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ROTFUCHS/161: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 207 - April 2015


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

18. Jahrgang, Nr. 207, April 2015



Inhalt

  • Schorlemmer: "Unrechtsstaat DDR - ein untauglicher Begriff"
  • Zur USA-Politik der Destabilisierung ganzer Regionen
  • Warnung vor Falschmünzern
  • Der Islamfeindlichkeit den Kampf ansagen!
  • Für ein elftes Gebot
  • Wortmeldung eines Schweriner Verlegers
  • Verantwortung für 65 000 Beschäftigte
  • Neue Eigentumsformen in der Landwirtschaft
  • Helden des Roten Oktober
  • Lenins "Iskra" inspiriert auch den "RotFuchs"
  • Vom Abschwören "gläubiger Kommunisten"
  • Wie unsere Propaganda sein sollte
  • Warum ich in der Linkspartei bleibe
  • Gaucklereien und die Substanz eines Begriffs
  • Plädoyers für konstruktiven Gedankenaustausch
  • RF-Extra Politische Ökonomie: Haben wir alles richtig gemacht?
  • RF-Extra Marschall Shukow zur Befreiung der Ukraine von den Hitlerfaschisten
  • Ein Held im weißen Kittel
  • Die glücklichsten Eltern der Welt
  • Bolivien: Die Vision des Vizepräsidenten Linera
  • Ägypten: Blutiger Jahrestag der "Revolution"
  • USA erweitern Arsenal zur "Demo-Kontrolle"
  • Erinnern an Volkspolen: Leszeks Brief
  • CSR: Ein historischer Rückblick
  • Oktober 1993: Als Jelzins T-72 Schrecken säten
  • Das Panzerregiment-1 der NVA schützte die DDR
  • 1918: SPD würgte Munitionsarbeiterstreik ab
  • Upton Sinclairs Antikriegsappell neu erschienen
  • Heller schwimmt gegen den Strom
  • Wuppertaler Projektgruppe präsentierte "Professor Mamlock"
  • Kurt Tucholsky: Heimat
  • Aus der Entstehungsgeschichte eines großen Seghers-Romans
  • Gisela Steineckert: Hand aufs Herz
  • Leserbriefe

*

Merkels Abwahl in Athen

Im Herbst 1952 begegnete ich als frischgebackener Berliner Jurastudent beim gemeinsamen Abräumen einer Trümmerlandschaft unweit des späteren Volksparks Friedrichshain einer Gruppe fremdsprachiger junger Leute. Der Elan dieser überwiegend dunkelhaarigen Mädchen und Jungen, die da inmitten der Ruinenfelder ihre Fahne in den Boden gerammt hatten und mit Leidenschaft uns unverständliche Lieder sangen, wirkte ansteckend. Es waren Söhne und Töchter von Angehörigen der Demokratischen Armee Griechenlands und vereinzelt sogar deren bisherige Kämpfer. Die Niederlage der bewaffneten Volkskräfte im Grammos-Massiv hatte sie ins Exil gezwungen. Die junge DDR bot ihnen Schutz an. Einer der Älteren unter ihnen wurde später mein enger persönlicher Freund: Thanassis Georgiu. Er heiratete eine Hiesige, blieb in der DDR, arbeitete jahrzehntelang als Journalist beim ADN und wurde später Korrespondent von "Rizospastis", der kommunistischen Tageszeitung seines Landes. 2014 starb Thanassis im Alter von 100 Jahren in Berlin.

Ein anderer Grieche hat mir - trotz seiner ideologischen Metamorphose - stets besonders imponiert: Manolis Glezos. Einst riß er als junger Kommunist die verhaßte Hakenkreuzfahne von der Akropolis; jetzt steht er als greiser Antifaschist in den vorderen Reihen von Syriza und ist - im übertragenen Sinne - abermals daran beteiligt, ein anderes den Griechen verhaßtes Tuch von der Akropolis einzuholen: die Insignien der EU-Knebeler aus Brüssel und Berlin. Nicht ohne Grund jubelte man in Athen am Morgen nach dem Urnengang, es habe sich dabei um "Merkels Abwahl" gehandelt.

Wiederum ist also Spannendes aus Hellas zu berichten. Dort hat zwar keine Revolution stattgefunden, zumindest aber ein bedeutsamer Stafettenwechsel, der Alexis Tsipras an die Regierungsspitze brachte. Unmittelbar nach seiner Vereidigung legte Griechenlands neuer Premier in Kaisariani, wo die Naziokkupanten am 1. Mai 1944 eine große Gruppe antifaschistischer Widerstandskämpfer ermordet hatten, einen Strauß roter Rosen nieder. Die meisten Opfer waren Kommunisten. Der Sieger vom 25. Januar, dessen Sammlungsbewegung 36,4 % der Stimmen erhalten hatte, gab mit seiner Geste ein erstes Signal der Bereitschaft zum Aufbrechen von Verkrustungen.

Auch wenn die über keine absolute Mehrheit der Parlamentssitze verfügende Koalition mit der Einbeziehung der rechtsgerichteten ANEL-Partei Zweifel an dem von ihr beanspruchten linken Profil aufkommen ließ, zeigten schon erste Schritte von Syriza-Ministern den Willen zu selbstbewußtem Handeln.

So wandte sich Finanzminister Yanis Varoufakis beherzt gegen Versuche, den Griechen weiterhin die Würgeschlinge um den Hals zu legen. Er führte den Nachweis, daß die Milliardenkredite der aus Europäischer Union, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds bestehenden Troika die erbärmliche Situation der meisten einfachen Griechen in keiner Weise verbessert, sondern sogar noch dramatisch verschlechtert haben. Damit brachte er den wichtigsten Protagonisten beim Luftabdrücken, seinen BRD-Amtskollegen Wolfgang Schäuble, in Bedrängnis.

Ein Novum! Auch wenn Hellas in der Euro-Zone und im EU-Bereich zu bleiben gezwungen ist, dürfte die Ära des einseitigen Diktats alter Manier so kaum fortzusetzen sein. Warten wir's ab! Fortschrittliche Kräfte in aller Welt gratulierten Tsipras und Syriza zum "eklatanten Wahlsieg", wie es Belgiens Partei der Arbeit (PTB) ausdrückte. "In Griechenland hat nach vierzigjähriger Vetternwirtschaft der Neuen Demokratie und der PASOK zum ersten Mal eine andere Partei die Wahlen gewonnen", konstatierte PTB-Präsident Peter Mertens. "Sechs Jahre nach Ausbruch der Krise und vier Jahre nach dem erpresserischen Memorandum der Troika haben sich die Griechen von der erzwungenen Politik permanenter Kürzungen abgewandt. Ein neuer Wind für ganz Europa weht aus Hellas. Hoffen wir, daß er mehr und mehr Menschen auf unserem Kontinent erfaßt und inspiriert."

Jüngste Entwicklungen in anderen Regionen Südeuropas - denken wir nur an die breit gefächerte PODEMOS-Bewegung für einen Politikwechsel in Spanien, über deren Einordnung derzeit unter traditionellen Linken des iberischen Landes noch keine Einigkeit herrscht, oder an machtvolle Aktionen der Gewerkschaftszentralen CGIL und CGTP-Intersindical in Italien und Portugal - könnten Vorzeichen eines übergreifenden Wandels sein.

Schon vor geraumer Zeit hatte die Syriza-Führung Sondierungen unternommen, ob die vor allem im hauptstädtischen Bezirk Attika, aber auch in anderen Landesteilen weiterhin sehr einflußreiche KP Griechenlands (KKE) gegebenenfalls für eine Koalition zu gewinnen sei. Aus prinzipiellen Erwägungen wies diese damals das Ansinnen zurück, zumal sie sich nicht in die Rolle eines Juniorpartners von Syriza begeben wollte. Hierzu muß man wissen, daß die Gründer dieser heute wesentlich erweiterten Bewegung ursprünglich einer eurokommunistischen Abspaltung von der marxistisch-leninistischen KKE angehörten. Vor den diesjährigen Wahlen hatten die griechischen Kommunisten noch einmal betont, sie würden keine um eine Regierungsbildung bemühte Partei unterstützen. Ihr Generalsekretär Dimitris Koutsoumbas ließ wissen, die KKE, die ihren Stimmenanteil von 4,5 % auf 5,5 % erhöhen und 15 Mandate erringen konnte, wolle erst dann mitregieren, wenn das Volk an der Macht und der Reichtum des Landes vergesellschaftet sei. Hierzu gibt es in der kommunistischen Bewegung und darüber hinaus unterschiedliche Auffassungen.

Aufschlußreich ist übrigens das Debakel der langjährig regierenden sozialdemokratischen PASOK, die im Wahlkampf gespalten und weitgehend zerrieben wurde, so daß sie im Unterschied zu den Faschisten der "Goldenen Morgenröte" hinter die KKE zurückfiel.

Während Tsipras, Varoufakis und andere politische Köpfe von Syriza bewußt darauf verzichten, die derzeit nicht auf der Tagesordnung stehende strategische Systemfrage für Griechenland zu stellen, nutzen sie andererseits vorhandene taktische Spielräume aus, wobei sie - besonders in den ersten Wochen ihrer Amtszeit - wesentlich stabiler gegenüber Brüssel auf den Plan getreten sind, als politische Beobachter vermutet hatten.

Athens neue Regierende dürften indes alle Hände voll zu tun haben, die bisher de facto von jeglichen Abgaben befreiten hellenischen Millionäre und Milliardäre endlich zur Steuerkasse zu bitten. Auch über tatsächliche Spielräume zur Beseitigung von Arbeitslosigkeit (27 % - bei Jugendlichen sogar nahezu 60 %!) sollte man keine Illusionen haben, obwohl bereits etliche in letzter Zeit Entlassene wieder eingestellt und die drastisch gesenkten Mindestlöhne inzwischen deutlich angehoben worden sind.

Wie auch immer: Das symbolische Niederholen auch der zweiten Fahne deutsch-kapitalistischer Unterdrücker des griechischen Volkes von der Akropolis ist ein historischer Vorgang. Ein Grund, die Nachfolger von Manolis Glezos zu "Merkels Abwahl" in Athen zu beglückwünschen.

Klaus Steiniger

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Schorlemmer: Unrechtsstaat DDR - ein untauglicher Begriff

Kassandrarufe aus Wittenberg?

Friedrich Schorlemmer gilt als eine Ikone der "Bürgerrechtler". Von ND-Chefredakteur Tom Strohschneider am 4. November 2014 interviewt, verwies er darauf, er sei (von wem?) als "Staatsfeind Nr. 1" der DDR betrachtet worden. Zweifellos hat das Wort des Predigers aus Wittenberg besonderes Gewicht, seit er 1983 die symbolische Aktion "Schwerter zu Pflugscharen" ins Leben rief.

Strohschneider fragte seinen Gast, was er am 4. Dezember 1989 als Redner auf dem Berliner Alexanderplatz gedacht habe. "Zwischen den großen Überschriften auch im 'Zentralorgan' ND und dem alltäglich Erlebten klaffte eine unüberbrückbare Lücke." Das Volk habe deshalb die Führung in Frage gestellt, antwortete dieser.

Schade, daß Schorlemmers Plädoyer für den Fortbestand einer reformierten DDR hier unerwähnt blieb. Widersprüche existierten in ihr wie in jedem Staat. Der Theologe weiß, daß zwischen den biblischen Normen und der Praxis der christlichen Kirchen seit 2000 Jahren eine unüberbrückbare Kluft besteht. Stellt er deshalb etwa die Daseinsberechtigung der Kirchen und sich als christlich empfindender Regierungen in Frage?

Der Interviewer fragte, ob Schorlemmer an die Gefahr gedacht habe, der Aufbruch könnte gewaltsam beendet werden. Es geht immer noch um die Kundgebung auf dem Alex. Nun ist sie plötzlich ein "Aufbruch". Schorlemmer war einer von 26 Rednern sehr unterschiedlicher Art. Keiner von ihnen wollte die DDR "weghaben", und niemand forderte die "Wiedervereinigung" oder den "Beitritt" zur BRD.

Schorlemmer antwortet auf die Frage: "Ja, aber nun wissen wir ..." Wenn er mit seinen damaligen Befürchtungen recht gehabt hätte, müßte den Organisatoren der Kundgebung vorgeworfen werden, daß sie kaltblütig ein Massaker einkalkuliert hätten, wäre von der Staatsmacht auf deren Gewaltmonopol zurückgegriffen worden. Schorlemmer konstatiert heute: "Daß dieser hochgerüstete SED-Staat schließlich den Machtlöffel friedlich abgab, muß nach 25 Jahren anerkennend benannt werden."

Da sollte doch nachgefragt werden: Sind die Gründe für den Gewaltverzicht der DDR-Machtorgane etwa unwichtig? Wer ist denn für diese Anerkennung zuständig, und wem gebührt sie? Warum ist sie nicht längst erfolgt, obwohl eindeutig bewiesen ist, wer besonnen und verantwortungsvoll, aber auch wer verantwortungslos und verfassungswidrig gehandelt hat? Schließlich wäre noch zu vermerken, daß Pfarrer Schorlemmer nach der "Wende" gemeinsam mit Thierse und Ullmann zu den Verfechtern der Idee gehört hat, führende DDR-Politiker vor ein Tribunal zu stellen. Ich verzichte hier auf die Bewertung der politischen Konsequenzen dieses keineswegs christlichen Unterfangens.

Trotz des "nun" eindeutigen Sachverhalts bohrte Strohschneider weiter: "Die Erfahrung von Repressionen gegen Kritiker war aber real ..." Jedenfalls nicht für Schorlemmer, Stolpe, Eggert, Heitmann, Gauck und andere.

Schorlemmer gehörte als selbsternannter "Staatsfeind Nr. 1" sicher zu den Kritikern der - wie es in falschem Deutsch hieß - "Ein-Parteien-Diktatur". Kohl wußte sehr genau, daß es nicht nur die SED gab, sondern daß sie eine von fünf Blockparteien war, wenn auch die mitgliederstärkste und einflußreichste. War die CDU, wenn es eine Diktatur (des Proletariats) gab, etwa nicht an der Machtausübung beteiligt? Stanislaw Tillich, Lothar de Maizière und andere mutierten von gescholtenen "Blockflöten" zu lupenreinen Demokraten. Kohl spannte sie Anfang 1990 vor den Karren seiner Strategie. Daß solche Überläufer ihre früheren Blockfreunde aus der SED ans Messer lieferten, ist ein höchst unappetitlicher Vorgang.

Tom Strohschneider hat sich bis zur Gretchenfrage unserer Tage vorgetastet. "War die DDR ... ein Unrechtsstaat?" wollte er wissen. Schorlemmer antwortete: "Ich halte diesen Begriff für untauglich. Die DDR war kein Rechtsstaat, sie aber generell zu einem Unrechtsstaat zu erklären, ist eine Absurdität." Und er führte Beispiele an.

Wenn der Prediger auf Mängel in der DDR verweist, wird man ihm von unserer Seite nicht widersprechen. Doch solche Defizite weisen alle Staaten der Welt auf. Interessant ist Schorlemmers Frage: "Wieso muß eigentlich alles, was das Leben in der DDR war, eingedunkelt werden? Graues Leben muß nicht schwarz gemacht werden. Wenn man die DDR verstehen will, wird man sie unter dieser Prämisse weder verstehen noch ihr gerecht werden."

Warum weicht Schorlemmer hier auf das indifferente Wörtchen "man" aus? Welches Subjekt versteckt er dahinter? Warum ist er nicht konsequent und sagt, wer warum die DDR in eine Höllengeburt verwandeln will? Warum tadelt er nicht den Beitrag von Pfarrern wie Gauck und Eppelmann, deren verhängnisvolle Rolle bei der Verteufelung der DDR und der Spaltung der Deutschen in Gewinner und Verlierer unübersehbar ist? Schorlemmer soll dem Interviewer die Frage beantworten, woran die DDR gescheitert ist. "Die inneren Widersprüche des Landes wurden zu groß. ... In der DDR sollte Unmögliches möglich gemacht werden und das auch noch mit untauglichen Mitteln. Menschliches Glück sollte im real existierenden Sozialismus durch die Partei - von oben - hergestellt werden", antwortet er.

Diese Aussage ist unter Schorlemmers Niveau! Der Wittenberger Theologe hat die Konfrontation der Atommächte beider Weltsysteme am Rande des nuklearen Abgrunds, vor allem aber die Globalstrategie der USA ausgeklammert, obwohl sich sein "Schwerter zu Pflugscharen" auch dagegen wandte. Daß die DDR Teil des Ganzen und damit Subjekt wie Objekt dieses Kampfes war, ist auch ihm nicht unbekannt.

Hinzugefügt sei: Ohne oder gegen Moskau konnte die "Wiedervereinigung" nicht einmal gedacht werden. Kohl brauchte außer Bush und der NATO auch noch die Preisgabe-Bereitschaft des Duos Gorbatschow-Jelzin als Trumpfkarte seines Spiels. Er kalkulierte auch "Bürgerrechtler" als Faktor zur Unterminierung der DDR ein.

Friedrich Schorlemmer weiß, was jedem Menschen guttut: "Der einzelne braucht Entfaltungsfreiheit, die zugleich auf die Entfaltung des anderen gerichtet ist, wozu unabdingbar soziale Gerechtigkeit und Arbeit gehören."

Wenn das stimmt, dann war die DDR auf dem Wege, Schritt für Schritt die Bedingungen für ein würdiges Leben zu schaffen. Der vom ND interviewte Kirchenmann stellt sachlich fest: "Daran krankt es heute." Und zum bedrohten Frieden finden wir bei ihm den düsteren Satz: "Die neue globale Ideologie des Marktismus kann die ganze Welt ans absehbare Ende bringen."

Schorlemmer - eine Kassandra unserer Tage? Gibt es keine Hoffnung für die Menschheit? Wozu aber bedurfte es dann der "Wende"?

Prof. Dr. Horst Schneider

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Was sich hinter der "nichtkonventionellen" Kriegsführung der USA verbirgt

Zur gezielten Destabilisierung ganzer Regionen

Die Briten eigneten sich im ersten Opiumkrieg gegen das chinesische Kaiserreich (1841) gewaltsam Hongkong an. Sie gaben die Kronkolonie erst 1997 unter Auflagen an die Volksrepublik China zurück, die diesen Landesteil im Rahmen der Doktrin "Ein Land, zwei Systeme" als Sonderverwaltungszone in ihren Staatsverband eingliederte. Für 2017 schlug die chinesische Zentralregierung vor, einen neuen Verwaltungschef durch die Bevölkerung wählen zu lassen. Das hatte es während der gesamten britischen Kolonialherrschaft nicht gegeben. Und dennoch entstand scheinbar wie aus dem Nichts im September 2014 eine nebulöse "Demokratiebewegung", die von vermeintlichen Studentengruppierungen und einer durchsichtigen "Menschenrechtsorganisation" geführt wurde. Unter der Losung "Demokratie und freie Wahlen" legte sie die Stadt an der Perlflußmündung lahm. Hinter all dem stand die CIA.

Am 6. Mai 1998 errang Hugo Chávez mit seinem Movimiento Quinta República in Venezuela die ihn an die Macht bringenden Wahlen. Bereits vier Jahre später, am 11. Mai 2002, mußte sich seine Regierung gegen einen bedrohlichen Putschversuch zur Wehr setzen. Seitdem befinden sich die linksdemokratischen Kräfte der Bolivarischen Republik in einem ständigen Abwehrkampf gegen die innere und äußere Reaktion. Die soziale Oberschicht sabotiert Wirtschaft, Handel und Entwicklung unter der Losung "Für Demokratie und Freiheit!" Bei Ausschreitungen sind zwischen Februar und Dezember 2014 nach offiziellen Angaben 42 Menschen ums Leben gekommen. Unter den festgenommenen Rädelsführern befanden sich Personen mit ausländischen Pässen. Venezuelas Regierung geht davon aus, daß hinter dieser "Opposition" sowohl Kreise der US-Administration als auch führende Erdölkonzerne stecken. Vor allem spielen sogenannte Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie die weltweit nach wie vor aktive Naumann-Stiftung der in der BRD arg geschrumpften FDP eine üble Rolle. Das Leitbild für ihre auf lateinamerikanische Staaten zielenden Umsturzpläne lieferte 2009 der Militärputsch in Honduras.

Der 2014 verstorbene namhafte und kenntnisreiche Publizist Peter Scholl-Latour wies in seinem Buch "Rußland im Zangengriff" auf die subversiven Aktivitäten der NGOs bei der Destabilisierung von Jugoslawien, Rußland, Belarus und der Ukraine hin. Er bezeichnete sie als "professionellen Wanderzirkus junger Agitatoren aus diversen Ländern, die durch internationale Stiftungen gesteuert und finanziert werden. Die CIA führt dabei häufig die Regie."

Sie sind jene fünfte Kolonne, welche unter dem Deckmantel von "Freedom and Democracy" Umstürze und Bürgerkriege am laufenden Band vorbereitet. So wurden in der Ukraine systematisch ultranationalistisch-faschistische Gruppierungen und Parteien aufgebaut, um einer "demokratischen Regierung" zur Macht zu verhelfen. Dafür stellten allein die USA nach eigenen Angaben seit 1991 über fünf Milliarden Dollar bereit.

In Afghanistan (2001) und Irak (2003) führten die USA und die NATO große Kriege, um ihre Marionetten ans Ruder zu bringen. In beiden Fällen waren die Begründungen für diese völkerrechtswidrigen Interventionen frei erfunden.

Während des "arabischen Frühlings" änderten die Imperialisten ihre Strategie und formierten schnell "neue politische Kräfte" unter dem Dach einer diffusen Massenbewegung. Deren Forderungen wandelten sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit in Schritte zur Bewahrung alter Strukturen. Bewaffnete Formationen schufen Konflikte, die in Bürgerkriege mündeten. Am deutlichsten zeigte sich das in Libyen. Aus einer Bewegung für mehr Demokratie wurden rivalisierende "Rebellengruppen", die mit direkter militärischer Unterstützung imperialistischer Mächte Gaddafi im August 2011 zu Fall brachten und ein bis dahin intaktes Staatswesen total zerschlugen.

Auch in Syrien begann der Bürgerkrieg mit dem Ruf nach "mehr Freiheit und Demokratie". Heute unterstützen "Die Freunde Syriens" - eine Gruppe von elf Staaten, unter denen sich so mustergültige "Demokratien" wie Saudi-Arabien und Katar befinden - die bereits weite Landesteile kontrollierende bewaffnete Opposition gegen Assads rechtmäßige Regierung.

Schier unerschöpfliche finanzielle Mittel aus dubiosen Quellen, umfangreiche Waffenlieferungen und der Einsatz durch imperialistische Staaten ausgehaltener Söldner ermöglichen einen langen Krieg, der die Grenzen eines Bürgerkrieges bereits überschritten hat. Er destabilisiert anhaltend große Teile der arabischen Region über Ländergrenzen hinweg und entzieht Millionen Menschen ihre Existenzgrundlage. Die ursprüngliche Forderung nach "Demokratisierung" Syriens spielt längst keine Rolle mehr.

Offensichtlich haben wir es mit einer globalen Strategie der Vereinigten Staaten und anderer imperialistischer Mächte zu tun, bei der erstmals in diesem Umfang Methoden "nichtkonventioneller Kriegsführung" angewandt werden. Zu ihnen gehören ideologische Subversion, das Ringen um politischen Einfluß, die systematische Konzentration von Kräften, die jeder Kontrolle entgleiten und eine gefährliche Radikalisierung innerhalb der Gesellschaft herbeiführen. Washington und dessen NATO-Verbündeten geht es um einen "Regime Change" (Regimewechsel) in einzelnen Ländern oder ganzen Zonen. Dabei will die Obama-Administration den Anschein erwecken, sie stehe gewissermaßen am Rande des Geschehens. Es soll so aussehen, als ob es sich um innere Prozesse handele, nicht aber um strategisch-taktische Konzepte anderer Mächte.

Den USA und ihren "Partnern" bieten innere Konflikte bis hin zu blutigen Bürgerkriegen - wie Irak und Syrien beweisen - günstige Möglichkeiten, im Rahmen angeblich humanitärer Missionen auch militärisch einzugreifen. "Methoden nichtkonventioneller Kriegsführung" eignen sich zugleich auch besser zur Täuschung der Weltöffentlichkeit als eine direkte und unverhüllte Intervention.

Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin

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Terror, Lüge und Täuschung - Waffen der Unterdrücker

Warnung vor Falschmünzern

Schon der römische Historiker Tacitus bemerkte: "Bedrohlich ist das Volk für die Herrschenden, wenn es ohne Furcht ist." Tatsächlich dürfte kaum etwas besser geeignet sein, Menschen für drakonische Gesetze, Verfolgungsmaßnahmen, Überwachungsstaat und alles durchdringenden Militarismus zu gewinnen, als brutale und schockierende Anschläge von "Feinden unserer Zivilisation". Die Islamophobie besitzt im christlichen Abendland seit den Mauren-Kriegen zwischen dem 8. und dem 15. Jahrhundert eine unheilvolle Tradition. Mohammedaner wurden entweder aus den durch sie eroberten Gebieten vertrieben oder mußten sich - der Anpassung halber - taufen lassen. Das galt auch für Juden. 1481 fielen diese Konvertiten dann unter dem Vorwurf, sie seien ja in Wahrheit nichtintegrierte Heuchler, der Inquisition zum Opfer.

Schon der sudanesische Volksaufstand des "Mahdi" (Messias) Mohammed Ahmet, der zur Vertreibung der Briten aus Khartum führte, versetzte 1881 Europas Bürger in Angst und Schrecken. In der Folge konnte Kitchener 1898 ganz Ägypten unterjochen.

Nach der Ermordung des deutschen Gesandten Freiherr von Ketteler am 20. Juni 1900 in Peking, also während des Volksaufstandes der "Boxer", die auch prokolonialistische Christen unter der Herrschaft des Kaisers Fe Tsung bekämpften, waren sich die Kolonialmächte England, Frankreich, Rußland, Japan und Deutschland in der Entsendung eines "ostasiatischen Expeditionskorps" gegen die "gelbe Gefahr" einig. Im Ergebnis wurde China unterworfen und "balkanisiert", der Zugang zu seinen Märkten und Rohstoffen fremden Räubern geöffnet.

Auch die deutschen Faschisten versuchten sich 1938 in aufstachelnder Panikmache: Herschel Grynszpan, Sohn aus dem Reich vertriebener polnischer Juden, tötete am 9. November den Nazi-Diplomaten Ernst von Rath in Paris. Das Attentat lieferte Goebbels den Vorwand für die sogenannte Reichskristallnacht. Hitlers Propagandachef rief auch die Regierungen und Antisemiten Europas zu "Verhandlungen über die Abwehr der jüdisch-bolschewistischen Gefahr" auf.

