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ROTFUCHS/183: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 229 - Februar 2017


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

20. Jahrgang, Nr. 229, Februar 2017



Inhalt

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Wer Terror verhindern will, muß den Krieg beenden

Das Blut der Opfer des Anschlags am Berliner Breitscheidplatz war am 19. Dezember 2016 noch nicht trocken, da fragte ein AfD-Pöbler auf Twitter: "Wann schlägt der deutsche Rechtsstaat zurück? Wann hört diese verfluchte Heuchelei auf? Es sind Merkels Tote!" Wem Mordopfer vor allem Anlaß sind, nach dem "Rechtstaat" zu rufen, der fällt so glatt wie dieser Europaabgeordnete Marcus Pretzell der eigenen Heuchelei zum Opfer. Denn wer so tut, als "schlage" dieser Staat im Inland wie im Ausland nicht permanent und mörderisch zu, der will von der Realität ablenken. Oder glaubt irgend jemand, die Bundeswehr-Kampfflugzeuge, die 1999 an der Bombardierung Belgrads teilnahmen, hätten Feuerwerkskörper abgeworfen? Glaubt irgend jemand, die deutsche Afghanistantruppe mit den Kämpfern des KSK (Kommando Spezialkräfte) werfe seit 15 Jahren mit Wattebäuschchen? Und was will eigentlich die Bundeswehr mit mehreren hundert Soldaten in Nord-Mali? Im Schatten liegen? Was sollen die deutschen Tornado-Aufklärungsflugzeuge über Syrien und dem Irak?

Die Antwort lautet: dem "Islamischen Staat" und anderen dschihadistischen Banden z.B. Koordinaten über Stellungen der syrischen Armee zukommen lassen, damit sie ihre Angriffe besser mit der von USA, Saudi-Arabien, Qatar und anderen deutschen Verbündeten gestellten Koalition zur Zerstörung Syriens koordinieren können. Dieser Staat verübt in diesen Ländern und anderswo Staatsterrorismus, er ist eine Hauptfluchtursache, Merkels Tote liegen dort.

Und im Innern: Wer 1990 Arbeitslosigkeit, Armut und Krieg zum Schutz "unserer" Handelswege und Rohstoffquellen in die DDR "exportierte", der kalkulierte auch die physische Vernichtung von Menschen ein - durch Selbstmord, Gram und Verelendung. Seit fünf Jahren arbeitet dieser "Rechtsstaat" mit Händen und Füßen, um zu verhindern, daß sein Anteil an den Morden des sogenannten NSU an die Öffentlichkeit dringt. Nein, dieser deutsche "Rechtsstaat" ist keine liberale Friedens- und Freiheitsveranstaltung und war es nie. Geboren im kalten Krieg, mit FDJ- und KPD-Verbot angetreten, hochgerüstet zur Vernichtung der DDR und des realen Sozialismus, hat er sich seit 1990 zur Kenntlichkeit verändert: ein gewöhnlicher, aggressiver imperialistischer Mittelstaat, dem das Spalten vor allem der Arbeiter- und jeder oppositionellen Bewegung durch nationalistische Vorurteile Gewohnheit ist. Nun reicht das nicht mehr, nun wird der Mund nicht nur gespitzt, jetzt wird gepfiffen.

Am 3. Januar 2017 veröffentlichte Bundesinnenminister Thomas de Maizière in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen Aufruf zum Verfassungsbruch unter dem Titel "Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten" und forderte ein Sicherheitshauptamt. Gleichzeitig verlangte Vizekanzler Sigmar Gabriel eine Art "Schutzhaft" (FAZ) für "Gefährder" und mehr Überwachung. Eine Forderung von Herrn Pretzell war erfüllt. De Maizière schrieb zwar nicht von "Zurückschlagen", nahm aber den Anschlag von Berlin zum Anlaß für seinen Klartext. Der Grund für seinen Vorstoß war jedoch: von Deutschland sei eine "Führungsrolle" gefordert.

Dazu läßt sich sagen: Das ist nach der strategischen Niederlage des Westens in Syrien imperialistisch folgerichtig gedacht. In dieser Logik ist ein Anschlag in Berlin eine gute Gelegenheit, im Innern staatsterroristische Herrschaftsmethoden rechtlich zu verankern, die nicht wegen Flüchtlingen oder Attentätern benötigt werden. Das bedeutet zugleich: Der Ruck nach rechts vollzieht sich schneller, als von fortschrittlichen Kräften befürchtet und von reaktionären verlangt. Herr Pretzell und seinesgleichen sind willkommene Helfershelfer, aber die Zerstörung der parlamentarischen Republik besorgen die Merkel, Seehofer, Gabriel und de Maizière schon selbst.

Arnold Schölzel

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Friedenspolitische Forderungen für 2017

Anfang Dezember 2016 fand in Kassel der 23. bundesweite friedenspolitische Ratschlag statt. In seinen Forderungen für das Jahr 2017 heißt es einleitend:

Im Wahljahr 2017 kommt es in Hamburg zu einem einzigartigen persönlichen Zusammentreffen politischer Macht. Der G-20-Gipfel versammelt am 7. und 8. Juli 19 Staats- und Regierungschefs sowie die EU-Spitze zu einem informellen Treffen. Es ist das erste G-20-Treffen in der Bundesrepublik auf Chefebene überhaupt. (...) Sie repräsentieren 63,5 Prozent der Menschheit, und ihre Staaten generieren etwa 90 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung und tätigen etwa 80 Prozent des Welthandels. Sie fördern das meiste Erdöl und das meiste Erdgas, etwa 90 Prozent der Kohle und des Eisenerzes auf der Welt. Wie in einem Brennglas treffen hier die Hauptverantwortlichen über zerstörerische Gewaltpotentiale aufeinander. Sie verantworten 80 Prozent der weltweiten Militärausgaben und 93 Prozent der Waffenexporte und verfügen über 99 Prozent der Atomwaffen.

Die militärischen Potentiale sind allerdings unter den Teilnehmern ungleich verteilt. So vereinen die NATO-Staaten und die EU unter den Versammelten 60 Prozent der weltweiten Militärausgaben und 70 Prozent der Rüstungsexporte auf sich. Damit sind diese NATO- und EU-Staaten die primären Adressaten für Forderungen nach Abrüstung, Senkung der Militärausgaben und den Stopp des Rüstungsexports. Vor allem im Konflikt mit Rußland stehen die NATO-Staaten im Brennpunkt der Kritik. Ihre Kriegsmanöver, Vornestationierungen von Truppen und der Aufbau einer Raketenabwehr bei gleichzeitiger atomarer Aufrüstung der USA verschärfen die Spannungen. Ihre Selbstverpflichtung im Rahmen von NATO und EU, die Militärausgaben ihrer Mitgliedsstaaten auf zwei Prozent des Bruttosozialprodukts zu erhöhen, heizt zusätzlich ein brandgefährliches Wettrüsten in Europa an.

Neben Wirtschafts-, Finanz-, Energie- und Klimathemen wird der G-20-Gipfel sich mit dem "Umgang mit Migration und Flucht" befassen - angesichts der rekordhohen Zahl von 65,3 Millionen Flüchtenden weltweit ein sehr wichtiges Thema. Allerdings wird die Beseitigung der bedeutendsten Fluchtursache Krieg und das Ende der Waffenexporte nicht thematisiert werden. Dabei sitzen wichtige Staatslenker, die in Syrien völkerrechtswidrig Krieg führen, am Tisch: die USA, die Türkei, Saudi-Arabien, Frankreich und Deutschland. Auch die Hauptverantwortlichen für die NATO-Kriege in Afghanistan und Libyen werden in Hamburg sein ebenso wie das despotische saudische Regime, das Jemen bombardiert. So viel Zusammenballung von Zerstörungspotential hat es in Deutschland zeitgleich noch nie gegeben. Der G-20-Gipfel ist eine günstige Gelegenheit, um unsere Forderungen nach Frieden, Abrüstung und sozialer Gerechtigkeit machtvoll vorzutragen.

Für den Bundestagswahlkampf haben wir Themen und Forderungen formuliert: Kriege stoppen und Konfliktpotentiale entschärfen! Militärische Drohungen gegen Rußland beenden! Abrüsten!

NATO und EU betreiben seit langem die Einkreisung Rußlands. Sie wird durch Sanktionen, zunehmende Manövertätigkeit, die Dauerstationierung von NATO-Truppen an der russischen Westgrenze und die Verdreifachung der Schnellen Eingreiftruppe (NRF) gefährlich verstärkt. Die Bindung der Ukraine an EU und NATO verletzt legitime sicherheitspolitische Kerninteressen der russischen Bevölkerung. (...)


Vollständiger Wortlaut: friedensratschlag.de

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Weichenstellung für Ramstein

1. Friedenscamp mit Kinderbetreuung mit einem inhaltlichen und kulturellen Programm vom 3.9. bis 10.9.

2. Öffentliche Veranstaltung "Nein zu Drohnen und Atomwaffen - ja zu Frieden und Gerechtigkeit in der Welt" in der Stadt Kaiserslautern mit Eugen Drewermann, Daniele Ganser, Oberst a.D. Ann Wright (USA)

3. "Internationaler Kongreß zu Militärbasen und ihre geostrategische Bedeutung für weltweite Kriege" am Freitag, 8.9., bis Samstag, 9.9., in Ramstein

4. Friedensfestival am Samstag, dem 9.9., mit vielen verschiedenen Künstlern

5. Menschenkette mit Schlußkundgebung vor der Air Base Ramstein am Samstag, dem 9.9.

Die kurze Zusammenfassung soll neugierig machen, aber sie ist auch eine Aufforderung zum Mitmachen und Mitgestalten.

Wir brauchen Euch und Eure Hilfe. Bitte schaut die Webseite an, dort findet Ihr die verschiedenen Arbeitsgruppen, die alle noch Unterstützung und weitere Aktive benötigen:
http://www.ramstein-kampagne.eu/arbeitsgruppen

Wenn Ihr Fragen oder auch Anregungen habt, wir nehmen sie gerne entgegen: info@ramstein-kampagne.eu.

Wir sind im Krieg, und weitere Kriege drohen - Die Air Base Ramstein ist an fast allen konfrontativen und kriegerischen Aktivitäten beteiligt:

  • Jeder US-Drohneneinsatz in der Welt ist mit der Relaisstation in Ramstein verbunden.
  • Das Raketenabwehrsystem, vielleicht eine der größten Bedrohungen, hat sein Hauptquartier in Ramstein.
  • Die modernisierten Atomwaffen sollen von Ramstein aus ins Ziel geleitet werden.
  • Weitere Drohnenneinsatzzentralen wie in Niger oder auf Sizilien sollen mit der Hilfe der Militärs von Ramstein gebaut werden.
  • Das alles kostet ungeheuer viel Geld, welches überall in der Welt und auch bei uns fehlt.
  • Die Stopp-Ramstein!-Kampagne steht für die Ablehnung von Krieg und Interventionen überall in der Welt, die Vision einer friedlichen Welt der Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, des Friedens mit der Natur: Demokratie und Partizipation ist eine Unabdingbarkeit der Gestaltung einer zukünftigen friedlichen Gesellschaft. Wir haben auch Alternativen für die Region und die Arbeitsplätze: ein umfassendes Konversionsprogramm sichert eine friedliche Zukunft der Region.

Leider können wir auch in diesen Vorweihnachtstagen nicht vergessen:

  • Die ungehemmte Aufrüstung in Deutschland und Europa schreitet in einer Schnelligkeit und Dimension voran, die zu einer umfassenden Militarisierung Europas und einem dramatischen Abbau von sozialen Rechten in Deutschland führen wird.
  • Deutschland ist mit Interventionen in 17 Ländern an kriegerischen Einsätzen beteiligt.
  • Die weitere Ausdehnung der NATO und die Konfrontation mit Rußland erhöht die Kriegsgefahr.
  • Die bisherigen Ankündigungen und die Personalentscheidungen des neuen Präsidenten der USA deuten auf eine Intensivierung der Konfrontationspolitik und die Akzeptanz von Krieg als Fortsetzung der Politik hin.
  • Die Atomwaffen werden weltweit modernisiert, und Deutschland ist daran beteiligt.
  • Die vielfältigen ökologischen Schäden der Air Base Ramstein und von Kriegen generell.

Lauter muß unser Ruf nach Frieden und Abrüstung werden, und immer wieder erschallen. Wir werden deshalb unsere Informations- und Aufklärungsarbeit gegen alle Widerstände intensiv fortsetzen und den politischen Druck auf die Bundesregierung erhöhen, um einen Ausstieg aus der Zustimmung für Drohnen und der Kriegspolitik zu erreichen.

Wir bleiben dabei: Nein zu Drohnen!

"Die US-Militärbasis in Ramstein muß geschlossen werden", heißt es in der auf der Planungskonferenz vorgestellten Selbstdarstellung, die unter
http://www.ramsteinkampagne.eu/wp-content/uploads/2016/11/Selbstdarstellung-Stopp-Ramstein_lv.pdf
heruntergeladen oder im Aktionsbüro bestellt werden kann.

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Die XlX. Weltfestspiele finden in Sotschi statt

Für Frieden, Solidarität und soziale Gerechtigkeit

Der am 10. November 1945 gegründete Weltbund der Demokratischen Jugend beschloß auf seinem ersten Kongreß in London, regelmäßig Welttreffen der Jugend und Studenten zu veranstalten; diese Treffen sollten "die internationale Freundschaft und Verständigung der Jugendlichen der verschiedenen Länder entwickeln und stärken, einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau der Welt und zur Erhaltung des Friedens leisten und mit allen geeigneten Mitteln das Leben, die Tätigkeit und die Bestrebungen der Jugend der verschiedenen Länder zeigen".

1947 wurde in Prag das erste dieser Weltjugendfestivals durchgeführt, 2013 in Quito (Ecuador) das 18. und bisher letzte. Die 19. Weltfestspiele der Jugend und Studenten finden nun vom 14. bis 22. Oktober 2017 im russischen Sotschi, der Stadt der Olympischen Winterspiele 2014, statt. Wie die kubanische Jugendzeitung "Juventud Rebelde" meldete, einigten sich die Delegierten des ersten internationalen Vorbereitungstreffens, das in Venezuelas Hauptstadt Caracas tagte, auch auf das Motto des Festivals. Es lautet "Für Frieden, Solidarität und soziale Gerechtigkeit - kämpfen wir gegen den Imperialismus! Indem wir unsere Vergangenheit ehren, bauen wir die Zukunft auf".

Erwartet werden 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus aller Welt. Gewidmet ist das Festival dem 100. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution sowie dem 70. Jahrestag der ersten Weltfestspiele, 1947 in Prag. Erinnert werden soll außerdem an den 50. Jahrestag der Ermordung Che Guevaras, den 60. Jahrestag der Weltfestspiele 1957 in Moskau sowie an den kürzlich verstorbenen Präsidenten der Demokratischen Arabischen Republik Sahara, Mohamed Abdelaziz, der zeit seines Lebens gegen den Kolonialismus und für die Unabhängigkeit der Westsahara gekämpft hatte.

Im Simón-Bolivar-Theater in Caracas wurde mit einer feierlichen Zeremonie der offizielle Startschuß für die Vorbereitung der 19. Weltfestspiele gegeben. Eine Delegation aus Ecuador, Gastgeberland des letzten Welttreffens, übergab Vertreterinnen des russischen Vorbereitungskomitees die Festivalfahne.

Venezuelas Vizepräsident Aristóbulo Istúriz erinnerte in seiner Ansprache auf der vom staatlichen Fernsehen VTV direkt übertragenen Veranstaltung daran, daß er selbst dem venezolanischen Vorbereitungskomitee für die X. Weltfestspiele 1973 in Berlin/DDR angehört hatte. Er könne sich an das damalige Festival erinnern, "als wäre es gestern gewesen". Istúriz rief zur antiimperialistischen Solidarität mit der Bolivarischen Revolution in Venezuela auf: "Die Medien stellen weltweit eines der faktischen Machtinstrumente der Oligarchie dar, die durch die Medienkontrolle in der Lage ist, die Völker voneinander zu isolieren, so daß diese ihre Wahrheit nicht durchsetzen können." Dagegen helfe die internationale antiimperialistische Vernetzung, wie sie die Weltfestspiele anbieten. "Dies ist ein historischer Augenblick, in dem wir die Weltfestspiele der Jugend brauchen, damit die Wahrheit in die Welt hinauskommt. Es gibt kein anderes Vehikel, keinen besseren Weg, um der Jugend und den Studenten der Welt die Wahrheit zu vermitteln", betonte der ehemalige Universitätsprofessor.

Gestützt auf "Unsere Welt", Basel, Nr. 12/2016

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Was uns der 11. September hinterlassen hat

Der 11. September ist eigentlich nur ein weiteres Kästchen im Kalender. Aber die Geschichte hat es sich zur Aufgabe gemacht, gerade diesen Tag mit Ereignissen zu füllen, die dem Schicksal ganzer Völker ihren Stempel aufdrücken: vom Mord am chilenischen Präsidenten Salvador Allende, der Ermordung des kubanischen Diplomaten Felix Garcia in unmittelbarer Nähe der UNO bis hin zu den terroristischen Angriffen auf die Zwillingstürme in New York und das Pentagon. Trotz der geographischen und zeitlichen Distanz besteht ein Zusammenhang zwischen ihnen, und dies ist die irrationale Anwendung von Gewalt zur Erzielung vermeintlich politischer Ziele. Welche Lehren können wir aus diesen Vorfällen ziehen?

1. Man bekämpft Feuer nicht mit Feuer
Als die Feuerwehrleute und die Bergungstrupps noch zwischen den Trümmern des World Trade Center nach Überlebenden suchten, und lange vor den kriegstreiberischen Reden des Präsidenten George W. Bush, sagte Comandante en Jefe Fidel Castro in Havanna: "Keines der aktuell in der Welt bestehenden Probleme läßt sich mit Gewalt lösen, es gibt weder eine globale noch eine technologische, noch eine militärische Macht, die die totale Immunität gegen solche Taten garantieren kann."

2. Der Zweck heiligt nicht die Mittel
Die Folterungen, Morde und Verfolgungen, die die chilenische Militärdiktatur und andere auf dem Kontinent einsetzten, wurden mit dem angeblichen Ziel gerechtfertigt, der Ausbreitung des Kommunismus Einhalt zu gebieten. Die kürzlich in den Vereinigten Staaten freigegebenen Dokumente über die argentinische Diktatur deuten darauf hin, daß sich Washington über alles, was geschah, bewußt war und nichts tat, um es aufzuhalten. Die Fotografien der Folterungen in Abu Ghraib oder die Hunderttausende von Toten, die als "Kollateralverluste" katalogisiert wurden, zusammengenommen mit dem Schmerz ihrer Familien, beantworten die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt.

3. Die Welt ist nicht sicherer als 2001
Nach einer Datenanalyse der Universität Maryland wurden im Jahr 2000 weltweit weniger als 4000 Tote durch Terrorakte registriert. Ein von der Regierung der Vereinigten Staaten ausgearbeiteter Bericht beziffert für das Jahr 2014 die Zahl der durch Terrorismus verursachten Todesfälle auf 32.700. Im vergangenen Jahr war die Lage nicht günstiger.

4. Es gibt keinen guten oder schlechten
Terrorismus Am 11. September dieses Jahres ist es 36 Jahre her, seit der kubanische Diplomat Felix Garcia in der Nähe des UNO Sitzes in New York von einem Terroristen ermordet wurde. Zuvor, im Jahr 1973, verabschiedete sich Salvador Allende an jenem Tag von der Moneda aus von seinem Volk. Aufeinanderfolgende US-Administrationen haben der Welt beizubringen versucht, daß die Gewalt, welche gegen sie selbst oder ihre Verbündeten ausgeübt wird, Terrorismus ist. Wenn diese jedoch gegen Länder angewandt wird, die sich nicht ihren Interessen beugen, handelt es sich um "Kampf um Demokratie".

5. Politische Systeme kann man nicht aufnötigen
Präsident Wladimir Putin sagte kürzlich in einem Interview mit der Website Bloomberg, die Ereignisse des letzten Jahrzehnts hätten bewiesen, daß Versuche von außen, um ein Land zu "demokratisieren", zum Anstieg des Terrorismus und zur Zerstörung des Staates führen. "Wenn ich höre, ein Präsident müsse gehen, und ich das nicht aus dem Land selbst, sondern von außen höre, kommen mir große Fragen in den Sinn" sagte er.

6. Der Terrorismus hat keine Religion
Millionen über die Welt verstreuter Muslime erleiden Diskriminierung und Zurückweisung aufgrund der Handlungen einiger Hundert. Die kürzlich in westlichen Ländern von "einsamen Wölfen" durchgeführten Angriffe machen die Vielfalt an politischen und sozialen Traumata deutlich, die zum Extremismus führen und die weit über die Religion hinausgehen.

7. Der Terrorismus verteidigt keine Sache
Es ist auffällig, daß die Pläne und Vorhaben der terroristischen Gruppen entweder nicht vorhanden oder selbst für die eigenen Landsleute unverständlich sind - ebenso, wie das falsche messianische Projekt eines globalen Kalifats niemandem zu vermitteln ist. Der Terrorismus ist seinem Wesen nach irrational, und sein Ziel ist die Gewalt als Selbstzweck.

8. Kein Land ist vollkommen sicher
Die Vereinigten Staaten, Frankreich, Belgien, Rußland, die Türkei, Ägypten, Libyen, Irak, Somalia, Äthiopien, Nigeria ... die Liste der in den letzten Jahren von terroristischen Attentaten betroffenen Länder ist lang und wird jeden Tag länger. Mauern und Sicherheitsmaßnahmen haben sich als unwirksam erwiesen, wenn es darum geht, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten.

9. Die Bevölkerung ist immer am meisten betroffen
Berechnungen zufolge haben allein während des Krieges im Irak eine Million Zivilisten ihr Leben verloren. Der Krieg trifft am Ende immer diejenigen am meisten, die niemals ein Gewehr in den Händen hielten.

10. Armut und Ausschluß von gesellschaftlicher Teilhabe sind sein wichtigster Treibstoff
Es ist sehr vereinfachend, das Phänomen des islamischen Fundamentalismus anzusprechen, ohne die Evolution einer Region mit tausendjähriger Geschichte zu analysieren, die jedoch in jüngster Vergangenheit einem kolonialen und neokolonialen Regime unterworfen war. Gleichermaßen reagieren die "einsamen Wölfe", die in den westlichen Hauptstädten Panik verbreiten, auf eine Dynamik des Ausschlusses und der Verdrängung, die sich über Generationen hinweg immer weiter verstärkt hat.

11. Der schlimmstmögliche Terrorismus ist der Staatsterrorismus
Auch wenn die Propaganda der großen bürgerlichen Medien keine Anstrengung scheut in der Darstellung des Terrorismus als Domäne radikaler Gruppen, Tausende Kilometer von westlicher Zivilisation entfernt (oder lokaler Wahnsinniger, die von jenen gewonnen wurden), hat die Geschichte unzählige Beweise dafür geliefert, daß die tödlichsten Terrorakte von Staaten ausgegangen sind. Washington rüstete die Faschisten des Maidan in der Ukraine aus und entfachte einen Konflikt, der kein Ende zu haben scheint. Es destabilisierte Libyen, ein Land mit den besten sozialen Indikatoren jener Region, arbeitet auf den Sturz der syrischen Regierung hin und schwächt so den Kampf gegen die wirklichen Terroristen. Außerdem werden die Mittel des nichtkonventionellen Krieges, die in jedem Sinne mit denen der Terroristen vergleichbar sind, ohne zu zögern gegen Länder mit progressiven Regierungen wie Venezuela, Ecuador und Bolivien angewandt.

Sergio Alejandro Gómez
Nach "Granma", Oktober 2016


Wer den Terror verhindern will, muß den Krieg beenden!

"Man hofft, daß man irgendwann den Fernseher anstellt oder die Zeitung öffnet und irgend jemand einem sagt, daß es Frieden gibt, daß einfach Frieden auf der Welt einkehrt ..."

Das sagte eine junge Frau am 20. Dezember 2016 zu einem ob dieser Antwort sichtlich verblüfften und sprachlosen rbb-Reporter auf die Frage nach ihren Gedanken zu dem Anschlag am Berliner Breitscheidplatz.

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Über den Syrien-Krieg und das russische Eingreifen

Die jüngsten Quellen des Buches von Ralf Rudolph und Uwe Markus "Warum Syrien?" stammen aus dem September 2016. Die Autoren konnten also die US-Präsidentschaftswahlen noch nicht kommentieren.

Gültig bleibt aber über den Wechsel in Washington hinaus ihre Bewertung der Hintergründe des Syrien-Krieges: Er sei "ein neuer Akt der Auseinandersetzung vor allem zwischen den USA und Rußland um die Regeln, die zukünftig in den internationalen Beziehungen gelten sollen". Anders gesagt: In Syrien wird bewußt mit dem dritten Weltkrieg gespielt. Und wer das ist, der vom Faustrecht in den internationalen Beziehungen nicht lassen kann, das belegen Rudolph, Oberst a. D. und Absolvent des Moskauer Instituts für Luft- und Raumfahrt, sowie der Soziologe Markus in diesem Buch mit Zahlen und Fakten: Es sind die USA, die NATO mit der Türkei an der Spitze sowie die Feudaldiktaturen Saudi-Arabiens und Katars.

Der Band enthält eine nüchterne, in erster Linie auf militärische Daten gestützte Untersuchung des Kriegsverlaufs. Im Mittelpunkt steht zunächst neben einem Blick in die Geschichte Syriens die von Rußland und der syrischen Armee verwendete Waffentechnik. Geschildert werden danach größere militärische Operationen wie die Schlachten um Kobani oder um Palmyra, die weitgehende Zerstörung des Erdölgeschäfts zwischen dem "Islamischen Staat" (IS) und der Türkei (vor allem der Familie Erdogan), die innere Struktur der nach Hunderten zählenden Milizen, die gegen die syrische Regierung kämpfen, sowie die militärischen Leistungen der kurdischen Kräfte. Die Beziehungen Rußlands und Syriens zu den Ländern der Region von Israel bis zum Iran werden in einem umfangreichen Abschnitt beleuchtet. Diesem Buch Vergleichbares hat es bislang nicht gegeben.

Ihm vorangestellt ist ein Zitat des ehemaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr, Harald Kujat: "Die Russen haben mit ihrem militärischen Eingreifen in Syrien den Friedensprozeß erst ermöglicht." Rudolph und Markus weisen nach, daß die westlichen Interventen und ihre Bodentruppen, die dschihadistischen Milizen, zusammen mit den "gemäßigten" Aufständischen, nach dem 30. September 2015, als die russische Armee ihre Aktionen begann, eine schwere Niederlage erlitten. Nur durch die finanzielle und materielle Hilfe aus der Türkei, Saudi-Arabien, Katar, den USA und die militärische Unterstützung auch aus der Bundesrepublik - die Autoren schreiben von Spezialkräften der Bundeswehr im Bodenkrieg - konnte offenbar eine Niederlage vermieden werden.

