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ROTFUCHS/172: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 218 - März 2016


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

19. Jahrgang, Nr. 218, März 2016



Inhalt
  • Frauen stehen weltweit in der ersten Reihe!
  • Läppische Antwort auf ein seriöses Schreiben
  • Opportunistisches Zurückweichen bringt keine Rettung vor dem Faschismus
  • Ein Diskussionsangebot aus Strausberg
  • Zu Klassenkämpfen in Eberswalde
  • Vor fast 80 Jahren wurde Edkar André ermordet
  • Erinnern an Dr. Yusepp Helmi (WFR)
  • Lutz Jahoda über den Reichstagsbrand
  • Aus dem Weißbuch zur Militärstrategie Chinas
  • Rußlands Sicherheitsstrategie - Antwort auf den US-Weltherrschaftswahn
  • Lügen über die DDR haben kurze Beine
  • Brief aus der Wetterau
  • US-Vorwahlen: Ist Trump wirklich Trumpf?
  • Weshalb das Kind in den Brunnen gefallen ist
  • Erinnern an den Spanienkämpfer Fritz Teppich
  • RF-Extra - Verteidigungsrede Heinz Keßlers vor dem Moabiter Gericht
  • RF-Extra- Martin Luther King - Atheistischer Respekt vor einem Gottesmann
  • Erdogan beruft sich auf Hitler
  • Kolumbien: Vor Friedensschluß in Havanna
  • Kinderarbeit in den USA - Fotos von Lewis W. Hine
  • Zypern: Wo jeder Dritte für die Kommunisten stimmt
  • Raubzug in Griechenland
  • Islands Gewerkschaften verteidigen Arbeiter- und Menschenrechte
  • Saudi-Arabien, Weltmeister im Köpfe-Abschlagen
  • Ein Lesebuch von und für Friedrich-Martin Balzer
  • Glosse: Zwischen Hölle und Himmel
  • Zwei beeindruckende Ehrungen Heinrich Vogelers
  • A.S. Makarenko - Wegbereiter für das sozialistisch-humanistische Erziehungsideal
  • Christa Kozik: Ein Mädchen aus Randberlin (Teil 2)
  • Gisela Steineckert: Hand aufs Herz
  • Veranstaltungen und Glückwünsche
  • Leserbriefe

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Das Herz darf nicht fehlen

Heute wollen wir an dieser Stelle auf theoretische Abstraktionen und "große Politik" weitgehend verzichten, um uns einem Thema zuzuwenden, das keineswegs unterschätzt werden sollte, wenn es um die Zusammenführung oftmals mit dem Rücken zur Wand stehender Gleichgesinnter geht: die menschliche Dimension der Beziehungen untereinander. In der Kälte der auch uns im Osten nun schon seit mehr als einem Vierteljahrhundert umgebenden menschenfeindlichen Eiszeit des Kapitalismus ist die warmherzige Verbundenheit aller auf unserer Seite der Barrikade Kämpfenden geradezu ein Lebens- und Überlebenselixier.

Als in der DDR scharfe und meist auch pointierte politische Witze zu Unzulänglichkeiten der verschiedensten Art oder in bezug auf unterstellte wie tatsächliche Schwächen bekannter Persönlichkeiten gang und gäbe waren, nahm man auch die "Kaderarbeit" gerne aufs Korn. So karikierte man einen Funktionär, der nach einem Einstellungsgespräch mit einem in Erwägung gezogenen Kandidaten zu folgender Charakterisierung gelangte: "Als Genosse ist er ja gar nicht so übel, doch als Mensch taugt er wenig." Womit wir beim Kern der hier zur Debatte stehenden Frage angelangt sind.

Den meisten Älteren unter uns begegneten im Laufe des Lebens auch in den eigenen Reihen sehr unterschiedliche Charaktere. Sie haben neben einer Vielzahl großartiger Menschen auch ganz andere Typen kennengelernt: Aufsteiger um jeden Preis, Wichtigtuer, Brunnenvergifter und Selbstdarsteller, die sich unablässig durch das Vergrößerungsglas betrachteten, ohne dadurch ihr eigenes Wachstum fördern zu können. Bei den geringsten Anlässen waren sie dazu imstande, wahre Stürme im Wasserglas zu entfesseln. Doch Blasen besitzen bekanntlich zwei Eigenschaften: zu schillern und zu platzen.

Weitaus wichtiger ist, daß jeder von uns charakterliche Vorbilder, menschliche Stützpfeiler und zuverlässige Markierer des zu beschreitenden Weges kennengelernt hat.

Einen von ihnen stellen wir in den Mittelpunkt dieser RF-Ausgabe: unseren inzwischen 96jährigen Genossen Heinz Keßler. Seine Rede vor dem Moabiter Gericht der Sieger auf Zeit ist eine Dokumentation menschlicher und politischer Größe. Die darin zum Ausdruck kommende Treue zur Sache und ein hohes Maß an Fachwissen imponierten nicht nur Freunden. Das Verhalten dieses standhaften deutschen Kommunisten ruft Erinnerungen an das in die Geschichte eingegangene Auftreten Georgi Dimitroffs vor dem Leipziger Tribunal der Hitlerfaschisten wach.

Als Vorsitzender der Berliner FDJ seit den späten 40er Jahren zeichnete sich Heinz durch Kontaktfähigkeit, Schlichtheit und Wärme sowie den Verzicht auf die Suche nach Abstand zu seinen Mitstreitern aus. Das verschaffte dem Mitbegründer und Frontbeauftragten des Nationalkomitees Freies Deutschland, den die faschistische Justiz in Abwesenheit zum Tode verurteilt hatte, schon in jungen Jahren ein außerordentlich hohes Ansehen.

Ab 1991 saß ich Heinz - dem in die Hände des Feindes gefallenen Armeegeneral und Verteidigungsminister der DDR - zuerst in der Besucherzelle des Moabiter Gefängnisses und später in zwei weiteren Haftanstalten, in denen er mehrere Jahre verbringen mußte, wiederholt gegenüber. Er war sich auch in dieser mißlichen Situation treu geblieben.

Zu Menschen aus solchem Holz gehört auch Oberst a. D. Günter Strobel, der nun schon seit etlichen Jahren unsere Dresdner Regionalgruppe leitet. Reichtum an Erfahrungen und ein daraus resultierendes sicheres Urteilsvermögen sowie eine starke menschliche Ausstrahlung zeichnen den einstigen Kaderchef der DDR-Grenztruppen aus, der den "RotFuchs" schon in der Gefängniszelle erhielt, in die ihn Richter aus dem Westen geworfen hatten.

In Eberswalde haben die Mitglieder der dortigen Regionalgruppe vor kurzem Eckhard Laurich, einem Arbeiter mittleren Alters, die Leitung übertragen. "Schrammel-Ecke", wie unser auch künstlerisch engagierter Mitstreiter genannt wird, ließ wissen, daß er sich funktionierende Beziehungen unter Gleichgesinnten nicht ohne eine enge menschliche Verbundenheit vorstellen könne.

Unlängst rief mich ein emeritierter Pastor aus dem Brandenburgischen an, der dort am "Uhu" - einer geistreichen und thematisch weit gefächerten linksliberalen Zeitschrift - mitwirkt. In einem "Bündnis gegen rechts" aktiv, habe ihm ein daran ebenfalls Beteiligter in der Vergangenheit gelegentlich einige Ausgaben des RF zukommen lassen, erfuhr ich. Sohn eines auf dem Marsch vom KZ Bergen-Belsen ums Leben gekommenen antifaschistischen Geistlichen, erinnerte er mich daran, daß wir vor mehr als 65 Jahren gemeinsam die Schulbank im Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster gedrückt hatten. Ab 1949 sei ich FDJ-Sekretär an dieser noch recht konservativ geprägten Schule gewesen - wohl keine leichte Aufgabe. Am Schluß eines etwa einstündigen weiteren Telefongesprächs bat mich Pastor Dietrich Wegmann darum, ihm jeden Monat einen "Umschlag mit 100 Gramm" - er meinte die unseren Lesern nicht unbekann-te Publikation - zukommen zu lassen. Auch wenn er nicht mit allem darin Geschriebenen übereinstimme, betrachte er die Lektüre als Gewinn.

Festigkeit in der Verteidigung eigener Positionen und maximale Öffnungsbereitschaft gegenüber allen, die den Menschen wirklich Gutes tun wollen - wobei die gemeinsame Verteidigung des Friedens das Beste ist -, darauf kommt es jetzt mehr denn je an.

Klaus Steiniger

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Frauen stehen weltweit in der ersten Reihe!

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Die Fotoserie wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Wie Präsident Gauck auf besorgte Fragen von Prof Schneider reagieren ließ
Läppische Antwort auf ein seriöses Schreiben

Ich bin 88, gehöre also zur Werner-Holt-Generation, die Krieg und Gefangenschaft noch erlebt hat. Aus meiner Klasse gab es nur zwei Überlebende. Die Erfahrungen von damals zwingen mich heute dazu, aus Sorge um meine Kinder, Enkel und Urenkel zur Politik der Bundesregierung Stellung zu nehmen. Deutschland taumelt von einem Krieg zum anderen, und die Regierung erfindet immer abenteuerlichere Begründungen.

Ich möchte feststellen:

Erstens: Deutschland ist wie kein anderer Staat zum Frieden verpflichtet. Die unbedingte Friedenspflicht ergibt sich aus dem Vermächtnis der Antifaschisten "Nie wieder Krieg!", aus den Nachkriegsbestimmungen über Deutschland, den Artikeln 107 und 111 der UNO-Charta und den Versprechen Bundeskanzler Kohls "von deutschem Boden wird kein neuer Krieg ausgehen". Das waren Bedingungen für die "Wiedervereinigung".

Zweitens: Das (provisorische) Grundgesetz legt im Artikel 25 den Vorrang des Völkerrechts für jeden Deutschen fest. Die Völkerrechtsprinzipien verbieten Intervention und Aggression und verlangen eine friedliche Streitbeilegung. Für Sanktionen ist allein der Sicherheitsrat zuständig. Entscheidungen der deutschen Regierung oder Absprachen mit den USA oder Frankreich schaffen kein Völkerrecht. Exkanzler Gerhard Schröder hat öffentlich zugegeben, daß der Krieg gegen Jugoslawien Völkerrechtsbruch war. 1999 wurde nicht ein "neues Auschwitz" (Außenminister Fischer) verhindert, sondern ein Staat zertrümmert, dessen Existenz und sichere Grenzen in Helsinki - auch durch die BRD - garantiert worden waren. Auch für den Einsatz der Bundeswehr in Syrien gibt es keine völkerrechtliche Grundlage. ...

Drittens: Die Bundeswehr wird permanent grundgesetz- und völkerrechtswidrig eingesetzt. Das Grundgesetz sieht ihren Einsatz nur zum Zwecke der Verteidigung vor. Der Verteidigungsfall liegt vor, wenn "das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht". Dabei muß es sich um einen bewaffneten militärischen Angriff von außen handeln. Daß die deutsche Grenze am Hindukusch liegt, konnte nur ein deutscher Verteidigungsminister entdecken. ...

Viertens: Das Rüstungsgeschäft und die Rüstungsexporte sind unvernünftig und unmoralisch. Zum Kriegführen wird "Geld, Geld und Geld" gebraucht (Montecuculi in Schillers Wallenstein). Ohne Geld gibt es keine Soldaten und keine Waffen. Für den Waffenexport gelten Bestimmungen des Grundgesetzes. Die bisherige Praxis zeigt, daß die Rüstungshaie begeistert frohlocken, während Unschuldige, manchmal auch eigene Soldaten, Opfer der Waffen werden. Der Verzicht auf die Rüstung würde ungeheure Mittel für andere nützliche Zwecke freisetzen und manchen Krieg "austrocknen."

Die Abschaffung der Atomwaffen hat wegen ihrer Gefährlichkeit Vorrang. Sie müssen von deutschem Boden verschwinden. Deutschland muß aufhören, der NATO-Vasall der USA zu sein.

Fünftens: Es muß gesetzlich unterbunden werden, daß Medien Kriege rechtfertigen.

Die Erfahrungen beweisen, daß regierungshörige Medien eine entscheidende Rolle bei der Entfesselung von Kriegen spielen. Das geschieht, indem sie mißliebige Politiker wie Milosevic, Hussein, Gaddafi und Assad als Schurken verteufeln und erfundene Kriegsanlässe propagieren. Zur Erfahrung gehört, daß die Völker der überfallenen Länder nach ihrer "Befreiung" unter schlechteren Bedingungen leben als unter den gestürzten Machthabern. Afghanistan, Irak und Libyen sind Beispiele dafür.

Sechstens: Die feindselige Politik gegenüber Rußland muß schnellstens beendet werden. Kein anderes Land hat so stark unter der deutschen Herrschaft gelitten wie die UdSSR. Kein Volk hat bei der Befreiung Europas vom Faschismus so große Opfer gebracht wie die Völker der Sowjetunion. Allein diese Tatsachen wirken sich auf die Beziehungen Deutschlands zu Rußland bis heute aus und verlangen eine besondere Sensibilität. Die Embargo-Politik ist ein zweischneidiges Schwert. Sechzig namhafte Politiker und Künstler, darunter Expräsident Roman Herzog und der Schauspieler Mario Adorf, haben unter dem Motto "Nicht in unserem Namen" gegen die Rußland-Politik der Merkel-Regierung protestiert. Deutschland hat mit seiner Einmischung in Sachen Ukraine und Krim die Krise verursacht. Wenn der russische Bär nur brummt, sollte das nicht so gedeutet werden, daß er seine Tatzen nicht zu nutzen versteht. ln Syrien wird sich das zeigen. Sowjetische Truppen befinden sich auf Wunsch Präsident Assads dort. Ihr Einsatz ist daher legitim. Das ist bei der Bundeswehr keineswegs der Fall.

Aus den Fakten ergeben sich Fragen, deren Beantwortung die Zukunft Deutschlands berührt: Welche Ziele verfolgt die deutsche Außenpolitik? Wessen und welche Interessen sind mit "deutschen Interessen" gemeint? Welche Prinzipien werden in der Außenpolitik eingehalten? Kehrt die Bundesregierung zu den gültigen Völkerrechtsnormen zurück? Betreibt sie das Finis Germaniae, das Rolf Hochhuth am 5. November 2015 unter Berufung auf Brechts Karthago-Vergleich befürchtete, oder garantiert sie allen Bürgern eine friedliche Zukunft? Herr Präsident, ist Ihnen eine Antwort möglich?

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Horst Schneider


Die Antwort des Bundespräsidialamtes vom 23. Dezember 2015 lautete:

Sehr geehrter Herr Professor Schneider,
haben Sie vielen Dank für Ihren Brief vom 2. Dezember 2015 an Bundespräsident Joachim Gauck. Der Bundespräsident erhält täglich eine große Anzahl an Schreiben, die er leider nicht alle persönlich beantworten kann. In Ihrem Brief sprechen Sie viele aktuelle sicherheits- und außenpolitische Fragestellungen an, zu denen es keine leichten Antworten gibt und die alle für sich einer vertieften Betrachtung wert wären. Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß dies an dieser Stelle nicht möglich ist. Sie können aber versichert sein, daß der Bundespräsident an den Gedanken der Bürgerinnen und Bürger interessiert ist. Insofern trägt auch Ihr Schreiben dazu bei, sich ein Bild von den Meinungen im Lande zu machen.

Peter Zingraf / Referatsleiter 20
Grundsatzfragen der Außenpolitik, Beziehungen zu Amerika und zum Nahen und Mittleren Osten und Nordafrika sowie zu internationalen und multilateralen Organisationen sowie Nichtregierungsorganisationen

(Beide Texte wurden redaktionell geringfügig gekürzt.)

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Opportunistisches Zurückweichen bringt keine Rettung vor dem Faschismus

Inmitten von Krisen und zunehmender Barbarei mehren sich in den Medien und bürgerlichen Parteien von EU-Mitgliedsstaaten Stimmen, die wir Deutschen schon aus Berichten über die Zeit der Weimarer Republik kennen sollten. Sie setzen sich für eine "Rettung" der bürgerlichen Demokratie vor dem Faschismus durch Anpassung und Zugeständnisse an dessen Forderungen ein. "Sonst könnte die Stimmung der Massen einmal umkippen", argumentieren sie. In den Tagesthemen der ARD wurde seit dem letzten Herbst über frappierende Wahlerfolge rechtsradikaler Parteien in immer mehr Staaten der EU berichtet. Zugleich lobte man "Mäßigungsbemühungen", mit denen sich einige - so etwa die bundesdeutsche AfD - einen scheindemokratischen Anstrich verschaffen wollen. Auch demagogische Ideen und Schritte wie Camerons drakonische Abschottung Großbritanniens gegen Migranten seien ein wirksames Mittel, um mehr Anklang beim Wahlvolk zu finden und den angeblich nur "rechtspopulistischen" Parteien Wähler zu entziehen.

Bekanntlich bediente sich die SPD in der Zeit von 1919 bis Anfang 1933 genau dieser Taktik zur Rechtfertigung ihrer gegen politische Streiks und soziale Massenaktionen der Arbeiter gerichteten Politik. Sie unterstützte den erzreaktionären Präsidentschaftskandidaten Hindenburg als vermeintlichen Verhinderer eines Machtantritts Hitlers. Grundlage dafür war die Akzeptanz des Kapitalismus als des "besser funktionierenden" Systems. Jedwede Untergrabung seiner Eckpfeiler oder die Leugnung angeblich bestehender "wirtschaftlicher Sachzwänge" wurde als "linksradikale Operation" bekämpft. Sämtliche Übel des Systems nahm man als unvermeidliche Nebenwirkungen - heute würde man von "Kollateralschäden" sprechen - und "zwangsläufige Gegebenheiten" beim reibungslosen Funktionieren der bürgerlichen Demokratie in Kauf.

Dabei gab und gibt es genügend rechtsextreme politische Kräfte im Spektrum selbst renommierter bürgerlicher Parteien, die ihre einflußreichen Positionen zu Zwecken des Demokratieabbaus, der faschistoiden "Ordnungsstaatlichkeit", des Militarismus und der Zerschlagung des Sozialsystems nutzen wollen. Ihre diesbezügliche Haltung hat die Mehrheit der EU-Regierungen im Falle Griechenlands, Rest-Jugoslawiens und der Massenflucht aus vom Imperialismus zerstörten Ländern unter Beweis gestellt. Längst ist von "notwendigen Abstrichen an bisherigen Standards" beim Asylrecht und einer angeblich einvernehmlichen "gesamteuropäischen Einwanderungspolitik" die Rede. Faschistoide Parolen und die Ängste deklassierter Arbeitsloser wie prekär Beschäftigter werden skrupellos gegen humanitäre Bedenken ausgespielt.

Das färbt sogar auf eher sozialdemokratisch orientierte Mitgliedsparteien der Europäischen Linken ab. Akzeptieren etliche von ihnen schon lange eine solche Position - ganz im Sinne von Gregor Gysis Unterstellung, man müsse den Kapitalismus als "alternativlose Geschäftsgrundlage" betrachten - so nähern sich einige von ihnen auch in anderen Politikbereichen mit ihrer "Einsicht in notwendige Reformen" den bürgerlichen Konkurrenten an. Auch sie behaupten, damit "einer zunehmenden Akzeptanz rechtspopulistischer Strömungen" entgegenwirken zu wollen. Sogar Yanis Varoufakis - sicher kein Rechter - vertrat in einem Artikel für den britischen "Guardian" den Standpunkt, man müsse heute alles daran setzen, den Kapitalismus zu stabilisieren, weil sonst nur die extreme Rechte vom Gegenteil profitieren würde. ("Wenn das bedeutet, daß wir - die brauchbar erratischen Marxisten - es sind, die versuchen müssen, den europäischen Kapitalismus vor sich selbst zu retten, dann sei es so!")

Demgegenüber zeigt sich die Notwendigkeit, demokratische und soziale Alternativen für die werktätige Bevölkerung Europas vorzuschlagen, Widerstandsbewußtsein gegen den Kapitalismus aufzubauen und die einzige gesellschaftliche Alternative - den Sozialismus - auch weiterhin im Auge zu behalten, obwohl dieser derzeit nicht auf der Tagesordnung steht. Die Dialektik von Reform und Revolution müssen Marxisten stets beachten.

Auch Thälmanns legendäre KPD kämpfte für soziale Teil- und Etappenziele in Verteidigung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse, ohne dabei die strategische Gesamtperspektive preiszugeben.

Die Taktik, rechte oder faschistoide Forderungen leicht modifiziert zu übernehmen, um damit den Faschistenparteien im vermeintlichen Interesse einer "Rettung der Demokratie" Stimmen abzujagen, sucht zwar bestimmte Massenauffassungen parteipolitisch zu "kanalisieren", erhöht aber zugleich die Akzeptanz obrigkeitsstaatlicher, rassistischer, militaristischer und raubtierkapitalistischer Ideologie. Schon zwischen 1919 und 1933 bahnte ein solcher "Opportunismus" - in Kombination mit der Kriminalisierung und Dämonisierung des Marxismus - der Machtauslieferung an die Faschisten in mehreren europäischen Staaten den Weg.

Bündnisse gegen Rechtskräfte und der Kampf zur Abwehr von Barbarei und Faschismus müssen konsequent und an den Menschenrechten wie den bürgerlichen Freiheiten deutlich ausgerichtet mit all jenen eingegangen werden, die deren zunehmende Einschränkung und Verletzung mit Unbehagen wahrnehmen.

Das gilt für aufrechte Demokraten und Kriegsgegner in vielen gesellschaftlichen Formationen, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Bürgerinitiativen. Enttäuschen wir diese nicht, sondern tragen wir durch entschiedene Aufklärung über die Zusammenhänge und Ursachen der rapide ansteigenden rechten Flut zur Stabilisierung bereits bestehender oder anbahnungsfähiger Bündnisbeziehungen bei! Zugleich gilt es, fest im Auge zu behalten, daß der Versuch, soziale Konflikte im Kapitalismus so oder so zu deckeln, statt den Klassenkampf aufzunehmen, bekanntlich schon einmal zum bösen Erwachen derer geführt hat, die solchen Konzeptionen folgten oder sich ihnen ergaben.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Nicht alle auf rechte Parolen Hereinfallende sind selbst Faschisten
Ein Diskussionsangebot aus Strausberg

Die Flüchtlingskrise hat zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt. Ein tiefer Riß geht durch das Land. Auch in meinem beschaulichen Städtchen Strausberg finden nun alle paar Wochen Demonstrationen statt, die auf der einen Seite vom hiesigen Pegida-Ableger "Brandenburger für Mitbestimmung und Meinungsfreiheit", auf der anderen von "Strausberg nazifrei" initiiert werden. Die Stadt gleicht dann einer Festung. Überall riegelt Polizei Straßen und Plätze ab. Die Szenerie hat etwas Gespenstisches. Diese Situation trennt Arbeitskollegen voneinander und dringt sogar in Familien ein. Es scheint nur noch ein Thema zu geben: Bist du für oder gegen die Flüchtlinge?

Manche Antwort auf aktuelle Fragen fällt mir leicht. Natürlich verbindet mich nichts mit den grölenden Stiefelnazis, jenen, die an Flüchtlingsheime Feuer legen oder den Schlägern, die Ausländer und Andersdenkende jagen. Hier ist mein Standpunkt unverrückbar. Aber etwas bereitet mir Unbehagen, wenn ich die Pegida-Demonstranten pauschal als Rechte bezeichnet finde. Ist es so einfach?

Ich bin der Meinung, daß die meisten, die politischen Scharlatanen wie Lutz Bachmann oder Jürgen Elsässer ihr Ohr leihen, Menschen sind, die nach Jahren inneren Unbehagens glauben, endlich eine Stimme gefunden zu haben, die ihnen Gehör verschafft. Auf Demagogie verstehen sich gewisse faschistoide Hetzer ja bestens.

Seit Jahrzehnten sammeln BRD-Bürger die Erfahrung, daß eine sie mißachtende arrogante Oberschicht ihre Alltagssorgen ignoriert und daß sie auch von einer medialen Verdummungsindustrie nicht ernst genommen werden. Die weiter zunehmende soziale Unsicherheit und der kräftezehrende Kampf ums tägliche Dasein haben das Gefühl ausgelöst: "So kann es für uns nicht weitergehen!", was indes niemand interessiert. Ständige Existenzangst erzeugt die Vorstellung immerwährender Bedrohung. Jeder wird dann zum Konkurrenten des anderen - zunächst einmal gleich, ob Deutscher oder Ausländer.

Die zugespitzte Flüchtlingskrise hat eine Situation entstehen lassen, in der sich neue rechte Formationen wie die AfD und Pegida, aber auch die NPD als "bürgernahe Volksversteher" ausgeben können. Inzwischen springen aber auch aus den Reihen der etablierten Parteien jene auf den fahrenden Zug, die sich zwar nach außen christlich-sozial, christlich-demokratisch, liberal oder sozialdemokratisch darstellen, aber innerlich längst im "modernen" Faschismus angekommen sind. Sie bieten einfache "Lösungen" an, die sich schon immer dazu eigneten, angestauten Frust aufzufangen: Die Wut wird auf die Wehrlosesten gelenkt, die selbst zu Opfern derer wurden, die schuld an der gesellschaftlichen Misere sind.

Doch auch die sogenannten besorgten Bürger sind Menschen, die wir entweder den Bachmanns und Elsässers überlassen können, indem wir sie von vornherein als ihnen zugehörige Rechte abschreiben, oder Irregeführte, die wir vom Gegenteil des ihnen Eingetrichterten überzeugen müssen. Viele Pegida-Mitläufer sind ja nicht automatisch nur deshalb schlechte Menschen, weil sie ihre Sorgen falschen Heilsbringern beichten und sich von diesen aufputschen lassen. Sie sind noch keine eingefleischten Ausländerhasser, weil sie sich von dem überfordert fühlen, was fremde Kulturen an unbekannten Eindrücken auf sie einstürmen lassen. Sie sind keine Dummköpfe, weil sie den platten und sie irreführenden Antworten rechter Demagogen vertrauen. Wenn sie jetzt bei Pegida und anderswo mitlaufen und sich nicht bei uns einreihen, sollten wir die Frage stellen, warum das so ist. Die Tatsache der völligen Überforderung durch den Zustrom von Flüchtlingen in bisher unbekannter Zahl und die von den Medien bewußt geschürte Angst vor "kriminellen Ausländern", die es natürlich wie überall auch unter ihnen gibt, hat bei vielen Menschen Nervosität ausgelöst.

Doch sich überfordert zu fühlen, ist noch kein Verbrechen, und entsprechende Stimmungen gehören zur Realität. Wenn man auch ganz durchschnittliche Menschen bei solchen Aufmärschen findet, dann liegt das wohl nicht zuletzt daran, daß wir Linken ihre Verunsicherungen und Ängste oftmals unterschätzt haben. Dabei gehört die Spaltung der Bevölkerung in dieser Frage doch zur klassischen Strategie des Divide et impera (Teile und herrsche!) der in dieser Gesellschaft den Ton Angebenden.

"Mitläufer", die es bei all diesen Aufmärschen in großer Zahl gibt, müßten eigentlich wissen, wen sie durch ihre Teilnahme stark machen!

Meiner Meinung nach sind Menschen, die den Scharlatanen auf den Leim gehen, Opfer einer Konzeption, die von den wahren Mißständen in der kapitalistischen Gesellschaft ablenken soll. Manchmal scheint es fast so, als seien die Probleme, welche die Flüchtlingskrise in zweifellos völlig überforderten Kommunen mit den daraus resultierenden Zwängen und Engpässen hervorbringt, bewußt erzeugt worden, um die von einflußreichen Kreisen offen betriebene Faschisierung der Gesellschaft zu verschleiern.

Wer die Krise tatsächlich bekämpfen will, muß den Kern des Problems benennen: den Kapitalismus, der immer wieder Kriege und Elend erzeugt. Derzeit sind die Flüchtlinge dessen bedauernswerteste Opfer. Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, daß es möglich wäre, unter kapitalistischen Verhältnissen eine gesellschaftliche Willkommenskultur zu etablieren. Der Kapitalismus kann Menschen nur nach dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit verwerten, wobei er sie in Konkurrenz zueinander setzt. Nur ein Gesellschaftssystem, in dem einer nicht mehr des anderen Wolf ist, vermag diesen Teufelskreis zu durchbrechen.

