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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1234: Offensive für Arbeitszeitverkürzung


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2 - Februar 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Offensive für Arbeitszeitverkürzung
Interview mit Gregor Falkenhain

Von Jochen Gester


Das Thema Arbeitszeitverkürzung ist trotz steigender Unterbeschäftigung für die Gewerkschaften Tabu geworden. Jetzt wagt Ver.di NRW einen neuen Vorstoß. Mit Gregor Falkenhain, dem Fachbereichsleiter Bund/Länder im Bezirk NRW, sprach Jochen Gester.



SOZ: Mit einem Aufruf, unter den Unterschriften gesammelt werden sollen, wagt Ihr einen neuen Anlauf um das Thema "Arbeitszeitverkürzung". Es soll bei Ver.di wieder auf die Tagesordnung kommen. Wer sind die Initiatoren des Aufrufs und für welche Forderungen macht Ihr euch stark?

GREGOR FALKENHAIN: Derzeit sammeln wir noch weitere Unterschriften. Initiiert wurde der Appell von Ver.di-Mitgliedern aus NRW, die in den letzten Tarifrunden arbeitszeitpolitische Ziele vermissten. Wir wollten nicht einstimmen in die monatlichen Jubelveranstaltungen, die anlässlich der Veröffentlichung der Arbeitslosenzahlen in den letzten Jahren stattfanden. Wer sich mit "nur" 3 Millionen Arbeitslosen zufrieden gibt, übersieht, dass diese ungeheuer große Zahl von Ausgegrenzten nach wie vor die Rolle der "industriellen Reservearmee" ausfüllt, wie es Karl Marx seinerzeit richtig analysierte. Deshalb steht im Zentrum unseres Aufrufs die Umverteilung von Arbeit durch deutliche Reduzierung der Wochen- und Lebensarbeitszeit.

SOZ: Die Hauptauseinandersetzung um die Verkürzung der Arbeitszeit fand in den 80er Jahren statt. Doch spätestens mit der Wende begann auch die Gegenoffensive der Arbeitgeberverbände, die erneut zu einer Ausweitung der realen Arbeitszeiten geführt hat. Auch haben die Arbeitgeber bei der Umsetzung der Arbeitszeitverkürzung versucht, ihre erhöhten Kosten durch Intensivierung und Flexibilisierung wett zu machen. Das hat der Akzeptanz der Arbeitszeitverkürzung geschadet. Im Aufruf betont Ihr, es sei Zeit für eine neue Offensive In dieser Frage. Wie soll das durchgesetzt werden?

GREGOR FALKENHAIN: Leider ist richtig, dass die realen positiven Effekte der Arbeitszeitverkürzung in den 80er und 90er Jahren zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen von vielen Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben nicht wahrgenommen wurden. Dabei wird übersehen, dass Leistungsverdichtung und Arbeitsintensivierung im Kapitalismus auch dann stattfindet, wenn keine Arbeitszeitverkürzung tariflich vereinbart wird.

Arbeitsintensivierung ist keinesfalls das zwingende Ergebnis von Arbeitszeitverkürzung. Unser Aufruf hat das Ziel, diese Fragen wieder diskutierbar zu machen, um dann erneut mobilisierungsfähig zu sein. Was durchsetzbar ist, entscheiden letztlich kollektives Bewusstsein und solidarisches Handeln der Organisation, und nicht mediale Trendsetter.

SOZ: Haben sich die von mir beschriebenen Bedingungen denn verändert und wie begründet ihr eure These, dass es nun Zeit sei für eine neue Offensive? Wer kann sie führen?

GREGOR FALKENHAIN: In der Tat hat die IG Metall auch Tarifverträge unterschrieben, die Öffnungsklauseln für die Abweichung von der 35-Stunden-Woche zuließen und die Arbeitszeiten extrem flexibilisierten. Welche Motive dabei eine Rolle spielten, will ich hier mal außen vor lassen. Andere Gewerkschaften sind den Weg zur 35-Stunden-Woche nicht zu Ende gegangen. Das gilt auch für Ver.di. Wir haben bei Arbeitszeitverkürzungen nicht eindeutig darauf geachtet, dass dies bei vollem Lohnausgleich geschieht, und wir konnten im öffentlichen Dienst nicht verhindern, dass Arbeitszeitverlängerungen attraktiv gemacht wurden.