Seit dem berüchtigten 11. September 2001 befindet sich der US-Imperialismus im "Krieg gegen den Terror", wobei er die Liste angeblicher Schurkenstaaten abarbeitet, die George W. Bush aufgestellt hat. Millionen Tote, Krieg "überall", Flüchtlingsströme, bittere Not und qualvolle Angst wurden seither zur Geißel unzähliger Erdbewohner. In Europa führte man 247 "Anti-Terror-Maßnahmen" gesetzlich ein. Ziel ist die Unterwerfung widerständischer Regierungen unter das Diktat der "westlichen Wertegemeinschaft".

Auch der Pariser Anschlag vom 7. Januar 2015 wurde unter dem Vorwand, die Pressefreiheit verteidigen zu müssen, zum "Ground Zero" Europas hochstilisiert. Bundespräsident Gauck beeilte sich, schon bald darauf beim Jubiläum der Handelskammer Hamburg die "neue Volksgemeinschaft" auf das von den USA oktroyierte Freihandelsabkommen, die WTO, die Weltbank und den IWF einzuschwören: "Es ist eine Weltordnung, die Freiheit und Wohlstand sichert", erklärte er. Selbst in seiner Auschwitz-Rede im Januar 2015 wiederholte Gauck seinen zur Kriegsbereitschaft aufstachelnden Appell von der vorjährigen Münchener "Sicherheitskonferenz".

Inzwischen werden neue Überwachungsgesetze gefordert. Die generelle Reisefreiheit für "Verdächtige" muslimischen Glaubens wird ausgesetzt. Und der Gipfel: Die Bundeswehr stellt, wie es wörtlich heißt, die "Speerspitze" neuer NATO-Einsatzkommandos gegen Rußland. USA-Präsident Obama nannte Islamismus, Ebola und Rußland die "drei größten Gefahren für die Menschheit". Sie dienen als Vorwand für weltweite geheimdienstliche, wirtschaftliche und militärische Aggressionen.

Unterdessen zeichnet sich in den Augen des Imperialismus eine neue "Bedrohung" ab: Der Wahlsieg Syrizas in Griechenland und die Möglichkeit eines ähnlichen Erfolgs der Protestbewegung PODEMOS in Spanien deuten Zwänge zu einer modifizierten Europapolitik des Westens an. "Tsipras - größte Gefahr für Europa", "Verträge müssen eingehalten werden!", "Spaltung Europas durch linksradikale Rechtsbrüche" geifert die Presse der Bourgeoisie.

Faschistische wie fremdenfeindliche Parteien und Gruppierungen weiden die Attentate von Paris in erstaunlicher Harmonie mit den Verfechtern einer "selektiven Einwanderungspolitik" für ihre Haßparolen aus. CSU, rechte Kreise der CDU, AfD, Frankreichs Marine Le Pen und Englands deutlich rechts von den Konservativen angesiedelte UKIP gewinnen Wähler durch die von den gleichgeschalteten Medien geschürte Panikmache.

Die Veitstänzer an der Spitze von PEGIDA und deren Ablegern sollte man keinesfalls verharmlosen. Sie sind Bestandteil der faschistoiden Gefahr.

Heftig wurde Sahra Wagenknecht attackiert, weil sie die Terrorakte in Paris zu den Drohnen-Morden der USA in Pakistan ins Verhältnis setzte, denn für die Medien des Kapitals gilt zweierlei Maß. Verbrennen IS-Terroristen auf grausamste Weise einen jordanischen Piloten, wird berechtigterweise Alarm getrommelt. Doch über die Tatsache, daß Army und Air Force der USA in Korea und Vietnam Zehntausende Zivilisten mit Napalm verbrannt haben, deckt man den Mantel des Schweigens.

Wenn also gewisse Leute die Worte "Je suis Charlie" (Ich bin Charlie) für sich in Anspruch nehmen, ist äußerste Vorsicht geboten.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Der Islamfeindlichkeit den Kampf ansagen!

Am 15. Januar hörte ich im Radio, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe erklärt, die Angehörigen islamischen Glaubens dürften angesichts der jüngsten Terroranschläge "nicht unter Generalverdacht geraten". Der Rundfunksprecher fügte hinzu: "Daß aber Terroranschläge im Namen des Islam nichts mit dem Islam zu tun haben sollen - gegen diese Auffassung verwahrte sich die Kanzlerin."

Nach offiziellen Informationen vertreten 40,8 Millionen von insgesamt 80 Millionen Menschen - das sind 51 % der Gesamtbevölkerung der BRD - die Auffassung, der Islam stelle eine Bedrohung dar. Wenn man von den 80 Millionen allerdings 20 Millionen Kinder und weitere Personen, die aus verschiedenen Gründen in dieser Sache überhaupt kein oder kein relevantes Urteil äußern können, abzieht, wird die Sache noch unerfreulicher: 40,8 Millionen von 60 Millionen urteilsfähigen Menschen, von denen die zuvor erwähnte Meinung geteilt wird, sind 68 Prozent!

Das bedeutet: Nicht etwa die Hälfte, sondern sogar der überwiegende Teil der Erwachsenen hierzulande ist der Meinung, daß sie "der Islam" so oder so bedrohe, wobei gegen diese Gefahr etwas unternommen werden müsse. Was "die Politik" von Beginn an beabsichtigte, wird man jetzt durchsetzen: Vorratsdatenspeicherung, gläserner Bürger, Generalüberwachung! Das aber heißt: Umwandlung der bereits untergrabenen bürgerlichen Demokratie in eine offene Diktatur des Kapitals.

Als Schriftsteller wende ich mich nicht nur an meine Leser, sondern an alle in der BRD Lebenden mit dem Appell: Leute, macht die Augen auf! Verdammt, warum merkt ihr denn nichts? Wollt ihr es wirklich nicht wahrhaben?

Hockt nicht angstvoll in euren Stuben! Sorgt euch nicht bloß um euer begrenztes eigenes Wohl und formuliert keine halbherzigen, dabei doch herrschaftskonformen Kritiken und Proteste! Beteiligt euch nicht an gelenkten, von offizieller Seite organisierten Pseudoprotesten, die nur das Ziel verfolgen, euch von wirkungsvollen und gebündelten Aktionen gegen dieses menschenfeindliche, soziale und kulturelle Werte beseitigende System abzuhalten!

Laßt euch nicht länger blenden! Wozu waren die Pariser Mohammed-Karikaturen eigentlich gut? Als Ausdruck der Pressefreiheit? Zur Beteuerung von Demokratie? Warum druckte die Hamburger Morgenpost die Karikaturen nach den Anschlägen erneut ab? Weshalb goß sie damit neues Öl ins Feuer? Und warum präsentierten sie andere?

Angenommen, der in Berlin erscheinende "Eulenspiegel" hätte zur Erinnerung an Missetaten einiger Geistlicher im Zeichen vermeintlicher Pressefreiheit eine Karikatur veröffentlicht, die Jesus am Kreuz zeigt, mit einer Bombe am Leib statt des vertrauten Tuches - wie hätten die Herolde der westlichen "Demokratie" da mit Recht aufgeschrien! Nun seid ihr still oder demonstriert auf sonderbare Art, lauscht der Kanzlerin und werdet in den Schlaf gelullt. Ihr sollt Angst haben - das ist gewollt.

Immer aber hat die Angst um das eigene Wohl und Wehe dahin geführt, daß das Leben von Millionen und aber Millionen anderer zerstört wurde. Kurt Tucholsky ahnte - nein, er wußte -, als er 1928 nach Schweden emigrierte, was nur fünf Jahre später in Deutschland kommen würde. Es kam!

Manfred Kubowsky, Strausberg

Unser Autor ist Mitglied des Verbandes deutscher Schriftsteller.

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Für ein elftes Gebot

Der polnische Journalist und Historiker Dr. Marian Turski wurde 1926 geboren. Als 16jähriger im Ghetto von Lódz, das die Faschisten Litzmannstadt genannt hatten, eingesperrt, führte sein Leidensweg ins KZ Auschwitz. Er überlebte den Todesmarsch nach Buchenwald und kam schließlich ins Ghetto Theresienstadt. Er hat erleben müssen, wie die Menschen brutal gefoltert, ermordet, in Krematorien verbrannt wurden. Die Opfer waren Juden wie er, politische Häftlinge, Sinti, Roma, sowjetische Kriegsgefangene und Homosexuelle. Mehr als eine Million Menschen sind allein in Auschwitz ermordet worden, wo das Grauen vor 70 Jahren für die letzten 7500 Überlebenden endete. Sie wurden von der Roten Armee gerettet.

Als ich vor 40 Jahren mit einer Gruppe Gewerkschafter in Auschwitz war, stockte mir der Atem, packten mich Grauen und Entsetzen. In der DDR zur Schule gegangen, hatte ich schon viel über das Vernichtungslager im Unterricht erfahren, doch die Berge von Brillen, Schuhen und Kinderkleidung machten mich fassungslos und beklommen. Die Tränen rannen, und ich verbarg das nicht. Ich schämte mich, fühlte mich schuldig, obwohl ich später zur Welt kam. Ich bin eine nachgeborene Deutsche.

Die noch lebenden einstigen Auschwitz-Häftlinge haben anläßlich des 70. Jahrestages ihrer Befreiung zum Kampf gegen Intoleranz, Gleichgültigkeit und Antisemitismus aufgerufen. Ich befürchte, daß die Deutschen sie nicht gehört oder ihnen nicht zugehört haben. Ignoranz, Arroganz und Desinteresse rauben noch immer vielen die Sinne. Die Worte von Evelyn Hecht-Galinsky scheinen sie nicht zu erreichen: "Fassungslos sehe ich, wie der Islam, wie Rußland zu Haßobjekten der Medien und Politiker werden." Nicht weniger berührend ist der Rat des Überlebenden Roman Kent: "Wenn ich könnte, würde ich ein elftes Gebot verfügen: Du sollst kein unbeteiligter Zuschauer sein!"

Hören die Menschen das? Wird das Gebot erfüllt? Oder mißachtet man es ebenso wie die anderen christlichen Gebote? Wer kennt sie? Wer hält sie ein? - Und Lessing? Hat das Wort seines Nathan auch kein Gewicht? Wurde die Ringparabel vergessen? Viele folgen eher den drei asiatischen Affen: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen!" Übrigens haben sie den ursprünglichen Inhalt: Du sollst "über Schlechtes weise hinwegsehen" verloren und wurden durch die entstellende Formel "Alles Schlechte nicht wahrhaben wollen" ersetzt. So verbrämt man mangelnde Zivilcourage.

Die drei Affen stehen auch in meinem Regal. Daneben werde ich die Worte des polnischen Auschwitz-Überlebenden Marian Turski stellen: "Auschwitz begann mit der Demütigung des Menschen. Wenn heute jemand einen Roma, einen Juden, einen Bosnier, einen Türken, einen Israeli, einen Palästinenser, einen Christen, einen Moslem oder einen Ungläubigen demütigt, so ist das ein neuer Beginn von Auschwitz."

Edda Winkel

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Warum man die Empörten nicht alle über einen Kamm scheren sollte

Wortmeldung eines Schweriner Verlegers

Zunächst störte mich an den umstrittenen PEGIDA-"Spaziergängen" nur der sonderbare Name, den sich diese Bewegung gab - holprig wie ein Landweg. Sie trifft den Kern der Proteste in keiner Weise. Daß sich auch Nazis daruntermischten, hielt ich anfangs lediglich für lästig - schlimm genug, daß es überhaupt welche gibt, dachte ich. Wissen jene oftmals selbst Irregeführten, die sich so nennen, überhaupt, welche Lumpenhunde sie zu sein vorgeben? Viele von ihnen würden vor sich selbst Reißaus nehmen, hätten sie auch nur eine blasse Ahnung davon, welche barbarischen Taten ihre derzeit noch verbrämten Idole eines Tages von ihnen verlangen könnten. Die skrupellosen Faschisten hingegen - jene, welche vorgeben, sie wollten die "weiße Rasse reinhalten" - sollten wir davon unterscheiden. Gleichzeitig sollten wir die Gesellschaft - also uns alle - fragen, warum sich Menschen eine solche Gesinnung aneignen, die in einem neuen Auschwitz kulminieren könnte.

Doch was treibt die Mehrheit derer, die es zu PEGIDA oder ähnlichen Gruppierungen auf die Straße drängt, dorthin? Solange keine objektive Bestandsaufnahme über den Zustand der BRD in Ost und West zugelassen wird, entwickelt sich alles nur noch schlimmer, unberechenbarer und haltloser.

Spätestens damals, als man nach der sogenannten Wende den Osten unter fadenscheinigen Vorwänden deindustrialisierte und gezielt plattmachte, war glasklar, daß dort auf alle Ewigkeit die ärmeren Deutschen leben würden. Wo keine echte Wertschätzung erfolgt, sondern wohin lediglich ein Mindestmaß an Überlebensmitteln transferiert und planmäßig sozialer Bodensatz geschaffen wird, entsteht auf Dauer dumpfer Untergrund und gärendes Brodeln unter dem Deckel.

Die meisten Menschen, die zu DDR-Zeiten unterschiedliche Erfahrungen gesammelt hatten, befleißigten sich einst des aufrechten Ganges. Diese Haltung lassen sie sich auch heute nicht durch ständige Diffamierungen, Hetz- und Schmähreden austreiben.

Im Gegenteil: Der Stolz auf ihr damaliges Leben wächst in dem Maße, in dem sie armgespeist und als Mittellose gedemütigt werden. Wer dies nicht sehen will, weil es ihm in Beamtenstuben und Politikerpalästen an jedweder Nähe zur Not der Menschen mangelt, sollte sich nicht wundern, wenn sich aus jenem dumpfen und fragwürdigen Untergrund Widerstände emporwinden. Wer den Leuten im eigenen Land die Heimat nimmt, darf nicht überrascht sein, wenn einige meinen, sie müßten nun ihrerseits von auswärts Hinzugekommenen das Leben hier streitig machen. Wer die wahren Gründe des Unmuts außer Betracht läßt und ohne echte innere Teilnahme leere Sprüche klopft, zerstört die Gesellschaft. Auf solche Leute zu hören, werden wir täglich von ebenso "unabhängigen" wie kapitalhörigen Medien animiert. Aber genau sie sind die falschen Ratgeber.

Um es ganz deutlich zu sagen: Das politische Establishment der BRD ist weder willens noch in der Lage, die gesellschaftliche Kluft in Deutschland zu überbrücken. Es wird allein vom globalisierten Kapitalismus getragen, der sich jedes, auch des infamsten Mittels bedient, um seine Existenz, nämlich die fortwährende Anwesenheit von Profit, zu sichern. Eine seiner Methoden ist die Isolierung des Individuums, der lange angezettelte Krieg jeder gegen jeden. Das Motto lautet: Einer ist des anderen Wolf. Das führt zu völliger Entsolidarisierung: Die so zur Wehrlosigkeit Verurteilten aber nimmt man aus wie eine Weihnachtsgans.

In einem Gespräch der "jungen Welt" mit Ayse Demir wurde die Vorstandssprecherin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg gefragt: "Es heißt aber auch, die rege Teilnahme an derartigen Aufzügen sei ein Ventil für Leute, die unter Niedriglöhnen, Arbeitslosigkeit oder Armut leiden. Wenn es so wäre, hätten Sie Verständnis dafür?" Frau Demir antwortete: "Nein, erstens sind von prekären Arbeitsbedingungen in erster Linie auch Migranten betroffen. Zweitens: Für die schlechte wirtschaftliche und soziale Lage vieler Menschen hierzulande sind nicht wir verantwortlich."

Diese Auskunft kann mich nicht befriedigen. Unsere Haltung muß in dieser Frage sein: Es ist uns nicht egal, wie es Deutschen und Migranten geht.

Hierin sehe ich das Hauptproblem, das bewußt und mit großem Aufwand von den im Sinne des Kapitals Regierenden verschleiert wird. Ihre Strategie, durch Kriege und Verarmung anderer Völker Zuwandererströme aus vielen Ländern und von Angehörigen verschiedener Religionsgemeinschaften sowie daraus resultierende Parallelgesellschaften entstehen zu lassen, wird scheitern, wenn nicht der Wille vorhanden ist, aus allen Bewohnern der BRD eine homogene Gesellschaft zu formieren. Der kapitalistische Staat hat überhaupt kein Interesse daran. Er diskreditiert all jene, welche zu erkennen beginnen, wie sie mißbraucht, benutzt, ausgestoßen, beraubt und entsorgt werden. Jetzt regt sich ein Teil von ihnen und greift in die geheiligte Hackordnung ein. Besonders aufreizend ist der von den Medien des Kapitals zum Unwort des Jahres erklärte Begriff "Lügenpresse", weil doch gerade Leute wie der sichtlich beleidigte Herr Kleber vom ZDF-"heute-journal" unablässig die Vorstellung verbreiten, nichts anderes als die Wahrheit zu verkünden. In Wirklichkeit manipulieren uns Leute dieses Schlages und lachen sich dabei noch ins Fäustchen.

Solange der Kapitalismus sich frei bewegen kann, können wir wählen, wen immer wir wollen, ohne etwas am Wesen der Dinge zu ändern. Siegen werden unter solchen Bedingungen stets jene, welche im Auftrag des Kapitals regieren und die Medien beherrschen. Wollen wir es anders, müssen wir die Vereinzelung aufgeben und uns verbünden. Aber mit wem? Und mit wem nicht?

Ich kenne keinen einzigen Teilnehmer der PEGIDA-"Spaziergänge" persönlich. Doch zunächst schien mir diese protestierende Masse sympathisch zu sein. Daß sich überhaupt Menschen trauten, endlich gegen die verlogene Politik der Machtausübenden aufzutreten, stimmte mich zunächst hoffnungsvoll. Doch seitdem ich in Schwerin den Chef der NPD-Landtagsfraktion Udo Pastörs unter den an der Siegessäule versammelten "Patrioten Europas" gewahrte, weiß ich um die Gefahr, die von PEGIDA ausgeht.

Rainer Stankiewitz, Crivitz

Unser Autor betreibt den Wieden-Verlag und ist durch seine auch im RF vorgestellte Schweriner "Schaufensterzeitung" vielen Menschen ein Begriff.

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Verantwortung für das Wohl von 65.000 Beschäftigten des Kombinats Trikotagen

An der Spitze des Beirats für Sozialpolitik

In meinem langen Leben habe ich sehr oft erfahren, wie die Würde des Leiters auch als Bürde verkraftet werden mußte. Ob als für Wohnungs-, Gesundheits- und Sozialwesen verantwortlicher Bürgermeister oder als Sozialpolitiker und Gewerkschafter in der Industrie der DDR - stets galt es, aus der jeweiligen Situation das Beste zu machen, um den Menschen zu nützen. Ich war viele Jahre Vorsitzender des Beirats für Sozialpolitik im Volkseigenen Textilkombinat Trikotagen Karl-Marx-Stadt mit mehr als 65.000 Beschäftigten und über die ganze Republik verstreuten Konfektionsbetrieben. Der Schwerpunkt der Untertrikotagen-Produktion und der Herstellung von Strickwaren - besonders für Sport und Freizeit - lag im Raum Karl-Marx-Stadt, das mit der "Wende" wieder in Chemnitz zurückbenannt worden ist.

Unser Gremium hatte eine beratende Funktion mit Vorschlagsrechten und organisatorischen Aufgaben zur Realisierung konkreter Vorhaben. Der Vorsitzende wurde vom Generaldirektor des Kombinats in Abstimmung mit der Leitung der Gewerkschaft berufen. Er schlug die Mitglieder des Beirats dem Generaldirektor vor. Dieser berief sie und löste sie gegebenenfalls auch ab.

Es handelte sich dabei um angesehene Persönlichkeiten mit hoher sozialer und fachlicher Kompetenz. Unter ihnen waren Betriebsleiter, Betriebsärzte, Leiter der Sozialversicherung, Mitarbeiter des Instituts für Arbeitsmedizin, Ingenieure für Arbeitswissenschaften sowie andere Experten. Es handelte sich durchweg um Menschen, die über Erfahrungen in der Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen in Betrieben verfügten, also inhaltlich mitreden konnten und in der Sache entscheidungsfähig waren.

Ein solches Gremium zu leiten, betrachtete ich als Ehre. Dabei mußten viel Kraft und Ideen investiert werden. Sämtliche Vorschläge, die dem Anliegen dienten, wurden ernsthaft beraten.

Ich war dabei zwar primus inter pares (Erster unter Gleichen), nicht aber Besserwisser und Rechthaber kraft Amtes. In unseren Beratungen ging es lebhaft zu. Manchmal wurde auch heftig gestritten, wobei man verschiedene Varianten gegeneinander abwog und nach einem gemeinsamen Nenner suchte. War dieser gefunden, ging der akzeptierte Vorschlag an jene, welche in der jeweiligen Angelegenheit "den Hut auf hatten", also entscheidungsbefugt waren und vor allem über Geld verfügten, das allerdings oftmals fehlte.

Partner und Vorgesetzte waren für uns die Kombinatsleitung (in kapitalistischen Unternehmen ähnlicher Art würde man sie wahrscheinlich als Generaldirektion bezeichnen), die Gewerkschaftsleitung des Kombinats sowie die bezirklichen und zentralen Verantwortlichen der Industriegewerkschaft Textil-Bekleidung-Leder.

Diejenigen, um deren Arbeits- und Lebensbedingungen es ging, waren die Beschäftigten des Kombinats. Wir hatten uns um das Wohlergehen der Arbeiter und Angestellten, die Versorgung ihres Nachwuchses in Krippen, Kindergärten und Ferienlagern, Fragen der gesundheitlichen Betreuung, der Pausenversorgung, den An- und Abtransport zum und vom Arbeitsplatz u.a. zu kümmern. Über 80 % der Frauen waren in den Nähbereichen der Konfektion tätig.

Um zu tragfähigen Entscheidungen zu gelangen, war eine Einigung auf die jeweils besten Ideen erforderlich. Dabei gab es keine Sonderstellung einzelner Personen aufgrund besonderer Verdienste oder leitender Funktionen im Betrieb. Unser Anliegen wurde immer gemeinschaftlich verfolgt. Beschlüsse traf man mit Zustimmung der jeweiligen volkswirtschaftlichen Partner. Die Erreichbarkeit gestellter Ziele wurde angestrebt, was in der Regel mit kleinen Abstrichen oder Ergänzungen auch gelang. Bei der Beschlußfassung waren die Weichen so gestellt, daß den Gesetzen und der innerbetrieblichen Ordnung Rechnung getragen werden konnte.

Als für das Gremium Verantwortlicher war ich zugleich stellvertretender Vorsitzender der Kombinats-Gewerkschaftsleitung und Berater des Bezirksvorstandes der Industriegewerkschaft. Diese Aufgaben sorgten dafür, daß ich die Bodenhaftung nicht verlor. Übrigens wurde der Arbeitstag oft genug zu Hause fortgesetzt.

In meinem Bereich Sozialpolitik/Gesundheit standen mir drei bezahlte Mitarbeiter des Kombinats zur Seite. Alle anderen Aufgaben wurden ehrenamtlich bewältigt. Mit einigen damaligen Arbeitskollegen verbindet mich noch immer tiefe Freundschaft. Meine engste und treueste Mitstreiterin aber war damals Petra. Heute ist sie meine geliebte Ehefrau.

Ich könnte mir vorstellen, daß es für die nachfolgenden Generationen von Wert ist, zu erfahren, wie wir fundamentale Fragen der Hebung und Gewährleistung des Lebensstandards in der DDR gelöst haben.

Dr. Wilfried Meißner, Chemnitz

Unser Autor gehörte bis 1990 der Nationaldemokratischen Partei Deutschland (NDPD) an.

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Was an die Stelle der DDR-Genossenschaften und Staatsgüter getreten ist

Neue Eigentumsformen in der Landwirtschaft

Im jetzt als "neue Bundesländer" bezeichneten einstigen Staatsgebiet der DDR ging es 1991 um die Frage: Wie gestaltet man eine vormals genossenschaftliche oder staatliche Landwirtschaft im Sinne des Kapitalismus um? Vor dieser Problematik standen die vormaligen LPG-Mitglieder sowie die Mitarbeiter der Volkseigenen Güter, aber auch andere Berufsgruppen, die sich mit Landwirtschaft befaßten. Etwa 1,5 Millionen Menschen waren betroffen.

In so manchem Dorf ging es hoch her, denn nun mußten auf einmal Eigentumsfragen geklärt werden, was oft sehr kompliziert war. Natürlich wurden dabei auch alte Rechnungen beglichen, und so mancher LPG-Obere verlor seinen Posten.

Nach mehreren Jahren hatte sich dann eine agrarische Mischstruktur mit folgenden Säulen herausgebildet:

- einem genossenschaftlichen Sektor, der etwa 60 % der Landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) bewirtschaftet. Ein Teil davon besteht inzwischen aus agrarkapitalistischen Unternehmen;

- einem Sektor bäuerlicher Familienbetriebe, die auch als Wiedereinrichter bezeichnet werden. Das sind z.T. auf Spargel, Erdbeeren und andere Erzeugnisse spezialisierte Betriebe, aber auch Tierzüchter. Hinzu kommen sogenannte Reiterhöfe. Es gibt überdies Halter exotischer Tiere wie Wasserbüffel, Elche, Bisons, Damhirsche, Strauße und Rentiere;

- einem Bereich agrarwissenschaftlicher Institute, vorwiegend auf privater, aber auch auf staatlicher Basis;

- als Nischenproduzenten bezeichnete Halter kleiner Schaf-, Ziegen- oder Exotenbestände.

Die Finanzierung der Agrarproduktion erfolgt hauptsächlich durch private Geldinstitute und Genossenschaftsbanken. Eine staatliche Bauernbank, wie sie in der DDR bestand, gibt es nicht. Deutsche und internationale Landmaschinenkonzerne versorgen die ostdeutschen Agrarbetriebe mit modernen Landmaschinen und Geräten.

Hinzu kommt noch eine große Zahl von Firmen und Einrichtungen, die speziell für die Landwirtschaft arbeiten. Ohne all das ist heutzutage keine effektive Agrarproduktion mehr möglich. Vorstellungen, man könnte im Osten wieder zu relativ kleinen bäuerlichen Familienbetrieben zurückkehren, erwiesen sich unter den Bedingungen des hochentwickelten Kapitalismus der BRD als irreal.

Es gibt überdies auch vereinzelte Gruppen von Aussteigern, die sich zu gemeinschaftlichem Handeln zusammengetan haben. Das sind oftmals ganze Familien. Deren Marktleistung ist minimal, ihre Erzeugnisse sind eigentlich nur für den eigenen Bedarf bestimmt.