Ulrich Guhl


Buch-Tips

- Ph. Becker u. a.: Der Aufstand des Abendlandes. Pegida & Co. PapyRossa-Verlag, Köln 2015, 130 S., 11,90 €

- L. Bednarz u. a.: Gefährliche Bürger. Die neue Rechte greift nach der Mitte. Carl-Hanser-Verlag, München 2015, 256 S., 17,90 €

- L. Geiges u. a.: Pegida. Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft? Transcript-Verlag, Bielefeld 2015, 208 S., 19,99 €

- M. Liske u. a.: Vorsicht Volk! Oder: Bewegungen im Wahn? Verbrecher-Verlag, Berlin 2015, 192 S., 18 €

- D. Saunders: Mythos Überfremdung. Eine Abrechnung. Karl-Blessing-Verlag, München 2012, 256 S., 18,99 €

- A. Zick u. a.: Wut, Verachtung, Abwertung. Rechtspopulismus in Deutschland. Dietz-Verlag, Bonn 2015, 220 S., 16,90 €

- Ph. Becher: Rechtspopulismus. PapyRossa-Verlag, Köln 2013, 124 S., 9,90 €

- I. Kuhn: Antimuslimischer Rassismus. Auf Kreuzzug für das Abendland. PapyRossa-Verlag, Köln 2015, 110 S., 11,90 €

- W. Ruf: Der Islam - Schrecken des Abendlands. Wie sich der Westen sein Feindbild konstruiert. PapyRossa-Verlag, Köln 2012, 130 S., 11,90 €

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Zu Klassenkämpfen in Eberswalde

Seit Monaten finden in Eberswalde heftige soziale Auseinandersetzungen statt. Etwa 350 Mitarbeiter des Eisenbahn-Reparaturwerkes sollen nach dem Willen der Konzernleitung der Bundesbahn wegen Betriebsschließung entlassen werden. Dagegen regten sich Ärger, Wut und Widerstand. Betroffen sind ja nicht nur die unmittelbar Bedrohten, sondern auch deren Familien und sogar die ganze Region. Solche Entlassungen stellen stets gravierende Einschnitte im Leben der ins Visier Geratenen dar, von denen sich sehr viele sozial nicht wieder erholen können. Sie werden Opfer eines kapitalistischen Wirtschaftssystems, das im Profitinteresse einzelner oder weniger eine große Zahl von Menschen in den sozialen Ruin stößt. Während unablässig von den "Opfern" des "DDR-Unrechtssystems", die für das so oder so Erlittene Entschädigungen beziehen oder herausschlagen wollen, die Rede ist, kennt man gegenüber den Opfern des gewöhnlichen Kapitalismus keine Gnade.

Bei der Größenordnung, um die es in diesem Fall geht - tatsächlich spielen sich solche Vorgänge hierzulande jeden Tag in tausend Varianten ab, ohne daß davon Aufhebens gemacht würde -, regt sich sogar die Politik. Brandenburgs Ministerpräsident Woidke erschien an Ort und Stelle, bekundete verbale Solidarität und versprach zu helfen. Doch was passierte? Nichts! Auch die flehentliche Bitte, die Bundeskanzlerin möge helfen, blieb ohne Ergebnis. In dieser bürgerlichen Demokratie, bei der angeblich alle Macht vom Volke ausgeht, erweisen sich die gewählten politischen Machtorgane gegenüber den wirklich machthabenden ökonomischen Magnaten als hilflos. Denn Profitstreben siegt über soziale Gerechtigkeit und Erwägungen wirtschaftlicher Vernunft.

Die Ironie der Geschichte besteht überdies darin, daß es sich hierbei um ein bundeseigenes Unternehmen handelt. Doch auch diese Tatsache vermag am krassen Mißverhältnis zwischen politischer und ökonomischer Macht nichts zu ändern. Wenn Bahnchef Rüdiger Grube nein sagt, besitzt selbst die Kanzlerin keine Trümpfe mehr, und die Demokratie geht baden.

An diesem Beispiel wird vor allem deutlich, daß es nicht genügt, die Eigentumsproblematik im kapitalistischen Deutschland nur aus der Sicht des jeweiligen juristischen Status zu betrachten. Herr Grube handelt genauso wie jeder andere Leiter eines Konzerns, gleich, ob es sich dabei um eine Aktiengesellschaft, eine Genossenschaft, eine kommunal betriebene Einrichtung oder Staatseigentum handelt. In jedem Falle geht es ausschließlich darum, den höchstmöglichen Profit herauszuschlagen, im Konkurrenzkampf mit anderen zu bestehen und sich den Marktgesetzen zu unterwerfen. In einem grundsätzlich privatwirtschaftlich gestalteten Umfeld kann auch ein Betrieb im Eigentum des Staates der Kapitalisten nicht anders handeln.

Das politische Grundverständnis dieser Gesellschaft besteht eben darin, dem privatwirtschaftlichen Gewinnstreben den allerhöchsten Rang einzuräumen, weshalb selbst Minister und Kanzler - wie in Eberswalde - als Bittsteller vor den Wirtschaftsmächtigen niederknien müssen. Auch bei Staatsbetrieben geht Profit vor Gemeinnutz. (Die Tatsache, daß dieser im konkreten Falle dem Staat und somit in gewisser Weise der Allgemeinheit zufließt, ist nur ein schwacher Trost, vor allem dann, wenn es um von Entlassung bedrohte Personengruppen geht.)

Offensichtlich betrachtet man die künftigen Profiterzielungschancen in dem hier nur beispielhaft genannten Betrieb als zu gering, weil die Aufträge zurückgehen werden, eine "Marktbereinigung" lukrativer erscheint oder dem Konkurrenzdruck nicht länger standgehalten werden kann.

Die Anarchie auf volkswirtschaftlicher Ebene, die für das kapitalistische Wirtschaftssystem wesensbestimmend ist, könnte auch durch Gruppeneigentum - die Übernahme einzelner Betriebe durch die Arbeiter - nicht aufgehoben werden. Eine wirkliche Lösung vermag nur eine auf die gesamte Volkswirtschaft bezogene Planung zu bieten.

Diese Feststellung treffe ich nicht nur aus theoretischen Erwägungen, sondern aus eigener Erfahrung in der realen Wirtschaftspraxis der DDR. Auch zu ihren Zeiten hat es etliche Fälle gegeben, in denen bestimmte Betriebsstätten personell zurückgefahren oder sogar ganz geschlossen werden mußten. Aber niemals sind die Werktätigen dabei einfach auf die Straße geflogen. Dem lagen nicht nur soziale Motive zugrunde, sondern durch Volkseigentum und Planwirtschaft bestanden auch die materiellen Bedingungen, um rechtzeitig Entscheidungen über die Umprofilierung der Produktion oder die Schaffung ganz neuer Erzeugnislinien mit entsprechenden Qualifizierungsmaßnahmen zu treffen. Man mußte sich ja nicht erst auf die Suche nach irgendwelchen Investoren begeben, die dann auch nur nach Profitmaßstäben einen solchen Betrieb übernehmen und weiterführen würden - oder auch "abwickelten".

Eine durchgängige Planwirtschaft auf der Grundlage vorrangigen Volkseigentums -beide halte ich für unerläßlich - hätte eine Änderung der politischen Machtverhältnisse zur Voraussetzung.

Dr. Peter Elz, Königs Wusterhausen

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Wie ein Milliardär den Bettler geben kann. Bildserie: Herluf Bidstrup

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Die Bildserie von Herluf Bidstrup wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Vor beinahe 80 Jahren wurde Ernst Thälmanns Mitstreiter Edkar André ermordet

Als am 4. November 1936 das faschistische Henkerbeil auf Edkar André niedersauste, endete ein Menschenleben, das ganz im Dienst der Sache der Arbeiterklasse gestanden hatte. Edkar André, 1894 in Aachen geboren und nach dem frühzeitigen Verlust seiner Eltern bei Verwandten in Liège (Lüttich) erzogen, schloß sich 1909 einer Kindergruppe der belgischen Sozialdemokratie an. Hier und bei den "Jungen Sozialistischen Garden" wurde sein politisches Denken geformt, fand er zum Klassenstandpunkt.

Nach dem Ersten Weltkrieg trat er der SPD und dem Transportarbeiterverband bei. 1923 erfolgte sein Übertritt zur KPD. Er gehörte zu den Mitbegründern des Rotfrontkämpferbundes "Wasserkante" und wurde dessen Leiter. Der Hafenarbeiter Edkar André war neben Ernst Thälmann der prominenteste Arbeiterführer in Norddeutschland. Er kannte die Sorgen der Unterdrückten und Ausgebeuteten, die ihn 1932 gemeinsam mit Thälmann in die Hamburger Bürgerschaft wählten.

Da er furchtlos in Naziversammlungen auftrat, versteht es sich von selbst, daß er den mit allen Mitteln zur Macht drängenden Faschisten ein Dorn im Auge war. Unerschrocken und mit überzeugenden Argumenten rief er die Arbeiter, als die Nazis nach dem 30. Januar 1933 zum großen Schlag gegen Kommunisten und Sozialdemokraten ausholten, zu einheitlichem Handeln auf. Gemeinsam mit Matthias Thesen, Fiete Schulze und Anton Saefkow organisierte er die illegale Arbeit der KPD und den Schutz ihrer Parteikader. Am 5. März 1933 wurde Edkar André verhaftet.

Die folgenden Jahre waren eine Zeit härtester Prüfungen für den kraftvollen, sportgestählten Vierziger, der von den Faschisten zum Krüppel geschlagen wurde. Als im Sommer 1936 der Prozeß gegen ihn begann, konnte er sich nur mühsam an Krücken in den Gerichtssaal schleppen.

Während der Verhandlung am 2. Juli sprach Edkar André Sätze, die bald darauf die Runde um den Erdball machten und allen Widerstandskämpfern im Lande Kraft vermittelten.

Nach dem Antrag des Oberstaatsanwalts auf Ehrverlust, erklärte er: "Ihre Ehre ist nicht meine Ehre, und meine Ehre ist nicht Ihre Ehre. Denn uns trennen Weltanschauungen, uns trennen Klassen, uns trennt eine tiefe Kluft. Sollten Sie hier das Unmögliche möglich machen und einen unschuldigen Kämpfer zum Richtblock bringen, so bin ich bereit, diesen schweren Gang zu gehen. Ich will keine Gnade! Als Kämpfer habe ich gelebt, und als Kämpfer werde ich sterben!"

Ein Teil der Richter konnte sich offensichtlich der lauteren und starken Persönlichkeit Edkar Andrés nicht entziehen. So war es unmöglich, sofort das von der Naziregierung verlangte Todesurteil auszusprechen. Der Justizmord wurde erst auf direkte Weisung Hitlers begangen. Der Hinrichtungsbefehl war von Reichsanwalt Joms unterzeichnet, der 1919 zwar als Ankläger im Prozeß gegen die Mörder Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs auftrat, aber zugleich alles unternahm, um deren Spuren zu verwischen. So fiel damals in Hamburg-Fuhlsbüttel das Haupt eines deutschen Arbeiters, dessen Standhaftigkeit und kommunistische Überzeugungstreue seine Feinde nicht anders zu brechen gewußt hatten.

Noch im Oktober 1936 erhielten das I. und das II. Bataillon der XI. Internationalen Brigade in Spanien den Namen Edkar Andrés. Doch nicht nur die Spanienkämpfer waren mit dem Herzen bei ihrem damals noch hinter Kerkermauern begrabenen Genossen. Die internationale Öffentlichkeit - Nobelpreisträger, französische Minister, Geistliche aus den USA und Professoren aus Oxford - forderten seine Begnadigung. Die Angst der Faschisten vor dem weiterhin populären Arbeiterführer war größer als die Furcht vor noch mehr Einbuße an internationalem Renommee.

Mit dem Mord an Edkar André hatte der faschistische Terror wohl einen Helden der deutschen Widerstandsbewegung beseitigt - er vermochte indes auch durch den nun folgenden Vernichtungsfeldzug gegen Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, standhaft gebliebene Geistesschaffende, aufrechte Christen und Angehörige des fortschrittlichen Bürgertums nicht zu verhindern, daß immer wieder neue Kämpfer die Lücken schlossen.

Steffen Kastner alias Helmuth Hellge

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Erinnern an ein ägyptisches Mitglied des Weltfriedensrates

Mit meinem Bericht aus den 50er Jahren möchte ich des einstigen Generalsekretärs des Ägyptischen Friedenskomitees Dr. Yusepp Helmi aus ganz persönlicher Sicht gedenken. Uns verband eine starke und ohne Zweifel außergewöhnliche Freundschaft.

Im Mai 1954 fand in Brandenburg (Havel) eine Friedenskundgebung mit Delegierten und Mitgliedern des Weltfriedensrates statt. Aus Ägypten, Kanada, Bolivien, Iran, Argentinien, Brasilien und Paraguay waren Friedensfreunde zugegen. Als Neunjähriger stand ich seitlich vor der Tribüne. Wenn ich auch die Tragweite des Ganzen noch nicht zu erfassen vermochte, war ich doch beeindruckt, was man mir wohl auch von oben aus angesehen haben muß. So bat Dr. Helmi anschließend seine deutschen Begleiter, mich ihm vorzustellen. Frau Hilde Oedinghofen aus Düsseldorf sorgte dafür, daß meine Hände erst einmal gewaschen wurden, bevor der Kontakt zwischen Dr. Helmi und einem der jüngsten Friedenskämpfer der DDR hergestellt werden konnte. Beim Empfang im Rathaus durfte ich neben ihm sitzen. Wir tauschten unsere Adressen aus, weil er den Kontakt gerne fortsetzen wollte. Bald darauf sandte er mir ein Erinnerungsfoto mit Widmung. Wenig später erfuhr ich von seinem damaligen Dolmetscher Wilhelm Ryba, mit welchen Schwierigkeiten der Friedenskampf in anderen Ländern geführt werden mußte. Schon im Juli 1954 ließ mich Dr. Helmi auf Umwegen wissen, ich sollte meine Post für ihn an eine bestimmte Adresse in Moers zum Weiterversand schicken. Menschen, die "nur" für den Frieden eintraten, brauchten in großen Teilen der Welt Deckadressen, wurde mir schlagartig bewußt.

Bald darauf hieß es, Dr. Helmi sei verhaftet worden. Um mir zu zeigen, daß er mein Foto sogar im Gefängnis erhalten hatte, ließ er mir über seine Deckadresse eine Skizze der Aufnahme zukommen. Frau Oedinghofen schrieb meiner Mutter: "Sagen Sie Uli doch bitte, er solle sich um seinen tapferen Freund keine Sorgen machen."

Irgendwie gelang Dr. Helmi die Flucht, so daß er seine Tätigkeit im Weltfriedensrat fortsetzen konnte. Nun erhielt ich von ihm aus vielen Städten Europas Grüße und Ratschläge direkt zugesandt: Sie kamen aus Genf, Prag, Helsinki, Stockholm, Milano, Rom und Kairo. Er redete mich stets mit "My dear son Uli" (Mein lieber Sohn Uli) an, um mir auf diese Weise seine väterliche Liebe zu bekunden.

1956 riß der Kontakt dann leider ab. Inzwischen 70, mache ich mir Vorwürfe, wie ich ihn nur verlieren konnte.

Warum habe ich das den "RotFuchs"-Lesern nicht schon eher erzählt? Vielleicht kann mir ja jemand helfen, etwas über Dr. Helmis weiteren Weg in Erfahrung zu bringen.

Hans-Ulrich Tittler, Berlin

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Lutz Jahoda über den Reichstagsbrand

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Aus dem Weißbuch zur Militärstrategie Chinas (2015)

In der heutigen Welt vollziehen sich in der internationalen Lage tiefgehende Veränderungen. Sie sind Ausdruck eines veränderten Kräfteverhältnisses - global wie in der asiatisch-pazifischen Region - und des internationalen Wettbewerbs auf ökonomischem, wissenschaftlichem und technischem Gebiet. Die Friedenskräfte erstarken und sind ein wesentlicher Faktor gegen den Krieg.

In absehbarer Zeit ist ein Weltkrieg wenig wahrscheinlich und die Lage wird allgemein friedlich bleiben.

Als ein großes Entwicklungsland ist China jedoch noch mit vielfältigen und komplexen Bedrohungen konfrontiert. Es gibt allerdings neue Gefahren durch den Hegemonismus, durch Großmachtpolitik und Neo-Interventionismus. Terroristische Aktivitäten nehmen zu, ethnische und religiöse Fragen sind ebenso komplex wie Grenz- und Territorialstreitigkeiten. China steht vor der schwierigen Aufgabe, seine Einheit, territoriale Integrität und seine nationalen Interessen zu verteidigen. In einigen Regionen kann es zu begrenzten Kriegen, Konflikten und Krisen kommen. In einem allgemein günstigen Umfeld wird China noch eine gewisse Zeit für seine Entwicklung brauchen. Als großes Entwicklungsland ist China dabei mit vielfältigen und komplexen Bedrohungen wie auch mit externen Einflüssen und Veränderungen konfrontiert.

Während sich das ökonomische und strategische Zentrum der Welt immer schneller in die asiatisch-pazifische Region verschiebt, betreiben die USA eine Strategie der "Rebalance". (Bemerkung des Übersetzers: Diese ist darauf gerichtet, mit allen diplomatischen, ökonomischen und militärischen Mitteln die US-Positionen in der Region zu stärken.)

Dazu erklärte Obama im Mai 2014: "Amerika ist die einzige unverzichtbare Nation in der Well ... Amerika muß immer führen in der Welt. Wenn wir es nicht tun, wird es niemand sonst tun. ... Die USA werden ihre militärische Stärke nutzen und einsetzen." Chinas Streitkräfte werden in der neuen historischen Periode unter der Führung der KP Chinas und auf chinesische Art ihre historische Mission erfüllen, indem sie die Sicherheit Chinas gewährleisten, seine Interessen sichern, den regionalen wie den Weltfrieden bewahren und die Möglichkeiten für Chinas Entwicklung garantieren. ...

Um den Anforderungen gerecht zu werden, die sich aus der weltweiten Revolution auf dem Gebiet des Militärwesens ergeben, werden die Streitkräfte mehr Aufmerksamkeit auf die Veränderungen in den neuen Sicherheitsbereichen richten und daran arbeiten, die strategische Initiative auf diesem Gebiet zu erreichen. ...

Das strategische Konzept der aktiven Verteidigung ist das Wesen des militärischen Denkens der KP Chinas. Es wurde über eine lange Zeit revolutionärer Kriege zu einem kompletten strategischen Konzept entwickelt. Es hält fest an der Einheit von strategischer Verteidigung und operativer und taktischer Offensive sowie an den Prinzipien von Verteidigung, Selbstverteidigung und Gegenschlag. Und es hält fest an der Aussage: "Wir werden nicht angreifen, aber wir werden entschieden zurückschlagen, wenn wir angegriffen werden." ...

Die See- und Ozeangebiete spielen hinsichtlich eines stabilen Friedens, einer anhaltenden Stabilität und gesicherten Entwicklung Chinas eine besondere Rolle. Die traditionelle Auffassung, daß das Land wichtiger sei als die See, muß überwunden werden. Der Schutz der maritimen Rechte und Interessen ist für China von außerordentlicher Bedeutung. China muß in Übereinstimmung mit seinen Sicherheits- und Entwicklungserfordernissen eine moderne maritime Militärstruktur entwickeln, um seine Souveränität, maritimen Rechte und Interessen zu gewährleisten. China muß die strategischen Bedingungen sicherstellen, um sich selbst zu einer Seemacht zu entwickeln.

Der Weltraum ist zu einem Hauptgebiet des internationalen strategischen Wettbewerbs geworden. ... China wird in der Dynamik im Weltraum mithalten, sich den Bedrohungen und Veränderungen auf diesem Gebiet stellen, um den Zugang zum All zur Sicherung der ökonomischen und sozialen Entwicklung zu gewährleisten und die Weltraumsicherheit zu bewahren.

Cyberspace ist zu einem neuen Pfeiler der ökonomischen und sozialen Entwicklung und einem neuen Gebiet der nationalen Sicherheit geworden. China ist mit ernsthaften Gefahren für die Sicherheit seiner Cyber-Infrastruktur konfrontiert. Da Cyberspace mehr und mehr auch die militärische Sicherheit betrifft, wird China Kräfte dafür entwickeln, die den Anforderungen der Cyberspace-Situation entsprechen. China wird an der internationalen Cyber-Kooperation teilnehmen.

Die Nuklear-Kräfte sind ein Eckpfeiler zur Gewährleistung der nationalen Souveränität und Sicherheit. China hat immer erklärt, daß es nicht als Erster Kernwaffen einsetzen wird und sich zu einer Nuklearstrategie der Selbstverteidigung bekennt. Es wird den Einsatz von Kernwaffen gegen Nichtnuklearstaaten oder in kernwaffenfreien Zonen weder androhen noch vornehmen. China wird keinesfalls am nuklearen Wettrüsten teilnehmen. Es wird jedoch sein Kernwaffenpotential auf dem für seine Sicherheit erforderlichen unteren Niveau halten. ...

Chinas Streitkräfte verfolgen das Konzept einer gemeinsamen, umfassenden, kooperativen und nachhaltigen Sicherheit. Sie werden ihre militärischen Beziehungen auch weiter auf der Basis der Nichtpaktgebundenheit, nicht auf Konfrontation und nicht gegen Dritte gerichtet entwickeln. Sie setzen sich dafür ein, einen Mechanismus für kollektive und sicherheitsbildende Maßnahmen im militärischen Bereich zu schaffen, und sie werden die militärische und Sicherheitskooperation ausweiten, um ein günstiges Umfeld für die friedliche Entwicklung Chinas zu gewährleisten.

Der Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Rußland und China werden im Rahmen einer umfassenden strategischen Partnerschaft vertieft und ein breitgefächerter und nachhaltiger Mechanismus geschaffen, um die Beziehungen zwischen der chinesischen und der russischen Armee in weiteren Bereichen und auf höherem Niveau zu gestalten.

In Übereinstimmung mit den neuen Beziehungen zwischen den Großmächten baut China militärische Beziehungen neuen Typs zu den USA auf, verstärkt den Dialog, den Austausch und die Zusammenarbeit mit den USA im Bereich der Landesverteidigung und verbessert den Vertrauensmechanismus zur gegenseitigen Benachrichtigung über wichtige militärische Operationen und die Verhaltensrichtlinien für die Sicherheit bei Begegnungen auf dem Meer und im Luftraum. ... Chinas Streitkräfte werden damit fortfahren, in den Beziehungen zu den USA ein neues Modell militärischer Beziehungen ... zu entwickeln, das dem der Beziehungen zwischen den beiden Staaten entspricht. ...

Mit wachsender Stärke des Landes werden Chinas Streitkräfte noch intensiver an UN-Missionen teilnehmen und alles tun, um mehr internationale Verantwortung zu übernehmen und noch stärker zum Frieden in der Weit und zu einer gedeihlichen Entwicklung beizutragen.


Die Übersetzung nach der englischsprachigen Textvorlage besorgte Oberst a.D. Bernd Biedermann.

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Rußlands Sicherheitsstrategie - Antwort auf den US-Weltherrschaftswahn

Amerikas Sucht nach militärischer Hegemonie schließt den Gebrauch von Kernwaffen auf Erstschlagsbasis gegen die Russische Föderation und die Volksrepublik China ein", konstatierte der Kopf des kanadischen Internetportals "Global Research", Prof. Michel Chossudovsky, zu Jahresbeginn. Rußland habe auf die massive Bedrohung durch die USA und die NATO mit einer umfangreichen Modernisierung seines Arsenals an strategischen Kernwaffen geantwortet. Die öffentliche Weltmeinung sei sich der Gefahren eines nuklearen Holocausts, der den ganzen Planeten bedrohe, aber offensichtlich nicht bewußt.

Die westliche militärische Allianz befinde sich in einem fortgeschrittenen Stadium der Kampfbereitschaft. Rußland habe sich darauf eingestellt und entsprechende Vorbereitungen für den Ernstfall getroffen. Daher werde es von den Medien der Bourgeoisie als "Aggressorstaat" abgestempelt.

Wie liegen die Dinge wirklich? Ohne Zweifel hat Moskau die Atempause genutzt und eine beeindruckende Modernisierung seines strategischen Nuklearwaffenarsenals eingeleitet. Ende 2015 nahm Präsident Putin an der Auf-Kiel-Legung von "Alexander III." - dem siebenten von insgesamt acht vorgesehenen U-Booten der Borey-Klasse - teil, von denen jedes mit 16 Raketen vom Typ Bulawa ausgerüstet ist. Drei dieser Kampfschiffe wurden bereits in Dienst gestellt. Die ganze Serie soll bis 2020 einsatzbereit sein.

Die russische Militärführung rechnet damit, daß bis dahin auch der erste schwere PAK-DA-Bomber zum Start rollen könnte, während der Gesamtverband erst 2025 zur Verfügung stehen soll. Rußlands Luftwaffe wird in kurzer Zeit mit sieben Bombern vom ultramodernen Typ TU-160 M2 ausgestattet sein. Noch in diesem Jahr beginnt das Testprogramm der Interkontinentalrakete Sarmat, deren Richtung noch während des Fluges beliebig verändert werden kann.

Das hier dargestellte Szenarium sollte indes nicht auf aggressive globalstrategische Absichten Moskaus schließen lassen. Rußlands neue nationale Sicherheitsstrategie geht von einem erheblichen Bedrohungsszenarium aus, das auch Versuche einer Überschreitung der Landesgrenzen durch NATO-Streitkräfte in Betracht zieht. Dabei legt Moskau das im Januar durch USA-Präsident Obama einmal mehr offen verkündete Verlangen nach Weltherrschaft nüchtern zugrunde. Die eigene Strategie sei darauf ausgerichtet, das Risiko noch größerer Konflikte als der bislang vom Westen ausgelösten nüchtern zu bewerten.

In einer Erklärung stellte das russische Außenministerium fest, führende NATO-Staaten hätten in letzter Zeit ihre militärische Präsenz in Osteuropa und den baltischen Republiken wesentlich verstärkt, die Zahl und Intensität von Manövern unweit der russischen Grenzen deutlich gesteigert, was adäquate Maßnahmen der Landesverteidigung erforderlich mache.

Der frühere Parlamentarische Staatssekretär des BRD-Verteidigungsministeriums Willy Wimmer charakterisierte das derzeitige Geschehen als "Option für eine neue Attacke gegen Rußland und eine bewußte Provokation unseres russischen Nachbarn".

Ein Sprecher der russischen Staatsduma bezeichnete die NATO als "Krebsgeschwür in Europa". Die Erhaltung des Weltfriedens bedinge ihre Auflösung.

Rußlands modernisierte Sicherheitsstrategie geht neben Berücksichtigung anderer Formen der Bedrohung auch von der Möglichkeit durch äußere und innere Kräfte angeheizter "farbiger Revolutionen" aus. Sie verweist zugleich auf unverkennbare Vorbereitungen zur verstärkten "biologischen Kriegführung", wobei inzwischen auch in Nachbarstaaten Rußlands entsprechende Laboratorien eingerichtet worden seien.

Moskaus "unabhängige Außen- und Innenpolitik" werde von den USA und deren Verbündeten im Interesse der Aufrechterhaltung des imperialistischen Weltherrschaftsstrebens mit vielfältigsten Gegenaktionen beantwortet, die auf Einschränkung, Untergrabung, Schwächung und Isolierung Rußlands abzielten. Das von den USA in der Ukraine installierte faschistische Regime stelle eine direkte Bedrohung des Nachbarstaates Rußland und eine langfristig wirkende Quelle der Instabilität in Europa dar, heißt es in der Erklärung des Hauses Lawrow.