Kritisch beurteilen die Verfasser allerdings auch die moralische Stärke der syrischen Armee. Sie habe nach umfangreichen Rüstungslieferungen Rußlands 2015 "zu den am besten ausgerüsteten" der Region gehört. Den 80.000 Soldaten hätten u.a. 4700 Panzer, 3800 Schützenpanzer, 2600 Geschütze und rund 600 Flugzeuge und Hubschrauber zur Verfügung gestanden - zu 98 Prozent aus russischer Produktion. Warum dann "die durchschlagenden Erfolge der verschiedenen bewaffneten Rebellengruppen und des IS, die in kurzer Zeit 80 Prozent des syrischen Staatsgebietes besetzen und die syrischen Streitkräfte in die strategische Defensive drängen konnten"? Die Verfasser weisen auf die sogenannten moralischen Faktoren im modernen Krieg hin. Die "entscheidenden Schwachstellen" der syrischen Truppen hätten dort gelegen - vom Ausbildungsstand der Soldaten bis zum Niveau der Truppenführung. Außerdem habe sich bei allen Nahostkriegen gezeigt: Der "im Islam unterschwellig stets präsente Fatalismus" führe bei Soldaten in extremen Belastungssituationen "oft zu einer kollektiven Gleichgültigkeit" und "Passivität im Gefecht".

Hinzu komme: Präsident Baschar Al-Assad habe das Staatsgefüge, das er von seinem Vater übernahm, "beschädigt". Erstmals in der Geschichte Syriens habe "eine alawitische Minderheit das Ruder der Staatsführung in der Hand, und Sunniten hatten kein Mitspracherecht mehr".

Die Autoren halten fest, daß sich die syrische Führung nach den ersten militärischen Erfolgen auf Grund des russischen Eingreifens Ende 2015 nicht mehr an Absprachen hielt und politische Lösungen ablehnte. Der am 14. März angeordnete Teilabzug der russischen Streitkräfte aus Syrien sei als "ein ernsthaftes Signal an Assad" gedacht gewesen, sich verhandlungsbereit zu zeigen, und zugleich eine Botschaft an alle Seiten, nach einer Friedenslösung zu suchen. Die Bedingungen dafür, das zeigen die Autoren überzeugend, wurden durch Rußland geschaffen.

Ärgerlich sind die leider zahlreichen Fehler wie etwa die Verwechslung des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu mit Ministerpräsident "Metwedjew". Immer mehr Verlage verzichten auf qualifizierte Lektoren und Korrektoren - entsprechend steigt die Fehlerhäufigkeit.

Arnold Schölzel

Ralf Rudolph/Uwe Markus: Warum Syrien?
Phalanx-Verlag, Edition Militärgeschichte und
Sicherheitspolitik, Berlin 2016, 334 S., 19,20 €

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Sind beide Seiten gleichermaßen schuld anm Krieg?
von Joachim Guillard

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Flüchtlingen eine Stimme geben
von Gerd Bedszent

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Bernie Sanders: Wohin die Reise für die Demokraten gehen muß

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Portugals Kommunisten "gezähmt"?

Mühsam geht es voran mit der Politik der kleinen Schritte. Ein Jahr nach dem Antritt der von drei Linksparteien tolerierten Regierung des Sozialisten Antonio Costa haben Portugals Kommunisten eine überwiegend positive Bilanz dieser neuen Etappe in der Politik des Landes gezogen. Anfang Dezember vergangenen Jahres kamen 1300 Delegierte im Sportkomplex der Lissabonner Vorstadt Almada unter der Losung "Mit den Arbeitenden und mit dem Volk. Demokratie und Sozialismus" zum 20. Nationalen Kongreß der PCP zusammen, um den weiteren Kurs der Partei abzustecken und deren Führungsgremien neu zu wählen. Dabei hatten sie bereits die im kommenden Herbst anstehenden landesweiten Kommunalwahlen im Blick.

Das Fazit steht für eine Trendwende: Auf der Grundlage der getroffenen Vereinbarungen mit den Sozialisten sei es möglich gewesen, soziale Rechte wiedereinzuführen, die Einkommen zu erhöhen und einige der dringendsten Probleme des Landes anzugehen. Zugleich stellt die politische Erklärung des Parteitages fest, daß die jüngsten Entwicklungen deutlich machten, daß eine "fundierte und den nationalen Problemen entsprechende Politik" mit der "Unterordnung unter Auflagen der Europäischen Union" nicht zu versöhnen sei. Die PCP betonte in Almada einmal mehr ihre ideologische Eigenständigkeit und hob grundsätzliche Unterschiede zum politischen Projekt der PS-Regierung hervor.

Das Costa-Kabinett war mit dem Versprechen angetreten, die von den nach der Pfeife der "Troika" tanzenden Vorgängern praktizierte Politik des sozialen Kahlschlags zu beenden. Auch nachdem das krisengeschüttelte Land längst aus der Obhut der "Institutionen" entlassen ist, steckt es langfristig weiter in der Brüsseler und Berliner Zange. Zwar hat die EU-Kommission von möglichen hohen Strafen gegen Portugal wegen verfehlter Haushaltsverpflichtungen erst einmal abgesehen. Lissabon hat im Gegenzug neue Sparmaßnahmen versprochen. Auch die Strukturfonds werden entgegen den Wünschen des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble nicht als Disziplinierungsmittel mißbraucht. Angesichts des "Brexits" und der Lage in Italien nach der abgelehnten "Politikreform" will die EU-Kommission gerade kein neues Öl verschütten. Allerdings werden die Verfahren gegen Defizitsünder weiter in der Schwebe gehalten.

Die PCP bekräftigte in den Referaten und in der Resolution des Kongresses eine Reihe aktueller Forderungen wie zum Beispiel nach einer Erhöhung der Renten und der Aufhebung der Beförderungssperre im öffentlichen Dienst. Noch für dieses Jahr verlangt die Partei eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 600 Euro. Die Proteste der Staatsbediensteten, die zur 35-Stunden-Woche zurückkehren wollen, werden von ihr unterstützt. Zugleich fordert sie bereits für das kommende Jahr deren Ausweitung auf den Privatsektor. Die PS mauert. Eine der strategischen Differenzen zu den Sozialisten tritt in der Frage der Schuldenpolitik zutage. Die Kommunisten wollen nicht nur eine komplette Neuverhandlung der Schulden, sondern auch, daß sich Portugal auf ein Verlassen der Einheitswährung strategisch vorbereitet.

Das neue Zentralkomitee der portugiesischen Kommunisten wählte erneut den seit zwölf Jahren an der Spitze der Partei stehenden Jerónimo de Sousa zu seinem Generalsekretär. Der gelernte Metallarbeiter hat sich als ebenso prinzipientreuer wie flexibler Bewahrer der Identität der heute etwa 54.000 Mitglieder zählenden Partei ausgezeichnet. "Im vollen Bewußtsein der Widersprüche und Herausforderungen", welche die historische neue politische Konstellation mit sich bringe, tritt er der These entgegen, daß Portugals KP nun "gezähmt" sei.

Peter Steiniger

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"Mit Arbeitern und Volk für Demokratie und Sozialismus"

Unter diesem Motto stand der 20. Parteitag der Portugiesischen Kommunistischen Partei, zu dem sich über 1000 Delegierte in Almada trafen. Almada, eine Stadt, die der Hauptstadt Lissabon am Tejo gegenüberliegt, ist seit der Aprilrevolution 1974 eine rote Hochburg.

Überhaupt ist die Verteidigung der wenigen noch vorhandenen Errungenschaften der Nelkenrevolution und das Wachhalten der Erinnerung an diese Revolution eine Aufgabe, die die PCP als einen Eckpfeiler ihrer Strategie ansieht. "Es ist notwendig, nicht zu vergessen, daß in Portugal die erste und bislang einzige Volksrevolution in Nachkriegseuropa stattfand, die, wenn auch unvollendet, große Veränderungen in der portugiesischen Gesellschaft bewirkt hat." So formulierte es Albano Nunes, Mitglied des Sekretariats des ZK der PCP, in einem vielbeachteten Beitrag zur Ideologie und Strategie der PCP.

In der Diskussion spielte die derzeitige Politik der Tolerierung einer Minderheitsregierung der Sozialistischen Partei (PS) durch die PCP eine zentrale Rolle. Immer wieder wurde betont, daß die Beseitigung der rechten Vorgängerregierung ein Ergebnis der Massenkämpfe war, an deren Organisierung die PCP großen Anteil gehabt hat. Und immer wieder wurde betont, daß es sich keinesfalls um eine Koalition, um eine "Linksregierung", sondern eben um eine Tolerierung, d.h. um die Zustimmung zu Maßnahmen, die die Lage der arbeitenden Menschen und des Volkes verbessern, handeln würde. ...

Die dritte Kraft dieses Tolerierungskonzeptes, der sogenannte Linksblock (BE), spielte in den Diskussionen keine Rolle. In einem bilateralen Gespräch mit Carlos Gonçalves, Mitglied der politischen Kommission des ZK, wurde mir als Grund genannt, daß der Linksblock in der Arbeiterklasse nicht verankert sei. Seine objektive Funktion bestehe in der Schwächung der PCP, in der derzeitigen portugiesischen Regierungskonstellation übernehme er mehr die Rolle eines Anhängsels der PS.

In dieser Konstellation und durch Druck der PCP konnten tatsächlich viele Einschnitte bei Löhnen und Gehältern, Arbeitszeit und sozialen Rechten, die die Vorgängerregierung gemeinsam mit der Troika und der EU durchgesetzt hatte, rückgängig gemacht werden. Die immer wieder benannte Liste der Maßnahmen ist tatsächlich beeindruckend - geschuldet sicher auch einer taktischen Situation, in der Troika und EU sich mit offenen Angriffen etwas zurückhalten.

Meine Frage, ob die PCP, die Gewerkschaften und Organisationen der Interessenvertretung darauf eingestellt sind, daß sich diese Situation ändern könne, wurde mit Verweis auf die Fähigkeiten zur Massenmobilisierung vorsichtig bejaht.

Die PCP zeigte sich bei ihrem Parteitag als eine tief in der Arbeiterklasse und im Volk verankerte, junge, kämpferische und geschlossene Partei. Einheitlich wurden die ideologischen Grundlagen, der Marxismus-Leninismus, das Festhalten am Ziel des Sozialismus/Kommunismus und die im Programm der Partei definierte Strategie einer "fortschrittlichen Demokratie" zur Heranführung an die sozialistische Revolution bekräftigt. ...

Am Kongreß nahmen über 60 internationale Delegationen, aus Deutschland die Partei Die Linke und die DKP, teil. Das zeigt die internationale Wertschätzung, die die PCP genießt. Die Tradition des antikolonialen Kampfes der PCP im früheren kolonialen Portugal führte vor allem auch zu vielen Beziehungen zu Organisationen in Afrika, wie der MPLA (Angola) oder der Frelimo (Mosambik).

Es war ein beeindruckender Kongreß einer beeindruckenden Schwesterpartei.

Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP

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Max Reimann - unvergessen

Sein bewußtes politisches Leben begann mit der Vorkriegszeit von 1914, über die er schreibt: "Ich arbeitete noch immer auf der Werft. Wir hatten den Krieg schon dadurch kommen sehen, daß wir merkten, mit welchem Hochdruck die Rüstung vorangetrieben wurde. Mit Ausbruch des Krieges wurde mittels Greuelpropaganda die Stimmung angeheizt, der Chauvinismus im Volke entfacht."

Der damals 16jährige arbeitete später als Bergmann und wurde führender kommunistischer Politiker. Er war antifaschistischer Widerstandskämpfer und im KZ Sachsenhausen von den Faschisten eingekerkert. Max Reimann wurde Vorsitzender der KPD und Mitglied im Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz mit den Stimmen der Reaktion absegnete. Als Bundestagsabgeordneter kämpfte er gegen Restauration, Remilitarisierung und Revanchismus, für die Interessen des Volkes und für eine realistische, friedliche Außenpolitik. Im Kampf gegen das Verbot der KPD durch die Adenauer-Regierung und ihre Auftraggeber zeigte er hohe Standfestigkeit, die sich aus Charakterstärke und einem klaren marxistisch-leninistischen Weltbild ergab.

Jede Etappe seines kämpferischen Lebens vermittelt uns wertvolle Erfahrungen, die von Nutzen für unser Bestehen in den heutigen Prüfungen sein können. Sie sind nicht nur von historischem Wert. Sie haben durchaus auch einen aktuellen Bezug zum Erkennen des Wesens, der Ziele und der taktischen Wendungen der heutigen Innen- und Außenpolitik der Herrschenden.

Max Reimann hat alle Phasen des Klassenkampfes, die im 20. Jahrhundert bis Mitte der 1970er Jahre national und international stattgefunden haben, bewußt erlebt und mitgestaltet.

Im 1. Weltkrieg hat er durch die erlebten Vorgänge an der Front im Westen und dann an der Seite des Arbeiter- und Soldatenrates in seiner Heimat, in Elbing, unmittelbar erfahren, daß die Revolution nicht zu einer grundlegenden Wende geführt hat. Die Arbeiterklasse erlitt eine Niederlage und konnte die bürgerlich-demokratische Revolution nicht zu Ende führen und sie schon gar nicht in die sozialistische Revolution hinüberleiten. Der Kampf der deutschen Linken konnte, trotz großer Opfer, die Kraft einer selbständigen marxistischen Partei nicht ersetzen.

Er betrachtete die Gründung der KPD daher als einen Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und des deutschen Volkes. Das war für ihn Motivation genug, sein Leben lang seine Kraft für eine revolutionäre Partei einzusetzen, deren Programm auf den Erkenntnissen von Marx, Engels und Lenin, auf den revolutionären Traditionen der Arbeiterbewegung beruhte, die von den rechten sozialdemokratischen Führern preisgegeben wurden. Erfüllt von den Grundgedanken des Aufrufs des Zentralkomitees der KPD vom 11. Juni 1945 übernahm Max Reimann, nach den Jahren der faschistischen Herrschaft in Deutschland, die Aufgabe, die KPD im Ruhrgebiet zu führen.

Seine Mitkämpfer würdigen seinen großen Einsatz als Mitglied des Landtages in Nordrhein-Westfalen. Es ging ihm und der ganzen Partei darum, einen demokratischen Anfang zu machen und dafür Sorge zu tragen, daß die Partei, die Kommunisten auf allen Ebenen im Land, in den Betrieben und Gemeinden mitarbeiten und demokratische Veränderungen durchsetzen, die von den Interessen der Werktätigen geprägt waren.

Das Potsdamer Abkommen, das als Vereinbarung zwischen den vier Siegermächten die Dekartellisierung, Denazifizierung, Entmilitarisierung und Demokratisierung ganz Deutschlands forderte und diese Mächte dazu verpflichtete, war eine wichtige internationale Grundlage. In diesem Sinne hat er sich auch an der Ausarbeitung des eigenen Verfassungsentwurfs der KPD für das Land Nordrhein-Westfalen und des Gesetzes zur Überführung des Bergbaus in Gemeineigentum maßgeblich beteiligt.

Auf der Grundlage seiner marxistisch-leninistischen Weltanschauung erkannte Max Reimann schon damals das reaktionäre und übereinstimmende Wesen grundlegender Interessen des internationalen und des deutschen Kapitals. Um die Restauration ihrer ökonomischen und politischen Macht abzusichern, waren die deutschen Herren der Monopole und ihre Anhänger bereit, die nationalen Interessen Deutschlands zu verraten und die Spaltung des Landes zu vollziehen. Sie handelten nach dem Motto Adenauers: "Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb." Macht- und Profitstreben sowie Antikommunismus lenkten ihre Feder und ihre Taten von Anfang an. Alle, die dagegen waren, waren ihr gemeinsamer Feind.

Dazu paßt die Verurteilung von Max Reimann im Jahre 1948 (!) zu einer Haft von einem Jahr in einem britischen Militärgefängnis. Sie ist ein sichtbarer Ausdruck dafür, daß die USA und Großbritannien nicht die Verletzung des Potsdamer Abkommens, sondern die Demokraten, die sich um seine Erfüllung bemühten, bestraften.

In diesem Geiste wurde der Bonner Staat gegründet. Der Kampf um einen demokratischen Anfang in ganz Deutschland wurde durch die Restauration der Macht der im 2. Weltkrieg besiegten deutschen Reaktion mit aktiver Unterstützung der kapitalistischen Mächte in den westlichen Zonen recht schnell und brutal beendet. Statt der Antihitlerkoalition installierten die Westmächte die Koalition mit den deutschen Konzernherren, mit den ehemaligen faschistischen Generälen und Globkes.

Trotz des massiven Antikommunismus setzte Max Reimann, im Parlamentarischen Rat gemeinsam mit Heinz Renner, den Kampf der Kommunisten um Demokratisierung, Frieden und die Einheit der Nation fort. In der ersten Plenarsitzung des Rates vom 1. September 1948 erklärte er: "Der Parlamentarische Rat ist auf Grund der Londoner Empfehlungen zusammengesetzt worden, um einen westdeutschen Staat zu schaffen und diesem westdeutschen Staat eine Verfassung zu geben. Somit wird Deutschland gespalten. ... Ich stelle den Antrag: Der Parlamentarische Rat stellt seine Beratungen über eine separate westdeutsche Verfassung ein."

Begründet hat er das u.a. mit dem Hinweis, daß dieser Rat kein Mandat vom deutschen Volk hatte. Er schlug vor, daß die Vertreter aller demokratischen Parteien in Verbindung mit dem Deutschen Volksrat den Alliierten einen gemeinsamen deutschen Vorschlag über die Bildung einer einheitlichen deutschen demokratischen Republik vorlegen.

Gemeinsam mit Heinz Renner schlug er vor, daß im Grundgesetz ein Passus enthalten sein sollte, der besagt: "Der Krieg ist geächtet." Der Antrag wurde aber zunächst zurückgestellt und dann abgelehnt. So kam es zu einem Grundgesetz, in dem weder die Ächtung des Krieges noch ein Verbot der Remilitarisierung festgelegt ist.

Das Konzept der KPD vertrat Reimann auch während seiner Zeit als Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Für seine Haltung steht sein Auftreten als Vorsitzender der KPD-Fraktion am 22. September 1949, wo er die wahren Machtverhältnisse in dem unter Bruch des Potsdamer Abkommens gebildeten Staat darlegte. Auf die wiederholten Unterbrechungen des Abgeordneten Franz Josef Strauß antwortete er: "Wir wollen in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern leben und besonders mit den Völkern des Ostens und Südostens. Die Oder-Neiße-Grenze ist die Grenze des Friedens!"

Bittere Erfahrungen mußte Max Reimann im Verbotsprozeß gegen die KPD machen. Nur elf Jahre nach Beendigung der faschistischen Herrschaft wurde die KPD erneut in die Illegalität getrieben. Wenige Tage nach der Einreichung des Antrags der Bundesregierung auf Verbot der KPD charakterisierte Max Reimann auf einer Pressekonferenz am 26. November 1951 diese Maßnahme als "Akt der Adenauer-Regierung gegen die demokratischen Rechte des Volkes". Max Reimann erlebte aber auch die Tätigkeit der DKP, deren Mitglied er im September 1971 wurde. Bis zu seinem Tod 1977 war er deren Ehrenvorsitzender.

So breit und unterschiedlich die Kampffelder waren, so vielfältig und reich sind auch die Erfahrungen, die sein Leben und Wirken uns vermitteln.

Anton Latzo, Langerwisch

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Trump droht Kuba mit neuer Eiszeit

Berechnender Geschäftsmann oder unberechenbarer Politiker? Die Wahl des exzentrischen Milliardärs Donald Trump zum 45. US-Präsidenten stellt den Prozeß der Normalisierung der Beziehungen zwischen der Großmacht und dem sozialistischen Kuba in Frage. Denn der rechte Demagoge Trump tutet laut ins Horn der Castro-Gegner und ist seit längerem als Unterstützer des Wirtschafts-, Finanz- und Handelsembargos, mit welchem Kubas Regierung in die Knie gezwungen werden sollte, bekannt.

Der neue Kurs des Weißen Hauses ermöglichte im Sommer 2015 eine Wiederaufnahme voller diplomatischer Beziehungen. Nach 88 Jahren war im März 2016 mit Barack Obama erstmals wieder ein US-Präsident zum Staatsbesuch in Havanna. Punktuell konnten bei Verhandlungen in einer bilateralen Kommission Fortschritte etwa in der Zusammenarbeit bei Umweltschutz und Meteorologie, bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens und im Katastrophenschutz bei der Ölförderung erreicht werden. Mit der Aufhebung einzelner Embargobestimmungen durch Präsident Barack Obama wurde die 1959 verhängte und mehrfach verschärfte Blockade etwas gelockert.

Pharmazeutische Unternehmen aus Kuba erhalten Zugang zum US-Markt. Schiffe, die zuvor in Kuba angelegt haben, können von der 180-Tage-Frist ausgenommen werden, in welcher sie bislang danach keinen Hafen in den USA anlaufen durften. US-Firmen können in bestimmte Infrastrukturprojekte auf der Insel, vor allem bei Energie und Kommunikation, investieren. Und Kuba-Besucher aus den Staaten dürfen nun soviel Rum und Zigarren mit nach Hause nehmen, wie sie tragen können.

Washingtons neue Filzlatschentaktik zur Förderung eines politischen Wandels in Havanna kommt Kuba wirtschaftlich zugute - und dies in einer Zeit, in der sein engster Verbündeter und Hauptöllieferant Venezuela mit eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten hart zu kämpfen hat und sich einer aus dem Ausland geförderten politischen Destabilisierungskampagne ausgesetzt sieht. Brasilien, wohin Tausende kubanische Ärzte entsendet wurden, ist nach dem parlamentarischen Putsch gegen die linke Präsidentin Dilma Rousseff im Lager der Feinde gelandet. Dessen neue Regierung unter Präsident Michel Temer wird von Havanna nicht einmal anerkannt. Brasilianische Firmen spielen eine wichtige Rolle beim Ausbau von Kubas Sonderwirtschaftszone Mariel mit dem dortigen Containerhafen als Kernstück.

Infolge von Obamas Dekreten haben Geldüberweisungen aus dem Ausland nach Kuba zugenommen. Hunderttausende kubanische Emigranten und auch US-Bürger nutzten bereits die erleichterten Reisemöglichkeiten, obwohl rein touristische Besuche nach wie vor offiziell nicht erlaubt sind. US-Fluggesellschaften bieten erstmals wieder Direktverbindungen an.

Der Tourismus ist für Kuba seit der schweren Krise Anfang der 90er Jahre einer der wichtigsten Devisenbringer. Als Reiseland ist Kuba in aller Welt gerade angesagt wie nie zuvor. 2016 wurden erstmals mehr als vier Millionen Besucher gezählt, was die Branche bei begrenzten Kapazitäten vor große Herausforderungen stellt. Etliche Hotels sind renovierungsbedürftig oder erst im Bau, Investoren zur Erweiterung der touristischen Infrastruktur werden dringend gesucht. Bei einem knappen Warenangebot und einer landwirtschaftlichen Produktion, die den Bedarf der eigenen Bevölkerung an Lebensmitteln längst nicht decken kann, ist man auch hier auf Importe angewiesen.

Mit den eigenen Wirtschaftsreformen geht es stückweise voran, eine Schocktherapie hat Kubas Regierung stets ausgeschlossen. Neue Selbständige und private Kooperativen sorgen bereits für mehr Dynamik. Ohne Geld von außen sind viele der Startups allerdings nicht denkbar. An der heiklen Abschaffung der sozial spaltenden Doppelwährung aus kubanischem und konvertiblem Peso, von Präsident Raúl Castro Ende 2013 zum strategischen Ziel erklärt, wird von Experten seit Jahren gearbeitet. Vor allem die Erfahrungen Vietnams werden dabei herangezogen. Auch für diesen Schritt ist wirtschaftliches Wachstum und ein politisch stabiles Umfeld von großer Bedeutung.

Noch bevor der neue Mann ins Weiße Haus einzog, zerschlug er bereits viel Porzellan und ging auf Konfrontation. Trumps Jubel auf Twitter über den Tod von Kubas Revolutionsführer Fidel Castro Ruz war für viele Kubaner ein unerhörter Affront. Der neue US-Präsident kündigte eine härtere Linie gegenüber Havanna an. Trump verweist gern darauf, daß er Obamas Dekrete wieder einkassieren könne, "sofern das Castro-Regime unsere Forderungen nicht erfüllt". Sein Vorgänger hätte einen "schlechten Deal" gemacht, das Embargo ohne politische Zugeständnisse gelockert. Seine Regierung würde alles nur Mögliche tun, damit "das kubanische Volk endlich seinen Weg zu Wohlstand und Freiheit" gehen könne. Trump hält es sich offen, ob er überhaupt einen US-Botschafter für Havanna ernennen wird. In sein Übergangsteam berief er mit Mauricio Claver-Carone einen der schärfsten Falken aus der Pro-Embargo-Fraktion der US-Kubaner.

Wie weit die Drohungen nur eine Trump-Show für einen Flügel seiner Republikanischen Partei und für exilkubanische Kreise sind, muß sich noch zeigen. In Unternehmerkreisen träfe eine Rücknahme der Obama-Dekrete auf viel Widerstand. Trumps eigene Hotelkette ließ vor einigen Jahren die Möglichkeiten auf dem kubanischen Markt sondieren. Schadenersatzforderungen wären von den dort bereits mit Millioneninvestitionen eingestiegenen Konzernen zu erwarten. Und vor allem viele jüngere Kubanischstämmige in den USA machen sich längst mehr aus ihren Angehörigen auf der Insel als aus einem dortigen "regime change". Eine erneute Einschränkung der Reisemöglichkeiten wie einst unter George W. Bush käme auch in ihrer Hochburg Florida nicht gut an. Ein konfrontativer Kurs gegenüber Havanna würde zudem das Verhältnis der Trump-Regierung zu Moskau eintrüben. Rußland hat die ökonomischen und sonstigen Beziehungen zu Kuba in den vergangenen Jahren wieder deutlich intensiviert.