Doch gerade hier sehe ich auch deutlich positive Veränderungen. Die Mobilisierungen in der Tarifrunde im Länderbereich 2006 und die Warnstreiks im Frühjahr 2008 bei den Kommunen haben gezeigt, dass viele Arbeitnehmer die Frage der Arbeitszeit wieder höher bewerten, als dies vor wenigen Jahren noch der Fall war. Gerade die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst konnten erleben, wie sich Politiker außerstande sehen, die Arbeitsplatz schaffende Wirkung von Arbeitszeitverkürzung zu berechnen.

Bei der Verlängerung der Arbeitszeiten für Beamte sind sie jedoch in der Lage, mathematisch genau die Stellenanteile zu ermitteln, die künftig wegfallen, und sie können das in den Haushalten in Zahlen gießen: So konnte jeder im Haushalt 2003-2004 nachlesen, dass in NRW die Arbeitszeitverlängerung der Beamten von 38,5 auf 41 Stunden 11.300 Stellen gekostet hat. Ebenso 2006. Weil 2006 auch durch den 14-wöchigen Streik nicht verhindert werden konnte, dass die Arbeitszeit der Tarifbeschäftigten auf 39,8 in NRW verlängert wurde, entfielen 1.500 Stellen.

SOZ: Wie sieht die Beschlusslage bei Ver.di aus und was wurde daraus in den letzen Tarifauseinandersetzungen?

GREGOR FALKENHAIN: In Ver.di gibt es keinen einzigen Beschluss, der Arbeitszeitverlängerungen gut heißt, aber Hunderte von Beschlüssen zur Fortsetzung des Kampfes um die Verkürzung der Arbeitszeit. Leider liegen derzeit auf keinem anderen Feld Beschlusslage und Praxis weiter auseinander als hier.

In den vergangenen Tarifrunden konnte nicht einmal eine Reallohnsicherung erreicht werden. Wie und mit wem soll es da möglich sein, eine Arbeitszeitverkürzung in großen Sprüngen zu erreichen, die für den vollen Lohnausgleich eine hohe zweistellige Tariferhöhung erfordern würde?

Zumindest in 2008 waren wir mit unseren Tarifabschlüssen erstmalig seit Jahren wieder nah an der Realeinkommenssicherung. In Zukunft müssen wir allerdings unsere Forderungen wieder stärker aus der Interessenlage der Beschäftigten und Erwerbslosen ableiten und weniger von den Zahlen sog. Expertenkommissionen, die nicht selten nur Auftragsgutachten abliefern.

Die meisten Unterzeichner unseres Appells werden die Einschätzung teilen, dass wir nicht aus dem Stand große Sprünge zur Arbeitszeitverkürzung machen können. Doch wir müssen das wieder zum Thema machen, erneut über die Notwendigkeit von Arbeitszeitverkürzung aufklären, mobilisieren und auch wieder emotionalisieren. Warum soll nicht noch einmal eine ähnliche gesellschaftliche Breitenwirkung erreicht werden wie in den 80er Jahren? Der nächste Schritt muss eine Trendwende sein.

SOZ: Was werden die nächsten Schritte in eurer Kampagne sein?

GREGOR FALKENHAIN: Wir werden in Kürze mit dem Appell an die Öffentlichkeit gehen. Wir werden beweisen, dass sich das Thema Arbeitszeitverkürzung weder enteignen noch kastrieren lässt.


Bildunterschrift einer im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Für ein soziales Europa und gegen die EU-Arbeitszeitrichtlinie demonstrierten am 16.12.2008 rund 15.000 Gewerkschafter in Straßburg vor dem Sitz des Europäischen Parlaments. Aufgerufen hatte der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB). Am 17.12. hatte das EP über die Arbeitszeitrichtlinie, die Rechte Europäischer Betriebsräte sowie über die Mitbestimmung in europäischen Unternehmen zu entscheiden. Die Medien verbreiteten danach, das EP habe sich durchgesetzt und auf der Höchstgrenze von 48 Stunden Wochenarbeitszeit bestanden. Tatsächlich hat das EP einen entsprechenden Antrag der Linksfraktion zurückgewiesen und einen Antrag angenommen, der Abweichungen von der Höchstarbeitszeit von 48 Stunden nach einer Übergangsfrist von drei Jahren abschafft. Nun geht das Verfahren in den Vermittlungsausschuss.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2, 24. Jg., Februar 2009, Seite 9
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2009