Rußland beabsichtige, auf Gewalt nur dann zurückzugreifen, wenn andere Optionen zum Schutz seiner nationalen Interessen scheitern sollten - eine Situation, die hoffentlich nicht eintreten werde, schrieb Stephen Lendman, Herausgeber und Mitautor des in den Vereinigten Staaten erschienenen Buches "Brennpunkt Ukraine: Der Drang der USA nach Hegemonie riskiert den 3. Weltkrieg".

RF, gestützt auf "Global Research", Kanada

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Sorgen eines mecklenburgischen Genossen
Lügen über die DDR haben kurze Beine

Das von mir hier abermals aufgeworfene Thema bleibt höchst aktuell, weil die Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern bis heute ihre ungeheuerliche Definition der DDR als "Mord- und Terrorregime" noch immer nicht widerrufen hat. Inzwischen habe ich mich mit dieser Frage weiter beschäftigt, wobei ich auf interessante neue Aussagen gestoßen bin. Doch der Reihe nach.

Zunächst möchte ich an das derzeit gültige Erfurter Parteiprogramm der "Linken" erinnern. Worin bestehen dessen Kernaussagen zu dieser Thematik?

"Zu den Erfahrungen der Menschen im Osten Deutschlands zählen die Beseitigung von Erwerbslosigkeit und die wirtschaftliche Eigenständigkeit der Frauen, die weitgehende Überwindung von Armut, ein umfassendes soziales Sicherungssystem, ein hohes Maß an sozialer Chancengleichheit im Bildungs- und Gesundheitswesen und in der Kultur sowie die Umstrukturierung der Landwirtschaft in genossenschaftliche und staatliche Betriebe. Das Prinzip 'Von deutschem Boden darf nie mehr Krieg ausgehen' war Staatsräson.

Auf der anderen Seite standen Erfahrungen staatlicher Willkür und eingeschränkter Freiheiten ... Wichtige Reformansätze wurden nach kurzer Zeit immer wieder autoritär abgewürgt. ..."

Diese Begriffsbestimmung - wie immer man sie bewerten mag - läßt eine Kurzformel "Unrechtsstaat" nicht zu, doch die Führung der Linkspartei in M-V hält unverändert an ihr fest. Diese Verleumdung der DDR wurde bisher meines Wissens nur vom Reformerflügel der Partei getragen.

Inzwischen ist der Streit um den Charakter der DDR in der Linkspartei wohl so entschieden worden: Die DDR war kein Rechtsstaat, aber auch kein Unrechtsstaat.

Wir brauchen jedoch eine differenzierte Sicht auf die DDR, wie sie sich in persönlichen Erfahrungen ihrer einstigen Bürger zeigte. Ich selbst halte große Stücke auf mein Leben in der DDR, ohne das ich nicht Diplomjournalist geworden wäre. Dabei ist mein Rückblick keineswegs nostalgisch verklärt.

Es ist doch wohl so, daß sehr viele ehemalige DDR-Bürger ihr Leben überwiegend positiv einschätzen. Mecklenburg-Vorpommerns SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering bezieht sich ja auf persönliche Gespräche mit einstigen DDR-Bürgern, wenn er meint, in diesem Staat sei nicht alles schlecht gewesen; es habe auch gute Seiten gegeben. Diesen Standpunkt hat er übrigens auch vor "Bürgerrechtlern" offen verteidigt.

Unlängst hat sich Gregor Gysi einmal mehr zu dieser Problematik geäußert. Im Sonderheft des "Spiegels" - der "Chronik 2015" - gibt Autor Osang aus einem Gespräch mit ihm folgendes wieder: "Er erzählt davon, wie schön und wichtig es gewesen wäre, wenn ein paar Dinge aus dem Osten gleich und mit Anstand übernommen worden wären. Die guten Sachen: Polikliniken, Kinderkrippen, die Berufsausbildung mit Abitur. Die Ostler hätten dann das Gefühl gehabt, etwas beigetragen zu haben; die Westler hätten nicht mehr glauben müssen, daß sie die Einheit ganz allein wegschleppen. Es wäre gut für den sozialen Frieden gewesen, sagt Gysi, aber es war politisch nicht gewollt."

So weiß man nun ziemlich genau, wessen Geschäfte Die Linke in M-V mit dem Begriff "Unrechtsstaat DDR" betreibt. Sie sollte das auf dem kommenden Landesparteitag unbedingt korrigieren.

Die Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern hat die DDR verrissen, weil sie sich so eine Annäherung an die SPD erhoffte. Die aber ist bis heute nicht eingetreten, und es sieht gegenwärtig auch nicht danach aus. Alle Landesverbände der Linkspartei, die auf eine Regierungsbeteiligung hofften, sind nicht auf ihre Kosten gekommen. Auch Ramelows Erfurter Versuch dürfte nicht von Dauer sein.

Am Jahresbeginn 2016 wurden die Ergebnisse einer aktuellen Forsa-Umfrage zu den Wahlaussichten der Parteien bekanntgegeben. Das ND druckte sie am 5. Januar ab. Die Linke im Land Brandenburg, die hier mit der SPD koaliert, liegt demnach nur noch bei 18 %, während sie aus der Landtagswahl 2014 mit 27,2 % hervorging.

Ich stelle diese Zeilen zur Diskussion.

Hans Brandt, Banzkow

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Überlegungen einer um Klarheit ringenden Kampfgefährtin
Brief aus der Wetterau

Seit einiger Zeit lese ich den "RotFuchs", meist mit großem Interesse. Heute möchte ich Euch einige Überlegungen wissen lassen. Im "RotFuchs" wurde kontrovers diskutiert, ob es angebracht sei, Mitglied der Partei Die Linke zu sein oder ob nicht eher eine weiter links stehende Organisation unterstützt werden sollte. Beide Teilnehmer der Debatte führten Gründe an, die auf jeden Fall überlegenswert sind. Dennoch erschien mir dieser wichtige Disput nicht fundiert genug geführt worden zu sein. Ich finde es aber gut, daß der Meinungsaustausch begonnen wurde.

Bevor entschieden werden kann, wie man kämpft, müßte aus meiner Sicht eine tiefergehende generelle Analyse der aktuellen Gesellschaft versucht werden. Vielleicht werde ich ja demnächst mehr dazu im "RotFuchs" lesen.

Ich sehe es in aller Kürze so: Der sogenannte Neoliberalismus hat es geschafft, wichtige Wurzeln der linken Bewegung zu kappen. Die Geschichte der Klassenkämpfe ist nicht mehr einfach zugänglich, selbst die bürgerlich-demokratische Historie wurde verschüttet. Eine vielfältige linke Kultur ist aus der Gesellschaft immer mehr verdrängt worden. Derzeit entwickeln sich wenig alternative antikapitalistische Lebens- und Kunstformen. Unsere Sprache, unsere linken Begriffe wurden entstellt und nicht selten mit anderen Inhalten gefüllt. Sie können nicht mehr einfach von links benutzt werden.

Neoliberalismus bedeutet Kapitalismus auf dem Durchmarsch: Auch Bereiche, die bisher noch teilweise der Verwertung des Kapitals entzogen waren - z.B. öffentliche Dienste, Ehrenämter, ja sogar Wohltätigkeit - wurden und werden durch Sparprogramme und Privatisierungen den Profitinteressen total unterworfen. Echte Reformen für die Mehrheit der Menschen durchzusetzen, erscheint unter den Bedingungen des Neoliberalismus kaum möglich. Die Bedeutung von Reformen ist in ihr Gegenteil verkehrt worden. Wenn heute eine "Reform" angekündigt wird, bedeutet sie in den meisten Fällen Rückschritt für die Mehrheit der Menschen. Widerstand kommt als Abwehrkampf daher, Visionen enden oftmals am engen Horizont. Das geschieht trotz Globalisierung, die ja nichts anderes bedeutet als enthemmtes Profitinteresse mit weltweitem Zugriff. Dazu gehören Wirtschaftskriege, Stellvertreterkriege, Bürgerkriege, Drohnenkriege, Cyberkriege ...

Was soll man angesichts all dessen tun?

Ich weiß es nicht, jedenfalls nicht allein. Doch einige Schlußfolgerungen erscheinen mir logisch: Weil die Revolution ja nicht auf der Tagesordnung steht und schon Reformen kaum noch möglich, zumal konsum- und kapitalfreie Räume selten geworden sind, müssen wir nicht gerade hier derzeit die Frontlinie aufmachen? Brauchen wir jetzt nicht dringend breite Allianzen für ein Antikriegsbündnis, für soziale Politik? Linke Ideen müssen neue Wurzeln schlagen und wachsen. Vielfältig und im offenen Diskurs, keinesfalls exklusiv ... in Gestalt einer nur wenigen vorbehaltenen "reinen Lehre".

Derzeit erscheint mir Die Linke als die am wenigsten sektiererische Kraft. Am wenigsten, was ja auch heißt, daß linke Politik nicht genug Verankerung bei den Menschen hat und nicht den richtigen Ton trifft, um ausreichend Widerstand zu erzeugen.

Klar, ich lehne die Bestrebungen ab, im Salon des Kapitals und der bürgerlichen Parteien salonfähig zu werden. Im Kreistag der Wetterau erlebe ich, wie wenig demokratisch wirksam Parlamente sind, wenn es keinen außerparlamentarischen Druck gibt. Ich halte regelmäßig die Luft an, daß die linke Bundestagsfraktion standhaft gegen alle Auslandseinsätze stimmt. Ich ärgere mich, daß Mitglieder der Atlantikbrücke in dieser Fraktion sind und kann keinen Wert an sich darin erblicken, wenn Ramelow Ministerpräsident ist. Die linke Bewegung muß auf jeden Fall dazulernen und sich positionieren.

Was wünsche ich mir von einer Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland? Natürlich, daß über linke Geschichte geschrieben wird, wie Ihr das ja auch tut. Aber darüber hinaus sollte mehr über aktuelle gesellschaftliche Auseinandersetzungen berichtet werden und wie sie einzuschätzen sind. Vielleicht auch anhand von Beispielen aus den konkreten Konflikten. Berichte, die Mut machen, zum Nachdenken anregen. Und ich wünsche mir Analysen dieser Gesellschaft und eine lebendige Diskussion über die Möglichkeiten, wie linke Alternativen entwickelt und verankert werden könnten.

Es schreiben viele erfahrene Genossinnen und Genossen im "RotFuchs". So bin ich sicher, daß daraus eine lehrreiche Lektüre entsteht. Herzliche Grüße aus der Wetterau.

Gabi Faulhaber, Karben

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Vorwahlen in den USA: Ein Faschist will es wissen
Ist Trump wirklich Trumpf?

Das Wahlsystem der USA ist auf die beiden von Banken, Konzernen und dem militärisch-industriellen Komplex ins Rennen geschickten Parteien zugeschnitten. Alle vier Jahre wird dieses Wechselbad veranstaltet, wobei der Wähler darüber entscheiden darf, wer ihn fortan vertreten und zertreten soll. Um dieser durch mächtige Geldgeber finanzierten und arrangierten Show wenigstens den Anschein eines überschaubar verlaufenden Vorgangs zu geben, finden vor der eigentlichen Abstimmung sogenannte Primaries (Vorwahlen) von Demokraten und Republikanern statt. An ihnen können deren eingetragene Wähler teilnehmen, wobei man wissen muß, daß bei der obligatorischen Registrierung nur eine Präferenz für diese beiden Formationen abgefragt wird, was die Betreffenden jedoch nicht in ihrer Stimmabgabe festlegt. Wer weder als Demokrat noch als Republikaner registriert werden möchte, kann sich als Unabhängiger eintragen lassen. Bei den Vorwahlen sollen weniger zugkräftige Kandidaten ausgesondert werden, während die Würfel zugunsten offensichtlicher "Magneten" fallen.

Noch "demokratischer" als bei den Vorwahlen geht es dann bei der eigentlichen Bestimmung des Präsidenten der Vereinigten Staaten zu. Eine Direktwahl dieses oder jenes Bewerbers ist nicht vorgesehen. Es erfolgt lediglich ein Votum für Wahlmänner. Ihre Versammlung wählt dann jene Person, die ins Weiße Haus einziehen soll. Dabei gilt ein übles antidemokratisches Prinzip: "Winner takes all" (Der Sieger bekommt alles!)

Es bedeutet, daß jenem der konkurrierenden Bewerber beider Parteien auf der Ebene der sehr unterschiedlich vertretenen 50 USA-Bundesstaaten am Ende sämtliche Wahlmänner zufallen, der auch nur eine Stimme mehr erhält. Alle anderen Willensbekundungen - und mögen sie 49,9 % betragen - fallen unter den Tisch.

Nach den diesjährigen Primaries, die wie immer im Bundesstaat Iowa begannen, schrumpft das anfängliche Feld der Bewerber weiter zusammen. Vorerst scheint es noch so, als ob bei den Demokraten - der Partei Obamas -, der selbst einige Anstrengungen unternimmt, sein Image in letzter Minute noch etwas aufzupolieren, die ehemalige Außenministerin und Expräsidentengattin Hillary Clinton das Rennen machen werde. Sie hat sich durch einen prononciert aggressiven Kurs in internationalen Angelegenheiten und besonders durch ihre 1999 an den noch unentschlossenen Ehemann Bill gerichtete Aufforderung "Bomb Belgrad!" äußerst negativ profiliert. Jetzt raspelt sie elektoralistisches Süßholz, wobei sie sich als Vorkämpferin der amerikanischen Frauen aufspielt, "in deren Namen" sie als erste weibliche Präsidentin der US-Geschichte ins Weiße Haus einziehen möchte.

Übrigens haben einflußreiche Kreise der deutlich weiter rechts stehenden Republikanischen Partei (GOP) ihr Sperrfeuer bereits eröffnet, indem sie mit Hilfe des FBI eine "Untersuchung wegen vielfachen Geheimnisverrats im Amt" gegen die einstige Chefdiplomatin einleiteten. So ist ungewiß, ob Hillary Clinton ihre Anwartschaft bis zum Ende aufrechtzuerhalten vermag.

Als durchaus positives Phänomen gilt indes die Tatsache, daß der vorerst bei den Demokraten als Unabhängiger an zweiter Stelle liegende Bewerber Bernie Sanders weiter gut abschneiden dürfte. Bei dem Ex-Senator handelt es sich um einen bereits erfahrenen Politiker, der sich als demokratischer Sozialist bezeichnet. Sein unter USA-Verhältnissen bemerkenswert mutiges, ja sogar bisweilen antikapitalistisches Auftreten hat dem parteilosen Präsidentschaftskandidaten nach Umfragen bereits die mehrheitliche Unterstützung in einigen US-Bundesstaaten eingebracht.

Die Sanders-Kandidatur ist nicht der erste Ausbruchsversuch aus dem Käfig der großbürgerlichen Zweiparteiendiktatur: Bei den Präsidentschaftswahlen im Jahre 1948 gewann Henry A. Wallace mit seiner damals auch von der KP der USA unterstützten Kandidatur für die Progressiv Party nicht weniger als 1,157 Millionen Stimmen (2,4 %).

Andererseits ist die Drohung von rechtsaußen, die sich bei den Republikanern in Gestalt des Multimilliardärs Donald Trump auftut, nicht zu unterschätzen. Die kaum zu Superlativen neigende Hamburger Monatsschrift "Sozialismus" titelte einen Artikel zu dieser Thematik: "Donald Trump - ein amerikanischer Faschist?" und schrieb: "Anfänglich nahmen Medieneliten jenseits des Atlantik den Aufstieg des trampelig-demagogischen Trump noch mit einer Mischung aus Entsetzen und Amüsement zur Kenntnis. Tatsächlich erscheint selbst George W. Bush im Vergleich zu ihm als gemäßigt-konservativer Intellektueller."

Trump habe "schon früh durch radau-rassistische und gruppenbezogen menschenfeindliche" Äußerungen auf sich aufmerksam gemacht", liest man in dem Artikel aus Hamburg. Sexistische Ausfälle und vor allem antimexikanische Pöbeleien gehörten zu seinem Repertoire. Eine Wahl Trumps wäre deshalb für die 11 bis 12 Millionen derzeit undokumentiert in den USA lebenden Einwanderer eine enorme Gefährdung. Trump propagiert vehement ein generelles Einreiseverbot für Muslime und sucht den ohnehin eingeschränkten bürgerlich-demokratischen Freiheiten im imperialistischen Hauptland den Garaus zu machen. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang zweifellos die Tatsache, daß sich Führungskreise der Republikanischen Partei vor einer Trump-Kandidatur zu fürchten scheinen und mit Politikern wie dem jungen, gutaussehenden Senator Marco Rubio aus Florida - einem geschickter agierenden Mann des rechten GOP-Flügels mit exilkubanischen Wurzeln - die Alternative zum geplanten Durchmarsch des Milliardärs zu schaffen bestrebt sind.

Diese Zeilen wurden aus Zwängen des Redaktionsschlusses bereits Anfang Februar geschrieben und deuten deshalb die sich rasch wandelnde Szenerie nur an.

RF, gestützt auf "People's World", New York, "Global Research", Kanada, und "Sozialismus", Hamburg

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Weshalb das Kind in den Brunnen gefallen ist

Klaus Steinigers Leitartikel "Kein Anschluß unter dieser Nummer" im Oktober-RF hat mich sehr beeindruckt. Wohl auch deswegen, weil ich mich schon seit längerer Zeit mit der Frage beschäftige, woran es wohl gelegen hat, daß unser sozialistischer Staat, den wir - motiviert durch unsere kommunistische Überzeugung - unter großen Mühen in historisch kurzer Frist von 40 Jahren aufgebaut haben, so sang- und klanglos untergegangen ist.

In dem erwähnten Beitrag versucht dessen Autor, darauf eine Antwort zu finden. Er nennt drei Gründe: den politisch-ökonomischen Druck des Westens, den sich abzeichnenden Verfall unseres Hauptverbündeten UdSSR und die faktische Führerlosigkeit von Staat und Partei, als die Konterrevolution bei uns zum entscheidenden Schlag ausholte.

An dieser Aufzählung ist sicher nichts auszusetzen. Aber beantwortet sie auch die vielen Fragen, die sich stellen, wenn man sich mit der Suche nach den Ursachen näher und intensiver beschäftigt?

Uns wurde im Laufe der Jahre ein Wirtschaftskrieg aufgezwungen, den wir - von den wichtigsten Verbündeten mit der Zeit immer mehr allein gelassen - nicht gewinnen konnten. Leitende Wirtschaftsfunktionäre, Generaldirektoren unserer wichtigsten und fortgeschrittensten Kombinate hatten die Parteispitze immer wieder auf Defizite in der Wirtschaftsführung des ZK der SED aufmerksam gemacht. Wir Kontrolleure der Arbeiter-und-Bauern-Inspektion der DDR - ich war 1988/89 Leiter der Kombinatsinspektion im VEB Textilkombinat Cottbus - haben diese Defizite in unseren Berichten an die Partei immer wieder anhand konkreter Beispiele und Sachverhalte beim Namen genannt.

Warum weigerte man sich, unangenehme Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen und darauf unter Einbeziehung der Bürger entsprechend zu reagieren? Kann es sein, daß die sinnentstellend interpretierten Worte des schönen Fürnberg-Liedes "Die Partei, die Partei hat immer recht", führende Genossen zu der Annahme verleitet haben, sie träfen stets und überall nur richtige Entscheidungen, was sie sich durch gut inszenierte Parteitage und Aktivtagungen mit entsprechend geschönten Wortmeldungen bestätigen ließen?

Auch den Krieg gegen die Faschisten hat nicht ein einzelner gewonnen - ihn haben die sowjetischen Soldaten, denen bewußt war, daß sie für ihr Land kämpften und von einer herausragenden Generalität befehligt wurden, kollektiv gewonnen.

Steiniger schreibt in seinem Leitartikel, der Generalsekretär unserer Partei sei sehr krank gewesen, und der überwiegende Teil des Politbüros habe sich im Urlaub oder sonstwo auf Reisen befunden. Kein führender Genosse besaß den Mut oder war dazu in der Lage, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen und mit zur Abwehr bereiten Kräften den Angriff auf unseren Staat zurückzuweisen, bevor die Konterrevolution zuschlug. Darauf, wichtige staatstragende Entscheidungen ohne Erich Honecker zu treffen, war niemand eingerichtet. Als Egon Krenz und Hans Modrow endlich die Führung übernahmen, hatten die Glocken den Untergang der DDR bereits eingeläutet.

In der Machtkonzentration bei einzelnen Personen, der fehlenden Kollektivität der Führung und der immer tiefer werdenden Kluft zwischen Ansprüchen unserer Bürger, die sie mit dem Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsordnung verbanden, und der Realität sind wichtige Ursachen des Untergangs der DDR zu suchen.

Wir haben allen Grund, auf unsere Erfolge beim sozialistischen Aufbau der DDR stolz zu sein. Immerhin war es uns gelungen, auf einem vom Faschismus hinterlassenen riesigen Trümmerberg einen Staat zu errichten, der volkswirtschaftlich zu den zehn stärksten der Welt aufstieg. Und das trotz hinterhältiger Embargobestimmungen des Westens!

Wir wurden nicht mit amerikanischen Dollars aufgepäppelt, was uns die BRD-Kapitalisten als ihr "Wirtschaftswunder" verkaufen wollen. Statt dessen blieb es uns überlassen, die enormen Reparationszahlungen an die UdSSR allein zu tragen.

Doch auch unsere Defizite wiegen schwer. Es ist uns Kommunisten und unseren Weggefährten nicht gelungen, in 40 Jahren DDR der arbeitenden Bevölkerung die unbestreitbaren Vorzüge einer sozialistischen Gesellschaftsordnung so deutlich zu machen, daß sie bereit gewesen wäre, für den Erhalt ihres Staates zu kämpfen. So wurden unser revolutionäres Bildungssystem, die unentgeltliche medizinische Betreuung, das umfangreiche und immer wirksamer werdende Wohnungsbauprogramm und die garantierte Vollbeschäftigung am Ende als Selbstverständlichkeiten aufgefaßt. Andererseits vermochten die Westmedien bei der Mehrheit der DDR-Bürger materielle Bedürfnisse zu wecken, die unser Staat in seiner Aufbauphase noch nicht befriedigen konnte. Wir haben das Konsumdenken der meisten Menschen gehörig unterschätzt. So ist es dazu gekommen, daß DDR-Bürger den Totengräbern unserer Errungenschaften mit Kohl an der Spitze, der sich dann auch noch massiv in den DDR-Wahlkampf vor dem März 1990 einmischte, in Scharen zujubelten.

Und wo war unsere SED, die wir immer als eine revolutionäre Kampfpartei bezeichnet haben, als die Annexionspolitiker aus der Alt-BRD mit ihrer heimtückischen Treuhandgesellschaft gegen den Willen vieler Arbeiter, die sich schließlich alleingelassen fühlten und resignierten, unser Volkseigentum stahlen und unsere Wirtschaft zerstörten?

Der Versuch, auf all diese Fragen eine seriöse Antwort zu geben, ist einem einzelnen nicht möglich. Was wir brauchen - und Klaus Steinigers Artikel bestätigt das -, ist eine ehrliche und auf Fakten gestützte Analyse der Geschichte der DDR aus marxistischer Sicht.

Es wird zwar gesagt, daß die Geschichte von den Siegern geschrieben werde. Doch sollte man ihnen auch in diesem Falle das Monopol einräumen? Noch leben genügend Zeitzeugen, noch verfügen wir über ein wissenschaftliches Potential, über herausragende Wirtschaftsfunktionäre aus unseren Tagen, die durchaus dazu in der Lage sind, ein entzerrtes Bild unserer DDR zu präsentieren.

Als ich vor einiger Zeit befreundete Genossen mit einer solchen Idee konfrontierte, schauten sie mich verwundert an, und ein "Warum?" stand im Raum. Meine Antwort lautete: Von unseren Klassikern und nicht nur von ihnen wissen wir, daß sich die menschliche Gesellschaft in einem ständigen Entwicklungsprozeß befindet. Urgemeinschaft - Sklavenhaltergesellschaft - Feudalismus - Kapitalismus. Und nur ein Tor glaubt der These, diese Entwicklung habe mit dem Kapitalismus ihren Abschluß gefunden. Immer mehr Menschen erkennen, daß dessen Gesellschaftsordnung keine ausreichenden Antworten auf die drängendsten Lebens- und Überlebensfragen der Menschheit findet. Der Sozialismus wird folgen. Wann das indes sein wird, wissen wir nicht. Doch wir müssen unseren Nachkommen überliefern, warum wir mit unserem ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden Schiffbruch erlitten haben, damit sich Fehler wie die von uns zu verantwortenden nicht wiederholen.

Peter Truppel, Cottbus

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Erinnern an den Spanienkämpfer und "RotFuchs"-Autor Fritz Teppich

Ich war immer Alfredo T. Salutregi". Unter dieser Überschrift erschien am 4. März 2012 in der baskischen Zeitung "Noticias de Bizkaia" ein ebenso ausführlicher wie ungewöhnlicher Nachruf auf einen Deutschen, der in der finstersten Zeit für die Nation von Goethe und Schiller, Heine und Lessing Ehre eingelegt hatte: Fritz Teppich, der wie viele andere der Sache treu gebliebene Deutsche unter dem Namen Alfredo T. Salutregi im großen iberischen Land hohes Ansehen genoß, war am 24. Februar jenes Jahres im Alter von 93 Jahren in Berlin verstorben.

Die Verteidiger der 1936 gegründeten und 1939 durch die Truppen Francos, Hitlers und Mussolinis militärisch niedergerungenen, aber auch durch die De-facto-Blockade des sogenannten Nichteinmischungskomitees großer imperialistischer Staaten gezielt isolierten Spanischen Republik haben die solidarische Hilfe solcher Antifaschisten wie Fritz Teppich niemals vergessen. In "Noticias de Bizkaia" wurde der persönliche Beitrag des Leutnants Alfredo T. Salutregi auf bewegende Weise gewürdigt. In einem fortschrittlich gesinnten jüdischen Elternhaus aufgewachsen, stieß Fritz Teppich als 18jähriger zur sozialistischen Jugendbewegung.

Nachdem er in der Emigration vom Franco-Putsch erfahren hatte, begab er sich Anfang September 1936 nach Bilbao, wo er sich bei den Republikverteidigern einreihte, die zu jener Zeit gegen die Truppen des faschistischen Generals Mola im Kampf standen. Er war zunächst Angehöriger des Bataillons Azana, schloß sich später dem von der Vereinigten Sozialistischen Jugend aufgestellten Bataillon Tomas Meabe an, um schließlich im Verband der Gemischten Brigade 163, die Donostia und Bilbao gegen die Faschisten verteidigte, seine internationalistische Pflicht zu tun.

Nachdem das Baskenland in die Hände der Franco-Armee gefallen war, begaben sich Leutnant Salutregi und einige seiner Kämpfer nach Katalonien, das sie nur über französisches Gebiet zu erreichen vermochten. Dort schlossen sie sich der legendären 11. Division des kommunistischen Generals Enrique Lister - der Keimzelle der Spanischen Volksarmee - an. In deren XXII. Formation gehörte Salutregi zum Stab.

Nach dem opferreichen Krieg, der im März 1939 mit dem Sturz der republikanischen Zivilregierung endete, gelang es Fritz Teppich, sich zunächst nach Belgien durchzuschlagen. Als im Zuge des nazideutschen Überfalls auf Frankreich Anfang Februar 1940 auch das benachbarte Königreich von Hitlers Armeen besetzt wurde, internierte man ihn zunächst als "feindlichen Ausländer" in Gurs - dem Lager für Basken. Anschließend verlegte man ihn in das französische Internierungslager Vernet. Dort gelang ihm die Flucht. Über spanisches Territorium erreichte er schließlich das Portugal des dort seit 1926 am Ruder befindlichen faschistischen Diktators Salazar. Er wurde festgenommen und blieb bis Kriegsende arretiert oder unter Polizeiaufsicht.

Im Herbst 1946 konnte der deutsche Internationalist und Frontkämpfer gegen Hitler, Mussolini und Franco endlich als freier Mann in seine Geburtsstadt Berlin zurückkehren und wieder ein normales Leben beginnen. Bis zu seinem Tod blieb der journalistisch und publizistisch Tätige ein engagierter Kommunist. Er trotzte dabei Unterstellungen aus den eigenen Reihen ebenso wie der Verfolgung durch reaktionäre Senatsbehörden.