Aus Trumps Haltung in der Kuba-Frage spricht nicht zuletzt ein Mangel an politischer Erfahrung und historischer Kenntnis. In Havanna verursacht sie keinerlei Panik. Mit US-Regierungen hat man schon einiges durch. Und vielleicht hört ja beim Geld die Feindschaft auf. Jeder Versuch, Kubas Souveränität in Frage zu stellen und dessen Führung zu bevormunden, wäre zum Scheitern verurteilt. Diese Erfahrung durfte auch die Europäische Union machen, die mit ihrem "Gemeinsamen Standpunkt" in Havanna auf Granit biß. In dem Papier aus dem Jahr 1996 war die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Ziel eines Systemwechsels, der Rückkehr Kubas zum Kapitalismus, verknüpft worden. Anfang Dezember 2016 wurde es zu Grabe getragen. An seine Stelle tritt nach mehrjährigen Verhandlungen nun ein Kooperationsabkommen, das den handelspolitischen Interessen beider Seiten dient und einseitige Forderungen durch den politischen Dialog auf gleicher Höhe ersetzt. Beim Thema Menschenrechte sollen, darauf legt Kuba wert, auch die sozialen und kulturellen nicht außen vor bleiben.

Peter Steiniger

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Mord an der Grenze

Am 21. Februar 1951 töteten US-amerikanische Soldaten den VP-Wachtmeister Herbert Liebs am "Pferdsdorfer Köpfchen" durch einen Schuß aus dem Hinterhalt, sorgfältig geplant. Ein Mord, der nie gesühnt wurde. Was geschah damals?

Anfang 1951 mehrten sich Übergriffe und Provokationen gegen Thüringer Grenzpolizisten durch amerikanische Constabulary (Angehörige einer von 1946 bis 1952 bestehenden Polizeitruppe der US Army) vom Standort Bad Hersfeld.(1)

Am 21. Februar, einem naßkalten und ungemütlichen Wintertag, befinden sich die VP-Wachtmeister Liebs und Schulze vom Grenzpolizeikommando Pferdsdorf auf ihrem routinemäßigen Kontrollgang entlang der Demarkationslinie (DL) zu Westdeutschland.

Der 21jährige Liebs ist als Postenführer eingeteilt. Beide sind auf dem Rückweg nach Pferdsdorf, als sie plötzlich Motorengeräusche vernehmen. Durch ihre Ferngläser erkennen sie auf der Straße ein amerikanisches Fahrzeug, welches sich kurz darauf Richtung Willershausen entfernt. Streifenführer Liebs will sich Klarheit verschaffen, was das zu bedeuten hatte.

Die Grenzpolizisten machen sich unverzüglich auf den Weg Richtung "Pferdsdorfer Köpfchen". Gegen 17.40 Uhr erreichen beide einen parallel zur Willershäuser Straße verlaufenden Feldweg. Da die Straße von hier aus nicht einzusehen ist, beschließt der Streifenführer, einen günstigeren Beobachtungspunkt einzunehmen. Sie gehen unterhalb der Straßenböschung einige Meter in Richtung Pferdsdorf, um einen besseren Überblick zu erhalten. Die DL verläuft hier ungefähr in der Straßenmitte, so daß vom Rand der Chaussee eine bessere Sicht möglich ist. Als der Böschungsrand erreicht ist, sehen sie allerdings weder Fahrzeuge noch Personen. Plötzlich fallen kurz hintereinander aus dem hessischen Gebiet heraus zwei Schüsse. Liebs geht mit den Worten "Mich hat's erwischt" zu Boden, der geschockte Schulze sucht Deckung hinter einem Baum. Von der mit Sträuchern und Bäumen bewachsenen hessischen Seite kommen mehrere mit Regenumhängen bekleidete Personen auf die Demarkationslinie zu. Schulze läuft ins Dorf, um Hilfe zu holen.

Auch in Pferdsdorf wurden die Schüsse wahrgenommen. Das wenige hundert Meter von der DL wohnende Lehrerehepaar Jahn horcht erschrocken auf, will nachschauen, was passiert ist und läuft Richtung Schlagbaum "Pferdsdorfer Köpfchen" auf der Willershäuser Straße. VP-Wachtmeister Finholdt, der sich bei einem Freund unweit des "Köpfchens" befindet, eilt nach den Schüssen unverzüglich Richtung Willershäuser Straße. Hier trifft er auf VP-Wachtmeister Schulze, der ihm kurz von dem Vorfall berichtet.

Sofort entschließen sich beide, den angeschossenen Liebs zu holen und in Sicherheit zu bringen. Finholdt sieht in einer Entfernung von ca. 150 bis 200 Metern sechs oder sieben amerikanische Soldaten, die sich ca. drei bis vier Meter auf der östlichen Seite der Demarkationslinie befinden. In unmittelbarer Nähe steht westlich der Linie ein Jeep mit laufendem Motor. Sie machen sich am verletzten Liebs zu schaffen, wollen ihn vermutlich in den Jeep laden, was Finholdt mit zwei gezielten Schüssen in Richtung der Soldaten und in Richtung Jeep zu verhindern weiß. Sofort lassen die Amerikaner von Herbert Liebs ab und flüchten in den Wald. Auch der Fahrer des Jeeps legt den Rückwärtsgang ein und fährt mit hoher Geschwindigkeit in die Deckung des Waldes. Kurz darauf kommen zwei vollbesetzte Jeeps wieder heraus und fahren Richtung Willershausen.

Finholdt trägt den schwer verletzten Kameraden die Böschung hinunter auf den Feldweg, der von westlicher Seite nicht einzusehen ist und eine gute Deckung bietet. Ein Abtransport ohne Hilfsmittel ist bei den Verletzungen und Bodenverhältnissen allerdings aussichtslos. Finholdt macht sich auf den Weg ins Dorf, um dort eine Trage zu beschaffen, während Schulze mit seinem Karabiner beim Verletzten bleibt.

Nach kurzer Zeit kehrt Finholdt mit einer eilig zusammengebauten Trage und drei weiteren Männern zur Unterstützung zurück. Gemeinsam transportieren sie Liebs auf dem Feldweg in Richtung Pferdsdorf. Gegen 18 Uhr erreichen sie das Haus des Lehrerehepaars am Ortseingang und bringen den Schwerverletzten in die Küche. Kurz darauf stirbt Herbert Liebs.

Der spätere Obduktionsbericht Dr. Voigts vom Institut für gerichtliche Medizin Jena benennt umfangreiche äußere und innere Schußverletzungen, die zum Tod führten.(2)

Ein Polizeiwachtmeister der Grenzaufsichtsstelle (GASt) Willershausen, der sich auf einem Streifengang westlich von Pferdsdorf befindet, hört um 17.44 Uhr einen Schuß aus Richtung des Ortes. Er sieht, wie von dort kurz darauf zwei Jeeps der Constabulary in schneller Fahrt kommen. Seine Beobachtungen meldet er telefonisch an das Zollgrenzkommissariat in Netra. In die von ihm gefertigte Tatortskizze zeichnet er auch die vermutete Stelle des Schützen ein. An dieser Stelle werden die Ermittler der Kripo Eisenach am nächsten Tag entscheidende Beweismittel finden. Am Abend erscheinen zwei Angehörige des Militärischen Nachrichtendienstes der US-Armee in der GASt und befragen die Anwesenden zum Vorfall. Den englisch geführten Gesprächen der Amerikaner entnimmt der Polizeiwachtmeister, daß eine Constabulary-Streife auf einen Volkspolizisten geschossen habe, der die DL überschritten habe.(3) Diese Darstellung verbreiten die Amerikaner auch in der Öffentlichkeit. Es ist eine Lüge, welche die Tat vertuschen soll. 1963 wird sie durch eine andere ersetzt. Nun ist Herbert Liebs nicht mehr wegen Überschreitens der DL erschossen worden, sondern weil ein Constabulary Zielübungen auf ihn gemacht hat und sich dabei ein Schuß löste.(4)

Am Tag nach der Tat suchen die Ermittler der Kripo Eisenach am Tatort nach Spuren und Beweismittel, auch jenseits der DL.(5) Zwei Patronenhülsen hinter einem Wacholderbusch verraten den Standort des Schützen. Schußbahn und Standort von Liebs können nun rekonstruiert werden.(6) Es steht zweifelsfrei fest: Liebs befand sich auf dem Gebiet der DDR, der Schütze auf dem der BRD.

Am 26. Februar 1951 wird Herbert Liebs unter großer Anteilnahme der Bevölkerung in Zeulsdorf bei Gera beigesetzt.

Bernd Dehn, Leipzig


Anmerkungen

(1) Sektionsbericht vom 22.2.1951 (BStU MfS AP 9392/56, S. 76 ff.)
(2) Schreiben BMF an OFD vom 23.10.1951 (HHSTAW 531.126)
(3) Meldung GASt Willershausen vom 22.2.1951 (BArch B 126/4, Bd. 2, S. 506)
(4) Schreiben BMdI an Auswärtiges Amt vom 7.10.1963 (HHSTAW 531/083, S. 23)
(5) Meldung GASt Willershausen vom 22.2.1951 (BArch B 126/4, Bd. 2, S. 508)
(6) Tatortskizze (BStU MfS AP 9392/56, S. 54 f.), Tatortfotos (BStU MfS AP 9392/56, S. 58 ff.

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Kunst auf Posten
von Eberhard Panitz

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Ist der Rechtsstaat für alle da?
von Nina Hager

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Aus einer Rede vor dem OKV im Oktober 2009

Von den Grundrechten, die die DDR-Bürger durch den Anschluß verloren, ist neben dem Recht auf Arbeit und dem Recht auf Schutz der Gesundheit vor allem das Recht auf Bildung (Art. 25 und 26 der DDR-Verfassung) hervorzuheben. Nach diesen Bestimmungen hatten die Bürger das Recht auf Besuch allgemeinbildender Schulen, und zwar regelmäßig 10 Klassen, nach Maßgabe der eigenen Leistungen und Fähigkeiten auch auf einen Schulbesuch, der zum Abitur führte, und anschließend auf einen Besuch von Hoch- und Fachschulen.

In der Verfassung waren Schulgeldfreiheit und Freiheit von Studiengebühren verankert; in aller Regel wurden auch Stipendien oder Studienbeihilfen gewährt. Welche enorme Bedeutung die Bildung, die allgemeine schulische und die Berufsausbildung für das Leben des einzelnen haben, wird heutzutage schon den Kindern bewußt: Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat nur der, der über eine genügende Allgemeinbildung und dann auch eine Berufsausbildung verfügt.

Bildungslosigkeit und geringe Bildung werden vererbt. So setzen sich in der BRD Armut und Bildungslosigkeit fort. Die Gegensätze zwischen den sozialen Schichten, zwischen Arm und Reich, die wir in der DDR weitgehend überwunden hatten, werden immer größer und dauerhafter. Bildung macht reich, zunächst im geistigen Sinne. Ohne Bildung kann man die Welt nicht verstehen, ohne Bildung kann man auf die Welt, auch auf die Politik, keinen Einfluß ausüben.

Heutzutage dienen die Massenmedien des Alltags vornehmlich der Volksverdummung - oft in der Form einer Scheinbildung. Wenn dem Volk eine geschlossene systematische Bildung vorenthalten wird, ist es für die Herrschenden leichter, es zu beherrschen.

Die Annexion der DDR hat nicht nur Milliarden Werte an Volkseigentum geraubt, sondern auch den DDR-Bürgern ihre ihnen bislang zustehenden sozialen, ökonomischen und kulturellen Grund- und Menschenrechte genommen.

Als Ausweg bleibt, für eine wirklich demokratische, sozial gerechte Gesellschaft zu kämpfen. Gerade deshalb sind die Errungenschaften der DDR in Erinnerung zu halten.

Prof. Dr. Erich Buchholz, Berlin

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Erich Buchholz zum 90. Geburtstag

Jurist aus Überzeugung

Man mag es kaum glauben: Es sind doch schon wieder zehn Jahre vergangen, seit wir, die wir ihm nahestehen, uns im ehemaligen Jüdischen Waisenhaus in Berlin Pankow versammelt hatten, um in einem von seinem Freundeskreis organisierten akademischen Festakt seinen 80. Geburtstag würdevoll zu begehen. Etwa 200 Personen waren seinerzeit erschienen, unter ihnen viele Freunde, Schüler, Doktoranden und wissenschaftliche Wegbegleiter des Jubilars.

Jetzt wird er am 8. Februar 90 Jahre alt, und noch immer ist sein wissenschaftlicher Tatendrang ungebrochen. In den zurückliegenden Jahren erschienen von ihm zahlreiche Bücher, die sich vor allem mit den Rechtssystemen in der DDR und der Bundesrepublik kritisch auseinandersetzten. Darunter auch so bedeutungsvolle Werke wie "Strafrecht im Osten" oder "DDR-Strafrecht unterm Bundesadler". Allein diese beiden umfangreichen Schriften sind Standardwerke, wie sie ihresgleichen suchen.

Schade ist nur, daß die derzeit tätigen Politiker und Juristen sie so wenig wahrnehmen und verinnerlichen. Wer die Deutsche Demokratische Republik längere Zeit miterlebt oder auch mitgestaltet hat, der weiß, wie recht Erich Buchholz mit seinen Feststellungen hat und wie verlogen die nach 1990 betriebene Verunglimpfung des DDR-Rechts war und ist. Gerade dagegen hat sich Buchholz mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nachhaltig zur Wehr gesetzt und das Justizsystem der DDR immer wieder verteidigt. Anfang der 90er Jahre tat er das als zugelassener Rechtsanwalt und Verteidiger in mehreren Prozessen gegen ehemalige Angehörige der Grenztruppen der DDR, die wegen ihrer hoheitlichen Tätigkeit durch die bundesdeutsche Justiz strafrechtlich verfolgt wurden. In den zurückliegenden etwa 15 Jahren hat er vor allem durch eine Vielzahl von Veröffentlichungen neue Prioritäten bei der Verteidigung der Rechtsordnung der DDR gesetzt.

Erich Buchholz wurde am 8. Februar 1927 in Berlin geboren und studierte nach dem Ablegen des Abiturs von 1948 bis 1952 Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin, der er dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter treu blieb. Es folgten 1956 seine Promotion und 1963 die Habilitation. Nach einer mehrjährigen Tätigkeit als Dozent wurde Buchholz 1965 zum Professor für Strafrecht berufen. Bereits ein Jahr später war er Dekan der Juristischen Fakultät, 1976 Direktor der Sektion Rechtswissenschaft. 1991 ereilte ihn dasselbe Schicksal, welches viele verdienstvolle Wissenschaftler der Humboldt-Universität mit ihm teilten: Er wurde entlassen und war dadurch gezwungen, sich beruflich auch neu zu orientieren. Dabei stand er uns jüngeren Anwälten, die wir ebenfalls ehemalige Angehörige der Grenztruppen oder ehemalige Richter und Staatsanwälte der DDR verteidigten, frühzeitig als Berater zur Verfügung. Leider haben ihn bundesdeutsche Gerichte nie als Sachverständigen für das DDR-Strafrecht zugelassen und in dieser Eigenschaft angehört, auch wenn wir uns immer wieder gerade hierum bemühten. Man wollte nicht hören, was nicht ins Bild paßte. Vor allem wollte man sich nicht als bundesdeutscher Richter das DDR-Recht erklären lassen, obgleich dies bitter nötig gewesen wäre. Niemand anderes wäre auch besser prädestiniert gewesen, diese Aufgabe zu erfüllen als Erich Buchholz. Trotzdem hat er sein Wissen und seine Kritik zu Papier gebracht, auch um es der Nachwelt zu erhalten und deutlich zu machen, daß das in den zurückliegenden 25 Jahren geprägte Bild vom DDR-Recht von massiver Fehlerhaftigkeit und immensen Vorurteilen geprägt ist. Das ist sein Kampf gegen die Geschichtsklitterung der Gegenwart, und dafür gebührt ihm Dank und Anerkennung.

Lieber Erich, es liegen inzwischen mehrere Jahrzehnte zurück, seit ich bei Dir mein Staatsexamen im Straf- und Strafprozeßrecht ablegen konnte. Bereits damals warst Du eine beeindruckende Persönlichkeit, die vor allem davon geprägt war, den jungen Studenten und künftigen Richtern und Rechtsanwälten das Handwerkszeug zu vermitteln, das sie in ihrem Berufsleben brauchten. Das beschränkte sich nicht nur auf die Anwendung der Rechtsnormen, sondern bezog sich auch auf die innere Überzeugung von den moralischen Maximen, die unserer Rechtsordnung zugrunde lagen. So haben wir uns in all den Jahren nie aus den Augen verloren und den regelmäßigen Kontakt aufrecht erhalten. Aus dem Hochschullehrer und Berater wurde so nach und nach ein liebgewonnener Freund, dessen Meinung für mich auch heute immer noch sehr wichtig ist. Auch die Entstehung eines gemeinsamen Werkes, das auf seine Veröffentlichung wartet, hat mir mit Dir sehr viel Freude bereitet. Ich wünsche mir sehr, daß ihm noch weitere folgen. Dir ganz persönlich wünsche ich alles Gute, vor allem Gesundheit, weitere viele kluge Ideen für Bücher und Aufsätze und Deine Einmischung, wo immer Recht dazu mißbraucht wird, politische Diffamierung zu betreiben.

RA Ralph Dobrawa

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H. H. Holz: Das Erbe der Oktoberrevolution bewahren!

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Partisanen in Spanien

Mit dem Sieg der Franco-Faschisten im März 1939 befand sich eine Million Spanier zur Hälfte in den Konzentrationslagern oder in der Emigration. Zentrum der Emigration wurde Frankreich. Die kleinbürgerlichen und sozialdemokratischen Republikaner resignierten. Im März 1939 löste sich die Exil-Volksfrontregierung in Paris auf. Das Schicksal der Emigranten verlief unterschiedlich. Viele gingen nach Mexiko, Kuba, Lateinamerika und in die UdSSR. Die französische Regierung behandelte sie unwürdig. Als die Nazis nach Frankreich kamen, fielen viele von ihnen in ihre Hände. In deutschen KZs starben Tausende, allein in Mauthausen über 5000. Massen von Spaniern strömten über die französische Fremdenlegion zu de Gaulles "Freien Franzosen". Sie zeichneten sich besonders in der 2. Panzerdivision von General Leclerc aus, wo ihre Panzer nach Kampfstätten des Spanienkrieges benannt worden waren. Sie waren die ersten regulären Soldaten der französischen Armee, die den Pariser Aufständischen 1944 zu Hilfe kamen. In der UdSSR kämpften 14.000 in den Reihen der Roten Armee. Der Sohn von Dolores Ibárruri ("La pasionaria") fiel als Held der Sowjetunion bei Stalingrad.

Die KPS hatte 1939 etwa 300.000 Mitglieder und war Mitglied der Volksfrontregierung. Ihr und den von ihr geleiteten Organen war es zu verdanken, daß der Abwehrkampf so lange durchgehalten wurde. Vor allem sie begann den Widerstand zu organisieren. Schon 1942 versuchte sie, in Frankreich eine Nationale Union als breite Plattform ins Leben zu rufen, doch dazu waren die anderen Republikaner nicht bereit. Erst im September 1944 wurde in Mexiko wieder eine Exilregierung ins Leben gerufen, die bis 1977 existierte. Zu gleicher Zeit schufen Sozialdemokraten und liberale Republikaner den Bund Demokratischer Kräfte. Dem und der Exilregierung traten die Kommunisten 1946 bei.

Im Zuge der Befreiung Frankreichs ergriffen die Kommunisten wieder die Initiative. In Südfrankreich hatten Tausende Spanier in den französischen Partisanenabteilungen gekämpft. Sie vereinigten sich im Mai 1944 in der Spanischen Partisanengruppierung mit ihrem Hauptquartier in Toulouse. In diesen Gebieten wurden die franco-spanischen Vertretungen und Banken gewaltsam in Besitz genommen. Die Fahne der Republik wurde gehißt. Nun bereitete man sich auf den Kampf in Spanien vor.

Schon seit 1937 gab es in den faschistischen Gebieten etwa 3000 republikanische Flüchtlinge, die sich in den Bergen verschanzt hatten, aber kaum militärisch agierten. Bis 1941 wurden diese Gruppen zerschlagen.

Daran wollten nun kampferfahrene kommunistische Partisanen anknüpfen, die mit einer Zerschlagung Franco-Spaniens durch die Alliierten rechneten. Mit zwei Angriffen im Herbst 1944 gelang es ihnen, über die Grenze in Asturien, Katalonien, Galizien und Estremadura gewaltsam durchzubrechen oder einzusickern. Im September griffen 4000 kommunistische Partisanen die Stadt Lerida an und wollten einen Brückenkopf für eine neue Volksfrontregierung schaffen sowie einen Aufstand im Lande hervorrufen. Im Oktober belagerte ein starker Partisanenverband die Stadt Viella. Es gelang der spanischen Partisanengruppierung, einige Quadratkilometer Land zu befreien, mit den Faschisten und ihren Helfern abzurechnen sowie einige hundert Gefangene zu machen. Doch das Hauptziel, einen Aufstand hervorzurufen, wurde nicht erreicht.

Franco schickte wieder seine marokkanischen Elitetruppen. Die Partisanen erlitten eine Niederlage: 200 fielen, und 800 kamen in Gefangenschaft. Der größte Teil der Partisanen dieses Verbandes führte einen geordneten Rückzug nach Frankreich durch. Ein Teil, etwa 200, schlug sich weiter nach Süden durch. Unter Führung des Kommunisten Jesus Monzon wurde kurzzeitig in Madrid eine Stadtguerilla geschaffen, die ein faschistisches Hauptquartier angriff.

Die Bedingungen für den Partisanenkampf waren ungünstig. Franco hatte seit 1939 eine Friedhofsruhe geschaffen und ein System von Denunzianten ("Sechste Kolonne") hielt die Sympathisanten der Linken in Angst und Schrecken. Zudem waren nahezu alle bekannten Anhänger der Republikaner getötet worden oder in Lagern und Gefängnissen. Da sich die Armut seit dem faschistischen Machtantritt verschärft hatte, gab es kaum Lebensmittel. Teilweise mußten diese gewaltsam requiriert werden.

Zudem gab es noch Uneinigkeit zwischen Kommunisten, Sozialdemokraten und Anarchisten. Das ließ die republikanische Partisanenfront zerfallen. 1947 wurden die Kommunisten zudem noch aus der Exilregierung ausgeschlossen.

1947 kam es noch einmal zu einem Höhepunkt der Partisanenkämpfe, dann nahmen sie rasant ab. Die letzten Abteilungen hielten sich bis 1952. Weiterhin gab es bewaffnete Kämpfe bis in die 60er Jahre, die vor allem durch die Anarchisten geführt wurden. Das Wichtigste hingegen war die fehlende politische Unterstützung durch die Alliierten. Trotz öffentlicher Verurteilung und auch außenpolitischer Isolierung Franco-Spaniens verhinderten vor allem die USA einen Einmarsch in Spanien. Der aufkommende kalte Krieg rettete so den spanischen Faschismus.

Die allgemein verbreitete Hoffnung auf einen baldigen Sturz des Faschismus erfüllte sich nicht. Die KPS mußte ihre Strategie ändern und sich auf einen langen Kampf einstellen. Der Partisanenkampf wurde abgebrochen, die illegalen Gewerkschaften wurden aufgelöst, und man versuchte, in die legalen gleichgeschalteten Strukturen einzudringen. Die KPS wurde die einzige Partei, die in den nächsten Jahrzehnten aktiven Widerstand leistete.

Zahlen liegen nicht vor, doch man kann davon ausgehen, daß die spanischen Kommunisten von allen westeuropäischen Staaten die meisten Opfer im Kampf gegen den Faschismus brachten. Diese Verluste führten auch dazu, daß die KPS im Gegensatz zu Portugal nach ihrer Legalisierung 1977 keine führende Rolle im Prozeß der bürgerlich-demokratischen Umgestaltung spielen konnte. Dennoch trat sie als drittstärkste politische Gruppierung in eine neue Kampfetappe ein.

Dr. Bernhard Majorow

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Egon Krenz: Zu den Gründen unserer Niederlage (Teil 2)

Für den Untergang der DDR gibt es ein ganzes Knäuel von Ursachen: objektive und subjektive, nationale und internationale, ökonomische und politische, vermeidbare und unvermeidbare. Viele von ihnen gehen weit vor das Jahr 1989 zurück und über die Grenzen der DDR hinaus.

Müßte ich diesen ganzen Komplex in einem Satz zusammenfassen, würde ich an das Leninwort erinnern: "Die Arbeitsproduktivität ist in letzter Instanz das Allerwichtigste, das Ausschlaggebende für den Sieg der neuen Gesellschaftsordnung." Wahrscheinlich haben wir damals in allen Staaten der europäischen sozialistischen Gemeinschaft nicht begriffen, daß dieser Satz im Umkehrschluß auch eine Warnung enthält, nämlich die: Die neue Gesellschaftsordnung wird unterliegen, wenn sie keine höhere Arbeitsproduktivität erreicht als der Kapitalismus.

Der historischen Gerechtigkeit wegen ist anzumerken, daß dies genau der Ausgangspunkt für die strategischen Überlegungen Walter Ulbrichts Anfang der sechziger Jahre war. Mit dem Neuen Ökonomischen System sollte zu einer Leitung der sozialistischen Wirtschaft mit vorwiegend ökonomischen Mitteln übergegangen werden. Dieser hoffnungsvolle Versuch wurde leider 1970 abgebrochen, weil er nicht kompatibel war mit der Politik der KPdSU.

Es gibt viele Versuche, das Ende der DDR zu erklären. Es greift aber zu kurz, es lediglich auf nationale Gegebenheiten zu reduzieren. Selbst unter den Linken in Deutschland ist die einseitige Ansicht verbreitet, die DDR sei "an sich selbst gescheitert".

Mindestens zwei weitere Komponenten haben wesentliches mit dem Untergang der DDR zu tun:

Erstens: Die Herrschenden in den USA und ihre Verbündeten wollten den Sozialismus vom ersten Tage seiner Existenz an liquidieren. Natürlich griffen sie Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts die Gelegenheit beim Schopfe und halfen kräftig nach.

Gorbatschow sprach damals vom "neuen Denken". Die Sache hatte nur einen Haken: Der Westen dachte überhaupt nicht daran, neu zu denken. Die NATO rüstete auf, während die UdSSR das militär-strategische Gleichgewicht aufgab, das viele Jahre der Garant dafür war, daß aus dem kalten kein heißer Krieg wurde.

Rückblickend auf 1989 erklärte Brent Scowcroft, Sicherheitsberater mehrerer amerikanischer Präsidenten: "Wir hatten einen Plan, Gorbatschow nicht." Das scheint mir der Kern der Sache zu sein, den ich mit eigenem Wissen aus meiner politischen Tätigkeit ergänzen kann: Zur Jahreswende 1988/89 gab mir Erich Honecker eine streng geheime Information zum Lesen. Er hatte sie von einer zuverlässigen Quelle aus dem Weißen Haus erhalten. Darin stand: "Der neue US-Präsident denkt nicht daran, eine strategische Partnerschaft zwischen den USA und der UdSSR, wie sie Gorbatschow anstrebt, einzugehen. Nicht die USA müßten Gorbatschow entgegenkommen, sondern Gorbatschow müsse den USA entgegenkommen."