Wie sich zeigt, sichert allein eine moderne Agrarproduktion die Ernährung des Volkes. Es sei mir noch eine Reminiszenz gestattet: Während früher über viele Einzelprobleme dieses Bereichs der Volkswirtschaft in den Sekretariaten der SED-Kreisleitungen beraten wurde und entsprechende Beschlüsse an die staatlichen Organe oder gesellschaftlichen Einrichtungen gingen, verhält es sich heute damit ganz anders. Akteure sind jetzt die in den jeweiligen Vertretungskörperschaften etablierten Parteien. Dabei hängt vieles vom lokalen und regionalen Kräfteverhältnis ab. Bei uns im Kreisparlament Herzberg/Elster - wir gehören zum Land Brandenburg - ist die CDU mit 19 Abgeordneten vertreten, während Die Linke und die SPD jeweils über neun Mandate verfügen. Außerdem gibt es weitere Gruppierungen. Wer in solchen Parlamenten Vorlagen zu Agrarfragen einbringt, muß versuchen, bei anderen Fraktionen Unterstützer zu finden.

Die Anforderungen an das Handeln der Landwirtschaft haben enorm zugenommen. Viele Institutionen beteiligen sich zwar an der Diskussion darüber, doch Lasten und Risiken tragen die einzelnen Akteure selbst. Ich weiß, wovon ich rede, habe ich doch zu DDR-Zeiten große Pflanzen- und Tierproduktionsbetriebe wie deren Wirkungsweise über lange Zeit kennengelernt. Wenn man so manchem Agrarkapitalisten freie Hand ließe, dann fehlte es gewiß nicht an Ungesetzlichkeiten und Verstößen gegen den Naturschutz. Je mehr Grund und Boden sie besitzen, desto heftiger werden die Ellenbogen eingesetzt. Die staatlichen Organe machen solchen Mitbürgern entweder keine Vorschriften oder halten sich bei der Kontrolle zurück.

Um noch mal auf unseren Kreis zurückzukommen. Da hatte z.B. die LPG Pflanzenproduktion Herzberg-West eine LN von rund 7000 Hektar. Nach 1990 organisierten sich auf dieser Fläche wiederum drei Genossenschaften. Das Land geriet also nicht in die Hände einzelner Agrarkapitalisten, sondern blieb Eigentum von Bauern.

Natürlich hat sich die Betriebs- und Eigentumsstruktur sehr verändert. Es gibt praktisch weder Klein- noch Mittel-, noch Großbauern.

In einer Ortschaft des Kreises wirtschaftet ein Wiedereinrichter. Der Hof umfaßt 138 Hektar LN. Im Stall des Rinderzüchters stehen 170 Tiere, davon 50 Mutterkühe. Pro Jahr werden 35 Stück Vieh geschlachtet und im eigenen Hofladen vermarktet.

Wir wissen, daß 138 Hektar LN früher als Großgrundbesitz galten und im Zuge der Bodenreform enteignet wurden. Die Grenze lag bei 100 Hektar. Heutzutage reicht diese Fläche gerade einmal aus, um einigermaßen gewinnbringend produzieren zu können. Die großen Agrarbetriebe mit Tausenden Hektar sind da bedeutend marktsicherer.

Der Wiedereinrichter des von mir erwähnten Hofes ist inzwischen aus Altersgründen abgetreten. Doch die Familie hat Glück: Der älteste Sohn trat die Nachfolge an. Der scheidende Bauer meinte: "Nach der Wende gab die Genossenschaft Stolzenhain Flächen zurück. Damit haben wir begonnen und dann aufgestockt. Wer sich nicht spezialisiert, um den Marktbedingungen gerecht zu werden, kann sich nicht behaupten."

Noch funktioniert das geschilderte System der privaten bäuerlichen Familienbetriebe. Wenn aber die Treuhandnachfolgerin BVVG im Land Brandenburg Äcker und Wälder aus ihrem Bestand verkauft, wird es sogar für die großen Komplexe, die teilweise 2000 bis 3000 Hektar bearbeiten, sehr eng. Derzeit hat die BVVG in diesem Bundesland noch etwa 70.000 Hektar LN und rund 7000 Hektar Wald in Besitz. Bis 2025 will sie die derzeit verpachteten Flächen restlos veräußert haben.

Die Zukunft der Agrarbetriebe aller Typen ist in den "neuen Bundesländern" also keineswegs rosig. Der Wind aus Brüssel und Berlin weht äußerst böig.

Eberhard Herr

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Helden des Roten Oktober
von Helmuth Hellge

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Die Leninsche "Iskra" inspiriert durch den Rotfuchs

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Solides marxistisches Wissen ist das Salz in der Suppe

Vom Abschwören "gläubiger Kommunisten"

Einst besaß ich eine jüngere Schwester, die eine eifrige 68erin und Mitglied der Kölner DKP war.

Warum spreche ich in der Vergangenheit - sie lebt ja noch. Doch politisch kann ich in ihr nichts Schwesterliches mehr erkennen. Als ich sie im Dezember 2014 nach langer Zeit wieder einmal besuchte, legte sie mir am adventlich gedeckten Frühstückstisch eine Notiz aus dem "Kölner Stadtanzeiger" neben den Teller. Dort war für die, wie sie wohl meinte, "Putin-Versteherin" zu lesen, daß der russische Präsident Frankreichs rechtsextreme Le-Pen-Partei unterstütze. Ihr Kommentar: Einen, der mit Faschisten im Bunde sei, könne man nur bekämpfen.

Natürlich war es dumm von mir, mich auf ein aussichtsloses Gespräch einzulassen. Ich hätte nur fragen sollen, warum sie dann nicht gegen den Westen polemisiere, der doch in der Ukraine tatsächlich Faschisten unterstützt, die das zu sein offen zugeben und, wie einst Hitler, für "ethnische Säuberungen" eintreten. Oder, warum sie die Nachricht über Putin in der durch sie früher so kritisch beurteilten Presse der Bourgeoisie einfach glaube, ohne zu hinterfragen, worauf sich die Meldung stütze. Schuld an dem Flugzeugabsturz war natürlich ebenfalls Putins Rußland. Sie fragte sich nicht einmal, warum es die Ukrainer gewesen sind, die im Gegensatz zu Rußland jede wirkliche Untersuchung des Unglücks ablehnten.

Und dann bekam ich die üblichen antikommunistischen Tiraden zu hören. Sie wäre es eines Tages (wohl zufällig zur Zeit der "Wende"?) leid gewesen, weiter als gläubige Kommunistin zu agieren. Ich könne schon verstehen, entgegnete ich, daß jemand seinem Glauben abschwöre, begriffe aber nicht, daß aus einem ehemals "gläubigen" Kommunisten ein ebenso gläubiger Antikommunist werden müsse, also ein "Glaube" mit dem anderen vertauscht würde.

Aber war sie, da gläubig, überhaupt jemals Kommunistin? Zwar pflegte sie ihre Wohnung mit einschlägigen Porträts und kämpferischen Fotos zu tapezieren, ihre Jacke mit linken Abzeichen so zu schmücken, daß ich mir, als ich diese der Kälte wegen einmal von ihr auslieh, wie ein ordengeschmückter sowjetischer Marschall vorkam. Auch erinnerte ich mich daran, wie sie einmal von der Gemeinschaft jener schwärmte, welche nachts heimlich Plakate klebten und dann vor der Polizei davonlaufen mußten. Solches Gemeinschaft stiftendes Tun fehlt heute offensichtlich vielen ehemals "Gläubigen", die sich jetzt glaubenslos vereinsamt vorkommen.

Dieses jugendliche Sich-Ausleben-Können war es wohl, das damals viele zu vermeintlichen Linken machte. Ich spürte nun, daß das wohl nur vom Gefühl, weit weniger aber von weltanschaulich gestütztem Wissensdrang genährt war. So stellte ich fest, daß diese "gläubigen" jungen Leute kaum neugierig auf die so spannende Lektüre der marxistischen Klassiker waren, um sich dort die nötigen Kenntnisse zu holen, ohne die niemand von sich sagen kann, er sei Marxist.

Marx, Engels und Lenin haben ihr halbes Leben in Bibliotheken zugebracht. Ohne Weiterbildung gibt es keine Weiterentwicklung. Man bleibt dann an einer bestimmten Stelle stehen - auf einem Standpunkt, der leicht durch eine Konterrevolution zu erschüttern ist. Bei jeder Bewegung aber muß das Ziel stets deutlich bleiben. Man darf nicht vergessen, in welche Richtung man sich bewegt. Dazu aber ist eine solide theoretische Anleitung unerläßlich.

Leider hat es - das besagt meine Erfahrung nach vielen Besuchen - auch in der DDR an kluger Unterweisung durch gute Lehrer gemangelt. Schüler und Studenten wurden oftmals unzureichend dazu angehalten, gewisse Dinge kritisch auf den Prüfstand zu stellen. Es wurde ihnen ja auch von der führenden Partei ungenügend vorgelebt. Diese hatte zu Honeckers Zeiten die kritische innerparteiliche Hinterfragung, wie sie unter Lenin in dessen Partei stets geübt worden war, mehr und mehr aufgegeben. Fehlende Courage ist kein guter Ratgeber für all jene, welche in einem sozialistischen Staat Vorbilder sein sollten. Intellektuelle Neugier muß genährt werden.

An der fehlt es hierzulande angesichts der gegenwärtigen Hysterie nach den islamistischen Attentaten in Paris. Da kuscheln sie sich wieder zusammen, suchen Wärme in Riesendemos, doch diesmal mit dem lächelnden Wohlwollen der Regierungsvertreter.

Für ein Räuber-und-Gendarm-Spiel sind die meisten inzwischen zu alt. Da sucht man das Bequemere, die möglichst breite Verbindung. Kritik an islamistischem Fanatismus kostet hier in Frankreich weniger Mut als journalistisch gegen Kriege anzuschreiben, die diesem pseudo-religiösen Eifer Vorschub leisten.

In Paris gab es 20 Tote - wie viele Menschen aber kommen in "unseren" westlichen kolonialen Kriegen Tag für Tag ums Leben?

Prof. Dr. Heidi Urbahn de Jauregui, Montpellier (Frankreich)

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Strohtrocken, scheuklappenhaft-dogmatisch oder frei von der Leber?

Wie unsere Propaganda beschaffen sein sollte

Folgt man der Darstellung Außenstehender, die sich zugleich mit Vorliebe als Insider präsentieren, dann erschöpften sich die Veranstaltungen der im Frühjahr 1946 aus dem Zusammenschluß von Kommunisten und Sozialdemokraten hervorgegangenen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) ganz überwiegend in Ritualen der Erstarrung und des politischen Sprücheklopfens. Sicher hat es auch daran nicht gemangelt, doch das war weder die Ausnahme noch die Regel.

Im Folgenden will ich Selbsterlebtes kurz schildern. Seit 1949 bis in die 80er Jahre war ich fast ununterbrochen Propagandist, wie die Leiter der Veranstaltungen im monatlich stattfindenden Parteilehrjahr bezeichnet wurden.

Damals hatte ich noch nicht das 17. Lebensjahr vollendet, als mir die Genossen des Zirkels "Geschichte der KPdSU" in Berlin-Baumschulenweg die Leitung übertrugen. Wie aber kam ich dazu, als jüngstes Parteimitglied in dieser Runde für die mich überfordernde Aufgabe ausgewählt zu werden? Unser Lektor, ein erfahrener Rundfunkjournalist mit großen Verdiensten im antifaschistischen Widerstandskampf, war aus gesundheitlichen Gründen plötzlich ausgefallen. Da ich das im Zirkel behandelte Werk nahezu auswendig kannte, hielt man mich für "besonders geeignet".

Damals war das allgemeine Wissensniveau in der Partei noch sehr niedrig, und die propagandistischen "Leistungen" erschöpften sich oftmals - sieht man von kenntnisreichen Vermittlern des jeweiligen Stoffes ab - in ebenso redlich gemeintem wie dogmatischem Wiederkäuen vorgestanzter Formulierungen.

In den darauf folgenden Jahrzehnten setzte man mich, da ich mittlerweile einiges hinzugelernt hatte, immer wieder als Zirkelleiter im Parteilehrjahr ein. Gerne erinnere ich mich an die lebhaften Veranstaltungen in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft Alt-Tucheband im Oderbruch. Wir hängten jedes Mal eine Landkarte auf, um den Rahmen des gerade behandelten Themas sprengende aktuelle Vorgänge in einzelnen Ländern oder Regionen plastischer erörtern zu können.

Nachdem ich weitere Erfahrungen gesammelt hatte, legte die Partei die Latte höher. Jetzt ging es - man verzeihe mir den verbalen Gigantismus - um Propagandistische Großveranstaltungen, wie die kollektive Erörterung bestimmter Themen mit überwiegend engagierten Genossen eines Kreises oder einer Stadt genannt wurde. Den Durchbruch, der mir in der Folge ganze Serien von Einladungen in die zum Bezirk Karl-Marx-Stadt gehörenden Kreise Reichenbach, Brand-Erbisdorf, Aue und Flöha bescherte, erzielte ich in der vogtländischen Industriestadt Plauen. Nach der Premiere in den Sechzigern diskutierte ich dort in etwa 20 aufeinanderfolgenden Jahren mit jeweils etwa 1000 Teilnehmern - meist in der großen Mehrzweckhalle der Offiziershochschule der Grenztruppen. Es handelte sich dabei keineswegs um Monologe. Als mich beim ersten "Auftritt" - ich war für den plötzlich verhinderten stellvertretenden Außenminister Dr. Wolfgang Kiesewetter auf dessen Bitte eingesprungen - der 1. Kreissekretär danach fragte, wie lange ich zu "referieren" gedächte, erwiderte ich zu seiner Verblüffung: "Überhaupt nicht. Ich stelle mich sofort den Fragen - auch den heikelsten."

Als ich nach meiner Tätigkeit im DDR-Außenministerium dann ND-Redakteur geworden war, eröffnete ich das "Zwiegespräch" mit meinen jeweiligen Partnern etwa so: "Ich komme vom ND und bin bereit, Eure Fragen zur Außenpolitik der DDR, zur internationalen Situation sowie zur Entwicklung kommunistischer Parteien zu beantworten. Weiß ich nicht Bescheid, werde ich das sagen und keine Ehrenrunden fliegen. Beginnen wir also dort, wo das ND aufhört." Bisweilen fügte ich ironisierend hinzu: "Da das manchmal recht früh der Fall ist, dürfte es uns nicht an Gesprächsstoff mangeln." Danach hagelte es Frage auf Frage. Als mir der Plauener 1. Kreissekretär bei einer Gelegenheit nahelegte, das Thema SPD "diesmal aus taktischen Gründen nicht zu berühren", mußte ich ihn enttäuschen: "Wir machen um heiße Eisen keinen Bogen."

Oft begleiteten mich ausländische Besucher der DDR wie Genosse Goldberg, Redakteur einer Zeitung der KP der USA, mit dem ich 1972 im kalifornischen Gerichtssaal den Prozeß gegen Angela Davis monatelang verfolgt hatte. Ein anderes Mal fuhren die damaligen Mitglieder der Politischen Kommission der Portugiesischen KP, "Avante!"-Direktor António Dias Lourenço und PCP-Kultursekretär Jorge Araujo mit mir ins Vogtland. Die beiden Widerstandshelden - sie hatten 17 bzw. 9 Jahre in faschistischer Haft zubringen müssen - wurden von den Plauenern besonders stürmisch gefeiert.

Nicht ganz so glatt ging die Sache über die Bühne, als mich der gerade erst aus dem Wüsten-KZ durch Präsident Nasser freigelassene ägyptische Journalist Adli Barsoum dorthin begleitete. Obwohl ich sein Kommen den Verantwortlichen vor Ort rechtzeitig signalisiert hatte, verweigerte man ihm das Betreten des Objekts der DDR-Grenztruppen mit der Begründung, man habe die Veranstaltung wegen Renovierung der am Rand des Geländes befindlichen Mehrzweckhalle ins Zentrum der Offiziershochschule verlegen müssen. Das aber sei für Ausländer gesperrt. Deshalb werde man den geschätzten arabischen Genossen durch den VEB Plauener Spitze führen und ihm bei einer Rundfahrt auf dem nahegelegenen See der Talsperre Pöhl etwas Erholung gönnen.

Da machte ich nicht mit. Kurzerhand rief ich Generalmajor Borning von der Sicherheitsabteilung des ZK per Sonderapparat der Kreisleitung an, schilderte ihm die Situation und bat um Hilfe. Nachdem der amtierende Verteidigungsminister Generalleutnant Weiß Minuten später eine Ausnahmeregelung befohlen hatte, erwartete unseren ägyptischen Freund die vollzählig angetretene militärische Spitze der OHS zur Ehrerweisung am Tor des Objekts.

Bisweilen mußte man sich eben etwas einfallen lassen.

Mag dieser knappe Bericht eine gewisse Vorstellung davon vermitteln, daß es bei SED-Propagandisten, denen es bisweilen sicher nicht an ermüdenden Grautönen gefehlt haben mag, keineswegs immer so strohtrocken und scheuklappenhaft zugegangen ist, wie es uns einige nachträglich bescheinigen wollen.

Klaus Steiniger

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Empörung über Katzbuckeln, doch Bekenntnis zum Programm

Warum ich in der Linkspartei bleibe

Den Artikel des Genossen Gnant habe ich mit großem Interesse gelesen. Ich teile seine Empörung über Gregor Gysi völlig. Mehr katzbuckeln kann man vor den heute Herrschenden wohl kaum.

Ich bin Historikerin. Seit 1956 gehörte ich der SED an und arbeitete bis zur Abwicklung 1990 als Hochschullehrerin an der TU Dresden. Wie Genosse Gnant bin ich Mitglied der Linkspartei. Das Abwägen - bleiben oder gehen - war ein sehr langer und schwieriger Denkprozeß.

Das Ergebnis möchte ich zu Papier bringen. Vielleicht kann daraus eine fruchtbare Diskussion im "RotFuchs" entstehen.

Zunächst sei festgestellt, daß sich die PDS nach ihrem Parteitag im Dezember 1989 trotz vieler Diskussionen und verschiedener Strömungen nicht zu einer sozialistischen Partei entwickelt hat. Sie betrieb kontinuierlich eine Abkehr vom Marxismus und verfolgte permanent einen Kurs auf Annäherung an den Staat BRD, wenn man von Sahra Wagenknecht, Hans Modrow und anderen absieht. Wie man es auch dreht und wendet: Die Linkspartei zeigt sich uns heute als eine Art sozialdemokratische Wahlpartei. Daraus resultiert das Ziel, nicht bei den Herrschenden anzuecken und möglichst überall mitzuregieren.

So hat sie keine Bereitschaft gezeigt, die Geschichte der DDR kritisch, aber zugleich auch objektiv aufzuarbeiten. Sie hat sich Lügen und Verleumdungen über sie kritiklos zu eigen gemacht. Ich war entsetzt, daß sich führende Genossen für alles mögliche entschuldigten, statt auf das Wirken der BRD gegen die DDR hinzuweisen. Eine Relativierung der Ereignisse wäre wohl das mindeste gewesen. Ich denke auch an die Behauptung, 1946 habe eine "Zwangsvereinigung" von SPD und KPD stattgefunden, was so nicht zutrifft. Oder denken wir an die Erklärungen zur "Mauer". Ich habe keinen Verantwortlichen der Linkspartei gehört, der auf die Ziele der BRD hingewiesen hätte, die DDR durch den Schwindelkurs der DM-Mark wirtschaftlich auszubluten. Auch, daß wir 40 Jahre lang unter Wirtschaftsembargos der BRD leben mußten, soll aus dem Gedächtnis gestrichen werden.

Hat je ein Funktionsträger der Linkspartei bei der Verurteilung der Russen wegen des Anschlusses der Krim an die Russische Föderation darauf hingewiesen, daß Bonn 1989/90 die DDR der BRD angeschlossen hat? Die Einverleibung der DDR durch die BRD war der eklatanteste Bruch des Völkerrechts, den der westdeutsche Staat beging. Nach Öffnung der Grenzen mischte sich die BRD unter Kohl skrupellos in die inneren Angelegenheiten der Noch-DDR ein. Das erklärte Ziel bestand in der Vernichtung dieses souveränen Staates, der von über 80 anderen Staaten anerkannt und Mitglied der UNO war. Doch in einer Diskussionsrunde mit Maybrit Illner wiederholte Gysi die These, die Russen hätten das Völkerrecht gebrochen. Also Vereinigung nur dort, wo es den Herrschenden in Europa und Übersee in den Kram paßt?

Was aber spricht trotz allem für mein Verbleiben in der Linkspartei?

Bei einer nichtsozialistischen Partei darf bezweifelt werden, daß sie programmatisch einen Systemwechsel anstrebt. Aber dieser steht ja gegenwärtig auch nicht zur Debatte. Weder objektiv noch subjektiv sind dafür die erforderlichen Bedingungen vorhanden. Als gebildete Marxisten gehen wir davon aus, daß es wohl auch künftig - zumindest nach jetzigem Erkenntnisstand - keine klassische Revolution wie 1917 in Rußland mehr geben dürfte. Schon in der DDR haben wir Hochschullehrer den Studenten vermittelt, daß bei Systemgefährdung die Bündnismechanismen der NATO sofort in Kraft treten würden.

In den 70er Jahren wurde auf einer internationalen Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien in Auswertung der chilenischen Erfahrungen hervorgehoben, daß der Übergang zum Sozialismus unter bestimmten Voraussetzungen auch auf parlamentarischem Wege erfolgen könne. Das aber setzt ein breites Bündnis aller an gesellschaftlichen Veränderungen interessierten politischen Kräfte, Organisationen und Parteien voraus.

Ich verfolge mit Interesse die Arbeit der Koalition in Thüringen unter Bodo Ramelow. Lassen sich dort linke Positionen durchsetzen? Wird das Bündnis halten? Solche Fragen sind berechtigt. Wenn ein Ministerpräsident der Linken schon unmittelbar nach Amtsantritt die DDR-Geschichte "aufarbeiten" will, sich nicht als verlängerten Arm seiner eigenen Partei versteht und dieser auch nicht gestatten will, auf Entscheidungen im Bundesrat Einfluß zu nehmen, sind Zweifel an dieser Politik angebracht.

Die derzeitige Linkspartei hat es sich zur Aufgabe gestellt, zunehmenden Auswüchsen des Kapitalismus entgegenzuwirken. Da steht an erster Stelle das Bemühen um soziale Gerechtigkeit, Eintreten für sozial Schwache und andere benachteiligte Schichten der Bevölkerung. Dazu liegt ein akzeptables Programm vor. Erinnert sei an den seit Januar 2015 eingeführten Mindestlohn. Initiator war vor vielen Jahren die Linkspartei. Damals verlacht von CDU und SPD, ist er inzwischen Realität. Oder nehmen wir das Bemühen der Linkspartei um bezahlbaren Wohnraum - für viele Menschen eine Existenzfrage.

Unter den Bedingungen des ausufernden Kapitalismus ist die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Mehrheit der Menschen eine elementare und partiell auch lösbare Aufgabe.

Stellen wir uns vor, es gäbe - aus welchen Gründen auch immer - die Linkspartei nicht mehr. Welch ein Jubel, welch ein Aufatmen wäre dann bei anderen zu vernehmen!

Unter den heute bestehenden Bedingungen hat die Linkspartei nach meiner Überzeugung eine historische Berechtigung. Ihre politische Wirksamkeit hängt neben ihrer Programmatik auch von ihrer zahlenmäßigen Stärke ab. Deshalb traf ich die Entscheidung, in ihr zu bleiben. Trotz allem!

Genosse Gnant schreibt im RF: "Wir sollten vielmehr daran arbeiten, ein eigenständiges, unverwechselbares sozialistisches Profil unserer Partei zu schärfen."Da pflichte ich ihm bei. Doch mit der Linkspartei wird es aus zwei Gründen nicht gelingen. Erstens sterben wir alten, sozialistisch erzogenen Mitglieder aus. Viele können schon heute nicht mehr am Parteileben teilnehmen. Zweitens unternimmt die Partei bewußt nichts, um junge Mitstreiter zu Sozialisten heranzubilden. Als Mitglied und zeitweilige Vorsitzende des Ältestenrates der PDS/Linkspartei beim Stadtvorstand Dresden weiß ich, daß alle diesbezüglichen Vorschläge ohne Echo geblieben sind.

Dennoch müssen wir uns entscheiden: Die Linkspartei bei der Bewältigung ihrer aktuellen Aufgaben zu unterstützen - oder eine neue sozialistische Partei anzustreben. Daß wir dazu die Kraft haben, bezweifle ich.

Dr. sc. Rosemarie Griese, Dresden

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"Freiheit, die ich meine, Deine oder meine, darum dreht es sich"

Gaucklereien und die Substanz eines Begriffs

Zu den in der BRD am häufigsten strapazierten und zugleich fehlinterpretierten Vokabeln gehört das Wort Freiheit. Ihrer bedient sich mit besonderer Vorliebe ein früherer Großinquisitor, der jetzt den Hausherrn im Schloß Bellevue gibt. Er benutzt sie vor allem im Zusammenhang mit seinem pathologischen Haß auf die DDR, die der einst als durchaus kontaktfreudig bekanntgewesene frühere Nutznießer nicht weniger Vorteile des "Ostens" nun als Hort der Unfreiheit zu diffamieren sucht.

Wenn man mit offenen Augen durch unsere Städte fährt, kann man sehen, wie sie die kapitalistische Gesellschaftsordnung der BRD in mancher Hinsicht auf den Hund gebracht hat: Man erlebt Flaschensammler, Obdachlose und eine Vielzahl von Menschen, deren Freiheit allein darin besteht, im täglichen Überlebenskampf durchzuhalten.

Das Elend in meinem Umfeld veranlaßt mich zu der Frage, worin eigentlich die Freiheit solcher Menschen besteht, die zu den "Unterprivilegierten" dieser Gesellschaft gehören. Zunächst einmal muß korrekterweise anerkannt werden, daß in der zwar immer stärker nach rechts driftenden, derzeit aber als Staat nicht faschistoiden BRD den Bürgern gewisse individuelle Freiheiten gewährt werden. Ich kann meine politische Meinung recht offen sagen, allerdings in der Regel nicht am Arbeitsplatz. Ich honoriere auch die Tatsache, daß ich eine Zeitschrift wie den "RotFuchs" vorerst ohne Einschränkungen beziehen und als Autor unterstützen darf. Andererseits gab es in der DDR neben berechtigten Einschränkungen auch eine Reihe unnötiger Beschneidungen der persönlichen Freiheit, wodurch niemand mehr geschädigt worden ist als die DDR selbst. Unter Anspielung darauf strapaziert Gauck seinen bewußt abstrakt gehaltenen Freiheitsbegriff in geradezu pathologischer Weise.