Fritz Teppich wurde für seinen unermüdlichen Einsatz gegen Faschismus und Krieg wie dem Italiener Nino Nanetti und dem asturischen Widerstandshelden Felipe Matarranz der Guernica-Preis für Frieden und Solidarität verliehen.

Soweit unsere Zusammenfassung des Nekrologs, den die baskische Zeitung "Noticias de Biskaia" veröffentlichte.

Hinzuzufügen wäre noch, daß Fritz Teppich im letzten Abschnitt seines bewegten und kampferfüllten Lebens zu einem kreativen Mitstreiter des RF wurde. So gedenken auch wir seiner mit Respekt und Wärme.

K. S.

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RF-Extra

Ein von Hitlers Justiz zum Tode Verurteilter vor dem BRD-Gericht
Heinz Keßler gab keinen Meter Boden ab

Im folgenden veröffentlichen wir (leicht gekürzt) die Verteidigungsrede Heinz Keßlers vor dem Gericht.

Zu den historischen Abläufen und Zusammenhängen der internationalen Entwicklung und der völkerrechtlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten BRD und DDR, die selbständige souveräne Mitglieder der UNO waren, und zum Platz und zur Rolle der DDR in der Völkergemeinschaft, wurden hier in diesem Gerichtssaal am 3. Dezember 1992 von kompetenter Seite Ausführungen gemacht. Da diese die lange Zeit währende Praxis reflektieren, finden sie meine Zustimmung.

Ich beklagte und beklage ebenso wie Erich Honecker jeden - auch die Angehörigen der Grenztruppen der DDR -, der auf unnatürliche Weise im Zusammenhang mit dem Schutz der Staatsgrenze zu Schaden, zu Tode gekommen ist. Ich bekunde meinen Schmerz und mein Bedauern. Die Umstände sind der politischen Situation geschuldet, vor allem jener Versuche bestimmter Politiker in der BRD, die reale Existenz der Staatsgrenze zwischen den beiden Staaten zu ignorieren.

Nach mehr als 18monatiger Haft, die politisch motiviert ist, werde ich zuweilen von Bekannten, Freunden, offiziellen Persönlichkeiten in der Regel mit wohlwollenden Absichten gefragt, wie es mir geht. Ich konnte und kann nur antworten: den Umständen entsprechend.

Im Folgenden einige dieser für mich wichtigen Umstände und damit korrespondierenden Fakten: Ich stehe als Antifaschist, der Sozialist, Kommunist wurde, vor diesem Gericht. Einem Justizorgan eines Staates, der ein anderer ist als der, in dem ich politisch gewirkt habe. Eines Staates, der sich anschickt, über den ehemals weltweit anerkannten Staat DDR zu Gericht zu sitzen. Er will über die von der Legislative der DDR beschlossenen Gesetze und deren Bürger, die diesen Gesetzen verpflichtet waren, befinden. Ein Novum in der Politik und Rechtsgeschichte, wie von nicht wenigen in- und ausländischen Experten festgestellt wurde.

Zur Person: Ich komme aus einem politisch aktiven, kommunistisch orientierten Elternhaus. Die von mir hochverehrte Mutter und der hochverehrte Vater mußten die Hölle des Faschismus, seiner Gefängnisse, Konzentrationslager und Strafbataillone mit all ihrem unmenschlichen Terror über sich ergehen lassen. Warum? Sie kämpften für Deutschland gegen das Hitler-Regime und dessen völkermordenden Krieg. Ich habe es erlebt, bin ein Zeitzeuge dafür, wie die Schergen des Nazismus Kommunisten, Sozialdemokraten, bürgerliche Demokraten und jüdische Bürger verfolgten, quälten und oft - unseren Augen entzogen - vernichteten.

Dies alles prägte von früher Jugend an meinen Lebensweg, den ich nie verlassen habe. Er führte mich in die Reihen derer, die für Deutschland gegen das Hitler-Regime und dessen Aggressionskriege kämpften. Dafür wurde ich wie viele andere von den Justizorganen des Hitler-Staates zum Tode verurteilt. Es drängt sich mir oft die bange Frage auf, was hätten Justiz, Gestapo und Wehrmacht mit mir gemacht, wenn sie meiner habhaft geworden wären? Die Antwort liegt auf der Hand.

Es gab in jüngster Zeit indirekte Hinweise, ich sollte von meiner Überzeugung ablassen. Es könnte von Vorteil sein. Ich halte es für meine Pflicht, hier, an dieser Stelle, zu erklären, daß ich solches Ansinnen für absurd halte, daß das zugleich für all jene, die ihr Leben für die Würde unseres Volkes, für den Erhalt und den Bestand unseres Vaterlandes geben mußten, eine Verhöhnung ist. Wenn ich nicht seit vielen Jahren Antifaschist wäre, so wäre ich es heute in Deutschland geworden, wie es viele andere Demokraten in den letzten Monaten, Wochen, Tagen geworden sind. Die widerwärtigen, gefährlichen Umtriebe der Neo-Nazis lassen keine andere Wahl.

Seit einiger Zeit geht das erfundene Wortgebilde vom "verordneten Antifaschismus" in der DDR um.

Aus einer "Stern"-Übersicht geht hervor, daß gegenwärtig auch in der BRD von vielen Seiten nach neuen Gesetzen und Verordnungen gerufen wird, um de Neonazis wirkungsvoll begegnen zu können. Für das spätere Staatsgebiet der DDR wurden die ersten notwendigen Befehle zur Überwindung des geistigen und materiellen Erbes des Nazismus auf der Grundlage der Potsdamer Beschlüsse von der Sowjetarmee erlassen und durchgesetzt. Das Wichtigste aber war und ist die geistige Auseinandersetzung mit der Theorie und der Politik des Nazismus. Mit vielen anderen Antifaschisten habe ich hier in Berlin an diesem schweren, komplizierten Prozeß teilgenommen.

Ein Beispiel: Es war nicht einfach zu klären, warum die Oder-Neiße-Linie fortan die Staatsgrenze zu unserem östlichen Nachbarn Polen sein würde. Wie wurden wir beschimpft, beleidigt, Vaterlandsverräter gescholten. Auch von Personen, die später hohe Funktionen in der BRD bekleideten. Bekanntlich hat die DDR sehr früh diese Grenze als Friedensgrenze anerkannt. Was würden wohl die Politiker von heute sagen, wenn sie mit ähnlichen Attributen belegt würden.

Ich gehöre zu den Millionen Bürgern, die unter äußerst komplizierten politischen und materiellen Bedingungen mitwirkten, um auf dem vom Haupterbe des Faschismus geräumten Boden etwas zu schaffen, was die Wiederholung von Krieg und Faschismus ein für alle Mal ausschloß. Es ist unbestritten, daß die Bürger der DDR mit Unterstützung der Völkergemeinschaft durch harte Arbeit dazu einen beachtlichen Beitrag leisteten. Wir sind bei den gegebenen Voraussetzungen nicht sehr reich geworden, aber es war ein Wirken, das den Bürgern der DDR internationale Anerkennung einbrachte.

Der Lebensstandard war in vielem gesicherter als in der übergroßen Mehrheit der Länder mit anderen gesellschaftlichen Strukturen. Wegen meines Wirkens als Bürger der DDR wurde ich verhaftet, bin ich in Untersuchungshaft, sitze ich hier in diesem Saal und soll mich vor diesem Gericht der BRD verteidigen.

Wir Bürger der DDR waren und blieben Suchende, Lernende im Prozeß des Aufbaus einer neuen sozialen Ordnung. Dabei sind uns Fehler unterlaufen auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet. Ich bekenne mich zu dem, was geleistet wurde und was uns durch eigene Fehler und Unzulänglichkeiten nicht gelungen ist. Zu den Umständen gehört es folglich auch, daß ich mit vielen anderen Bürgern der DDR Angehöriger der Streitkräfte wurde. Das war eine Folge der Bewaffnung der BRD. Im Leben und in der Politik spielt die Reihenfolge oft eine wichtige Rolle. Erst bewaffnete sich die BRD und dann die DDR. Erst Bundeswehr und danach NVA. Wie überhaupt die Gründung der DDR erst nach der durch die mit der Bildung der BRD abgeschlossenen Spaltung erfolgte.

In verschiedenen Dienststellungen war ich in der NVA bemüht, antifaschistisches Denken und Handeln zu fördern. Es galt, die Verpflichtung zu erfüllen, gemäß der Verfassung und den Gesetzen der DDR, eingebunden in das System des Warschauer Vertrages, die Sicherheit und die Unantastbarkeit der Hoheitsrechte zu gewährleisten. Meine Tätigkeit als Minister für Nationale Verteidigung, die annähernd vier Jahre währte, unterlag den gleichen Kriterien.

Ich gehörte längere Zeit dem Verfassungsorgan der DDR, dem Nationalen Verteidigungsrat an. Es muß festgestellt werden, daß es analoge und ähnliche Staatsorgane in vielen Ländern gab und gibt - auch in der BRD -, es sich also um keine Besonderheit der DDR handelt. In dieser Eigenschaft habe ich mitberaten und beschlossen, was für den Schutz und die Verteidigung notwendig war. Dies geschah auf der Basis der Verfassung der DDR, unter Berücksichtigung der politischen und militärischen Konstellationen.

Zu den Umständen gehört auch die historisch herangereifte Notwendigkeit der Gründung des Warschauer Vertrages. Die Tatsache, daß die DDR Mitglied dieses Paktes wurde, nachdem die BRD der NATO beigetreten war, brachte es mit sich, daß die Schutz- und Verteidigungsinteressen der einzelnen Staaten mit denen der Gemeinschaft, wenn geographisch auch differenziert, identisch waren. Keine bedeutende Maßnahme in den Mitgliedsstaaten ist ohne Beratung und entsprechende Beschlüsse in den Organen des Warschauer Vertrages durchgeführt worden. Das traf insbesondere für die DDR zu. Die Staatsgrenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik war objektiv zugleich die Grenze zwischen den beiden Bündnissen Warschauer Vertrag und NATO. Alle entscheidenden Maßnahmen an dieser sensiblen, für die Erhaltung des Friedens bedeutenden Staatsgrenze waren infolgedessen Gegenstand der Aufmerksamkeit der Organe des Warschauer Vertrages, besonders seines wichtigsten Organs, des Politischen Beratenden Ausschusses, in dem die Ersten Sekretäre bzw. Generalsekretäre den entscheidenden Einfluß ausübten. Die DDR war aufgrund ihrer geographischen Lage ein wichtiger, aber nicht der wichtigste Staat. Es gehört zu den nicht zu übersehenden Umständen, daß auf dem Territorium der DDR eine der qualitativ und quantitativ bedeutendsten Gruppierungen der sowjetischen Streitkräfte stationiert war. Diese war zugleich Bestandteil des Oberkommandos des Warschauer Vertrages. Infolge dieser verständlichen Verflechtung konnte auf dem Territorium der DDR keine Sicherheits- und Verteidigungsmaßnahme geplant und durchgeführt werden, die nicht in Übereinstimmung mit dem Oberkommando dieser Gruppierung stand. Alle gemeinsam konzipierten Maßnahmen zur Sicherung der Staatsgrenze der DDR zur Bundesrepublik hatten zwei Aufgaben zu erfüllen: Vereitelung aggressiver Handlungen und möglicher Angriffe von jenseits der Staatsgrenze und Maßnahmen gegen die Verletzung der Staatsgrenze vom Territorium der DDR aus.

Im Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR vom 21. Dezember 1972 heißt es im Artikel 6, daß sich die Hoheitsgewalt jeder der beiden Seiten auf ihr Staatsgebiet beschränkt! Es wird dort auch zum Ausdruck gebracht, daß sich beide Seiten verpflichten, die Unverletzlichkeit ihrer Grenzen als eine entscheidende Voraussetzung für die gedeihliche Entwicklung aller übrigen Seiten ihrer Beziehung zu gewährleisten. Die BRD hatte in einem recht frühen Stadium völkerrechtlich anerkannt, daß es sich nicht, wie in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft formuliert, bei der Grenze zwischen der DDR und der BRD um eine innerdeutsche Grenze, sondern um die Staatsgrenze zweier Völkerrechtssubjekte gehandelt hat. Alle Maßnahmen und Veränderungen bezüglich der Staatsgrenze der DDR vollzogen sich in Erfüllung auch von Bündnisverpflichtungen in Übereinstimmung mit der Verfassung und den Gesetzen der DDR. Das bedeutet, die Angehörigen der Grenztruppen der DDR und ihre Vorgesetzten haben in Übereinstimmung mit den Gesetzen der DDR und den auf ihnen fußenden Vorschriften gehandelt. Das gilt auch für die Schußwaffengebrauchsbestimmungen, die - wie ein sachlicher Vergleich zeigt - denen anderer Staaten, so auch denen der BRD ähnlich oder gleich sind.

Es muß bemerkt werden, daß die DDR für das an dieser Staatsgrenze bestehende Regime in der UNO zu keiner Zeit irgendwelchen Diskriminierungen ausgesetzt war. Ihre Autorität in dieser Weltgemeinschaft war groß und ungebrochen.

Andere Staaten hatten und haben an ihren Staatsgrenzen ähnliche Ordnungen. Es ist mit den Normen des Völkerrechts unvereinbar, über die DDR und die Personengruppen, die ihr gedient haben, im nachhinein durch einen anderen Staat zu befinden und die DDR und Bürger dieses Staates, die nach deren Gesetzen gehandelt haben, zu kriminalisieren. Es könnte die Frage entstehen, ob man zum gegebenen Zeitpunkt so auch mit der nicht mehr existierenden Sowjetunion und Personengruppen dieses Landes verfahren will. Es war also rechtens, wie sachliche Betrachtungen belegen, daß die Angehörigen der Grenztruppen und ihre Vorgesetzten entsprechend den Gesetzen der DDR ihre Pflichten erfüllten. Es muß in diesem Zusammenhang darauf verwiesen werden, daß niemand direkt oder durch Vorspiegelung falscher Tatsachen veranlaßt wurde, das sichtbar gekennzeichnete militärische Sperrgebiet an der Staatsgrenze der DDR zu betreten, ungesetzlich in dieses einzudringen und sich in eine selbst heraufbeschworene Gefahr zu begeben.

Kein Angehöriger der Grenztruppen konnte wissen, wer und was verbirgt sich hinter dem Grenzverletzer. Es konnten Menschen sein, die Gesetze verletzt haben, die Zoll- und Devisenbestimmungen, Rauschgiftbestimmungen übergehen wollten. Es gab, wie bekannt ist, auch hinterhältige Anschläge auf Angehörige der Grenztruppen, Anschläge, die zum Teil von langer Hand und durch Bürger und Einrichtungen der BRD und Westberlins organisiert wurden.

Ich erkläre, daß ich zu keinem Zeitpunkt Weisungen gegeben habe, die im Widerspruch zur Verfassung und den Gesetzen der DDR standen. Für das Handeln aller Beteiligten, also auch für die Grenzverletzer, habe ich keine Veranlassung gegeben. Ich betrachte diese Behauptung als eine Unterstellung. Die mir in der Anklageschrift angelasteten Beschuldigungen weise ich entschieden zurück.

Die aus militärischen Gründen geschaffenen Minenfelder, die in den 40er und 50er Jahren von den sowjetischen Besatzungstruppen angelegt wurden, sind während meiner Amtszeit als Minister vollständig liquidiert worden. Übrigens auf Beschluß des Verteidigungsrates und Weisung seines Vorsitzenden.

Zum Schluß meiner Einlassung stelle ich nochmals ausdrücklich fest: Die noch immer andauernde Untersuchungshaft und das Verfahren selbst sind nach meiner Auffassung politisch motiviert. Politische Wertungen müssen diskutiert werden. Einer solchen politischen Auseinandersetzung will ich mich stellen und entsprechend meinen Kenntnissen und meiner politischen Verantwortung an ihr mitwirken.

Ich erkläre mit Nachdruck: Ich habe keine der mir im Sinne der verlesenen Anklageschrift vorgeworfenen Taten begangen. Was immer verhandelt und entschieden wird, werde ich auch weiter am Kampf all derer teilnehmen, die entschieden für die Zurückdrängung von Neonazismus, Rassismus und Völkerfeindschaft kämpfen. Mein Dank gilt allen, die für mich Verständnis haben und mir solidarische Hilfe erweisen.

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Martin Luther King war ein Bahnbrecher des "anderen Amerika"
Atheistischer Respekt vor einem Gottesmann

Der 19. Januar ist in den USA seit vielen Jahrzehnten ein dem Andenken des Predigers, Bürgerrechtlers und Friedensnobelpreisträgers Dr. Martin Luther King jr. gewidmeter Nationalfeiertag. Mit ihrer Entscheidung, den am 4. April 1968 auf dem Balkon des Lorraine Motels in Memphis am Mississippi erschossenen Wegbereiter der afroamerikanischen Befreiungsbewegung auf solche Weise zu ehren, wollte die Kennedy-Administration das aufs schwerste beschädigte Image der Vereinigten Staaten demonstrativ aufbessern.

Nach seinen jahrelangen erfolgreichen Schlachten gegen den systemimmanenten Rassismus im Süden hatte sich MLK, wie er in den USA kurz genannt wurde, in die Ghettos von Los Angeles und New York begeben, um seinen Kampf fortzusetzen und auch dort die Führung der Befreiungsbewegung zu übernehmen.

Nachfolgende Generationen der Zeugen des seinerzeitigen Geschehens haben einen Anspruch darauf, die Wahrheit über einen großen Kirchenmann, Humanisten und Teilnehmer am Klassenkampf zu erfahren, dessen gesamtes Handeln nicht nur der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den 50er und 60er Jahren starke Impulse verlieh.

1955 hatte MLK die politische Arena im USA-Südstaat Alabama betreten. Damals ernannte ihn die landesweit wirkende Nationale Vereinigung für den Fortschritt der Farbigen (NAACP) zum Sprecher des große Aufmerksamkeit auf sich lenkenden Bus-Boykotts in Montgomery. Die mutige Rosa Parks - seitdem eine Ikone der Bürgerrechtler und aller Antirassisten in den USA - hatte den Funken ins Pulverfaß zu schleudern gewagt: Am 1. Dezember 1954 weigerte sie sich, ihren Sitzplatz im ausdrücklich Weißen vorbehaltenen Teil eines städtischen Busses zu räumen.

Die daraufhin erfolgte Festnahme der beherzten Frau mittleren Alters durch die rassistische Polizei Alabamas schweißte nicht nur die schwarze Bevölkerungsmehrheit von Montgomery buchstäblich über Nacht zusammen, sondern löste darüber hinaus einen Sturm der Empörung aus, der immer mehr anschwoll und die Führung des Landes nach Jahren erbitterten Kampfes der Befreiungsbewegung zumindest in legalistischer Hinsicht zur Aufhebung der bis dahin beibehaltenen Rassentrennung im Süden zwang. Das Gesetz über Bürgerrechte aus dem Jahre 1964 und das etwas später folgende Wahlrechtsgesetz markierten eine siegreiche Etappe auf dem Weg des Triumphs der afroamerikanischen Volksbewegung.

Am 1. Februar 1956 war zunächst eine von der NAACP angestrebte richterliche Entscheidung über die Beendigung der Rassendiskriminierung in Montgomerys öffentlichen Verkehrsmitteln in Kraft getreten - ein erster Sieg.

1963 - dem Jahr der Ermordung J.F. Kennedys - setzte MLK Aktionen ähnlicher Art in Birmingham (Alabama) fort. Die rassistische Staatsmacht antwortete mit der brutalen Verfolgung Tausender überwiegend junger Teilnehmer an Protestmärschen. Es kam zu Massenverhaftungen. MLK wurde selbst mehrere Male eingekerkert. Dennoch konnte sich seine Bewegung auch in Birmingham durchsetzen.

Im selben Jahr folgte der legendäre Marsch durch die Autometropole Detroit, an dem bereits 200.000 Menschen teilnahmen. Als herausragendes Ereignis galt damals die Entscheidung der einflußreichsten Gewerkschaftszentrale des Landes - der United Auto Workers (UAW) -, ihr ganzes Gewicht zur Unterstützung der Bewegung Martin Luther Kings in die Waagschale zu werfen. Schon während der Kämpfe in Montgomery hatte die schwarze Befreiungsbewegung mit der Unterstützung der UAW-Zentrale rechnen können. 1958 war von MLK in einer Schrift auf die Tatsache hingewiesen worden, daß von den 13,5 Millionen Mitgliedern der Dachorganisation AFL-CIO immerhin 1,3 Millionen - also ein Zehntel - Afroamerikaner seien. Während des Aufmarschs in Detroit hielt der rebellische Pastor die erste seiner berühmten Reden, welche mit den Worten begann: "I have a dream - Ich habe einen Traum."

Schon am 28. August 1964 wurde dann mit der gigantischen Kundgebung in Washington auch die Hauptstadt der Vereinigten Staaten einbezogen. Unter den die Metropole überflutenden Massen befanden sich besonders viele Gewerkschafter.

Die Verbindung zu den Unions besaß für MLK stets einen besonders hohen Stellenwert. Im Frühjahr 1968 engagierte er sich vor allem für den Verband der kommunal Beschäftigten, dessen Local 1733 in Memphis (Tennessee) fast nur aus miserabel bezahlten afroamerikanischen Müllmännern und Kräften der Straßenreinigung bestand. Sie führten einen erbitterten Kampf für ihre Anerkennung und die Durchsetzung gerechter Löhne. Als dort der Generalstreik ausgerufen wurde, war MLK sofort zur Stelle. Die letzten Bilder des furchtlosen Baptisten-Predigers zeigten ihn in der vordersten Reihe der zum Protest aufmarschierenden "sanitation workers" von Memphis.

Nach dem Mord an dem erst 39jährigen Kirchenmann, der zugleich - objektiv betrachtet - auch ein von Millionen Atheisten in aller Welt verehrter Klassenkämpfer war, präsentierte das FBI sehr bald als vermeintlichen Täter einen gewissen James Earl Ray. Auf Anraten seines Anwalts gestand dieser das ihm angelastete Verbrechen, um so der Todesstrafe zu entgehen. Doch nur wenig später widerrief er seine Aussage und stellte sich als Opfer einer Verschwörung dar. Das damit angestrebte Ziel, einen ordentlichen Prozeß mit 12 Geschworenen zu erzwingen, erreichte er jedoch nicht.

"Die Familie King glaubt nicht, daß Ray irgend etwas mit dem Mord im Lorraine Motel zu tun gehabt hat. Sie geht vielmehr wie andere davon aus, daß der Bluttat eine Verschwörung unter Verstrickung der US-Regierung zugrunde gelegen hat", verlautete damals. Diesen Schluß zog übrigens auch die Geschworenenjury im parallelen Zivilprozeß gegen Loyd Jowes und ungenannte Mitverschwörer.

Weite Kreise der USA-Öffentlichkeit hegen im Hinblick auf den Mord in Memphis bis heute ähnliche Zweifel, wie sie im Zusammenhang mit den Anschlägen auf Präsident John F. Kennedy und dessen Bruder, Justizminister Robert Kennedy, niemals ausgeräumt werden konnten. Viele Amerikaner glauben, daß sich das Establishment nach fehlgeschlagenen Versuchen, Martin Luther King als verkappten Kommunisten und hemmungslosen Schürzenjäger zu diskreditieren, zur physischen Ausschaltung des Führers der afroamerikanischen Befreiungsbewegung entschlossen habe.

Interessant dürfte auch dieses Detail sein: Der vermeintliche Killer James Earl Ray war alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Aus einem staatlichen Gefängnis der USA entwichen, wurde er auf dem Londoner Flughafen Heathrow festgenommen, als er gerade eine Maschine nach Afrika besteigen wollte, wo er unterzutauchen gedachte. Mit der Sache befaßt gewesene US-Kriminologen halten es für höchst unwahrscheinlich, daß er seine bereits eingeleitete Flucht ins Ausland durch einen Mord zusätzlich hätte gefährden wollen.

Doch beschränken wir uns auf diese Betrachtung der Ära Martin Luther Kings, in der es zeitweilig durchaus den Anschein gehabt hatte, als läge das Schlimmste vom finsteren Erbe des Amerikas der Sklavenhalter nun hinter den Bürgern der USA, um einen Blick auf das gespenstische Wiederaufflammen alter rassistischer Übel im imperialistischen Hauptland zu werfen. Wie sich während der letzten Jahre gezeigt hat, vermochte auch ein schwarzer Mann im Weißen Haus am Wesen der Dinge nichts zu ändern, selbst wenn seine Gesamtbilanz nicht die schlechteste aller Präsidenten der Vereinigten Staaten gewesen sein mag.

Die von manchen innerhalb wie außerhalb der USA sogar ehrlichen Herzens als echter Wandel empfundene Entwicklung in der Ära Martin Luther Kings ist inzwischen weitgehend durch einen Rückfall in die Vergangenheit ersetzt worden. Die antirassistische Tünche blättert immer mehr ab, und neue heiße Sommer des Amoklaufs gegen schwarze Mitbürger bestimmen abermals die Szenerie. Einflußreiche Kräfte versuchen offensichtlich, die Niederlage der US-Rassisten im 20. Jahrhundert in Vergessenheit geraten zu lassen.

Es gibt allerdings einen gravierenden Unterschied zur damaligen Situation: Mußte Martin Luther King der Befreiungsbewegung erste Impulse geben, so existiert heute eine machtvolle selbstbewußte schwarze Gemeinschaft in den USA, die durch große Teile auch der weißen Bevölkerung moralische und materielle Unterstützung erfährt.

Zwar wurde auch diesmal am 19. Januar der Martin-Luther-King-Nationalfeiertag von offizieller Seite mit Pomp und Gloria begangen. Doch auch das üppigste Dekor vermochte die wenigen im Netz verbliebenen Fische nicht als gigantischen Fang zu präsentieren.

Weitaus mehr Aufsehen als das Gedöns der Herrschenden lenkte die Entwicklung der neuen Massenbewegung "Black lives matter" (Schwarze Leben zählen!) auf sich. In diese Form kleidet sich heute der Protest gegen unablässig begangene Gewalttaten der Polizei an afroamerikanischen Mitbürgern, wobei das begangene Unrecht fast immer ungesühnt bleibt.

Vor diesem Hintergrund erweisen sich offizielle Bemühungen, Martin Luther King in eine mumifizierte Heldengestalt ohne Bezug zum Hier und Heute zu verwandeln, als erfolglos. Die Feierlichkeiten der Obrigkeit wurden diesmal von mehr als 150 gewaltigen Ausbrüchen des Protests weit in den Schatten gestellt. Überall - von Florida bis Colorado - ging es dabei keineswegs nur um die Rechte der Schwarzen und anderer Minderheiten, sondern auch um tiefgreifende soziale Forderungen.

In Philadelphia gingen - um nur ein Beispiel zu nennen - Zehntausende für einen Mindestlohn von 15 Dollar auf die Straße. Mit ihren Transparenten forderten sie die Verteidigung des öffentlichen Bildungswesens für alle Kinder und Jugendlichen gegen den Schwarze und unerwünschte Einwanderer kriminalisierenden Terror der Polizei.

Nicole Sully - eine von etwa 30 Verhafteten - schilderte dem Reporter der portugiesischen KP-Zeitung "Avante!", was es mit der auch ihr angelasteten symbolischen Blockade von 14 Verkehrsarterien in Metropolen der USA auf sich gehabt habe: "Wir legten sie für 28 Minuten still, um daran zu erinnern, daß in diesem Land alle 28 Stunden ein schwarzer Mitbürger durch Polizeikugeln oder Mißhandlungen willkürlich zu Tode gebracht wird."

Nicole ist wie die anderen Inhaftierten der Begehung von fünf Delikten angeklagt, auf die bis zu sieben Jahre Freiheitsentzug stehen. Sie reichen von "Ungehorsam gegenüber Behörden" und "Behinderung des Verkehrs" bis zur "Störung des öffentlichen Friedens".