Der Plan der USA wurde auf dem NATO-Gipfel in Brüssel Ende Mai 1989 erörtert. Die USA sahen in Folge der Entwicklung in der Sowjetunion die Chance, zu erreichen, was ihnen durch keinen heißen Krieg möglich geworden wäre: die UdSSR zur Kapitulation zu zwingen. In diesem Plan der Destabilisierung der sozialistischen Gemeinschaft besaß die DDR die Rolle eines Eckpfeilers. Mit der Beseitigung der DDR - so die Überlegung - würde die Sowjetunion einen strategischen Partner und ihr vorderstes Schild gegen die NATO verlieren.

Inzwischen ist klar, daß es den USA keineswegs nur um die deutsche Einheit ging. Sie war nicht ihr Hauptziel. Sie war ein Mittel, um die Streitkräfte der UdSSR aus dem Zentrum Europas zu drängen. Der Warschauer Vertrag wurde einseitig aufgehoben. Die NATO blieb. Die russischen Streitkräfte zogen aus Mitteleuropa ab. Die USA setzten sich hier fest. Sie haben in Deutschland nach wie vor Atomwaffen stationiert. Condoleezza Rice, die spätere Außenministerin der USA, bekannte freimütig: Mit dem vereinten Deutschland, eingebettet in die NATO, war "Amerikas Einfluß in Europa gesichert".

Zweitens: Die DDR war Teil eines Ganzen. Untergegangen ist ein vorwiegend sowjetisch geprägtes Sozialismusmodell, das vom Stillen Ozean bis an die Elbe und die Werra reichte. Die DDR war ohne Bündnis mit der Sowjetunion nicht lebensfähig. Dieses Bündnis wurde Ende der achtziger Jahre durch die sowjetische Führung aufgekündigt. Nicht verbal, aber durch Tatsachen hinter dem Rücken der DDR-Führung.

Kürzlich haben Gorbatschow-Vertraute 1400 Seiten Protokolle über das politische Konzept ihres Chefs in den letzten Jahren der Sowjetunion veröffentlicht. Darin sind bemerkenswerte Aussagen auch zur "deutschen Frage" enthalten. Wenn wahr sein sollte, was da drinsteht, trifft zu, daß Gorbatschow spätestens seit 1987 die DDR als Pfand nutzte, mit dem er wucherte, um das Vertrauen der USA und der alten Bundesrepublik zu bekommen. So erscheint auch mein Gespräch, das ich am 1. November 1989 in Moskau mit ihm hatte, in einem neuen Licht. Ich fragte ihn: "Michail Sergejewitsch, welchen Platz räumt die Sowjetunion beiden deutschen Staaten im gesamteuropäischen Haus ein? Im Westen gibt es Spekulationen, daß im Europäischen Haus für die DDR kein Platz mehr ist."

Gorbatschow machte auf mich den Eindruck, als habe er meine Frage nicht verstanden. Ich ergänzte daher: "Die DDR entstand nach dem Zweiten Weltkrieg und im Ergebnis des kalten Krieges. Sie ist also auch ein Kind der Sowjetunion. Es ist für mich wichtig zu wissen, ob die Sowjetunion zu ihrer Vaterschaft steht."

"Wo denkst du hin?" fragte er und informierte mich, daß seine Mitarbeiter kürzlich mit Brzezinski gesprochen hätten. Sie hätten ihn gefragt, "ob sich die USA eine Wiedervereinigung Deutschlands vorstellen könnten". Brzezinski habe geantwortet, "für ihn wäre das der Zusammenbruch". Als ahnte Gorbatschow mein Mißtrauen, sagte er: "In meinen jüngsten Gesprächen mit Thatcher, Mitterrand, aber auch mit Jaruzelski und Andreotti ist klargeworden, daß sie von den Realitäten der Nachkriegszeit, einschließlich der Existenz zweier deutscher Staaten, ausgehen. Die Fragestellung nach der Einheit Deutschlands wird von allen als äußerst explosiv betrachtet. Sie wollen auch nicht, daß der Warschauer Vertrag und die NATO aufgelöst werden. Sie sind für ein Verbleiben Polens und Ungarns im Warschauer Vertrag. Das Gleichgewicht in Europa darf nicht gestört werden, weil niemand weiß, welche Folgen das hat."

Das waren klare Worte, die er noch einmal bekräftigte, als er zusammenfaßte: "Die Einheit Deutschlands steht nicht auf der Tagesordnung. Darüber hat sich die Sowjetunion mit ihren früheren Partnern aus der Zeit der Anti-Hitler-Koalition geeinigt. Genosse Krenz, übermittle dies bitte den Genossen des SED-Politbüros."

Das, liebe Anwesende, erklärte mir der ranghöchste sowjetische Politiker noch am 1. November 1989!

Ich konnte mir damals nicht vorstellen, daß die Führung der Sowjetunion hinter unserem Rücken die DDR zur Disposition stellt. Liest man heute allerdings, was sein Mitarbeiter Anatoli Tschernjajew nur wenige Tage später seinem Tagebuch anvertraut haben will, dann wird die Heuchelei deutlich, mit der die DDR behandelt wurde: "Eine ganze Epoche des sozialistischen Systems" so heißt es dort, "ist zu Ende gegangen ... Das ist das Ende von Jalta ... Seht, was Gorbatschow gemacht hat. In der Tat, er hat sich als groß erwiesen ..."

Noch am 24. November 1989 schickte mir der sowjetische Präsident aber eine Information über die Vorbereitung seines Treffens mit Präsident Bush auf Malta. Darin versicherte er: "Die DDR war und bleibt unser strategischer Verbündeter." Was ich damals nicht wußte, was aber inzwischen durch den außenpolitischen Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl, Herrn Horst Teltschik, dokumentiert ist: Drei Tage vorher übermittelte ein Vertrauter Gorbatschows an Bundeskanzler Kohl eine "sieben Seiten umfassende aktuelle Moskauer Erwägung für ein vereintes Deutschland".

Diese Doppelzüngigkeit konnte zwar mein Verhältnis zur Sowjetunion nicht erschüttern, hat aber meine Meinung über Gorbatschow mitgeprägt. Die Tragik besteht darin, daß seine Politik einherging mit der Zerstörung einer Weltmacht, die trotz aller Unvollkommenheiten eine Alternative zum Kapitalismus war. Einer Weltmacht, die wesentlich dazu beigetragen hat, daß Europa von 1945 bis 1990 die längste Friedensperiode seiner neuesten Geschichte erlebte. Einer Weltmacht, ohne deren Beitrag zur Zerschlagung des deutschen Faschismus die Menschheit möglicherweise in die Barbarei zurückgefallen wäre. Diese welthistorischen Leistungen dürfen trotz notwendiger Kritik am Vergangenen niemals vergessen werden. Hitler konnte im heißen Krieg die Sowjetunion nicht zerschlagen. Das geschah erst 45 Jahre später infolge des kalten Krieges, den beide gesellschaftlichen Weltsysteme gegeneinander geführt haben.

Die Welt von heute ist weder gerechter noch sicherer geworden. 1991 kam nicht, wie viele Menschen gehofft hatten, ein besserer Sozialismus, sondern die Rekapitalisierung Osteuropas. Auch Deutschland ist nach 1990 nicht friedlicher, nicht sozialer, nicht gerechter geworden. Es ist staatsrechtlich zwar vereint, aber sozial, ökonomisch und auch mental weiter gespalten. Die Gegensätze innerhalb des Landes verlaufen zwischen oben und unten, zwischen arm und reich.

Das Volkseigentum der DDR wurde liquidiert. Fünf Prozent davon kamen in Privateigentum Ostdeutscher, 85 Prozent gingen in westdeutschen und zehn Prozent in internationalen Besitz über. Im Osten gibt es eine höhere Arbeitslosigkeit als im Westen, die Löhne und Renten sind hier auch noch niedriger. Der Grundsatz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und gleiche Renten für gleiche Lebensleistungen" ist nicht verwirklicht. Über 100.000 Wissenschaftler der DDR wurden quasi über Nacht zu Rentnern, Frührentnern oder Arbeitslosen. Gegen Amtsträger der DDR wurden Zehntausende Strafverfahren eingeleitet, mit über 1000 Verurteilungen, einschließlich hoher Freiheitsstrafen.

Obwohl Ostdeutschland ca. 20 Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik stellt, sind nur ca. 5 Prozent der Ostdeutschen in Führungspositionen von Politik, Justiz, Armee, Medien, Kultur und Vorständen von Unternehmen. Daß der Bundespräsident und die Bundeskanzlerin aus dem Osten kommen, hängt nicht mit deren DDR-Biographien zusammen. Vielmehr wurden sie gewählt, nachdem sich westdeutsche Kandidaten für diese Funktionen politisch-moralisch verbraucht hatten.

Die soziale Spaltung in Deutschland zieht die politische nach sich. Die aufgestaute Unzufriedenheit von Bürgern mit der aktuellen Politik der Merkel-Regierung, ihre Enttäuschungen über die etablierten Parteien, ihre Verbitterung über nicht eingehaltene Versprechen haben dazu beigetragen, daß sich in Deutschland innerhalb kurzer Zeit eine rechts von den Regierungsparteien CDU/CSU ausgerichtete Partei etablieren konnte. Diese Partei steht für Ausländerfeindlichkeit. Sie nennt sich "Alternative für Deutschland". Der Name ist irreführend, weil ihr reaktionäres und nationalistisches Programm für Deutschland keine Alternative ist. Ich unterscheide zwischen den geistigen Brandstiftern einerseits und jenen, die - aus welchen Gründen auch immer - diese wählen.

Die etablierten Parteien werden begreifen müssen, daß weder Wählerbeschimpfungen noch das Nachplappern rechter Parolen verlorenes Vertrauen zurückbringen, sondern nur die Hinwendung zu den tatsächlichen Problemen des Lebens.

Vor nunmehr 99 Jahren begann die Oktoberrevolution, die die Welt erschütterte und veränderte. Auch wenn es Historiker und Politiker gibt, die sie inzwischen als "Staatsstreich", als "Putsch" oder "Aufruhr" herabwürdigen, ist sie nach meiner Überzeugung jene Revolution, die nach der Französischen von 1789 von der Geschichte zu Recht das Attribut "Große" erhielt.

Ich stelle mir da schon die Frage: Was wäre wohl aus Europa und der Welt geworden, wenn die Sowjetunion dem deutschen Faschismus nicht den entscheidenden Schlag versetzt hätte? Wie hätten sich die Kolonialmächte gegenüber ihren Kolonien verhalten? Der Zerfall des Kolonialsystems ohne die Wirkungen der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution ist nicht vorstellbar. Ohne den Sozialismus hätte es möglicherweise nicht nur einen kalten, sondern einen neuen, dritten heißen Weltkrieg gegeben. Die Geschichte ist kein gradliniger Weg zum gesellschaftlichen Fortschritt. Es gibt auch Epochen des Rückschritts und der Stagnation. Die Entwicklung der Produktivkräfte mit allen ihren Auswirkungen geht trotzdem voran. Damit werden früher oder später neue und sicher aussichtsreichere Versuche zustande kommen, die Gesellschaft grundlegend zu ändern. Ich bin da ein Optimist.

In diesem Zusammenhang erinnere ich an ein Wort des von den deutschen Faschisten ermordeten Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Deutschlands, Ernst Thälmann. Er schrieb angesichts des revolutionären Aufschwungs in China im April 1927: "Die Augen der ganzen Menschheit sind auf China gerichtet, wo das älteste und größte Kulturvolk der Erde die imperialistischen Fesseln sprengt, in die es ein Jahrhundert lang geschlagen war."

Wieder schaut die Welt auf China. Wer wirklich Sozialismus will, kommt an den Erfahrungen Ihres Volkes nicht vorbei. Mir scheint besonders wichtig, daß es ein Sozialismus mit nationaler Prägung ist, der nicht - wie der untergegangene - ein Modell für alle Länder sein will. Ein Sozialismus als Ziel, als ein Jahrhundertprojekt, das eine sehr langfristige Entwicklung anvisiert. Ein Sozialismus, der aktiv an der Weltwirtschaft und damit an der internationalen Arbeitsteilung teilnimmt und so zu raschen Fortschritten in der Produktion und im wissenschaftlich-technischen Fortschritt gelangt, was dem Wohl des Volkes zugute kommt. Die ökonomische Stärke und der Einfluß der VR China auf die Weltwirtschaft sind bereits so stark, daß sie auf andere Länder ausstrahlen.

Am 1. Oktober 1989 hatte ich Gelegenheit, in einer persönlichen Begegnung mit Deng Xiao Ping Gedanken über Reformen im Sozialismus auszutauschen. Auch daraus ist meine Überzeugung gewachsen: Wenn die sozialistische Staatengemeinschaft in Europa in den achtziger Jahren zusammen mit China den Weg der Reformen gegangen wäre, stünde der Weltsozialismus heute stärker da. Der eingeschlagene Weg der KP Chinas wird neue Probleme und andere Schwierigkeiten hervorbringen als der untergegangene Sozialismus. Der weitere Erfolg wird aber wesentlich von der aktiven Rolle der Kommunisten und der Qualität ihrer ideologischen Arbeit abhängen, vor allem vom Vertrauensverhältnis der Bürger zu ihrem Staat.


Egon Krenz hielt seinen Diskussionsbeitrag "Die Niederlage der DDR - Teil des Zusammenbruchs des real existierenden Sozialismus in Europa" auf einer wissenschaftlichen Konferenz "Der Marxismus im 21. Jahrhundert" in Peking im Rahmen des Themas "Der Zusammenbruch des Sowjetblocks und die Wiederbelebung des Sozialismus". Den ersten Teil seines Beitrags haben wir im Januar-"RotFuchs" veröffentlicht.

RF

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Wissenschaftliche Weltanschauung
Die Lehre vom Klassenkampf (2)
Sendung des "Deutschlandsenders" vom 1. März 1972

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Die Blockade Leningrads ist unvergessen
von Ralf Richter

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Eckart Spoo - der unbequeme Fragesteller

Wir trauern um einen aufrechten und kämpferischen Humanisten, einen seit Jahrzehnten engagierten Kollegen. Erst im Dezember-"RotFuchs" hatten wir seinen Beitrag "'Wording', ein Tarnwort für 'Sprachregelung'" nachgedruckt, einen Essay, den man durchaus als Gebrauchsanweisung für Zeitungslektüre und Medienkonsum überhaupt in Schullesebücher aufnehmen müßte. Nun ist es ein Abschiedsartikel geworden.

RF-Redaktion


Der Journalist und Publizist Eckart Spoo ist am Donnerstag, dem 15. Dezember, in Berlin gestorben, vier Tage vor seinem 80. Geburtstag. Als Kind erlebte er Krieg und Faschismus in seiner Geburtsstadt Mönchengladbach und im Fluchtort im Harz; dies hat sein ganzes Leben geprägt. Mehr als drei Jahrzehnte schrieb er als Korrespondent der "Frankfurter Rundschau" Zeitungsgeschichte. Er galt als unbequemer Fragesteller in Pressekonferenzen und deckte manchen Skandal auf. Von 1970 bis 1986 war er Vorsitzender der Deutschen Journalisten-Union.

Pressefreiheit, auch die "innere Pressefreiheit" in den Redaktionen und die damit erforderliche Abschaffung des Tendenzparagraphen waren Forderungen, die den Journalisten Spoo bis zu seinem Tode umtrieben. Die voranschreitende Monopolisierung der Zeitungsverlage und die damit einhergehende Vereinheitlichung und Verflachung der Zeitungslandschaft prangerte er an.

Spoo sah die Pressefreiheit vom Grundrecht für alle zum Privileg einiger weniger Pressekonzerne verkommen, deren Eigentümer ihre Aufgaben darin sehen, den Kapitalismus und die von ihm geschaffenen gesellschaftlichen Verhältnisse zu rühmen und vor Kritik zu schützen - auch durch Verschweigen von Tatsachen, Verleugnen von Wahrheiten - und aus diesem Mißbrauch der Pressefreiheit möglichst viel Profit zu ziehen. Spoo hielt publizistische Monopole für verfassungswidrig. In der Konsequenz gründete er 1997 zusammen mit weiteren Publizisten eine eigene Zeitschrift: "Ossietzky". Die Zweiwochenschrift für Politik, Kultur und Wirtschaft steht in der antimilitaristischen und antifaschistischen Tradition der "Weltbühne". Spoos Anspruch als langjähriger "Ossietzky"-Chefredakteur: jedes Heft voller Widerspruch gegen angstmachende und verdummende Propaganda, gegen Sprachregelungen, gegen das Plattmachen der öffentlichen Meinung durch die Medienkonzerne, gegen das vermeintliche Recht des Stärkeren und gegen die Gewöhnung an den Krieg. Zu diesen Themen veröffentlichte er auch eine Vielzahl aufklärerischer Bücher. Verlag und Redaktion "Ossietzky" werden Spoos Vermächtnis fortführen.

Redaktion "Ossietzky"

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Oppositionsfähig werden!
von Eckart Spoo

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Steinmeier, der richtige Mann?

Vor drei Jahren erschien in der Edition Berolina eine Broschüre unter dem Titel "Joachim Gauck, der richtige Mann?" Klaus Blessing und Manfred Manteuffel stellten darin die Frage, ob mit Gauck der richtige Mann auf dem Präsidentenstuhl sitzt. Ein Urteil kann sich jeder selbst bilden.

Heute muß man fragen: Ist es Steinmeier? Ein klares Nein! Meine Begründung:

1. Seine Mitarbeit an der Agenda 2010 ist hinreichend bekannt und muß von mir nicht mehr bewiesen werden. Genausowenig wie die Tatsache, daß diese Agenda Millionen Bürger ein Leben am Rande der Gesellschaft und in der Folge Kinder- und Altersarmut beschert. Ich habe nicht gehört, daß er jemals dagegen opponiert hätte.

2. Wie steht es mit seiner Verantwortung als Außenminister? Steinmeier ist nicht der große Säbelrassler. Bedächtig formulierte mahnende Worte, auch Aktivitäten sprechen für ihn. Warum habe ich aber oft das Gefühl, er betreibt eine Doppelstrategie? Sind es zum Beispiel solche Widersprüchlichkeiten: Einerseits sind seine Aktivitäten beim Zustandekommen des Atomabkommens mit dem Iran zu nennen. Andererseits lagern in Büchel mindestens 20 US-Atombomben, die demnächst modernisiert werden sollen und deren Abwurf Tornadopiloten der Bundeswehr üben. Damit wird u.a. der "Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen" umgangen. Offiziell ist die BRD keine Atommacht, jedoch verfügt sie mittels "Teilhabe" über solche Waffen. Das ist politisch unehrlich. Gestützt wird meine Auffassung durch die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, den Heidelberger Friedensaktivisten H. Theisen vom Vorwurf des Verrats von Dienstgeheimnissen freizusprechen. Theisen hatte in einer Flugblattaktion gegen die Modernisierung der ca. 20 Kernwaffen in Büchel aufgerufen. Die "Stationierung von Atomwaffen auf deutschem Boden und deren Einsatz durch Bundeswehrsoldaten im Kriegsfall (sei) völkerrechtswidrig".

Wenn dem so ist, wäre doch die Beseitigung des Übels eine Aufgabe für alle Außenminister der BRD gewesen, Herrn Steinmeier eingeschlossen. Steinmeier behauptet, mit der völkerrechtswidrigen "Annexion der Krim durch Rußland" und dem ungelösten Konflikt in der Ostukraine sei "die Frage von Krieg und Frieden auf unseren Kontinent zurückgekehrt". Kleine Nachhilfe in Historie: Mit der völkerrechtswidrigen Aggression der NATO gegen Jugoslawien war sie bereits 1999 auf diesen Kontinent zurückgekehrt. Noch eine kleine Nachhilfe in Sachen Völkerrecht für den derzeitigen Außenminister: Nach dem Maidanputsch war die Abspaltung der Krim (Sezession) die logische, vom überwältigenden Votum der Krimbewohner gedeckte Folge. Selbst der zweite Teil seiner Aussage entspricht nur zur Hälfte der Wahrheit. Sachlich richtig wäre gewesen, zu erwähnen, daß es seitens der Regierung in Kiew erhebliche Defizite bei der Umsetzung des Minsker Abkommens gibt, die man Putin nicht anlasten kann, ohne deren Verwirklichung jedoch der ganze Prozeß stockt.

Mit dem Beitrag "Der Krieg via Ramstein" im "Spiegel" 17/2015 wurde öffentlich, was Interessierte längst wußten: gezieltes Töten mittels Drohnen per Fernbedienung. Man kann es auch Mord nennen. Dabei sollte doch von deutschem Boden nie mehr Krieg ausgehen! Natürlich ist er nicht der erste BRD-Außenminister, der nichts dagegen unternimmt - aber immerhin einer von ihnen.

In seinem im Herbst 2016 erschienenen Buch "Europa ist die Lösung" meint Herr Steinmeier, die Menschen in Europa wollten, daß ein einiges Europa ihre Probleme und damit die europäische Krise löst. So weit, so richtig. Allerdings liegt er voll daneben, wenn er behauptet, daß die Lösung im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik liegt, "auf dem die Bürger seit Jahren mehr gemeinsames Handeln einfordern". Keine Rede von Demokratiedefiziten und einem Parlament mit nur empfehlenden Befugnissen, kurz dem Fehlen einer echten Gewaltenteilung. Gerade das wurde doch bisher stets als Unterscheidungsmerkmal zwischen Rechts- und "Unrechts"-Staaten gepriesen. Diese Fokussierung auf das Militärische findet sich bei Steinmeier auch an anderer Stelle. So in seiner Schrift "Eine europäische Sicherheitsagenda". Hier plädiert er u.a. für "einsatzfähige Streitkräfte mit hohem Bereitschaftsgrad ..." sowie für "die Einrichtung ständiger maritimer Einsatzverbände".

Weiter spricht er sich für verstärkte europäische Verteidigungsanstrengungen aus. Gegen welche Bedrohung werden sie benötigt? Heute gibt es auf unserem Planeten mehr Waffen als am Ende des kalten Krieges. Ist die Welt und damit Europa seitdem sicherer geworden? Steinmeier weiter in einem Anfang September vergangenen Jahres veröffentlichten Beitrag: "Diplomatische Lehren aus der Entspannungspolitik" mit dem Untertitel "Das Angebot zur Kooperation muß ebenso konkret sein wie die Abschreckung." Abschrecken muß ich einen Feind, der mich vernichten will. Will das Rußland? Glaubt Herr Steinmeier selbst an den Mythos einer russischen Bedrohung? Steht "der Russe" an der Oder, oder stehen Frau von der Leyens Panzer an der russischen Grenze? Wer müßte sich mehr bedroht fühlen? Die mehrfach militärisch überlegene NATO oder die Russische Föderation, die von der NATO im Rahmen der NATO-Osterweiterung von West und Süd umklammert wird. Nach Steinmeiers Diktion ist immer "der Russe" der Aggressive. Wie in Syrien immer Assad und natürlich auch dort Putin. Wenn man in einer SPD-Regierung unter Schröder war, die sich an dem völkerrechtswidrigen NATO-Überfall auf Jugoslawien beteiligte und damit Deutschland nach der Niederlage im 2. Weltkrieg erstmals wieder kriegsreif machte, sollte es ein Gebot der Vernunft sein, nicht die Krim-"Annexion" als Abschreckungsvorwand zu nehmen.

Bleibt noch der angeblich gegen iranische Atomraketen geplante und in Teilen bereits fertige Raketenabwehrschirm. Im Juli 2015 wurde das Abkommen zwischen dem Iran und den UN-Vetomächten abgeschlossen. Es wird angenommen, daß der Iran auf lange Zeit nicht in der Lage ist, eine Atombombe zu bauen. Entgegen westlichen Behauptungen hat der Iran bis heute noch keine Interkontinentalrakete getestet - auch nicht seine Mittelstreckenraketen (max. Reichweite 2000 km). Weshalb wird an der Raketenabwehr weitergebaut? Warum setzt sich Herr Steinmeier, der sich um das Zustandekommen des Abkommens mit Iran verdient gemacht hat, nun nicht dafür ein, daß die Raketenabwehr nicht gebaut bzw. wieder abgebaut wird? Das wäre doch ein echtes Angebot, um Rußlands Befürchtungen zu zerstreuen.

3. Ich wünsche mir für das zwar überflüssige, aber hohe Amt endlich einen Bundespräsidenten, dem die verarmten, benachteiligten und abgehängten Schichten am Herzen liegen. Die BRD verlangt nach einem Bundespräsidenten, der sich vorbehaltlos gegen Kriegseinsätze engagiert und nicht nur mit Worten für eine friedlichere Welt eintritt. Der dafür eintritt, die bisher für Rüstungsgüter und Auslandseinsätze verpulverten Milliardensummen künftig für Bildung, Infrastruktur, Gesundheitswesen und Alterssicherung einzusetzen. Für all das steht Professor Christoph Butterwegge. Würden die Bundespräsidenten demokratisch gewählt und nicht ängstlich vor der Bevölkerung abgeschirmt von einer Dreiergruppe ausgekungelt, bekäme er meine Stimme. Selbst wenn er nicht Kandidat der Linkspartei wäre. Ich ziehe den Hut vor ihm, daß er sich dieser für ihn aussichtslosen Sache stellt. Butterwegges Programm finde ich überzeugend.

Harry Pursche, Leipzig

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Anmerkungen zum Lutherbild Joachim Gaucks
Also sprach der Bundespräsident

Obwohl der 500. Jahrestag des Thesenanschlags Martin Luthers, der die Reformation einleitete, erst am 21. Oktober 2017 fällig wäre, begann die Kette der geplanten "events" schon jetzt. Am 31. Oktober 2016 hielt der Bundespräsident die Festrede zur Eröffnung des Lutherjahres. In Gauck wird der frühere Pastor der Lutherkirche, woran er mit Freude erinnerte, eins mit dem Amt des Staatsoberhaupts. Wer erinnert sich daran, daß vor einhundert Jahren noch Wilhelm II., Kaiser von Gottes Gnaden, zugleich Oberhaupt der Lutherkirche war? Die Einheit von Thron und Altar war über Jahrhunderte perfekt. Gauck konstatierte: "1917, mitten im Krieg, war die preußisch-nationalistische Emphase geradezu übermächtig." Welchen Anteil hatte die Kirche daran?

Ist heute die Trennung von Staat und Kirche, die das Grundgesetz gebietet, Norm für das Handeln von Politikern? Das Lutherjubiläum beweist das Gegenteil. Heute soll es um ein neues Lutherbild gehen, entrümpelt von den Mythen, die das Leben des Reformators und sein Wirken durchrankten und zum Teil von ihm selber stammen. Das geht schon bei der Frage los, ob der Thesenanschlag tatsächlich so stattgefunden hat, wie die Legende es erzählt. Margot Käßmann stellte als "EKD-Botschafterin" für das Lutherjahr am Vorabend des Reformationstages in vier Punkten die Aktualität des Wirkens Luthers fest: die Bibel-Übersetzung, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, wie sie Luther definierte, sein Eintreten für Schulen und seinen Lebenssinn, der Humor einschließe.