Aber sind die Dinge wirklich so simpel, wie sie sich im Gehirn dieses ehemaligen Pfarrers sortieren? Mir scheint, daß die von Gauck empfundene Freiheit eine völlig andere ist als die des bereits erwähnten Obdachlosen. Denn Freiheit ist durchaus kein klassenindifferenter Begriff, der unterschiedslos angewandt werden kann. Niemand wird doch bestreiten, daß eine gewaltige Differenz zwischen dem Handlungsspielraum und den Rechten eines Fabrikbesitzers auf der einen und denen seiner Arbeiter auf der anderen Seite besteht. Ist es nicht grotesk, ihnen bescheinigen zu wollen, daß sie über schier grenzenlose Entfaltungsmöglichkeiten verfügten?

Während der Unternehmer genau jenes Maß an Freiheit besitzt, das er anderen entzogen hat, garantiert Gaucks alleinseligmachendes Paradies nur wenigen, Profit aus der Arbeit der überwiegenden Mehrheit der Gesellschaft zu ziehen. Millionen sind gezwungen, ihren "Arbeitgebern" jedes Stückchen Freiheit in erbittertem Kampf abzutrotzen. Die Kapitalisten können ihre Proletarier jederzeit in die Freiheit der Erwerbslosigkeit entlassen.

Gauck unterschlägt in seinen Lobeshymnen auf die bürgerliche Gesellschaft die fundamentale Tatsache, daß die herrschende Klasse ihre sie privilegierenden Freiheiten niemals von sich aus mit den Arbeitern und Bauern zu teilen bereit gewesen ist. Es bedurfte mehrerer Jahrhunderte, um sie den Ausbeutern abzuringen. Die diesen Kampf angeführt haben, waren oftmals gerade jene, welche Gauck am meisten haßt: Sozialisten und Kommunisten. Ausgerechnet die Früchte ihres Kampfes vereinnahmt der Herr von Bellevue für seine Propaganda, was man als Gipfel der Unmoral bezeichnen könnte.

Mit Hilfe der fest in Händen einer winzigen Minderheit befindlichen Medien ist es gelungen, den Irrtum zu verbreiten, die Bourgeoisie stelle die eigentliche Hüterin der Freiheit dar. Dabei steht ihr Gesellschaftsmodell für Krieg, Kolonialismus und Hunger großer Teile der Menschheit, für Giftgas und Drohnen.

Gaucks Freiheitsverständnis soll uns vom Drängen nach wirklicher Befreiung abhalten. Dabei wirkt es wie eine Droge. Unter Freiheit wird die Sucht nach ungebremstem Konsum und hemmungslosem Egoismus verstanden, die man schönfärberisch als "Selbstverwirklichung" bezeichnet. Diese Vorstellung von Freiheit erzeugt einen Tunnelblick, der nur noch eigene tatsächliche oder vermeintliche Bedürfnisse wahrnimmt und die Sicht auf gesellschaftliche Mißstände versperrt.

Ich habe mich oft über Menschen aus der alten BRD amüsiert, die - selbst auf Krücken gehend - mir den aufrechten Gang erklären wollten und die ich anschließend vor ihren Vorgesetzten katzbuckeln sah.

Man darf nicht verkennen, daß die im Grundgesetz festgeschriebenen Rechte in uns ein Gefühl garantierter Freiheit erzeugen sollen. Ja, gegen Kriege der Imperialisten kann man noch demonstrieren. Doch diese Freiheit, die allzuoft der Polizeiknüppel beendet, dient lediglich als Ventil. Der Kapitalismus ist lernfähig und nutzt unterdessen sogar Protestbewegungen bisweilen als eine Art Placebo.

Doch zurück zum Obdachlosen und zum Flaschensammler. Schon 1898 schrieb Johann Gottfried Seume: "Gleichheit ist immer der Probestein der Gerechtigkeit, und beide machen das Wesen der Freiheit." Mit anderen Worten: Ohne soziale Gerechtigkeit gibt es keine Freiheit. Gauck unterschlägt mit dem Verzicht auf diese Einheit die entscheidende Voraussetzung der Freiheit. Eine Gesellschaft, in der schreiende Ungerechtigkeit zur Norm geworden ist, basiert auf Unfreiheit. Denn echte Freiheit ist nur möglich, wenn man sie den Feinden der Freiheit entzieht, die ihre grenzenlose Gier auf Kosten der Allgemeinheit ausleben. Dazu aber bedarf es einer Gesellschaft, in der die entscheidenden Produktionsmittel und natürlichen Reichtümer allen gehören und die Ausbeuterklassen ihre politische Macht über die Mehrheit verloren haben. Genau das war in der DDR der Fall.

Ulrich Guhl

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Zwei Plädoyers für konstruktiven Gedankenaustausch

Die Zukunft der Linkskräfte

In seinem Beitrag "Für freimütige Debatten über Zukunftsmodelle" hat Dr. Dieter Müller die Frage nach der Aufgabenskala unserer Zeitschrift thematisiert. Er meint, wir sollten 25 Jahre nach dem staatlichen Ende der DDR die Debatte zum Thema "Wie weiter?" aktiver gestalten. Ich stimme dem zu. Allein aus der retrospektiven Beurteilung der Geschichte bis 1989, auf die sich der "RotFuchs" bisweilen zu stark konzentriert, könnten junge Menschen und andere Ratsuchende keine direkten Antworten auf ihre Frage nach den Perspektiven derzeitiger und künftiger Kämpfe erfahren.

Dr. Müller verweist überdies auf Probleme, die sich aus dem Debakel wesentlicher Teile des BRD-Regierungskurses ergeben. Manche sprechen inzwischen vom "Mehltau" Merkelscher Politik. Es wurde versucht, gesellschaftliche Widersprüche und Konflikte durch Entmündigung und teilweise soziale Ruhigstellung der Bürger zu übertünchen. Ungehindert und möglichst unbemerkt sollte Schritt für Schritt die zügellose Herrschaft der multinationalen Konzerne bis in jede Stube durchgesetzt werden. Die für alternativlos erklärte Politik der "marktgerechten Demokratie", wie sie von der angeblich "besten Regierung seit 1990" verfolgt wird und zu denen die volksverdummende Eskorte der bürgerlichen Medien gehört, stößt an ihre Grenzen.

Die weitere Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich sowie die Auseinandersetzungen zwischen den kapitalistischen Zentren der Welt verursachen eine ständige Zunahme an Konflikten und Widersprüchen.

Um die BRD machen sie keinen Bogen. Sichtliches Zeichen dafür war die Tatsache, daß die CDU seit dem Parteitag 2004 ihr schroffes Konzept der Marktliberalität à la Thatcher modifizieren mußte, während die FDP auf der Strecke blieb. Merkels Partei nahm Rentenerhöhungen vor, führte die Mütterrente sowie die Rente ab 63 und den Mindestlohn ein. All das änderte nichts am Auseinanderklaffen des Lebensniveaus von Besitzenden und Besitzlosen, am Sinken der Reallöhne und an den brachialen Langzeitwirkungen von Hartz IV. Ständig werden die Mieten erhöht, das Armutsrisiko wächst, auch Akademiker und andere Hochqualifizierte schuften oftmals in prekären Arbeitsverhältnissen. Der soziale Zusammenhalt bröckelt unterdessen sogar in der "Mittelschicht". Die allgemeine Unsicherheit nimmt zu. Die Menschen kommen sich als "gebrauchtes, benutztes Humankapital" vor und fühlen sich durch die herkömmlichen politischen Strukturen nicht mehr vertreten.

Als Desaster stellt sich die Migrationspolitik dar, bei der eine jahrelange Integrationsverhinderung sowie das Verschweigen der Notwendigkeit von Einwanderung sowohl im Zusammenhang mit Kriegen und politischen Wirrnissen als auch aus wirtschaftspolitischen Gründen zur Katastrophe geführt haben. Daraus erwachsen Unsicherheit und Furcht, welche große Mengen Entrüsteter auf die Straße treiben. Die Menschenfänger von PEGIDA und AfD versuchen, davon zu profitieren.

Auf die Politik der Bundesregierung wirken derzeit die Folgen des den EU-Nachbarn aufgezwungenen "Sparkurses" verstärkt ein. Der Zusammenhalt in der EU zeigt Risse, alternative Konzepte wie die berechtigten Forderungen Athens führen zur Schwächung der BRD-Position. Gröbster Ausdruck des Scheiterns der EU-Europastrategie ist Brüssels "Ukraine-Politik".

Man muß Dr. Müller zustimmen, daß Alternativen dazu möglich und notwendig sind. Vor allem geht es um die Durchsetzung der sozialen und politischen Rechte. Nicht nur Griechen und Spanier versuchen heute, neue Wege zu beschreiten und modifizierte Formen ihres Kampfes zu bestimmen, auch um früher Erkämpftes zu retten. Es gibt ein weitaus umfassenderes, sich ständig wandelndes Bild dieser sozialen Bewegungen in einer Zeit, in der revolutionäre Veränderungen nicht auf der Tagesordnung stehen. Thematische Schwerpunkte bilden vor allem Frieden, Ökologie, Abrüstung, Frauengleichberechtigung, Bürger- und Menschenrechte und Bewahrung der sozialen Sicherungssysteme.

Die derzeitige Führung der Partei Die Linke besitzt offenbar nicht die Fähigkeit, diesen Prozeß wesentlich mit zu beeinflussen und ihm einen konsequent antikapitalistischen Charakter zu verleihen.

Wie in der Vergangenheit ist es auch heute die Aufgabe Linksorientierter und darüber hinaus aller Verfechter der Menschenrechte wie des Friedensgedankens, nach weiteren Bündnispartnern zu suchen und diese zu gewinnen.

Ingo Hähnel, Berlin

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Müller zu Dr. Müller

Der Beitrag Dr. Müllers im Januar-RF hat meine besondere Aufmerksamkeit gefunden. Nach eigenem Bekunden erst seit kurzem Leser der Zeitschrift, spricht er sich für freimütige Debatten über gegenwärtiges und künftiges Geschehen aus. Zugleich regt er an, das gesamte Gefüge des Sozialismus in seiner Vielfalt aus Philosophie, Ökonomie und Klassenkampf unter heutigen Bedingungen zu durchdenken.

Falls er im Sinn gehabt haben sollte, die Debatten "nur" in der Zeitschrift zu führen, möchte ich seinen Vorschlag erweitern: Ich hielte es für nützlich, den Meinungsaustausch auch in die Regional- und Lesergruppen des RF zu tragen, deren Themenschwerpunkte mit jenen der Zeitschrift ja bisher im Prinzip übereinstimmten. Dort kann man in der Regel von einer relativ großen Teilnehmerzahl und zugleich davon ausgehen, daß sich die Diskutanten von Angesicht zu Angesicht begegnen, wobei auch unausgereifte Formulierungen nicht auf die Waage gelegt werden. Das ermöglicht insbesondere älteren Genossinnen und Genossen, ihre Erfahrungen zu vermitteln, aus denen sich Schlußfolgerungen oder zukunftsorientierte Fragestellungen für Jüngere ergeben dürften. Wenn die Zeitschrift als thematisches Bindeglied zwischen den zahlreichen "RotFuchs"-Gruppen deren Arbeit mit anregenden Beiträgen unterstützt, wird die Zahl der den RF gedanklich Begleitenden noch weiter anwachsen. In unserer Regionalgruppe habe ich bereits entsprechende Erfahrungen sammeln können: Bei wirklich interessanten Themen war der Raum fast immer voll.

Helmut Müller, Berlin

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RF-Extra

Über Defizite bei der Handhabung der politischen Ökonomie des Sozialismus

Haben wir alles richtig gemacht?

Ein Aspekt der Kritik an der DDR-Wirtschaftspraxis war die Angreifbarkeit ihrer Preispolitik. Prof. Christa Luft drückte das so aus: "Der Preis als grundlegender Faktor des Wirtschaftsgeschehens widerspiegelte nicht den Wert, also den Aufwand an lebendiger und vergegenständlichter Arbeit." (RF-Extra März 2014)

Die Theorie besagte - auf einen Nenner gebracht -, daß der Preis Geldausdruck des Wertes sei, welcher wiederum vom gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand zur Herstellung eines Produkts bestimmt werde. Diese Position wird auf Marx zurückgeführt. In der DDR wurde sie zur unverrückbaren Grundlage der Preisbildungsmethodik. Durch Kalkulation des tatsächlichen, nachgewiesenen Aufwands bei Außerachtlassen als nicht notwendig betrachteter Aufwandselemente, aber unter Einbeziehung eines prozentualen Gewinnaufschlags wurde der Preis nach verbindlichen Regeln staatlich festgesetzt. Die von Christa Luft angedeutete Kritik besagt indes, daß die marxistische Theorie in der Praxis nur ungenügend umgesetzt worden sei. Demgegenüber vertrete ich die Ansicht, daß die Konzeption selbst fehlerhaft war, ja sogar einen der schwerwiegendsten Irrtümer unserer Interpretation der politischen Ökonomie des Sozialismus darstellte.

Im Folgenden will ich meinen Standpunkt begründen.

Von unseren politökonomischen Vordenkern wurde m. E. nicht in Betracht gezogen, daß Marx in seinen ökonomischen Analysen gar nicht im Sinn hatte, den Wirkungsmechanismus der Marktpreise im Kapitalismus zu analysieren, geschweige denn die Preiskalkulation im Sozialismus zu definieren. Er hatte vielmehr etwas ganz anderes im Auge: die inhaltliche Substanz des Wertes aufzudecken, seine Quelle und damit auch die des Mehrwertes zu begründen. Damit gelang es ihm, das Wesen der kapitalistischen Ausbeutung zu enthüllen: die Aneignung fremder Arbeit durch die Eigentümer der Produktionsmittel. Darin besteht seine wohl genialste, eine Weltanschauung entscheidend mit prägende Entdeckung.

Bei seiner Analyse mußte Marx von den ständigen Schwankungen des Preises um einen Kulminationspunkt abstrahieren, weil sich nur darin - und zwar unbeeinflußt von den Zufälligkeiten der jeweiligen Marktkonstellation - der "reine" Inhalt des Wertes (= Preises) erkennen läßt. Die Kernaussage der Marxschen Analyse, daß sich letzten Endes die Produkte zu ihren Werten austauschen, wurde von tonangebenden Ökonomen der DDR offensichtlich recht kurzschlüssig so interpretiert, daß man im Sozialismus den Preis direkt aus dem tatsächlichen, kalkulierten (etwas bereinigten) Aufwand herleiten müsse. Bestärkt wurden sie offensichtlich auch aus der Erkenntnis heraus, daß die Marktwirtschaft im Kapitalismus mit gravierenden Negativwirkungen wie Ausbeutung, Anarchie, Überproduktion und Krisen verbunden ist. Deshalb schien es unannehmbar, sich mit diesem Wirkungsmechanismus weiter zu beschäftigen.

Ein anderer Aspekt war, daß unsere politökonomischen Köpfe von der These auszugehen schienen, daß Menschen, welche von der Last der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft durch das Privatkapital befreit seien, ihre schöpferischen Fähigkeiten ganz überwiegend voll entfalten würden. Sie müßten ja nicht mehr für andere schuften, sondern wären für sich selbst tätig. Ergänzt wurde diese allzu optimistische Auffassung von der verabsolutierten Bedeutung, die man der Planwirtschaft zuschrieb. Sie wurde fast als alleiniger Kontrapunkt zur spontanen kapitalistischen Marktwirtschaft betrachtet. Der Glaube, mit der Planwirtschaft müsse und könne man den spontanen Marktmechanismus ersetzen, ließ jede konstruktive Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Preisbildungspraxis de facto als überflüssig erscheinen.

Die deutliche Unterschätzung der Möglichkeiten der Marktpreisbildung einer- sowie eine gewisse Überschätzung der Möglichkeiten sozialistischer Eigentumsverhältnisse und der Planwirtschaft andererseits bildeten aus meiner Sicht "Grundtorheiten" unserer Theorie und Praxis der politischen Ökonomie des Sozialismus. Um es deutlich zu sagen: Es geht mir keineswegs um Gegenüberstellung von Markt- und Planwirtschaft, wie man es häufig liest und hört. Die ist überdies noch mit der tendenziösen Wertung verbunden, auch im Sozialismus müsse die Marktwirtschaft vorherrschen, während der Plan höchstens einige Randbedingungen festlegen dürfe. Meine Überlegungen gehen statt dessen dahin, für ein zukunftsfähiges sozialistisches Wirtschaftsmodell eine Kombination aus Marktpreisbildung und Planwirtschaft zu gestalten. Man könnte gewissermaßen von einer "marktgestützten Planwirtschaft" bei Dominanz der Planwirtschaft unter Ausnutzung bestimmter Marktpreismechanismen sprechen.

Doch zunächst noch einmal zum Marktmechanismus im Kapitalismus. Dieser ist grundsätzlich politökonomisch neutral; er kann unabhängig von konkreten Produktionsverhältnissen wirken und setzt lediglich das Vorhandensein arbeitsteiliger Prozesse voraus, bei denen relativ selbständige Marktpartner aufeinandertreffen.

Dieser Mechanismus beinhaltet auf der Ebene einzelner Erzeugnisse bzw. Erzeugnisgruppen das Abgleichen der ökonomischen Bedingungen bei Produktion und Anwendung, wobei der Hersteller den Aufwand und die Nutzungseigenschaften sowie die Produktionsmengen bestimmt, während der Anwender den Nutzen realisiert. Die Marktpreisbildung versucht nun, die damit verbundenen gegenteiligen Interessen auszugleichen und einen Kompromiß zu finden, bei dem jeder Partner seine ökonomischen Vorteile gewahrt wissen möchte.

Der Produzent will seinen Aufwand gedeckt sehen und darüber hinaus einen Gewinn - also einen möglichst respektablen Preis - erzielen. Dies ist vor allem dadurch möglich, daß er Erzeugnisse auf den Markt bringt, die einen hohen materiellen, ideellen, sinnlichen oder wie auch immer gearteten Nutzen für die Konsumenten ermöglichen und in bedarfsgerechter Menge produziert werden können. Die Verbraucher hingegen orientieren sich auf möglichst niedrige Preise, die in einem angemessenen Verhältnis zu dem wie immer auch definierten Nutzen stehen müssen. Natürlich spielt bei all dem die Zahlungsfähigkeit der Konsumenten eine maßgebliche Rolle. Der Interessenausgleich über den Preis hat, politökonomisch betrachtet, enorme Bedeutung, weil sich damit herausstellt, ob und inwieweit der tatsächlich verausgabte Aufwand Anerkennung findet.

Dieser Gesichtspunkt ist für mich eine entscheidende Komponente bei der Bestimmung des "gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwandes". Er muß sich in Qualität und Quantität der hergestellten Produkte bei deren Anwendung bewähren. Doch gerade diese Seite ist in der sozialistischen Preistheorie weitgehend untergegangen. Erst während der letzten Jahre des Bestehens der DDR wurde der Anwendernutzen mit der Einführung des sogenannten Preis-Leistungs-Verhältnisses bei der Preisbildung berücksichtigt - leider viel zu spät, um noch wirksam werden zu können.

Der Marktpreismechanismus hat für die Wirksamkeit des kapitalistischen Wirtschaftssystems fundamentale Bedeutung. Dabei wird der Gewinn des Produzenten von drei entscheidenden Faktoren jeglicher Wirtschaftstätigkeit bestimmt, die letztlich auch für den Sozialismus gelten sollten: von der Höhe des tatsächlichen Aufwandes, von den Nutzungseigenschaften des Produkts und vom Grad der Bedarfsdeckung. Aber dieser Gewinnbildungsvorgang ist nicht nur eine wesentliche Orientierung der Unternehmen auf volkswirtschaftlich rationelles Handeln, sondern zugleich auch Ausgangspunkt für eine maximale Interessiertheit der Unternehmer und der sie unterstützenden Partner wie der Beschäftigten. Denn der Gewinn ist sowohl Quelle des Profits als auch von Dividenden, Manager-Gehältern und Zinsen sowie Löhnen und Gehältern. Darüber hinaus ist er eine wichtige Quelle für die erweiterte Reproduktion. Das sind die wesentlichsten Triebkräfte in kapitalistischen Unternehmen, die dieses ständige Vorwärtsdrängen hervorbringen. Sie haben nicht nur eine hohe Dynamik entwickelt, sondern sind zugleich auch wichtige Faktoren zur Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts sowie zur Steigerung der Arbeitsproduktivität. Sie ermöglichen ein schnelles Reagieren auf sich entwickelnde gesellschaftliche Bedürfnisse.

Wenn ich hier ein Loblied auf die Marktwirtschaft zu singen scheine, so bin ich dennoch weit davon entfernt, sie einfach auf sozialistische Verhältnisse übertragen zu wollen. Besonders wichtig erscheint mir die Erkenntnis, daß dieser marktwirtschaftliche Mechanismus unter kapitalistischen Bedingungen auch äußerst destruktive Wirkungen zur Folge hat. Wesentliche Merkmale seiner Produktionsweise - von Arbeitslosigkeit über soziale Ungerechtigkeit bis zu Krisen und Kriegen - sind nicht den Marktpreismechanismen an sich geschuldet, sondern dem zügellosen Profitstreben der kapitalistischen Unternehmer. Zweifellos spielt auch die Planlosigkeit (Anarchie) auf volkswirtschaftlicher Ebene eine Rolle.

Die gedankliche Trennung zwischen Marktmechanismus einerseits und privatkapitalistischer Aneignung und Anarchie andererseits führt zu der Überlegung, daß es möglich sein müßte, die Marktmechanismen so auszugestalten und in ein planwirtschaftliches Modell zu integrieren, daß die Vorzüge beider Seiten weitgehend genutzt werden können.

In der Einheit von Marktmechanismus und Planwirtschaft fällt dieser die dominierende Rolle zu. Bei allen Mängeln, die unser administratives Planungssystem belasteten, hat es mit beeindruckenden Erfolgen auf vielen Feldern seine Unverzichtbarkeit für eine sozialistische Wirtschaftordnung bewiesen. Neben der Tatsache, daß auch in der DDR stets Wirtschaftswachstum erreicht wurde, möchte ich besonders hervorheben, daß die angeführten negativen Merkmale des Kapitalismus dank unserer Planwirtschaft nahezu überwunden werden konnten. Unübersehbare Mängel waren u. a. auf Gebieten wie der qualitativen und quantitativen Bedarfsgerechtheit von Produkten sowie bei der Intensivierung festzustellen, die in der kapitalistischen Marktwirtschaft besonders befördert werden. Man kann den Werktätigen der volkseigenen oder genossenschaftlichen Betriebe und Einrichtungen, aber auch den DDR-Wirtschaftsfunktionären die Anerkennung für ihre ganz überwiegend uneigennützigen Leistungen nicht versagen. Doch fast nur aus moralischen und ideologischen Motiven heraus, gepaart mit einem gewissen "Druck von oben", sind auf Dauer keine hohen Leistungen zu erwarten. Deswegen bin ich der Meinung, daß auch unter den Bedingungen sozialistischer Planwirtschaft die Kennziffer Gewinn eine völlig andere Rolle spielen muß, als das bei unserer "reinen" Kalkulationspreisbildung möglich war. Theoretisch wurde dem Gewinn auch in der DDR immer eine gewisse Bedeutung beigemessen. Er konnte aber praktisch nie die qualifizierte Wirkung erlangen, welche der Profit im Kapitalismus erzielt.

Ich rekapituliere: Der tatsächlich betriebene Aufwand wurde in der DDR kalkuliert und ein normativer Gewinnsatz aufgeschlagen. Je höher die so berechneten Kosten waren, um so höher und damit besser für die produzierenden Betriebe waren die Kennziffern Warenproduktion und letztlich auch Gewinn. Eine wirkliche Prüfung, inwieweit das jeweilige Produkt tatsächlich qualitativ und quantitativ ein Bedürfnis befriedigte und der verausgabte Aufwand daran gemessen als gesellschaftlich notwendig anerkannt werden kann, fand bei uns praktisch kaum statt. Umgekehrt führten allseitig besonders gute, anerkannte Leistungen (niedrige Kosten, hoher Anwendernutzen usw.) nicht zu angemessen hohen Gewinnen bei der Preisbildung, da auch in diesen Fällen "nur" der normative Gewinn kalkulierbar war. Natürlich spielten auch andere Regelungen wie Preis-Zu- und -Abschläge, Industriepreisänderungen und Preisstützungen eine Rolle, widerlegen aber meine Grundaussage nicht.

Ein Beispiel mag den Unterschied verdeutlichen: Ein neuentwickelter Staubsauger zeichnet sich durch geringeren Energieverbrauch, höhere Saugleistung, Geräuscharmut und gutes Design aus. Dafür würden - angenommen - die Käufer einen um 20 % höheren Preis akzeptieren. Wenn beim Produzenten hingegen die Kosten nur um 5 % stiegen, würde sich ein entsprechend hoher Gewinn ergeben, bei Kostensteigerung um 25 % hingegen ein Verlust. Das wissenschaftlich-technische Konzept des neuen Staubsaugers müßte gründlich überarbeitet werden. Bei unserer damals praktizierten Preisbildungsmethode würde der Hersteller auch bei der ungünstigen Variante einen normativen Gewinn realisieren können. Positive Impulse wurden dadurch kaum ausgelöst, insbesondere unter dem Aspekt der Aufwand-Nutzen-Optimierung. Wenn sich also linke Ökonomen der Aufgabe unterzögen, ein künftiges sozialistisches Planwirtschaftsmodell zu entwerfen, würde ich es für unumgänglich halten, eine marktwirtschaftliche Preisbildungsmethodik in dem oben skizzierten Sinne dabei mit einzubeziehen.

Peter Elz, Königs Wusterhausen

Unser Autor war Abteilungsleiter beim Amt für Preise der Regierung der DDR.

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Marschall Shukow zur Befreiung der Ukraine von den Hitlerfachisten
Wie es wirklich gewesen ist

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Ende RF-Extra

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Ein Held im weißen Kittel

Der 43jährige Arzt Dr. Félix Báez Sarría ging vor Monaten gemeinsam mit einer starken Gruppe kubanischer Mediziner als Mitglied der Internationalen Brigade "Henry Reeve" nach Sierra Leone, wo die in einigen westafrikanischen Staaten grassierende Ebola-Epidemie besonders viele Opfer gefordert hat. Bald darauf infizierte er sich selbst. Nachdem ein englisches Hospital in Freetown die Diagnose gestellt und den erkrankten Internisten anfangs auch medizinisch betreut hatte, wurde er unter der Ägide der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in die Kantonale Universitätsklinik Genf verlegt, wo man ihn nach seinen Angaben "wunderbar versorgte". Dr. Jorge Perez, Direktor des Instituts für Tropenmedizin "Pedro Kouri", der ihm schon in der Schweiz zur Seite gestanden hatte, nahm nach der Rückkehr des als geheilt Entlassenen in seine kubanische Heimat an dessen Pressekonferenz teil. Dort gab Dr. Báez Sarría, der bei seiner Ankunft auf Havannas internationalem Flughafen "José Martí" durch Gesundheitsminister Roberto Morales Ojeda empfangen worden war, eine bewegende Erklärung ab: "Ich habe wie meine Kollegen der Revolution gegenüber eine sehr große Verpflichtung. Wir alle müssen heil und gesund nach Kuba zurückkehren. Aber ich habe auch eine Verpflichtung gegenüber meinen Compañeros in Sierra Leone, der Revolution und der Partei. Ich kehre nach Sierra Leone zurück und beende das, was ich begonnen habe."