Auch Martin Luther King besaß überaus reiche Erfahrungen mit polizeilicher Repression. Ein Verfechter des gewaltlosen Widerstandes, stellte er sich immer wieder furchtlos den sein Land Beherrschenden entgegen und ließ vor allem auch Streikende niemals im Stich. 1967 brachte er Worte zu Papier, die genausogut heute hätten geschrieben worden sein können:

"Es ist nichts an einem Gesetz zu beanstanden, das uns zwingt, bei einem roten Signal zu stoppen. Aber wenn es irgendwo brennt, dann ignorieren die Feuerwehrleute alle normalen Vorschriften, und es gibt für sie kein Haltesignal mehr. Oder: Wenn ein Mensch in seinem Blute liegt, dann passieren die Rettungswagen jegliche Stopzeichen mit höchstmöglicher Geschwindigkeit. Ein solcher Brand lodert jetzt in den Herzen der Schwarzen und der Armen, die unter den tragischen Bedingungen schrecklicher ökonomischer Ungerechtigkeit leben müssen. Die verelendeten Völker der Welt sind dabei, ihrer nationalen und sozialen Erniedrigung zu entkommen. Wir brauchen Brigaden von Sanitätern, welche die roten Ampeln dieses Systems so lange ignorieren, bis eine rettende Lösung erfolgt ist."

Diesem Martin Luther King noch am Jahresende 1967 - nur Monate vor seinem Tod - im demokratischen Berlin begegnet zu sein, war ein Glücksfall. Dem leider schon vor vielen Jahren sehr jung verstorbenen Werner Kiehne - einem unvergessenen Freund - und mir hatte das DDR-Außenministerium, in dessen USA-Abteilung wir beide damals tätig waren, einen besonders ehrenhaften Auftrag erteilt: Wir sollten dem aus Westberlin für einen halben Tag in die DDR-Hauptstadt einreisenden Gottesmann erforderlichenfalls jede von ihm erbetene Unterstützung erweisen. Da die MLK eskortierenden Kirchenleute den Gast hermetisch abzuschirmen suchten, hielten wir uns diskret zurück.

In einem der kältesten Jahre des Kalten Krieges wärmte der große Humanist mit seinen beiden bewegenden Predigten in der Marien- und der Sophienkirche nicht nur die christliche, sondern auch unsere atheistische Seele. Nachdem wir zuvor so manchen die DDR besuchenden Genossen der KP der USA und weiteren Vertretern des "anderen Amerika" unsere Verbundenheit hatten bekunden können, empfanden wir in diesen Stunden nicht weniger Wärme und Hochachtung für einen Mann im schwarzen Talar, dem auch Rote in aller Welt ihre Zuneigung nicht versagten.

Klaus Steiniger

Ende RF-Extra

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Türkei: Amoklauf des AKP-Regimes gegen Kurden und Andersdenkende
Erdogan beruft sich auf Hitler

Seit sieben Monaten ist über Dutzende Städte und Ortschaften im Südosten der Türkei vom AKP-Regime der Ausnahmezustand verhängt worden. Erdogans Terror fordert immer wieder zahlreiche Menschenleben. Unzählige Antiimperialisten wurden festgenommen, Zehntausende diskriminierte Bürger sind Opfer brutaler Repressionen.

Mit dieser Situation befaßten sich unlängst mehr als 1100 Hochschullehrer von 80 türkischen Universitäten. Gemeinsam mit 350 ausländischen Akademikern unterzeichneten sie am 11. Januar einen international verbreiteten Text, in dem es u. a. heißt: "In vielen Städten der kurdischen Provinzen des türkischen Staates sind die Bürger von Woche zu Woche verlängerten drastischen Ausgangssperren unterworfen. Neben der Zurückhaltung von Nahrungsmitteln wird ihnen auch der Zugang zu elementaren Dienstleistungen wie Trinkwasser und Elektroenergie verweigert."

Die "Akademiker für den Frieden" verurteilen "das vorsätzliche und geplante Massaker an der kurdischen Bevölkerung". Das rabiate Vorgehen des Erdogan-Regimes, dessen oberste Repräsentanten sowohl in Brüssel als auch in Berlin respektvoll empfangen wurden, verstoße ebenso gegen die türkischen Gesetze wie gegen das Völkerrecht. Die Unterzeichner des Dokuments weisen die Darstellung des türkischen Militärs zurück, das sich zwischen Toten, Verwundeten und Verhafteten sowie Guerillakämpfern der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und Zivilisten zu unterscheiden geweigert habe und in seinen täglichen Kommuniqués lediglich die "Neutralisierung weiterer Terroristen" vermelde.

Im August 2015 nahm die AKP-Regierung nach dem Abbruch der seit 2012 geführten "Friedensgespräche" mit der PKK ihre äußerst rabiate Politik gegenüber der kurdischen Mehrheit im Südosten des Landes wieder auf. Seitdem wurden 19 Bezirke in sechs Provinzen hermetisch abgeriegelt und durch Kräfte der Armee wie des Interventionskorps der Polizei dauerhaft okkupiert. Seitdem herrscht dort Sonderrecht.

Nach Schätzungen wurden für diese Strafoperation in den ersten fünf Monaten mehr als 10.000 Bewaffnete eingesetzt, denen schwere Kampftechnik zur Verfügung steht. Dieses Kontingent hat den Auftrag, Protestdemonstrationen der Bevölkerung gewaltsam aufzulösen, da deren geballte Empörung aus der Sicht des Regimes zu einem Aufstand führen könnte.

Das Leben von 1,4 Millionen Betroffenen gleicht einem Inferno. Bis Anfang Januar wurden nach Schätzungen einer türkischen Bürgerrechtsorganisation 160 Zivilisten ermordet, darunter 29 Frauen, 32 Kinder und 24 alte Leute. Aus derselben Quelle verlautete, im Dezember habe sich der Terror besonders verstärkt, sei die Hälfte der registrierten Opfer zu beklagen gewesen.

Die linksgerichtete und prokurdische Demokratische Volkspartei (HDP) brachte um jene Zeit eine Serie erschütternder Fotos in Umlauf, die den Terror des AKP-Regimes dokumentarisch belegen. Die türkischen Behörden scheinen dem HDP-Kommentar in einer Frage zuzustimmen: Die Situation muß als so ernst betrachtet werden, daß die Möglichkeit des Hinüberwachsens in einen voll entfalteten Bürgerkrieg real ist.

Parallel zum Massenterror gegen die Kurden im Südosten des Landes hat der Erdogan-Klüngel eine selbst bisherige Dimensionen in den Schatten stellende antidemokratische Offensive auch in den anderen Landesteilen begonnen. Am 8. Januar besetzten schwerbewaffnete Sonderkommandos der Polizei das HDP-Hauptquartier in Istanbul und nahmen dort eine Reihe anwesender Führer dieser Partei - der drittstärksten Kraft im türkischen Parlament - willkürlich fest. Nur drei Tage zuvor hatten Einheiten des angeblich nur Terroristen verfolgenden Kommandos Antimotim die Protestkundgebung gegen eine antikurdische Kampagne im Zentrum von Istanbul brutal auseinandergejagt. Zugleich stehen die im Januar wiedergewählten HDP-Kovorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksedag wegen ihrer Autonomieforderung für die Kurdengebiete unter Anklage.

Mehrere verantwortliche Redakteure der mit oppositionellen Kreisen verbundenen Zeitung "Cumhuriyet", die schon am 26. November wegen "Spionage und Enthüllung von Staatsgeheimnissen" festgenommen worden waren, stellte das Regime ebenfalls vor Gericht. Das Blatt hatte die Übergabe von Waffen durch den türkischen Geheimdienst an syrische "Rebellen" enthüllt.

Die Vernetzung zwischen Operationen der Türkei und des IS gegen Syriens rechtmäßige Assad-Regierung sowie eine Verstrickung des Erdogan-Regimes in den Raub des von den IS-Banden systematisch gestohlenen syrischen Erdöls sind längst keine Geheimnisse mehr. Übrigens wird Erdogans Sohn dringend verdächtigt, bei der "Petrol-Transaktion" eine Schlüsselrolle zu spielen. Erwiesen ist Ankaras Intervention gegen kurdische Selbstverteidigungskräfte in Syrien, deren Widerstandspotential zur Abwehr der IS-Banden als beachtlich gilt.

Am 23. November 2015 wurde ein Attentatsversuch auf den HDP-Vizepräsidenten in Diyarbakir, der größten kurdischen Stadt der Türkei, unternommen. Als erbitterter Gegner der AKP hatte seine Partei bei den Wahlen Mitte vergangenen Jahres die von Erdogan angestrebte absolute Mehrheit im Parlament verhindert. Nachdem der Diktator am Bosporus das Zustandekommen einer arbeitsfähigen Regierung hatte verhindern können, erreichte seine AKP bei den damit erzwungenen Neuwahlen am 16. November unter den Bedingungen massiven Terrors zwar dieses Ziel, vermochte aber die HDP als einflußreichste Hauptpartei der linken Opposition auf legale Weise nicht auszuschalten. Die von der AKP zurückeroberte absolute Mehrheit der Mandate gestattet es Erdogan jedoch, seine berüchtigte "Verfassungsreform" jetzt durchzusetzen, ohne erneut auf hinreichenden parlamentarischen Widerstand zu stoßen.

Das Hauptziel des früheren Ministerpräsidenten und heutigen Staatschefs der Türkei besteht nach dessen eigener Aussage in der "Stärkung der Präsidialmacht" - also seiner persönlichen Diktatur als "Sultan" der Türkei. Dabei besitzt er ein leuchtendes Vorbild. "Es gibt bereits andere Beispiele in der Welt und in der Geschichte. Wir können uns ja Hitlers Deutschland vor Augen führen", sagte Erdogan in seiner Neujahrsbotschaft.

RF, gestützt auf "Avante!", Lissabon

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Der kolumbianische Bürgerkrieg forderte über 220.000 Menschenleben
Vor dem Friedensschluß in Havanna

Unter persönlicher Vermittlung von Kubas Präsident Raúl Castro stehen die seit November 2012 in Havanna geführten Verhandlungen beider Kontrahenten des "kolumbianischen Konflikts" kurz vor dem Ende März erwarteten Abschluß.

Schon am 23. September 2015 waren von den Delegationen der rechtsgerichteten und auf die USA orientierten Regierung in Bogotá und der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC-EP) in einer Sondersitzung wichtige Vorentscheidungen gefallen. Die beiden Konfliktparteien vertraten Kolumbiens Staatspräsident Juan Manuel Santos und FARC-Generalstabschef Timokon Jiménez (Comandante Timoschenko).

Inzwischen sind die Gespräche weit gediehen, was bereits zur Freilassung gefangener FARC-Kämpfer geführt hat. Ein Übergangs-Justizsystem soll schwere Verbrechen wie Genozid-Charakter tragende Ausrottungsaktionen ahnden. Von den Delegationen beider Seiten wurde die friedensstiftende Rolle Kubas und Norwegens ebenso hervorgehoben wie die Begleitung des komplizierten Aussöhnungsprozesses durch Venezuela und Chile. Zur positiven Entwicklung hat ohne Zweifel auch der lateinamerikanische Papst Franziskus beigetragen. Bei seiner Messe auf Havannas Revolutionsplatz hatte er im Herbst 2015 mit Blick auf die laufenden Verhandlungen deutlich gemacht: "Wir können uns kein neuerliches Scheitern erlauben."

Führen wir uns den Verlauf des bürgerkriegsartigen Klassenkonflikts in Kolumbien vor Augen. Er begann in den 50er Jahren, als die Regierung in Bogotá auf Anraten von US-Counterinsurgency-Spezialisten zur Strategie der bewaffneten Niederwerfung ihrer Gegner überging, um das die Interessen ausländischer Konzerne und der kolumbianischen Oligarchien begünstigende Regime dauerhaft abzusichern.

Der organisierte bewaffnete Widerstand breiter Massen des Volkes wurde als "Aktion von Staatsfeinden" diffamiert, die nur mit militärischen Mitteln zu "neutralisieren" seien.

Sobald man die Aufständischen niedergeworfen habe, werde in Kolumbien ewiger Frieden Einzug halten. Der ins Visier genommene Gegner war vor allem die FARC, die in den ersten Jahren des Kampfes nicht grundlos als bewaffneter Arm der KP Kolumbiens betrachtet wurde. Ihre physische Liquidierung erfolge im internationalen Interesse, taten kolumbianische Rechtspolitiker ihre vom Pentagon und der CIA vorgegebene antikommunistische Marschrichtung kund. Dem Konflikt lägen keine scharf aufeinanderprallenden Klasseninteressen zugrunde. Es bestehe vielmehr die gesellschaftliche Notwendigkeit, mit einer ständig Unruhe stiftenden Guerillaorganisation aufzuräumen.

Die Anleitung dazu, wie mit "prokommunistischen Gruppen" in der Region zu verfahren sei, lieferte in den frühen 60er Jahren ein in Washington verfaßtes Manual (Handbuch) für den lateinamerikanischen Raum.

Um sich nicht als Urheber der gegen die FARC-Kämpfer gerichteten Ausrottungskampagne bloßzustellen, verfielen die kolumbianischen Machthaber 1965 mit ihrem "Plan Lazlo" auf den Gedanken, "paramilitärische Verteidigungskräfte" aus faschistoiden Elementen zu formieren. Diese wurden darauf als "gesellschaftliche Schutzorgane" legalisiert. Die Todesschwadronen wüteten jahrzehntelang in weiten Landesteilen mit Folter, Menschenraub und Mord.

Während Bogotá sie als "unabhängige dritte Kraft" ausgab, stellten sie in Wahrheit das entscheidende Terrorinstrument der Reaktion dar.

Nach Ankündigung einer bevorstehenden Friedensübereinkunft schrieb Ernesto Londoño in der "New York Times", der "Drei-Wege-Kampf" zwischen der Guerilla, den Regierungstruppen und rechtsextremistischen paramilitärischen Banden, die oft als Strohmänner des Staates handelten, habe mehr als 220.000 Menschenleben gefordert und 5,7 Millionen Kolumbianer aus ihrer angestammten Heimat vertrieben.

Der großbürgerliche Journalist verzichtete dabei nicht auf eine vorrangige Schuldzuweisung an die FARC. Prof. Dan Kovalik von der Juristischen Fakultät der Universität Pittsburgh stellte demgegenüber klar, der "kolumbianische Staat und dessen paramilitärische Verbündete" hätten "den Löwenanteil der Menschenrechtsverletzungen auf dem Gewissen, in den schlimmsten Jahren mindestens 80 Prozent".

Londoño verstand sich indes noch auf eine weitere Verdrehung des Sachverhalts: "Washingtons machtvolles Eingreifen in den Krieg, das Ende der 90er Jahre begann", habe Bogotá zur Schwächung der FARC befähigt, wodurch Friedensverhandlungen erst möglich geworden seien, behauptete er.

Tatsächlich sorgten die USA schon 40 Jahre zuvor für die Entfesselung und Eskalation des bewaffneten Konflikts. Damals bildeten sie die Terror säenden Sondereinheiten der kolumbianischen Armee aus, die jahrzehntelang schlimmste Menschenrechtsverbrechen verübten.

"Erst als man sich in Washington das Scheitern des 'Plans Colombia' eingestehen mußte, traten Veränderungen in der diesbezüglichen US-Außenpolitik ein", konstatierte Amnesty International USA. Seit einigen Jahren sei die Zahl der von kolumbianischen Regierungstruppen begangenen Menschenrechtsverletzungen deutlich zurückgegangen, stellte auch die Organisation Human Rights Watch fest. So konnte der Weg zur Beendigung des Blutvergießens beschritten werden.

Eines bleibt: Die Tatsache, daß es dem wohl bedeutendsten lateinamerikanischen Guerillastrategen Comandante Manuel Marulanda - er starb 2008 eines natürlichen Todes - gelang, aus einem winzigen Trupp rebellierender landloser Bauern die schlagkräftigste revolutionäre Aufständischenarmee der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zu formieren, wird zweifellos in die Geschichte eingehen.

Wenn schließlich die Tore zur Beendigung des Bürgerkrieges in Kolumbien durch einen für beide Seiten akzeptablen Kompromiß geöffnet worden sind, dann ist das in jeder Weise zu begrüßen. Daß die bisherigen Übereinkünfte in Havanna und nicht in Washington zustande kamen, dürfte ebenso aufschlußreich wie die Tatsache sein, daß deren Schirmherr Raúl Castro und nicht Barack Obama heißt.

RF, gestützt auf "Granma Internacional", Havanna, und "The Guardian", Sydney

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Wurde in den Medien des Kapitals auch nur eine Träne für sie vergossen?

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Die Fotos von Lewis W. Hine wurden nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Zyperns AKEL bleibt auch in der Opposition eine solide linke Kraft
Wo jeder Dritte für die Kommunisten stimmt

Eine Tatsache sollte auch nach dem von der einheimischen Reaktion und deren Hintermännern in NATO und EU auf Zypern herbeigeführten Regierungswechsel nicht in Vergessenheit geraten: Dort hat ein Drittel der Stimmberechtigten kommunistisch gewählt - etwas Einmaliges im derzeitigen Europa.

Die marxistische AKEL muß als stärkste Oppositionspartei unter sehr spezifischen Bedingungen operieren: Von der Insel im östlichen Mittelmeer starten immer wieder britische Kampfmaschinen, die Ziele auf syrischem Territorium bombardieren.

Im übrigen zwingt die Brüsseler EU-Kommission den Zyprioten seit Mai 2013 ihren Willen auf. Der kleine Staat wurde zu einem extrem harten Austeritätskurs gezwungen, der ironischerweise als "Hilfsprogramm" ausgegeben wird. Nach zwei Jahren waren dessen Ergebnisse erschreckend: 16 % der aktiven Bevölkerung sind ohne Erwerbsmöglichkeiten, wobei der Arbeitslosenanteil bei jungen Leuten sogar die 50-%-Marke überschreitet. Jene aber, welche einen Job haben, müssen sich mit immer schlechteren Bedingungen abfinden.

Die zuvor regierende kommunistische AKEL begegnet diesem "Sparkurs" mit organisiertem Widerstand. Er muß in einem kleinen Land aufgebaut werden, dessen Banken nicht mehr bereit sind, Mittel für die Entwicklung der einheimischen Wirtschaft zur Verfügung zu stellen und wo die Schwächsten der Gesellschaft nicht die geringste Hilfe vom Staat erwarten können.

Auf Zypern bestehen - in Akrotiri und Dhekelia - zwei NATO-Militärbasen, die offiziell seit Kolonialzeiten zu Großbritannien gehören. Sie beanspruchen eine Fläche von 250 km² - das sind 3 % des zyprischen Territoriums - und unterliegen fremder Entscheidungsmacht. Von diesen Stützpunkten hoben britische, aber auch Kampfmaschinen anderer NATO-Staaten wie Norwegen im Jahre 2011 zu Einsätzen ab, mit denen das imperialistische Komplott gegen Gaddafis Libyen unterstützt wurde. Dort stationierte Einheiten der britischen Royal Air Force nahmen auch am Überfall auf Irak teil.

Am 2. Dezember 2015 - nur wenige Stunden, nachdem sich das neugewählte Unterhaus mit 297 : 223 Stimmen für eine Beteiligung Londons an der westlichen Militärintervention gegen Damaskus entschieden hatte - starteten britische Bomber von Akrotiri, um Ziele in Syrien zu attackieren, ohne dabei die vom IS kontrollierten Gebiete ernstlich in Schwierigkeiten zu bringen. Zypern besitzt für die NATO im Mittelmeerraum einen einzigartigen strategischen Wert, da die Küsten Syriens und des Libanon nur etwa 150 km von der Insel entfernt sind.

Unter diesen Bedingungen stellt die AKEL eine besonders wichtige antiimperialistische Friedenskraft in der Region dar. Sie fordert die Schließung der britischen Stützpunkte und widersetzt sich jeglicher NATO-Präsenz auf dem Boden des nichtpaktgebundenen Inselstaates. Zugleich tritt sie dafür ein, den Nahen und Mittleren Osten zu einer dauerhaft atomwaffenfreien Zone zu erklären. Damit wendet sie sich nicht nur gegen die permanent von der Nuklearmacht Israel ausgehende Drohung, sondern auch gegen die ständige Anwesenheit mit Atomwaffen ausgerüsteter oder bestückbarer Flotteneinheiten der USA und Großbritanniens im östlichen Mittelmeer.

Mit Schärfe verurteilte die AKEL Ende vergangenen Jahres eine Erklärung der rechtsgerichteten Regierung in Nikosia zu den Pariser Attentaten. Erstmals in der zyprischen Geschichte wendeten am Ruder befindliche Reaktionäre damit Art. 42,7 des EU-Vertrages über "wechselseitige Solidarität der Mitgliedsländer" an, wodurch sie bereits Zyperns militärische Einrichtungen europäischen NATO-Staaten zur Bombardierung Syriens geöffnet habe. Wenn die von den derzeit auf Zypern Regierenden durch sie bekundete "Priorität" der Bekämpfung des IS weiterhin als glaubwürdig erscheinen solle, müßten sie die NATO-Staaten vielmehr dazu drängen, die Finanzierung, Bewaffnung und den Handel mit dieser terroristischen Organisation unverzüglich zu beenden, heißt es in einem AKEL-Kommuniqué.

Mit Schärfe verurteilte die Partei den Abschuß einer russischen Maschine über von protürkischen und regierungsfeindlichen Terroristen kontrolliertem grenznahem syrischem Territorium. "Die Türkei ist dabei, den Frieden im östlichen Mittelmeerraum zu zerstören, und die NATO applaudiert ihr noch dazu", wird betont.

Im Verlauf der Jahrhunderte wurde Zypern von Volksgruppen mit unterschiedlicher Sprache besiedelt. Heute bedienen sich 68 % der Inselbewohner des Griechischen und 27 % des Türkischen, während nur 5 % andere Idiome benutzen.

Seit der Invasion der türkischen Armee im Jahre 1974 fühlt sich die Mehrheit der Zyprioten durch die damals erfolgte militärische Abtrennung des Inselnordens beunruhigt. Als die AKEL in Zypern am Ruder war, betrieb sie eine durch keinen Nationalismus getrübte Politik der friedlichen Wiedervereinigung beider Teile des Landes. Dabei stellte sie den gemeinsamen Kampf von griechischen und türkischen Zyprioten für soziale Ziele in den Mittelpunkt. Die Aufrechterhaltung des zweisprachigen Charakters Zyperns unterstreichend, forderte sie ein Ende der Okkupation des Nordens durch Ankara.

Am 1. Oktober 2015 unternahm die AKEL im Europaparlament einen neuen Vorstoß für die Wiederannäherung der beiden stärksten Volksgruppen Zyperns. Dabei kam es zu einem auch durch Meinungsverschiedenheiten geprägten Dialog der dortigen zyprischen Abgeordneten.

Die AKEL führt einen entschiedenen Kampf gegen den Chauvinismus rechtsgerichteter griechischer Zyprioten. Am 18. November 2015 hatten von diesen aufgehetzte Studenten völlig unmotiviert türkische Mitbürger massiv angegriffen. In einer das Ereignis verurteilenden Erklärung der zyprischen Marxisten heißt es u. a.: "In unseren Schulen wird der Faschist Grivas, der in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts als Führer einer griechischsprachigen ultrarechten Bewegung zum Mörder von Türken und Kommunisten wurde, jetzt als Held präsentiert." Damit verdeutlichte die AKEL Hintergründe des Geschehens. In einem Interview erklärte ihr Generalsekretär Andros Kyprianou, man müsse sich vor faschistischen Organisationen wie der ELAM hüten, die auf Zypern regelrechte Manöver veranstalte. Bei ihr handele es sich um eine Abteilung der berüchtigten Goldenen Morgenröte, die in Hellas ihr Unwesen treibe.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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BRD-Konzerne führen den Reigen der Hellas überfallenden Privatisierer an
Raubzug in Griechenland

In Hellas ist die Tsipras-Regierung nach einer kurzen Periode des vorgetäuschten Kragen-Hochstellens voll in die Knie gegangen. Gegen den Willen des Volkes vollzieht sie die totale Ablieferung des Volksvermögens an fremde Plünderer.

Beim ersten Verkauf lieferte Athen die 14 Regionalflughäfen des Landes den mehrheitlich bundesdeutschen Konzern Fraport aus. Das gigantische Unternehmen erhielt gegen Zahlung von 1,2 Milliarden Euro den Zuschlag für 40 Jahre mit einer Option auf ein weiteres Jahrzehnt. Insgesamt hat die Tsipras-Regierung - mit dem Messer der EU auf der Brust - Privatisierungen im Volumen von 50 Milliarden Euro vorzunehmen, wobei allein die Hälfte dieser Summe der "Rekapitalisierung" der griechischen Pleite-Banken zugute kommen soll. Die systematische Aufhebung des hellenischen Staatseigentums wird ganz offiziell vom Trio der größten Plünderer unserer Tage - der berüchtigten Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und dem von Washington aus operierenden Internationalen Währungsfonds (IWF) - "überwacht".

Fraport gehört zu den weltweit mächtigsten Lufttransport-Betreibern unserer Tage. Der Firmensitz befindet sich auf dem Flughafengelände von Frankfurt am Main. Zur Konzerngruppe gehören 500 Unternehmen mit 80.000 Beschäftigten. Ihr Umsatz betrug 2014 rund 2,4 Milliarden Euro, der Profit belief sich auf 252 Millionen Euro. Derzeit auf vier Kontinenten aktiv, betreibt Fraport u. a. Flughäfen in China, Indien und Rußland. An der Spitze des gigantischen Unternehmens steht Stefan Schulte - wie Finanzminister Wolfgang Schäuble Vorstandsmitglied des CDU-Wirtschaftsrates. Die 14 jetzt in BRD-Hände gefallenen hellenischen Flughäfen sind Aktio, Chania auf Kreta, Korfu, Kavala, Kefalonia, Kos, Mitilion, Mykonos, Rhodos, Samos, Santorini, Skiathos, Zakynthos und Thessaloniki. Dabei handelt es sich um die zweitgrößte Stadt Griechenlands.

So befindet sich nahezu der gesamte Touristikbereich des Landes unter bundesdeutscher Konzernkontrolle. Jährlich werden auf diesen Airports 19 Millionen Passagiere abgefertigt.

Um es noch konkreter zu sagen: 2014 trafen auf Rhodos etwa 1,9 Mio. und auf Korfu rund 1 Mio. Passagiere ein. Auf Thessalonikis Air Port registrierte man 1,4 Mio. Ankünfte.

Die Tatsache, daß der griechische Staat bisher aus dieser Quelle im Jahresmittel 450 Millionen Euro einnahm, zeigt, welches Schnäppchen die großdeutschen Privatisierer beim Erwerb der 14 Regionalflughäfen gemacht haben.

Theodoros Galiatsartos, der Syriza zuzuordnende Gouverneur der Ionischen Inseln, zu dessen Amtsbereich Korfu zählt, bezeichnete die Verschleuderung der Flughäfen als einen "lokalen wie nationalen Interessen widersprechenden Vorgang". Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis verurteilte den Plan der politischen Führer der Euro-Zone, das öffentliche Vermögen Griechenlands in "eine Art Treuhandfonds" zu überführen. Auf diese Weise sei man ja auch nach dem Fall der Berliner Mauer mit öffentlichem Eigentum Ostdeutschlands umgesprungen, was bekanntlich zu "verheerenden Auswirkungen im Beschäftigungsbereich" geführt habe. Wie die britische Zeitschrift "The Socialist Correspondent" ihren Lesern erläuterte, bezog sich Varoufakis damit "auf jene Treuhandanstalt, welche die Umstrukturierung und den Verkauf von über 8500 staatseigenen Unternehmen der DDR nach deren Annexion durch Westdeutschland Anfang der 90er Jahre überwacht" habe. Äußerst gewinnträchtige Firmen seien dabei geschlossen und 2,5 der 4 Millionen in diesem Sektor Beschäftigten auf die Straße geworfen worden.

