Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1257: Belegschaften von Opel zum Abschuß freigegeben


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4 - April 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Wer wirft den Stein ins Wasser?
Die Belegschaften von Opel sind zum Abschuss freigegeben

Von Jochen Gester


Die Zeit läuft ab für den ehemals größten Automobilkonzern der Welt. Ob GM trotz Milliardenzuwendungen der Obama-Regierung das Ende des Jahres erlebt, ist fraglich. Schon in den nächsten Wochen dürfte sich entscheiden, ob der Konzern, oder Teile davon, auch in Zukunft noch Autos produzieren wird.


*


Das betrifft auch die GM-Tochter Opel, die integrierter Teil von GM ist. Als die HRE-Bank ins Schlingern geriet, flossen innerhalb kürzester Zeit 100 Mrd. Euro, ohne dass es darum eine politische Debatte gab. Die gibt es jetzt um die Frage, "ob der Staat Opel retten darf".

Die bürgerlichen "Meinungsführer", die sich kurze Zeit um eine Entstigmatisierung staatlicher Eingriffe in die "freie Wirtschaft" bemüht hatten - erinnert sei an den bußfertigen Auftritt Josef Ackermanns und seinen Spruch: "Ich glaube nicht mehr an die Selbstheilungskräfte des Marktes" - sind längst wieder zu den Leitsätzen ihres neoliberalen Evangeliums zurückgekehrt.

Nachdem die geforderten Rettungsanker zur Reduzierung befürchteter Vermögensverluste ausgeworfen wurden, sind die Advokaten der Shareholder damit beschäftigt zu verhindern, dass die wirklichen Opfer die von den Aktionären vorgesehene Krisenlösung verteuern und verzögern. Deren Rezept heißt: Das überschüssige Kapital muss verbrannt werden - in der Finanzwelt wie in der Industrie. Es gibt zu viele Autos und zu viele Automobilunternehmen auf der Welt: nur sechs können übrig bleiben. Der Rest muss weg.

Abgesehen von den GM-Aktionären und der US-Regierung, die mit den Folgen des Verschwindens einer US-Automobilindustrie konfrontiert wäre (nachdem schon die Stahlindustrie, die Textilindustrie, ein bedeutender Teil der Elektronikindustrie usw. aus den USA abgezogen sind), gibt es innerhalb der herrschenden ökonomischen und politischen Eliten keine wirkliche Lobby, die sich für das Überleben von GM stark macht. Die Debatte in Deutschland, die vor allem eine um die Zukunft der Opelwerke ist, lässt darüber kaum Zweifel.

In beispielhafter Offenheit heißt es in einer Kolumne der Financial Times Deutschland: "Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum die europäischen Regierungen Opel retten sollten. Wer will, dass VW und Peugeot auch künftig erfolgreich sind, sollte den Hersteller untergehen lassen." Katastrophale regionale oder sektorale Folgen habe das nicht. Die Regierung dürfe "auf keinen Fall den Anpassungsprozess in den Gütermärkten verlangsamen". Nur so komme das Schwungrad der Akkumulation wieder in Gang: "Damit die Industrien wieder anfangen zu investieren, müssen alte Überkapazitäten abgebaut werden ... Der Austritt einer oder mehrerer großer Automobilmarken aus dem Markt stellt zwar eine extreme Form eines Anpassungsprozesses dar, aber wir erleben momentan auch eine extreme Absatzkrise."


Von der Opel-Pleite geht Daimler nicht unter

Gesamtmetall-Boss Kannegießer sagt es so: "Wenn ein großer Automobilhersteller gescheitert ist, dann ist er gescheitert." Von der Pleite des Unternehmens "geht die Autoindustrie nicht unter, geht die deutsche Wirtschaft nicht unter". Die bekannten Kapazitäten der "führenden Wirtschaftsforschungsinstitute", bei deren Auftreten man unwillkürlich an die für alles zu mietenden Zwerge in Brechts Galilei denken muss, geben dem noch die Weihe höherer Einsicht. Der Wirtschaftweise Franz z.B.: "Entweder handelt es sich wie bei Opel um ein gut aufgestelltes Unternehmen, dann wird sich auch ein ausländischer Investor finden, oder das Unternehmen ist nicht mehr wettbewerbsfähig, dann muss es geschlossen werden. Andernfalls wird aus diesen Staatsinterventionen ein Fass ohne Boden."