Zweifellos hat die Bibelübersetzung die größte aktuelle Bedeutung. Luther schuf die deutsche Bibel als Instrument zur Durchsetzung der Reformation, zugleich wurde sie zur Triebkraft bei der Herausbildung der deutschen Nation.

"Der Spiegel" (44/2016, S. 13 f.) hielt Martin Luther für den "ersten Rebellen der Neuzeit", "moralischen Krieger", "wütenden Weltenstürmer", "widerständigen Rationalisten", "Antisemiten", "Gehorsamsprediger", "Verräter in den Bauernkriegen", "Taktiker im Umgang mit Fürsten", "Wutbürger". Neue Bücher preisen den "Rebellen und Mutmacher" und "Kirchenrebellen". Für alle Lobpreisungen gibt es Gründe. Hier soll die Reihe nicht fortgesetzt werden. Statt dessen richten wir den Blick auf Tatsachen, die häufig verschwiegen oder verfälscht dargestellt werden.

Da ist zunächst Luthers Haltung zu Gewalt, Haß, Krieg und Unterdrückung von höchst aktueller Bedeutung. In Gaucks Festrede gibt es dazu keine präzisen Aussagen. Dabei hat sich Gauck schon früher mit der Problematik beschäftigt.

Als er am 9. November 1999 im Bundestag George Bush sen. begrüßte, behauptete er, wir hier im Osten hätten 1989 vom Reformator gelernt, "ohne Gewalt mächtig zu werden". "Unter dem Dach der Kirche" fand 1989 eine "friedliche Revolution" im Geiste Luthers statt? Der Pfarrer-Präsident erfand einen Luther, der Gewalt ablehnte und verurteilte. Dann sind also die Aufrufe des Reformators zum Mord an Juden und Bauern womöglich Fälschungen? Am 4. Mai 1525 veröffentlichte Martin Luther seine Schrift "Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern". Darin heißt es: "Drum soll hier zuschmeißen, wurgen und stechen, heimlich oder offentlich, wer da kann, und gedenken, daß nichts Giftigers, Schädlichers, Teuflischers sein kann denn ein aufruhrischer Mensch, gleich als wenn man einen tollen Hund totschlahen muß: Schlägst du nicht, so schlägt er dich und ein ganz Land mit dir." Luthers Gebot: Ein "Aufruhrer" ist totzuschlagen wie ein "toller Hund". Das empfahl Luther den Fürsten auch im Falle seines Amtsbruders Thomas Müntzer, der die Bauern unterstützt hatte. Luthers Gebot, der Obrigkeit zu gehorchen, galt auch im ersten und zweiten Weltkrieg.

Im Sommer 2014 geschah etwas nicht nur für Gauck Bemerkenswertes, das nicht das Interesse der Medien fand. Am 30. Juni 2014 schrieben die Pfarrer Klaus Galley und Siegfried Menthal, denen sich weitere Amtsbrüder anschlossen, dem Bundespräsidenten einen Brief. Darin erinnerten sie Gauck daran, daß die Kirchen 1989 der militärischen Gewalt abgeschworen hatten, und protestierten gegen dessen "Rechtfertigung" deutscher Militäreinsätze heute. Der Bundespräsident überließ die Antwort David Grill, dem Chef des Bundespräsidialamtes, der am 18. Juli 2014 das Verhalten Gaucks zu erklären versuchte. Und wie tat er das? Gill berief sich darauf, daß Gauck in Luthers Spuren wandle, und verwies auf die "Barmer Erklärung" der protestantischen Kirche von 1934, die Hitlers Politik als "Wohltat" gewürdigt hatte. Die Linie wäre also: von Luthers Kriegsbejahung über den Segen für die Hitlerschen Kriege bis zu Gaucks Forderung, deutsches Militär weltweit einzusetzen. Als Motto könnte der Satz Luthers gelten: "Ein Mensch, sonderlich ein Christ, muß ein Kriegsmann sein und mit den Feinden in Haaren liegen."

In diesem Geiste erklärte Ex-Bischof Huber bei der Vereidigung von Bundeswehrrekruten am 20. Juli 2016 in Berlin wahrheitswidrig: "Ihr könnt euch darauf verlassen, dieser Staat wird euch nicht mißbrauchen. Ihr habt heute das große Glück, einer friedfertigen Nation und ihrem heute rechtlich geordneten Staat zu dienen." So sprach auch Dibelius 1933. Im Unterschied zu Huber scheint Luther Gewissensbisse gehabt zu haben: "Prediger sind die größten Totschläger ... Ich, Martin Luther, hab im Aufruhr alle Bauern erschlagen, denn ich hab sie heißen totschlagen - all ihr Blut ist auf meinem Hals."

Gaucks/Grills Brief vom Juli 2014 beweist, daß es in der aktuellen Situation von nicht geringer Bedeutung ist, wie Aussagen Martin Luthers zum Krieg und zum Aufruhr heute interpretiert werden. Damit sind wir bei einem denkwürdigen Zitat, das aus der etwa 20seitigen Schrift des Reformators "Ob Kriegsleute in seligem Stande sein können" aus dem Jahre 1526 stammt. Anlaß für die Entstehung war die Sorge des Ritters Assa von Kram, daß sein Kriegshandwerk mit seinem christlichen Gewissen kollidiere. Als Martin Luther sich der Gewissensbisse des Ritters Assa von Kram annahm, lag der Bauernkrieg und der Mord an den aufständischen Bauern und Thomas Müntzer ein Jahr zurück. Luther hatte am 4. Mai 1525 sein Pamphlet "Wider die räuberischen Rotten der Bauern" veröffentlicht. Luthers Zorn über die "Aufruhrer", die "Gottes Ordnung", den Feudalbesitz, in Frage stellten, ist auch in der Schrift über die "Kriegsleute" der rote Faden.

Das Bemerkenswerte und Aktuelle könnte die Antwort auf die Frage sein: Wie und warum rechtfertigt der Reformator den Krieg gegen den Bauernaufstand, die "Kriegsleute und deren mörderisches Handwerk"? Luther schrieb: "In Todesnöten und Gefahr (ist) am meisten an Gott zu denken und für die Seele zu sorgen ... Damit nun, soviel an uns liegt, den schwachen, einfältigen und zweifelnden Gewissen geraten werde und die Skrupellosen eine bessere Unterrichtung erfahren, habe ich Eure Bitte angenommen und dieses kleine Buch zugesagt. Denn wer mit einem guten, wohlunterrichteten Gewissen kämpft, kann gut kämpfen. Denn es kann nicht mißlingen: Wo ein gutes Gewissen ist, da ist auch großer Mut und ein tapferes Herz. Wo aber das Herz tapfer und der Mut getrost ist, da ist auch die Faust um so kräftiger und Mann und Roß frischer, alle Dinge geraten besser, und alle Ereignisse fügen sich auch besser zum Siege, den Gott dann auch gibt." Den "Kriegsleuten" wollte der Reformer ein gutes Gewissen verschaffen, damit sie besser für (wessen?) Siege kämpfen, die Gott ihnen gibt. Wie verfuhr Luther bei seiner Argumentation? Zunächst trennte er zwischen Amt und Person, Tat und Täter. Wer im Amt handelt, z.B. ein Richter, handelt immer im Namen Gottes. Luther legte auch fest, daß es Gerechtigkeit nur vor Gott gäbe, wer als Soldat "Feinde" nach Kriegsrecht tötet oder verletzt, müsse keine Gewissensbisse haben. Luther bejahte wie schon in der Schrift "Die weltliche Obrigkeit", daß die weltliche Obrigkeit das Schwert führt, um die Bösen zu bestrafen. Luthers Rechtfertigung lautete: "Was ist Krieg anderes als Strafe für Unrecht und Böse? Warum führt man Krieg, außer daß man Frieden und Gehorsam haben will?" "Man" will Krieg. Töten und Rauben seien "in Wahrheit" ein Werk der Liebe.

Das "Amt des Soldaten" sei so nötig und nützlich "wie Essen oder Trinken oder sonst ein anderes Tun". Daß Luther solche menschenfeindlichen Thesen durch den Mißbrauch mit Bibelzitaten zu stützen versuchte, soll hier aus Platzgründen nicht untersucht werden. Ausgesprochen demagogisch ist das Argument Luthers gegen diejenigen, die sich auf das Beispiel Christi beriefen: Christen seien mit Leib und Besitz der Obrigkeit unterworfen, der sie Gehorsam schuldig sind. "Wenn sie nun von der weltlichen Obrigkeit zum Kriege aufgerufen werden, sollen und müssen sie kämpfen, aus Gehorsam, nicht als Christen, sondern als Glieder und als untertänige, gehorsame Leute, dem Leibe und dem zeitlichen Besitze nach. Wenn sie kämpfen, tun sie es also nicht für sich noch um ihrer selbst willen, sondern im Dienst und Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, der sie unterstehen." Diese Argumentation ermöglicht es jeder Obrigkeit, "Kriegsleuten" ein "gutes Gewissen" einzureden, selbst in den faschistischen Eroberungskriegen oder bei völkerrechtswidrigen NATO-Einsätzen. Unter dem Eindruck des Bauernkrieges im Vorjahr der lutherischen Schrift sah sich Luther noch veranlaßt, auf "Aufruhrer" und die Rache des Adels einzugehen. Einige "Junkerlein" mußten Luthers Mißbilligung über sich ergehen lassen: "Einige von unsren Junkerlein haben ja so gehandelt, besonders Reichen gegenüber, in der Hoffnung, etwas zu erpressen. Wenn sie nur zu ihnen sagen konnten: Du bist auch bei dem Haufen gewesen, du mußt hinweg. So haben viele Leute großes Unrecht getan, unschuldiges Blut vergossen, Witwen und Waisen gemacht und ihnen dazu auch noch den Besitz genommen. Und dennoch heißen sie vom Adel. Ja freilich, 'vom Adel'. Aber auch der Dreck ist vom Adel und kann sich wohl rühmen, aus des Adligen Leib zu kommen, obwohl er stinkt und ohne Nutzen ist. So gut können wohl auch diese vom Adel sein. Wir Deutschen sind Deutsche und bleiben Deutsche, d.h. Säue und unvernünftige Bestien." Luther fügte erklärende Sätze an: "Aufruhr ist des Todes schuldig als Crimen laesae maiestatis, als eine Sünde gegen die Obrigkeit." Mit Bibelsätzen "bewies" Luther, daß niemand gegen seinen Oberherrn kämpfen oder streiten darf. Daß Luther nur in der Situation 1526 für die damaligen "Oberherrn" sprach, geht aus dem Text nicht hervor. Im Gegenteil: Sein Ausflug in die Geschichte der alten Griechen und Römer, Israels und anderer "heidnischer" Reiche und deren Umgang mit Tyrannen sollen seine Auffassung bekräftigen, daß Menschen nichts gegen die Obrigkeit tun dürfen. "Unrecht muß es für jeden Untertan sein, etwas gegen seinen Tyrannen zu unternehmen." Ausflüge in die damalige Herrschaft Frankreichs und Dänemarks sollen diese Auffassung verstärken.

Luther kannte Leute, die "rechte Bösewichte" als "Oberherrn" nicht ertragen wollten. Er überzog sie mit Spott und Häme: "Den anderen, die sich gern ihr gutes Gewissen bewahren wollten, sagen wir folgendes: Gott hat uns in der Welt der Herrschaft des Teufels unterwerfen. Wir haben hier also kein Paradies, sondern müssen zu jeder Stunde auf alles Unglück gefaßt sein an Leib, Weib, Kind, Gut und Ehre."

Bei Luther ist Gott kein gütiger und gerechter Vater. Luthers Ausflüge in die Geschichte und die Bibel können wir hier auch aus Platzgründen nicht wiedergeben. Die von Luther willkürlich ausgewählten Analogien haben alle nur einen Zweck: Gottes Zustimmung zu Kriegen und Tyrannei zu begründen. Schließlich kam der Reformator auch auf die "Kriegsleute" zu sprechen, die als Söldner, für "Dienst- oder Manngeld", als Lehnsherren oder auf andere Weise die Truppen für Kriege stellten. Er teilte das Volk in zwei große Gruppen ein, die Ackerbauern und die "Kriegsleute": "Der Ackerbau soll ernähren, und der Kriegsdienst soll wehren." Die Kaiser und Fürsten sollten für die Balance sorgen, daß die Krieger ernährt, die Bauern geschützt werden. "Unnütze Leute sollte man aus dem Lande jagen."

Luther quälte auch die Frage, wie ein Soldat bezahlt werden soll. Er fand: "Weil ein Soldat von Gott das Geschick zum Kämpfen bekommen hat, kann er damit wie mit seiner Kunst und seinem Handwerk jedem dienen, der ihn haben will, und dafür seinen Lohn wie für eine Arbeit annehmen. Denn das ist auch ein Beruf, der aus dem Gesetz der Liebe quillt." Söldner, die in den Ländern umherirren und Krieg in einem wilden Leben suchen, können allerdings vor Gott nicht gut bestehen, es sei denn ihr Landesherr "erlaubt oder wünscht, daß sie für einen anderen in den Krieg ziehen".

Am Ende riet Martin Luther dem "ehrenfesten" Ritter Assa von Kram, wie er sich bei einer Schlacht verhalten sollte. Nach einem speziellen Kriegsgebot sollte der Ritter das Glaubensbekenntnis und Vaterunser sprechen: "Und dann ziehe vom Leder und schlage dazwischen in Gottes Namen." Zweifellos ist der Brief Luthers an den Ritter Assa von Kram ein Zeitdokument, und der Leser könnte ihn mit einiger Verwunderung ablegen. Aber die Grundstruktur der Argumentation des Reformators ist nicht mit seinem Tode verschwunden. Wer wie ich in der Nazizeit Religion und Konfirmationsunterricht erhielt, erfuhr die "modernisierte", antibolschewistisch ausgerichtete Neuauflage seiner Ratschläge.

Wer die Entstehung der Bundeswehr mit ihren Militärbischöfen, die ideologische Orientierung der NATO-Politik und ihre Begründung bei Bundeswehreinsätzen kennt, kann kein ruhiges Gewissen haben, solange Christentum, Bibel und Reformation im Dienste imperialistischer Kriege mißbraucht werden.

Vielleicht könnte ein Satz Luthers Gauck zu denken geben: "Ein Prediger darf sich nicht in staatliche Dinge einmischen." Luther hielt sich nicht an seinen eigenen Rat, und die Tiraden des Reformators über die Juden halfen Hitler, den Holocaust mit Lutherzitaten zu rechtfertigen. Der Reformator hatte die Zeitgenossen aufgefordert, die Synagogen mit Pech und Schwefel zu verbrennen und die Juden zu töten, weil sie des Teufels seien. Warum hat sich Gauck gescheut, wenigstens diese Seite Luthers zu verurteilen? Bemerkenswert ist, daß Gauck in einem längeren Abschnitt seiner Festrede die Gnadenlehre des Reformators erwähnte: Allein durch den Glauben gelange der Mensch zum Seelenheil. Bei der Aussicht auf Himmelsfreuden oder Höllenqualen war (und ist?) das ein wirksames Druckmittel, um den Untertan bei der Stange zu halten. Joachim Gauck meinte, gerade heute hätten wir nichts so nötig wie Gnade. Er tadelte den "Ungeist der Gnadenlosigkeit, des Niedermachens, der Selbstgerechtigkeit, der Verachtung, der für uns brandgefährlich ist". War es nicht derselbe Gauck, der als Leiter der Inquisitionsbehörde, die nach ihm benannt war, das Wort Gnade aus seinem Wortschatz gestrichen hatte? Und der sächsische Innenminister im Kabinett Biedenkopf, Heinz Eggert, ließ sich "Pfarrer Gnadenlos" nennen.

Prof. Horst Schneider

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Martin Niemöller - ein christlicher Revolutionär

Die von Martin Niemöller bei politischen Entscheidungen oft gestellte Frage war: "Was würde Jesus dazu sagen?" Das war für ihn keine fromme Floskel, sondern seine Überzeugung, sich in schwierigen Situationen Rat zu holen.

Niemöller war ein frommer Mann, obwohl ihm in seinem Leben Widersprüche und Brüche nachgesagt werden. Er war in einem konservativen westfälischen Pfarrhaus aufgewachsen, in dem, wie er berichtete, "Kaisertum und väterliche Gesinnung" als notwendige christliche Attribute galten. Tägliches Bibellesen, beten und Rücksicht auf arme Leute gehörten zu seiner Erziehung, auf die seine Mutter großen Einfluß hatte. Fleiß und Hilfsbereitschaft waren für seinen Vater Prinzip. In der Gemeinde herrschte eine unbeschreibliche Armut. Der Vater versuchte, durch Sammlungen und Spenden den Gemeindegliedern zu helfen.

Diese Hilfsbereitschaft brachte ihm den Namen "Bettelpastor" ein. Niemöller erinnert sich, daß sein Vater allerdings mit ihm niemals über die Ursachen der Armut gesprochen hat. Er hielt ihn an, gut zu lernen, um nicht arm zu werden. Er war Klassenbester und machte auch als solcher das Abitur. Danach zog er als Kaiserlicher Seekadett zum Militär. Er wurde Berufsoffizier und erhielt mit Stolz das Eiserne Kreuz Erster Klasse. Auf diesen Abschnitt seiner Biographie später befragt, wie er sich heute dabei fühle, antwortete er: "Wenn ich damals ein denkender Mensch gewesen wäre und hätte mehr Zeit auf das Denken verwandt, dann hätte ich vielleicht früher zu besseren Erkenntnissen kommen können. Heute schäme ich mich vor mir."

Nach der Novemberrevolution quittierte er den Militärdienst, weil er nicht wußte, wem er in der neuen Republik dienen sollte. Er entschloß sich, den Wunsch seines Vaters zu realisieren, und studierte Theologie. Er beginnt jetzt, politisch zu denken und arbeitet als Theologiestudent im katholischen Münster im Stadtrat in der Kommunalpolitik. Er gründete eine evangelische Fraktion und versuchte, in ihr kommunalpolitisch zu wirken. Allerdings war er der Politik der NSDAP mit ihren sozialen Forderungen nicht abgeneigt. Nach seinem Vikariat und der diakonischen Arbeit bekam er in Berlin-Dahlem eine Pfarrstelle. Die Gemeinde war bereits für ihre kritische Haltung gegenüber der NSDAP bekannt. Sie war, so meinte Niemöller, sowohl theologisch als auch politisch verläßlich, um mit ihr - nach den 1933 heraufziehenden Stürmen - den Kampf gegen den Faschismus aufnehmen zu können.

1933 gelingt es in dieser Gemeinde der "Glaubensbewegung Deutscher Christen", der es um eine Gleichschaltung der evangelischen Kirche mit dem Staatsdienst ging, mit Hilfe der neuen Machthaber Schlüsselpositionen in Kirchenleitung und Synode zu besetzen. Auf diese Weise konnte dann auf der Generalsynode der Altpreußischen Union die Einführung des Arierparagraphen in den Kirchen durchgesetzt werden. Damit wurde auch das neue Beamtengesetz des faschistischen Staates wirksam - daß Personen mit nicht-arischer, d.h. jüdischer Abstammung aus allen Amtsstellen entlassen werden konnten. Diese Entscheidung wurde von der evangelischen Kirche übernommen.

Hier setzte Niemöllers Widerstand ein: "Wer Christen von kirchlichen Ämtern ausschließt, nur weil sie jüdischer Herkunft seien, ersetzt die Taufe durch den Stammbaum."

Er rief seine Amtsbrüder zur Gründung eines "Pfarrernotbundes" auf, der dann zur Ausgangsbasis der sich gründenden Bekennenden Kirche wurde. Nach zwei Monaten - bis Weihnachten 1933 - wurden 5500, d.h. ein Drittel aller evangelischen Pfarrer in Deutschland, Mitglieder im Pfarrernotbund.

Anfang 1934 kam es zu einer persönlichen Konfrontation zwischen Hitler und Niemöller. Hitler hatte eine Anzahl von Kirchenvertretern zum 25. Januar zu einer Unterredung eingeladen. Er rückte in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, daß in einem von Göring abgehörten Telefongespräch Niemöller despektierliche Worte über die NS-Kirchenpolitik gemacht habe. Dazu erklärte Hitler in barschem Ton, daß Niemöller sich ausschließlich um Kirche kümmern solle und nicht um Politik. Martin Niemöller widersprach öffentlich, daß "weder Sie noch eine Macht in der Welt in der Lage sind, uns als Christen die uns von Gott auferlegte Verantwortung für unser Volk ablegen zu lassen".

Dies empörte Hitler so sehr, daß er Niemöller umgehend Predigtverbot erteilen ließ und ihn zum "Feind des deutschen Volkes" erklärte. Bis 1937 mußte Niemöller sich 40 Gerichtsverfahren stellen, wurde wiederholt verhaftet und saß schließlich als persönlicher Gefangener Hitlers acht Jahre im KZ Sachsenhausen und Dachau. Später wies Niemöller wiederholt darauf hin, daß die selbstverständliche Solidarität der kommunistischen Mithäftlinge auch ihm, dem Pfarrer, gegenüber ihn tief beeindruckt habe. Er habe sich geschämt, daß er zu diesen Hitlergegnern nicht schon vor seiner Verhaftung Kontakt gesucht habe.

Unfaßbar aber war für ihn, daß er mit der Befreiung Deutschlands vom Faschismus nicht sofort auf freien Fuß gesetzt wurde. Man erklärte ihm, daß er als "dangerous person" (gefährliche Person) eingestuft sei und deshalb zunächst noch als Gefangener der amerikanischen Besatzungsmacht gelte. Erst am 4. Juni konnte Niemöller durch Hungerstreik seine Freilassung erwirken. Später sagte er, daß ihm diese bittere Erfahrung den "kalten Krieg" signalisiert habe. Eine weitere Erkenntnis, die Niemöller der Kirche im befreiten Deutschland deutlich machte, war: "Neuanfang beginnt mit dem Bekennen von Schuld."

Als im August 1945 eine größere ökumenische Gruppe von Brüdern (leider keine Schwestern) einen Besuch in Deutschland machte, ermahnte Karl Barth die deutsche Kirche: "Ihr könnt nicht so ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen. Ihr müßt erklären, was Ihr getan und nicht getan habt."

Bei dieser Erklärung kam in Stuttgart ein Schuldbekenntnis zustande, in dem aber weder die Schuld an den Juden, den Sinti und Roma, den umgekommenen Behinderten und den Homosexuellen erwähnt ist. Trotzdem hoffte Niemöller, daß mit dem "Stuttgarter Schuldbekenntnis" (1945) und dem "Darmstädter Wort" des Bruderrates der Bekennenden Kirche (1947) ein Neuanfang für die Kirche in gesellschaftliche Verantwortung gesetzt worden sei.

Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland lehnte Niemöller energisch ab, denn er sah darin das Ende wichtiger Verhandlungen um die zu gestaltende Einheit Deutschlands. Er sprach daher von einer zementierten Spaltung.

Adenauer bezeichnete Niemöller als Landesverräter. Wen wundert es da, daß Bischof Dibelius zu verhindern suchte, daß Niemöller wieder Pfarrer in der Gemeinde Berlin-Dahlem werden durfte.

Niemöller wurde von dem konservativen Flügel in der EKiD nach und nach isoliert. Er schreibt am 22. Juni 1946 an Pfarrer Hans Asmussen: "In der Landeskirche herrscht überall eine kaum noch zu verbergende Politik der Restauration und Reaktion. Nicht das Wort Gottes und seine kräftigende Hervorhebung in der Verkündigung und Ordnung der Kirche stehen im Mittelpunkt, sondern Bestrebungen, die Heimatkirche der reaktionär verfaßten Kirche von vorgestern, die konfessionalistische Eigenbrötelei und hierarchisch-liturgische Romantik zu entscheidenden Gesichtspunkten zu machen."

Niemöller blieb weiter eine "dangerous person". Auch als Kirchenpräsident der evangelischen Kirche Hessen-Nassau (1947-1964) blieb er unbequem. Ab 1950 begründet er in unzähligen öffentlichen Vorträgen und in einem offenen Brief seine Ablehnung der Remilitarisierung. 1952 nahm er eine Einladung nach Moskau an, Martin Niemöller (1892-1984) zwei Jahre darauf diskutierte er mit den Atomphysikern Otto Hahn, Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker die Gefährdung des Weltfriedens durch die atomare Bewaffnung. Der ehemalige U-Boot-Kommandant wurde konsequenter Pazifist und 1954 Präsident der deutschen Friedensgesellschaft. Drei Jahre darauf stimmte er auf der gesamtdeutschen Synode der evangelischen Kirche gegen den Militärseelsorgevertrag. 1959/60 war er ein Mitbegründer der Prager Christlichen Friedenskonferenz, die sich in biblisch-ökumenischer Überzeugung der Forderung Bonhoeffers verpflichtet fühlte, "den Völkern im Namen Christi die Waffen aus der Hand zu nehmen". 1967 wurde er Ehrenpräsident des Weltfriedensrates. Die Ostermärsche unterstützte er bis zu seinem Tode am 6. März 1984.

In summa war und ist Martin Niemöller für alle, die aus Profitgier Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung mißachteten und mißachten, tatsächlich eine "dangerous person".

"Ich habe mich von einem sehr konservativen Menschen zu einem fortschrittlichen Menschen und am Schluß zu einem revolutionären Menschen entwickelt."

Wir gratulieren uns zu seinem 125. Geburtstag und sind froh, ihn gehabt zu haben.

Prof. Dr. Heinrich Fink

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Ist Marx eigentlich noch aktuell?

Auch bei den Linken ist nicht selten zu hören - Marx, das war doch vor mehr als 150 Jahren, der ist doch längst überholt. Von wem eigentlich? Eine Frage, die ich gut finde. Denn seit Marx und Engels das "Kommunistische Manifest" und "Das Kapital" veröffentlichten, haben Tausende von bürgerlichen Wissenschaftlern versucht, das in diesen Werken Dargelegte zu widerlegen.

Nach dem Sieg der Konterrevolution fühlten sich die Widerleger bestätigt. Doch als Ernüchterung einsetzte, war selbst von Nichtmarxisten zu hören: "Was Marx über den Kapitalismus geschrieben hat, ist richtig, in der Realität allerdings noch viel schlimmer."