Unter der Dachzeile "Deutschland kauft Griechenland auf" konstatierte das linksgerichtete Blatt, daß die BRD seit 2005 als der größte Investor in Hellas agiere. Einer der "lukrativsten Deals" sei dabei der Verkauf eines zehnprozentigen Anteils an der staatseigenen und jetzt zur Privatisierung stehenden Griechischen Telekommunikationsgesellschaft (OTE) gewesen. Er habe der Deutschen Telekom im Jahr 2011 die Summe von 585 Millionen Euro eingebracht. Derzeit würden die griechischen Staatsschulden gegenüber der BRD auf die gleiche Summe geschätzt.

Als nächster Schritt zur Liquidierung des hellenischen Staatseigentums ist die Privatisierung der Häfen von Piräus und Thessaloniki vorgesehen, was bei der griechischen Arbeiterklasse, ganz besonders aber bei der kommunistisch geführten Gewerkschaftszentrale PAME, die gemeinsam mit der KKE das Spiel von Tsipras sehr früh durchschaut hatte, auf erbitterten Widerstand stößt. Um den Erwerb des größten griechischen Hafens Piräus bemühen sich derzeit die Cosco-Gruppe aus China, der dänische Terminal-Betreiber MAERSK und die auf den Philippinen angesiedelte multinationale Konzerngruppe ICT.

PS. Thessalonikis Hafen soll noch in diesem Monat "abgestoßen" werden.

Als weitere Privatisierungsobjekte bietet die Syriza-Regierung Banken, Elektrizitätswerke, die Infrastruktur beliebter Touristenzentren, Schlüsselbereiche des Verkehrswesens sowie die bereits erwähnte OTE an.

Übrigens sind innerhalb der Troika inzwischen Meinungsverschiedenheiten über den Modus des antigriechischen Raubzugs entstanden. Seit einiger Zeit treten maßgebliche Kreise des IWF für eine Umstrukturierung der griechischen Staatsschulden durch Verlängerung der Rückzahlfristen und Verringerung der Zinslast ein. Aufschlußreicherweise hat das Unabhängige Bewertungsamt (IEO), das als IWF-Zentrale zur Überwachung des Nutzens oder Schadens eigener Aktivitäten geschaffen wurde, die Feststellung getroffen, der IWF sei seiner Sorgfaltspflicht gegenüber Griechenland durch Erzwingen selbstbeschädigender Sparmodalitäten in bezug auf eine bereits schwerstens "angeschlagene Volkswirtschaft" nicht nachgekommen. Diese Zweifel stoßen - wie nicht anders zu erwarten - auf den erbitterten Widerstand der beiden anderen Partner des "Dreierbundes".

Am 18. Juli 2015 hob BRD-Finanzminister Schäuble in einem "Spiegel"-Interview die besondere Rolle der BRD innerhalb der EU hervor. Der Erlaß von Schulden sei im Rahmen der Währungsunion unmöglich. Das ließen die abgeschlossenen Verträge nicht zu. Das griechische Volk muß für die Fallstricke in der Verfassung der Europäischen Union einen hohen und bitteren Preis zahlen.

RF, gestützt auf "The Socialist Correspondent", London

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Islands Gewerkschaften verteidigen Arbeiter- und Menschenrechte

Der nordeuropäische Inselstaat Island zählt nur etwa 330.000 Einwohner. Das Bemerkenswerte: 100.000 von ihnen gehören dem couragierten Gewerkschaftsdachverband an. Er faßt nicht weniger als 51 Einzel-Unions zusammen.

Am 6. Juni 2015 rief die Konföderation der Isländischen Arbeiter (ASI) zu einem von der Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit unterstützten Generalstreik auf. Alle Räder standen buchstäblich still. Das Ziel dieser gewerkschaftlichen Kampfaktion bestand darin, den isländischen Staat und die Unternehmer des Landes zu einem verbindlichen Abkommen über den Lebenshaltungskosten Rechnung tragende Löhne zu zwingen.

Dem Generalstreik gingen jahrelange Kämpfe der isländischen Arbeiter und Angestellten für die Änderung einer unerträglichen Situation voraus, durch die sie dazu gezwungen wurden, zwei oder mehr Jobs zu haben, um ihren elementaren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Es ging also darum, die Löhne und Gehälter auf ein solches Niveau zu heben, das es deren Beziehern fortan gestattet, ihre materiellen Bedürfnisse mit den Einkünften aus nur einer Tätigkeit befriedigen zu können.

Am Ende des erbittert und hartnäckig geführten Kampfes stand ein voller gewerkschaftlicher Sieg: Den ASI-Forderungen wurde uneingeschränkt entsprochen. Ein nationales Mindesteinkommen von 300.000 isländischen Kronen (das entspricht etwa 2080 €) wurde vereinbart.

Im Verlauf eines reichlichen Jahres hatten zunächst die Einzelverbände der Gewerkschaftszentrale immer wieder voneinander getrennt zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen, ohne dabei dem anvisierten Ziel näher zu kommen. Nach dem Generalstreik können sie nun ihren gemeinsamen Erfolg als Triumph der Arbeitereinheit im Klassenkampf für sich verbuchen. Die von ihnen vermittelte Lektion besteht in erster Linie darin, daß Einheit Berge versetzen kann. Jüngste Meinungsumfragen ergaben, daß sich 91,6 % der isländischen Bevölkerung mit den ASI-Forderungen solidarisiert hatten. Jetzt geht der Kampf um die praktische Umsetzung des Erreichten weiter. Der monatliche Standard-Aufwand der Isländer für Heizung, kaltes und warmes Wasser, Abwasserentsorgung und Elektrizität beträgt das Äquivalent zu 60 britischen Pfund Sterling. Diese Summe ist bei sämtlichen Eigentumsformen zu entrichten. Für alle Leistungen kommen die in staatlicher Regie befindlichen Geothermalen Kraftwerke auf. Alle anderen Kosten sind indes deutlich höher als in vielen europäischen Staaten.

Islands Gewerkschaften verfügen in landschaftlich reizvollen Gegenden des Inselwestens über hervorragende Erholungseinrichtungen. Woche für Woche werden die davon Begünstigten nach dem Rotationsprinzip ausgewählt.

Der kleine Inselstaat im Norden des Kontinents war in den Jahren 2007 und 2008 von einer schweren Bankenkrise fast in den Abgrund gerissen worden. Dabei kam es auch zu Bankrotten tonangebender Geldhäuser. Statt jedoch auf "Hilfsangebote" der Europäischen Zentralbank einzugehen und den Internationalen Währungsfonds anzurufen, stimmten die Isländer dafür, sämtliche Zahlungen einzustellen und das Bankwesen grundlegend zu reorganisieren.

Im Juni 2015 wurden fünf leitende Banker für ihr kriminelles Versagen zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.

Diese Lektion beweist, daß im kapitalistischen Island offenbar manches anders läuft als auf dem übrigen Kontinent. Das hängt wohl damit zusammen, daß es dort eine starke, einheitliche und kämpferische Gewerkschaftsbewegung gibt, die ihren Klassenauftrag wahrnimmt.

RF, gestützt auf "The Socialist Correspondent", London

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Weltmeister im Köpfe-Abschlagen: BRD-Freund Saudi-Arabien

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Gedankliche Vielfalt in einem Lesebuch von und für Friedrich-Martin Balzer

Der quantitativ wie qualitativ sehr gewichtige Band "Anstöße - Erträge - Spiegelungen", der im November 2015 aus Anlaß des 75. Geburtstages des Marburger Politologen und Publizisten Friedrich-Martin Balzer erschien, birgt manche Schätze. Manfred Weißbecker gab ihn heraus, doch Balzer selbst wirkte an ihm durch eine Fülle eigener Beiträge mit, bei denen es sich zumeist um Erstveröffentlichungen handelt. Schon dies zeigt, daß hier progressive Persönlichkeiten aus Ost- und Westdeutschland beteiligt sind und in wirklichem Dialog stehen, der aus Erkenntnissen neue Taten freisetzen möchte. Ich begrüße sehr, daß auch solche Freunde vertreten sind, die nicht mehr unter uns weilen, wären uns doch sonst so bedeutsame Voten wie die von Wolfgang Abendroth, Hans Heinz Holz, Helmut Ridder und Hanfried Müller verlorengegangen.

Der ostdeutsche Linke, der seiner Überzeugung treu blieb, kann hier noch tiefer in die Gedankenwelt westdeutscher Linker eintauchen. Bei alledem ist die Bandbreite der Überzeugungen groß. Die meisten waren wohl Persönlichkeiten mit unverwechselbar eigener Diktion und Argumentation. Ridder z. B. war gewiß kein Kommunist, aber gleichsam ein Radikaldemokrat, der sich mit Fritz Bauer die größten Verdienste um die Reinigung der westdeutschen Justiz vom NS-Ungeist erwarb. Überhaupt ist Antifaschismus einer der wesentlichsten Beweggründe des Handelns dieser Menschen. Aber es wird immer auch die Frage nach den gesellschaftlichen Quellgründen dieser brutalsten und aggressivsten Spielart der Herrschaft des Kapitals gestellt.

Sehr gefällt mir, mit welcher Tiefgründigkeit und Schärfe Männer wie Abendroth und Holz gesellschaftliche Prozesse analysieren - bis hin zur schrittweisen Anpassung zunächst der SPD, dann der Grünen und später auch der PDS an die herrschende Gesellschaft.

Daß progressiven Christen starke Aufmerksamkeit geschenkt wird, freut mich als Theologen natürlich sehr. Es ergibt sich schon daraus, daß Balzer seine Forschung wie kein anderer dem Religiösen Sozialisten Erwin Eckert seit seiner Dissertation bei Abendroth in Marburg zuwandte. Aber er schenkte auch anderen Religiösen Sozialisten seine Aufmerksamkeit, so etwa Emil Fuchs und Heinz Kappes. Daß die Wochenberichte im "Religiösen Sozialisten" zwischen 1930 und 1933 von Eckert und Fuchs neu erschlossen und gründlich ausgewertet wurden, ist ein besonderes Verdienst Balzers. Die Tatsache, daß Eckert der KPD beitrat und dadurch sein Pfarramt verlor, ist Anlaß zu fundiertem Nachdenken über die mögliche Kooperation von Sozialisten und progressiven Christen. Balzer kontrastiert diese kampfentschlossene Haltung mit jener der großen Mehrheit der Kirchenmänner, auch mit ihren Lobeshymnen auf Hitler und dessen Schergen. Dieser Kontrast findet sich übrigens auch in meinem Aufsatz "Die Stellung des deutschen Protestantismus zu Krieg und Frieden vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis 1945". Er beruht auf einem Vortrag bei der "RotFuchs"-Regionalgruppe und ISOR in Güstrow. Auch hier werden die Kriegstreiber beim Namen genannt, aber auch die progressive Minderheit im Dienst an Frieden und Völkerverständigung mit großer Wärme gewürdigt.

Balzer widmet seine Anerkennung nicht nur Emil Fuchs, sondern auch dessen Sohn Klaus - dem angeblichen Atomspion - und dem Enkel Klaus Fuchs-Kittowski, einem bedeutsamen Naturwissenschaftler. Friedrich-Martin Balzer erweist sich auch seit langem als nimmermüder Sammler, der das Lebenswerk von Großen, die sonst vielleicht bewußt dem Vergessen ausgeliefert worden wären, für die Nachwelt bibliographisch ordnet und verbreitet. Auch ich bin ihm deshalb sehr zu Dank verpflichtet.

Dieter Kraft hat in bewundernswerter gedanklicher Schärfe das grundlegend Gemeinsame progressiver ostdeutscher Theologen wie Karl Kleinschmidt, Hanfried Müller und mir, der seiner vor dem Sieg der Gegenrevolution eingenommenen Position treu blieb, herausgestellt. Er hat aber auch gezeigt, wie unverwechselbar unser dreier Lebenswerk ist.

Jeder Leser, der ähnlich denkt und empfindet, wird von diesem Buch rege Impulse erhalten.

Prof. Dr. Gert Wendelborn, Rostock

Manfred Weißbecker (Hrsg.): Anstöße - Erträge - Spiegelungen.
Ein Lesebuch von und für Friedrich-Martin Balzer.
Selbstverlag, Marburg 2015, 408 Seiten, 20 €,
Bestellungen über: www.friedrich-martin-balzer.de

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Zwischen Hölle und Himmel

Im Abschlußtest Chemie der Universität Maynooth (Grafschaft Kildare, Irland) wurde folgende Frage gestellt: Ist die Hölle exotherm (gibt Wärme ab) oder endotherm (absorbiert Wärme)?

Die meisten Studenten mutmaßten mit Hilfe von Boyles Gesetz, daß sich Gas beim Ausdehnen abkühlt und die Temperatur bei Druck steigt oder etwas in der Art.

Die Antwort eines Studenten war so tiefschürfend, daß der Professor sie seinen Kollegen nicht vorenthalten wollte und über das Internet verbreitete, weshalb wir uns nun ebenfalls darüber amüsieren dürfen.

Der Student schrieb: Zuerst müssen wir herausfinden, wie sehr sich die Masse der Hölle über die Zeit verändert. Dazu benötigt man die Zahl der Seelen, die in die Hölle wandern, und die Zahl jener Seelen, welche die Hölle verlassen.

Ich bin der Meinung, daß man mit einiger Sicherheit annehmen darf, daß Seelen, die einmal in der Hölle sind, diese nicht mehr verlassen. Deswegen ist der Rückschluß zulässig: Keine Seele verläßt die Hölle.

Bezüglich der Frage, wie viele Seelen in die Hölle wandern, können uns die Ansichten der vielen heutigen Religionen Aufschluß geben. Bei den meisten wird festzustellen sein, daß man in die Hölle wandert, wenn man ihrer jeweiligen Religion nicht angehört. Da es indes mehr als nur eines dieser Glaubensbekenntnisse gibt und weil man nicht mehr als einer Religion zugehörig sein kann, ist davon auszugehen, daß alle Seelen in die Hölle wandern.

Betrachten wir nun die Frage des sich ändernden Umfangs der Hölle. Da laut Boyles Gesetz sich der Rauminhalt der Hölle proportional zum Wachsen der Seelenanzahl ausdehnen muß, haben wir zwei Möglichkeiten:

1. Sollte sich die Hölle langsamer ausdehnen als die Menge hinzukommender Seelen, werden Temperatur und Druck so lange steigen, bis die ganze Hölle auseinanderbricht.

2. Sollte sich die Hölle schneller ausdehnen als die Menge hinzukommender Seelen, dann werden Temperatur und Druck fallen, bis die Hölle zufriert.

Wenn wir die Prophezeiung meiner Kommilitonin Sandra einbeziehen, daß die Hölle eher zufriere, als daß sie mit mir schlafe, sowie die Tatsache, daß ich gestern mit ihr geschlafen habe, kommt nur die zweite Möglichkeit in Frage. Deshalb bin ich überzeugt, daß die Hölle endotherm ist und bereits zugefroren sein muß.

Daraus folgt, daß keine weiteren Seelen dort aufgenommen werden können, weil sie erloschen ist.

Womit nur noch der Himmel übrigbleibt, was die Existenz eines göttlichen Wesens beweist und wiederum erklärt, warum Sandra gestern Abend die ganze Zeit "Oh mein Gott!" geschrien hat.

Dieser Student erhielt als einziger eine Eins.

Eingesandt von Dietrich Eckhardt, Berlin

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Wie sich der Bremer Donat-Verlag um das künstlerische Erbe verdient macht
Zwei beeindruckende Ehrungen Heinrich Vogelers

Aufmerksame RF-Leser erinnern sich wahrscheinlich noch an den eindrucksvollen Beitrag von Marianne Walz über das Leben der faszinierenden und zugleich tragisch zu Tode gekommenen Künstlerpersönlichkeit Heinrich Vogeler sowie an den Bericht Gert Thiedes über den Aufenthalt seines Vaters im Worpsweder Heim der Roten Hilfe.

Schon wieder etwas über Heinrich Vogeler? Warum nicht, meinte auch Genossin Walz aus gutem Grunde. "Es ist hohe Zeit, seine Leistungen und seinen Bekennermut gebührend zu würdigen."

Unterdessen sind zwei bemerkenswerte Publikationen beim rührigen Bremer Donat-Verlag erschienen, die zusätzlich Wissenswertes über den hochbegabten Maler, Grafiker, Designer, Buchillustrator, Architekten und Bühnenbildner vermitteln.

Da ist einmal der Roman "Adieu Märchenprinz" von Renate von Rosenberg - eigentlich mehr eine Biographie -, in dem die Autorin einfühlsam den komplizierten Charakter des aufstrebenden Künstlers schildert, der sich 1893 als "Jugendstilbewegter" (Donat) der Künstlerkolonie in Worpswede anschließt. Nach Heirat seines Lieblingsmodells Martha, eines Dorfmädchens, und im schöpferischen Austausch mit den befreundeten Künstler-Ehepaaren Clara Westhoff/Rainer Maria Rilke und Otto Modersohn/Paula Modersohn-Becker gelangt Vogeler um die Jahrhundertwende mit seiner vielseitigen Kunst im Jugendstil zur höchsten Vollendung, erreicht beim Bürgertum und international enorme Anerkennung und ist auch wirtschaftlich sehr erfolgreich. Er gilt heute als einer der bedeutendsten deutschen Künstler des vergangenen Jahrhunderts und neben Paula Modersohn-Becker als Begründer der Worpsweder Schule.

Die Autorin schildert sensibel die Abhängigkeit des Malers von seinem vergötterten Modell Martha als zentralen Teil seiner Manie, aus dem Worpsweder Barkenhoff ein "Gesamtkunstwerk" zu machen, die bedrohliche Realität durch eine friedvolle Phantasie zu ersetzen, wie Dr. Andrea Fromm diese Phase seines Lebens erfaßt. Martha wendet sich jedoch von ihm ab. Der Maler verzweifelt, denn ohne seine Kultfigur fehlt ihm bald die Inspiration.

Er begibt sich auf Reisen nach Ceylon und England, sieht dort haarsträubende Ungerechtigkeiten, liest u. a. Werke von Gorki und "erkennt die reale Welt der ausgebeuteten Masse". Aus einer für ihn neuen Sicht betätigt er sich nach 1909 zunächst als Sozialreformer, entwirft Möbel und Wohnsiedlungen für Arbeiter, die aber nie verwirklicht werden. Dann gerät Vogeler in eine Schaffenskrise, auch weil das Interesse am Jugendstil zurückgeht. "Seine Produktivität erlahmt" (Donat) derart, daß er sich gewissermaßen in einem Akt der Verzweiflung und unter dem Eindruck nationalistischer Euphorie 1914 als 42jähriger (!) freiwillig zum Kriegsdienst meldet.

Durch glückliche Fügung gerät er unter das Kommando kunstsinniger Vorgesetzter, ja ist als militärischer Aufklärer sogar angehalten, realistische Zeichnungen des Kriegsgeschehens zu fertigen. Auch wenn er nicht direkt an Kampfhandlungen beteiligt ist, wendet er sich mehr und mehr von den Schrecknissen des Krieges ab und wandelt sich zum radikalen Pazifisten.

Besonders empört ihn der Gewaltfrieden von Brest-Litowsk. Dieser ist für ihn Anlaß, sich im Januar 1918 an Wilhelm II. und Ludendorf mit einem christlich-moralischen Aufruf zu wenden, den Krieg endlich zu beenden.

Vogeler hat Glück, nicht wegen Hochverrats angeklagt, sondern für Monate in eine Irrenanstalt eingewiesen zu werden. "Er genoß Narrenfreiheit und konnte sich ganz der Verarbeitung seiner Kriegserlebnisse hingeben" (Tom Weege), wobei er nun expressionistisch zeichnet und malt. So vollzieht er eine radikale Abkehr von seiner bisherigen mystisch überhöhten Romantik.

Vogeler tritt der KPD bei, bietet politisch Verfolgten Unterschlupf auf dem Barkenhoff, gründet im Sommer 1919 dort eine Kommune und Arbeitsschule, nimmt später Kinder gefallener Soldaten und ehemals inhaftierter Sozialisten und Kommunisten auf, wird Mitglied eines Arbeiter- und Soldatenrates. Gemeinsam mit Clara Zetkin und Wilhelm Pieck gründet er 1924 in Berlin die Rote Hilfe Deutschland, übereignet schließlich auf Vermittlung des polnischen Kommunisten Julian Marchlewski Haus und Hof als Kinderferienheim der Roten Hilfe, geht folgerichtig als überzeugter Marxist 1931 in die Sowjetunion, die er zuvor schon dreimal bereist hatte. Mit seinen künstlerischen Mitteln kämpft er seit 1933 von dort aus gegen die Hitlerfaschisten, wird aber im Herbst 1942 wie andere Deutsche nach Kasachstan umgesiedelt. Dort gerät er in eine schier ausweglose Lage, als seine Rente ausbleibt. Er muß betteln, stirbt krank, einsam und verlassen. Sein Grab ist unbekannt.

Renate von Rosenberg. Adieu Märchenprinz.
Donat-Verlag, Bremen 2012,
240 Seiten, 9 Abbildungen, 14,80 Euro,
ISBN 978-3-943425-10-9


Bei der zweiten Edition, die hier zu besprechen ist, handelt es sich um das eindrucksvoll gestaltete Katalogbuch zur Ausstellung im Spätherbst 2015 "Heinrich Vogeler - Traum vom Frieden" im Kunsthaus Apolda Avantgarde.

Diverse Leihgaben aus den Jahren 1894 bis 1927, von den Kuratoren für die Besucher hervorragend aufbereitet, machten die Ausstellung besonders sehenswert.

Der Katalog von Andrea Fromm und Tom Weege ist selbst fast ein Kunstwerk. Es werden 180 der ausgestellten Werke Vogelers in hervorragender Druckqualität wiedergegeben, ihre Entstehungsgeschichte kurz kommentiert. Wann und wo bekam man jemals einen solchen Einblick in sein Gesamtwerk, sieht man von Buchillustrationen ab!

Es gelingt den beiden Kunsthistorikern, in den Textteilen über den zuerst rezensierten Roman aus Vogelers künstlerischem und politischem Werdegang hinausgehende Details verständlich nachzuvollziehen. So erlebt man den frühen Maler und Grafiker in seiner Traumwelt von Märchenfiguren, Minnesängern und Rittern, begleitet den gereiften Vogeler als Meister des Jugendstils in etlichen Facetten und verfolgt seine Wandlung zum Impressionisten, der sich nach Ankunft in der Sowjetunion der Ästhetik des sozialistischen Realismus zuwendet.

Das professionell gemachte Katalogbuch liest sich mit großem Gewinn "hintereinander weg", weil es mit enormer Sachkenntnis für den interessierten Laien leicht verständlich geschrieben ist.

Hans-Joachim Wagner, Berlin

Andrea Fromm und Tom Weege: Heinrich Vogeler -
Traum vom Frieden (Katalogbuch).
Donat-Verlag, Bremen 2015,
176 Seiten, 233 Abbildungen, 19,80 Euro,
ISBN 978-3-943425-55-0

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A. S. Makarenko - Wegbereiter für das sozialistisch-humanistische Erziehungsideal

Jean-Jacques Rousseau, geistiger Exponent eines fortschrittlichen humanistischen Ideals des 18. Jahrhunderts, präsentierte in seinem Roman "Émile" Grundzüge einer gewaltfreien Menschen-Formung. Anders jedoch A.S. Makarenko (1888-1939): Er war ein sich leidenschaftlich seinem Beruf hingebener Lehrer und Erzieher und sah sich seit den 20er Jahren in der Sowjetunion gleichfalls in epochale Umwälzungen hineingestellt. Er erkannte, daß die ausbeutungsfreie Gesellschaft nur von sozialistischen Persönlichkeiten erbaut werden kann. Er stellte seine Botschaft in Romanform vor. Sie lautet: "Ich fordere dich, weil ich dich achte." Die Erzählung "Flaggen auf den Türmen" beschreibt Makarenkos Erfahrung in der durch ihn geleiteten Kinderkolonie. Ausgangspunkt einer Erziehung zur Verantwortung, die der einzelne für sich und andere übernimmt, ist das sozialistische Arbeitskollektiv. Damit geht Makarenko weit über Rousseau und andere bürgerliche Reformpädagogen hinaus. Maxim Gorki gebührt das Verdienst, sowohl die pädagogischen als auch die literarischen Arbeiten Makarenkos inspiriert und gefördert zu haben.

Was Jean-Jacques Rousseau völlig abging, war A.S. Makarenko am wichtigsten: die pädagogische Praxis. Während sich der Begründer der humanistischen Erziehungslehre seinen Émile als einen einzelnen, ausgesucht begabten, unverbildeten und wohlgestalten Knaben vorstellte, nahm sich Makarenko Hunderter verwahrloster, straffällig gewordener Jugendlicher an, wobei er sich selbst bis an die Grenzen forderte. Seine Aufgabe war gigantisch. Hunderttausende familiengelöste, obdachlose Jugendliche - die meisten infolge der Interventionskriege gegen die Sowjetunion sozial völlig entwurzelt - durchstreiften Städte und Landstriche, viele von ihnen in kriminellen Banden, fast alle verlassen und heruntergekommen.

Makarenkos Ziel war nicht allein gutherzig-karitativ. In der Kolonie "Maxim Gorki" wollte er den jungen Dieben und Räubern, Bettlern, Straßendirnen und Landstreichern eine Perspektive als mitgestaltende Bürger des Sowjetstaates vermitteln. Im Roman heißt der verantwortliche Leiter des Pädagogen-Kollektivs Alexej Stepanowitsch Sacharow, und das Wohngebäude der Kommune "Erster Mai" trägt tatsächlich Flaggen auf den Türmen. Sacharow reflektiert: "Kein Nachlassen, keinen Tag der Demoralisierung, keinen Augenblick der Kopflosigkeit!" Drei seiner Zöglinge, die Helden des Romans, haben wie fast alle Kolonisten eine delinquente Vorgeschichte. Der sechzehnjährige Igor Tschernjawin, Sproß aus intellektueller Familie mit ausgeprägter Arbeitsscheu, fälschte Geldanweisungen, welche die gleichaltrige Wanda Stadnitzkaja als Prostituierte für ihren Bandenchef angeschafft hatte; Grischa Ryshikow schlug sich als skrupelloser Dieb durch.

Der zwölfjährige elternlose Wanja Galtschenko hingegen erwarb seinen Lebensunterhalt "ehrlich". Doch der kleine Schuhputzer, von Tschernjawin, Ryshikow und anderen Ganoven bestohlen, hintergangen und ausgenutzt, gilt der zuständigen Behörde weder als Rechtsbrecher noch als Verwahrloster. Deshalb verweigern ihm Bürokraten die Aufnahme in die Kolonie. Doch Wanja schafft es, zu Sacharow vorgelassen zu werden. Das Kollektiv der Kommunarden mit seinem höchsten Organ, dem Rat der Brigadiere, berät und entscheidet, Wanja Galtschenko aufzunehmen. Der Junge genießt die ungewohnte Sauberkeit, Schönheit und Ordnung, die ihn von nun an umgibt - sowohl in den Räumen, bei der Kleidung und in den Gartenanlagen als auch in den Beziehungen zu den Genossinnen und Genossen. Spiele, Theater, Orchester, Sportwettkämpfe und Feste geben den Wochen und Monaten einen klaren, frohen Rhythmus - "den Dur-Ton unseres neuen Lebens", wie ihn Sacharow erstrebt.

Die Kommune ist selbstverwaltet, die Tage sind strukturiert mit vormittäglichem Unterricht und nachmittags vier Stunden altersgerechter produktiver Tätigkeit auf dem Feld, in der Gießerei oder den Werkstätten der Kolonie. Dabei arbeiten die Mädchen und Jungen anfangs für den Eigenbedarf ihrer Kommune, später auch für die Erfüllung des Fünfjahrplans. Am Tag des Erreichens eines wirtschaftlichen Überschusses werden die Kommunarden zu Miterbauern des Sozialismus und feiern ein Fest.