Schon bald darauf wurde dieses Versprechen des Helden im weißen Kittel eingelöst.

RF, gestützt auf "Granma Internacional", Havanna

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Die glücklichsten Eltern der Welt

Es gibt - sieht man von dienstlich beauftragten Mitlesern einmal ab - wohl keinen dem RF verbundenen Bezieher dieser Zeitschrift, dem bei der Nachricht von Gemas Geburt nicht das Herz höher geschlagen hat. Auch an Freudentränen fehlte es bei der Kunde nicht.

Am 6. Januar kam in Havanna ein Mädchen zur Welt, deren Eltern Adriana Perez O'Connor und Gerardo Hernandez Nordelo allen Widrigkeiten zum Trotz die Erfüllung ihres schönsten Traumes vergönnt wurde. Über die Entfernung und die endlos erscheinende Zeit ihrer Trennung hinweg war Gema von ihren Eltern innig und auch verzweifelt herbeigesehnt worden: Denn ihr Vater, Kubas Held Gerardo Hernandez, der zu zweimal lebenslänglichem Freiheitsentzug und einer Zusatzstrafe von 15 Jahren durch die USA-Justiz verurteilte antiterroristische Kundschafter der Seguridad del Estado, sollte nach den Plänen seiner Kerkermeister niemals mehr das Licht der Freiheit erblicken. Und doch wurde Gema gezeugt und nur kurze Zeit nach der erkämpften Freilassung ihres Vaters, die am 17. Dezember 2014 erfolgte, in der kubanischen Hauptstadt geboren.

Es sei so gewesen, schrieb "Granma" auf ihrer Website, "als ob wir uns alle als Großväter und Großmütter, Onkel und Tanten, Brüder und Schwester fühlten". Den glücklichsten Eltern der Welt und ihrer kleinen Tochter gilt der liebevolle Gruß aller Freunde des sozialistischen Kuba. Eine Umarmung auch von den Lesern des RF!

RF, gestützt auf "Granma Internacional", Havanna

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Vizepräsident García Linera für gemeinschaftlichen Sozialismus des "Lebens in Würde"

Die Vision eines bolivianischen Staatsmannes

Boliviens Vizepräsident Álvaro García Linera erklärte in seiner Rede bei der Amtseinführung von Präsident Evo Morales am 22. Januar u. a.:

"Wir Bolivianer und der größte Teil Lateinamerikas durchleben gegenwärtig ein außergewöhnliches Jahrzehnt von Kämpfen und großen Eroberungen für das Volk.

Die Mobilisierung von Volks-, Indigenen-, Bauern-, Arbeiter- und Jugendbewegungen hat die politischen und wirtschaftlichen Strukturen verändert, verändert sie weiterhin und eröffnet somit Raum für die größte Anzahl fortschrittlicher und revolutionärer Regierungen in unserer Geschichte."

In Teilen Lateinamerikas seien die Naturreichtümer nationalisiert und damit den Staaten des Kontinents die materielle Grundlage der verlorengegangenen Souveränität zurückgegeben worden. "Wir haben den Reichtum unter den Bedürftigsten aufgeteilt und damit Staaten des sozialen Schutzes und der Gleichheit geschaffen. Wir haben die Wirtschaft in Schwung gebracht, sie diversifiziert und dabei auf die Kreativität der Produzenten gesetzt. Millionen Jugendliche haben Zugang zur Schul- und Hochschulbildung gefunden, und ebenso viele zu Arbeitsplätzen, so daß bei ihnen die Hoffnung auf würdige Heimatländer wiedergeboren wurde.

Der Kontinent bricht mit obszönen Vormundschaften und Patenschaften und hat seine Fähigkeit wiedergewonnen, über sein eigenes Schicksal zu entscheiden.

Die jahrhundertelang unterdrückten indigenen Nationen, die jahrzehntelang ausgebeuteten sozialen Bewegungen haben nicht nur die historische Gestaltungsrolle zurückgewonnen, sondern, wie in Bolivien, sich zur Staatsmacht aufgeschwungen und führen heute das Land. In zehn Jahren ist man weiter vorangekommen als in den zurückliegenden 200 Jahren. Aber dabei bleibt es nicht.

Das revolutionäre Erwachen der Völker hat den Horizont für viel tiefer greifendere, viel demokratischere, viel kommunitärere, d. h. sozialistische Möglichkeiten eröffnet, auf die wir nicht verzichten dürfen, es sei denn mit dem Risiko einer konservativen Restauration, in der nicht einmal das Gedenken an die Toten gesichert wäre."

Sozialismus sei "kein parteigebundenes Etikett", erklärte García Linera. "Sozialismus ist aber auch kein Dekret, weil das bedeuten würde, die kollektive Aktion des Volkes auf eine administrative Entscheidung von Funktionären und öffentlich Bediensteten zu reduzieren.

Der Kapitalismus ist eine Zivilisation, die alle Aspekte des Lebens einer Maschinerie zur Akkumulation von Profiten unterordnet. Angefangen beim Handel über Produktion, Wissenschaft und Technik, Bildung, Politik, Freizeit, selbst die Natur, alles, absolut alles ist pervertiert worden, um der Diktatur des Profits unterworfen zu werden.

Eines Tages muß der Kapitalismus als Gesellschaft ersetzt werden, notwendigerweise durch eine andere Zivilisation, die all diese heutzutage existierenden gemeinschaftlichen, aber dem privaten Profit unterworfenen Kräfte und Mächte weltweit freisetzt und ausstrahlen läßt.

Marx nannte das die universelle Gemeinschaft, andere nennen sie das Welt-Ayllu (traditionelle Dorfgemeinde in den Anden - RF), wieder andere das Leben in Würde.

Aber damit diese neue gemeinschaftliche Zivilisation siegreich ist, bedarf es eines langen und komplizierten Übergangsprozesses, einer Brücke. Und diese Brücke ist, was wir Sozialismus nennen.

Der Sozialismus ist das Schlachtfeld innerhalb eines jeden nationalen Territoriums, auf dem sich eine herrschende Zivilisation, der noch bestehende, aber dekadente Kapitalismus, und die neue, aus den Lücken und Schrunden sowie dem Kapitalismus eigenen Widersprüchen aufstrebende gemeinschaftliche Zivilisation gegenüberstehen.

Die Gemeinschaftlichkeit ist zu Beginn in der Minderheit wie Wassertropfen in der Wüste, dann wie winzige Rinnsale, die hin und wieder auch austrocknen, abrupt unterbrochen werden, um danach wieder zu entstehen, sich auf lange Sicht vereinen und zu einem Bach werden, dann zu einem Fluß, zu einem Strom, zu einem See und schließlich zu einem Meer.

Der Sozialismus ist ... das Schlachtfeld zwischen dem Neuen und dem Alten, zwischen dem herrschenden Kapitalismus und der aufständischen Gemeinschaftlichkeit. Das ist die alte, noch mehrheitlich kapitalistische Ökonomie, die schrittweise von der aufkommenden neuen gemeinschaftlichen Wirtschaft belagert wird.

Sozialismus ist überbordende Demokratie ..., ist Überwindung der fossilen Demokratie, in der die Regierten lediglich die Regierenden wählen, aber nicht an den Entscheidungen über die öffentlichen Angelegenheiten beteiligt sind.

Sozialismus ist repräsentative Demokratie im Parlament plus gemeinschaftliche Demokratie in den ländlichen und städtischen Gemeinschaften plus direkte Demokratie auf der Straße und in den Fabriken. Alles zugleich und alles inmitten einer revolutionären Regierung, eines Staates der sozialen Bewegungen, der einfachen und bedürftigen Klassen.

Sozialismus besteht darin, daß die Demokratie in all ihren Formen sämtliche alltäglichen Aktivitäten der Bewohner eines Landes einbezieht und durchdringt, von der Kultur bis zur Politik, von der Wirtschaft bis zur Bildung.

Und natürlich ist Sozialismus der nationale und internationale Kampf um die Erweiterung des Gemeinbesitzes und der gemeinschaftlichen Handhabung dieser Gemeingüter wie Wasser, Gesundheit, Bildung, Wissenschaft, Technik, Umwelt ...

Sozialismus ist also ein langer Übergangsprozeß, in dem der revolutionäre Staat und die sozialen Bewegungen sich zusammentun, damit Tag für Tag neue Entscheidungen demokratisiert werden; damit Tag für Tag mehr wirtschaftliche Aktivitäten in die gemeinschaftliche Logik übergeführt werden statt in die Logik des Profits.

Und da wir diese Revolution von den Anden her, von Amazonien her, aus den Tälern heraus, aus den Tiefebenen und dem Chaco vollziehen - Regionen, die geprägt sind von einer Geschichte alter lokaler gemeinschaftlicher Zivilisationen -, ist also unser Sozialismus wegen seiner Zukunft ein gemeinschaftlicher.

Wir Revolutionäre sind nicht gekommen, um den Kapitalismus besser oder humanitärer zu verwalten. Wir sind hier, haben gekämpft und werden weiter kämpfen, um die große universelle Gemeinschaft der Völker zu errichten."

Übersetzung: Gerhard Mertschenk

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Blutiger Jahrestag der "Revolution" in Ägypten

Am 25. Januar 2011 wurde die in Tunesien eingeleitete Entwicklung auf ägyptischem Boden fortgesetzt, welche man seitdem allgemein als "arabischen Frühling" bezeichnet. In Kairo kam es damals zu gewaltigen Bekundungen des Unmuts breiter Bevölkerungsschichten. Der sich aufbäumende Protest gipfelte im Sturz des tyrannischen Hosni Mubarak und seines Regimes.

Unterdessen ist es Washington gelungen, nach einem rasch beendeten Zwischenspiel der durch Wahlen ans Ruder gelangten Moslem-Brüder im Land am Nil wieder ein reaktionäres militärisch-ziviles Regime zu installieren, in dem Absolventen führender US-Kriegsschulen den Ton angeben. Regiert wird weiterhin mit Repression und brutalem Terror von Polizei, Armee und Justiz, die Todesurteile - oft über Hunderte von Angeklagten - am laufenden Band verhängt. Wie unter Mubarak schreckt man bei der Niederschlagung oppositioneller Kundgebungen nicht vor der willkürlichen Ermordung von Teilnehmern zurück.

Am 24. Januar fanden in Kairo eindrucksvolle Willensbekundungen aus Anlaß des unmittelbar bevorstehenden 4. Jahrestages der "Revolution" statt. Die Antwort der Unterdrückungsorgane des als Zivilist verkleideten Militärmachthabers General Al-Sisi bestand einmal mehr im Rückgriff auf blanken Terror. Etliche Demonstranten wurden von Polizeikräften niedergestreckt. Es gab mehrere Tote - darunter auch die Aktivistin der ägyptischen Linken Shaimaa al Sabbagh (34).

Unser Foto zeigt die junge Frau Minuten, nachdem sie von einer Polizeikugel getroffen wurde. Bald darauf erlag sie der Schußverletzung.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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USA erweitern ihr Arsenal zur "Demo-Kontrolle"

In "Forschungslabors" des Repressionsapparats der Vereinigten Staaten wird unablässig an der Entwicklung neuer Geräte und Kampfstoffe zur Abschreckung innenpolitischer Gegner gearbeitet.

Im Frühjahr 2012 stellte man den damals letzten Schrei auf diesem Gebiet vor: ein heftige Schmerzen bereitendes Gerät zur "Kontrolle" unerwünschter Demonstrationen. Es sendet einen elektromagnetischen Strahl von hoher Frequenz aus, der - wie es in Berichten hieß - "eine Reichweite von sieben Fußballfeldern" hat.

Das US-Militär experimentiert schon seit Jahrzehnten mit sogenannten Todesstrahlen, "verfeinerten" Varianten von Nervengas, spezifischen Röntgenstrahlen sowie anderen "sauberen Waffen", die zwar Menschen umbringen können, deren materielle Besitztümer aber nicht in Mitleidenschaft ziehen.

Inzwischen liegen hinreichend Erfahrungen beim Einsatz solcher neuentwickelten Kampfstoffe, die gegen Zivilisten eingesetzt werden, vor. Seit längerem wird auch die Anwendung "nicht-tödlicher" Hitzestrahlen erprobt, die neben dem bereits auch von der BRD-Polizei eingesetzten Pfefferspray und den ebenfalls als "lebensschonend" bezeichneten Gummigeschossen schon zum gängigen Arsenal gehören.

Nach Angaben der "Nutzer" werden von Hitzestrahlen Getroffene sofort außer Gefecht gesetzt. Dabei kommt es unter den Attackierten zu Panikreaktionen, die das Tottrampeln oder Ersticken in dem jeweiligen Areal Befindlicher zur Folge haben können. Besonders schwangere Frauen und deren ungeborene Kinder geraten in höchste Gefahr.

Oberst Tracy Taffola von den U.S. Marines erklärte prahlerisch: "Solche Waffen können zur Absicherung militärischer Operationen, für Sicherheitszonen, die Kontrolle aufgebrachter Volksmengen und an Check Points Verwendung finden."

Die kanadische "Globe and Mail" berichtete: "Verschiedene Entwicklungsvarianten von Hitzestrahlen sind seit Jahren getestet worden. Eine davon wurde 2010 auch nach Afghanistan geschickt, gelangte dort aber nicht zum Einsatz." Der australische Journalist Rob Gowland stellte daraufhin die Frage: "Warum benutzte man sie nicht? Waren sie vielleicht nicht tödlich genug?"

RF, gestützt auf "The Guardian", Sidney

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Volkspolen darf nicht in Vergessenheit geraten, trotz der Wojtylas und Walesas

Leszeks Brief

Im Sommer 1952 wurde ich Mitglied der Deutsch-Polnischen Gesellschaft für Frieden und gute Nachbarschaft, die später in der Liga für Völkerfreundschaft aufging. Dieser Zusammenschluß setzte sich für eine Friedensgrenze an Oder und Neiße ein. Die Gegenposition zu den revanchistischen Regierenden und den sie stützenden politischen Kräften im Westen war damals ein klares Bekenntnis deutscher Antifaschisten.

1954 berief mich die in Polen sehr verbreitete und im Unterschied zu später eher dubiosen Positionen damals konsequent sozialistische Studentenzeitung "Poprostu" (Ganz einfach) als ihren ständigen Berliner Korrespondenten. Ich unterbrach meine regelmäßige Berichterstattung für das Blatt übrigens auch nicht, als ich mich - wie damals nicht wenige von uns - nach einer Flugblattaktion vor den Westberliner Siemens-Werken zeitweilig im Gefängnis Moabit aufzuhalten gezwungen war. Mein Anwalt Friedrich Karl Kaul brachte die in der Zelle geschriebene Reportage auf den Weg, und "Poprostu" druckte den Text dann auf seiner Titelseite.

Als ich 1955 in die zu den V. Weltfestspielen nach Warschau reisende FDJ-Delegation aufgenommen wurde, erwarteten mich dort gute Freunde. Die "Poprostu"-Redaktion, von der ich in dem als inoffizielles Festival-Hauptquartier dienenden neuen Hochhaus-Hotel "Warszawa" einquartiert wurde, stellte mir ihren journalistischen Mitarbeiter Jerzy Urban als persönlichen Betreuer zur Seite. Natürlich konnte ich nicht ahnen, daß mein ständiger Begleiter später einmal Sprecher der letzten Regierung Volkspolens und danach Chefredakteur der als beherzt geltenden Zeitschrift "Nie" sein würde.

Ein anderer früherer "Poprostu"-Redakteur - Stanislaw Albinowski - arbeitete inzwischen bei der Warschauer Tageszeitung "Tribuna Mazowiecka", die von der Wojewodschaftsleitung der PZPR, wie man die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei abkürzte, herausgegeben wurde. Er hieß mich mit der Kolumne "Mój przyjaciel Klaus" (Mein Freund Klaus) willkommen, in der er neben ernsten Episoden aus unserer politisch-journalistischen Zusammenarbeit auch eine Groteske zum besten gab. So hatte der des Deutschen durchaus kundige Albinowski bei Redewendungen einmal in die falsche Kiste gegriffen. In einem seiner zahlreichen Briefe an mich wählte mein "Poprostu"-Partner statt der Worte "Bedürfnisse befriedigen" die nicht ganz identische Formulierung "Notdurft verrichten" und das obendrein noch mit Blick auf harmonische Beziehungen zu Frauen. In dem erwähnten Artikel bekannte sich Stanislaw vor den Lesern der "TM" zu seiner sprachlichen Fehlleistung.

Übrigens gibt es zu Albinowski, der Jahre später Bonner Korrespondent des PZPR-Zentralorgans "Tribuna Ludu" wurde, noch andere Anekdoten. Als Stotterer hatte er Schwierigkeiten, seine Worte zügig und zusammenhängend an den Mann zu bringen. Auf einer Pressekonferenz mit Willy Brandt begann der Bundeskanzler, nachdem er den Sinn erfaßt hatte, bereits mit der Antwort, bevor Stanislaw zum Schluß gekommen war. Als Brandt das Seine gesagt hatte, meldete sich der polnische Korrespondent noch einmal, um seine längst beantwortete Frage zu Ende zu bringen.

Phantastische Freunde besaß ich jahrzehntelang in Ela und Dr. Norbert Kolomejczyk. Beide, mit denen ich zunächst korrespondiert hatte und deren Gast ich dann wiederholt in Warschau sein durfte, waren Absolventen der Universität Kasan in der Tatarischen Autonomen Sowjetrepublik. Während Ela später im polnischen Innenministerium mit der Verfolgung von Kriegs- und Naziverbrechen befaßt war, arbeitete der leider früh verstorbene Norbert im Zentralen Archiv der PZPR als dessen stellvertretender Direktor. Nach jahrzehntelangem Briefwechsel konnte ich mit Ela einen Gedankenaustausch über ihre "RotFuchs"-Lektüre beginnen.

Natürlich bin ich besonders froh darüber, daß zu den engen Freunden, welche die besten Traditionen der polnischen Arbeiterbewegung und Volkspolens verkörpern, auch der bekannte Wroclawer Historiker Prof. Zbigniew Wiktor - ein dem "RotFuchs" von Beginn an verbundener ideologischer Kopf der polnischen Kommunisten unserer Tage - gehört.

Diesen Bericht will ich nicht abschließen, ohne das mich wohl am meis ten bewegende Erlebnis in der Chronik meiner Beziehungen zu Menschen im einstigen Nachbar- und Freundesland der DDR zu schildern: In der bereits erwähnten "Tribuna Mazowiecka" hatte ich - gewissermaßen als Erwiderung auf die Grußworte Stanislaw Albinowskis - nach der Rückkehr von der Fahrt einer Festivalabordnung in das Vernichtungslager den Artikel "Die Blumen von Auschwitz" veröffentlicht.

Darin schilderte ich meine Gefühle als junger deutscher Antifaschist, den polnische Mädchen und Jungen am Ort des Grauens umarmt und mit dem schönsten Blumenstrauß seines Lebens bedacht hatten. Nur Tage später erreichte mich der Brief des "TM"-Lesers Lech Opielínski. Er schilderte mir, was er als ehemaliger Häftling von Oswiecim gegenüber einem Deutschen Thälmannscher Gesinnung empfinde, der ihm in meinem Beitrag begegnet sei. Die letzten Worte lauteten: "Ich, Pole und Überlebender von Auschwitz, glaube und vertraue Dir."

Es war wohl kein Fehler, daß ich Leszeks Brief - seinen Verfasser hatte ich noch kurz vor dessen frühem Tod in einem Sanatorium der polnischen Sicherheitskräfte bei Warschau umarmen können - jahrzehntelang in meinem SED-Parteibuch aufbewahrt habe.

Klaus Steiniger

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Um was ging es im Februar 1948 beim Staatsstreichversuch in der CSR?

Ein historischer Rückblick

Manche Jahrestage bleiben gegen nostalgische Verklärungen oder zeitgeistige Verteufelungen resistent. Sie bewahren ihre mahnende Aktualität. Die Februar-Ereignisse des Jahres 1948 in der Tschechoslowakei gehören unbedingt dazu. Für die heute Herrschenden in Tschechien und der Slowakei sind sie fortdauernd ein Trauma, für das sie sich mit der "samtenen Revolution" im Jahre 1989 revanchieren konnten. (Immerhin gehörten die Familien Havel und Schwarzenberg mit ihrem milliardenschweren Immobilienbesitz zu den großen Verlierern von 1948.) Für Linke sind sie eine Quelle grundsätzlicher Lehren und praktischer politischer Schlußfolgerungen von ungebrochener, ja eher noch zunehmender Aktualität.

Der Druck der westlichen Regierungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf die großbürgerlichen oppositionellen politischen Kräfte und die ihnen zugesagte materielle und politische Rückendeckung lieferten die Motivation, nach Mitteln und Wegen zu suchen, die Entwicklung zur Volksdemokratie zu stören und möglichst aufzuhalten.

Den Vorwand dafür sahen sie in Maßnahmen des Innenministers der Regierung Klement Gottwalds zur strukturellen und personellen Umbildung der Sicherheitskräfte und zur Eliminierung feindlicher Aktivitäten in Polizei und Geheimdienst, die insbesondere von Angehörigen der Volkssozialistischen Partei ausgingen.

12 Minister dieser Partei, der Volkspartei und der Demokratischen Partei (Slowakei) reichten am 20. Februar 1948 nicht nur bei Duldung, sondern sogar mit verdecktem Rückhalt von Präsident Benes ihre Demission ein und lösten so eine Regierungskrise aus. Das war der Versuch, die Regierung Gottwald zu stürzen und vorgezogene Neuwahlen zu erzwingen. Unter den Akteuren befanden sich drei stellvertretende Ministerpräsidenten, die zugleich Parteivorsitzende waren. Sie spekulierten darauf, daß sich ihnen die Sozialdemokraten und Außenminister Jan Masaryk anschließen würden. Dieser hatte bereits am 4. Juli 1947, also vor der Pariser Konferenz über den Beitritt zum Marshallplan, vor dem Außenpolitischen Ausschuß der Verfassunggebenden Nationalversammlung sein Credo formuliert: "Wir unternehmen nichts, was als flagrante Unstimmigkeit mit der Sowjetunion ausgelegt werden könnte ..."

Die 12 Minister hatten sich aber bei ihrem kalten Staatsstreich wie ihre westlichen Auftraggeber verrechnet. In ihrer antikommunistischen Verblendung war ihnen weder das kleine Einmaleins der Politik noch die gültige Verfassung geläufig. Nach dem seit 1921 in der CSR geltenden Verfassungsrecht führt die Demission von weniger als der Hälfte der Regierungsmitglieder nicht zwingend zum Rücktritt der gesamten Regierung und zu Neuwahlen. Sie ermöglicht zunächst eine Regierungsumbildung. Ministerpräsident Klement Gottwald - zugleich Vorsitzender der KPTsch - vertrat deshalb die Position, den Rücktritt der Minister anzunehmen und das Kabinett durch Politiker zu ergänzen, die bereit waren, das beschlossene Regierungsprogramm zu erfüllen.

Nach langen Verhandlungen mit allen Konfliktparteien akzeptierte Präsident Benes am 25. Februar 1948 die Vorschläge des Ministerpräsidenten.

Im Ergebnis dessen sowie unter dem Druck machtvoller landesweiter Aktionen der tschechoslowakischen Arbeiterklasse und in Übereinstimmung mit der geltenden Verfassung sah sich der Präsident der CSR am 25. Februar 1948 veranlaßt, die Demission der Minister anzunehmen. Noch am gleichen Tag wurde auf Vorschlag von Klement Gottwald nach zuvor erklärter Demission des Kabinetts die umgebildete Regierung durch Präsident Benes ernannt. Damit fand die Regierungskrise formell ihr Ende. Auch das neue Kabinett war wieder eine Koalition, die dem breiten Bündnis der im Mai 1945 entstandenen Nationalen Front Rechnung trug: 7 von 19 Ministern gehörten der Sozialdemokratischen Partei, der Volkssozialistischen Partei, der Volkspartei aus den tschechischen Gebieten und der slowakischen Demokratischen Partei an.

Die von der KPTsch mobilisierten Volksmassen stellten sich mit außerparlamentarischen Massenaktionen (Kongreß der Betriebsräte, Generalstreik, Aktivitäten des Aktionsausschusses der Nationalen Front, Gründung der Volksmilizen, Kongreß der Bauernkommissionen) am 29.2.1948 hinter die KPTsch und die Regierung der Nationalen Front.

In der von antifaschistischen und antikapitalistischen Stimmungen geprägten Nachkriegsperiode vermochten die linken politischen Kräfte der Tschechoslowakei mit den Kommunisten an der Spitze die Pläne der Reaktion zu durchkreuzen. Sie taten das mit rechtsstaatlichen Mitteln und gestützt auf die revolutionäre Kraft außerparlamentarischer Aktionen, um die bestehenden Machtverhältnisse nach ihrem politischen Willen zu verändern. Darin bestehen die aktuelle Botschaft und die historische Lehre des Februar 1948.

Diese Erfahrung erweist sich heute für die Programmatik der KP Böhmens und Mährens als eine Art Lackmustest für einen künftig entweder revolutionär oder reformistisch geprägten Weg der Partei.

Klement Gottwald erklärte in seiner Rede auf der ZK-Tagung am 17. November 1948: "Ohne die führende Rolle der Kommunisten innerhalb der Nation, ohne daß uns die Mehrheit des Volkes als ihren Kopf, als ihr Hirn und als ihre Führerin anerkannte, wäre die Bourgeoisie nicht isoliert worden, hätte es keinen siegreichen Februar gegeben!"

Ein marxistischer tschechischer Analytiker nannte die bereits vor einem Vierteljahrhundert in der damals noch sozialistischen Tschechoslowakei begonnene und sich in Tschechien fortsetzende Restauration des Kapitalismus einen neoliberalen "Feldzug durch das böhmisch-schlesische Becken und die mährische Tiefebene". Das in Schockstarre und mit einer diffusen Erwartungshaltung verharrende werktätige Volk blieb wie in der DDR untätig, als sein Volkseigentum verschleudert, Grund und Boden verhökert und die Sozialsysteme auf kapitalistische Verhältnisse zugeschnitten wurden.

Hier wie dort hat die politische Führung des sozialistischen Staates versagt. Hier wie dort steht die Analyse dieser Vorgänge, die umfassende Beantwortung des Warum noch aus. Hier wie dort wurde für die Mißachtung elementarer historischer Lehren - darunter jener aus dem Februar 1948 - ein hoher Preis gezahlt.