Warum bleibt Marx aktuell? Der Marxismus ist eine Wissenschaft, die sich, wie andere auch, weiterentwickelt, deren Grundaussagen aber bleiben. Ein Beispiel aus der Physik: Die moderne Quantentheorie war eine qualitative Weiterentwicklung der Physik, deshalb wurden die Newtonschen Axiome aber nicht ungültig. Was hinzukommt, sind Erscheinungsformen, Präzisierungen, Erweiterungen. Lenin konnte auf der marxistischen Grundlage schon detaillierter die imperialistische Entwicklungsstufe des Kapitalismus analysieren und daraus Schlußfolgerungen für die zu seiner Zeit aktuellen Klassenkämpfe ableiten. Seine theoretischen Erweiterungen und praktischen Erfahrungen bereicherten die marxistischen Grunderkenntnisse in großem Umfang, stellten sie aber nie in Frage.

Auch der Kapitalismus der Gegenwart unterscheidet sich in seinen Erscheinungsformen grundsätzlich von dem zu Marx' Zeiten. Anders als bei Marx werden heute durch die Banken Geschäfte mit virtuellen Werten (Wertpapieren) gemacht, aber nur als Mittel, um damit staatliche und kommunale Werte zu eruieren und Zinserträge über Generationen zu sichern. Die Schere zwischen Armut und Reichtum klafft heute so weit auseinander, wie es sich Marx nicht hätte vorstellen können. Die uneingeschränkte Gier nach Profit bleibt als Triebkraft systembestimmend. Das Grundprinzip der Bereicherung ist gleich geblieben.

Als Betriebsgeheimnis des Kapitalismus benannte Marx die private Aneignung der gesellschaftlichen Arbeitsergebnisse, heute erweitert durch die Aneignung aller für das Leben der Gemeinschaft notwendigen Bedingungen, einschließlich des Trinkwassers.

Die wissenschaftliche Leistung von Marx und Engels besteht nicht vorrangig in der Analyse der kapitalistischen Gesellschaftsformation. Sie entdeckten auf dieser Grundlage aber die Entwicklungs- bzw. Bewegungsgesetze der menschlichen Gesellschaft, ausgehend vom Heraustreten des Menschen aus dem Tierreich durch Arbeit und einer fortschreitenden Arbeitsteilung. Diese führt zu sich ablösenden Gesellschaftsformationen mit jeweils gegensätzlichen Klassen bis zu einer klassenlosen Gesellschaft. Die Klassenzuordnung erfolgt dabei in Eigentümer von Produktionsmitteln und Nichteigentümer und damit in Besitzende = Herrschende und Abhängige. Auch wenn sich die Zusammensetzung der Klassen verändert, ändert sich an der Zuordnung nichts. Viele sich der Mittelschicht zugehörig fühlende sind objektiv, also unabhängig von ihrem Wollen, der Klasse der Lohnabhängigen zugeordnet, selbst Wissenschaftler.

Marx kennzeichnet die Geschichte als eine Geschichte von Klassenkämpfen. Er hat dem Proletariat den Ausweg aus der geistigen Sklaverei gewiesen, in der alle unterdrückten Klassen bisher ihr Leben fristeten. Sie werden immer einfältige Opfer von Betrug und Selbstbetrug sein, solange sie nicht lernen, hinter allen möglichen moralischen, religiösen, politischen und sozialen Phrasen, Erklärungen und Versprechungen die Interessen dieser oder jener Klasse zu suchen.

Klassenkampf wird auch heute geführt, von der herrschenden Klasse, ungebremst und in brutalster Form, weil die ausgebeutete Klasse zur Zeit insgesamt unorganisiert ist und sich zu wenig wehrt.

An den Folgen der Globalisierung, der anscheinend uneingeschränkten Machtausbreitung, zeigt sich trotzdem der Niedergang des Imperialismus. Der geförderte Zerfall der Peripherie wirkt sich zunehmend in Richtung Zentrum aus. Besonders der afrikanischen Bevölkerung werden die Lebensgrundlagen entzogen. Die Folgen der Globalisierung machen deutlich, wie überlebensnotwendig die Überwindung des Kapitalismus ist.

Der von Marx als Triebkraft der Entwicklung benannte Widerspruch zwischen Produktivkräften und diesen nicht mehr entsprechenden Produktionsverhältnissen drängt zu einer Lösung. Marx hat diesen Prozeß als unausweichlich bezeichnet, aber keine Zeitvoraussagen gemacht und nicht behauptet, daß er gradlinig verläuft. Lenin warnte vor möglichen Rückschlägen, deren Ursache er vor allem in nicht ausreichender Qualität der führenden Partei sah, wenn sie es nicht versteht, die Massen mitzunehmen und ständige Produktivitätsverbesserungen zu organisieren.

Die im dialektischen Materialismus benannten Widersprüche als Triebkraft der Entwicklung gelten weiterhin. Neben dem Grundwiderspruch die unterschiedlichen Widersprüche aufzuzeigen und aus der Analyse die Schlußfolgerungen für den aktuellen Klassenkampf abzuleiten, hat besonders Lenin meisterhaft verstanden und praktiziert. Die Fähigkeit, das Erreichte, die Fehler und die Kampfbedingungen ständig zu analysieren, zeichnete auch Fidel Castro aus und ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg der kubanischen Revolution. Er hat auch die Engelssche Erkenntnis immer beherzigt: "Alles, was die Massen bewegt, muß erst durch ihren Kopf hindurch." Führungskräfte der anderen sozialistischen Staaten haben vor allem in den 80er Jahren diese Lehren sträflich mißachtet. Es wurde zu der Zeit mehr über den Marxismus geredet als nach ihm gehandelt.

Das betrifft aber auch Führungen großer kommunistischer Parteien im kapitalistischen Teil Europas. Bereits in den 70er Jahren wendeten sich die "Eurokommunisten" vom Marxismus ab. Hier wurde der Grundstein gelegt für den Niedergang dieser starken gesellschaftlichen Kräfte in Frankreich, Spanien und Italien, der durch den Zusammenbruch der sozialistischen Staaten einen weiteren Schub erhielt, obwohl es keine direkte Abhängigkeit gab. Ihre Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung verloren diese Parteien vor allem durch Anpassung und ihr zeitweises Mitregieren nach 1990. Hier wurden Grundsätze des Klassenkampfs einfach negiert.

Für den, der in einer immer chaotischer scheinenden Welt den Durchblick behalten will, erweist sich der Marxismus-Leninismus nach wie vor als guter Kompaß. Man sollte gerade in schwierigem Gelände nicht auf ihn verzichten!

Horst Neumann, Bad Kleinen

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11. Februar 1945: Ein Appell in letzter Stunde
Vorwärts gegen Hitler!

von Erich Weinert
Rede für den Sender "Freies Deutschland",
Moskau 11.2.1945

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Grenze und Grenzregime der DDR
"Halt! Stehenbleiben!"

In den vergangenen Jahren wurden in Ost und West zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema Grenze (Demarkationslinie, innerdeutsche Grenze, Mauer, Staatsgrenze, Systemgrenze, Grenze NATO / WV), herausgegeben, zumeist um die Grenztruppen der DDR und andere bewaffnete Organe der DDR zu diskreditieren.

Im Gegensatz dazu erschien in jüngerer Zeit ein empfehlenswertes Buch von Armeegeneral a. D. Heinz Keßler und Generaloberst a. D. Fritz Streletz mit dem Titel "Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben. Zeitzeugen und Dokumente geben Auskunft". Hier wird aus strategischer Sicht der geschichtliche Verlauf der Ereignisse an der Grenze vom Kopf auf die Füße gestellt.

In Vorbereitung auf den 70. Jahrestag der Gründung der Grenzpolizei/Grenztruppen der DDR verlegte edition ost nun das Buch "Halt! Stehenbleiben! Grenze und Grenzregime der DDR". Sechzehn Autoren stellen sich häufig gestellten Fragen und beantworten sie aus ihrer Sicht. Dieses Buch setzt die Ausführungen der beiden Generale zum Thema Grenzfragen fort, ergänzt und vertieft deren Aussagen im Detail. Gleich zu Beginn wird das geltende Völker- und Staatsrecht kommentiert und eine strenge Einhaltung der gesetzlichen Grundlagen des Grenzregimes der DDR überzeugend dargelegt. Welche Vermessenheit unserer Feinde, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen! Schande über alle, die diesen Begriff prägten und auch heute noch vertreten!

Positiv hervorzuheben ist die Beschreibung der strafrechtliche Verfolgung nicht nur politischer Exponenten, sondern auch der zahlreichen Grenzsoldaten, die ihren Wehrdienst in Ehren erfüllten. Die Aufhebung des Rückwirkungsverbots ist ein eklatanter Verstoß gegen internationales Recht. Selbst bei den Römern, einer Sklavenhaltergesellschaft, galt der Grundsatz: "Nulla poena sine lege" (Keine Strafe ohne Gesetz).

Gut beschrieben sind die Krisen und krisenhaften Erscheinungen, die eine ständige Anpassung des Grenzregimes an die Veränderung der militärpolitischen Lage erforderten - so die militärische Sicherung der Staatsgrenze nach dem 13. August 1961 oder das Verhalten der Grenzer am 9. November 1989.

Anerkennenswert ist auch die Behandlung der Komplexität des Themas. Kaum ein Problem, mit dem unsere Grenzer zu tun hatten, blieb unerwähnt. Das hatte zur Folge, daß nicht alles bis zum Letzten durchdacht wurde. So folgen manche Überschriften westlicher Sprachregelung. Hin und wieder erscheint auch zum Grenzregime der Gedanke: Das wollten wir eigentlich nicht! Das forderte das Oberkommando!

Über das Geschehen am Brandenburger Tor in den kritischen Tagen im November 1989 hätte man gern mehr erfahren. Leider werden die Autoren der Antworten nicht genannt. Warum? Stehen sie nicht zu ihren Äußerungen? Dann wäre es besser gewesen, sie nicht zu veröffentlichen. Es mindert den Wert des Buches. Und eine letzte kritische Bemerkung: Die Abschnitte "Es heißt, daß die NVA die Besetzung Westberlins plante und dafür den Häuserkampf probte", aber auch "Mit welchen Waffen wären die Grenztruppen der DDR in Westberlin eingefallen?" gehören nicht in ein solches Werk, das sich mit dem Grenzregime zur Sicherung unserer Staatsgrenze beschäftigt (nicht aber mit der operativen Planung zur Abwehr eines Angriffs aus westlicher Richtung).

Wer wissen will, wie es an der Grenze und bei unseren Grenzern zuging, der sollte dieses Buch lesen. Junge und unvoreingenommene Leser werden einen Zuwachs an Erkenntnissen und Wissen erhalten. Diese Publikation ist ein wertvoller Beitrag zur Verbreitung der historischen Wahrheit und gegen die Diskriminierung unserer Grenzer.

Fregattenkapitän a. D. Hans Fischer, Berlin


Hans Bauer (Hrsg.): Halt! Stehenbleiben!
Grenze und Grenzregime der DDR. edition ost,
Berlin 2016. 262 S., 14,99 €

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Werden wir von Narren regiert?

Von Hartmut von Hentig stammt der bemerkenswerte Satz, es sei Aufgabe der Schulen, die Unterscheidung des Wesentlichen vom Unwesentlichen zu lehren. Hat man dies als Lehr- und Lernziel vor Augen, so wird man sagen müssen, daß die große Mehrzahl unserer Berufspolitiker, vor allem der Regierungsmitglieder, dieses Bildungsziel nicht im entferntesten erreicht hat. Wie ist es sonst zu erklären, daß Kommunen, Länder und Bund in mehr oder weniger regelmäßigen Zeitabständen immer wieder zig Millionen, mitunter sogar Milliarden Euro an Steuergeldern in protzige Opernhäuser, Museen und Philharmoniegebäude, gigantische Brücken, Flughäfen, Schiffahrtskanäle, Autorennstrecken und Olympiastadien investieren - also in lauter Dinge, die kaum jemand braucht, am allerwenigsten die unter der Armutsgrenze lebenden Kinder, die verarmenden Rentner, die alleinverdienenden Männer, die ihre Familie nicht ernähren können, oder gar die Obdachlosen, die unter den Brücken hausen.

Wer setzt diese falschen Prioritäten, wenn nicht unsere Regenten, die doch in ihrem Amtseid geschworen haben, den Nutzen des Volkes zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden? Tatsächlich denken diese von uns gewählten Volksvertreter aber offensichtlich nicht an die Interessen des Volkes und seine große Mehrheit, die mehr und mehr verarmende soziale Unterschicht, sondern vornehmlich an die Interessen der Reichen und Superreichen: die Industrie- und Bankenbosse, Waffenexporteure und Pharmakonzerne, als deren Handlanger sie fungieren und die ihnen dafür mit hochdotierten Beraterposten danken.

So werden Volksvertreter zu "Volksverrätern", reagieren gekränkt, wenn man sie als das bezeichnet, was sie sind, tagen (statt in sich zu gehen und den von ihnen angerichteten Schaden wiedergutzumachen) weiterhin hinter verschlossenen Türen, unterzeichnen geheime Verträge, durch die das Volk, das doch laut Verfassung der oberste Souverän ist, mehr und mehr entmachtet und geknechtet wird, und wenn doch einmal eine ihrer Schandtaten aufgedeckt wird, so stellen sie sich unwissend und tun so, als hätten sie die von ihnen unterzeichneten Verträge nicht richtig verstanden und wären selbst hereingelegt worden, obwohl sie doch über alle nur erdenklichen Informationsquellen verfügen, ganze Stäbe von Beratern ihnen zur Seite stehen und einige von ihnen - man staune! - gar ein juristisches Staatsexamen gemacht haben!

Oder irrt der naive Zeitgenosse gerade in diesem Punkt? Haben sie ihre Doktor-Examina ergaunert? Ihre Personalien gefälscht? Haben sie kein Abitur? Vielleicht nicht einmal einen Hauptschulabschluß? Jedenfalls, wenn sie ein Geldgeschäft tätigen oder einen Handelsvertrag schließen, wirken sie wie ein Katherlieschen, das Schrottpapiere kauft. Hat also jener Satiriker recht, der behauptete, Helmut Kohls Lieblingssendung im Fernsehen seien die Tele-Tubbies? Haben wir's also im Umgang mit unsern Regenten wenn nicht mit psychisch Kranken, so doch vielleicht mit Karnevalisten zu tun? Oder aber (was womöglich weit schlimmer wäre): Sind unsere Regenten moralisch verkommen? Dann könnten sie sagen, sie seien weder unterbegabt noch gar idiotisch, sondern ledigkich charakterlos und korrupt, und das sei nicht so schlimm, weil dies mehr oder weniger alle seien.

Wenn wir dies gelten lassen, so bleibt den Kritisierten ja auch noch die Möglichkeit, zu ihrer Entschuldigung zu erklären, sie hätten einen Vater und eine Mutter gehabt, seien das erste oder letzte Kind in der Geschwisterreihe gewesen, hätten eine Hasenscharte und seien deshalb in der Schule gemobbt worden. Und wenn alle Stricke reißen, so könnten sie immer noch aus Gesundheitsgründen ihr Amt niederlegen, ohne persönlich Schadenersatz leisten zu müssen, denn als beamteter Berufspolitiker kann man sich so ziemlich alles leisten. Man kann Millionen Euro an Steuergeldern verschwenden, Menschen hungern und frieren lassen, demokratische Grundrechte mißachten, Foltergefängnisse unterhalten und das Volk belügen - das alles ist legitim, wenn es nur im Rahmen der im Namen des Volkes erlassenen Gesetze geschieht!

Mein Vorschlag: Man unterziehe einen jeden für ein Regierungsamt Nominierten vor der Wahl zunächst einmal einem Eignungstest, der aus zwei Teilen bestehen sollte - einer charakterliehen Prüfung unter Mitwirkung bewährter Lobbyisten der Pharmaindustrie, bei der der Grad der Bestechlichkeit ermittelt werden sollte, und einer Prüfung der ökonomischen und juristischen Fachkenntnisse oder auch einfach nur des gesunden Menschenverstandes.

Wie sonst könnte sichergestellt werden, daß behördliche Kontrollen ohne Voranmeldung durchgeführt werden? Daß bei den Gerichtskassen eingehende Strafgelder nicht an Fußball- oder andere Sportvereine, sondern an Flüchtlingsheime oder Obdachlosenasyle weitergeleitet werden? Daß die Bundeswehr keine Gewehre erhält, die um die Ecke schießen? Daß Gesetze nicht nur erlassen, sondern auch umgesetzt werden? Daß statt Banken Menschen gerettet werden? Wie könnte verhindert werden, daß für humanitäre Zwecke gedachte staatliche Gelder in den Privatschatullen korrupter Despoten verschwinden, die ihre eigenen Völker ausbeuten oder gar ausrotten? Wie ließe sich der eklatante Mangel an sozialer Kultur beheben, der sich nicht nur im Internet zeigt, wo Politiker aufs ordinärste beschimpft werden, sondern selbst im Bundestag, wo Kanzlerin und Vizekanzler in der Haushaltsdebatte, während Sahra Wagenknecht spricht, ostentativ gelangweilt in Papieren blättern oder mit dem Handy spielen?

Dies alles und derlei mehr im Blick habend, sage ich zwar nicht "Gabriel muß ins Zuchthaus, Merkel an die Wand", aber ich sage doch "Ein Mann wie Gysi muß ans Ruder!" Und ich sage auch nicht, daß man die Banken- und Konzernbosse köpfen soll; das Leben und das Existenzminimum sollte man ihnen schon lassen. Aber ihre Villen im Tessin, ihre Luxusyachten und Privatjets könnte man ihnen getrost wegnehmen.

P. S. Soeben erfahre ich aus den Medien, daß der Bund den Ländern Geld für den sozialen Wohnungsbau zahlt. Die Länder müssen dieses Geld aber nicht für den sozialen Wohnungsbau ausgeben, sondern dürfen es auch für andere Zwecke verwenden. Das ist zwar eine Narretei, aber keineswegs ein Karnevalsscherz, ist eher zum Weinen als zum Lachen und zeigt einmal mehr die Notwendigkeit, die Verantwortlichen auf ihren Geisteszustand zu untersuchen und notfalls unter Kuratel zu stellen.

Theodor Weißenborn

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Gotthold Ephraim Lessings Vision

Gotthold Ephraim Lessing wurde am 22. Januar 1729 im sächsischen Kamenz geboren. Er starb am 15. Februar 1781 in Braunschweig. Ab 1746 studierte er an der Leipziger Universität Theologie, Philosophie sowie klassische Philologie. Sein Studium beendete Lessing 1752 als Magister der Philosophie an der Wittenberger Universität. Danach arbeitete er als Bibliothekar, Journalist, Literaturkritiker und als freischaffender Schriftsteller, wobei er danach strebte, unabhängig von Fürstengunst zu leben.

Zu seiner Zeit gab es viele Kriege, in denen religiöse Gründe als Ursache geltend gemacht wurden. Geistige Unterdrückung und religiöse Intoleranz prägten auch den Alltag in Preußen. Das Bestreben der Bevölkerung, bürgerlichdemokratische Rechte und Freiheiten zu erlangen, wurde unterdrückt. Der Kampf um diese Rechte war Bestandteil der Aufklärungsbewegung. Lessing nahm mit seinen Mitteln an diesem Klassenkampf teil. Mit dem dramatischen Gedicht "Nathan der Weise" kämpfte er gegen den Mißbrauch der Religion und die Intoleranz gegenüber Andersgläubigen, die zu Völkerfeindschaft führten. Er setzte sich für die Gleichberechtigung der Religionen und die Religionsfreiheit ein. Das waren Schritte in Richtung der Forderungen der Großen Französischen Revolution von 1789, die für die Bourgeoisie und das Volk die große weltgeschichtliche Aufgabe stellte, "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" zu verwirklichen.

Für sein Vorhaben ("Nathan der Weise", 1779) wählte er einen Abschnitt der Weltgeschichte aus, der ihm wegen der Kreuzzüge dazu besonders geeignet schien. Eine historische Parallele fand er im Kreuzzug von 1189 bis 1196. Die Ringparabel entnahm er der Novellensammlung "Decamerone" von Giovanni Boccaccio. Als Ort der Handlung legte der Dichter das durch Saladins Truppen eroberte Jerusalem fest. Hier ordnete er die fiktiven Beziehungen zwischen Juden, Christen und Mohammedanern ein.

Im Höhepunkt des Gedichts, der Ringparabel, wird berichtet, daß der in Jerusalem herrschende Sultan Saladin von einem reichen Juden Geld leihen wollte. Doch zuvor wünschte er von diesem Juden (genannt Nathan), der als weise galt und in göttlichen Dingen tiefe Einsicht haben sollte, zu hören, welches der drei Gesetze (Religionen) er für das wahre halte. Nathan erklärte, er sei ein "Jud", worauf Saladin antwortete, er sei Muselmann. Der Christ stehe zwischen beiden. Von diesen drei Religionen könne doch nur eine die wahre sein.

Nathan bot sein ganzes Denkvermögen auf und bat darum, eine Geschichte erzählen zu dürfen. Der Sultan billigte seinen Wunsch. Nathan begann (der besseren Lesbarkeit wegen hier in Prosaform gebracht): "Ich erinnere mich, oft gehört zu haben, daß vor Zeiten ein reicher Mann im Osten lebte, der einen kostbaren und herrlichen Ring besaß. Er ordnete an, daß derjenige unter seinen Söhnen, der den Ring als Gabe vom Vater würde vorzeigen können, für seinen Erben gelten und von allen anderen als der vornehmste geehrt werden sollte.

Der Vater liebte die drei Söhne, sie waren alle gleich zärtlich und gehorsam. Die Wahl fiel ihm schwer. Schließlich ließ er heimlich von einem geschickten Meister zwei gleiche Ringe anfertigen. Als er im Sterben lag, gab er heimlich jedem Sohn einen Ring und seinen Segen. Nach dem Tode des Vaters nahm jeder Sohn die Erbschaft für sich in Anspruch. Jeder bestritt das Recht des anderen. Es stellte sich heraus, daß die Ringe einander so glichen, daß niemand erkennen konnte, welcher von ihnen der echte sei. Die Frage des wahren Erben blieb unentschieden - bis heute."

Nathan sagte: "Mein Gebieter, auch von den drei Gesetzen, die Gott den drei Völkern gegeben und über die ihr mich befragtet, ist zu sagen: Jedes der drei Völker glaubt, seine Erbschaft, sein wahres Gesetz und seine Gebote zu haben. Wer es aber wirklich hat, darüber ist, wie über die Ringe, ... noch nicht entschieden - bis heute."

In einem Gespräch mit dem Tempelherrn sagt Nathan: "Wir müssen, müssen Freunde sein! ... Wir haben beide unser Volk nicht auserlesen. Sind wir unser Volk? Was heißt denn Volk? Sind Christ und Jude eher Christ und Jude als Mensch? Ah! Wenn ich einen mehr in Euch gefunden hätte, dem es genügt, ein Mensch zu heißen!"

Lessings Absicht war, durch öffentliche Vorstellungen sowie Aufführungen wie "Nathan der Weise" zur Aufklärung, zur Kritik an den ökonomischen, politischen und Klassenverhältnissen für eine vernünftige Gesellschaft beizutragen.

Das Ziel der Aufklärung des 18./19. Jahrhunderts war, den Feudalismus abzulösen und dem Kapitalismus der freien Konkurrenz den Weg zu ebnen. In der nach Lessing folgenden Geschichtsperiode fand - durch die Große Französische Revolution eingeleitet -, in Europa und in Nordamerika ein gesellschaftlicher Umbruch statt, der sich auch auf Deutschland auswirkte. Nach der Befreiung von den napoleonischen Truppen und der Entwicklung des Kapitalismus in Deutschland konnte 1870 die staatliche Einheit herbeigeführt werden. Die Entwicklung Europas führte über den Imperialismus, die beiden Weltkriege, aber auch das Fanal der Oktoberrevolution in Rußland, den Weg des Sozialismus zu beschreiten, der auf unserem Kontinent in den 90er Jahren endete. Die heute wieder etablierte Kapitalherrschaft erweist sich als unfähig, die weltweiten Probleme zugunsten der Menschheit zu lösen. Mehr noch: Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse sind an einem Punkt angekommen, an dem die Existenz der Menschheit gefährdet ist. Deshalb ist Aufklärung nötig. Ziel derselben muß sein: Errichtung einer neuen Gesellschaft des Sozialismus!

Das erfordert: Unterstützung von Friedens-, antifaschistischen und antirassistischen Bewegungen, Proteste gegen Rüstungsproduktion, Verhinderung des Exports von Rüstungsgütern, Verbot und Vernichtung aller Kernwaffen, Widerstand gegen Kriegshandlungen aller NATO-Staaten, einschließlich der USA sowie der Bundesrepublik, Gegenwehr gegen den Abbau sozialer Errungenschaften, Verarmung, Naturzerstörung, religiöse Intoleranz und Kriege. Auf uns alle kommt es an!

Dr. Ehrenfried Pößneck, Dresden

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Brief aus Peru

In den vergangenen Wochen hat sich vieles getan. Ich habe mich recht gut eingelebt. Über vieles mache ich mir schon keine Gedanken mehr. Am Anfang fand ich die körperliche Nähe der Menschen in den vollgestopften Bussen im morgendlichen und auch abendlichen Berufsverkehr schon etwas eigenartig. Wenn zwischen die Leute kein Blatt Papier mehr paßt, scheint das aber normal und ist sicherlich eine Sache der Gewöhnung. Genauso geht es mir mit dem Wasserproblem. Es kann schon passieren, daß man früh morgens vor dem Waschbecken steht und den Wasserhahn vergeblich aufdreht. Aber auch das ist mittlerweile für mich zur Normalität geworden. Man wäscht sich eben zu Tageszeiten, zu denen es Wasser gibt.

Seit dem 24. Oktober bin ich in dem Kinderdorf "Yanapay" (das ist quechua und bedeutet: Hilf mir!). Wir unterstützen die Kinder bei den Hausaufgaben, spielen, singen und basteln mit ihnen. Auch gibt es einen täglichen Zirkel, in dem über wichtige Probleme gesprochen wird. In Yanapay gibt es zwei grundlegende Formen der Beschäftigung mit den Kindern.

Zum einen ist es die Werkstattarbeit, in der sich die Kinder mit ihren Fähigkeiten beweisen können. Ich betreue die Werkstatt "Arte", in der ich mit den Kindern male, zeichne und bastle. Das bedeutet für mich, daß ich für jeden Tag eine neue Idee brauche, welche die Kinder begeistert und die auch mit den wenigen Materialien, die uns zur Verfügung stehen, realisierbar ist. Papier und Stifte sind nicht das Problem. Ich bin fast zwei Wochen nach Holzkugeln herumgerannt und habe dann endlich welche aus Plastik bekommen. Für Ideen bin ich immer dankbar. Der zweite Teil besteht aus "Familienarbeit". Während sich die Kinder bei der Werkstattarbeit täglich aussuchen können, wohin sie gehen, sind die Familien feste Bestandteile in Yanapay. Ich bin in der Familie "Waira" (Wind). Wir sitzen in der letzten Stunde zusammen und spielen, singen oder quatschen auch nur miteinander. Es gibt hier nur eine Sache, die wir innerhalb der Familie über bzw. auf die Bühne bekommen müssen: Zum Wochenabschluß gibt es freitags immer eine kleine Show, in der jede der acht Familien ein kleines Programm zu einem bestimmten Thema aufführt. In einer ging es um Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, und wir haben uns mit Ghandi beschäftigt. Da die Kinder meinten, daß es eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit zwischen mir und Ghandi geben würde, haben sie darauf bestanden, daß ich ihn spiele. Es gab neben der Information aber auch viel Spaß für alle. Meine Kinder nennen mich hier Profe Harry, als Abkürzung für profesor, was Lehrer bedeutet.