Betriebsleiter Solomon Dawidowitsch Blum, der die Einnahmen der Gießerei verwaltet, legt alle Daten offen. Und die wachsenden Ersparnisse regen die Kollektivmitglieder an, ihre maroden Produktionsmittel nicht nur zu reparieren, sondern eine moderne Fabrik zu erbauen, Kredite und fachliche Hilfe anzunehmen. Die Verwirklichung dieses Plans bringt der Kommune "Erster Mai" einen ungeheuren Auftrieb.

Ein straffes Regelwerk von Pflichten und Rechten mit wechselnden Verantwortlichkeiten für die unterschiedlichen Funktionen gibt ihren Bewohnern Orientierung und Ansporn. Bei Regelverletzungen haben sich die Betreffenden vor dem jeweiligen Brigadier vom Dienst zu rechtfertigen, für schwerwiegendere Verstöße vor dem versammelten Kollektiv geradezustehen. Die Erzieher begleiten die Diskussionen einfühlsam und greifen in schwierigen "Verhandlungen" stets zugunsten des Zöglings ein. Auf diese Weise findet zum Beispiel Igor Tschernjawin ins Arbeitskollektiv. Und Wanda Stadnitzkaja erkennt als Kommunardin die Würdelosigkeit ihres Vorlebens, weiß aber von kompromittierenden Notizen in ihrer Akte. Lange verharrt sie in Scham und depressiver Schwermut. Doch Alexej Stepanowitsch Sacharow erklärt ihr, daß er das Dokument ungesehen weggeschlossen habe, denn nur das neue Leben zähle. Er läßt sie seine ganze Zuwendung nachhaltig spüren. Das Mädchen gesundet seelisch und moralisch.

Sacharow und seine Mitstreiter fordern Leistung und Disziplin. Ihre Vertrauenskredite vergeben sie stets in voller Höhe, und das pädagogische Risiko ist ihnen bewußt. Zu den Erfolgen kommen Enttäuschungen. So bei Grischa Ryshikow. Er mißachtet, bestiehlt und belügt seine Genossen, lenkt den Verdacht geschickt auf andere, nimmt weder die zweite noch die dritte, vierte und fünfte Chance wahr. Schließlich muß er auf Ratsbeschluß die Kolonie verlassen und wird der zuständigen Behörde - dem Volkskommissariat für innere Angelegenheiten - überstellt.

Makarenko gab 1937 die Leitung der Kinderkolonie ab, um als freier Autor seine Erfahrungen niederzuschreiben. Tausende angehende Lehrerinnen und Lehrer in der Sowjetischen Besatzungszone und dann der DDR haben seine Werke als Grundlagenliteratur studiert und danach gehandelt.

Zur historischen Wahrheit gehört, daß sich in der UdSSR um das Jahr 1938 - also noch zu Makarenkos Lebzeiten - schwerwiegende innenpolitische Fehlentwicklungen vollzogen. Sie standen in krassem Gegensatz zu den sozialistisch-humanistischen Prinzipien, wie sie die Klassiker des Marxismus-Leninismus lehrten und Menschen wie Makarenko praktizierten.

Marianne Walz

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Compañera Christa: Für junge und jung gebliebene Rotfüchse
Ein Mädchen aus Randberlin (Teil 2)

Jeden Morgen um sechs fuhr ich jetzt mit dem Bus von Stahnsdorf nach Potsdam und von dort in die beliebte Blütenstadt Werder. Die Fahrt war lang, das frühe Aufstehen fiel schwer, und Landkarten zeichnen erschien mir nicht gerade als Traumberuf. Aber ich hatte Mutter versprochen, eine Lehrausbildung zu machen, um bald selbst Geld zu verdienen.

In Werder befand sich neben der Gaststätte "Zur goldenen Kugel" eine große braune Holzbaracke. Hier wurden wir zu kartographischen Zeichnern ausgebildet. Auf kreidiertem Barrytkarton mit chinesischer Tusche, Fadenzähler und allerfeinsten Stahlfedern lernten wir Signaturen zeichnen, also Straßen, Wege, Häuser, Mauern, Zäune, Flüsse, Bäche, Schlösser auf zehntel Millimeter Genauigkeit.

Unsere Abschlußarbeit waren Kartenblätter im Maßstab 1:10.000. Das hieß: Es handelte sich um Generalstabskarten. Daß wir jeden Tag nach Feierabend unsere Blätter in eine Mappe tun und mit einem Siegel, Petschaft genannt, verschließen mußten, betrachteten wir als Geheimniskrämerei. Andererseits fanden wir es toll, daß unsere Arbeit für so wichtig gehalten wurde. An meinem Zeichnerberuf gefiel mir, daß wir schöne Schriften lernten. Ich liebte es, Briefe mit der Hand zu schreiben - in Schönschrift wie Goethe oder Hölderlin. Die Handschrift, hatte ich gelesen, sei der Abdruck der Seele.

Diese Leidenschaft ist mir geblieben. Sollte man die Schreibschrift abschaffen, nimmt man dem Menschen ein Stück seiner Identität. Auch meine Liebe zu Büchern verfestigte sich. Besonders liebte ich damals Gedichte von Hölderlin, Neruda, Lorca, Baudelaire, Brecht und Kästner. In dieser Zeit habe ich mir eine Geheimschrift für mein Tagebuch ausgedacht. Ich benutze sie noch heute.

Nach einigen Monaten spürte ich schmerzlich, daß mir dieser Beruf keine Freude machte. Die Genauigkeit auf Zehntelmillimeter ließ mir ja keinen Spielraum fürs Kreative. Es langweilte mich, drei Monate am gleichen Kartenblatt zu sitzen. Gern hätte ich ein Schaf oder eine Blume hineingemalt. Meine Phantasie stand mir im Wege.

Es gab noch ein Hemmnis: Ich stand mit den Zahlen auf Kriegsfuß. Logarithmentafeln trieben mir den Schweiß auf die Stirn. Probleme hatte ich auch mit dem Kompaß. Bei einer Waldwanderung, zu der jeder mit einem solchen Gerät allein losgeschickt wurde, ging ich verloren. Viele Stunden später fand man mich heulend auf einem Baumstumpf, den Kompaß in der Hand. Nein, das war nicht mein Beruf!

Meiner kranken Mutter zuliebe biß ich die Zähne zusammen. Recht und schlecht gelang es mir, 1959 den Facharbeiterabschluß zu machen. Dann zog es mich nach Berlin, in die große Stadt, über deren Konturen der Himmel nach Sonnenuntergang vom Widerschein des geheimnisvollen Nachtlebens zu leuchten begann. Ich fand schnell eine Stelle als Zeichnerin im Geologischen Institut in der Invalidenstraße 44, zwischen Naturkundemuseum und Oberstem Gericht der DDR. Ab September 1959 hatte ich dort geologische Karten anzufertigen.

Mein erster Arbeitstag als Zeichnerin im Herzen Berlins! Was für ein großartiges Gefühl der Freiheit! Ich hatte eine abgeschlossene Berufsausbildung, verdiente im Monat 400 Mark, konnte meine Mutter finanziell unterstützen und mich zugleich etwas aus ihrer allzu engen Umklammerung lösen. Von Stahnsdorf bis Berlin-Friedrichstraße fuhr man mit der S-Bahn etwa eine halbe Stunde. Damals war die Gegend um die Friedrichstraße das Herz Ostberlins. Hier standen die Staatsoper, das Berliner Ensemble, das Deutsche Theater, die Humboldt-Universität, die Nationalgalerie - alles Stätten zur Befriedigung meines Hungers auf Kultur und Bildung. Der Robert-Koch-Platz mit der Akademie der Künste lag meiner Arbeitsstelle direkt gegenüber. Wie viele Kunstausstellungen und Lesungen bedeutender Schriftsteller habe ich hier erlebt, wie viele bewegende Filme in Anwesenheit der Künstler gesehen.

In den Mittagspausen flanierte ich die Invalidenstraße hinunter, vorbei am Naturkundemuseum, der Nachtbar "Kakadu" und dem großen Neubau vom DDR-Außenhandel. Rechts bog ich in die Chausseestraße ein und befand mich wenige Meter weiter vor einem Antiquariat, das für mich eine Schatzkiste alter, begehrter Bücher war.

Direkt daneben war das große eiserne Tor zum Dorotheenstädtischen Friedhof, der letzten Ruhestätte so vieler großer Geister. Manche Mittagspause habe ich in der grünen Stille dieses Friedhofs in Zwiesprache mit den Gestorbenen verbracht.

Durch Zufall geriet ich einmal in die Trauerfeier Heinrich Manns, dessen Urne aus Kalifornien überführt worden war. Unter den Anwesenden erkannte ich Walter Ulbricht.

An einen strahlenden Frühlingstag im April 1961 erinnere ich mich noch ganz besonders. Im Radio vernahmen wir die Nachricht, ein Russe befinde sich im Weltall. In seiner Raumkapsel "Wostok" umkreiste er 90 Minuten lang die Erde. Wir verließen unsere Zeichentische, rannten auf die Straße und schauten begeistert in den Himmel, ja winkten sogar, als könne uns dieser Juri Gagarin sehen. Ein Mensch im Weltall! Das erschien uns wie ein Wunder. Eine volksfestartige Stimmung beherrschte die Invalidenstraße. Wir umarmten einander, weil wir in unserer Naivität glaubten, daß damit der Weltfrieden für immer gesichert sei. Diese Jahre waren ja eine Periode des eiskalten Krieges zwischen Ost und West. Die Einheit Deutschlands stand nicht mehr auf der Tagesordnung, und die Nationalhymne mit Bechers Text "Deutschland, einig Vaterland" wurde schon lange nicht mehr gesungen, weil sich beide Teile Deutschlands konträr entwickelt hatten.

Mich interessierte das damals zwar, aber nicht allzu brennend. Mein Kopf war voll heiterer Gedanken, denn ich hatte mich verliebt und verlobt - in und mit Axel, einem Chemiestudenten. Dann kam der 13. August 1961. Am Sonntagmorgen stand Axel an meinem Bett in Stahnsdorf. "Berlin ist geteilt - durch eine Mauer." Wir konnten es nicht glauben und rannten zum S-Bahnhof Stahnsdorf. Dort erblickten wir eine Menschenansammlung und sahen die an den Eingängen heruntergelassenen eisernen Gitter. Davor standen Soldaten mit starren Gesichtern, die beschimpft wurden.

Ja, Berlin war jetzt eine geteilte Stadt. Was das wirklich bedeutete, erfaßten wir in jenen Tagen noch nicht. Ich fühlte mich immer rastlos, wie auf der Suche. Was ich suchte, wußte ich damals indes noch nicht. Jetzt weiß ich es: Ich war auf der Suche nach mir selbst, nach meinen ureigensten Möglichkeiten.

Christa Kozik

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Die Türen werden sich öffnen und jubelnde Kinder rennen aus dem Gebäude, in dem sie unentwegt etwas lernen sollen, wozu sie leider zu häufig gar keine Lust haben. Zahlen und Zeichen, Interpunktion, Deklination, Konjugation. Raus aus der Schule und dann - ja, was dann? Wie im Lied von Frank Schöbel. "Ferien, wir haben Ferien!" Dann folgen die damals gewiß verlockenden Angebote. Bis heute bietet es eigentlich alles an, was ein Werktätiger zum Erholen braucht. Schulkinder sind arbeitende Menschen. Also, was rät Frank? Frische Luft, Zelte, ins Wasser gehen, Ball spielen, wandern, das alles ist alte Lustvorstellung, vierzig Jahre alt und entsprach den seinerzeitigen Möglichkeiten.

Wir haben leider kein schulpflichtiges Kind in der Familie, von dem wir erfahren könnten, worauf es sich für die Freizeit freut. Aber wir erfahren es mehr als ausreichend in der Öffentlichkeit, wo heute Angelegenheiten preisgegeben werden, die eigentlich niemanden etwas angehen.

Früher waren kurze Ferien nicht gerade dazu geeignet, große Unternehmungen zu planen. Zumal innerhalb einer Familie mit zwei arbeitenden Elternteilen bis heute vieles abgestimmt werden muß. Es war nicht immer leicht, dafür zu sorgen, daß unsere Kinder mit der freien Zeit etwas anfangen konnten. Es gab aber nur den Fernseher, vor dem sie nicht zu lange sitzen sollten. Schwimmhalle, Sportverein, Tanzgruppe, Ferienspiele und das Abklappern der Verwandtschaft standen umsonst oder kostengünstig zur Verfügung, nein, verglichen mit heutigen Preisen, unglaubwürdig bezahlbar. Die langen Schlangen vor dem Tierpark, das war schön, war Vorfreude. Und das Eis drinnen war familienfreundlich billig wie die begehrte Fahrt mit dem Pferdewagen und das Reiten.

Davon hat sich vieles grundlegend geändert. Nie zuvor habe ich so viele Artikel gelesen, in denen Bedenken gegenüber der fast üblichen Gestaltung der Freizeit für Kinder geäußert werden. Soweit ich erkennen kann, gibt es interessant zu behandelnde Probleme für die Pädagogik außerhalb und innerhalb der Familie, aber Lösungen eigentlich nicht. Die wird es geben müssen, denn wenn Kinder sich vor keiner Strafe so fürchten, wie vor dem Entzug ihres Handys, iPods oder dem Internet, dann ist etwas aus dem Ruder gelaufen.

Kinder sind nicht in der Lage, von sich aus Maß zu halten, auch bei schädlichen Einflüssen nicht. Worin haben wir solche früher gesehen? Den Schulen war auferlegt, dafür zu sorgen, daß die Schüler ihr Fernsehen auf Adlershof reduzieren. Ich habe die geforderte Unterschrift unter den Verzicht für die gesamte Familie nicht vollzogen. Ich wollte nicht, hielt den unanständigen Übergriff auch für nicht durchführbar und sah, wie andere Eltern sich mit ihrer Unterschrift beeilten, um den freitäglichen 21-Uhr-Krimi in der ARD nicht zu verpassen. Das haben die Kinder natürlich gewußt. Sie mußten schwindeln lernen. Wenn sie gefragt wurden, wie bei ihnen zu Hause die Fernsehuhr aussieht, dann war das ein pädagogisch unverzeihlicher Eingriff in das familiäre Ersterziehungsrecht.

Was aber machen die Kinder heutzutage, da ihnen alles zugänglich ist, was die Technik in den letzten zwanzig Jahren an überwältigenden Neuigkeiten hervorgebracht hat? Mit den Kontakten, Informationen und Angeboten stopfen sie sich - so könnte ich es mir denken - voll, scheinbar unermüdlich und immer Einflüssen ausgesetzt, die ihr junges Gemüt noch nicht werten kann.

Wie schwierig das ist: nicht unerträglich belehrend zu wirken, wo Einhalt nötig wäre, und ratlos zuzusehen, wie neben vielerlei Unterhaltung das Gift in das Gehirn des Kindes dringt.

Welches Gift? Nun, da gibt es viele Gefahren. Sie können Kontakte aufnehmen, die bis zur Bedrohung ihres Leibes und ihres Lebens gehen. Die Zeitungen berichten bestürzend viel davon. Die Technik macht wertfrei Angebote, die ein Erwachsener annimmt oder ausschlägt. Wenn das Kind nun frei hat, mal nicht das große oder kleine Einmaleins üben muß, die Schulbücher zugeschlagen im Rucksack läßt, sich mit den Aufgaben erst im allerletzten Moment und mit Hilfe der darüber ungehaltenen Angehörigen befaßt - wo ist da nötige Ausgeglichenheit zwischen Aufnehmen, Belehrung und Erwerben?

Sicher gibt es das noch: die Abendgeschichte, das Lied zur guten Nacht und vielleicht in der Familie sogar jemanden, der Märchen erzählt. Nach meiner Beobachtung beginnt aber schon im Kindergarten eine gewisse Entfremdung von jenen Angeboten, welche die Phantasie in Gang setzen, bereichern und zur eigenen Kreativität beitragen. Ein Film über Tiere ist etwas ganz anderes, als mit dem Tiger und dem Affen Aug' in Auge eine Weile zu verbringen. Das Kino entfällt heute wahrscheinlich meist aus dem Programm.

Zu teuer, zu weiter Weg und ungünstige Zeiten der Vorstellung. Vor allem gar nicht nötig. Man braucht ja zu Hause nur auf den Knopf zu drücken. Ich weiß, daß in vielen Familien der Fernseher im Hintergrund sogar bei den Mahlzeiten läuft.

Manchmal, und aus ehrlichem Interesse, sehe ich mir die Sendung über die "strengsten Eltern der Welt" an. Interessant, wie Menschen in ganz anderen Kulturkreisen, unter den Bedingungen der Natur, ihre Fähigkeiten zum Überleben ausbilden. Und das können sie. Bewundernswert, daß unter manchmal sehr rauhen Umständen das Familienleben seine ganz eigene Kultur findet. Da ist immer Liebe zu spüren, so wie nötige Regeln, schwere Arbeit und meist keine Aussicht, daß die Nachkommen anders leben werden. Die Kultur dieser Völker ist abgeleitet von ihrer Lebensart, sie haben auch ihr Lied und den Klang der Instrumente. Das Wesentliche ist, daß sie alles selber herbeischaffen, herbeisingen, herbeitanzen und einander erzählen müssen.

Dahinein kommen nun zwei unerträglich verwöhnte Gören, die von ihren Eltern aus den Händen gelassen wurden, weil mit ihnen nicht mehr fertig zu werden war. Dreizehn- oder fünfzehnjährig, sind sie abhängig von Alkohol, Nikotin, der Frisur, den Tattoos, den Klamotten, dem Freundeskreis, der so denkt wie sie, so säuft wie sie, so qualmt wie sie, so blöde daherredet. Statt es selber wieder hinzukriegen, vielleicht mit Hilfe, die es ja gibt, werden die Kinder in eine Kultur geschickt, die ihnen für die Dauer von ein paar Wochen unmöglich macht, was sie für unverzichtbar halten. Was soll das bringen? Sie geben nach, sie kriegen Angst, sie arbeiten mit, essen mit, leben mit. Zum Schluß umarmen sich die einander Fremden - und ich denke, auf der Heimreise werden die Kids sich mit dem versorgen, was sie dringender brauchen als Lebensmittel: dem Gift. Sie stürzen dem nächsten Angehörigen weinend in die Arme, beide Teile sind zu Versöhnung und märchenhafter Einigkeit bereit.

Folgenlos, voraussehbar folgenlos. Denn im gewohnten und eigentlich geliebten Freundeskreis werden sie alles erzählen und dabei gemütlich einen saufen und eine qualmen. So denke ich es mir. Aber da ich im Moment kein gefährdetes Kind im Haus habe, bin ich ja vielleicht gänzlich auf der falschen Fährte. Nur: Man sage mir nicht, daß es Ausnahmen gibt, daß geläuterte Menschenkinder ihre Clique schneiden, um hier zu leben wie dort. Wäre ja auch nicht zwingend und ergibt sich nicht. Ist nur eine Erinnerung. Sie bringt den Kids weniger als dem Fernsehen.

Mir gefällt meine Ratlosigkeit nicht. Aber wie ich sehe, findet die Gesellschaft derzeit für die Mehrzahl bedenklicher Entwicklungen auch wenig Rat.

Für ein Urenkelchen müßte ich mich mit dem Zeug befassen, damit ich mitreden kann. Auf gescheite Weise Grenzen ziehn, und die Erfinder mit ins Boot holen. Andere sind bestimmt schon weiter. Darüber wüßte ich gern mehr.

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Leserbriefe an RotFuchs

Liebe Genossen und Freunde!
Ich wünsche Euch Glück und viel, viel Mut für die weitere redaktionelle und politische Arbeit. Habt Dank für die mir ständig übersandten Ausgaben des RF, die nach wie vor auf hohem theoretischem und historischem Niveau stehen und gut redigiert sind. Zur aktuellen Lage in Polen übermittle ich Euch ein umfassenderes Material für die nächste Ausgabe. Die größte Gefahr für uns ist jetzt die Bedrohung der Legalität der Kommunistischen Partei Polens.
Seid herzlich umarmt!

Prof. Zbigniew Wiktor, Wroclaw


Mit scheint, daß die "RotFuchs"-Leser an der folgenden Erklärung der sich mit den syrischen Flüchtlingen solidarisch zeigenden Vereinigung "Amerikaner deutscher Abkunft" (German Americans) interessiert sein könnten
Die "Milwaukee Turners" - gegründet von deutschen Flüchtlingen, die sich der Unterdrückung und einer schweren wirtschaftlichen Situation in den späten 40er Jahren des 19. Jahrhunderts durch Emigration entzogen - gaben eine Erklärung zur Verurteilung von Rassismus und Fremdenhaß heraus, wobei sie ausdrücklich auch muslimische Flüchtlinge in ihr Willkommen einbezogen. Sie wandten sich an die im USA-Bundesstaat Wisconsin lebenden Menschen deutscher Abkunft und alle anderen Mitbürger, sich für eine humane und sichere Zulassung eines proportionalen Anteils von Flüchtlingen aus Syrien und anderen Nationen einzusetzen.
Die "Milwaukee Turners" wurden von Menschen gegründet, die nach der gescheiterten demokratischen Revolution von 1848 Deutschland verlassen mußten. Ihr heutiger Vorstandsvorsitzender Art Heitzer verwies auf ein scharfes Anwachsen von Überfällen auf Muslime in den USA und hob die Tatsache hervor, daß die Solidaritätserklärung von allen Leitungsmitgliedern seines Bundes unterzeichnet worden sei. Diese schließt mit den Worten: "Wir appellieren an alle Einwohner Wisconsins ­..., die sichere Zulassung eines proportionalen Anteils an Flüchtlingen aus Syrien und anderen Ländern zu unterstützen. Sie werden unsere Nation stärker machen. Ein anderes Verhalten würde nur Öl ins Feuer jener gießen, die eine Atmosphäre der Intoleranz, Furcht und Isolierung schaffen wollen."
Dieses Dokument zeigt mir, daß es in den USA durchaus Kräfte gibt, die sich - anders als die Mehrheit der Senatoren und Kongreßabgeordneten in Washington - dafür einsetzen, daß die Vereinigten Staaten einen angemessenen Beitrag zur Lösung der Flüchtlingskrise leisten.

Kurt Stand, Cheverly (Maryland), USA


Der "RotFuchs" ist nicht nur für mich geistige Nahrung. Wir brauchen ihn. Er wird weiterhin unter hier lebenden deutschen Freunden herumgereicht. Dem Chefredakteur und allen Mitstreitern wünsche ich viel Erfolg. Herzliche Grüße von der Insel Réunion.

Marianne Hoffmann, Saint Leu


Liebes "RotFuchs"-Team, vielen Dank für die kompetente und anregende Betreuung meines Artikels. Rote Grüße aus Tirol.

Prof. Dr. Gerhard Oberkofler, Innsbruck


Vielen Dank für die Zusendung der "RotFuchs"-Kostproben. Inzwischen habe ich den Antrag auf Mitgliedschaft im RF-Förderverein gestellt. Den der Redaktion übermittelten Beitrag (siehe Seite 9 - d. R.) veröffentlichte ich vor einigen Jahren in der "Deutschen Rundschau", Kanada. Die Arbeit drängte sich neu in meine Erinnerung, als bekannt wurde, daß sich das Münchner Institut für Zeitgeschichte einer "Fußnotenbearbeitung" des Hitlerbuches "Mein Kampf" angenommen hat. Ich schickte den Beitrag an Arnold Schölzel und schrieb dazu: "Wenn der Schlüssel zum Verständnis des Nationalsozialismus und der Zeit der faschistischen Diktatur so aussehen wird wie die Behandlung des Reichstagsbrandes 1933 und die 'historisch untermauerte' Abschlußerklärung dazu, ebenfalls vorgenommen vom Münchner Institut für Zeitgeschichte, wird mir angst und bange."
Falls Sie interessiert sein sollten, schicke ich Ihnen eine Arbeit zu, die sich gebrauchslyrisch mit der Fehlbarkeit deutscher Politik befaßt. Wenn dies mein zusätzlicher Spendenbeitrag für den "RotFuchs" sein dürfte, würde es mich freuen, Sie regelmäßig mit derlei Arbeiten zu unterstützen.
Mit herzlichem Gruß

Lutz Jahoda, Heidesee OT Wolzig


Als am 13. November 2015 in Paris 130 völlig unbeteiligte Menschen durch heimtückische Terrorattentate den Tod fanden und über 350 Verletzte beklagt wurden, war der mediale Aufschrei gewaltig. Die Vorfälle wurden nach allen Regeln der Kunst ausgeschlachtet, um immer schärfere Sicherheitsmaßnahmen zur weiteren Einschränkung der persönlichen Freiheiten der Bürger Frankreichs durchzusetzen.
Andererseits wurde die Berichterstattung zu den Anschlägen, die am 13. Januar in der Türkei 12 Menschenleben forderten, wobei die meisten Betroffenen Deutsche waren, auffällig heruntergespielt.
Ich gehöre einer jüngeren Generation als sehr viele RF-Leser an und lebe in einer Welt, in der sich die meisten Leute meines Alters überwiegend nicht mehr wirklich mit Politik und deren Hintergründen befassen. Sie werden durch eigene Probleme abgelenkt und sind so leichter anfällig für rechtspopulistische Stimmungsmache. Dennoch beginnen etliche die Berichterstattung der Mainstream-Medien zu hinterfragen.
Im Internet war viel darüber zu lesen, daß junge Menschen nicht verstünden, warum Opfern aus dem eigenen Land nicht das gleiche Mitgefühl entgegengebracht werde wie den in Paris um Leben Gekommenen. Nach meiner Einschätzung gibt es dafür zwei Gründe: Erstens ereignete sich das zweite Attentat "hinten fern in der Türkei" (Goethe), weshalb das politische Establishment nicht widerstandslos schärfere Sicherheitsgesetze einführen kann, da ja die BRD "nicht direkt" betroffen wurde. Zweitens befindet sich Deutschland schon im Krieg gegen den IS. Es könnte also kritische Stimmen geben, daß der Anschlag aus diesem Grunde gezielt gegen deutsche Touristen gerichtet gewesen sei.
Bestimmt will man auch den Ruf des Terrorpaten Erdogan als Sicherheitsgarant für die Abwehr von Flüchtlingen nicht noch mehr beschädigt sehen.
Unsere Solidarität sollte allen Opfern des Terrors gelten - sei es der unter Mißbrauch des Namens einer Religion verübte, sei es der Kriegsterror in Syrien, Afghanistan, Irak und anderswo oder der Staatsterror, der in der Türkei ganz massiv gegen Kurden und andere Gruppen der eigenen Bevölkerung verübt wird.

Stefan Semm, Berlin


Seit Jahren folgt die BRD den amerikanischen Sturmtruppen zur Verbreitung westlicher Freiheit und Demokratie. Auf der Münchner Wehrkundetagung im Februar 2015 verlangte BRD-Präsident Gauck, Deutschland müsse eine noch größere Rolle innerhalb der NATO spielen. Mit anderen Worten: mehr Beteiligung an militärischen Abenteuern der USA und des Westens, notfalls auch unter Inkaufnahme weiterer toter Bundeswehrangehöriger. Nach den Ereignissen von Madrid und Paris gab es nun auch die ersten deutschen zivilen Opfer. Die tödlichen Einschläge kommen also näher. Mit Hunderttausenden Flüchtlingen, die mehr oder weniger unkontrolliert nach Europa einreisen, ist eine neue Situation entstanden. Die jammervollen Bilder armer frierender Kinder vor der Berliner Registrierungsstelle gehen um die Welt und stehen in scharfem Kontrast zu Frau Merkels Äußerung: "Wir schaffen das." Dabei widersprechen wir entschieden den Fremdenhassern von Pegida und deren rechten Parolen. Die Ursachen für das Flüchtlingsdesaster haben die politischen Führungskräfte der USA und der EU mit ihrer verhängnisvollen Politik im afrikanisch-arabischen Raum selbst geschaffen, weil sie aus wirtschaftlichen und politischen Erwägungen die ganze Welt zur "kapitalistischen Freiheit" bekehren wollen. Nach dem Irak-Krieg sagte Bush jr.: "Wo wir sind, ist Amerika!" Es ist unsere menschliche Pflicht, Flüchtlingen zu helfen, die dem Bombenhagel in Syrien und anderswo entronnen sind. Doch wir sollten dabei nie vergessen, wer am Leid dieser Menschen die Schuld trägt.