Klaus Kukuk, Berlin

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Oktober 1993: Als Jelzins T-72 Schrecken säten

Die in Frankreich erscheinende Zeitschrift "Le Monde diplomatique" erinnerte unlängst an die Moskauer Geschehnisse unter Präsident Boris Jelzin im Oktober 1993. "Wir dulden die innere Opposition nicht mehr.

Wir müssen uns derer entledigen, die nicht unseren Weg mitgehen." Als der erste Präsident der neuen Russischen Föderation, Boris Jelzin, dies von sich gab, zielten bereits seit Tagen Panzer vom Typ T-72 auf das Gebäude, in dem der Kongreß der Volksdeputierten und der Oberste Sowjet tagten. Seit dem 4. Oktober schmetterten die Maschinengewehre ihre Salven. Einige Spezialkommandos lehnten es ab, Zivilisten in der Nähe des "Weißen Hauses" anzugreifen. Doch auf Befehl von Verteidigungsminister Gratschow feuerten die Panzerkanonen. Das Gebäude spie Rauch und wurde schwarz von Ruß. Erste Abgeordnete ergaben sich, während man Tote und Verwundete wegbrachte.

Dieses Kapitel der Geschichte des postsowjetischen Rußland vollzog sich vor Kameras aus aller Welt. Nach offiziellen Angaben forderte Jelzins "Sieg der Demokratie" 123 Tote. Andere Quellen zogen eine noch schrecklichere Bilanz und sprachen von bis zu 1500 Opfern. Es gab Straßenkämpfe, Jagden auf "Illegale" durch ganz Moskau, besonders auf Kaukasier, die in großer Zahl festgenommen wurden. Prof. Valeri Kudinow bestätigte die Zahl von 1500 Menschen, die durch Jelzins Schergen ihr Leben verloren - oft nur als Zuschauer am Rande des Geschehens. Sonderkommandos der Polizei und der Armee sowie nicht identifizierte Männer in Tarnkleidung waren in der Nacht vom 4. zum 5. Oktober im Moskauer Zentrum unterwegs, um Jagd auf "Feinde" zu machen.

Am 3. Oktober stürmten Hunderte empörte Moskauer die Polizeiketten um das "Weiße Haus", wo sich die rebellischen Abgeordneten aufhielten. Von dessen Balkon aus forderte der russische Vizepräsident Rutskoi die Unterstützer auf, das Fernsehzentrum Ostankino - "dieses Nest des Übels" - zu besetzen. Als sie dort ankamen, wurden sie bereits von einer Spezialtruppe erwartet, die hinterrücks das Feuer auf die Menge eröffnete. Etwa 300 Menschen fanden den Tod oder wurden schwer verwundet. Prof. Kudinow forderte die Leser von "Le Monde diplomatique" auf, die Druschinnikowskaja-Gasse aufzusuchen, wo mehr als tausend inzwischen ausgeblichene Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Toten oder Verschwundenen von deren Angehörigen ausgestellt sind.

Ein neuer Zaun um das Fußballstadion "Krasnaja Presnja" ersetzte den alten, weil der auf Menschenhöhe voller Einschußlöcher gewesen war. Hier hatten Polizisten und "Freiwillige" jene hingerichtet, welche aus dem "Weißen Haus" durch die Hintertür entkommen wollten. Der alte Zaun war ein überflüssiger Zeuge von Jelzins "Verteidigung der Demokratie" und mußte nach dem Blutvergießen verschwinden. Es ist die Rede davon, daß zwei Nächte nach dem Beschuß des russischen Parlaments Flöße voller Leichen auf der Moskwa trieben.

Übrigens: Vom Schauplatz des Geschehens am 4. Oktober 1993 waren es nur wenige hundert Meter zur Botschaft der USA. Deren Nachrichtenagentur CNN sorgte für die ständige Kolportage dessen, was sich ereignete.

Dr. Vera Butler, Melbourne, gestützt auf "Le Monde diplomatique" und "Le Monde", Paris

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Das Panzerregiment-1 der NVA schützte die DDR

Das Panzerregiment-1 erfuhr wegen der Hauptstadtnähe seines neuen Standorts Beelitz, des Übungsplatzes Lehnin und des ATS (Ausbildungstechnisches Zentrum) besondere Aufmerksamkeit der politischen und militärischen Führung der DDR. Militärdelegationen sowie Persönlichkeiten der Partei- und Staatsführung waren oft seine Gäste. Nach der 1972 erfolgten Bildung des Kommandos Landstreitkräfte habe ich meine enge Bindung, die ich von 1956 bis 1959 als Kommandeur der 1. Mot. Schützendivision zur Führung dieses Truppenteils und seinem Personalbestand hatte, aufrechterhalten. Man kann sagen, daß ich dem Panzerregiment-1 immer eng verbunden war. Deshalb freue ich mich besonders über das nunmehr vorliegende Buch.

Bernd Tuchel und Rolf Zander ist es gelungen, 20 ehemalige Angehörige des Regiments als Autoren zu gewinnen. Sie haben ihnen Gelegenheit gegeben, ihre Erinnerungen und Erfahrungen festzuhalten. Unter den Beteiligten befinden sich Vertreter aller Bereiche des Regiments: Zivilbeschäftigte, Soldaten, Unteroffiziere, Fähnriche und Offiziere. Auch Generale haben zur Feder gegriffen. Besonders freut es mich, daß zwei Frauen zu Wort kommen. Sie haben es mehr als verdient, auch weil wir während unserer aktiven Dienstzeit ihren Anteil viel zu selten und zu wenig gewürdigt haben. Etliche Berufssoldaten haben es maßgeblich ihren Frauen zu verdanken, daß sie selbst eine erfolgreiche militärische Laufbahn bewältigen konnten und eine glückliche Familie besaßen.

Das Buch erinnert nicht nur die heutigen Generationen daran, wie schwer es während des Kalten Krieges war, den Frieden zu sichern. Es wird auch denen, die nach uns kommen, eine wahrhaftige Darstellung dieser Zeit vermitteln. Sie werden kaum noch jemanden fragen können, der selbst dabei war, während in Schulen und an Hochschulen vermutlich nichts mehr darüber zu hören sein dürfte. Authentische Antworten auf ihre Fragen finden sie dann aber in unseren Büchern.

Ich bin mir sicher, daß sie den Aufzeichnungen von Zeitzeugen mehr Glauben schenken werden als der Darstellung jener, welche die Geschichte auftragsgemäß entstellen und einseitig beschreiben. In diesem Sinne hoffe ich, daß weitere ehemalige Angehörige der NVA Erlebtes zu Papier bringen. Sie sollten es tun, bevor sie es nicht mehr können.

In beeindruckender Weise wird im Buch auch deutlich, daß der letzte Kommandeur des PR-1, Oberst a. D. Bernd Niering, seine gesamte militärische Laufbahn in diesem Regiment absolviert hat. Er schreibt dazu: "Das Panzerregiment-1 war Teil meines Lebens - nicht der unwichtigste."

Generaloberst a. D. Horst Stechbarth

Bernd Tuchel, Rolf Zander: Das Panzerregiment-1 der NVA - Seine Geschichte und Erinnerungen, Steffen-Verlag, Berlin 2014, 240 Seiten, ISBN 978-3-942477-98-7, 19,95 €

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1918: SPD-Spitze würgte Munitionsarbeiterstreik ab

Anläßlich des 100. Jahrestages des Beginns des Ersten Weltkrieges gab es 2014 eine Flut von Veröffentlichungen. In etlichen wurde behauptet, die Völker seien in dieses Blutvergießen "wie in eine Naturkatastrophe hineingeschlittert". Niemand hatte Schuld, am allerwenigsten Deutschland. Daß der kaiserlich-deutsche Imperialismus diesen Krieg systematisch vorbereitet hatte, um seinen "Platz an der Sonne" einzunehmen, wurde kaum erwähnt. Auch die Ziele der anderen Großmächte blieben meist außer Betracht. Und daß es Widerstand gegen den Krieg gab, fiel fast völlig unter den Tisch. Angesichts dessen ist es verdienstvoll, daß Werner Ruch eine Schrift über Massenstreiks zwischen 1914 und 1918 vorgelegt hat. Er weist darauf hin, daß diese auch in der Ausstellung des Berliner Deutschen Historischen Museums ausgeklammert worden sind, sieht man von einem Dokument ab, in dem Hindenburg solche Arbeitsniederlegungen verurteilt.

Der Autor bietet eine Übersicht zur Zahl der Streiks und der an ihnen Beteiligten. Dabei geht er näher auf den Solidaritätsstreik für Karl Liebknecht ein. Der spätere Mitbegründer der KPD war nach seinem Friedensappell am 1. Mai 1916 auf dem Potsdamer Platz der Hauptstadt "wegen versuchten Kriegsverrats in Tateinheit mit erschwertem Ungehorsam im Felde und wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt" zu vier Jahren und einem Monat Zuchthaus unter Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte für die Dauer von sechs Jahren verurteilt worden.

Im Frühjahr 1917 streikten in Berlin, Halle, Braunschweig, Magdeburg, Bremen und anderen deutschen Industriestädten vor allem Metallarbeiter. Ihr Ausstand wird als die bis dahin größte revolutionäre Aktion mit klaren Forderungen für einen sofortigen Friedensschluß betrachtet.

Einen besonderen Platz in Werner Ruchs Darstellung nimmt der Munitionsarbeiterstreik im Januar 1918 ein. An ihm beteiligten sich mehr als eine Million Arbeiterinnen und Arbeiter in ganz Deutschland. Die in Berliner Betrieben gewählten 414 Vertrauensleute konstituierten sich zum Großberliner Arbeiterrat. Auf einer Zusammenkunft beschlossen sie einstimmig, die Führung des Kampfes um einen sofortigen Friedensschluß auf der Basis der Vorschläge Sowjetrußlands zu führen. Sie forderten die Aufhebung des Belagerungszustandes und eine durchgreifende Demokratisierung in Deutschland.

Das beunruhigte einige Führer der SPD. Deshalb setzten sie durch, daß Otto Braun, Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann in den zur Leitung des Streiks gebildeten Aktionsausschuß aufgenommen wurden.

Scheidemann sagte im Dezember 1924 als Zeuge im Prozeß des Reichspräsidenten Friedrich Ebert gegen den nationalistischen Redakteur Rothardt, der ihn des Landesverrats während des Krieges beschuldigt hatte, folgendes aus: "Wenn wir damals nicht in das Streikkomitee hineingegangen wären ..., dann wäre der Krieg und alles andere meiner festen Überzeugung nach schon im Januar erledigt gewesen. ... Durch unser Wirken wurde der Streik bald beendet und alles in geregelte Bahnen gelenkt."

Dieses Verhalten ist ein weiterer Beleg dafür, daß gewisse SPD-Führer allen Grund haben, sich solcher Teile der Geschichte ihrer Partei zu schämen.

Dr. Kurt Laser

Werner Ruch: Massenstreiks im Ersten Weltkrieg 1914-1918. Herausgeber: Die Linke, Friedrichshain-Kreuzberg, Geschichtskommission, Weidenweg 17, 10249 Berlin, Eigendruck 2014

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Upton Sinclairs Antikriegsappell ist neu erschienen

Der vergessene Antikriegsappell "War: A Manifesto Against It" von Upton Sinclair (1879-1968) ist neu herausgegeben worden. Der Autor, weltberühmt geworden durch seinen Reportage-Roman "The Jungle" (Der Dschungel), hat sich den Lesern mit Titeln wie "Alkohol", "Boston", "Hundert Prozent", "Jimmie Higgins" und "König Kohle" vor allem als Romanschriftsteller eingeprägt. Daß er darüber hinaus ein umfangreiches publizistisches Werk hinterlassen hat, in dem er immer wieder zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen Stellung bezog, ist heute weitgehend vergessen. So verfaßte er fünf Jahre vor Beginn des I. Weltkrieges mit "War: A Manifesto Against It" einen Artikel, in dem er die Sozialisten der Welt aufforderte, sich einem globalen Krieg, der sich bereits am Horizont abzeichnete, zu widersetzen.

Die von Sinclair erhoffte Resonanz auf diesen Appell entsprach nicht seinen Erwartungen. Nach der Erstveröffentlichung in der Londoner Wochenzeitung "The Clarion" druckten ihn nur drei englischsprachige Periodika ab. Auch Sinclairs Wunsch erfüllte sich nicht, daß sein Manifest vor allem bei den deutschen Sozialdemokraten Gehör finden würde. Sowohl der "Vorwärts" als auch Karl Kautsky, dem Sinclair seinen Appell zugeschickt hatte, lehnten es ab, ihn in der deutschen Parteipresse zu veröffentlichen. So blieb es - entgegen Kautskys Prognose, daß ihn auch in Österreich niemand zu publizieren wagen würde - der kleinen anarchistischen Wiener Zeitschrift "Wohlstand für alle" vorbehalten, im Oktober 1909 eine deutsche Fassung des Appells vorzulegen.

2014, als an den 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges erinnert wurde, sollte diese Ausgabe des Antikriegsmanifests der Vergessenheit entrissen werden. Die Publikation ist zugleich eine Reverenz an jene Redakteure, welche seinerzeit den Mut besaßen, diesen Appell gegen den Krieg zu veröffentlichen.

Dr. Edmund Schulz, Leipzig

Die 42 Seiten umfassende Arbeit Upton Sinclairs ist im Selbstverlag des Herausgebers erschienen. Sie kann für den Preis von 5 Euro bei Dr. Edmund Schulz, Hans-Marchwitza-Straße 2-513, 04279 Leipzig, bezogen werden.

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Heller schwimmt gegen den Strom

Wir stellen hier einen in der alten BRD aufgewachsenen und lebenden Autor vor, dessen schriftstellerisches Schaffen von ungewöhnlicher Vielfalt ist. Sein politisches Engagement offenbart beachtenswerte Konsequenz und Klarheit, wovon sich die RF-Leser bereits überzeugen konnten.

1941 im oberschlesischen Gleiwitz (Gliwice) geboren, wuchs Wolfgang Bittner in Ostfriesland auf und lebt heute in Göttingen. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft, Soziologie und Philosophie in Göttingen und München ging er verschiedenen Berufs- und Erwerbstätigkeiten nach, so als Fürsorgeangestellter, Verwaltungsbeamter und Rechtsanwalt. Ausgedehnte Reisen führten ihn nach Vorderasien, Mexiko, Kanada und Neuseeland. Als ausgewiesener Kenner und Liebhaber literarischer Genres hat er seit Mitte der 70er Jahre selbst zur Feder gegriffen.

Er verfaßte zahlreiche Kinder- und Bilderbücher, Jugendromane, Sachbücher, Theaterstücke für Erwachsene, Jugendliche und Kinder. In der Lyrik ist er ebenso zu Hause wie in der Prosa. Wolfgang Bittner publiziert in einer Reihe von Printmedien, wirkt für den Hörfunk und das Fernsehen als freier Mitarbeiter. Seine Werke, für die er mehrere Literaturpreise erhielt, wurden in viele Sprachen übersetzt. Auch als Bildender Künstler hat sich Wolfgang Bittner mit seinen Arbeiten (Metallplastiken, Malerei u. a.) einen Namen gemacht.

Er ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller und im PEN.

Die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" bezeichnete Wolfgang Bittner als "singuläre Erscheinung auf dem Literaturmarkt der Eitelkeiten". Aber er ist weit mehr, gehört er doch zu jenen Schriftstellern, welche ihre literarischen Abhandlungen nie losgelöst von den gesellschaftlichen Hintergründen betrachten und ihren politischen Standpunkt nicht verschweigen. Er ist einer, der den Mut hat, Farbe zu bekennen. Klare Aussagen zu den Grundfragen unserer Zeit sind ihm wichtig. Sein gesamtes literarisches Werk wird diesem Anspruch gerecht, so auch sein 2012 im Verlag André Thiele herausgegebener Roman "Hellers allmähliche Heimkehr".

Der Journalist Martin Heller kehrt nach langen Jahren in seine norddeutsche Heimatstadt als Chefredakteur der Regionalzeitung zurück und versucht dort Fuß zu fassen, wo ihn immer noch starke Wurzeln mit seiner Kinder- und Jugendzeit verbinden. Der Anfang ist vielversprechend: Alte Freunde, eine neue Liebe, ein kollegiales Umfeld machen es ihm nicht allzu schwer, der Vergangenheit ade zu sagen und in der Gegenwart anzukommen. Doch genau hier beginnt sich schnell Ernüchterung einzustellen. Was ihm in der idyllischen Kleinstadt Salfelden begegnet, sprengt sein bisheriges Vorstellungsvermögen. Provinzialismus gepaart mit Standesdünkel ergibt einen idealen Nährboden für Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit. Versteckt hinter einer gutbürgerlichen Fassade agiert ein von einflußreichen, korrupten Beamten, Unternehmern und Politikern gebildeter Bund, der es einer Gruppe Rechtsradikaler ermöglicht, gedeckt und geschützt von Polizei und bekannten Stadtgrößen ungestraft ihr Unwesen zu treiben.

Heller muß sich entscheiden. Und er tut es. Sein Welt- und Menschenbild gebietet ihm, mit seinen journalistischen Möglichkeiten gegen den vorgefundenen Filz vorzugehen und die Bürger wahrheitsgemäß zu informieren. Er ist ein Kämpfer, kein Duckmäuser. Und so deckt er Skandal für Skandal auf, berichtet darüber und gerät naturgemäß mit dem Herausgeber und Eigentümer des Blattes, der selbst in das rechtsradikale Milieu verstrickt ist, in Konflikt.

Was sich in größeren Dimensionen im Landesmaßstab politisch fernab vom einzelnen vollzieht, kann man in der kleinen Stadt hautnah erleben. Sie alle haben ein Gesicht, einen Namen, eine Adresse: der Sparkassendirektor, der Leiter des Finanzamtes, der Direktor des Amtsgerichts, Kaufleute, Fabrikbesitzer, Rechtsanwälte, höhere Beamte ­... Man kennt und schätzt sich, weil sie alle eins verbindet: Geld, Macht und Einfluß. So läßt man jene gewähren, die mit ihren faschistischen Umtrieben den Geist, dem man selbst anhängt, wachhalten.

"Hellers allmähliche Heimkehr" ist sowohl ein lyrischer als auch ein kämpferischer Roman. Einfühlsam werden ebenso die Tiefen der menschlichen Psyche wie das aus der kapitalistischen Ordnung resultierende Handeln der Menschen erklärt.

Wolfgang Bittners Sprachstil ist spannungsbetont und macht neugierig auf die nächste Seite. Er beherrscht die Kunst der literarischen Argumentation, bei der es nie langweilig wird und die den Leser zu tieferen Einsichten über politische Vorgänge aus Vergangenheit und Gegenwart führt.

Der Autor läßt seinen Romanhelden sagen: "Unsere Geschichte wird so sein, wie wir sie gestalten." Heller handelt ganz in diesem Sinne und findet am Ende bestätigt, daß es richtig war, heimzukehren, dorthin, wo es Menschen gibt, die sich wie er der Verteidigung der Würde des Individuums verpflichtet fühlen.

Bruni Steiniger

Wolfgang Bittner: Hellers allmähliche Heimkehr. Verlag André Thiele, Mainz 2012, 242 S., 19,90 €

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Wuppertaler Projektgruppe beging Auschwitz-Tag mit "Professor Mamlock"

Ein weltbewegendes Drama Friedrich Wolfs

Die Wuppertaler Projektgruppe "Ernst Toller" hatte aus Anlaß des 70. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee zu einer szenischen Lesung des Dramas "Professor Mamlock" von Friedrich Wolf eingeladen. Ihr Leiter Dr. Dirk Krüger schrieb eine Skizze über den herausragenden kommunistischen Schriftsteller und sein wiederholt verfilmtes Theaterstück.

Friedrich Wolf wurde 1888 als einziger Sohn jüdischer Eltern in Neuwied am Rhein geboren. Nach dem Abitur studierte er Medizin. 1920 erhielt er in Remscheid eine Anstellung als Stadtarzt. Seit November 1921 praktizierte Friedrich Wolf in Hechingen. 1927 übersiedelte er nach Stuttgart, wo er als Arzt für Naturheilkunde und Homöopathie tätig war.

1928 hielt er, nun bereits Mitglied der KPD, auf der Tagung des Arbeiter-Theater-Bundes Deutschlands die programmatische Rede "Kunst ist Waffe!" Anfang März 1933 entging der 45jährige drohender Verhaftung durch seine Entscheidung für das Exil. Er floh über Österreich zunächst in die Schweiz, um seine Emigration dann in Frankreich fortzusetzen. Dort begann er die Arbeit am Schauspiel "Professor Mamlock".

Im November 1933 reiste Wolf nach Moskau, um die Übersiedlung seiner Familie vorzubereiten. 1934, 1936 und 1937 wurden am "Deutschen Staatstheater Engels" in Engels, dem Zentrum der Wolgadeutschen Autonomen Sowjetrepublik, und in Moskau Schauspiele von ihm uraufgeführt.

1938 befand er sich erneut in Frankreich. Er wollte als Truppenarzt zu den Internationalen Brigaden nach Spanien, kam aber zu spät, da diese bereits in Auflösung begriffen waren. Er lebte danach in Paris und später mit zahlreichen deutschen Exilschriftstellern in dem kleinen Mittelmeerort Sanary-sur-Mer, wo er für sie die ärztliche Betreuung übernahm.

Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Friedrich Wolf als "verdächtiger Ausländer" von den französischen Behörden verhaftet und im Lager Le Vernet, später in Les Miles, interniert.

1941 erhielt Wolf die sowjetische Staatsbürgerschaft und entzog sich damit seiner Auslieferung durch die Vichy-Regierung an Nazi-Deutschland. Er kehrte zu Frau und Kindern in die UdSSR zurück und beteiligte sich nach dem faschistischen Überfall auf vielfältige Weise am Kampf gegen den Aggressor.

1945 begab er sich nach Deutschland und nahm seinen ständigen Wohnsitz in der sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR, für die er 1950/51 als erster Botschafter in Polen tätig war. Als Friedrich Wolf am 5. Oktober 1953 starb, hinterließ er der Nachwelt ein außerordentlich wertvolles literarisches Werk. Nach der Zerschlagung der DDR rückte der Name im Zusammenhang mit der Verfolgung seines Sohnes Markus, des langjährigen Leiters der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS, noch einmal ins öffentliche Bewußtsein.

Ohne über Friedrich Wolf viel zu wissen, erfreuen sich im Dezember Jahr für Jahr noch immer Millionen Kinder und Erwachsene an der hinreißenden Verfilmung seiner Geschichte "Die Weihnachtsgans Auguste". Friedrich Wolfs Schauspiel "Professor Mamlock" ist in die Chronik des antifaschistischen Widerstandes wie die deutsche Nationalliteratur eingegangen. Stoff und Heldenwahl wurden von der Nachricht veranlaßt, daß der jüdische Chefarzt einer deutschen Klinik unter faschistischem Terror Selbstmord begangen hatte. Da Wolf selbst Arzt war und über gründliche Kenntnisse der gesellschaftlichen Situation wie über den Bewußtseinsstand der deutschen Intellektuellen verfügte, griff er das Thema auf.

Wolf begann mit der Arbeit an dem Schauspiel unmittelbar nach dem Reichstagsbrand und beendete sie im Juli 1933 auf der französischen Insel Brehat.

Die Premiere - noch unter dem Titel "Der gelbe Fleck" - fand in Anwesenheit des Autors im Februar 1934 am Warschauer Kaminski-Theater in jiddischer Sprache statt, die eindeutiger akzentuierte deutschsprachige Erstaufführung erfolgte am 8. November 1934 im Züricher Schauspielhaus. Sie machte das Stück weltweit bekannt.

1946 erlebte "Professor Mamlock" dann im Berliner Hebbel-Theater eine vielbeachtete Aufführung. Danach wurde das Stück auf zahlreichen Bühnen gezeigt. Ein Kritiker sprach sogar von einem "Triumphzug". Heute ist es nahezu in Vergessenheit geraten und aus den Spielplänen der Bühnen verschwunden.

Der erste nach dem Schauspiel gedrehte Film kam 1938 in der Sowjetunion heraus und wurde zu einem Welterfolg. Konrad Wolf, ein anderer Sohn des Dramatikers, verfilmte "Professor Mamlock" dann 1960/61 abermals und erzielte damit eine nicht minder starke internationale Resonanz. Der Untertitel "Tragödie der westlichen Demokratie" deutet den Grundkonflikt an, den Wolf mit seinem Stück literarisch aufgreifen wollte. Der jüdische Arzt Professor Mamlock hat sich ein unveräußerliches Bild vom bürgerlichen Staat als dem Inbegriff von Gerechtigkeit geschaffen. Als ihn der faschistische Terror zu neuen Erkenntnissen zwingt, entschließt er sich zu spät und allein zum Widerstand. In seiner Verzweiflung wählt er den Freitod.

Wolf stellt die Frage nach Schuld und Verantwortung der Deutschen für die Errichtung der Hitlerdiktatur. Er bezeichnet sein Stück nicht als Tragödie, sondern nennt es ein Schauspiel, da es für seinen Helden Alternativen gegeben hätte. Diese verkörpert der Student Rolf, der 20jährige Sohn des Arztes. In ihm erwächst Mamlock ein echter weltanschaulicher Gegenspieler. An seine Seite stellt der Autor den jungen Proletarier Ernst. Die beiden vereint der Kampf gegen die Hitlertyrannei. Wolf konfrontiert das Schicksal seines Protagonisten bewußt mit einer zweiten Handlungslinie, die den illegalen Arbeiterwiderstand gegen die Faschisten ins Bild rückt. Rolf sieht die politische Blindheit der großen Masse der deutschen Bevölkerung - sein eigenes Elternhaus bietet ihm ein anschauliches Beispiel dafür - und erkennt die Notwendigkeit des politischen Kampfes.

Diese Figurengruppe (Rolf, Ernst), zu der letzten Endes auch die Entwicklung von Inge Ruoff hinführt, steht Mamlock als weltanschauliche Front gegenüber. Sie trägt in besonderem Maße dazu bei, das Schauspiel zu einem erschütternden Erlebnis zu machen, das dazu anregt, über eigenes Denken und Handeln in heutigen Auseinandersetzungen mit faschistischen und "rechtskonservativen" Kräften nachzudenken.