Wir sind aber auch mit den Kindern gesellschaftlich aktiv. Zum Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen haben wir mit unseren Kindern eine Demo quer durch das Centrum von Cusco organisiert. Es war ein echter Erfolg. Die Polizei hat die Demo für uns abgesichert und einige Straßen gesperrt, was hier nicht selbstverständlich ist.

Am darauffolgenden Vormittag war ich bei einem Projekt, das leukämiekranke Kinder unterstützt. Der Leiter ist einer meiner Spanischlehrer. Es gab auf einem Platz in der Innenstadt ein großes Fest. Meine Aufgabe bestand darin Flyer zu falten und zu verteilen. Die Leute waren interessiert und haben die Flyer nicht gleich weggeworfen. Ich habe auch einige der Kinder kennengelernt. Sie sind so natürlich und lebensfroh, obwohl sie wissen, wie es um sie steht. Das hätte ich mir in meiner Jugend auch nicht träumen lassen, daß ich mal in Peru auf einem Marktplatz stehen würde, um Handzettel zu verteilen. Alles neue Erfahrungen!

In den Vormittagsstunden gehe ich weiterhin in die Sprachschule. Meine Umgebung meint zwar, daß sich mein Spanisch in den letzten Wochen sehr verbessert hat, aber so richtig zufrieden werde ich erst sein, wenn ich mich mit "meinen" Kindern flüssig unterhalten und sie auch problemlos verstehen kann. Aus diesem Grund bin ich jetzt auch auf Einzelunterricht umgestiegen.

Die Wochenenden nutze ich überwiegend für Ausflüge. Ende Oktober gab es Abenteuer pur, als ich mich mit einer Gruppe in den Regenwald um Puerto Maldonado begeben habe. Wir haben dort zwei Nächte in Zelten am Rio de las Pierdras verbracht. Die Natur ist einmalig, und die Eindrücke werden wohl lange in Erinnerung bleiben. An Tieren haben wir allerdings nicht so viel gesehen. Überwiegend gab es Schmetterlinge zu beobachten. Dafür gab es aber Moskitos zuhauf. Eine Woche lang nervten mich gefühlte 1000 Moskitostiche.

Anfang November habe ich mich auf eine ebenfalls besondere Tour begeben. Es ging in die Montañas de siete colores (Berge der sieben Farben). Das Wetter hat mitgespielt, wenn auch die Sonne in den Nachmittagsstunden erbarmungslos gebrannt hat. Laut Ausführungen des Guias haben wir eine Höhe von 5033 Metern bezwungen. Diese Tour ist noch nicht so bekannt. Selbst wenn es ein paar Meter weniger gewesen sein sollten, war es für mich ein neuer Rekord, und für die Strapazen wurde man mit einer einmaligen Aussicht belohnt. Zusätzlich hatten wir auch einen tollen Ausblick auf den schneebedeckten Ausangate mit seinen 6389 Metern. Daß die Luft in diesen Höhen wirklich so dünn ist, habe ich aber erst kurz vor dem Ziel bemerkt. Auf dem letzten Kilometer hat der Körper nicht mehr das getan, was der Geist von ihm verlangte. Es war schon merkwürdig, daß ich meine Beine nur noch im Zeitlupentempo bewegen konnte.

Bereut habe ich diese Tour aber auf keinen Fall. Ein Wochenende später war ich in einem Dorf, dessen Name - Andahuaylillas - mehr Buchstaben beinhaltet, als es Straßen hat. Aber die Natur der Umgebung ist faszinierend.

Wir sind momentan eine Truppe aus fünfzehn Freiwilligen, buntgemischt aus allen Teilen der Erde: Spanien, Mexiko, USA, Italien, Belgien und ich als einziger Germane und älterer Herr mittendrin. Schade ist, daß die meisten der Volontäre nur für ein paar Wochen hier sind.

Wettermäßig sah es bis Anfang Dezember richtig toll aus. Wir hatten den "veranito", den kleinen Sommer, mit Temperaturen bis etwa 24 Grad, leicht bewölktem Himmel und einer leichten Brise - also Sonnenbrandwetter. Diese Phase ist aber endgültig vorbei, und die Regenzeit hat begonnen. Bis zum Mittag geht es so einigermaßen mit wechselnd bewölktem Himmel bei Temperaturen zwischen 15 und 18 Grad. Nachmittags werden aber bis in die Nachtstunden hinein alle Schleusen geöffnet. Das soll wohl bis Anfang März so bleiben. Für Ende März plane ich, den Camino de Inka zu bewältigen. Das wird ebenfalls ein großes Abenteuer werden.

Harry Lange, z. Zt. Cusco

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Stimmen aus aller Welt über die DDR (Folge 8)

Solange der sozialistische deutsche Staat, die DDR, existierte, haben sich immer wieder Persönlichkeiten aus der ganzen Welt bei oder nach Besuchen über die DDR geäußert. Zum 30. Jahrestag am 7. Oktober 1979 hat die Auslandspresseagentur Panorama DDR über hundert solcher Stellungnahmen in einem Buch vereint. Entstanden ist so ein Mosaik persönlicher Erfahrungen und Erkenntnisse, die jeweils ein Stück gesellschaftlicher Wirklichkeit widerspiegeln. Stellvertretend für die anderen werden wir in den nächsten Monaten einige dieser Äußerungen veröffentlichen; Älteren zur Erinnerung, Jüngeren zur Verdeutlichung dessen, was die DDR für die Welt - und für uns - war.


Prof. Hugo Huppert (1902-1982)

Schriftsteller, Österreich

Was mich mit der DDR verbindet, ist eine zunächst rein menschliche Angelegenheit. Gerade im deutschsprachigen Raum war vieles im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte so ganz und gar nicht in Ordnung. Es führte dazu, daß sich im Herzen Europas etwas entwickelte, was an mögliche Angstträume früherer Generationen reichte, nämlich eine Gangsterwelt von Menschenfeinden, die die Macht ergriff über die Menschenfreunde. Diese Formulierung ist sicher keine politisch absolut einwandfreie Umschreibung des deutschen Nationalsozialismus, des Naziwesens, des Hitlertums. Ich will nur sagen, daß dies tatsächlich etwas gemein hatte mit Angstträumen der Menschheit. Nun ist dieser Angsttraum überwunden - furchtbarste Menschenopfer, sowohl bei den Überfallenen und vergewaltigten Völkern als auch beim deutschen Volk sind zu beklagen. Neu ist die Gründung einer Staatsmacht, eines Staatswesens deutscher Zunge, das ganz frei ist von allen Formen des Nationalismus, die zum imperialistischen Faschismus geführt haben. Diese ungeheuer wichtige Neuerscheinung im Geschichtsbild Europas gibt mir Stoff nicht nur zum Nachdenken, sondern auch zum Schreiben. Was mich heute am meisten bewegt, wenn ich den Boden dieses Staates betrete? Ich könnte nicht sagen, daß die Menschen anders aussehen oder sich anders kleiden als in anderen Ländern, aber ihr Verhältnis untereinander bis hin zu den Beziehungen in der Produktion und zwischen Stadt und Land ist für mich so auffallend anders, daß ich sage, der Sozialismus hat nicht nur das Gesicht, er hat das Profil des Menschen verändert. Die entwickelte sozialistische Gesellschaft tritt uns hier auch in der Familie entgegen; sogar in den Zusammenhängen, den Widersprüchen und Ausgleichshandlungen zwischen den Generationen, die heute leben und arbeiten in diesem Land, entdecke ich immer neue Züge. Ich stelle fest, daß sich zwischen Eltern und Kindern, zwischen Geschwistern und Kollegen ein objektiv gerechteres Verhältnis einlebt und einbürgert, als es heute in den kapitalistischen Ländern zu beobachten ist. Es ist ein Aufstieg. Dieses Wort umfaßt auch die kulturelle Entwicklung bis hinein in die Psyche der Menschen, die sich Bürger der DDR nennen. Der Stolz auf diese Entwicklung, die Sicherheit, die sie haben vor schweren wirtschaftlichen und sozialen Krisen, die andere Länder heute durchmachen, fällt dem ausländischen Besucher hier sofort ins Auge.


Ion Popescu Gopo (1923-1989)

Trickfilmregisseur

Von früher Kindheit an haben mich die schönen deutschen Märchen gefesselt. Meine Phantasie trug mich durch hohe Tannenwälder voll von legendären Helden in eine Welt, in der die gute Tat immer ihre Belohnung fand. Gemeinsam mit meinem Vater habe ich mir viele deutsche Filme angeschaut. Zutiefst war ich von Murnaus "Faust" beeindruckt, und das Nachdenken darüber brachte mich viel später dazu, einen Film "Faust im 20. Jahrhundert" zu machen. Faust und den Spuren Goethes galt auch meine erste Reise in die DDR.

Ich war zum Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmfestival eingeladen worden. Gleich am ersten Abend speisten wir in Auerbachs Keller, und meine Gastgeber zeigten mir den Ort, wo der große Goethe die Anregungen für das bedeutendste Werk aller Zeiten empfing. Erinnerungen wühlten mich auf, Gelesenes kam mir in den Sinn. Über alles diskutierte ich mit den Filmschöpfern aus der DDR, und mein großer Kummer war, daß ich dazu einen Dolmetscher brauchte. Dieser erste Eindruck, dieser unmittelbare Kontakt mit Leipzig, den Künstlern, mit der unermeßlichen Kultur der Vergangenheit, auf die sich die Leidenschaft und Hingabe der Gegenwart gründet, wurde mir bei allen meinen Besuchen in der Deutschen Demokratischen Republik immer wieder bestätigt. Voller Anerkennung betrachte ich heute die Bauten, die neuen Industriekomplexe, den allgemeinen Fortschritt des Volkes. In jeder Stadt, jeder Familie, die ich besucht habe, werden die Erfolge sichtbar, die dieses fleißige Volk erzielt hat. Als Mann des Films, von Haus aus bildender Künstler, sehe ich bewundernd den Aufschwung der Künste, die Museen in Leipzig, die Gemäldegalerie in Dresden, die Ausstellungen im Palast der Republik.

Viele Beobachtungen aus der DDR stehen in meinen Notizbüchern und sehr viele Zeichnungen: Bilder von Menschen auf der Straße, in Parks, Mütter mit rotbackigen Kindern, hochgewachsene Jugendliche, Sportler. Ich weiß, glaube ich, viel über die Kunst und Kultur des deutschen Volkes, und dennoch, jedesmal wenn ich die DDR besuche, entdecke ich wieder Neues, weil es eine sich ständig erneuernde, im unaufhaltsamen Wachstum begriffene Gesellschaft ist.

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Zeitzeugen zum 17. Juni

Napoleon meinte: "Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat." Jedoch der 17. Juni 1953 in der DDR ist geradezu das Exempel für Uneinigkeit, Zwietracht und Parteiengezeter der Historienschreiber, insbesondere der des deutschen Westens contra Osten, dazu noch der untereinander hier wie dort. Wenn schon keine der verzerrten, vorgefaßten und meist politisch zweckgebundenen Sichten und Urteile im Laufe der vergangenen Jahrzehnte die Oberhand gewann, so mußte erst recht die Wahrheit bei der gegenwärtigen Rechthaberei der "Sieger" auf der Strecke bleiben.

In diesem Buch wird der Versuch gemacht, wenigstens einiges von den Tatsachen festzuhalten, in letzter Stunde vielleicht, denn viele der Frauen und Männer, die von den damaligen Ereignissen aus eigenem Erleben zu berichten wissen, sind im hohen Alter oder - wie einer der wichtigsten Zeitzeugen: Arnold Eisensee - bereits tot. Der Schriftsteller Eisensee, zu jener Zeit Leiter des Funkstudios des Nationalen Aufbauwerkes der Stalinallee, hat bis zuletzt jenen Geschehnissen und Dutzenden der Beteiligten, den Bauarbeitern, Gewerkschaftern und Funktionären nachgespürt und ihre Aussagen protokolliert. Er hat damit ein wahrlich sensationelles Dokument, seine hier postum veröffentlichten Notizen "Funkstudio Stalinallee", hinterlassen. Auch alle weiteren Berichte dieses Bandes aus zahlreichen Städten und Ortschaften der DDR (Wismar, Greifswald, Rostock, Lauscha, Suhl, Weimar, Jena, Leipzig, Dresden, Görlitz, Lauchhammer, Spremberg, Wolfen, Eisenhüttenstadt, Magdeburg, Halle, Brandenburg, Hennigsdorf u. v. a.) sind die verbürgten Erinnerungen an jene dramatischen Junitage von Menschen der verschiedensten Herkunft, der Berufe, Funktionen und der politischen Standpunkte, die damals an Ort und Stelle waren.

Wenn eines Tages die wirkliche Geschichte des 17. Juni 1953 geschrieben wird und sie mehr als die Einigung auf eine oder viele Lügen sein soll, dann dürfte sie kaum an diesen hier vorgelegten authentischen Erinnerungen vorübergehen können.

Eberhard Panitz


Unabhängige Autorengemeinschaft "So habe ich das erlebt": Spurensicherung. Zeitzeugen zum 17. Juni 1953. GNN-Verlag, Schkeuditz 1999. 368 S., zahlreiche Abbildungen. Restexemplare für 10 € direkt beim GNN-Verlag, Badeweg 1, 04435 Schkeuditz, Telefon: 034204-65711, www.gnnverlag.de, E-Mail: zentrale@gnnverlag.de

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

In meinem Leben als erwachsene Frau gab es eine lange Zeit, in der ich mir, wie ein persönliches Yoga, auferlegt hatte: Niederlagen gibt es, aber aus diesem Liegen muß ein Auferstehen folgen, das eine neue Erkenntnis mit sich bringt wie einen blumengeschmückten Hut. Und danach muß man sich dann eben richten. Man kann das lernen, auch als Weib: Schläge zu ahnen, sie abzuschwächen und reifer aus aller Unbill hervorzugehen. Das nennt man dann Lebenskunst, und die Erfahrung muß jonglieren zwischen Anpassung und Widerstehen. Zumal einem als weibliche Person, mit zwei Füßen auf der Erde und immerhin so wirkend, als habe man zwei rechte Hände, Bemerkungen zuteil werden wie "Ja, ihr habt's leichter gehabt, weil ihr es schwerer gehabt habt". Das klingt nahezu wie Neid auf den Hunger und die Kälte im Winter '46 oder die Aufbaujahre, die für jede Familie ihre Einschränkungen bereithielten. Ja, wir hatten irgendwann eine Wohnung mit Fernheizung, in der Küche nach und nach bezahlbare Geräte, die das Leben erleichterten. Aber das meinen die Stimmen nicht, in denen der wehmütige Neid aufklingt: "Du hast die ja alle noch gekannt." Ja, ich habe sie noch gekannt. Jene unvergessenen Persönlichkeiten, unter denen sich die Lehrer fürs eigene selbständige Dasein fanden. Ja, ich habe sie noch gekannt, und keinen von ihnen vergessen. Das ist der Vorteil des Alters. Das Sieb im unzulänglichen Hirn wird nicht gröber, sondern feinmaschiger. Wer waren sie? Sie hatten nicht nur überlebt, sie waren auch alle immer noch in ihre Lebensarbeit vertieft. Sie suchten noch Austausch und Streit über sehr umfängliche Probleme, Lösungen auf dem Weg. Es ging ja um "Nie wieder", um den Umgang mit Politik und ihren Anteil an Kultur, und so waren sie bereit zu Austausch und Streit.

Ich sehe sie vor mir. In den Räumen, in denen man sich traf, um zu debattieren, einander zu widersprechen oder ähnlichen Sinnes zu sein. Sie waren nicht vorsichtig, wenn auch, so glaube ich mich zu erinnern, an schwierigen, nicht gleich zu beschwichtigenden Streitpunkten doch manchmal unvermittelt zurückgehalten, vielleicht erkannten sie aus Erfahrungen entstandene Signale früher als wir. Wir, die Nachdrängenden. Ich denke an Jeanne und Kurt Stern, die immer nur zu zweit antraten, oder Henryk Keisch. Oder meine Freundin Eva, die das "Haus der schweren Tore" überlebt hatte. Ja, ich habe sie gekannt. Jene mit dem geretteten Wissen und den Plänen zum Bessermachen. Auch Anna Seghers, deren Unterschrift aus dem Jahr 1962 meinen Eintritt in den Schriftstellerverband besiegelte.

Unvergeßlich, was mir Peter Edel mit auf den Weg gegeben hat. Und ja, ich hatte das Glück, den Jossel Wander zu kennen. Und ich bin manchmal erstaunt, wie wenig man doch vergißt. Was mich so tief beeindruckt hat, das war die Kraft, die auf schwerstem Lebensweg überlebt hatte, und sich dann im scheinbar leichteren Dasein immer noch erhielt. Sie wurde auch neu gebraucht. Als die Ärzte Peter Edel nur noch ein paar Wochen Lebensatem zugestanden, hat er fünf Jahre Leben und Arbeit drangehängt.

Wir können uns daran nicht messen. Weder am Grad der Auferlegung noch an der Leistung, mit ihr umzugehen. Heißt das, wir hätten eigentlich allen Grund, die Erleichterungen in unserem Leben als eine Art Befreiung anzusehen? Ich wollte gern glauben, daß "bei uns" Unerträglichkeiten eigentlich ziemlich selten sind. Daß es doch "bei uns" keine antagonistischen Widersprüche mehr gibt.

Aber das ist nicht die Wahrheit. Am Morgen stehe ich auf - geübt ist geübt! - und stelle mich darauf ein, die neue Unerträglichkeit zu den alten zu fügen. Und wieder und wieder damit fertig zu werden, daß es sie gibt. Mit manchen ist das möglich, denn da sind die Merkmale deutlich. Neues daran wird verstaut, vielleicht unbesehen weggesteckt. Aber die Schläge kommen dichter und treffen besser. Wer waren wir, wer waren wir auch? Ich erinnere mich, daß wir Rosen für Angela geschickt haben, und es war uns nicht peinlich, konnte uns nicht aufhalten, wenn mancher etwas von Kitsch murmelte. Ich hatte das Glück, Angela Davis zweimal zu erleben. Zwischen der ersten und der zweiten Begegnung lagen fünfundzwanzig Jahre. Und sie hat noch immer darüber gesprochen, was ihr unsere Solidarität bedeutete. Warst du damals dabei? Hast auch du irgend etwas tun wollen oder getan für die fünf kubanischen Opfer der amerikanischen Justiz? Sind dir die Tränen gekommen, als sie befreit wurden? Scheint es mir so, oder läßt das Bemühen um Mumia Abu-Jamal nach? Er ist nicht mehr in der Todeszelle, schwer krank, jeden Tag und vermutlich unschuldig in strenger Haft.

Oder denken wir an eine andere Gefangene, ihr Name ist Aslι Erdogan. Sie schreibt in einem aus ihrer Zelle geschmuggelten Brief an die "Süddeutsche Zeitung": "Gefängnisalltag ... Stacheldraht, Zellen, Schlösser, Handschellen - das alles ... läßt die Angehörigen der Insassen erschauern. Aber 'die da drin' gewöhnen sich schnell an solche Details ... Woran man sich aber nicht gewöhnt, ist die Kälte ­... (sind) diese Autos, mit denen Gefangene transportiert werden (sie erinnern mich an Särge)." Sie schreibt weiter: "Willkür, Mobbing, Rechtlosigkeit bestimmen unser Leben." Aslι vegetiert seit über drei Monaten unschuldig in einem türkischen Gefängnis. Ihr wird Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft fordert lebenslängliche Haft unter verschärften Bedingungen. Diese Frau zählt zu den bekanntesten türkischen Schriftstellerinnen, sie leidet an Diabetes und Asthma. Nach dem mißglückten Putsch wurde sie verhaftet. Aslι Erdogan gehörte zum Beirat der inzwischen geschlossenen Zeitung "Özgür Gündem", einem symbolischen Gremium.

Der Brief enthält Namen von Persönlichkeiten wie Ragip Zarakolu, der für den Friedensnobelpreis im Gespräch war, und den der Sprachwissenschaftlerin Alpay. Ich sehe das Gesicht von Aslι auf dem Foto. Sie sieht mich nicht an. Wohin ihr Blick geht, kann ich nicht erkennen. Aber er trifft mich in der Seele, dort, wo sie empfindlich geblieben ist. So empfindlich wie am Anfang aller Bemühung, aus dem Leben ein sinnvolles Ganzes zu machen, mehr als für die eigenen Bedürfnisse nötig war.

Der Versuch, sich nicht mit falschen Entrüstungen aufzuhalten, Gelassenheit zur Leidenschaft zu fügen, muß immer wieder erneuert werden. Vielleicht kann sich niemand schützen vor der Erkenntnis, daß es zunehmend antagonistische Widersprüche gibt. Es gibt sie. Waren Moskau und Berlin je liebevolle Schwestern?

Ich möchte trotz aller Anfechtungen, die ich ringsum sehe und selber in Kauf nehmen muß, nie aufhören, daran zu glauben, daß es sich lohnt, mehr zu tun, als man für sich braucht. Und jene Kraft, von der ich immer noch zehren kann, weil ich sie gesehen und erlebt habe, jene bewundernswerte Kraft, die in Spanien oder im Versteck oder im fernen, unheimatlichen Land noch lebte, noch aufmuckte, noch Pläne schmiedete für eine Art Rückkehr, die will ich nicht aufgeben. Ob es von jedem Punkt des Schmerzes aus eine Heimkehr gibt, darüber rede ich mit Freunden, die ich zum Glück heute kenne, und vor denen ich Respekt habe. Respekt so wie damals.

Wo wär denn Heimat
wenn sich keins ums andre schert
wo bleibt Vertrauen
wenn sich keins mehr wirklich wehrt
was bleibt von Heimat
wenn der große Besen kehrt
was bleibt von Heimat
wenn sie keine Liebe lehrt
was bleibt dann von Heimat

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LESERBRIEFE

Mit Empörung mußten wir zur Kenntnis nehmen, daß im November 2016 auf dem Suhler Hauptfriedhof eine Gedenktafel für "Suhler Bürger" angebracht wurde. Der Text lautet: "Die Stadt Suhl gedenkt der Bürger ihrer Stadt, die im sowjetischen Speziallager Nr. 2 Buchenwald und in anderen Lagern der Alliierten unschuldig gelitten haben oder zu Tode gekommen sind."
Im Lagerjournal, das sich im Archiv der Gedenkstätte Buchenwald befindet, ist nachzulesen: Es handelte sich um Blockleiter, Zellenleiter, aktive Mitglieder der NSDAP, Mitarbeiter der Gestapo, SS- und SA-Aktivisten und Polizisten. Als Block- und Zellenleiter waren sie auf Hitler vereidigt und lieferten Juden und Antifaschisten der Gestapo aus. Der Oberbürgermeister der Stadt Suhl Dr. Jens Triebel aber meint: "... auch Letztere haben nun ... mit einer eigenen Gedenktafel am Suhler Ehrenmal eine Erinnerungsstätte gefunden, was richtig ist und längst überfällig war."
Diese Worte entsprechen dem Zeitgeist und der Haltung derer, die diese verspätete Ehrung von Nazis am "Volkstrauertag" im Jahr 2016 wollten.

Jochen Traut, Suhl


Einige ergänzende Bemerkungen zu Horst Schneiders Beitrag "NATO-Kriegsbotschaft aus Warschau" im November-"RotFuchs": Aus meiner Sicht gab es 1990 keine historische Chance zum Frieden. Der Warschauer Vertrag wurde nach Gründung der aggressiven NATO abgeschlossen. Die Vertreter dieses Paktes sahen nun die "historische Chance", ihre Macht auszudehnen. Zunächst hatten sie leichtes Spiel, da Gorbatschow und Jelzin die Sowjetunion und Rußland an den Westen auslieferten. Für diese Zeit kann man vielleicht wirklich davon sprechen, daß der kalte Krieg für kurze Zeit ausgesetzt wurde. Aber die Rückkehr erfolgte nicht erst mit den Warschauer Entscheidungen 2016, sondern bereits, als Putin dem aggressiven Vorgehen der NATO Widerstand entgegensetzte. Jetzt droht der heiße Krieg.
Dem Befehlshaber der NATO-Truppen in Litauen sollte zumindest klargemacht werden, daß auf den von Goebbels ausgerufenen totalen Krieg die totale Niederlage folgte. Bismarck wollte wirklich den Draht nach Petersburg nicht abreißen lassen. Aber bei dem gemeinsamen Papier von SED und SPD in den achtziger Jahren hatte ich schon damals meine Zweifel, daß der Imperialismus von sich aus friedensfähig ist Er wurde durch die militärische Macht der Sowjetunion mindestens in Europa dazu gezwungen.
"Das Unbehagen in der Demokratie" von Theodor Weißenborn (ebenfalls November-RF) teile ich. Demokratie heißt Volksherrschaft. Und wenn vor einiger Zeit eine Losung in der Nähe des Reichstages lautete: "400 Meter weiter herrscht das Volk!", dann habe ich das nur als Witz angesehen. Um bei Marx anzuknüpfen, leben wir aus meiner Sicht in einer mit parlamentarischen Mitteln verbrämten Diktatur des Finanzkapitals. Es ist sicher noch nicht ganz so schlimm wie in den USA, wo die letzte Wahlfarce noch einmal besonders deutlich gemacht hat, daß hier nur Präsident werden kann, wer Milliardär oder zumindest Multimillionär ist, beziehungsweise von solchen Leuten gesponsert wird. Andere, wie Sanders, hatten keine echte Chance. Durch die mit Unsummen betriebene Wahlpropaganda hatten die Wähler mit Clinton und Trump letztlich nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Das hinterwäldlerische System der Wahlmänner hat dann dazu geführt, daß mit Trump einer gewonnen hat, der weniger Stimmen erhielt als seine Konkurrentin.
Für die Herrschenden - verfälschend häufig "politische Klasse" genannt, als ob die anderen unpolitisch wären - ist die bürgerliche Demokratie immer noch die beste Form zur Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse. Als 1932 die Kommunisten - auch bei Wahlen - immer stärker wurden, fürchteten Konzernherren und Banker um ihre Macht und schoben Hitler und seine Partei in die Regierungsfunktion. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler erfolgte durchaus noch nach den Spielregeln der bürgerlichen Demokratie. Die NSDAP hatte bei den Wahlen 1932 die meisten Stimmen erhalten. Die parlamentarische Zweidrittelmehrheit für das Ermächtigungsgesetz konnte aber dann nur dadurch erreicht werden, daß die Stimmen für die KPD annulliert wurden. Da reichte es nicht, daß die Sozialdemokraten gegen das Gesetz waren. Der Athener Stadtstaat gilt als Begründer der Demokratie. Aber es war eine Sklavenhaltergesellschaft. Als ich die Meinung vertrat, Demokratie, also Volksherrschaft, habe es letztmalig in der Urgesellschaft gegeben, wurde mir entgegengehalten, daß auch da - zumindest in den letzten Perioden, bereits das Recht des Stärkeren galt ...

