfolgen die argentinischen Kommunisten in der gegenwärtigen politischen Situation?

Das Hauptproblem besteht darin, daß die sehr heterogene und trotz der Kirchners in der Führung zum Teil korrupte peronistische Partei keinen soliden politischen Rückhalt besitzt. Nach dem Tod Nestor Kirchners, der sich die Arbeit in der Partei immer gut mit Cristina aufgeteilt hatte, noch weniger. Unumgänglich ist jedenfalls die Bildung und strukturelle Festigung einer politischen Massenorganisation, die bei der Sicherung und Vertiefung des historisch-sozialen Prozesses, der im Gange ist und in bescheidenem Maße bereits revolutionäre Züge aufweist, die Führung innehat. Patricio Echegaray, Generalsekretär der KP Argentiniens, erklärte hierzu, daß sich dieser notwendige Festigungsprozeß durch eine innere Klärung und Vereinheitlichung der peronistischen Partei vollziehen kann oder aber, was weniger wahrscheinlich ist, durch Bildung einer breiten, linken Front, welche die peronistische Bewegung natürlich einschließen würde.

Das Gespräch führte Martin Krenn

Raute

Belgiens PTB trauert um Ludo Martens

Bereits im Juni hat die PTB-PvdA - Belgiens kämpferische Partei der Arbeit, deren äußerst informative und eindrucksvoll gestaltete Wochenzeitung "Solidaire" zu den vom RF meistzitierten kommunistischen Publikationen gehört - einen schweren Verlust erlitten. Ihr Gründer und langjähriger Vorsitzender Ludo Martens starb nach ernster Erkrankung. "Solidaire" widmete dem namhaften Politiker seine Ausgabe vom 16. Juni, in der Brüsseler Universität fand eine würdige Gedenkveranstaltung statt. Zuvor hatte sich ein führender Vertreter der PTB nach Kinshasa begeben, wo Ludo Martens in den letzten zehn Jahren seines aktiven politischen Lebens als Berater kongolesischer Revolutionäre tätig gewesen war. Zu den über 500 Teilnehmern einer Trauerfeier sprachen u. a. der Generalsekretär der KP Kongos, Sylvère Boswa, sowie die Minister für Information und für Gesundheitswesen aus der Regierung des ermordeten kongolesischen Präsidenten Laurent-Désiré Kabila.

Wir drücken den Genossinnen und Genossen der fest auf marxistischen Positionen stehenden PTB anläßlich des Ablebens von Ludo Martens unser aufrichtiges Beileid aus.

Rolf Berthold, Klaus Steiniger

Raute

Japans KP warnte schon in den 70ern vor der Kernreaktor-Inflation

Das nukleare Damoklesschwert

Während der Super-GAU von Fukushima in Nippon eine beispiellose Welle allgemeiner Empörung auslöste, konnte die 400 000 Mitglieder zählende KP Japans den Nachweis erbringen, schon vor Jahrzehnten die drohende Gefahr ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gehoben zu haben. Bereits in den 70er Jahren forderte die Partei einen drastischen Wandel in der Tokioter Energiepolitik und wandte sich mit Nachdruck gegen den Bau weiterer Nuklearzentralen. Dabei prangerte sie die offiziell propagierten politischen Wunschvorstellungen an, die japanischen Kernkraftwerke seien "absolut sicher", obwohl etliche Meiler in ausgesprochenen Erdbeben- und Tsunami-Regionen errichtet worden waren.

Im Januar 1976 erklärte der damalige Vorsitzende des Sekretariats des ZK der KPJ Tetsuzo Fuwa vor dem Unterhaus: "Die Kernkraft ist eine gefährliche und noch unerprobte Technologie, die große potentielle Risiken birgt. Die Erzeugung von Nuklearstrom erfordert ein Höchstmaß an Sicherheitsvorkehrungen. Anderenfalls kann der Ausgang des Geschehens äußerst gefährlich werden."

Genau zu jener Zeit nahm Japans rechtsbürgerliche Regierung ihr Großprojekt des sukzessiven Baus von 50 Kernreaktoren mit einer Kapazität von 49 Millionen Kilowatt in Angriff - ein Vorhaben, das allein auf den entschiedenen Widerstand der Kommunisten stieß.

1979 kam es nach der Kernschmelze eines Reaktors im US-Atomkraftwerk Three Mile Island zu einer heftigen Debatte im japanischen Parlament. Wieder war es der KPJ-Abgeordnete Fuwa, der die Dinge zur Sprache brachte. Er verwies auf den Bericht eines vom US-Präsidenten beauftragten Untersuchungsausschusses, in dem festgestellt worden war: "Aus dem Glauben, die Kernkraftwerke seien sicher, erwuchs eine Überzeugung." Fuwa enthüllte in seiner Rede "die gefährliche Natur eines solchen Sicherheitsmythos". Der Vorsitzende der Regierungskommission für Nukleare Sicherheit Tokuo Suita erwiderte, ein Vorfall wie der in Three Mile Island wäre "in Japan in höchstem Grade unwahrscheinlich".

Am 23. März 2011 konstatierte der KPJ-Vorsitzende Kazuo Shii, jetzt sei es für die Regierung höchste Zeit, eine der Wahrheit verpflichtete, wissenschaftlich redliche Nuklearverwaltung ins Leben zu rufen.

Hatte Fuwa schon 1976 gewarnt, Japans nationale Sicherheit werde sich "bald einer Krise gegenübersehen", so verwies er in der Debatte vom Februar 1981 darauf, "daß die Kernkraftwerke in den Präfekturen Fukushima, Miyagi, Niigata, Shizuoka, Ehime, Fukui und Shimane ausnahmslos in Gegenden mit massiver Erdbebengefahr errichtet worden seien. Übrigens verursachte eine solche die Präfektur Niigata treffende Naturkatastrophe 2007 so schwere Schäden am Kernkraftwerk Kashiwazaki-Kariwa, daß drei Reaktoren stillgelegt werden mußten.

Auch der kommunistische Unterhausabgeordnete Hidekatsu Yoshii machte schon vor langer Zeit auf die enorme Bedrohung aufmerksam. Am 1. März 2006 rief er den Parlamentariern die durch schwere Erdbeben in Chile (Mai 1960), Indonesien (Dezember 2004) und an der japanischen Sanriku-Küste (1896) ausgelösten gewaltigen Tsunamis ins Gedächtnis. Der KPJ-Parlamentarier beschwor das schlimmste aller Szenarien: Bei einem erheblichen Absinken des Meeresspiegels für längere Zeit würden die Reaktoren nicht mehr genügend sie kühlendes Seewasser erhalten, so daß es zur Kernschmelze kommen könne. In der Debatte am 26. Mai 2010 verwies der KPJ-Sprecher überdies auf die Möglichkeit, daß ein besonders schweres Beben zum Zusammenbruch der Energiezufuhr wie der internen Stromerzeugung führen könne. Japans Ministerpräsident Naoto Kan räumte nach der Fukushima-Katastrophe auf eine Anfrage des KPJ-Oberhausmitglieds Daimon Mikishi ein: "Es ist nicht zu leugnen, daß wir zu schwache Vorstellungen von den Wirkungen eines Tsunamis hatten."

Nach Auffassung der Kommunisten lagen Japans Sicherheitsstandards weit unter Weltniveau. Besonders nachteilig wirkte sich das Fehlen einer effektiv arbeitenden Überwachungskommission aus. Schon 1976 hatte Fuwa die Einrichtung einer von den Nuklearenergie-Erzeugern wirklich unabhängigen Körperschaft gefordert. Tatsächlich stand Tokio in all diesen Jahren unter unablässigem Druck der einheimischen Atom-Lobby und der mit ihr kooperierenden US-Konzerne, immer neue Kaskaden von Nuklearkraftwerken zu errichten. Besonders geringes Interesse an einer effektiven Kontrolle legte das Pentagon an den Tag. Dessen atomar betriebener Flugzeugträger und etliche U-Boote liefen regelmäßig japanische Häfen an, woraus sich für Nippon spezielle Sicherheitsrisiken ergaben. Fuwa war es übrigens auch, der im japanischen Unterhaus zur Sprache brachte, daß Unterseeboote der US-Pazifikflotte radioaktive Substanzen verloren hatten. Daraufhin wurde dieser für 183 Tage das Einlaufen untersagt.

Seit dem gigantischen Desaster von Fukushima hat der KPJ-Vorsitzende Shii die Unglücksregion wiederholt besucht und sich an Ort und Stelle um wirksame Hilfe für die Opfer bemüht. Am 31. März traf er mit Ministerpräsident Kan zusammen, dem er konkrete Vorschläge seiner Partei für umgehend zu ergreifende Maßnahmen unterbreitete. Als der kommunistische Politiker auf die Notwendigkeit verwies, den Bau von 14 weiteren Reaktoren unbedingt zu stoppen, sicherte ihm der Regierungschef eine gründliche Prüfung dieses Anliegens zu. Er versprach zugleich, Tokios Energiepolitik "einer fundamentalen Revision zu unterziehen". Die Errichtung auf Plutonium gestützter Meiler solle sofort beendet werden.

Wie man sieht, erweist sich die KP Japans als eine soziale und nationale Kraft, die ihren Einfluß auf die Geschicke des Landes geltend zu machen versteht.

RF, gestützt auf "Akahata", Tokio


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

- Im Mai 1973 empfing Tetsuzo Fuwa, damals Vorsitzender des Sekretariats des ZK der KP Japans und heute Direktor des Instituts für Sozialwissenschaften der KPJ, den ND-Sonderkorrespondenten Klaus Steiniger in Tokio zu einer kameradschaftlichen Unterredung.

Raute

Gorbatschow schlug die Ergebnisse des Referendums über den Fortbestand der UdSSR in den Wind

Wie sich eine Weltmacht selbst liquidierte

Willi Gerns schreibt den Zerfall der UdSSR in erster Linie ideologischen Faktoren zu, besonders "Deformationen des frühen Sozialismus" und "der Aushöhlung des demokratischen Zentralismus nach Lenins Tod". Er fragt, wie es sonst dazu hätte kommen können, daß die Arbeiterklasse und die KPdSU "ihre Kampffähigkeit verloren" und widerstandslos ihre Gesellschaftsordnung aufgaben. Nachdrücklich betont Genosse Gerns die Rolle Gorbatschows und Jakowlews als der Wegbereiter der Konterrevolution.

Doch geschichtliche Vorgänge werden nicht allein von Ideologien und Persönlichkeiten geprägt, sondern widerspiegeln auch den Konflikt konkreter Klasseninteressen.

In der Sowjetunion wurden die Vorbedingungen zur Liquidierung des Sozialismus schon lange vor Gorbatschow und Jakowlew geschaffen. Ein Faktor, der dazu beitrug, war sicher Chruschtschows Rede auf dem 20. Parteitag, die bei vielen Sowjetbürgern den Glauben an die Unfehlbarkeit des sozialistischen Systems erschütterte. Ein anderer war der 1967 erfolgte Aufstieg des Chruschtschow-Protegés Jurij Andropow zum Chef des KGB. Er, der die Rolle eines überzeugten Marxisten-Leninisten spielte, war in Wirklichkeit ein "liberaler Tschekist", wie ihn der Historiker Dmitri Wolkogonow ironisch bezeichnete. Christian Schmidt-Heuer, damals Korrespondent der Hamburger "Zeit" in Moskau, nannte Andropow unter Anspielung auf die römische Gottheit mit den zwei Gesichtern sogar einen Januskopf. Westliche Medien sprachen von einem "aufgeklärten Diktator" - wahrlich ein seltenes Prädikat für einen Chef der Geheimpolizei.