Zimmermann vom DIW spricht vom "süßen Gift der Subventionen", das die notwendigen wirtschaftlichen Anpassungen verhindere. Die Kanzlerin ihrerseits hat schon früh signalisiert, dass es außerhalb des Bankensystems keine "systemrelevanten" Unternehmen gäbe, die auf staatliche Hilfe rechnen könnten.

Ihr Innenminister hat sich dafür stark gemacht, Opel in die Insolvenz zu treiben. Von der CSU bis zu den Grünen werden die Grundsätze des Ordoliberalismus hochgehalten. Auch Steinbrück argumentiert so. Und wenn der Kanzlerkandidat der SPD gegenwärtig versucht, sich davon leicht abzusetzen, liegt das nicht an erkennbaren Differenzen, sondern an der Angst, bei den kommenden Wahlen für markwirtschaftliche Prinzipienfestigkeit überdurchschnittlich abgestraft zu werden.

Eine zweite Argumentationslinie der Regierung, die vor allem der Wirtschaftsminister pflegt, lautet sinngemäß: Wir sind bereit, alle Möglichkeiten zu prüfen, die europäischen Werke von Opel weiterzuführen. Es ist GM, das sich weigert, die dazu notwendigen verbindlichen Auskünfte zu geben. Doch daran darf gezweifelt werden. Nach Auskunft eines GM-Sprechers gegenüber der SZ wurde der Fragenkatalog aus dem Hause Steinbrück schon vor Wochen beantwortet.

Ähnlich fragwürdig ist die Geschichte mit den Steuern, die GM für Opel angeblich nicht in Deutschland gezahlt habe, was einer staatlichen Unterstützung im Wege stünde. Eine Nachfrage der SZ bei der IG Metall und bei externen Bilanzfachleuten ergab keine Anhaltspunkte dafür, dass das Steuerverhalten von Opel anders ist als das seiner Konkurrenten. Schließlich ist auch das gern gebrauchte Argument wenig belastbar, der Konkurs sei unvermeidlich, weil sich die Produkte der Opel-Palette nicht verkaufen lassen. Die Bestellungen für den Corsa und insbesondere für das neue Insignia-Modell sind hoch.


Eine Opel AG für Klaus Franz?

Die Lage ist ernst. Nach Berechnungen der IG Metall gefährdet ein möglicher Zusammenbruch der Adam Opel AG 400.000 Arbeitsplätze in Europa. Doch selbst wenn es soweit nicht kommen sollte: die nächste Restrukturierungsrunde ist schon eingeläutet. Die Gewerkschaften sind aufgefordert, vorauseilend zweistellige Lohnkürzungen zu akzeptieren und die Belegschaften auf weitere schmerzhafte Eingriffe einzuschwören.

Wenn man bedenkt, dass es in einem bislang unbekannten Umfang um Kopf und Kragen geht, ist schwer zu begreifen, warum es in den betroffenen Betrieben noch so ruhig ist. Gebührenden Anteil daran hat sicher das Regiment des Europa-BR-Vorsitzenden Klaus Franz, der von den Medien mittlerweile als der heimliche Boss von Opel porträtiert wird. In der Tat müsste er kaum ein Argumentationsmuster aufgeben, sollte er in Zukunft à la Hansen in das Management der von ihm angestrebten GM-unabhängigen Opel AG eintreten. Seinen Plan, die sehr zentralisiert aus Detroit gesteuerte Opel-Tochter in eine relativ eigenständig operierende AG umzuwandeln, weiß er als "Befreiungsschlag" zu inszenieren.