Dr. Kurt Laser, Berlin


In diesem Jahr erinnern wir und die ganze fortschrittliche Welt an die Große Sozialistische Oktoberrevolution in Rußland 1917! An ihrem Beginn stand das berühmte "Dekret über den Frieden", das alle kriegsbeteiligten imperialistischen Staaten und alle Menschen aufrief, dem bisher schlimmsten aller Kriege endlich ein Ende zu machen.
"O großer Oktober der Arbeiterklasse ..." schrieb der Dichter Bertolt Brecht im antifaschistischen Exil 1937 - "Endliches Sichaufrichten der so lange Niedergebeugten ..."
Wir Nachgeborenen hatten das Glück, eine ausbeutungsfreie Gesellschaft im Osten Deutschlands erlebt zu haben.
Einer meiner besten Freunde weilte vor 60 Jahren in Moskau bei den Weltfestspielen der Jugend und Studenten. Tausende Jugendliche kamen von allen Kontinenten, sangen, lasen, diskutierten, tanzten und schlossen Freundschaften. "Wo auch immer wir wohnen, unser Glück auf dem Frieden beruht ..." Wie oft haben wir dieses Weltjugendlied gesungen! In vielen Sprachen. Walther Victor (1895-1971) schrieb zum Welttreffen ein Lied (Text siehe S. 32 rechts unten), das Joachim Werzlau vertonte. Es ist angesichts der gegenwärtig geschürten Russophobie immer noch sehr aktuell.

Werner Voigt, Kromsdorf


Der Artikel in der Dezember-Ausgabe des RF "Wozu Dopingvorwürfe instrumentalisiert werden" regt mich an, nochmals zum Boykott der Olympischen Spiele von Moskau 1980 Stellung zu nehmen.
Heute bin ich in Zorn, seinerzeit die Entwicklung eines Kampffeldes der USA gegen den Sozialismus nicht erkannt zu haben, die unmittelbar mit dem Sieg verbunden war, den das "stolze, entschlossene und großartige Amerika" den sowjetischen und DDR-Sportlern überlassen mußte. Dieser Boykott hatte politische Ursachen. Er war Bestandteil des kalten Krieges und unmittelbar Ausdruck der Rolle und Bedeutung des Sports für die Politik in den Ländern der westlichen Welt.
Blicken wir noch einmal auf die historischen Fakten: Im Dezember 1979 begann die Stationierung sowjetischer Truppen in Afghanistan. Doch der Boykott der Spiele war kein Protest gegen diese Maßnahme, sondern Mittel der Diskreditierung des sozialpolitischen Systems des Sozialismus und Methode zur Verhinderung von Positionsverlusten des Kapitalismus. Der "Generalangriff" auf die Spiele von Moskau begann mit dem Fernsehauftritt von US-Präsident Carter am 4. Januar 1980 und der Übernahme seiner Verantwortung für den Boykott am 23. Januar 1980. Er war, schrieb seinerzeit der amtierende IOC-Präsident Michael Morris (Lord Killanin), aus tiefen innenpolitischen Ursachen notwendig.
Mit dem Beginn der Anwesenheit sowjetischer Truppen in Afghanistan begann "die offene Aggression" gegen Olympia 1980 in Moskau. Am 22. Januar 1980 stimmte die BRD-CDU einem Boykott zu. Die USA erklärten die Ablehnung des Boykotts als "Angriff gegen ihre nationale Sicherheit". Am 12. Januar 1980 nahm das NOK der USA einen Beschluß über die Nichtteilname der Olympia-Mannschaft an.
Das große politische Spiel mit der Idee des Sports endete für mich schließlich in einem "freien" Sportverein, in dem ich als Trainer und Übungsleiter die Souveränität und Würde des Menschen, seine Fähigkeiten verteidigte.

Manfred Wozniak, Erfurt


Werner Gericke hat in seinem Beitrag in der Dezember-Ausgabe des "RotFuchs" die Einsatzorte der Bundeswehr Deutschlands nach 1990 dargelegt. Wiederholt wird in TV-Sendungen verkündet, daß auch die Bundesrepublik innerhalb des NATO-Bündnisses für die Lösung von Konflikten im internationalen Rahmen mitverantwortlich sei. Demzufolge gehört dazu auch die Teilnahme an militärischen Einsätzen. Kriege sind schließlich die Fortsetzung der Politik eines Staates oder einer Staatengemeinschaft mit gewaltsamen Mitteln.
Viel schon wurde über die Schrecknisse des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren geschrieben, u. a. auch in dem von den Nazis verbotenen Antikriegsbuch "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque.
Die nationale und internationale Entwicklung im jetzigen Jahrhundert ist beängstigend und läßt eine Wiederholung der Geschichte befürchten.

Dr. Hermann Berlin, Berlin


Denke ich an die Ukraine, dann ist mir immer ihre bedeutende Rolle im Großen Vaterländischen Krieg als eine der wichtigsten souveränen Unionsrepubliken der UdSSR bewußt. Nicht zuletzt deswegen wurde ihr der Status eines Mitglieds der Vereinten Nationen verliehen. Wenn Nikita Chruschtschow - ob mit oder ohne Beschlußfassung des Obersten Sowjets - die Ukraine mit der Krim "beschenkte", so war und bleibt das eine Handlung innerhalb der UdSSR und für eine Republik der UdSSR. Doch die Verhältnisse haben sich so grundsätzlich verändert, daß die Ukraine auch infolge ihrer inneren politischen Spaltung und der nachweislichen Aktivitäten von Neofaschisten jeglichen Anspruch auf "Geschenke" dieser Art verloren hat. Der russische Präsident Putin kann gar nicht anders, als die feste Bindung der Krim an Rußland für unabänderlich zu deklarieren. Die sich zuspitzende Situation in der Ostukraine war seit langem bekannt. Einschränkungen im Gebrauch der russischen Sprache und andere diskriminierende und demütigende Festlegungen gegenüber der russisch sprechenden Bevölkerung gab es genügend. Der Sturz des mit Rußland sympathisierenden Präsidenten war nicht nur undurchsichtig, sondern erschien ferngelenkt. Aus berufenem Munde von ukrainischen Politikern waren nicht selten Haßreden gegenüber Rußland zu hören. Das Interesse Rußlands an einer Stabilität seiner Grenzen müssen auch die NATO und die Europäischen Union zur Kenntnis nehmen. Seit Jahren hat Rußland durch seine Repräsentanten auf der jährlichen Sicherheitskonferenz in München seine Befindlichkeiten, Bedenken und berechtigten Wünsche vorgetragen. Doch immer ohne Erfolg. Die russische Regierung wurde erst dann über Festlegungen informiert, wenn sie bereits getroffen waren, und nie in die Entscheidungsfindung auf Augenhöhe einbezogen. Wen wundert es da, wenn Putin auf die eigene Kraft setzt? Erneut angedrohte Sanktionen gegen Rußland vertiefen die Spannungen und schaden zudem selbst dem Wirtschaftswachstum in Deutschland.

Dr. Wilfried Meißner, Chemnitz


Die durch die USA und NATO heraufbeschworene und wachsende Kriegsgefahr soll als "Normalität" in unser Alltagsbewußtsein Eingang finden. Dazu wird die These vom "Krieg als Naturgesetz" wieder aus der Mottenkiste des Militarismus hervorgeholt und aufgewärmt.
In US-Führungskreisen soll die Auffassung kursieren, daß der Krieg seinen Ursprung in einem Grundinstinkt des Menschen habe. Er basiere auf einem natürlichen Trieb, der genetisch und unabwendbar im Menschen angesiedelt sei. Folgt man dieser Logik, dann wäre der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki nichts weiter als eine triebhafte und daher entschuldbare Handlung der USA gewesen, dann ist der Aufmarsch der NATO gen Osten naturgegeben und von Genen gesteuert?
Tragen wir wirklich so eine Art Ur-Instinkt in uns, eine Triebkraft, die uns veranlaßt, selbst dem friedlichsten Nachbarn seine Ruhe nicht zu gönnen? Gibt es eine "angeborene" Kriegslust des Menschen? Es ist ein Naturgesetz, daß sich alle Lebewesen im und durch den Kampf um ihr Dasein entwickeln. Das bedeutet ständige Anstrengung, sich in der gegebenen Umwelt zu behaupten bzw. sich ihr anzupassen, was Gewaltanwendung einschließt. Die Wissenschaft bezeichnet diesen Prozeß als "Evolution" (Darwin) oder "Dialektik der Natur" (Engels). Dieser Prozeß kann durch nichts und niemanden außer Kraft gesetzt werden. Doch welche Formen des "Kampf-Gens" angesprochen und aktiviert werden, hängt von der Umwelt ab, von den gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen der Mensch lebt.
Unter dem Vorwand der Sicherheit, des Schutzes vor Terror und ausländischen Feinden sollen wir bereitgemacht werden für die Aufrüstung von Militär und Polizei, für ihren Einsatz im Ausland wie im Inland. Wer sich nicht manipulieren lassen will, wer nicht - wie viele unserer Eltern und Großeltern - zum Mitläufer einer Kriegspolitik werden will, wer nicht will, daß unsere Kinder und Enkel zum "Kanonenfutter" von NATO-Generälen werden, der muß sie wachrütteln. Der Krieg ist kein Gesetz der Natur. Er wird von Menschen gemacht!

Wolfgang Giensch, Neubrandenburg

Ich habe an der am 8. Oktober 2016 in Berlin durchgeführten Friedensdemonstration teilgenommen, die aber in Magdeburg kaum bekannt gemacht worden war. Weder wurden linke Gruppen aktiv, noch war ein Wort in der "überparteilichen" Presse zu finden. Zur großen Irak-Demonstration 2003 fuhren sogar Busse nach Berlin. Dennoch war es ein guter Anfang, nachdem die einst große Friedensbewegung eingeschlafen schien. Mit großer Aufmerksamkeit habe ich die Berichterstattung in den Medien verfolgt. Der rbb hatte ein paar Minuten übrig. Für die bundesweite Veranstaltung fand man in den ZDF- und ARD-Hauptnachrichten keinen Platz. Das "neue deutschland" berichtete so konfus, daß es einen jammerte. Lediglich die "junge Welt" spiegelte die Realität wider. Ich weiß nicht, ob Berliner Lokalzeitungen der Veranstaltung ein paar Zeilen widmeten ... Angesichts der vielen Brandherde in der Welt hätte ich mir ein größeres Echo erhofft!

Joachim Kirmis, Magdeburg


Die Partei Die Linke realisierte ein Projekt unter dem Titel "Wir sind alles Linke". Und wir, meine Frau und ich, heißen nicht nur Linke, sondern sind auch links. Deshalb haben wir uns mit einem eigenen Beitrag beteiligt.
Die Linkspartei hat gegenwärtig etwa 59.000 Mitglieder, davon 21 mit dem Namen Linke. Wir verhehlen nicht, daß uns das ein wenig stolz macht. Unser Alter beträgt zusammen 173 Jahre. Der Kardiologe hat festgestellt, daß unsere Herzen in dieser langen Zeit etwa sechs Milliarden Mal geschlagen haben. Wieviel linkes Herzblut dabei geflossen ist, kann jedoch auch der beste Arzt mit der neuesten Technik nicht diagnostizieren.
Vier Gesellschaftssysteme haben wir kennengelernt. Das Trauma von Faschismus und Krieg, die durchlebten Bombennächte, das Inferno unserer brennenden Heimatstadt Magdeburg - all das ließ uns nicht resignieren, sondern beflügelte uns zu einem Neuaufbau. Die Ärmel hochgekrempelt, und unter der Losung "Freie Deutsche Jugend, bau auf!" haben wir etwas völlig Neues geschaffen.
Vierzig Jahre habe ich in der Uniform unseres Arbeiter-und-Bauern-Staates gedient. In der Zeit des kalten Krieges war der Frieden fragil. Aber im sozialistischen Staatenverbund, Schulter an Schulter mit den sowjetischen Waffenbrüdern, gelang es, der Welt den Frieden zu erhalten. Der Dienstweg führte uns an viele Wohnorte, Seite an Seite mit meiner Frau und den Kindern. Zusammen sind wir beide nun schon 123 Jahre Mitglied unserer Partei. Sie hat mehrfach ihren Namen geändert. Nie dachten wir an einen Austritt. Denn wie eh und je ist es das Ziel, eine sozialistische Gesellschaft zu errichten. Wenn unser Ministerpräsident über die DDR und andere historische Wahrheiten schwadroniert, tut das weh, schadet auch der Partei, hält uns aber nicht von unserem Weg ab. Die DDR war der beste Staat, den es je auf deutschem Boden gab.
Bald feiern wir unsere "Eiserne Hochzeit". Den Staffelstab übergeben wir dann an unsere Kinder und Kindeskinder mit der Verpflichtung, alles zu tun für ein Leben ohne Kapitalismus und Ausbeutung, für soziale Gerechtigkeit und Solidarität, gegen Terrorismus, Krieg und Fremdenhaß, für Frieden und Sozialismus.

Rosemarie und Hans Linke, Suhl


Schon wieder eine politische Hiobsbotschaft aus Thüringen, wo die Landtagsvizepräsidentin (Partei Die Linke) den Soldaten der Bundeswehr für deren kriegerischen Auslandseinsatz öffentlich dankt. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt diese Einsätze kategorisch ab, und nur Politiker meinen, Deutschland müsse mehr militärische Verantwortung in der Welt übernehmen. Sie verschließen in ihren Machtgelüsten die Augen vor dem unsäglichen Elend, das die gegenwärtigen Kriege im Namen der Demokratie tagtäglich hervorbringen. Wer hat die Brandfackeln nach Jugoslawien, Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien ... geworfen und dabei Hunderttausende von Toden billigend in Kauf genommen? Und die Bundeswehr mit ihren Berufssoldaten mittendrin, bei der Erzeugung menschlichen Leids - und dies mit Gottes Segen. Nun stimmt auch noch ein Mitglied der PDL in den Chor der Krieger ein. Und in Brandenburg beteiligt sich eine PDL-Politikerin in Regierungsverantwortung aktiv an der Delegitimierung einer weltweit staatlich anerkannten Republik. Gleich einem Racheengel schleudert sie ihren Bannstrahl und trifft mit der fristlosen Kündigung eines anerkannten Rechtsmediziners ins Schwarze der DDR-Hasser.
Hier paaren sich geschichtsvergessenes Handeln mit Rückgratlosigkeit sowie Anpassung an den politischen "Mainstream". Was aber noch schlimmer zu bewerten ist: Es gibt eine fortschreitende Entsolidarisierung in der Bewertung von Lebensleistungen einer Vielzahl von DDR-Bürgern, die sich aktiv an der Errichtung eines antifaschistisch-demokratischen Staates beteiligt haben. Es wird zum unumstößlichen Credo für die Linkspartei, daß sie sich die Übernahme von Regierungsverantwortung mit der Formel "Unrechtsstaat DDR" erkauft. Wieso ist dies Gegenstand von Koalitionsverträgen, wie jetzt wieder in Berlin?
Warum beschleicht einen das Gefühl, daß eine Beteiligung an der Macht politische Programmatik und Grundsätze aushebelt?

Raimon Brete, Chemnitz


Am vergangenen Wochenende äußerte sich Klaus Lederer in einem Interview u. a. zu der Situation am Berliner Wohnungsmarkt: "Es ist nicht so, daß die Gesetze von Angebot und Nachfrage im Wohnen- und Mietensektor gelten wie im Backwarenhandel." Das Marktgesetz - Angebot und Nachfrage regeln den Preis - wirkt uneingeschränkt!
Das wußten und nutzten Lederer und Genossen, als sie - Teil der rot-roten Koalition - darangingen, den Berliner Wohnungsmarkt zu "stabilisieren", d.h. steigende Renditen der Grund- und Immobilieneigentümer zu sichern, Zehntausende kommunale Mietwohnungen vernichteten und über hunderttausend kommunale Mietwohnungen an Immobilienspekulanten verschleuderten. Nach dem Abriß der von der DDR errichteten Wohnbauten, denen bauphysikalisch noch bis zu 40 Jahren Nutzung attestiert waren, wurde gleich noch der kommunale Grund und Boden privatisiert. Zu besichtigen u.a. in Lichtenberg, Hellersdorf und anderenorts in Berlin.
Noch 2008 bemerkten Lederer und andere linke Koalitionäre, daß die Mieten drastisch erhöht wurden. Daß die Immobilieneigentümer die ihnen von Rosa-Rot gebotenen Marktbedingungen nutzen würden, um durch Mieterhöhungen höhere Renditen zu generieren, war vorhersehbar. Der damalige Regierende Bürgermeister hatte im Frühherbst 2011 selbstzufrieden erklärt: "Wir haben den Wohnungsmarkt stabilisiert!"
Nun wollen die Berliner Koalitionäre, daß die städtischen Wohnungsunternehmen am freien Markt Wohnungen kaufen, um die Mietwohnungssituation für jene Menschen zu entspannen, die von Wohnungsnot bedroht sind. Wohnungen von Immobilienspekulanten, die nicht über Leerstand klagen. Wohnungen, die jetzt sicher günstiger am stabilisierten Wohnungsmarkt zu erwerben sind und die dann mietpreisdämpfend eingesetzt werden ... Wie denn, wenn nicht eine Wohnung mehr verfügbar wird? Das ist kein Nullsummenspiel. Wir, die Bürgerinnen und Bürger, zahlen drauf.

Herbert Rubisch, Berlin


Die Beiträge im "RotFuchs" sind für mich als Historiker immer ein großer Gewinn für die eigene Arbeit.
Mit besonderer Aufmerksamkeit habe ich in der Dezember-Ausgabe die kritischen Anmerkungen zu der Publikation "Sie werden nicht durchkommen" gelesen.
Brigitte und Gerhard Brändle haben zu Recht auf Mängel in dem Buch hingewiesen, dennoch ist es nicht so einfach, wie sie schreiben, biographische Fakten zu recherchieren und lebendig zu verarbeiten. Mir ist die Entstehungsgeschichte der Arbeit sehr gut bekannt, da ich intensiv Fakten dazu ermittelt habe.
Als Mitherausgeber und Autor der zehnbändigen Publikation "Widerstand in Berlin gegen das NS-Regime 1933 bis 1945 - Ein biographisches Lexikon" weiß ich, wie kompliziert es ist, inhaltsvolle Biographien zu schreiben. Ich bin der Ansicht, die Autoren des kritisch angemerkten Lexikons haben sich bei der Erfassung von ca. 15.000 Biographien um eine faktenreiche und lesbare Publikation bemüht.
Außerordentlich gut fand ich den Artikel von Prof. Dr. Ingeborg Rapoport. Ihre Gedanken zum Bildungssystem in der DDR kann ich als früherer Diplomfachlehrer für Geschichte/Deutsch voll und ganz unterstützen. Wie miserabel heutzutage die Kenntnisse in Geschichte und Deutsch bei den Jugendlichen, insbesondere auch bei den Studierenden, sind, erlebe ich ständig, wenn ich regelmäßig um Hilfe und Rat angesprochen werde.

Dr. Günter Wehner, Hoyerswerda


Der Mensch steht im Mittelpunkt. Das trifft leider nicht in jedem Fall zu. Um den Kapitalismus zu entlarven, hat der Kabarettist Dieter Hildebrandt formuliert: "Der Mensch ist Mittel! - Punkt!" Humankapital für die Ausbeutung und Kanonenfutter für die Kriege! Das Volk ist es, das, wie in jedem Krieg der Vergangenheit, die Kastanien aus dem Feuer holt.
Also, unser Kampf um eine bessere Welt muß weitergehen! Wir können unser Wissen und unsere Erfahrungen einsetzen in Gesprächen, in der Presse, in der Literatur, bei Wahlen, bei Volksbefragungen, bei Streiks und Demonstrationen.

Dr. Ernst-Ludwig Hischer, Rostock


Zwei Bemerkungen zum Artikel "Rechte Geschichtspolitik unter linker Flagge" in der Beilage zum November-RF: Welche Bezeichnungen für die DDR auch immer gewählt werden - "Unrechtsstaat", "SED-Diktatur" und dergleichen mehr -, gemeint ist in jedem Falle, das eigentliche Unrecht sei der Sozialismus, die Expropriation der Expropriateure. Darüber besteht Konsens nicht nur im bürgerlichen Lager, sondern auch bei allen führenden Sozialdemokraten, dem sich offenbar Bodo Ramelow nebst Thüringer Landtagsfraktion angeschlossen haben.
Die Autoren verwenden, wie allgemein üblich, den Begriff "Sozialismusversuch". Ich würde für das, was damit gemeint ist, die Worte Wagnis oder Unterfangen vorziehen. In der DDR, wahrscheinlich auch in der Sowjetunion, der Mongolischen Volksrepublik und den europäischen sozialistischen Ländern (heute in China oder Kuba) sprach bzw. spricht niemand von einem "Versuch", und wohl kaum jemand hat mit einem Scheitern gerechnet. Das aber hätte man in Gedanken daran, daß das Unterfangen aus Sicht der Linken ein Wagnis blieb, tun müssen. Es wäre wohl zu anderen Zeiten als nach den beiden Weltkriegen ohne ausreichende Vorbereitung niemals eingegangen worden.
Bei den Klassikern finden sich außer grundlegenden Hinweisen und Lehren keine konkreten, detaillierten Vorstellungen, wie eine sozialistische Gesellschaftsordnung zu gestalten wäre. Das bleibt nach meiner Auffassung uns überlassen. Dazu bedarf es aus Theorie und Erfahrung vieler Ideen, damit ein neuer Anlauf gelingt.

Helmut Müller, Berlin


Der Artikel 19 der Menschenrechtsdeklaration der UN beschäftigt sich mit dem Recht auf Meinungsfreiheit und der Meinungsverbreitung sowie der Informationsfreiheit und der Verbreitung von Informationen durch Medien. Der Einfachheit halber wurde von den bürgerlichen Medien der ganze Artikel 19 auf "Pressefreiheit" reduziert. Im "Medienkampf" gegen den "Aggressor" Putin ist die "Pressefreiheit" auf den Hund gekommen, urteilen viele angesichts des Propagandabeschlusses des EU-Parlaments mit antirussischer Stoßrichtung und der immer dreister werdenden Berichterstattung. Auch die Meinungsfreiheit ist zur Narrenfreiheit degeneriert. Zum Jahreswechsel hat ein Prediger im Kirchengemeindebrief auf dem flachen Vorpommerschen Land mitgeteilt, daß "die bolschewistischen Revolutionäre das Paradies auf Erden schaffen wollten. Es war dann doch mehr oder weniger die Hölle." Da ist anscheinend jemand dem Höllenfeuer zu nahe gekommen ...

Dr. med. Gerd Machalett, Siedenbollentin


"Gauck: Dieser Anschlag galt uns allen" - so zitiert die "Leipziger Volkszeitung" am 21. 12. 16 den Bundespräsidenten auf dem Titelblatt. Woher nimmt Gauck das Recht, sich mit uns, den Bürgern, zu identifizieren? Ja - ein solcher Anschlag kann uns alle oder jeden von uns treffen - ausgenommen vielleicht Gauck selbst. Er verfügt über einen exzellenten Personenschutz. Und er ist es, der die aggressive Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich vorangetrieben hat. Er hat immer wieder die Pflicht der Übernahme von Verantwortung, auch mit militärischen Mitteln, gefordert. Bevor die Bundesregierung eine Politik der gewaltsamen Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten verfolgte, gab es weder bei uns noch anderswo Anschläge in dieser Dimension und Häufigkeit. Da ist die Widersprüchlichkeit und Arroganz westlicher, auch deutscher Politiker, die auf der einen Seite besondere Werte und Menschenrechte postulieren und auf der anderen Seite einen nie dagewesenen Waffenexport, auch in Krisen- und Kriegsgebiete, vorantreiben. Da ist die verantwortungslose Konfrontationspolitik gegenüber Rußland, die das flächenmäßig größte Land der Erde wirtschaftlich und militärisch bedrängen und isolieren soll. Und nun, da Gewalt und Chaos sich auch gegen unser Land richten, ist das Geschrei groß. Wo waren die Proteste der Regierenden, als die eigene Allianz Tod und Leid Tausender unschuldiger Menschen in Afghanistan, Libyen und anderen Ländern verursachte?
All das Gejammer vor den Feiertagen nutzt nichts, wenn keine grundsätzliche Änderung der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung und ihrer Verbündeten erfolgt.

Jürgen Heiducoff, Übach-Palenberg


Ich würde mich freuen, wenn ich künftige Ausgaben des "RotFuchses" an meine neue Anschrift gesendet bekommen würde. Bereits im voraus vielen Dank, nicht nur für die Anpassung der Adresse, sondern auch für die überragende redaktionelle Arbeit!

Paul Breinlinger, Rostock


In der Dezemberausgabe habt Ihr auf Seite 17 ein Foto des Marx-Engels-Denkmals in Bishkek (früher Frunse), Kirgistan, veröffentlicht. Das Denkmal unterscheidet sich wohltuend von anderen den beiden Geistesriesen gewidmeten Denkmälern: Es ist angenehm, die beiden so ungezwungen miteinander reden zu sehen. Es steht am Eingang zu einem schönen Park - ich hatte schon die Gelegenheit, es im Original zu sehen. Der "RotFuchs" wird auch mit dieser Ausgabe meinen Erwartungen mehr als gerecht - einfach gut, monatlich so überzeugende Beiträge lesen zu können.

Karl-Heinz Wendt, Berlin

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Der RotFuchs wird ausschließlich aus Spenden und nach eigenem Ermessen jedes einzelnen finanziert.
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Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift.

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REDAKTION: Wolfgang Metzger, (V.i.S.d.P.)
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Redaktionsschluß für die übernächste Ausgabe ist der 28. eines Monats.

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Joachim Augustin
Dr. Matin Baraki
Konstantin Brandt
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Ralph Dobrawa
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Lutz Jahoda
Rico Jalowietzki
Ralf Jungmann
Christa Kozik
Marcel Kunzmann
Rudi Kurz
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Dr. Bernhard Majorow
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Horst Neumann
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Quelle:
RotFuchs Nr. 229, 20. Jahrgang, Februar 2017
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2017

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