Andropows Handeln deutete zweifelsohne eine Liberalisierung der sowjetischen Rechtsprechung an. So wurden Dissidenten wie der Physiker Andrej Sacharow und dessen Frau, die unlängst verstorbene Jelena Bonner, nicht etwa nach Sibirien verschickt, sondern zum ständigen Aufenthalt in ihrer Heimatstadt Gorki verurteilt. Solschenizyn verwies man 1974 des Landes. Ausreisegenehmigungen für Angehörige verschiedener ethnischer Gruppen wie Wolgadeutsche, Juden, Balten und Moldovaner wurden großzügiger gewährt. Nach Angaben des Andropow-Biographen Shores Medwedew durften seit 1971 insgesamt 260.000 sowjetische Juden auswandern. Es war Andropow, der 1978 den jungen und ambitiösen Michail Gorbatschow aus Stawropol im Nordkaukasus nach Moskau holte. Wie dieser in seiner Autobiographie berichtet, stand er seinem Förderer sehr nahe und lernte viel von ihm.

Der KGB-Chef ebnete als kurzzeitiger KPdSU-Generalsekretär mit Hilfe einer massenhaften "Säuberung" der Partei, der Armee und der Verwaltung den Weg für Gorbatschows "Perestroika". Seine Methode war einfach und wirkungsvoll: Als Rückendeckung besorgte sich Andropow zunächst eine Resolution des ZK über die Bekämpfung der Korruption. Diese wurde dann an sämtliche Parteiorgane im Lande mit der Aufforderung verschickt, umgehend Wahlen abzuhalten, "korrupte" Funktionäre abzulösen und "neue, jüngere Kräfte" zu fördern. Viele von diesen waren Andropow als "Perestroika"-Anhänger bekannt. Unzählige erprobte Kommunisten verloren so wegen unbedeutender "Verstöße" wie der Annahme von zwei Hühnchen oder einem Krug frischer Sahne, oft auch auf Grund von Unterstellungen ihre Posten. Zu dieser Zeit begann die politische Karriere solcher Todfeinde des Sozialismus wie Gaidar Alijew in Aserbaidschan und Eduard Schewardnadse in Georgien.

Nachdem der Parteiapparat systematisch von bewährten Genossen gesäubert worden war, begann derselbe Prozeß in der Armee. Dort half Andropows Kollege Marschall Ustinow nach. Erst dessen Nachfolger, Marschall Achromejew, beklagte dann die Entlassung ehrlicher und fähiger Leute auf Grund unbewiesener Bezichtigungen. Dasselbe wiederholte sich im Verwaltungsapparat, wo "progressive" Aufsteiger mit Ökonomie-Diplomen die Stellen langjährig erfahrener Mitarbeiter übernahmen. In zahlreichen Fällen waren sie außerstande, die komplizierten Strukturen einer zentral gelenkten Wirtschaft zu überblicken. Das führte zu chaotischen Zuständen in vielen Bereichen.

Gorbatschow bediente sich dieser Säuberungsmethoden dann als Generalsekretär noch um ein Vielfaches radikaler als Andropow.

War der KGB-Chef über die Aktivitäten Jakowlews, des sowjetischen Botschafters in Kanada, der in den USA studiert hatte, nicht informiert? Andropow "übersah" Jakowlews unzweideutige Kontakte zu westlichen "Dissidenten" und Geheimdienstlern. Unter dessen Intimfreunden befand sich David Goldstücker, einer der Initiatoren des "Prager Frühlings". Übrigens war es Andropow, der Gorbatschows erste Auslandsreise arrangierte - zufällig nach Kanada, zu Jakowlew.

Alles spricht für die Annahme, daß Andropow auch die Stimmen im Politbüro für Gorbatschows Wahl zum Generalsekretär "besorgt" hat. Ungeachtet all dieser Machenschaften votierte die Mehrheit der Sowjetbürger beim Referendum am 17.3.1991 für die Beibehaltung der UdSSR. Von 185.647.355 Stimmberechtigten traten 148.574.606 oder 80 % an die Wahlurnen. Davon optierten 113.512.812 oder 76,4 % für ein Weiterbestehen der UdSSR, während sich 32.303.977 oder 21,7 % dagegen aussprachen. 1,9 % der Stimmzettel waren ungültig.

Am 24. Dezember 1990 hatte der Oberste Sowjet der UdSSR beschlossen, die Entscheidung über Beibehaltung oder Auflösung des Vielvölkerstaates den Bürgern zu überlassen. Doch der Zerfall der Union war bereits in vollem Gange. So nahmen sechs Republiken - Armenien, Georgien, Estland, Lettland, Litauen und Moldova - nicht mehr am Referendum teil. In vielen Fällen hinderten neue Machthaber Abstimmungswillige an der Ausübung ihres Rechts.

Generalleutnant a. D. Nikolai Leonow beschreibt die hektischen Anstrengungen der Partei "Demokratisches Rußland", einer Entscheidung für die UdSSR den Weg zu verlegen. Die Jelzin-Leute hatten unzählige "Agitatoren" bis in die entferntesten Winkel des Landes entsandt. Laut Leonow beteiligten sich in der Russischen Föderation dennoch 75 % der Wahlberechtigten an der Abstimmung, von denen sich 72 % für die Union aussprachen. In der Ukraine waren es 83 % bzw. 70 %. Selbst in Lettland gaben 500.000 Bürger ihr Votum für die UdSSR ab, in Litauen waren es mehr als 600.000 und in Moldova über 800.000. Meist handelte es sich dabei um Menschen russischer Nationalität.

Das eindeutige Ergebnis des Volksentscheids wurde von Gorbatschow glatt ignoriert. Der Arbeiterklasse des Riesenlandes fehlte in dieser schweren Zeit ein Führer vom Kaliber Lenins.

Dr. Vera Butler, Melbourne

Raute

Antifaschistischer Bekennermut aufrechter Christen gewürdigt

Friedrich-Martin Balzers geistige Bausteine

Friedrich-Martin Balzer, Marburger Politologe und Historiker, legte anläßlich seines 70. Geburtstages am 24.11.2010 unter dem Titel "Prüfet alles, das Gute behaltet!" eine gewichtige Sammlung seiner Aufsätze seit 1998 vor. Wir erfahren viel über Leben und Werk von Balzer, so in der verständnisvollen Würdigung durch den bürgerlichen Berliner Historiker Manfred Gailus. Hans Heinz Holz hebt im Vorwort Balzers Überzeugungstreue auch nach 1989 sowie seine wissenschaftliche Präzision und unbedingte Verläßlichkeit hervor.

Es ist an dieser Stelle nicht möglich, den ganzen Reichtum dieses Buches vor dem Leser auszubreiten. Doch verweise ich ausdrücklich auf die tiefgründigen Ausführungen über Wolfgang Abendroth, Hans Heinz Holz, Helmut Ridder und Robert Neumann. Als Sozialist und früherer Kirchenhistoriker greife ich die Aufsätze heraus, die sich mit der neuesten Kirchengeschichte beschäftigen.

Das Lebensthema Balzers seit seiner Dissertation ist der herausragende religiöse Sozialist Erwin Eckert, den er so dem Vergessen entriß. Mit Recht tritt er dafür ein, diesen revolutionären Christen ohne Einschränkung als der deutschen Arbeiterbewegung zugehörig ernst zu nehmen, da für diese Anerkennung einzig das Engagement für eine qualitativ neue Gesellschaft, nicht aber Glaube oder Unglaube entscheidend sein können. Eckert wurde seit 1916 aufgrund eigener Erfahrungen an der französischen Front zu einem entschiedenen Kriegsgegner. Sein Protest nahm zunehmend auch antikapitalistische Züge an. Er trat für ein Reich der Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Liebe ein. Auch im Wirtschaftsleben müßten andere Gesetze und Maßstäbe als bisher Geltung haben. Der 1. Weltkrieg sei hauptsächlich durch internationale Konkurrenz und schrankenlose Profitgier verursacht worden. Pfarrer zunächst in Meersburg und dann in einer Arbeitergemeinde Mannheims, Vorsitzender des Bundes der Religiösen Sozialisten und Chefredakteur des "Sonntagsblattes des arbeitenden Volkes", hielt er als Christ den Kampf in der Kirche gegen die Kirche für nötig, weil diese nicht selbstlos dienen, sondern herrschen wolle. Sie vergeistige die klaren Gebote Jesu, projiziere Gottes Reich ins Übersinnliche und vertröste die leidende Masse auf das Jenseits. Die Kirche müsse für alle Mühseligen und Beladenen, Suchenden und schuldig Gewordenen da sein.

Eckert wandte sich gegen den Bau eines Panzerkreuzers. Er warnte früh vor der Gefahr des Hitlerfaschismus und betonte die Unvereinbarkeit von Kreuz und Hakenkreuz. Er bemühte sich um antifaschistische Einheit auf seiten der Linken. Als er deshalb von der SPD aus deren Reihen entfernt wurde, schloß er sich als erster deutscher Pfarrer der KPD an und verlor sein Pfarramt. Er sprach von Oktober 1931 bis Februar 1933 vor über 100.000 Menschen.

Dankenswerterweise legt Balzer auch Eckerts schweres Schicksal in der Nazizeit offen. Er wurde zweimal verhaftet, 1933 zu sieben Monaten Gefängnis und 1936 zu drei Jahren und acht Monaten Zuchthaus verurteilt. Unter schwierigsten Verhältnissen brachte er seine Familie mittels einer Leihbücherei in Frankfurt/Main und 1941 bis 1945 als Angestellter mehrerer Industriebetriebe durch, bewahrte den Zusammenhalt mit anderen Antifaschisten und half Zwangsarbeitern.

Nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus suchte er in der französischen Besatzungszone eine einheitliche Linke aufzubauen, wurde Mitglied der ersten südbadischen Landesregierung, war Lizenzträger einer antifaschistischen Illustrierten, bis 1949 südbadischer KPD-Vorsitzender und von 1947 bis zum Verbot der Partei im August 1956 deren Landtagsabgeordneter. 1949 erhielt er bei der Wahl des Mannheimer Oberbürgermeisters 34,7% der Stimmen. Sein Einzug in dieses Amt konnte nur durch ein Bündnis der SPD mit allen bürgerlichen Parteien verhindert werden. 1959/60 stand er als Mann der westdeutschen Friedensbewegung und Vizepräsident des Weltfriedensrates in Düsseldorf erneut vor Gericht. Den Lebensabend verbrachte Eckert bis zu seinem Tod 1972 unter kümmerlichen Umständen, aber ungebrochen und in den Reihen der DKP wirkend.

Ich kann hier nicht in gleicher Ausführlichkeit über Emil Fuchs sprechen, doch weise ich auf dessen innen- und außenpolitisch akzentuierte Wochenberichte im Bundesorgan der Religiösen Sozialisten 1931 bis 1933 hin, die sich durch ihren Faktenreichtum und ihre tiefschürfende Analyse mit klarer Sprache auszeichnen. Sie brachten den schleichenden Prozeß der Aufhebung demokratischer und sozialer Bürgerrechte ans Licht und traten unentwegt für antifaschistische Einheit ein. Leider wurden diese Berichte auch in der DDR nicht zur Kenntnis genommen.