Dr. Dirk Krüger, Wuppertal

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Heimat
Aus: Kurt Tucholskys "Deutschland, Deutschland über alles" (1929)

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Bei DDR-Schülern galt "Das siebte Kreuz" als ein ethisch-moralischer Maßstab

Aus der Entstehungsgeschichte eines großen Seghers-Romans

Mit ihrem Roman "Das siebte Kreuz", der zuerst 1942 in einem mexikanischen Exilverlag erschien, erlangte Anna Seghers Weltruhm. Das Buch gehört zum unverlierbaren Erbe humanistischer Weltliteratur und hat den Widerstandskämpfern gegen faschistischen Terror ein bleibendes Denkmal gesetzt. Millionenfach wirkte die Geschichte von der Flucht des Kommunisten Georg Heisler aus dem Konzentrationslager Westhofen aufklärerisch und ermutigend auf junge und ältere Leser. Die Schüler in der DDR haben "Das siebte Kreuz" im Deutschunterricht behandelt. Über das Werk wurde dort lebhaft diskutiert, in einigen Fällen bearbeitete man es dramaturgisch und führte es auf.

Doch in der alten BRD blieb der Roman bis Anfang der 70er Jahre nahezu unbeachtet - und dies, obwohl er bereits 1944 in den USA verfilmt und der Autorin 1947 dafür in Darmstadt der begehrte Georg-Büchner-Preis zuerkannt worden war. Es lohnt sich, "Das siebte Kreuz" noch einmal oder auch zum ersten Mal zu lesen, seiner Entstehungsgeschichte nachzugehen, denkwürdige Orte und Schauplätze aufzusuchen. Sie finden sich in der Region zwischen Frankfurt am Main, Mainz und Worms, aber auch in Berlin.

"Jedes Jahr geschah etwas Neues in diesem Land und jedes Jahr dasselbe: daß die Äpfel reiften und der Wein bei einer vernebelten Sonne und Mühen und Sorgen der Menschen", besingt die Dichterin im ersten Kapitel ihre Heimatregion. Doch als Netty Radvanyi geborene Reiling, die unter dem Künstlerpseudonym Anna Seghers veröffentlichte, diese Zeilen um 1938 aufschrieb, befand sie sich in Paris und unerreichbar fern von rheinischen Obst- und Weingärten.

Schon 1933 hatte sie - als Jüdin, Kommunistin und unabhängige Intellektuelle gleich mehrfach stigmatisiert - Nazideutschland verlassen müssen. Da war sie bereits seit 1928 im deutschsprachigen Raum als Kleist-Preisträgerin mit ihrer Erzählung "Aufstand der Fischer von St. Barbara" bekannt. Geboren und aufgewachsen war Netty Reiling in einem jüdisch-orthodox geprägten, wohlhabenden und als liberal einzuordnenden Mainzer Elternhaus. Sie hatte sich jedoch schon als Studierende in Köln und Heidelberg nach geistig intensiven, auch schmerzhaften Auseinandersetzungen aus dem Herkunftsmilieu gelöst und marxistischem Ideengut zugewandt.

Die Gegend um Worms ist einer der Schauplätze im "siebten Kreuz". Hier, in Osthofen, hatten die Faschisten schon bald nach ihrem Machtantritt im Mai 1933 ein frühes Konzentrationslager errichtet, in dem Hunderte Kommunisten und Sozialdemokraten, aber auch Christen und Juden gequält und gedemütigt wurden. Ein Jahr lang bestand dieses KZ, dann bauten die Faschisten nach dem "Pilotprojekt" noch tödlichere Lager. Weithin bekannt und gefürchtet war Osthofen, so wissen es noch immer alteingesessene Bewohner der Region. Seit sich ab 1978 überlebende ehemalige Häftlinge, später auch engagierte Gewerkschafter und christliche Friedensfreunde für den Erhalt des Gebäudes als Gedenkstätte einsetzten, nimmt sich auch das SPD-regierte Rheinland-Pfalz des Erinnerungsortes an. Besucher können sich dort in einer 2002 eröffneten Dauerausstellung über das einstige KZ informieren.

Wer sich der fachkundigen Führung durch das Gelände anschließt, erfährt: Nur einem Gefangenen ist die Flucht aus der Hölle Osthofen gelungen. Der damals 30jährige Max Tschornicki aus Rüsselsheim, seit Jugendtagen in der sozialistischen Arbeiterbewegung aktiv, war 1933 mit der ersten Verhaftungswelle dorthin gekommen. Über abenteuerliche Fluchtwege schaffte er es ins Pariser Exil. Dort traf er Anna Seghers und berichtete ihr. Buchenau, Oppenheim, Mainz, Flöchst, Frankfurt-Niederrad - Georg Heislers Fluchtweg ist nicht mit dem des Rüsselsheimer Genossen identisch, und aus Osthofen wird im Roman Westhofen. Doch aus Tschornickis Erlebnisberichten gewinnt die Dichterin ihren Stoff. In Paris - während einer ihrer intensivsten, fruchtbarsten Schaffensperioden - formt sie frei Fabel und Handlung. Die genaue Kenntnis der Orte und ihrer Bewohner, dazu das Flair der Landschaft und die Erinnerung an das einstige Zuhause beflügeln die Schreibende.

Wohl auch wegen der das Werk durchströmenden wahrhaftigen Liebe zur rheinischen Heimat ist dem Buch "Das siebte Kreuz" und seiner Autorin in der Osthofener Gedenkstät te ein eigener Raum gewidmet.

Für die Familie Radvanyi - Netty, genannt Anna Seghers, und Ehemann Laszlo mit den Kindern Peter und Ruth - begann nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf Frankreich ein Überlebenskampf, der sie über Marseille, Mexico City und New York nach Schweden führte.

Als Anna Seghers 1947 wieder nach Deutschland kam, lagen 14 Jahre Emigration hinter ihr. Trotz oftmals widriger Schaffensbedingungen hatte sie mehrere ihrer wichtigen Arbeiten meisterhaft bewältigt. Kaum jemand unter den Literaten vermochte das Thema Verfolgung, Flucht und Exil - brandaktuell wie ehedem - so packend, realistisch und engagiert zu bearbeiten wie sie.

1950 fand Anna Seghers in der erst kurz zuvor gegründeten DDR eine neue Heimat, für die sie fortan ihre Kraft als künstlerisch Schaffende, als Friedenskämpferin und als langjährige Vorsitzende des Schriftstellerverbandes einsetzte.

1981 - zwei Jahre vor ihrem Tod - wurde der bedeutenden Literatin die Ehrenbürgerschaft ihrer Geburtsstadt Mainz verliehen, nachdem ihr künstlerisches Werk zuvor von den in der BRD maßgeblichen Verlagsleitungen und Kulturpolitikern jahrzehntelang ignoriert worden war.

In der ihr während des Zeitraums von fast 30 Jahren als Berliner Heim- und Arbeitsstätte dienenden Wohnung in der Adlershofer Volkswohlstraße 81, jetzt Anna-Seghers-Straße, befindet sich heute eine öffentlich zugängliche Sammlung wichtiger Materialien über Leben und Schaffen der Schriftstellerin. Die Anna-Seghers-Gesellschaft Berlin und Mainz e. V. hat hier ihren Sitz. Sie organisiert Vorträge, Gesprächsforen oder Lesungen, so von Trägern des Anna-Seghers-Literaturpreises. Er wird - dem Testament der Dichterin entsprechend - alljährlich an junge fortschrittliche Autoren aus Entwicklungsländern verliehen.

Marianne Walz

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Einmal, Mitte der achtziger Jahre, rief mich ein Schüler der zehnten Klasse aus Thüringen an. Seine Lehrerin habe den Abgängern eine Auswahl von Gedichten für die letzten Aufsätze angeboten. Robert wählte einen Liedtext von mir. Aber als er dann zu schreiben versuchte, was die Dichterin den Menschen sagen wollte, wurde es schwierig. Es stand ja alles schon da: "Soll der Mensch den Menschen nie mehr nach der Schlacht betrauern/muß auf dieser Erde eben / Frieden wie das eigne Leben kostbar sein / und dauern ..."

Ehe Robert aber lange am Stift kaute, rief er mich an. Es war ein schönes, langes Gespräch, und wir einigten uns auf Lob für das Thema, aber auch Kritik an einer Stelle, die ich ihm vorschlug.

Für den Aufsatz bekam er eine Eins.

Und dann schrieb mir die Lehrerin: Robert hatte bei der Auswertung erzählt, er habe mich angerufen. Die Schüler waren begeistert. Sie hatten auch gleich einen Vorschlag: "Und jetzt rufen wir Heinrich Heine an."

Diese Geschichte ist wahr und wurde viel belacht. Das wird sich ändern.

Noch zu meinen Lebzeiten könnte es sein, daß mich jemand erstaunt anguckt und sagt: "Ja, und? Warum solln se denn nich Heinrich Heine anrufen? Vielleicht is' er nich zu Hause, aber er wird doch wohl 'n Anrufbeantworter haben. Kann er doch zurückrufen!"

Böse Unterstellung?

Gestern habe ich in der Zeitung gelesen: "Flüchtlinge kriegen keine Leistungen."

Ich weiß, daß Sozialleistungen gemeint sind. Aber die Sprache ist verräterisch.

Knapp und kalt werden Bedürftige oft am Schalter abgefertigt, von überforderten Mitarbeitern, die sich vor Mitgefühlen schützen, und denen es inzwischen allzuoft egal ist, wer da was zu fordern oder zu erbitten sucht. Sei es eine Chance für eine aussichtsreiche Lebensleistung oder unverdienter Komfort.

Eine meiner Töchter arbeitet in einem solchen Center. Ihre Abgeschabtheit und Überforderung ist nicht zu übersehen.

Die Sprache der Zeitungen - fast ausnahmslos! - ist grob geworden, trieft vor Stellungnahme und Vorurteil, und wir haben es mit einer Blüte der Ausschmückung von Behauptungen zu tun.

"Drei Präsidenten ehren die heiligen, die 'Ewigen Toten' vom Maidan." Neben Donald Tusk ist Bronislaw Komorowski zu sehen, und natürlich unser Reisender für Betroffenheit, immer bereit für das falsche Wort am rechten Platz.

Die Trauerfeier ist zu ehren, denn Scharfschützen haben Menschen in Kiew von Dächern aus niedergemäht. Wer die Täter waren, blieb verdächtig unermittelt. Es hieß lange, sie seien unbekannt. Aber nun hat der Besitzer der ukrainischen Schokolade, überdies Verkäufer der meisten Bestattungen in der Ukraine, verkündet, es gäbe Beweise dafür, daß Russen die Mörder auf dem Dach waren. Warum zeigt er die Beweise nicht? Dann könnten wir doch auch empört sein und Putin noch einen Felsen in den Weg legen.

Ihn nur zu beleidigen ist ja inzwischen abgenutzt. Ich wehre mich gegen den Vergleich, aber ich war als Achtjährige mit meiner dritten Klasse zum Pflichtbesuch in der Ausstellung "Das Sowjetparadies". Ich kann mich nur an Stroh als angebliche Betten und an große Bilder erinnern, auf denen Hungernde zu sehen waren. Auch an das Wort "Vergewaltigung". Über das ich nicht nachdachte, denn sein Kern "Gewalt" war mir sehr bekannt. Von der Gruppe Baum erfuhr ich erst Jahrzehnte später und habe mich lange gefragt, ob der Preis, den diese wichtigen Menschen gezahlt haben, ihre Hinrichtung, nicht zu hoch war. Wenn ich allein daran dachte, wie schwach der Eindruck der Ausstellung auf mich blieb. Und ich war damals schon hoch begierig, über möglichst alles möglichst viel zu erfahren.

Was manche Sieger den Frauen der besiegten Männer antun, ist ein böser Teil der Weltgeschichte, und gerade eben, auch im schwachen Frieden, findet die Gewalt vor den Augen der Menschheit statt: Verheiratung schon als Kind, noch immer Beschneidung und ausgehandelte Hochzeiten, Entführung und Ehrenmord - oder Hinrichtung, wenn das Weib sich wehrt. Das ist Alltag in mehreren Ländern, immer noch.

Mich bekümmert auch, in welchem Ausmaß unsere Sprache sich der Verständigung entzieht, ihre Schönheiten immer weniger wahrnimmt, ihre Regeln mißachtet, sie verarmen läßt. "Es war, als ob der Himmel die Erde still geküßt ...", wer kennt noch die nächste Zeile?

Wenn es mir schlecht geht, singe ich manchmal leise: "Ich möcht' am liebsten sterben, da wär's auf einmal still!", ach und unser vielleicht schönstes Lied: "Der Mond ist aufgegangen ..." Ich könnte erzählen, wie ich dieses Juwel einmal in eigene Arbeit eingeflochten habe, aber ach ...

Die Kritik darf fast alles. Sie darf auch in der Morgenzeitung verreißen, was am Abend vom Publikum bejubelt wird. Sie konnten es, ob Fontane, Tucholsky oder Polgar, Ihering und Anton Kuh ...

Nur: Sie muß ein Risiko eingehen. Und dessen hat sie sich bewußt zu sein.

Die Arbeit der Kritiker wird im Idealfall einer gleichwertigen anderen Meinung ausgesetzt, die ihre berufliche Kompetenz in Frage stellen kann.

So war das jedenfalls, aber es ist nicht mehr so. Die Inkompetenz der Zuschauer, Leser oder Hörer ist ein Freibrief für die Geschmacksurteile der Rezensenten.

Manchmal sehe ich mir einen Teil der Serie "In aller Freundschaft" an. Warum? Weil die Karusseit mitspielt, die ich freilich lieber mit den großen Altersrollen auf der Bühne sehen würde; weil Rühmann dieses schöne Theater am Rande der Republik betreibt; weil er auf dem Bildschirm eher untertreibt, statt sich aufzuspielen, und weil mich die Konflikte von Personal oder Patienten interessieren. Die Serie hat eben einen Preis bekommen. In einer Zeitung lese ich mit wenigen Zeilen einen groben Verriß, sehr arrogant und wie nebenbei, ähnlich unanständig nachlässig und total wie bei "Als wir träumten." Begründung für die Ablehnung der Krankenhaus-Serie: "Wunderheilungen in fünfzig Minuten." Das hat bei der "Schwarzwaldklinik" niemand geschrieben, bei "Dr. House", vielgerühmt, oder der amerikanischen Serie aus der Notaufnahme auch nicht, oder genauso. In all diesen Produkten geht es um Konflikte. Da wird über Bewältigungen verhandelt, die mir als Zuschauer vielleicht einen Rat geben. Oder mein Leben kommt mir im Vergleich viel schöner vor.

Ich erinnere mich an Hans-Joachim Stein, der für den "Eulenspiegel" nach Westberlin durfte und einen Film glänzend und witzig verriß. Der war aber nicht gespielt worden. Stein hatte einen Tag Aufschub, schrieb neu und noch witziger. Lob und Ermahnung nahm er entgegen, aber beim Rausgehen sagte er leise zu mir: "Ick hab den aba imma noch nich jesehn." Mir ist dergleichen von Kritikern widerfahren; ich habe es zu unterlassen gewußt.

Aber ich meide, was sich inzwischen an Inszenierungen auf den Bühnen tut, denn ich habe dem Theater Erlebnisse zu danken, die ich in meiner Seele aufhebe. Ich will Macbeth nicht als Russenschimpf sehen. Und wenn Armin Rohde mir abends sein Können als Charakterdarsteller beweist, möchte ich nicht morgens lesen: "Als Schauspieler muß man wahnsinnig sein ..." Ach Gott! Und als Hausfrau nicht? Als S-Bahn-Kontrolleur?

Auch ich möchte mal nichts als glücklich sein. Und möglichst über Nacht das immer kaum zu Glaubende erleben: daß ein Frühling einzieht, in dem alles wiederkehrt. Immer dieser Fliederduft, dieser geschwängerte Wind in Werder, diese unwiderstehliche Erwartung: auf Zeit, auf Geduld, auf Einsicht, auf Nachdenken in den Köpfen, die jetzt unser Leben regieren. "Noch lebe ich, und also ist alles ein Anfang ..." Der Frühling kommt, da sprießt vielleicht auch die Hoffnung auf die Nelke der Vernunft. Und du, du sorge dafür, daß sie nicht allein regiert!

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Leserbriefe an RotFuchs

Bürgerinnen und Bürger aus Marzahn-Hellersdorf gedachten am 23. Februar am Haus Landsberger Allee Nr. 563 der Befreier von Faschismus und kapitalistischer Barbarei. Das symbolträchtige Gebäude mit dem Datum des 21. April 1945 am Giebel war während der Berliner Operation der Roten Armee im 2. Weltkrieg das erste Haus der "Reichshauptstadt", das von den Nazitruppen befreit wurde.
Vor dem Hintergrund einer systematisch betriebenen antirussischen Stimmungsmache, die mit der skrupellosen Verfälschung der Geschichte und der Herabwürdigung des sowjetischen Anteils am Sieg über den Faschismus einhergeht, setzten die Teilnehmer des Gedenkens ein Zeichen dagegen. Die Rote Armee wurde am 23. Februar 1918, nur kurze Zeit nach der Oktoberrevolution, gegründet. Auf den Tag 97 Jahre später zeigten die bei der Ehrung Anwesenden, daß die Erinnerung an die Oktoberrevolution und die Rote Armee, die aus ihr hervorging, noch nicht erloschen ist.

Herbert Rubisch, Berlin


Ganz nebenbei teilte "Spiegel online" mit, die Abgeordneten der Russischen Duma dächten darüber nach, "die deutsche Wiedervereinigung als Annexion zu brandmarken". Das ND berichtete am 29. Januar, auf dem Tisch des russischen Parlaments liege eine Resolution zur Verurteilung der "Annexion der DDR durch die Bundesrepublik". Im Gegensatz zum völkerrechtlich einwandfreien Referendum über den Anschluß der Krim an die Russische Föderation war die Angliederung der DDR erfolgt, ohne die Bevölkerung zu befragen. Für die erwähnte Haltung der Duma-Abgeordneten und die Besonnenheit des russischen Präsidenten Wladimir Putin angesichts der von den imperialistischen Kriegstreibern geschaffenen brandgefährlichen Situation als auch für den 8. Mai 1945, an dem mein Vater und mein Großvater nach zehn KZ-Jahren von der Roten Armee befreit wurden, möchte ich an dieser Stelle einfach mal spasibo sagen.

Monika Kauf, Berlin


Ich grüße das ganze "RotFuchs"-Kollektiv und seine Leser. Die Zeitschrift ist eine große Hilfe bei der hiesigen Agitationsarbeit. Für uns Kommunisten und alle auf unserer Seite Stehenden ist es sehr interessant zu wissen, wie unsere Genossen in Deutschland leben und arbeiten, wie sie die derzeitige Weltsituation beurteilen. Auf solche Fragen gibt der RF Euch wie uns Antworten. Ihr sollt wissen, daß man sich in meiner Heimatstadt im Ural noch an die großen deutschen Kämpfer gegen Kapital und Faschismus erinnert. Nach wie vor gibt es bei uns Straßen, die nach August Bebel, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Ernst Thälmann benannt wurden.
Nieder mit den Faschisten in der Ukraine!

Alexander Koschewnikow, Jekaterinburg


Hej, wir sind "RotFuchs"-Abonnenten in Schweden und freuen uns über jede neue Ausgabe. Euer Material nützt uns sehr, und wir versuchen, es nach Kräften weiterzuverbreiten. Wir wünschen Euch auch für die Zukunft Erfolg bei Eurer wichtigen Arbeit! Mit besten Grüßen in alter Freundschaft, vor allem an meinen früheren Kollegen Klaus Steiniger.

Barbara und Rolf Hagel, Järfälla, Schweden

Wir grüßen die einstige Skandinavien-Redakteurin in der Abteilung Außenpolitik des ND, damals bekannt unter dem Namen Barbara Loy, und ihren Mann Rolf Hagel, den langjährigen Vorsitzenden der schwedischen Arbeiterpartei - Die Kommunisten (APK) sehr herzlich.


Monat für Monat erhalte ich seit etlichen Jahren den "RotFuchs". Ich lese jede Ausgabe vom Anfang bis zum Ende. Manchmal übersetze ich auch Artikel für unsere Zeitschrift "The Socialist Correspondent", da ich in unserer Redaktion die einzige bin, die Deutsch lesen kann.
Der "RotFuchs" informiert mich über vieles, erinnert mich an unsere liebe DDR und verleiht mir Stärke. Da ich besonders auf dem Gebiet der Wohnungspolitik aktiv bin, behalte ich immer im Gedächtnis, daß es für diese Frage eine Lösung geben kann, weil in der DDR und den anderen sozialistischen Ländern eine humanistische Wohnungspolitik verfolgt wurde, die so unter kapitalistischen Bedingungen nicht möglich ist. Dennoch bleibt meine Losung: Baut Wohnungen zu erschwinglichen Mieten für alle!

Pat Turnbull, London


Der neu ins Amt gekommene linke Ministerpräsident Tsipras legte unmittelbar nach seiner Vereidigung am Mahnmal für von den deutschen Faschisten hingerichtete Widerstandskämpfer im Athener Stadtteil Kaisariani Blumen nieder. Das war seine erste Amtshandlung als Regierungschef.
Der ebenfalls gerade vereidigte thüringische Ministerpräsident Ramelow (Die Linke) stattete der Erfurter "Stasi"-Gedenkstätte einen Arbeits- und Aufmerksamkeitsbesuch ab.
Zwei bemerkenswerte Schwerpunktsetzungen, finde ich.

Paul Jattke, Chemnitz


Griechenlands KKE begründet ihre ablehnende Haltung gegenüber Syriza damit, daß diese lediglich auf Verbesserungen unter kapitalistischen Verhältnissen orientiert sei, nicht aber die Mobilisierung der Arbeiterklasse zum Sturz der kapitalistischen Gesellschaftsordnung als Aufgabe Nr. 1 betrachte. Es ist unstrittig, daß das Syriza-Programm mit der Zielstellung, unsoziale Einschnitte der bisherigen Regierungen in die Lebensverhältnisse der einfachen Menschen rückgängig zu machen sowie die Steuer- und Kapitalflucht der Reichen zu bekämpfen von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung ist. Jedenfalls ist noch keine sozialdemokratische Partei in Regierungsverantwortung auf solche Weise gegen den Raubzug der Monopole auf den Plan getreten.
Genau in diesem Sinne hatte 1961 auch das vom VIII. Parteitag der KKE beschlossene Programm die Notwendigkeit der Bildung einer breiten patriotischen Front für die national-demokratische Umwandlung des Landes unterstrichen. Die dazu in einem gewissen Widerspruch stehende Politik der derzeitigen KKE-Führung könnte darauf schließen lassen, daß die frühere Orientierung nicht weiter verfolgt wird. Ein wie auch immer geartetes Bündnis mit der nach Wählerstimmen etwa fünfmal stärkeren Syriza unter Hinweis darauf abzulehnen, es biete keine Voraussetzungen für einen Sieg der proletarischen Revolution, setzt mich in Erstaunen.
Selbstverständlich steht es uns nicht zu, die griechischen Genossen zu belehren. Für die gedankliche Klarheit in unseren Reihen aber sollten wir schon sorgen.

Reiner Hofmann, Panketal


Die Griechen haben gewählt. Das Volk hat sich in freier demokratischer Wahl westlichen Typs entschieden, einem Regierungschef das Vertrauen auszusprechen, der die Armut der Massen bekämpfen will. Deshalb haben es die Regierungen der anderen EU-Mitgliedsländer eilig, dieses durchaus christliche Vorhaben zu durchkreuzen. Mir wurde noch nie so klar, wie man mit finanziellen Mitteln einer unerwünschten Regierung den Weg verlegen kann, deren Vorgänger nur mit Hilfe des europäischen Finanzkapitals künstlich am Leben erhalten wurden. Die EU-Milliarden kamen, wie wir wissen, niemals beim griechischen Volk an, werden nun aber als Mittel der Erpressung gegen eine an der Misere schuldlose Regierung benutzt.
Sollte man sich angesichts solcher makabren Vorgänge wundern, wenn sich Athen irgendwann den BRICS-Staaten zuwendet und so neue Finanzquellen erschließt?

Udo Helmbold, Berlin


Der Artikel von Lucas Zeise im März-"RotFuchs" erfordert ein entschiedenes Widerwort. Es ist nicht zu akzeptieren, daß das größte Entwicklungsland der Erde, das sich zum Sozialismus bekennt und sich in der Anfangsphase der sozialistischen Entwicklung befindet, als imperialistisch verunglimpft wird.
Welche Schlußfolgerungen sollten die Leser der Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland aus einem solchen Konstrukt der internationalen Lage für ihren Kampf gegen imperialistische Kriegspolitik und für eine sozialistische Zukunft ziehen? Die VR China setzt sich für die friedliche Koexistenz, gegen Kriegs- und Aggressionspolitik, für die friedliche Lösung internationaler Konflikte ein, sie tritt für die Sicherung des Weltfriedens und für ein friedliches internationales Umfeld für den Aufbau des eigenen Landes ein. China mischt sich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten ein, es betreibt keine Expansion, hat keine Militärstützpunkte im Ausland und beteiligt sich nicht an militärischen Auslandseinsätzen.
Die Erfolge Chinas auf dem sozialistischen Weg schaffen Voraussetzungen für die Unterstützung der anderen Entwicklungsländer und auch Beispiele für deren Entwicklungskonzepte. Deshalb auch die Politik der Einkreisung und Eindämmung Chinas durch die imperialistischen Staaten, die auch bei der jüngsten Reise von Kanzlerin Merkel nach Japan demonstriert wurde. Lassen wir uns doch nicht ein falsches Freund-Feind-Bild aufdrängen!

Rolf Berthold, Berlin


Mit haarsträubenden Lügen injizierten seinerzeit Fischer und Scharping die Mär von den Greueltaten serbischer Unterdrücker an den albanischsprachigen Bürgern Kosovos. Der Trick verfing, und die NATO konnte den albanischen Mafiosi zu einem eigenen Staat - Kosovo - verhelfen. Dort unterhält das Pentagon seit vielen Jahren die größte Militärbasis außerhalb des Territoriums der USA, nachdem die Lostrennung des Landesteils von Serbien mit Waffengewalt durchgesetzt worden war. Der Chef der UÇK - des bewaffneten Arms der Mafia -, der sich auf den Posten des Ministerpräsidenten hatte hieven lassen, trug nun Nadelstreifen und Krawatte. Ein reißender Wolf verwandelte sich über Nacht in ein gehätscheltes Schaf, wobei die BRD in vorderster Reihe mitspielte. Zum dritten Mal innerhalb eines Jahrhunderts wurden deutsche Imperialisten gegen Serbien aktiv.
Die "Unabhängigkeit" Kosovos hat inzwischen aufgrund der Massenverelendung seiner Bevölkerung eine zum Strom anwachsende Fluchtwelle entstehen lassen, die nun auch Deutschland erreichte.