Um die Befreiung der Arbeiterklasse geht es dem ehemaligen maoistischen Kader schon lange nicht mehr. "Er hält keine Brandreden, er hetzt nicht gegen das Management in Europa. Nur seinen Unmut über die ferne Zentrale in Detroit versteckt er nicht mehr", weiß das Handelsblatt. Die Organisierung eines unabhängigen länderübergreifenden Belegschaftswiderstands wird man von ihm nicht erwarten können.

Da bekanntlich eher der BR-Vorsitzende eines Konzerns der IG Metall sagt, wo es langgeht, und nicht umgekehrt, sind kritische Stellungnahmen aus der Frankfurter Gewerkschaftszentrale nicht so ernst zu nehmen, wie sie klingen mögen. Immerhin erklärt IGM-Bezirksleiter Armin Schild: "Es wird nichts geben, was die Opel-Arbeitnehmer in dieses Unternehmen einfach als gegenleistungsfreie Morgengabe hineinstecken."

Schild äußert die Bereitschaft, Ansprüche der Belegschaft in eine Beteiligung am Unternehmen einzubringen. Auf die Frage nach seinen Erwartungen an das Management von GM und Opel sagt er: "Wenn man sich mal vorstellt, dass man mit dem Opel-Zukunftsplan direkten Zugriff auf die gesamte Technologie von General Motors erhält, inklusive der Fähigkeit, ein reines Elektroauto anbieten zu können, dann wundere ich mich schon, warum wir uns derzeit in einer kleinkarierten Ordnungspolitik verzetteln."

Wundern muss man sich nur, wenn man nicht versteht, dass Menschen unterschiedlicher Klassen ganz unterschiedliche Dinge vernünftig finden. Eine wirklich in die Zukunft weisende gewerkschaftliche Intervention sollte eine Beteiligung der Belegschaft nicht als Anteil an entwerteten Aktien, sondern als Einflussnahme auf Produkt und Personalpolitik begreifen, um darüber einen ökologischen Umbau der Autoindustrie einzuleiten. Ohne Mobilisierung der Belegschaften und ohne die Umwandlung der "Opelfrage" zu einer Frage nach der Zukunft der Automobilindustrie, die sich mindestens an alle europäischen Automobilarbeiter richtet, sind solche Hoffnungen fehl am Platz.

Und was rührt sich sonst? Die Tarifkommission von VW hat klargestellt, man setze nicht auf die Kaltstellung des Konkurrenten, sondern wolle solidarisch sein. Der BR-Vorsitzende von Opel Bochum, Rainer Einenkel, sprach von "kreativen Lösungen" und erinnerte an den "wilden Streik" 2004. Auch Gewerkschafter der am Tropf der Autoindustrie hängenden Stahlbetriebe äußerten ihre Bereitschaft, sich nicht ohne Gegenwehr arbeitslos machen zu lassen. Doch einer muss den Stein ins Wasser werfen.

Bei den Erfindern der "kreativen Lösungen" in Bochum macht sich derweil Resignation breit. Auf der Infoversammlung der Vertrauensleute beschimpften die Kollegen zwar alle IG-Metall-Funktionäre, die irgendeine "Morgengabe" anbieten wollten. Doch ein Arbeitskampfkonzept, das die Weichen nochmal umstellen könnte, kam nicht auf den Tisch.


*


Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 24. Jg., April 2009, Seite 8
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
(VsP, www.vsp-vernetzt.de)
SoZ-Verlags-GmbH, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96, Telefax: 0221/923 11 97
E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.soz-plus.de

Die Soz erscheint monatlich und kostet 3 Euro.
SoZ-Probeabo: 3 Ausgaben für 10 Euro
Normalabo: 55 Euro, inkl. SoZ Hefte
Sozialabo: 26 Euro, inkl. SoZ Hefte


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2009