In absolutem Gegensatz hierzu standen die offiziellen Kirchen, wie Balzer mit einem erdrückenden Tatsachenmaterial darlegt. Ihre Beteiligung an Faschismus, Krieg und Holocaust war kein Betriebsunfall, sondern das Ergebnis eines langen Irrweges. Auch nach 1945 gab es in den Kirchen keine wirkliche Entnazifizierung. Faschistisch belastete Pfarrer blieben - anders als Eckert - im Kirchendienst. Die meisten Bischöfe nannten 1933 das "Dritte Reich" ein Geschenk und Wunder Gottes. Ein Hirtenbrief der badischen Landeskirche behauptete z. B., das deutsche Volk sei aus lähmendem Todesschlaf erwacht, also auferstanden. Nach den Morden am 30.6.1934 hieß es, Hitler habe mit bewundernswerter Tatkraft hochverräterische Machenschaften durchkreuzt. Der Thüringer Landesbischof Martin Sasse meinte nach den Pogromen vom 9.11.1938, die Macht der Juden sei nun endgültig gebrochen und damit der gottgesegnete Kampf des Führers zur völligen Befreiung unseres Volkes gekrönt worden. Zu Hitlers 50. Geburtstag im April 1939 sprach z. B. der badische Bischof von bedingungsloser Gefolgschaftstreue und ließ alle Kirchenglocken läuten. Dr. Friedrich Werner, Leiter der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei, verlautbarte zum Beginn des 2. Weltkrieges, die Kirche reiche zu den Waffen aus Stahl unüberwindliche Kräfte aus Gottes Wort. Ein bayerischer Pfarrer schlug 1942 in einem Brief an Julius Streicher sogar vor, für jeden durch alliierte Bombenangriffe getöteten deutschen Zivilisten zehn Juden aufzuhängen. Der Vertrauensrat der DEK erklärte in einem Telegramm an Hitler am 30. Juni 1941: "Sie haben, mein Führer, die bolschewistische Gefahr im eigenen Lande gebannt und rufen nun unser Volk und die Völker Europas zum entscheidenden Waffengang gegen den Todfeind aller Ordnung und aller abendländisch-christlichen Kultur auf." Und weiter hieß es dort: "Unsere unvergleichlichen Soldaten gehen nun mit gewaltigen Schlägen daran, diesen Pestherd zu beseitigen."

Das muß nicht kommentiert werden. Meine Zeilen wollten aber darlegen, daß progressive und reaktionäre Traditionslinien der Kirchengeschichte auch noch heute in unauflösbarem Gegensatz stehen. Christen aber, die an der Seite der revolutionären Kräfte auch persönliche Opfer und selbst Verfolgungen nicht scheuen und als Bundesgenossen im Vollsinne in ihre Reihen aufgenommen werden, danken Friedrich-Martin Balzer dafür, daß er für diese Aktionseinheit wichtige geistige Bausteine bereitstellt. Sein Buch gehört in die Hand all derer, die für die beste Sache der Welt kämpfen.

Prof. Dr. Gert Wendelborn, Rostock

Friedrich-Martin Balzer, Prüfet alles, das Gute behaltet.
Pahl-Rugenstein-Verlag, Bonn 2010, 428 Seiten, mit 20 Abbildungen,
19,90 €, ISBN 3891444338

Raute

Willi Bredel, F. C. Weiskopf und die proletarische Literatur

Unzertrennliche Freunde

Auch der jüngste Rundbrief der in Hamburg angesiedelten Willi-Bredel-Gesellschaft Geschichtswerkstatt e. V. bleibt nicht hinter den Erwartungen an diese in ihrer Art einzigartige kleine Publikation zurück. Ein Beitrag soll hier ganz besonders hervorgehoben werden. Der Autor berichtet über die große und produktive Freundschaft zweier viel zu früh gestorbener Schriftsteller: Franz Carl Weiskopf und Willi Bredel standen mehr als zwei Jahrzehnte in einem engen gedanklichen und persönlichen Kontakt, obwohl sie die Flucht vor dem Hitlerfaschismus in weit voneinander entfernte Winkel der Welt verschlagen hatte. Weiskopf, der auch zu Thomas Mann und Lion Feuchtwanger Verbindung hielt, begleitete Bredel von dessen frühen und noch recht unbeholfenen Schritten des literarischen Anfangs bis zu seiner beachtlichen Meisterschaft als proletarischer Schriftsteller.

Nach einem ersten flüchtigen Miteinander-Bekanntwerden 1930 in Berlin sahen sich beide dann erst vier Jahre später in Prag wieder, wo Weiskopf dem in der Moldaumetropole frisch eingetroffenen Flüchtling aus Hitlerdeutschland zu einer Aufenthaltserlaubnis verhalf. Er bewegte den anfangs sehr abweisenden tschechischen Beamten im Verlauf des Gesprächs nicht nur zur Ausstellung der gewünschten Papiere, sondern beeindruckte diesen derart, daß er Bredel am Ende sogar noch einen Fünfzig-Kronen-Schein zur Unterstützung des antifaschistischen deutschen Widerstandes zusteckte.

Die Beziehung beider Künstler, welche überwiegend miteinander korrespondierten, war durch rückhaltlose Offenheit geprägt. Weiskopf hielt dabei auch nicht mit seiner Kritik an stilistischen und inhaltlichen Mängeln Bredelscher Texte zurück.

Er überzeugte seinen zunächst zu agitatorischen Formulierungen neigenden Freund, daß eine Übereinstimmung von Form und Inhalt unbedingt notwendig sei. Bredel zog aus diesem freimütigen Gedankenaustausch wertvolle Lehren. Nachdem Weiskopf sein Werk "Die Prüfung" gelesen hatte, bezeichnete er es auf einer öffentlichen Veranstaltung in Prag als "das bedeutendste Buch der proletarischen Literatur seit 1933". Die in Prag erscheinende "Arbeiter-Illustrierte-Zeitung" (AIZ), deren Chefredakteur Weiskopf war, brachte einen größeren Auszug der bahnbrechenden Arbeit Bredels. Indes ließ Weiskopf diesen auch wissen, er müsse das jetzt erreichte Niveau "mindestens halten". Mit dem 1937 erschienenen Roman "Dein unbekannter Bruder" trat Bredel den Beweis dafür an.

Zu seinem wohl größten Erfolg wurde jedoch die Chronik des spanischen Bürgerkrieges, an dem Bredel als Politkommissar des Thälmann-Bataillons teilgenommen hatte. Damals schrieb ihm Weiskopf über die "Begegnung am Ebro", in seinem Buch trete "der Tod oft und in mancherlei Gestalt auf. Aber ein Grundakkord bleibt. 'Es lebe das Leben!'"

Während Bredel aus Frankreich in die UdSSR übersiedelte, hatte sich Weiskopf mit seiner Frau Grete, die später unter dem Pseudonym Alex Wedding in der DDR vielbeachtete Bücher schrieb, für die Emigration in die USA entschieden. Vergeblich bemühte er sich dort um die Herausgabe Bredelscher Bücher. Er mußte sich aber auf Rezensionen in einer renommierten Literaturzeitschrift beschränken.

Bredels Arbeit an der Trilogie "Verwandte und Bekannte" - später erschienen die Bände "Die Väter", "Die Söhne" und "Die Enkel" - wurde durch Weiskopf aufmerksam verfolgt und freundschaftlich begleitet. Dabei sparte der erfahrene Stilist nicht mit Kritik, besonders was den dritten Band betraf, dessen gründliche Überarbeitung er empfahl. Obwohl Bredel zunächst frappiert war, tat das der Freundschaft beider Männer keinen Abbruch. Im März 1943 bestätigte Bredel dem "Amerikaner" und seiner Frau in einem Brief: "Ich habe nie eine schönere Zeit erlebt als mit Euch." Und er schüttete sein ganzes Herz aus: "Ihr habt nie in Eurem Leben einen treueren Freund gehabt als mich." - Auch nach dem Krieg waren die Schriftsteller längere Zeit räumlich weit voneinander getrennt. Während Bredel in Deutschlands sowjetischer Besatzungszone Fuß faßte und im damals sehr einflußreichen Kulturbund Verantwortung übernahm, vertrat Weiskopf die CSR sechs Jahre lang als deren Botschafter in den USA, Schweden und China.

1952 fühlte sich der jüdische Autor mit Westemigrations-Hintergrund - und noch dazu in den USA - in der hysterischen Atmosphäre des auf Moskauer "Rat" gegen führende Partei- und Staatsfunktionäre mit ähnlicher Vergangenheit inszenierten Schauprozesses, dessen Hauptangeklagter der KPTsch-Generalsekretär Rudolf Slánsk war, in höchstem Grade verunsichert. So bat er Bredel, sich für eine Übersiedlung seiner Familie in die DDR einzusetzen, was dieser unverzüglich tat. Er wandte sich direkt an Präsident Wilhelm Pieck, der für Dinge dieser Art einen besonderen Nerv besaß. Trotz der schon bald darauf erteilten Zusage konnten die Weiskopfs erst im November 1953 nach Berlin ausreisen. Kurz darauf wurde F.C. in die Chefredaktion der bisher allein von Bredel herausgegebenen "Neuen Deutschen Literatur", der Zeitschrift des Schriftstellerverbandes der DDR, einbezogen.

Doch die Lebensbahn des so wertvollen Ratgebers und Gestalters neigte sich ihrem Ende zu. Dabei hatte Weiskopfs Mitwirkung an der NDL das Niveau des Blattes erheblich angehoben, was Arnold Zweig in einem Brief an Lion Feuchtwanger mit warmen Worten zu würdigen wußte.

Im September 1955 schlug der Tod unbarmherzig zu. "Unser Franz ist gestorben ... Wir fühlen uns wie verwaist", schrieb Bredel in einem Nachruf auf Weiskopf, in dem er des "allzeit freundlichen Helfers" und "nimmermüden Verfechters der Reinheit und Schönheit unserer Sprache" gedachte.


Der Hamburger Willi-Bredel-Gesellschaft und ihrem Autor nfa sei für die hervorragend recherchierte und unser Wissen über beide Männer bereichernde Veröffentlichung aufrichtig gedankt.

RF, gestützt auf den Rundbrief 2011 der Willi-Bredel-Gesellschaft, Hamburg


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Die Weiskopfs um 1947 in ihrer New Yorker Wohnung
- Willi Bredel mit Hamburger Arbeitermütze, um 1930

Raute

200. Geburtstag Franz Liszts und 200. Todestag Heinrich von Kleists

Weimar gedenkt zweier Großer

In diesem Sommer und Herbst gibt es allerorten, insbesondere in Weimar, Veranstaltungen und Aufführungen von künstlerischen Werken aus Anlaß des 200. Geburtstages von Franz Liszt (1811-1886) und des 200. Todestages Heinrich von Kleists (1777-1811). Beider humanistisches und künstlerisches Schaffen ist, jeweils auf besondere Weise, schicksalhaft mit dem Zentrum der deutschen bürgerlichen Klassik, mit Weimar und Goethe verbunden.

Im Herbst 1961, zehn Jahre vor seinem Tode, hielt der Schriftsteller Walther Victor im Deutschen Nationaltheater Weimar zum 150. Todestag Heinrich von Kleists eine Gedenkrede, aus der die nachfolgenden Passagen entnommen sind.

"Es ist sehr interessant, daß es gerade Goethe gewesen ist, der eines der besten, noch heute höchst bedenkenswerten Worte zur Erklärung des Phänomens Kleist inmitten seiner Umwelt gesagt, wenn er auch dabei keineswegs an Kleist gedacht hat. Denn Goethe lebte zwar oft gegen, so doch auch in und mit seiner Zeit, ihr voraus und dennoch im bewußten Kompromiß. Die explosive Natur des jungen Kleist - und es gibt ja nur einen jungen! - war dem fast 30 Jahre älteren Goethe zuwider, aber keineswegs unverständlich. Und in den letzten Jahren, denen sich so manche tiefe Weisheit verdankt, kommen gerade von Goethe Worte, die wie eine Analyse des tragischen Kleistschen Dichterschicksals anmuten.