Dr. Günther Freudenberg, Bernburg


Nun ist es soweit. Die Rüstungslobby hat lange gekurbelt. Jetzt soll endlich aufgerüstet und Kasse gemacht werden. Die USA und die NATO haben 25 Jahre erfolgreich provoziert, um ihr Versprechen von 1990, nicht weiter nach Osteuropa vorzurücken, vergessen zu machen. Was kümmert es, daß Rußland eine Million Soldaten und Waffen aus den Staaten des Warschauer Paktes abgezogen hat und die amerikanischen Raketen immer noch in Deutschland sind?
Nun macht sich Brüssel ein weiteres Mal zum Handlanger der USA. Statt rechtzeitig mit Rußland zu verhandeln, glaubt man, mit Sanktionen und nun noch mit Militär das russische Volk aufstacheln zu können. Erfahrungen im Anzetteln und Durchführen von Umstürzen sind ja vorhanden. Zum Glück klappt es nicht überall. Jeder westliche Führer wäre über einen solchen Zuspruch glücklich, wie ihn Putin erfährt. Gut, daß er cool reagiert.

Prof. Herbert Barten, Wampen


Wenn ich lese, daß Barack Obama die "Normalisierung" der Beziehungen zu Kuba wünscht, dann habe ich meine Sorgen. In Kuba gibt es derzeit noch zwei unterschiedliche Pesos - einen für das Volk und einen an den Dollarkurs gebundenen. Das Verhältnis ist 24:1. Die beiden Währungsvarianten müssen natürlich zusammengeführt werden.
Wenn erst einmal volle diplomatische Beziehungen zwischen Washington und Havanna hergestellt sind, was nicht ohne Konsequenzen sein dürfte, wird es wohl nicht an "uneigennützigen Helfern" fehlen. Sie werden darauf hinarbeiten, daß lange unterdrückte Fragen wie die nach einer "unabhängigen regierungskritischen Presse", nach "freien Wahlen" und anderen Segnungen westlicher Prägung mehr und mehr das öffentliche Leben Kubas bestimmen. Dann läßt sich vielleicht sogar die Grenze zu Guantánamo, das ja ein Territorium Kubas ist, ohne amerikanischen Truppenabzug öffnen. Hoffentlich irre ich mich.

Dieter Barth, Wickersdorf


Herzlichen Dank Prof. Dr. Horst Schneider für die Würdigung der Dresdner Trümmerfrauen. Meine Mutter, Jahrgang 1900, und meine Schwester, Jahrgang 1928, waren es auch. Völlig freiwillig und unentgeltlich haben sie viele Stunden im Nationalen Aufbauwerk Ziegel abgeputzt, die beim Wiederaufbau dringend gebraucht wurden. Übrigens arbeitete meine Mutter 1944 als "Zwangsverpflichtete" im Rüstungsbetrieb Riesaer Straße. Dieses große Werk wurde nicht bombardiert.

Klaus Hoffmann, Dresden


Als alter Dresdner (Jahrgang 1940) habe ich mit Interesse den Beitrag aus Anlaß des 70. Jahrestages der sinnlosen Zerstörung meiner Heimatstadt gelesen. Vor allem die Darlegungen Dr. Klaus Schwuracks zur "amtlich bestallten Dresdner Historikerkommission" weckten meine Aufmerksamkeit, da ich mich selbst in einem Buch mit deren Machenschaften zur willkürlichen Reduzierung der Zahl der Opfer der Luftangriffe auseinandergesetzt habe. Die mehr als berechtigte Frage Dr. Schwuracks, welchen Grund es überhaupt gegeben habe, die zu DDR-Zeiten von Dresdens Oberbürgermeister Walter Weidauer als gesichert geltende Zahl von mindestens 35.000 Toten infrage zu stellen, beschäftigte auch mich.
Dr. Schwurack schreibt, es könne "nicht belegt werden, daß es sich bei diesen 'Recherchen' um ein politisch motiviertes Auftragswerk gehandelt hat". Diese Annahme sei "nicht unbegründet". Auf der Grundlage meiner Nachforschungen und eines umfangreichen Schriftverkehrs mit verantwortlichen Personen der Stadt Dresden möchte ich behaupten, daß es den politischen Auftrag zur Reduzierung der Zahl der Todesopfer tatsächlich gegeben hat.

Dieter Lämpe, Hoppegarten


Unsere RF-Lesergruppe Altenberg hat sich mit dem Leitartikel der Januar-Ausgabe befaßt. Unter uns befinden sich auch einige Genossen der Partei Die Linke. Übereinstimmend wurde der Beitrag als richtungweisend betrachtet. Hier stellte man die Rechten aus der Parteiführung ins richtige Licht. Bei uns im Raum Dresden haben viele Basisgruppen eine andere politische Orientierung als die Parteispitze. Dem PDL-Landesvorsitzenden Gebhardt, der Gysis Linie durchzusetzen versucht, schlägt heftiger Widerstand entgegen. Wir glauben, daß die derzeitige Führung dem immer stärkeren Druck der Basis Rechnung tragen müßte, wenn alle Linken in der Partei an einem Strang ziehen.

Peter Roetsch, Altenberg


Auch ich teile die Empörung über Ramelows eilfertige Zusicherung, die DDR sei ein Unrechtsstaat gewesen. Mit vielen Funktionsträgern der Partei Die Linke bin ich äußerst unzufrieden. Manche von ihnen, meine ich, gehören eigentlich nicht mehr zu uns. Dennoch bezweifle ich den Sinn von Austritten. Sie haben, soweit ehrliche linke Beweggründe der Entscheidung zugrunde lagen, in der Regel nichts anderes gebracht als die moralische Genugtuung, an einem Prozeß des Niedergangs der Partei nicht mehr teilzunehmen oder teilgenommen zu haben.
Ich verstehe das Motiv dieser Genossen und glaube ihnen, daß sie es sich nicht leicht gemacht haben. Aber: Um wieviel stärker wären die marxistisch-leninistischen Positionen in den Nachfolgeparteien der SED gewesen oder geblieben, wenn alle sich als wirklich Linke betrachtenden Genossinnen und Genossen dabeigeblieben wären? Wieviel leichter hätte man auf noch unerfahrene junge Mitglieder einwirken und Karrieristen abwehren können, die sich auf die Stufenleiter nach oben begeben und dort Schaden anrichten? Man hätte sich auch von dem einen oder anderen trennen können.
Meint Ihr nicht, daß sich der Klassengegner die Hände reibt, weil die Partei so viele ideologisch gefestigte Mitglieder verloren hat? Was wäre, wenn all jene, die nach wie vor eine ausgezeichnete Massenarbeit in Verbänden und Vereinen leisten und dabei linke Positionen beziehen, ebenfalls ausgetreten wären? Andererseits hat es ja bei der DKP - der linken Alternative zu den Nachfolgeparteien der SED - keinen Zuwachs gegeben, welcher der Zahl der Ausgetretenen auch nur annähernd entsprochen hätte. Ich wünschte mir, daß solche Linken, die dem Druck des Gegners standgehalten haben und von denen ich viele kenne und schätze, noch an meiner Seite wären.

Berthold Henze, Berlin


Trotz aller Bauchschmerzen plädiere ich (noch!) für einen etwas nachsichtigeren Umgang mit dem rot-rot-grünen Experiment in Thüringen. Aus meiner Sicht war es ja wirklich nur eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera bzw. welche Fehler man machen und welche man vermeiden wollte. Alle (von AfD über CDU bis zu SPD und Grünen) werden versuchen, Die Linke ständig vor sich herzutreiben. Ein bißchen kritische Solidarität auch vom "RotFuchs" könnte da nützlich sein.

Dr. Wolfgang Künzel, Bad Blankenburg


Vom Jahrgang 1952, gehöre ich seit 1970 der SED und den nachfolgenden Parteien PDS und PDL an. Und ich will es gleich sagen: Wenn wir Kommunisten diese Partei alle verlassen hätten, würde sie nicht mehr existieren, weil sie längst in der SPD aufgegangen wäre.
Zur Diskussion um Revolution und Reform: Ich verstehe Revolution nicht unbedingt als gewaltsame oder gewaltlose Machteroberung, sondern als einen Prozeß zur Überwindung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse, der durchaus langwierig sein kann. Ich bin der Meinung, wir sollten nicht zu einseitig sagen: entweder Revolution oder Reform. Wollen wir denn mit unserem Tätigwerden erst auf eine "revolutionäre Situation" warten?
Aus meiner Sicht müssen wir derzeit versuchen, unter kapitalistischen Bedingungen die Lage der einfachen Menschen maximal zu verbessern, wobei wir zugleich den Sozialismus als unser Ziel nicht aus den Augen verlieren dürfen.

Karl-Heinz Puchmüller, Waren (Müritz)


Ben Zimmermann vom "Weser-Kurier", der Klaus Steiniger interviewte, wollte dessen Aussagen mit dem Vorwurf zunichte machen: "Ist Ihnen bewußt, daß Sie für diese Worte (Gauck sei der "größte Mißgriff" u. a.) über ein Staatsoberhaupt in der DDR in den Knast gegangen wären?"
Gleiches passiert auch mir bei Diskussionen im Bekanntenkreis, sobald ich Regierungen der Alt-BRD zu stark kritisiere. Gerade auch zu Adenauers Zeiten wurden im Westen Menschen wegen "Beleidigung von Regierungsmitgliedern" verfolgt, verurteilt und eingekerkert. So berichtete die "Rheinische Post" am 14.9.1952 unter der Schlagzeile "Üble Nachrede gegen Adenauer": "Ein Plakatmaler aus Minden wurde am Freitag in Bielefeld zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, weil er Dr. Adenauer verächtlich gemacht hat. Der Angeklagte hatte einen Aushangkasten der SPD mit einem Plakat versehen, das Dr. Adenauer mit einem Kreuz in der Hand und einer Bibel unter dem Arm zeigte. Unter seinen Füßen lag eine zu Boden gedrückte Gestalt mit der Aufschrift 'Normalverdiener', während im Hintergrund ein 'Großverdiener' mit Luxusauto und Prachtbau dargestellt war."
Auch das ND vom 11.6.1953 nannte ein solches Beispiel: "Am Montagnachmittag drang die Polizei in die Verlagsräume der 'Sozialistischen Volkszeitung' ein und beschlagnahmte die noch nicht ausgelieferten Exemplare. Als Grund wurde angegeben, die Zeitung mache Adenauer 'verächtlich'."

Hannelore und Johann Weber, Ruhstorf (Niederbayern)


Gerade habe ich das intensive Studium der März-Ausgabe des RF abgeschlossen. Es ist mir ein Bedürfnis, allen Beteiligten von Herzen zu danken - der Reihe des Abdrucks nach besonders den Autoren Klaus Steiniger, Prof. Dr. Horst Schneider, Theo Löwenberger, Wolfgang Eife, Fritz Streletz, Christa Kozik und Gisela Steineckert sowie den Leserbriefschreibern. Herzerfrischend ist immer wieder, wie die Autoren des RF es verstehen, von einem fundierten Klassenstandpunkt verbunden mit einem großen Schatz an politischen und Lebenserfahrungen die gegenwärtigen Machenschaften des Weltimperialismus bloßzustellen und Denkanstöße zu vermitteln, was dagegen zu tun ist.

Ernst Gallert, Rudolstadt


Nach nun schon mehr als zehn Jahren "RotFuchs"-Lektüre ist es wohl an der Zeit für ein "Feedback". Ich wurde in der westdeutschen Linken der 80er Jahre sowie in verschiedenen sozialen Bewegungen aktiv und bin es heute vor allem in den Gewerkschaften.
Aus meiner Sicht nimmt der "RotFuchs" einen wichtigen Platz in der linken Zeitschriftenlandschaft ein. Insbesondere deshalb, weil er sich nach wie vor internationalistischen und antifaschistischen Gedanken verpflichtet fühlt. Auch die solidarische Bezugnahme auf die BRD-Gewerkschaftsbewegung ist sehr erfreulich. Ich denke dabei an Klaus Steinigers Artikel, in dem er zur Mitwirkung in der Gewerkschaft ver.di aufforderte.

Jean Hausmann, Bonn


Heute dreht sich vieles um "PEGIDA", "LEGIDA", "MAGIDA", um Demonstrationen und Gegendemonstrationen, um Islamisten und Islamhasser sowie um Terror und Gewalt. In vielen Diskussionen spürt man heillose Verwirrung. Was indes alle in Bewegung Geratenen einigt, ist Negation. Alle sind gegen etwas, und das oft nur höchst oberflächlich. Keiner fragt nach dem Warum, nach den Ursachen der Situation in der BRD und anderswo. Das ist jedermanns "Privatsache". Der "RotFuchs" ist bei dieser Bewertung natürlich ausgeschlossen.

Gerda Huberty, Neundorf


Als ich im RF den Leitartikel "Keinen Fußbreit den Faschisten" las, verschlug es mir fast die Sprache. Nazi-Kundgebungen gehörten bis vor kurzem zum normalen Ritual, Fußballrandale lokalisieren den Frust der Jugend - die Leute ... werden von für sie wichtigen Problemen abgelenkt. Auf einmal aber entsteht etwas, was eigentlich Antworten der Regierenden erfordern würde, die aber haben keine. Als die ersten kleinen Demonstrationen in Dresden begannen - ausländerfeindlich und von Nazis organisiert - war die Welt noch in Ordnung. Als dann aber empörte Bürger diese Möglichkeit nutzten, ihre Unzufriedenheit mit der Politik zum Ausdruck zu bringen, wurde man wach.
Ich selbst bin nicht zu den Demonstrationen gegangen, habe aber mit einigen Teilnehmern gesprochen. Es waren Leute, die weder etwas mit Ausländerfeindlichkeit und noch weniger mit Faschismus zu tun haben wollten. Sie hatten endlich die Möglichkeit, sich bemerkbar zu machen. Die RF-Formulierung, "Wutbürger" würden als Massenkulisse gebraucht, muß der normale politikverdrossene Bürger, der seinen Frust auf der Straße abläßt, als Schlag ins Gesicht empfinden. Der "RotFuchs" sollte in Zukunft besser recherchieren und nicht unzufriedene Bürger mit Nazis in einen Topf werfen.

Dr. Benno Zielecinski, Leipzig


Der Leitartikel im Februar-RF hat mich sehr irritiert. Wissen Sie denn genau, Dr. Steiniger, was die meisten Menschen bewegt, die in den PEGIDA-Umzügen mitlaufen? Können Sie sich nicht vorstellen, daß es angesichts von "Ehrenmorden" und "Haßpredigten" nur eines geringen Anstoßes bedarf, um viele Bürger auf die Straße zu holen?
In meinem ersten Leben als Offizier kannte ich lediglich die Arbeiterklasse, die Ausbeuterklasse, den Klassenkampf usw. Erst nach der "Wende" bin ich darauf gestoßen, daß es noch anderes als den Grundwiderspruch gibt. Ich habe viel gelesen. Als Atheist wurde mir zum ersten Mal die Rolle der drei großen Weltreligionen bewußt: der mosaischen, der christlichen und des Islam.
Wer von den Politikern nimmt zur Kenntnis, daß der Islam keine zentrale religiöse Autorität kennt, sondern vier verschiedene "Rechtsschulen", welche die Grundlage für die unterschiedlichen Auslegungen des Koran und auch der Fatwas der Imame bilden?
Was sollen solche Totschlagargumente wie Islamfeindlichkeit, mit denen Politiker und Medien sich großtun, als könne man Feind des ganzen Islam sein? Oder Antisemitismus, wenn Juden gemeint sind, wobei diese und Araber von altersher semitische Brüder sind, wie man im Alten Testament nachlesen kann?
Und es ist doch logisch, daß auch Rattenfänger zum Zuge kommen können, wenn eine Staatsmacht nicht die Stimmung des Volkes zur Kenntnis nehmen will. Wir haben das als DDR-Bürger in den 80er Jahren selbst leidvoll erfahren müssen.

Werner Sydow, Strausberg


Das Ziel jeder sozialistischen Bewegung muß die Erringung der politischen Macht sein. Dabei sollte man davon ausgehen, daß der Weg der KPdSU in der Sowjetunion und den Volksdemokratien historisch einmalig war und so keinesfalls kopiert werden kann: Wurde die politische Macht zwar relativ schnell errungen, so erwies sich die Eroberung und Festigung der ökonomischen Positionen des Sozialismus, besonders in der Klassenauseinandersetzung mit hochentwickelten kapitalistischen Ländern, als äußerst schwierig. Letztendlich kam es zum Untergang der sozialistischen Staaten Europas.

Siegfried Mikut, Georgsmarienhütte


Mit großem Interesse habe ich den Beitrag Klaus Steinigers über Heinz Keßler gelesen und kann ihm nur zustimmen. Ich selbst habe Heinz vor einigen Jahren besucht und mit ihm über seine Tätigkeit nach 1945 als Leiter des Hauptjugendausschusses von Großberlin und - ab Oktober 1946 - als jüngster Stadtverordneter gesprochen.
In dem RF-Artikel ist davon die Rede, Heinz Keßler sei mit der "Gruppe Ulbricht" auf deutschem Boden gelandet. Tatsächlich kam er aber mit der Gruppe 4, die am 28. Mai 1945 aus Moskau abreiste und in der sich u.a. Edwin Hoernle, Markus Wolf und Lotte Kühn, Walter Ulbrichts spätere Frau, befanden.

Lutz Heuer, Berlin


Im RF sind wiederholt faschistische Kriegsverbrecher entlarvt worden. So fand 2006 eine Diskussion um Karl Theodor Molinari statt, die leider nicht weitergeführt wurde. Der Mann war Major der faschistischen Wehrmacht und 1944 an der Ermordung von 250 Kämpfern der Résistance in den Ardennen beteiligt. Dafür erhielt er das Ritterkreuz. Im März 1951 verurteilte ihn ein französisches Militärtribunal in Metz zum Tode. Im "Rechtsstaat" BRD machte Molinari eine steile Karriere. Das CDU-Mitglied stieg zum General und Kommandeur der 7. Panzergrenadierdivision auf. Er war der Gründer des Bundeswehrverbandes und einer Stiftung, die bis heute seinen Namen trägt.
Es empört mich, wenn Mitglieder meiner Partei Die Linke und ehemalige Offiziere der NVA diesem faschistischen Kriegsverbrecher huldigen. Ich hoffe sehr, daß sie das in Unkenntnis seiner Vergangenheit tun. Es wäre gut, den 70. Jahrestag der Hinrichtung der französischen Antifaschisten zum Anlaß zu nehmen, den Bundeswehrverband zu verlassen.

Oberst a. D. Hans Linke, Suhl


"Sag mir, wo du stehst ...". Das waren meine Gedanken, als ich im Kamenzer Malzhaus - einem Stadtmuseum innerhalb des Museums der Westlausitz - die Ausstellung zum Leben und Wirken von Eva Büttner (nach dem Krieg Kulturreferentin beim Landratsamt Kamenz) und Dr. Gertrud Bobeck (damals Schulrätin in Bautzen) gesehen hatte. Die Ausstellung "Junkerland in Bauernhand" zum Wirken der beiden verdienstvollen Frauen zwischen 1945 und 1952 ist auf die Bloßstellung von KPD/SED und sowjetischer Besatzungsmacht gerichtet. Damit sollen die wirklich friedliche Revolution im Osten Deutschlands und die antifaschistisch-demokratische Etappe bis zur DDR-Gründung verächtlich gemacht werden. Die junge DDR wird als "Unrechtsstaat" vorgeführt. Ein durchschaubares Manöver! Mir ist bekannt, daß beide Frauen zunächst der KPD und dann der SED angehörten. Unerschrocken trugen sie in entbehrungsreicher Zeit Verantwortung. Beiden war bewußt, daß die Hauptschuldigen des Nazi-Regimes, das sich auf viele Millionen NSDAP-Mitglieder, Anhänger und Mitläufer stützen konnte, konsequent zerschlagen werden mußte. Dafür setzten sie sich Tag für Tag uneigennützig in ihren Verantwortungsbereichen ein, wo sie wahre Wunder vollbrachten.
Deshalb haben wir Eva Büttner und Dr. Gertrud Bobeck in den kulturhistorischen Ausgaben unseres "Lausitzer Almanachs" zu Recht gewürdigt.

Dr. Dieter Rostowski, Kamenz


Die RF-Regionalgruppe Teterow hat sich nach einigen Schwierigkeiten zu einem festen Kollektiv entwickelt, das optimistisch in die Zukunft blickt. Außer Bildungsveranstaltungen, die ein hohes Niveau besitzen, geht es uns auch um persönliche Gespräche, weil wir jedes Mitglied des Fördervereins und jeden Bezieher der Zeitschrift tatsächlich erreichen wollen. So wappnen wir uns gemeinsam für das tägliche Gespräch mit Andersdenkenden und die Auseinandersetzung mit Gegnern. Entscheidend ist, daß unsere Ausstrahlungskraft weiter zunimmt und wir unter Beibehaltung fester Positionen noch mehr Breite und Tiefe gewinnen.

Adelbert Albrecht, Jördenstorf


Auch ich verschlinge die "Füchse" jedesmal. Sie sind eine gute Kost für Körper und Geist. In den ersten beiden Ausgaben dieses Jahres hatte ich auf eine Vorspeise oder einen Nachtisch gewartet, die es wert gewesen wären, auf der marxistischen Speisekarte angeboten zu werden. Gehört zu unserer Kost nicht auch das Menü "25. Jahrestag der Wiedergründung der Kommunistischen Partei Deutschlands", die damals in Ostberlin erfolgte? Sitzen wir sonst nicht auch gemeinsam am Tisch und sind nicht nur Leser, sondern aktive RF-Mitgestalter in den Regionen? Jedenfalls freuten wir uns über "RotFuchs"-Gäste auf unserer Festveranstaltung am 31. Januar in Berlin.

Cornelia Noack, Beeskow


Seit längerem lese ich den "RotFuchs" mit wachsendem Interesse. Ich hoffe sehr, daß es ihn noch lange gibt. Mir kam in den Sinn, die Leser der Zeitschrift auf ein paar nicht alltägliche Informationen über den diplomatischen Funkdienst der DDR aufmerksam zu machen. Es handelt sich dabei um mein 2014 erschienenes Buch "Das waren Funker". (Ich selbst war 25 Jahre Botschaftsfunker, bevor ich leitende Aufgaben übernahm.)
Vielleicht gewinnt der Bericht (ISBN 078-3-7357-8467-4) ja die Aufmerksamkeit einschlägig interessierter RF-Leser.

Wolfgang Buddrus, Altefähr/Rügen


Mehrere Leserbriefschreiber bezeichnen sich als "ehemalige DDR-Bürger". Diese Formulierung kann ich nicht teilen. Auch wenn meine Mutter schon nahezu 50 Jahre tot ist, bleibt sie doch meine Mutter, nicht die "ehemalige"!

Dr. Peter Tichauer, Berlin


Irgendwo in der Türkei fand ich an der Reklamewand der Rezeption eines großen Hotels den Dezember-"RotFuchs" und wenig später auch die Januar-Ausgabe. Es war für mich eine echte Überraschung, daß der RF den weiten Weg in dieses Land gefunden hatte. Allerdings konnte ich den "Täter" nicht ausfindig machen. Wie Ihr seht, scheut der "RotFuchs" keine Mühe, wertvolles sozialistisches Gedankengut in die Welt zu tragen.

Hans Remmel, Neuzelle/OT Kobbeln


Euch gefunden zu haben ist für mich ein Grund zur Freude. Auf der Suche nach Lesbarem empfahlen mir alte Genossen die Rede von Egon Krenz und drückten mir Eure Januar-Ausgabe in die Hand. "Lies mal, das ist bestimmt etwas für Dich", sagten sie und hatten recht. Ich bin Jahrgang 1955, eine geborene Zille-Göre und lebe im Land der Frühaufsteher. Ich betrachte mich als Suchende. Die DDR war mein Land. Ich war nicht reich, aber glücklich - beim 1.-Mai-Skat in der Betriebskantine, beim Rentner-Geburtstag im selbstgebauten Hobbyraum unseres Hochhauses oder auch beim Subbotnik, als wir den Spielplatz für unsere Kinder auf Vordermann brachten. Die Freude und das Lachen waren unser Lohn. Die Betriebskantine ist inzwischen abgerissen worden, den Hobby-Raum gibt es nicht mehr, und der Spielplatz mußte einer Tankstelle weichen. So etwas tut weh.
Ich stimme Jürgen Kuczynski zu: Ich lasse mir die Vorfreude auf einen neuen Sozialismus nicht nehmen. Und im ganz Kleinen arbeite ich daran. Ein bißchen Kampfgeist flammt wieder in mir auf, wenn ich das Gerede vom Unrechtsstaat höre. Danke, Egon! Deine Argumente helfen mir! Danke "RotFuchs", du hast eine neue Leserin.

Tamara Langer, E-Mail


Als ich einige Tage im Krankenhaus verbringen mußte, lag in meinem Zimmer eine 88jährige Patientin in recht desolatem Zustand. Offensichtlich hatte sie starke Schmerzen. Eines Tages mußte sie viele Stunden auf die Ärztin warten. Als diese endlich kam, stellte meine Bettnachbarin nüchtern fest: "Zu DDR-Zeiten hätte es das nicht gegeben, daß es den ganzen Tag über heißt, 'Gleich, gleich ...' und nichts geschieht."
Ich traute mich daraufhin, ihr meinen "RotFuchs" anzubieten und konnte dann beobachten, wie diese geschundene alte Frau sich buchstäblich festlas, weit länger, als ich ihr zugetraut hätte. Plötzlich sah ich ein heiter-gelöstes Lächeln auf dem Gesicht der alten Dame. Zum ersten Mal wirkte sie auf mich wach und interessiert, gar nicht mehr gequält. Frau Landau äußerte, sie wolle den "RotFuchs" bestellen. Bis 1987 war sie Lehrerin in Ludwigsfelde. Jetzt lebt sie wohl in einem Pflegeheim. Vielleicht kennt sie ja jemand von den RF-Lesern ...

Petra Lehmann, Trebbin, OT Thyrow


Am 6. Februar fand ich in meinem Briefkasten eine Ansichtskarte, auf deren Rückseite folgender Text stand: "Vielen Dank für Ihren interessanten Beitrag in der neuesten Ausgabe des RF. Bleiben Sie gegen Unwetter gewappnet und vor allem schön gesund. Freundlichste Grüße, Familie ..." (Den Namen konnte ich leider nicht entziffern.)
Überdies erhielt ich den Anruf eines Genossen aus Dresden, mit dem ich 1951 in derselben Dienststelle der VP tätig gewesen bin. Auch er bezog sich auf den erwähnten Beitrag. Die Umstände führten uns wieder zusammen, wobei der "RotFuchs" der Mittler war. Solche Erlebnisse bauen einen alten Mann irgendwie auf.
Ich möchte mich auf diesem Wege herzlichst für die freundlichen Grüße bedanken und werte sie als Ausdruck der Verbundenheit der RF-Leser untereinander.

Manfred Schwallmann, Schwarzenberg

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Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift.

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CHEFREDAKTEUR: Dr. Klaus Steiniger, (V.i.S.d.P.)
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(Redaktionsadresse)

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Quelle:
RotFuchs Nr. 207, 18. Jahrgang, April 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2015

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