Hans-Peter Ackermann, Oberviechtach (Bayern)


Ich hoffte, daß der "RotFuchs" in der nächsten Ausgabe nach dem Tod des Genossen Generalleutnant a. D. Manfred Hummitzsch einen angemessenen Nachruf bringen würde. Genosse Hummitzsch hat in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Arbeit der FDJ im damaligen Landkreis Chemnitz und speziell in Limbach-Oberfrohna wesentlich mitorganisiert und geprägt. Er vermittelte dabei uns jungen Leuten - ich war damals 14/15 Jahre alt - Mut und Lust auf eine neue Lebensperspektive. Später engagierte er sich beruflich für die Sicherheit der DDR und hat als Leiter der Bezirksverwaltung Leipzig des MfS einen wesentlichen Anteil daran gehabt, daß es 1989 in der Messestadt nicht zum Blutvergießen gekommen ist.

Jürgen Weise, Rostock


Mehr als ein halbes Jahrhundert lang haben uns die westdeutschen Medien, Politiker, Propagandisten und Schreiberlinge des Kapitalismus erklärt, die Wirtschaft der DDR sei maroder als marode gewesen. Nun schrieb ausgerechnet in der großbürgerlichen "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" deren Leitartikler Holger Steltzner folgendes: "Ökonomisch war die deutsche Währungsunion mit diesem Umtauschkurs ein Fehler. In Ostdeutschland folgte einer Phase mit Transfers kein sich selbst tragender Aufschwung. Statt dessen führte die konsumorientierte Vereinigung zum Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft."

Dr. Matin Baraki, Marburg


Vor kurzem hatte ich in Lettland eine Diskussion zu der hier arg strapazierten angeblichen Schutzbedürftigkeit der Letten und der Bürger anderer baltischer Staaten. Irgendwie glaubten die daran Beteiligten selbst nicht an angeblich zu erwartende aggressive militärische Handlungen Rußlands und fanden das ganze Bedrohungsgedöns der NATO überzogen. Im Fall einer wirklich von Moskau angestrebten Aggression, so ein Gesprächsteilnehmer, "würden uns die paar Flugzeuge und eingelagerten Waffen verschiedener NATO-Staaten auch nicht retten können". Die "Russen" flögen hauptsächlich über ihrem Land und neutralem Territorium, wie es NATO-Piloten auch tun.
Rußland fühlt sich aber dadurch bedroht, daß dreimal öfter als zuvor unmittelbar an ihren Grenzen militärische Aktivitäten stattfinden. Victoria Nuland aus dem U.S. State Department verkündete ganz unverfroren den Aufbau einer antirussischen Ostfront gegen Moskau in sechs Anlieger-Staaten mit Infrastrukturverstärkung, Stäben, Waffenlagern und NATO-Linien-Einheiten.
Die Partei Die Linke sollte mit den Bürgern der BRD und anderer EU-Staaten konsequent für eine alternative Verteidigungspolitik eintreten, die friedliche Konfliktlösungen den ständig schärfer werdenden militärischen Konfrontationen vorzieht.

Oberst a. D. Gerhard Giese, Strausberg


An meiner Wand hängen ein paar indianische Gegenstände, darunter ein Dankschreiben des seinerzeitigen Führers der Amerikanischen Indianerbewegung AIM, Russell Means. Sie organisierte 1973 die Besetzung von Wounded Knee. Dieses Dokument übersandte mir 1974 die Schriftstellerin Liselotte Welskopf-Henrich, weil ich für die Freilassung einer damals inhaftierten indianischen Freiheitskämpferin 842 Unterschriften gesammelt hatte.
Eine DVD über die Geschichte der Indianer, auf der auch das 1890 verübte Massaker von Wounded Knee dokumentiert wurde, löste in mir die Erinnerung an spätere Ereignisse in diesem Indianerreservat aus. Immer wieder wurden führende Persönlichkeiten der AIM unter falschen Anschuldigungen inhaftiert und zu drakonischen Strafen verurteilt. Einer von ihnen ist bis heute nicht wieder auf freiem Fuß: Leonard Peltier. Er gehörte zu den AIM-Aktivisten, die sich besonders für ihre Landsleute im Pine-Ridge-Reservat (South Dakota) eingesetzt hatten, wo es fast täglich zu Schießereien, Morden und Überfällen gekommen war. Peltier lastete man die Tötung zweier FBI-Agenten an, weshalb er 1977 trotz zahlreicher Unschuldsbeweise zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt wurde.
Seit dem Tod von Liselotte Welskopf-Henrich (1979) gelangen weniger Informationen über den Kampf der Ureinwohner Amerikas in die hiesige Presse, was sich besonders nach der Konterrevolution bemerkbar machte. Es gilt jedoch, den Kampf für Leonard Peltiers Freilassung mit aller Entschlossenheit weiterzuführen.

Beate Bölsche, Beetzsee


Guten Tag, Frau Bundeskanzlerin! Sind Sie Millionärin? Zumindest aber sind Sie keine Milliardärin wie der jetzt die Präsidentschaft der USA ansteuernde Donald Trump. Sie sind indes Vorsitzende des Geschäftsführenden Ausschusses, der die Interessen der Großbanken und Monopole in Deutschland zu vertreten hat. Noch sind Sie auf diesem Posten. Wenn Sie das aber in deren Augen nicht mehr können oder wollen, werden Sie gnadenlos abserviert. Wie lange bleiben Sie noch im Amt?

Horst Jäkel, Potsdam


Wir beteiligen uns an der Flüchtlingsbetreuung. Dreimal wöchentlich kommen Menschen aus sechs Ländern zum Deutschunterricht. Zuwendung, ein gutes Wort oder ein Lächeln helfen auch schon ein wenig. Gestern nahmen wir an einer Diskussionsrunde teil, zu der ein "Ökumenischer Arbeitskreis für Ausländerfragen" und das MLK-Zentrum Werdau eingeladen hatten. Anwesend waren auch Flüchtlinge aus Syrien und dem Maghreb. Gesprochen wurde über Islam und Christentum, über Krieg und Gewalt in Koran und Bibel, über die Rolle der Muslime hierzulande, über Frauenrechte. Zum Schluß herrschte darin Übereinstimmung, daß es einfach notwendig ist, die Flüchtlinge gut aufzunehmen und ihnen Deutschunterricht anzubieten. Übrigens standen Einrichtungen wie das erwähnte Werdauer Zentrum 1989 für die "friedliche Revolution", die aus unserer Sicht eine Konterrevolution war: Die Alternative zum Kapitalismus ging unter. Mit den sozialistischen Staaten kollabierten auch eine Reihe von Ländern der Dritten Welt, die bis dahin eine hoffnungverheißende Entwicklung genommen hatten.
Dann führte der "Westen" ein Vierteljahrhundert lang seine "Operationen" gegen ihm nicht genehme "Regimes". Nach dem 11. September 2001 entfesselten die USA ihren weltweiten "Krieg gegen den Terror" mit eigenen Aggressionen und blutigen Stellvertreterkriegen. Seitdem werden besonders auch uralte Ressentiments zwischen Religionsströmungen ausgenutzt. Wer kann, flieht, um sein Leben zu retten oder - mit gleichem Menschenrecht - um besser zu leben.
Ob die biedere CDU-Wählerin oder der brave SPD-Wähler erkennen, daß sie für die Ausländersituation in ihrer Stadt mitverantwortlich sind?

Petra und Klaus Petzold, Crimmitschau


Wenn man von der Flüchtlingswelle spricht, muß man zunächst die Frage stellen, welche Ursachen dem scheinbar plötzlich über uns hereingebrochenen "Phänomen" zugrunde liegen. Diese sind sowohl historischer als auch aktueller Natur. Der Kolonialismus gehört bekanntlich zu den Fundamenten der kapitalistischen Produktion. Was die herrschenden Kreise Europas in fremden Ländern an sich zu reißen pflegten, waren Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte. Eine Industrialisierung wurde bewußt vermieden. Es ging ausschließlich darum, die dort lebenden Völker auszubeuten und große Teile der Welt unter eigene Kontrolle zu bringen. Dabei hat Deutschland eine besonders üble Rolle gespielt. Natürlich sind die Ursachen für die Flucht einer so riesigen Zahl von Menschen sehr vielfältiger Natur. Angesichts der heutigen Schreckensbilder erinnere ich mich an das von der DDR und den anderen sozialistischen Ländern praktizierte Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe, das gegenüber unterentwickelten Ländern mit Erfolg angewandt wurde. Es schuf deren Bürgern echte Entwicklungs- und Lebensmöglichkeiten.

Gerda Huberty, Neundorf


Die reich illustrierte RF-Beilage mit dem wichtigen Artikel von Prof. Dr. Anton Latzo ist für die politische Arbeit aller Friedenskräfte äußerst wertvoll. Die von der Weltmacht USA und deren NATO-Verbündeten ausgehende Kriegsgefahr wird dort sehr überzeugend dargestellt. In der deutschen Medienlandschaft ist ein ähnliches Material kaum wahrzunehmen. Dafür gebührt dem Autor wie dem "RotFuchs"-Kollektiv Dank. Putins Politik, alles für die Sicherheit seines Landes zu tun, läßt sich nur Erfolg wünschen. Man könnte sagen: Weiter so und das Beste hoffen, aber auch auf das Schlimmste gefaßt sein. Wir müssen in Verteidigung des Friedens noch weitaus mehr tun. Zur Unterstützung des Drucks und Vertriebs von Beilagen wie der des Genossen Prof. Dr. Latzo spende ich 100 Euro.

Heinz Schlehuber, Berlin


Mit großem Interesse nutzte ich an ein und demselben Tage alle drei RF-Varianten: die Online-Version, die Printversion und die Januar-Beilage. Den Beitrag Soeren Benns "Wir waren so bescheuert zu glauben, Einheit sei Westdeutschland plus DDR" habe ich mit großer Begeisterung und voller Zustimmung aufgenommen. Solidarität wurde in der DDR nicht nur großgeschrieben, sondern auch aktiv gelebt. Ich erinnere mich noch gern an die Bürger Algeriens, Kubas, Vietnams und Moçambiques, die in vielen Betrieben unseres Kreises Bautzen bzw. im Bezirk Dresden eine solide Ausbildung erhielten. Als Facharbeiter und Ingenieure konnten sie in ihren Heimatländern anschließend den Aufbau unterstützen. Nicht nur als Kollegen wurden diese ausländischen Bürger geschätzt, sondern auch als liebe Kameraden im Sportverein. So kann ich die Ängste der Dresdner Pegida-Demonstranten und anderer scheinbar besorgter Bürger nicht nachvollziehen.

Andreas Herrmann, Bautzen


Da ich außer meiner Partei Die Linke auch mehreren "aufmüpfigen" Organisationen wie der VVN, dem Marxistischen Forum, dem "RotFuchs"-Förderverein und dem Liebknechtkreis angehöre, habe ich Zugang zu Informationen, die sonst der Öffentlichkeit unterschlagen werden oder kaum bekannt sind. Dazu gehören auch Materialien zur Militärdoktrin der BRD für das Jahr 2016.
Ich wurde als 16jähriger Flak-Kanonier am 17. März 1945 bei Bottrop verwundet und erlitt einen komplizierten Oberschenkeldurchschuß. Mein gerade 18jähriger Bruder ist in den letzten Apriltagen bei Wittenberg gefallen. Daraus ergibt sich für mich eine Konzeption, die ich auch dem Bundesverteidigungsministerium zugeleitet habe. Einige ihrer Forderungen lauten: Die Bundeswehr sollte eine reine Verteidigungsarmee sein, deren Aufgabe ausschließlich in der Abwehr von außen auf das Hoheitsgebiet der BRD gerichteter Angriffe besteht. Alle derzeit außerhalb der BRD unternommenen militärischen Aktivitäten sind sofort einzustellen und die beteiligten Einheiten unverzüglich zurückzuführen. Die BRD muß aus dem NATO-Vertrag und allen militärischen Verpflichtungen im Rahmen der EU sofort ausscheiden. Sämtliche ausländischen Militärbasen und Führungszentren von NATO und EU auf BRD-Territorium sind aufzulösen, wobei das Kriegsgerät ohne Ausnahme in die Herkunftsländer zurückzuführen ist.

Wolfgang Steinkopf, Leipzig


Unlängst bin ich mit meiner SPD-Genossin Babette Winter in Kontakt getreten, nachdem ich auf mdr.de unter der Schlagzeile "Thüringer Schüler sollen mehr über die DDR wissen" Folgendes gelesen hatte: "Die DDR-Geschichte könnte in Thüringen für alle Schulformen prüfungsrelevant werden. Wie die Kulturstaatssekretärin Babette Winter angab, ist das jedoch frühestens ab 2017 möglich. Doch schon jetzt möchte die Landesregierung im Unterricht verstärkt den Fokus auf die jüngere deutsche Geschichte legen."
Mich interessierte, was den Kindern heute in der Schule über die SBZ und die DDR beigebracht wird. So besorgte ich mir das Schulbuch "DDR und Deutsche Einheit" aus dem Buchner-Verlag. Es erschien 2012 und enthält schlimmste Verzerrungen. So etwas hatten nicht einmal die größten Antikommunisten bei uns in Bayern gewagt. Unter dem Titel "Atmosphäre der Angst" konnte man dort lesen: ... "Übergriffe, Plünderungen, Raub und insbesondere Vergewaltigungen von Frauen durch sowjetische Soldaten prägten noch Monate und Jahre nach der Eroberung Berlins durch die Rote Armee das Alltagsleben."
In diesem "Schulbuch" steht zu zeitweiligen Demontagen im Rahmen von Reparationsleistungen Folgendes: ... "Fälle sind belegt, bei denen russische Offiziere ein Fußballstadion umstellten und das gerade laufende Spiel unterbrechen ließen, um Arbeiter zu requirieren. Ähnliches geschah auf Tanzveranstaltungen und in Gaststätten."
Ich bin entsetzt, was unseren Kindern heute im Unterricht über SBZ und DDR vermittelt wird.

Johann Weber, Ruhstorf/Niederbayern


Kann ein Theologe - gleich welcher Konfession - eine Trauerrede auf einen verstorbenen Kommunisten halten? Ja, er kann es, wenn er es kann. Denn es gibt etwas menschheitlich Übergreifendes: Alle brauchen Frieden, Gerechtigkeit, Liebe, Güte. Daran mangelt es noch immer - weltweit. Und das mehr als 2000 Jahre nach Jesus Christus. Diese urchristliche Sehnsucht rief der freie Theologe Peter Franz - den RF-Lesern bestens bekannt - in Erinnerung. Er sprach auf dem Weimarer Hauptfriedhof letzte Worte für Genossen Heinz Koch - einen Kämpfer gegen Krieg und Faschismus, der in den 80er Jahren stellvertretender Direktor der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald war.
Die Trauernden saßen und standen dicht gedrängt, wie ich es lange nicht erlebt hatte. Wir waren tief berührt von der Rede, weil sie so überzeugend die Vision einer humanistischen Gesellschaft aufleuchten ließ, einer Zeit, "in der sich Frieden und Gerechtigkeit küssen". Danke, Peter Franz!

Werner Voigt, Kromsdorf


1945 habe ich als 19jährige mit der Familie in meiner pommerschen Heimatstadt Köslin (heute Koszalin) Krieg, Entbehrungen und Schrecknisse überlebt. Da die Ostgebiete laut Potsdamer Abkommen an Polen gingen und von Deutschen geräumt werden sollten, wurden wir mit einem Antifa-Transport nach Schönberg in Mecklenburg umgesiedelt. Aus voller Überzeugung folgten meine Schwester und ich dem Ruf der KPD zur Arbeit in deren Parteiapparat, um unseren Beitrag zum Aufbau eines neuen Lebens zu leisten. Ich zähle mich "zu dem großen Teil einstiger Bürger, die sich mit überwiegend positiven Gefühlen, aber auch mit Wehmut an ihr Leben und Wirken im untergegangenen Staat DDR erinnern", wie Prof. Horst Schneider im Januar-RF schrieb.
In diesem Jahr will ich mit allen Angehörigen unserer 50- bis 60köpfigen Familie meinen 90. Geburtstag feiern. Frühzeitig begab ich mich auf die Suche nach entsprechenden Räumlichkeiten, wobei ich zunächst Erfolg hatte.
Nun erfuhr ich plötzlich, das Haus, in welchem sich die Gaststätte befindet, sei vor Jahren von einem reichen Geschäftsmann erworben worden, der - wie im Kapitalismus üblich - von seinem "Recht" auf jährliche Mieterhöhung Gebrauch mache. Der Gastwirt vermag nach mehreren vorangegangenen Erhöhungen die geforderte Summe nicht mehr zu erwirtschaften.
Einer meiner Enkel fragte mich einmal, was der Unterschied zwischen DDR und BRD sei. Ich antwortete ihm: "In der DDR stand der Mensch im Mittelpunkt, in der BRD ist es das Geld."

Dora Schmidt, Berlin


Hitlers "Mein Kampf" habe ich zweimal gelesen: Zuerst als 12jähriger strammer Hitlerjunge, das zweite Mal in den 60er Jahren. Der Erkenntnisgewinn in den dazwischen liegenden DDR-Bildungsjahren war für mich natürlich enorm.
Die Neuausgabe dieses "Werkes" in kommentierter Form ist ein gefundenes Fressen für Nazis aus aller Welt. Sie schieben die bürgerlichen Kommentare einfach beiseite. Warum sollten denn heutige Schlips- und Kragen-Nazis weniger intelligent sein als gewisse "DDR-Dissidenten": Die konnten ja auch vor-, hinter-, oben-, unten- und zwischenzeilig in DDR-Gedrucktem lesen. Diese Hetzscharteke gehört verboten.

Siegfried Wunderlich, Plauen


Liebe RF-Bezieher, die ihr die Nr. 216 in der Hand hattet, sorgt bitte dafür, daß besonders der Artikel von Alex Volkmann auf Seite 3 nicht nur von den hierzulande übriggebliebenen Kommunisten und Sozialisten gelesen wird, sondern daß ihn auch eine möglichst große Zahl von politisch Verantwortlichen und gewählten Volksvertretern aller Ebenen zur Lektüre und anschließendem Nachdenken oder sogar Handeln in die Hand bekommt. Hier wird mit hohem Sachverstand in brillanter Formulierung die menschenverachtende kapitalistische Politik beschrieben, wie das seit den Klassikern unserer Lehre nicht allzu viele so zustande gebracht haben.
Auch wir alle sollten uns aufgefordert fühlen, das Beispiel Alex Volkmanns als Maßstab zu betrachten.

Peter Mühle, Stralsund


Der "RotFuchs"-Kalender für 2016 enthält leider einen historischen Fehler: Dort steht unter dem Datum des 28. März: "Ostermontag / Vereinigung von KPD und SPD zur SED 1946". Das trifft nicht zu, denn dieser Parteitag fand am 21./22. April 1946 statt.

Klaus Hemmerling, Niesky


Zum RF 1/2016, S. 30 (Korrektur zum Tittler-Leserbrief): Mit dem P.S. ist der Quatsch nun leider noch quätscher geworden. Denn im Staatsemblem der DDR gab es Hammer, Zirkel und Ährenkranz, nicht aber Hammer, Sichel und Ährenkranz. Aber das ist von Euch bestimmt schon selbst bemerkt worden.

Gerhard Hoffmann, E-Mail


War ich zuletzt auch schweigsam, so bin ich doch stets ganz Auge und Ohr gewesen, die aktivierenden Signale aus dem "RotFuchs"-Bau aufzunehmen. Nun überrascht Ihr mich - und gewiß auch andere Medienbeobachter - mit einem Text über die "Anfänge des demokratischen Rundfunks". Da ich der Meinung bin, daß wir nicht bei den Anfängen unserer Geschichte stehenbleiben dürfen, habe ich aus meinen autobiographischen Notizen als ehemaliger Rundfunkmann einen Beitrag zusammengestellt.

Torsten Preußing, Berlin

Der RF bedankt sich und wird den Beitrag in einer der nächsten Ausgaben veröffentlichen.


Bei den in der Beilage zum RF 216 abgebildeten Plakaten sind in der Regel deren Schöpfer erwähnt, was bei dem Poster zu den X. Weltfestspielen nicht der Fall ist. Es stammt von Ingo Arnold, der am 26. Februar seinen 85. Geburtstag beging. Aus diesem Anlaß wurde am 19. Februar im Kulturhaus Karlshorst eine Ausstellung eröffnet. Dieses und etliche weitere zu einer Weltfestspielreihe gehörende Plakate Ingo Arnolds waren seinerzeit auch als Großaufsteller in etlichen Städten und an Stadtzufahrten - ich nenne hier nur Schwerin - zu sehen, weil sie, wie ich vermute, in ihrer damals neuartigen popfarbenen Gestaltung als für Jugendliche besonders wirkungsvoll angesehen wurden.
Bei dieser Gelegenheit sei Ingo Arnolds Gestaltung der ETERNA-Gesamtausgabe der Werke Beethovens unter Verwendung von Bildmotiven Michelangelos deshalb erwähnt, weil diese Schallplattenreihe in der DDR der 60er und 70er Jahre eine bemerkenswerte Verbreitung fand.

Christoph Kleinschmidt, Berlin


Zwei Bemerkungen zu Andreas Bendels Beitrag im Januar-RF: Er fragte nach den Voraussetzungen für eine gerechte Gesellschaft und nannte dann 12 Aspekte, die ich zum großen Teil voll unterstützen würde. Kritisch möchte ich indes den Begriff "gerechte Gesellschaft" hinterfragen, denn Gerechtigkeit ist ein äußerst schillernder, wissenschaftlich heftig umstrittener Terminus, der sehr verschieden verwendet und interpretiert wird.
Welches Handeln und welche Gesellschaftsstruktur als gerecht empfunden werden, ist Ansichtssache, die von der Sozialisation des Beurteilenden und anderen gesellschaftlichen Umständen geprägt wird. Statt von einer gerechten würde ich lieber von einer humanen oder egalitären Gesellschaft sprechen, denn schon Marx hat Gerechtigkeitsforderungen - z. B. nach einem gerechten Lohn - strikt kritisiert.
Meine zweite Bemerkung betrifft Bendels Punkt 2, unter dem er sich zu lebensnotwendigen Bereichen äußert, welche der Staat verwalten soll. Hier würde ich ergänzen, daß diese staatlichen Dienstleistungen (Rente, Post, Wasser, Strom etc.) auf jeden Fall unter gesellschaftlicher Kontrolle stehen sollten. Hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse würde ich als Lehre aus DDR-Zeiten für so wenig staatliches Eigentum wie nötig und so viel gesellschaftliches bzw. genossenschaftliches Eigentum wie möglich plädieren.

Stefan Dahn, Halle


Für das Projekt eines "neuen Anlaufs" entwirft Andreas Bendel das Modell einer "gerechten Gesellschaft", die noch keine sozialistische Gesellschaft wäre. Was aber dann? Etwa eine Art Ideal-Gesellschaft, die einerseits neben Staatseigentum auch die Weiterexistenz von Privateigentum an Produktionsmitteln vorsieht, andererseits zugleich aber die Ausbeutung einschränken und nach dem "Prinzip des Gemeinwohls" organisiert sein soll.
Kann das zusammengehen? Da die Geschichte bisher neben Kapitalismus und Kommunismus noch keine dritte Ökonomie erfunden hat, könnte es sich, realistisch genommen, nur um ein Übergangsprojekt handeln. Das aber muß man nicht neu erfinden. In der Form eines "außergewöhnlichen Staatskapitalismus" hat es bereits während der NÖP-Periode in der Sowjetunion existiert und inzwischen der Volksrepublik China zu deren gewaltigem Aufstieg verholfen.

Manfred Höfer, Leipzig


Für Eure Arbeit danke ich Euch sehr. Der "RotFuchs" begleitet mich seit einiger Zeit und ist mir schon zum "Leuchtturm in dunklen Tagen" geworden. Meine wegen Arbeitslosigkeit prekäre Situation hindert mich daran, langfristige finanzielle Verpflichtungen einzugehen. Aber vor Weihnachten hatte das Zusammengekratzte wenigstens für eine kleine Spende gereicht.

Jürgen Sorge, Schöngleina


Gelegentlich grenzt der Haß auf die von der Konterrevolution zu Fall gebrachte DDR, der durch Medien auf deren einstigem Gebiet heute verbreitet wird, auch an Skurriles. So passierte es z. B. der "Mitteldeutschen Zeitung" vom 4. Januar d. J., daß die Lebensgeschichte eines trockenen Alkoholikers, der jetzt Barbesitzer und CDU-Stadtrat ist, nahezu ganzseitig ausgebreitet wurde. Die übergroße Schlagzeile lautete "Sieben Jahre Vollrausch".
Der Held der Geschichte begann seine alkoholische Laufbahn als fünfjähriger Knabe. Er leerte die Gläser der Erwachsenen. Mit 7 saß er bereits auf Omas Schoß und genoß Eierlikör. So ging es weiter, bis er nur noch von Korn, Tabletten und dem Lösungsmittel Nuth lebte. Dieses "Menü" bildete seine Ernährungsgrundlage für mehr als sieben Jahre. Damit bekämpfte er "die Perspektivlosigkeit des politischen Systems. Es war angenehmer, betrunken zu sein, als den Irrsinn der DDR zu ertragen", zitierte ihn die MZ. Dem gerade 21jährigen gab der Arzt noch ganze drei Monate. Jetzt ist er 45. Unter diesem Aspekt gehört der CDU-Stadtrat doch wohl kaum in die Reihe der zwar unerkannt, aber tapfer kämpfenden "Ritter der Wende". Mit diesem Bericht erfüllte die "Mitteldeutsche Zeitung" für einen weiteren Tag ihr Soll an Desinformationen über "undemokratische Scheußlichkeiten und Widerwärtigkeiten in der DDR". Der Autorin des Berichts sollte von unserem gleichgesinnten Präsidenten das Bundesverdienstkreuz verliehen werden.

Dr. Günter Freudenberg, Bernburg


In der "Mitteldeutschen Zeitung" vom 28.12. wurde in der Rubrik "Aufgefallen" über Norbert Lammert folgendes berichtet: Er habe "einen Verfall der Umfangsformen" in Deutschland beklagt. Die Freiheit der Meinungsäußerung sei kein Freifahrtschein für Beschimpfungen und verbale Mißgriffe. Er nannte es fatal, daß staatsanwaltschaftliche Ermittlungen nach Pöbeleien gegen Politiker oder andere Menschen des öffentlichen Lebens meist folgenlos blieben.
Das nenne ich eine tolle Erkenntnis dieses CDU-Politikers, der im Bundestag als dessen Präsident der Hausherr ist und eigentlich Beschimpfungen, verbale Attacken und Pöbeleien in den Räumen seines Hohen Hauses nicht dulden dürfte, sondern vielmehr dafür sorgen müßte, daß solche staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen unterzogen werden.
Herr Lammert hat sich einer eklatanten Unterlassung schuldig gemacht, als er seinerzeit den Auftritt des bekannten Neurotikers mit der Klampfe bei einer Feierlichkeit im Bundestag geduldet und nicht geahndet hat. Dieser durfte vor aller Welt die Abgeordneten der Fraktion Die Linke und Millionen einstige DDR-Bürger auf übelste Weise beschimpfen. Aber in dieser Bundesrepublik ist es wohl so, daß die Freiheit der Meinungsäußerung nach Bedarf und im Hinblick darauf gewertet wird, gegen wen sie sich jeweils richtet und wie öffentlichkeitswirksam sie ist. Auf meine Fragen dazu hat mir ein MdB geantwortet. Solche Vorkommnisse würden "übersehen".
Meiner Bemerkung, daß diese Show wohl organisiert gewesen sei, wurde nicht widersprochen. Was dürfte Herr Lammert wohl antworten, wenn ich ihn selbst dazu fragen würde?

Gerhard Bochnig, Giersleben

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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2016

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