Am 20. Dezember 1829 sprach Goethe mit Eckermann über die physisch-psychische Veranlagung von Schriftstellern. 'Das Außerordentliche, was solche Menschen leisten', sagte er, 'setzt eine sehr zarte Organisation voraus, damit sie seltener Empfindungen fähig seien und die Stimme der Himmlischen vernehmen mögen. Nun ist eine solche Organisation, im Konflikt mit der Welt und den Elementen, leicht gestört und verletzt, und wer nicht mit großer Sensibilität eine außerordentliche Zähigkeit verbindet, ist leicht einer fortgesetzten Kränklichkeit unterworfen.' Wer hören kann, der höre aus einer solchen Aussage eines Menschen, der einiges vom Beruf eines Schriftstellers verstand, heraus, was die Tragödie Kleists bedingte.

Es entsteht die Frage, ob Heinrich von Kleist blind war gegenüber den Gitterstäben, die sein Leben beengten, oder ob er sie sah und wie er reagierte ... Kleist wußte, daß es für ihn nur ein Gegen-die-Welt-Leben gab ..."

Soweit der 1895 geborene Walther Victor, dessen 1953 erstmals erschienenes Kleist-"Lesebuch für unsere Zeit" bis 1971, dem Todesjahr Victors, acht Auflagen erlebte. Spätere Ausgaben wurden vom Verlag mit einem neuen Vorwort und modernerem Gewand herausgebracht.

Der im Todesjahr Kleists geborene Franz Liszt ließ sich unter anderem von Goethes "Tasso" und "Faust" zu unsterblichen Kompositionen inspirieren. Weimar feiert 2011 hundertfach den berühmten Komponisten und Klaviervirtuosen von europäischem Rang, den künstlerischen Anreger und Förderer des pianistischen Nachwuchses. Dennoch bleibt nahezu unbelichtet, wie er als 24jähriger, um gesellschaftliche Anerkennung ringender ungarischer Immigrant in Paris die erbärmliche Lage der jungen Künstler sieht und in scharfen Worten kritisiert ("Zur Stellung der Künstler", 1835). In diese Zeit nach der französischen Juli-Revolution von 1830/31 führt Walther Victors Skizze "Puzzi", die von dem "Wunderknaben" Hermann Cohen handelt, einem tragischen Schicksal. Victor schrieb sie im Schweizer antifaschistischen Exil. Sie erschien 1936 in Locarno.

Werner Voigt, Kromsdorf

Raute

Parteinahme eines Parteilosen: Gerhard Vontra

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Wie Hans Fallada als Lokalreporter einem politisch motivierten Kriminalfall nachging

Nazis auf Bauernfang

Die weitgehend ungekürzte Neuausgabe von Hans Falladas Werk "Jeder stirbt für sich allein" hat in einer Reihe von Ländern beachtlichen Anklang gefunden. Damit ist der Verfasser, den Johannes R. Becher und die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1947 ermutigten, beim Aufbau einer neuen Gesellschaft mitzuwirken und diesen antifaschistischen Roman zu publizieren, wieder in den Blickpunkt literaturwissenschaftlichen Interesses gerückt.

Mit Hintergrundereignissen seines literarischen Durchbruchs "Bauern, Bonzen und Bomben" (Rowohlt, 1931) hat sich auch die Lüneburger VVN/BdA im Zuge ihrer antifaschistischen Arbeit beschäftigt. So hielt Dr. Raimond Reiter, Autor des im Militzke-Verlag erschienenen Buches "Mord und Totschlag in Norddeutschland", am 6. November 2010 in der Ratsbücherei der Stadt einen Vortrag. Reiter befaßt sich in seiner Schrift mit dem ungeklärten Fall Bodendieck/Kastendieck - einem fehlgeschlagenen Attentat der rechtsgerichteten "Landvolkbewegung" auf einen Landgerichtsdirektor der Weimarer Republik.

Als Hans Fallada, Lokalreporter des "General-Anzeigers" in Neumünster und Berichterstatter über den damaligen "Landvolkprozeß", Material für seinen Roman recherchierte, stieß er auf gut verwertbare, gleichfalls Aufsehen erregende Ereignisse in der Neumünster vom Milieu her ähnelnden Stadt Lüneburg, die sich im selben Jahr zugetragen hatten. Sie wurden auch in Schleswig-Holstein vor dem Altonaer Gericht verhandelt, da sie ihren Ursprung in der Dithmarschen "Landvolkbewegung" hatten.

Der Prozeß, in dem es um drei im Jahre 1929 in Lüneburg verübte Bombenanschläge ging, fand 1930 statt. Während die spätere Hauptstadt des Gaues "Osthannover" mit ihrem vom Lande stammenden und im berüchtigten Nazinest Tostedt hochgepeppelten Gauleiter Otto Telschow vor der Machtauslieferung an Hitler kaum Faschisten unter ihren Einwohnern hatte, galten der Kreis Uelzen, der Kreis Harburg und auch der Landkreis Lüneburg als ausgesprochene Hochburgen des militanten "Landvolks" und paramilitärischer Rechtskräfte.

Gestützt auf ein konspiratives Netzwerk, dessen Zentrale sich in eben jenem Gebiet befand, wo sich die Demonstration und der achtmonatige Boykott Neumünsters zutrugen, wurden die Lüneburger Bezirksregierung und das Haus des gerade abwesenden jüdischen Rechtsanwalts Dr. Emil Straus Ziele von Anschlägen. Eine dritte Bombe, wie die anderen aus in Mühlheim/Ruhr entwendetem Ammonit, war vor dem Büro der Landkrankenkasse abgelegt worden, detonierte aber nicht. Schon im Sommer 1932 wurden die Täter amnestiert.

Seit der Wirtschaftskrise des Jahres 1923 waren die Preise verfallen, und den verschuldeten Bauern wurden die Höfe weggepfändet. Die "Landvolkbewegung" - ein Konglomerat ständischer Selbstbehauptung sowie nationalistischer, militaristischer und faschistischer Einzelpersonen und lokaler Gruppen - wehrte sich auf ihre Art gegen die Existenzvernichtung durch kapitalistischen Landraub. Beim "Beidenflether Ochsenfeuer", einer Notwehraktion gegen Zwangsversteigerung, war Fallada (im Roman heißt er "Tredup") selbst dabei.

Während Kurt Tucholsky in einem "Weltbühnen"-Beitrag aus dem Jahre 1931 die Parteinahme des autobiographische Züge in seinen Roman einbringenden Autors für die in Not befindlichen Menschen und dessen Kritik an der sozialdemokratischen Regierungsclique skrupelloser Karriere- und Geschäftemacher sowie die präzise Darstellung der subjektiven Klassenlage in der Weimarer Republik erkannte, stieß das Buch bei anderen auf heftigen Widerstand. So verriß es K.A. Wittvogel in der "Linkskurve" als "faschistischen Roman". Johannes R. Becher sah demgegenüber die Bedeutung des subjektiven Faktors, besonders auf dem Lande. Er war sich der Schwierigkeiten bewußt, die bei der demokratischen Bodenreform und später bei der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft in der DDR zu erwarten sein würden.

Den Faschisten gelang es während ihrer zwölfjährigen Herrschaft in der Tat, unter Anknüpfung an anachronistische und extrem reaktionäre Ideologien der "Landvolkbewegung" sowie mit Hilfe ihrer "Blut- und Boden-"Kampagne und des "Reichserbhofgesetzes" landbesitzende Bauern in großer Zahl für ihre Zwecke einzuspannen. Wie bereits erwähnt, manifestierte sich das auch vor und nach 1933 in unserer Stadt.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

Raute

Rudi Strahl und "Ein irrer Duft von frischem Heu"

Der am 14. August 1931 in Stettin geborene Rudi Strahl übersiedelte 1948 in die sowjetische Besatzungszone. Er lebte zunächst mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder im thüringischen Mühlhausen und nahm dort die Werkzeugmacherlehre auf. Da sein Meister Radrennfahrer war, übertrug sich dessen Leidenschaft auch auf den Jungen. Nach anfänglichem Zögern bewarb sich Rudi Strahl bei der Kasernierten Volkspolizei (KVP), die der Nationalen Volksarmee (NVA) vorausging. Nach der Grundausbildung besuchte er die Offiziersschule. Im Anschluß an seine Militärzeit bei KVP und NVA arbeitete er als Redakteur beim "Eulenspiegel" und studierte am Literaturinstitut in Leipzig.

Seit 1961 war Rudi Strahl freischaffender Schriftsteller. Er verfaßte Kinderbücher, Gedichte, Erzählungen und Romane. Von seinen Prosawerken sei hier "Aufs Happy-End ist kein Verlaß" (1966) erwähnt. Strahls wohl eindrucksvollster Gedichtband trägt den Titel "Eine Wendeltreppe in den blauen Himmel".

Viele seiner zahlreichen Theaterstücke waren ausgesprochene Publikumserfolge. "Noch einmal ein Ding drehen" (1970), "Wie die ersten Menschen" (1972), "Keine Leute, keine Leute" (1973), "Arno Prinz von Wolkenstein oder Kader entscheiden alles" (1977) und "Vor aller Augen" (1982) gingen über nahezu alle Bühnen der DDR. "Flüsterparty" fiel bei der Obrigkeit zunächst in Ungnade, wurde dann aber 1988 in Rostock uraufgeführt.

Strahls Renner waren vor allem "Ein irrer Duft von frischem Heu" und "In Sachen Adam und Eva". Sie erlebten über 500 Inszenierungen, fanden auch in Moskau, Paris, Bukarest, Saarbrücken und anderen Städten Resonanz. Eine Art Neuauflage erfuhr der "Irre Duft", der nach 1990 unter dem Titel "Ein seltsamer Heiliger oder ein irrer Duft von Bibernell" herauskam.

Strahl wußte so manches humorvoll auf den Punkt zu bringen. Seine Sympathie und Zuneigung galten immer den kleinen Leuten. 1993 stritt Strahl mit Fernsehproduzenten, die meinten, in einer Komödie habe im Hauptprogramm ein Arbeitsloser nichts zu suchen. Er wollte sich mit der heilen Welt eines Komödienstadels nicht anfreunden. Als sein letztes neues Bühnenstück wurde in Cottbus der Schwank "Kein Bahnhof für zwei" uraufgeführt.

Film und Fernsehen sicherten Strahls Werken weitere Erfolge. Von seinen mehr als vierzig Spielfilmen und Fernsehspielen seien erwähnt: "Der Reserveheld", "Seine Hoheit, Genosse Prinz", "Meine Freundin Sybille", "Du und ich und Klein-Paris" und "Einfach Blumen aufs Dach". Besondere Resonanz fand der Film "Ein irrer Duft von frischem Heu" (1977, Regie: Roland Oehme). Zu dieser Fabel äußerte Strahl: "Es reizte mich, eine ungewöhnliche Geschichte zu erzählen, die Hoffnung, der Einmaligkeit und Originalität des menschlichen Individuums ein Stück näherzukommen ..." Stoffe aus dem Alltag bildeten die Grundlage, die er mit phantastischen Einfällen oder "Sensationen" verfremdete. Strahls Monologstück "Probe aufs Exempel", das er selbst am Maxim-Gorki-Theater in Berlin in Szene setzte, ging 1988 mit Hans-Peter Minetti über den Bildschirm. Den Fernsehfilm "Ein Kerl wie Samt und Seide", der nach 1990 gesendet wurde, hatte er Harald Juhnke geradezu auf den Leib geschrieben.

Erzähltes und Gedichtetes stellte Strahl in seinem Buch "Schlaraffenland" (1997) vor - gewürzt mit einer ordentlichen Prise Ironie und einem Schuß Galgenhumor. Der Autor apostrophierte: "Ein noch so abrupter gesellschaftlicher Umschwung ändert nichts an Biographien und Charakteren. Schweinehunde bleiben Schweinehunde. Die was taugen, taugen immer noch was."

Im Herbst 2001 erschien sein Hörbuch "Ein Schlitzohr aus Cotta" als Auswahl amüsanter Geschichten, von denen er selbst drei las. Strahl erreichte mit seinen humorvoll gewürzten Büchern ein enorm breites Leserpublikum. Seine Werke liegen in etwa fünf Millionen Exemplaren und in 26 Sprachen vor. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Nationalpreis der DDR (1980), den Lessing-Preis (1974) und zweimal den Goethe-Preis. Baden-Württemberg erkannte ihm seinen Volkstheaterpreis zu.

Der erfolgreiche Stückeschreiber Rudi Strahl erlag am 3. Mai 2001 im Alter von 69 Jahren einem schweren Leiden. Sein Nachlaß wird im Brigitte-Reimann-Literaturhaus von Neubrandenburg aufbewahrt.

Dieter Fechner

Raute

Merseburger Zaubersprüche

Zu den ältesten Dichtungen gehören Zaubersprüche. Es sind Beschwörungsformeln oder -verse, die magische Wirkungen erzielen sollen. Es geht um den Schutz der eigenen Person, die Abwehr von Feinden oder die Überwindung von Krankheiten.

Zwei einzigartige germanisch-heidnische Wortschöpfungen dieser Art wurden vor 170 Jahren entdeckt: die "Merseburger Zaubersprüche". Sie werden so genannt, weil sie in einer aus dem 10. Jahrhundert stammenden theologischen Handschrift 1841 von Prof. Georg Waitz in der Dombibliothek zu Merseburg aufgefunden wurden. Das Dokument soll eigentlich aus Fulda stammen.

Die zwei Zauberformeln sind in althochdeutscher Sprache verfaßt und verkörpern in ihrer Versform deutlich den stoßkräftigen Stabreim (gleiche Anlaute = "Stäbe"). Man vermutet, daß ihre Entstehung bis ins 6. Jahrhundert zurückreichen könnte.

Das Besondere an den "Merseburger Zaubersprüchen" besteht darin, daß sie ihren vorchristlichen Ursprung behielten. Denn mündlich überlieferte Zaubersprüche, besonders jene aus dem germanischen Sprachraum, wurden erst im Mittelalter aufgeschrieben und waren daher christlich geprägt oder beeinflußt. Man nimmt an, daß die Merseburger Sprüche im 10. Jahrhundert von einem Geistlichen, eventuell noch im Kloster Fulda, auf die leere Seite eines kirchlichen Buches in karolingischen Minuskeln eingetragen wurden.

Der erste Spruch ist ein Lösezauber zur Befreiung eines vom Feind gefangenen Kriegers. Es wird berichtet, was göttliche Frauen dazu unternehmen. Den Schluß bildet die Aufforderung, von der magische Kraft ausgehen soll: Entspring den Fesseln, entflieh den Feinden! (insprinc haptbandun, inuar uigandun). Im zweiten Spruch geht es um die Heilung eines lahmen Pferdes durch Götter. Auch hier findet sich erst am Ende die Zauberformel in Gestalt der Worte Wodans, des Oberhauptes der germanischen Götterwelt: Bein zu Bein, Blut zu Blut, Glied zu Glied, als ob sie geleimt seien! (ben zi bena, bluot zi bluoda, lid zi geliden, sose gelimida sin). Wie überliefert wird, würdigten die Brüder Grimm die Sprüche als kostbares Kleinod und veröffentlichten sie 1842.

Die Schriftzüge kann man in der Merseburger Domstiftsbibliothek besichtigen.

Günther Röska, Leipzig

Raute

Archie über Ausblick und Durchblick

Ein Fenster mit Aussicht - das war schon seit eh und je Archies Wunsch, der sich aber nie so recht erfüllen sollte. Während seiner Kindheit im Breslauer Armenviertel Tschepine blickte er auf einen uralten, mit Gesträuch und Krüppelbäumen zugewucherten Schießstand hinter einem hohen Zaun - eine eher beängstigende Phantasielandschaft für einen Jungen. Das trockene Geräusch platzender Patronen unterstrich den Eindruck des Gespenstischen. Später, auf der Flucht vor der Front, kam es niemals auf schöne Aussicht an, sondern es ging stets um eine gute Chance zum Überleben. Das machte alles wett. Doch die Sehnsucht nach einem Zimmer, vor dessen Fenster sich ein freundliches Panorama ausbreiten würde, blieb erhalten.

Nach dem großen Weltkrieg, dem zweiten schon, hausten die Einheimischen in ganzen oder halben Ruinen, während die Flüchtlinge meist in Scheunen oder Baracken des Dorfes untergebracht und oft schon am nächsten Tag weitergetrieben wurden.

Als Archie zwölfjährig im kalten Februar 1945 durch Dreck und Pampe watete, fiel sein sehnsüchtiger Blick auf so manche Villa mit Veranda und Fenstern, die eine Aussicht auf das Erzgebirge boten. Solche vornehmen Häuser hatten oftmals besonders hohe Schutzgitter, um das herumziehende "Pack" fernzuhalten. Damals saßen da nicht selten Nazis drin, die sich in oftmals arisiertem fremdem Eigentum breitgemacht hatten.

Die Mutter hatte in jener Zeit noch keinen rechten Durchblick und konnte Archies Fragen zu Aussichten auf eine Änderung der Verhältnisse nicht beantworten. Es schien alles zappenduster zu sein - den Ausdruck hörte Archie übrigens erst später in Berlin. Mehr Durchblick erlangte er dann durch den Besuch der Oberschule in Sachsen und das Studium an der Humboldt-Universität in der Hauptstadt der DDR. Als Studentenbude entdeckte er aber auch dort kein Zimmer mit entsprechender Aussicht. Meist befanden sie sich im zweiten Hinterhof ohne einen Sonnenstrahl. Die Umwelt wirkte unfreundlich auf ihn. So bewohnte er sechs Jahre eine Kochstube in der Zionskirchstraße, die nach der Rekonstruktion, noch zu DDR-Zeiten, in eine Naßzelle umgewandelt wurde.

Schließlich erhielt er eine schöne und sonnige Neubauwohnung über die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft - kurz AWG - mit Balkon und Aussicht, die leider schon bald durch einen Hochhausbau beeinträchtigt wurde. Anfang der 70er Jahre kam Archie durch reinen Zufall und die Scheidung eines ihm bekannten Ehepaares - beide waren Ex-Kommilitonen, gehörten inzwischen zur "Nomenklatur" der DDR und waren vielbeneidete "Reisekader" - in den Genuß einer ebenso komfortablen wie geräumigen Altneubau-Wohnung, wie man das damals nannte: Sie maß 100 Quadratmeter, lag am Treptower Park und war im Ergebnis eines sogenannten Ringtausches die seine geworden. Leider hatte auch dieses bequeme Quartier wieder kein Zimmer mit der erhofften Aussicht. Vom Arbeitsraum und der Wohnküche konnte man auf den recht großflächigen Hinterhof des Verlags der Gewerkschaftszeitung "Tribüne" hinabblicken.

Der Mensch ist nie zufrieden und möchte gern so wohnen: vorne Friedrichstraße, hinten Ostsee - meinte schon Kurt Tucholsky. Als Archie am Treptower Park einzog, konnte er dort seine Studien treiben: Auf dem "Tribüne"-Hof gab es ein Rondell mit Blumenrabatten, Bänken und Bäumen. Da waren hohe Pappeln, deren Blätter in der Sonne flirrten. Unter ihnen saßen Frauen und Männer, die in der Arbeitspause ihre belegten Brote verzehrten, Zeitung lasen oder einander etwas erzählten.

Dann mußten die schlanken Bäume dem Sägeblatt weichen, man machte alles platt. Da waren dann keine Arbeiter mehr, auch keine Bänke oder Blumen. Es gab nur noch Beton, soweit das Auge reicht. Dafür aber konzentrierten sich unendlich viele Personenwagen und Containerfahrzeuge auf engstem Raum. Der Tribüne-Verlag wurde auf einmal für überflüssig erklärt und abgewickelt. Kleinfirmen, Buchhäuser wie Elefanten-Press und Redaktionen, darunter die "junge Welt", aber auch der "Freitag" und die Lehrerzeitung sowie etliche andere kamen und verschwanden wieder.

Aus dem einstigen Gelände der großen Verlagsgebäude und der Druckerei sollen jetzt die Schuckert-Höfe werden. Dabei geht es um Großraumbüros, Lofts, Luxuswohnungen, weitere Management-Locations, Werbeagenturen und Event-Ausstellungen. Mit anderen Worten: alles, was sich rechnet. Ein Fitness-Center hatte dort schon mal Pleite gemacht.

So konnte Archie aus seinem Fenster mit beschränkter Aussicht jedenfalls einen Teil des sich ständig drehenden Personal- und Investment-Karussells des Kapitals beobachten. Doch - im übertragenen Sinne - hat er eigentlich immer nach einem Fenster mit Aussicht auf eine friedliche und sinnvolle Zukunft gesucht.

Dieses ist jetzt allerdings mit schräger und schriller, ihn ständig nervender Produktreklame sowie mit Kanonen, illegalen Kampfeinsätzen, Kernenergiekatastrophen, klerikalen Kinderschändern und Kultfiguren des Kapitals übermalt. Ein Fenster mit Aussichten dieser Art wollte Archie indes keineswegs.

Manfred Hocke

Raute

Leserbriefe an RotFuchs

Herzlichen Dank, daß Ihr dem Andenken meines verstorbenen Vaters im RF Ehre erwiesen habt. Ein Eckstein seines politischen Lebens war der offene Brief, mit dem sich die KPD in den 20er Jahren an alle deutschen Arbeiterorganisationen wandte, um ihnen gemeinsame Aktionen vorzuschlagen. Mein Großvater war damals im Reichsbanner und einem Verband jüdischer Arbeiter in Leipzig aktiv. Er wurde durch diesen Appell stark motiviert. Als mein Vater in den 30er Jahren im Prager Exil lebte, beeindruckte ihn die standhafte Haltung Ernst Thälmanns gegenüber den Nazis und Dimitroffs Ruf zur Einheitsfront. Sie führten ihn zu seiner kommunistischen Überzeugung, in der er niemals wankte. In diesem Sinne war er auch mit der DDR solidarisch, wirkte er in den Reihen der KP der USA.

Ich mache diese Bemerkungen deshalb, weil er den "RotFuchs" als eine Publikation in der besten Tradition der KPD betrachtete. Er bewertete die von Euch geleistete Arbeit sehr hoch und äußerte mir gegenüber wiederholt, auch in den USA werde eine solche Zeitschrift dringend gebraucht.

So möchte ich dem "RotFuchs" - ganz im Sinne meines Vaters und meiner bereits zuvor verstorbenen Mutter - Gefühle der Solidarität und hohen Wertschätzung mit dem Wunsch auf sein weiteres Wachstum übermitteln.

Kurt Stand #422 89 - 083, Virginia Hall, FCC Petersburg Low,
PO Box 1000 Petersburg, VA 23804, U.S.A.

Bemerkung der Redaktion:
Zehntausende RF-Leser und mehr als 1500 Mitglieder des RF-Fördervereins grüßen unseren seit dem 4. Oktober 1997 inhaftierten und selbst unter den widrigsten Umständen der Sache treu gebliebenen Genossen Kurt Stand in fester und unerschütterlicher Verbundenheit! Hab Dank, lieber Kurt!
Eine Umarmung von Deinen "RotFüchsen" in der BRD und in aller Welt!


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Die PDL hat sich unter dem Banner von "Reformern" Schritt für Schritt von den Traditionen der Arbeiterbewegung, auch der alten Sozialdemokratie, getrennt. Nichts ist geblieben von der einst blühenden linken Kultur, ihren Kampfliedern und Gedichten, kein Busch und kein Weinert in Sicht, das Abgleiten in Beliebigkeit ist nicht zu übersehen. "Eine politische Partei, die koalitionsfähig werden will, muß sich natürlich ihrer ideologischen Altlasten entledigen", hören wir von Prof. Moshe Zuckermann aus Tel Aviv. Ohne daß die ersehnte "Koalition" überhaupt in Sicht ist, haben wir uns selber entwaffnet. Das sind keine nostalgischen Tränen. Wir haben es einfach satt, permanent "zur Bewährung" auf dem Koalitionsprüfstand zu stehen. Unserer Partei ist geboten, die politische Initiative zurückzuerlangen.

Der Antisemitismus-Eklat ist das unmittelbare Ergebnis einer Anpassungsmanie, die Bundestags-Resolution dazu ein öffentliches Sich-Andienen an die "Staatsräson" der gegenwärtig Schaltenden und Waltenden. Aus der Bejahung der Gaza-Flottille eine Geste des Antisemitismus zu konstruieren, ist absurd, wenn unser humaner Auftrag weiter Bestand haben soll.

Unsere "neuen" Kategorien sind Leih-Gut. Sie tilgen den bewährten Internationalismus. Wir denken heute wieder in (NATO-)"Grenzen". Wenn man etwas genauer hinsieht, wurde der gesamte Fundus an Erfahrungen, an Tradition, an linker Kultur, an internationalistischen Gepflogenheiten über Bord geworfen. was uns zu dekorativen Pauschalerklärungen ("gegen Rassismus") drängt.

Walter Ruge, Potsdam


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Liebe "RotFuchs"-Redaktion! Hiermit erkläre ich den 7. Juni 2011 - den 96. Geburtstag des Genossen Walter Ruge - zum höchsten kommunistischen Feiertag des Jahres im deutschsprachigen Raum! Ich bitte aus diesem fürwahr freudigen Anlaß, die beigefügte Sonderspende an den RF-Förderverein entgegenzunehmen.

Ronald Brunkhorst, Kassel


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Jedes Mittel ist recht, Linke politisch zu diskreditieren. Dazu gehört auch der Versuch aus der rechten Ecke, ihnen Antisemitismus anzudichten. Unbestritten ist dieser eine rassistische Theorie/Ideologie. Dabei handelt es sich um reaktionäre Bestrebungen, soziale Ungleichheit, Unterdrückung und Ausbeutung mit Rassenunterschieden zu begründen. Die deutschen Faschisten unterstützten die Einteilung von Menschen in Angehörige "niederer und höherer Rassen" als Vorwand für Krieg, Versklavung und Völkermord. Die Apartheid in Südafrika war eine der grausamsten rassistisch geprägten Unterdrückungsformen nach dem 2. Weltkrieg.

Der Rassismus in den USA dient noch heute zur Diskriminierung schwarzer und anderer nichtweißer Bevölkerungsteile. In der BRD steckt hinter Begriffen wie "Kampf der Kulturen" eine rassistische Ideologie. Zu ihr gehört seit Jahrzehnten auch der Zionismus. Er war die Grundlage zur Vertreibung und Enteignung der arabischen Bevölkerung Palästinas. Wer heute die Politik der israelischen Machthaber und deren zionistische Positionen kritisiert, wird automatisch in die antisemitische Ecke gestellt. Kritik am Zionismus und der Politik der führenden Kreise Israels auf klarer marxistischer Grundlage haben indes absolut nichts mit Antisemitismus zu tun.

Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin


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Walter Ruges Beitrag über den tödlichen Ring um Leningrad führte mich zurück in das Jahr 1967. Damals unternahm ich als 18jähriger meine erste private Auslandsreise in diese Stadt. Das kam so: "An einen Jungen der 7. Klasse in Cottbus", stand auf dem Briefumschlag statt einer Adresse. So nahm ich Kontakt mit der Absenderin auf.

Irina war Ende der 40er Jahre als Tochter eines hier stationierten Piloten in Cottbus geboren worden. Sie interessierte sich für die Entwicklung ihrer Geburtsstadt. Dem regen Briefwechsel folgte eine private Einladung nach Leningrad. Irinas Vater, Held der Sowjetunion, achtete strikt darauf, daß wir die Sehenswürdigkeiten der Newa-Stadt besichtigten. Eines Tages bereitete man mich auf einen Datschen-Besuch bei der Schwester des Hausherrn vor. Sie hatte die Blockade überlebt und geschworen, keinem Deutschen je wieder die Hand zu geben oder sich mit ihm an einen Tisch zu setzen. So sah ich der Begegnung mit Beklommenheit entgegen.

Die Schwester war eine etwa 50jährige Frau mit forschenden, freundlich blickenden Augen. Sie begrüßte meine Begleiter auf russische Art. Mir neigte sie leicht den Kopf zu und sagte: "Ich freue mich, daß Ira mit einem deutschen Jungen Freundschaft geschlossen hat. Ich wünsche Ihnen interessante Begegnungen in unserem Land." Dann ging sie fort. Der Tisch war reich gedeckt. Russische Gastfreundschaft läßt sich schwer beschreiben. Doch Irinas Tante fehlte. Sie hatte ihr Gelöbnis nicht gebrochen, dennoch aber auf bewegende Weise dazu beigetragen, daß Russen mit einem Deutschen als Freunde zusammensitzen konnten.

Wolfgang Kroschel, Cottbus


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Mit großer Anteilnahme las ich Walter Ruges Artikel "Der tödliche Ring". Ich, Jahrgang 1960, studierte von 1979 bis 1983 an der Leningrader Militärtopographischen Hochschule. Schon im ersten Monat wurden wir NVA-Offiziersschüler mit der jüngeren Vergangenheit der Stadt konfrontiert. Unsere Uniform rief bei Leningradern nicht selten gemischte Gefühle hervor.

Als ich im April 1983 mit meiner aus Wolgograd stammenden Frau die Ehe einging, sollten wir an einem vom Standesamt festgelegten Denkmal den Brautstrauß niederlegen. Man wies uns die Statue Peter I. zu. So wurde ein zweites bescheidenes Blumengebinde für das Monument des Zaren besorgt, während wir den Originalstrauß zu jenem Blockadedenkmal brachten, dessen Foto in Walter Ruges Beitrag abgebildet ist.

Noch zwei kleine Details: Die Blockade wurde bereits am 27. Januar 1944, nicht aber erst im September endgültig gesprengt. Bei der erwähnten "Brotsorte" handelte es sich um eine Mischung aus Zellulose, Stärke und einem geringen Anteil Getreidemehl. Unvorstellbar, wie Menschen so überleben konnten.

Uwe Kretzschmar, Berlin


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Daß es Tote an der Grenze gab, ist sehr tragisch. Doch bei aller offiziell zur Schau getragenen "Trauer" werden bewußt jene Grenzsoldaten der DDR verschwiegen, welche während ihres Dienstes ermordet wurden. Zeigt das nicht, daß es bei dieser Art von "Erinnerung" eigentlich gar nicht um die Toten geht, sondern allein um politisches Kalkül? Sollte man nicht endlich tiefer darüber nachdenken, daß nicht Willkür des "Ostens", sondern die Wahrnehmung der Chance für den Frieden beim Bau der "Mauer" das Motiv gewesen ist? Dieser hielt so lange an, wie sie existierte. 1993 beteiligten sich erstmals "deutsche Soldaten" an der Überwachung eines "Flugverbots" über Ex-Jugoslawien. Im Sommer rückten dann 1800 Bundeswehrangehörige in Bosnien-Herzegowina ein. 1999 bombardierte die NATO unter deutscher Beteiligung Ziele in Jugoslawien. Und seit zehn Jahren führt die BRD-Armee in Afghanistan Krieg. "Deutschland beteiligt sich derzeit mit rund 7100 Soldaten an einer Reihe von Einsätzen im Ausland", teilte das Bundesverteidigungsministerium am 1. Oktober 2010 lakonisch mit. Es ist klar, auf wessen Konto der Tod deutscher Soldaten geht!

Dr. Dieter Rostowski, Kamenz


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Im Zusammenhang mit der Verleihung der "Freiheitsmedaille" an die Kanzlerin sollte man nicht vergessen, daß die Mächtigen in den USA große Erfahrungen bei der Durchsetzung ihrer Freiheitsauffassungen besitzen - so bei der Ausrottung der Indianer, der Versklavung von Afrikanern, der Verwendung von Napalm und Agent Orange im Vietnamkrieg, der Errichtung des Folterlagers Guantánamo und den barbarischen Luftangriffen auf Libyen. Glückwunsch, Angela!

Günther Röska, Leipzig


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Das UZ-Pressefest, bei dem ich auch den "RotFuchs"-Stand besucht habe, fand ich sehr interessant. Mich beeindruckte der Erfahrungsschatz, dem ich dort begegnete. Besonders auch bei den Genossen der GRH. Es war erfrischend, durch diese Gespräche fernab von der durch die bürgerlichen Medien verbreiteten "Wahrheit" über die DDR dem historisch-konkreten Geschehen näherkommen zu können.

Ich schloß viele Bekanntschaften. Mir gefiel die solidarische Atmosphäre. Man mußte sich ideologisch nicht verstellen, weil man auf Gleichgesinnte traf. Als Höhepunkte empfand ich eine Veranstaltung zum 6. Parteitag der KP Kubas und die Präsentation des Buches "Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben" durch den 91jährigen Genossen Heinz Keßler.

Das Pressefest stimmte mich indes nachdenklich. Als größtes derartiges Ereignis der kommunistischen Bewegung der BRD zeigte es in seiner Dimension, daß sie derzeit wohl nur eine Randerscheinung in der politischen Landschaft ist. Als junger Mensch hoffe ich sehr, daß sich das im nächsten Jahrzehnt ändern wird.

Max V. Toras, Meersburg (Bodensee)


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Die konzentrierten Angriffe auf Putin durch die Oligarchen-Vertreter Medwedjew und Kudrin nehmen rapide zu. Möglicherweise ist mit einem Putsch in Rußland vor der Präsidentenwahl zu rechnen: Die beiden Genannten genießen die volle Rückendeckung des Westens. Vermutungen, daß es einen Versuch der Absetzung Putins als Regierungschef geben könnte, erscheinen mir nicht ganz abwegig.

Reiner Meyer, Magdeburg


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Jobst-Heinrich Müller hat in seinem Leserbrief zum Luxemburg-Artikel im Mai-RF zu Recht kritisiert, daß der Name Karl Liebknechts von bestimmter Seite strikt vermieden wird. Nun weiß ich nicht, ob er auch mich damit gemeint hat oder nur die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Bei mir wurde Liebknecht im Zusammenhang mit der Ermordung erwähnt, wobei aus meiner Sicht Rosa und Karl zusammengehören.

Übrigens hat mir der Beitrag von Sahra Wagenknecht im Juni-RF ausgezeichnet gefallen. Einwände habe ich nur gegen den von ihr verwendeten Begriff "Finanzhaie". Das haben die vergleichsweise harmlosen Tiere nicht verdient.

Dr. Kurt Laser, Berlin


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Ohne Übertreibung - man findet angesichts der jüngsten Aktivitäten der Linksfraktion im Bundestag und nach dem Bartsch-Interview im "Stern" wirklich keine Worte mehr, möchte es aber fast hinausschreien: Seid Ihr noch zu retten, so unsere politische Glaubwürdigkeit zu verspielen! Wieviel Unkenntnis der Geschichte und welcher Mangel an politischen Grundüberzeugungen haben hier "linken" Politikern als Grundlage für den durch sie eingebrachten Beschluß zu Israel und der Gaza-Flottille gedient? Zu Nichtwissen kommt Arroganz, indem man sich zu Gralshütern alleingültiger Wahrheiten aufschwingen will und anderen deren Denk- und Verhaltensweisen vorschreibt. Gar von Ausübung politischen Drucks ist die Rede. Will man sich auf diese Weise dem Establishment anbiedern oder hat man einen eigenen linken, der Wahrheit und dem sozialen Gewissen verpflichteten Standpunkt? Es ist nahezu unerträglich, wie nach Argumenten gesucht wird, um sich als sogenannte linke Reformer in Szene zu setzen und seine angebliche Regierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen.

Wir haben als Partei Die Linke eine Vielzahl von Aufgaben zur Durchsetzung antikapitalistischer, antimilitaristischer und antifaschistischer Positionen zu lösen und den Kampf für soziale Gerechtigkeit zu führen.

Deshalb sollten wir uns nicht im politischen Harakiri üben und unser Wählerpotential gänzlich vergraulen. Die diesjährigen Wahlergebnisse und Umfragen sprechen eine deutliche Sprache. Ein Achtungszeichen für die Partei-"Oberen" waren sie wohl nicht. Unmut breitet sich aus, nicht nur außerhalb unserer Reihen. Wir sollten nicht der Halm im Wind sein, sondern zum Sturm auf die desaströsen gesellschaftlichen Verhältnisse blasen!

Raimon Brete, Chemnitz


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Die Zustände in meiner Partei Die Linke (Maulkorb-Beschluß der Bundestagsfraktion, Lage in den Landesverbänden Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Berlin) machen mich betroffen und wütend. Hat uns das Ergebnis der Bundestagswahlen 2004 nicht gereicht? Die "fds"-ler sind als rechte Flügelmänner und -frauen der Partei dabei, all das kaputtzumachen, was in jahrelangem Kampf um die Stärkung der PDS und dann der "Linken" erreicht wurde.

Michael Brix, Potsdam


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Wie immer wurde auch der Juni-RF mit Spannung erwartet. Er zeichnet sich durch eine klare Konzeption und viele interessante Artikel aus. Die Leserzuschriften empfinde ich als Bereicherung. Sie bieten oft Diskussionsstoff in der Familie und unter Freunden.

Reiner Ernst aus Erfurt hat mir mit seiner "freimütigen Meinungsäußerung zu einer kontrovers diskutierten Frage" aus dem Herzen gesprochen. Das schändliche Verhalten der dort Genannten, welche angeblich "die Partei retten" wollten, führte damals bei mir und vielen meiner Freunde und Genossen zum Austritt aus der PDS.

Neben Gysi, Bisky und Berghofer müßte man auch andere erwähnen, die damals auf der Suche nach "Schuldigen" das MfS zum Abschuß freigaben. Sie haben ihr besseres Wissen in den Wind geschlagen und dem Klassenfeind eine Handhabe geliefert, standhafte Genossen auszugrenzen, mit Berufsverboten zu belegen, sie Rentenkürzungen zu unterwerfen und viele von ihnen strafrechtlich zu verfolgen. Unvergessen sind auch jene, welche diesem Druck erlagen und damals aus dem Leben schieden.

Die jetzige Verfaßtheit vieler PDL-Funktionäre ist unerfreulich. Das hat der "Maulkorb-Beschluß" in Sachen Gaza einmal mehr gezeigt.

Ich bitte um Aufnahme in den "RotFuchs"-Förderverein.

Helga Plache, Berlin


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Heinz Keßler und Fritz Streletz haben mit ihrem Buch "Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben" einprägsam verdeutlicht, daß es zu den Maßnahmen vom 13. August 1961 keine Alternative gab, wollte man einen Krieg verhindern. Daran habe ich als überzeugter Kommunist nie gezweifelt. Das genannte Buch vermittelt jedoch aus reicher Kenntnis und persönlicher Verantwortung der Beteiligten ein beeindruckendes Bild von der besonnenen Haltung der UdSSR und ihrer Verbündeten in jenen entscheidungsschweren Tagen. Es gibt keinen Grund, sich für die Maßnahmen des 13. August zu entschuldigen, wie das hochrangige Politiker der PDL immer dann tun, wenn der Klassenfeind das Thema auf die Tagesordnung setzt.

Gregor Gysi klinkt in seinen Äußerungen zu dieser Problematik stets die friedenserhaltende und friedenssichernde Funktion der "Berliner Mauer" aus und beklagt lediglich das "Einmauern der DDR-Bürger". Da die Geschichte durch die heute Herrschenden unablässig zum Nachteil der untergegangenen DDR verfälscht wird, müßte das Buch der beiden Militärs zur Pflichtliteratur an den Schulen erklärt werden. Ein frommer Wunsch, dessen Verwirklichung derzeit Illusion bleiben muß.

Der "RotFuchs" sollte sich noch stärker mit der Frage einer möglichen gesellschaftlichen Alternative unter veränderten Klassenkampfbedingungen beschäftigen. Die Reihe "Marxismus für Einsteiger" finde ich ausgezeichnet.

Horst Franzkowiak, Hoyerswerda


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Den Juni-RF habe ich mit besonderem Interesse gelesen. Die Beiträge von Oberst a. D. Hein Friedriszik, Jobst-Heinrich Müller, Reiner Ernst, Prof. Dr. Horst Schneider, Wolfgang Clausner und Sahra Wagenknecht haben mich besonders bewegt und zu manchen neuen Einsichten sowie zur Bestätigung bereits verfestigter Erkenntnisse geführt.

Dabei kam mir ein Briefwechsel mit Lothar Bisky in Erinnerung, bei dem ich den Standpunkt vertrat, der praktizierte ideologische Pluralismus werde im Desaster münden. Die Beiträge der genannten Autoren bestätigen diese Einschätzung. Heute ist die schwammige antisozialistische Politik mancher PDL-Verantwortlicher nur das Vorspiel für künftige Wahlniederlagen ihrer Partei. Die Biskys, Paus, Gysis, Holterers, Lederers, Woops, Bries und weitere bekannte Rechte unter den "Linken" vollziehen die Kapitulation vor der SPD und dem Staat der Hundts und Ackermanns. Diese Kröte schlucke ich nicht.

Adolf Eduard Krista, Worbis


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Eben haben wir den Juni-RF aus den Händen gelegt, dessen Leitartikel die Tatsache kommentiert, daß auch bei Linken die philosophischen Grundlagen unserer Weltanschauung in zunehmendem Maße nicht mehr zur Allgemeinbildung gehören. In der jW wurde Anfang Juni die Rede von Oskar Lafontaine auf einem "Marx-is-muss"-Kongreß abgedruckt. Sein Anliegen, der heute herrschenden Verwirrrung über "Reizworte" wie Kommunismus durch klare Begriffsbestimmungen zu begegnen, ist aller Ehren wert.

Probleme haben wir indes mit seiner Definition des Demokratiebegriffs: "Wir, die Linken, verstehen unter Demokratie eine Gesellschaftsordnung, in der sich die Interessen der Mehrheiten durchsetzen."

Wir sind beide keine studierten Philosophen und erst recht keine professionellen Politiker. Man erklärte uns jedoch schon in den 50er Jahren, als wir die 9. und 10. Klasse der Annaberger Oberschule besuchten, die Marxschen Grundbegriffe des historischen Materialismus, darunter die Lehre von Basis und Überbau. Danach ist Demokratie eine Staatsform, aber keine Gesellschaftsordnung. Wir leben jetzt unter kapitalistischen Bedingungen und sollten uns stets dessen bewußt sein, daß sich der dazugehörige Staat nur so lange der bürgerlichen Demokratie bedient, wie sie als Mittel zur Aufrechterhaltung der Gesellschaftsordnung ausreicht. 1933 war das bekanntlich nicht der Fall.

Um auf Oskar Lafontaines Rede zurückzukommen: Wir finden es gut, daß er die Eigentumsfrage, die Frage der Verteilung der durch die Gesellschaft erarbeiteten Reichtümer, in den Mittelpunkt der Debatte über linke Grundsätze stellt.

Petra und Dr. Klaus Petzold, Crimmitschau


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Das bekannte Sprichwort "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht ..." widerspiegelt die Erfahrungen unserer Vorfahren und wird als Redewendung auch heute gern verwendet. Es trifft zu: Wer lügt, hat auf Dauer seine Glaubwürdigkeit verloren.

Diese Haltung gilt offensichtlich nicht für die politischen "Eliten" der BRD. Kaum wurden die Plagiats-Vorwürfe gegen Herrn zu Guttenberg und Frau Koch-Mehrin bestätigt, legten sich deren Parteifreunde mit Ehrenerklärungen und Vertrauensbekundungen für sie ins Zeug. K.-T. sagte man eine "große Zukunft in der CSU" voraus. Koch-Mehrin bleibt weiterhin als FDP-Abgeordnete im Europaparlament und schielt dort nach der Karriereleiter.

Das beweist erneut die Doppelmoral solcher Wortführer der angeblich christlich-abendländisch geprägten "Wertegemeinschaft", bei der es allein um Machterhalt geht, wobei alle Mittel und Methoden der Lüge und des Betrugs zugelassen sind.

Oberstleutnant a. D. Roland Potstawa, Königs Wusterhausen


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Mein am 10. Juni verstorbener Vater Lothar Blechschmidt, zuletzt Parteisekretär der Stadt Falkenstein, erwarb sich besondere Verdienste um das Andenken von Max Hölz. Die durch ihn initiierte Büste des Revolutionärs wurde 1989/90 geschleift.

Mein Vater war bis zu seinem Tode ein treuer Leser des "RotFuchs". Er gehörte zu den Aktivisten der ersten Stunde und lernte meine ebenfalls bereits verstorbene Mutter auf der Jugendhochschule "Wilhelm Pieck" kennen. Nach der Wiederherstellung kapitalistischer Verhältnisse auf unserem Territorium gab er seine Gesinnung nicht auf.

Es gibt kaum ein anderes Gremium als den "RotFuchs", in dem ich seiner gedenken und evtl. überlebende Weggefährten informieren kann.

Peter Blechschmidt, Chemnitz


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In Ergänzung meines Artikels im Juni-RF teile ich folgendes mit: Auf der Internetseite von tabularasa, Jena, hat sich Herr Dr. Jörg Bilke letztlich genötigt gesehen, seine im "RotFuchs" publik gemachten Geschichtsfälschungen einzugestehen. Er schreibt dort: "Daß ich die Haftzeit Gabriele Stötzers im Zuchthaus Hoheneck um zehn Jahre aufs absehbare Ende der DDR verlegt habe, gebe ich zu. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß 1978/79 dort derart paradiesische Zustände geherrscht haben sollen, wie sie es in ihrem Buch 'Die bröckelnde Festung' (2002) beschreibt."

Nun ist es heraus: Wenn sich die Hasser der DDR "wissenschaftlich" mit ihr auseinandersetzen, zählt nicht etwa die Faktenlage, sondern nur das, was sie sich vorstellen und nicht vorstellen können. Und wenn die Realität ihrer Einbildung nicht entspricht, wird einfach gelogen. Dies geschieht oft nicht so plump wie bei Herrn Bilke. Er hat sich sehr ungeschickt angestellt. Zur Ehre gereicht ihm allerdings das Eingeständnis seiner Manipulation.

Generalmajor a. D. Dieter Winderlich, letzter Chef der DVP, Haren


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Der Artikel von Oberst a. D. Hein Friedriszik ruft mich auf den Plan. Als Offiziersschüler erlebte ich den 17. Juni 1953 in Halle. Unser unbewaffneter Zug wurde zur Sicherung des Gefängnisses "Roter Ochse" eingesetzt. Am Vormittag versammelte sich eine Gruppe von Randalierern vor dem Gefängnistor und versuchte, dieses einzurammen. Der Anstaltsleiter warnte die Angreifer, bei Aufbrechen des Tores werde scharf geschossen. In Windeseile wurden wir an den bei der VP damals üblichen, noch aus dem 2. Weltkrieg stammenden Waffen ausgebildet. Zum Glück blieb das Tor geschlossen. Die Krawallmacher zogen sich angesichts des Eintreffens eines T 34 der Sowjetarmee, dessen Kommandant durch einen Steinwurf am Kopf verletzt wurde, zurück.

Übrigens trat die einstige Kommandeuse im KZ Ravensbrück Erna Dorn, die sich eines kriminellen Delikts wegen in Haft befand und von einer anderen Zusammenrottung "befreit" worden war, auf dem Hallmarkt mit einer hetzerischen Rede auf. Sie wurde von einem sowjetischen Offizier erkannt, festgenommen und in den "Roten Ochsen" eingeliefert, wo wir sie in Empfang nahmen.

Winfried Freundt, Jena


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Nachdem mich der Tod meiner Frau aus der gewohnten Lebensbahn geworfen und niedergedrückt hatte, bin ich froh, beim "RotFuchs", dessen Genossen ich während des UZ-Pressefestes in Dortmund persönlich begegnete, wieder eine Heimat gefunden zu haben. Es ist gut zu wissen, daß es neben Weggelaufenen, Einknickern und Anpassern noch Menschen gibt, die unserer Weltanschauung treu geblieben sind. Ich möchte Mitglied des RF-Fördervereins werden.

Walter Nitsche, Tönisvorst


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Für den Juni-"RotFuchs" muß ich Euch besonderen Dank sagen. Als erstes vertiefe ich mich in die Leserbriefe. Dabei gefielen mir diesmal die brillante Argumentation von Günther Röska aus Leipzig zum Entwicklungsgesetz der Gesellschaft sowie die Geistesblitze von Dr. sc. Fritz Welsch aus Berlin. Auch die kurze Lagedarstellung und die sich anschließende Frage von Monika Neidnicht aus Niedergörsdorf sagten mir sehr zu. Sie hat recht: Den Herstellern von Kriegswerkzeug muß ein Riegel vorgeschoben werden.

Wolfgang Gleibe, Monheim am Rhein


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Mit Freude habe ich in der Juni-Ausgabe 2011 Erhard Lonschers Beitrag "Das nächste Mal besser!" gelesen. Schön, daß es solche Treffen früherer NDPD-Mitglieder gab und gibt. Mein Vater Herbert Schlehahn war Generaldirektor der Vereinigung Organisationseigener Betriebe (VOB) der NDPD und später Direktor des Verlags der Nation. Er starb 1994.

Ich bin im Besitz vieler wertvoller Bücher meines Vaters und meiner 2010 ebenfalls verstorbenen Mutter. Es handelt sich um Publikationen aus dem genannten Verlag. Ehemalige NDPD-Mitglieder und RF-Leser, welche Interesse haben, einen Teil dieses literarischen Erbes an nachfolgende Generationen weiterzugeben, wenden sich bitte unter folgender E-Mail-Adresse an mich: christelmuellererfurt@t-online.de.

Wenn es 2012 wieder ein Jahrestreffen gibt, was ich wünsche, würde ich mich über eine Einladung sehr freuen. Dem Kollektiv des RF danke ich für diese informative, objektive und noch einer humanistischen Idee verbundene Zeitschrift, die unter die Haut geht. Sie ist übrigens die einzige Publikation, die ich von Anfang bis Ende lese. Mein Kompliment!

Christel Müller, Zimmernsupra/Thüringen


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Inge Viett, einst Mitglied der "Bewegung 2. Juni", hielt öffentlich die Beschädigung von Mordwaffen - konkret: der Bundeswehr - für legitim. Sie wird dafür strafrechtlich belangt.

Angela Merkel - jetzt CDU - hielt öffentlich Mord für legitim. Konkret: an Osama bin Laden. Sie wird dafür strafrechtlich nicht belangt.

Hans Dölzer, Hirschberg


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Während meiner Arbeit im Reservistenkollektiv des VEB Kombinat Fortschritt-Landmaschinen in Neustadt/Sa. und der Tätigkeit als Honorardozent an der Militärakademie "Friedrich Engels", Dresden, hatte ich einen guten und ergiebigen Kontakt zu Generalmajor Heinz Bilan. Ist er später zum Generalleutnant ernannt worden? Ich freue mich immer auf den "RotFuchs" - in komplizierter Zeit muntert er auf. Weiterhin viel Erfolg in der Arbeit!

Prof. Dr. Dieter Rost, Kirschau


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Besonders froh war ich über die Veröffentlichung des Beitrags von Marcel Kunzmann aus Bermatingen am Bodensee. Ich kenne den Jungen, der wohl gerade sein Abitur gemacht hat, seit fast zwei Jahren über das Internet. Persönlich habe ich ihn erst auf der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz der "jungen Welt" kennengelernt, wo wir eine mehrstündige Diskussion hatten. Der Junge ist in bezug auf alles, was mit Marxismus-Leninismus zusammenhängt, sehr wißbegierig. Überdies interessieren ihn auch Themen zur Geschichte der DDR. Seine Literaturkenntnisse und sein Urteilsvermögen sind für einen Jugendlichen aus dem Süden der BRD verblüffend. Marcel ist ein junges Talent, das getrost öfter im "RotFuchs" zu Wort kommen sollte.

Georg Dorn, Berlin


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Oft wird fälschlicherweise behauptet, zu DDR-Zeiten sei eine Kritik an übergeordneten Leitungen der SED und des Staatsapparates nicht geduldet worden. Meine eigenen Erfahrungen widersprechen dem. Nur ein Beispiel: In einem sehr kritischen Artikel, den ich in der Halleschen Bezirkszeitung "Freiheit" im April 1952 veröffentlichte, machte ich auf dringend notwendige Sanierungen der Hauptbibliothek der Franckeschen Stiftung aufmerksam.

Nach dem Vorbild des großen deutschen Philosophen Leibniz - er war selbst einmal Bibliothekar - und unter Zugrundelegung seiner Erkenntnisse für die Gestaltung dieser Einrichtung war eine beispielhafte Büchersammlung entstanden. Meine Kritik wurde - wie auch in anderen Fällen - ernst genommen, so daß man schon bald an die Arbeit ging.

Bibliotheksrat Egon Szamiteit, Dessau-Roßlau


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Eine Bemerkung zum Beitrag von Fregattenkapitän a. D. Friedrich Bieler im Juni-RF: Alles, was er über die gesundheitliche Betreuung in der DDR schreibt, kann ich bestätigen. Nur die These, unser 10-prozentiger Versicherungsbeitrag habe der finanziellen Absicherung im Krankheitsfalle gedient, scheint mir so nicht richtig zu sein.

Die SV-Beiträge galten der Rentenversicherung, während die medizinische Versorgung vom Staat getragen wurde. Verhielte es sich so, wie Genosse Bieler es darstellt, könnten wir heute gar keine Rentenanwartschaft nachweisen. Allein die Bezeichnung "Freiwillige Zusatz-Rentenversicherung" (FRZ) bestätigt das.

Major a. D. Gerhard Lehmann, Bad Salzungen


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Adolf Hennecke (RF 148 und 157) stammt aus dem südwestfälischen Sauerland. Er wurde in Meggen, dem heutigen Lennestadt, geboren und war ab 1925 Hauer in einer vor etwa 20 Jahren stillgelegten Schwefelkies- und Schwerspat-Grube.

Über Adolf Hennecke habe ich zwischen 1962 und 1966 in meiner katholischen Volksschule Elspe (heute Lennestadt) nichts erfahren. 1926 verzog der Bergmann nach Sachsen, wo er dann zu Zeiten der DDR ein berühmter Aktivist im Zwickauer Revier wurde.

Ich werde mir das vor kurzem erschienene Buch seiner Tochter Hannelore Graff-Hennecke bestellen.

Rüdiger Deissler, Göttingen


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Als langjährige RF-Leserin freue ich mich stets auf die Beiträge von Manfred Hocke. Die Erlebnisse seines "Archie" bringen mich stets zum Schmunzeln und Nachdenken. Unlängst fiel mir Hockes Buch "Archie in den Zeiten" (GNN-Verlag) in die Hände. Im Krankenhaus liegend und von Bildzeitungsleserinnen umgeben, packte ich meinen "Archie" aus und ließ mich in eine andere, mir einst sehr vertraute Welt tragen. Ich fand vieles wieder, was ich selbst erlebt hatte. So waren meine Schmerzen erträglicher.

Brigitte Topfstädt, Berlin


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Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen, vor geraumer Zeit an einer Veranstaltung in Neuenhagen teilzunehmen, bei der sich Günter Schabowski im Rahmen der MDR-Reihe "Gespräch über Deutschland" den Fragen des Publikums stellen sollte. Nur wenige der recht zahlreichen Anwesenden machten von dieser Möglichkeit Gebrauch. Vor uns stand ein seniler Mann, der außer Wutanfällen und diskriminierenden Bemerkungen dort vorgetragenen Argumenten nichts entgegenzuhalten wußte. Offenbar ist ihm die Tingelei durch die westlichen Bundesländer, wo man ihm seine Phrasen und unkultivierten Ausbrüche eher abnimmt, zu Kopf gestiegen. Dort fehlt sehr vielen Zuhörern das erforderliche Insiderwissen. Auf meine Fragen reagierte Schabowski empört und meinte, ich wolle wohl die DDR zurückhaben. Eine besondere gedankliche Delikatesse: "Ich habe Honecker gekippt."

Das Gespräch, für das man zwei Stunden vorgesehen hatte, wurde durch die Moderatorin nach 50 Minuten mit den Worten abgebrochen: "Es reicht!"

Wolfgang Priem, Neuenhagen


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Der Beitrag von Dr. Klaus Emmerich "Bonn gierte nach faschistischen Beamten" im Juni-RF bringt die Sache auf den Punkt. Die Wiedereingliederung ehemaliger Nazi-Beamter in Behörden der BRD war keineswegs eine Einzelerscheinung, sondern "von oben" gewollt. Hinter allem stand die nahtlose Übernahme der Doktrin des Antikommunismus. Dieses Feindbild wurde zu Zeiten der Weimarer Republik geschaffen und erlebte unter der Nazi-Diktatur seine höchste Steigerungsform. Das 1956 ausgesprochene Verbot der KPD und die Kriminalisierung ihrer Mitglieder waren Ausdruck dieser Kontinuität.

RA Ralph Dobrawa, Gotha


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Ulrich Guhl schreibt zu einem Thema, das mir ebenfalls am Herzen liegt. Es geht um die Vernichtung von Kulturhäusern der DDR. Auch unser Hagenower KKH entging diesem Schicksal nicht. Bereits im 19. Jahrhundert entstanden die ersten Volkshäuser für Arbeiter. Nach der NS-Zeit waren die DDR-Kulturhäuser die Weiterführung dieser Tradition. Mit der feindlichen Übernahme der DDR durch Bonn wurde eine ganze Kultur-Epoche auf deutschem Boden beendet. Die etwa 2000 Kulturhäuser der DDR hatten eine Multifunktion: Dort fanden politisch-kulturelle Veranstaltungen aller Art statt, nicht zuletzt aber waren sie auch Heimstatt der Volkskunstgruppen und Kulturbundvereine. Diese "Salons der Sozialisten", wie die DDR-Kulturhäuser in einem nach 1990 erschienenen Buch genannt werden, mußten nicht nur verschwinden, sondern wurden, um die Erbauer und die Bevölkerung zu demütigen, Vandalen zur zerstörerischen Ausschlachtung überlassen.

Hagenow ist ein besonders krasses Beispiel dafür. Die Auslöschung unseres KKH erfolgte nach dem Motto: "Wo Kommunisten dringesessen haben, gehen wir nie und nimmer rein!"

Siegfried Spantig, Hagenow

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RotFuchs Nr. 163, 14. Jahrgang, August 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2011