Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1317: Metallfabrik INNSE in Mailand - Gipfelsturm bringt Sieg


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9 - September 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

INNSE, Mailand
Der Gipfelsturm bringt den Sieg

Von Angela Huemer


Nach 14 Monaten Kampf haben die Arbeiter der Mailänder Fabrik INNSE ihr Ziel erreicht: die Schließung ihres Betriebs ist abgewendet.


*


Mitte August letzten Jahres zeigten die Filmfestspiele von Locarno Giù le mani (Hände weg), das Dokument über den großen Triumph der Arbeiter der SBB-Werkstatt in Bellinzona (siehe SoZ 5/08 und 4/09). Fast genau ein Jahr später führte dasselbe Motto die 49 Arbeiter des Metallbetriebs INNSE in Mailand zum Erfolg. Was war geschehen?

Am 31. Mai 2008 erhielt die Belegschaft ein Telegramm des Fabrikbesitzers Silvano Genta, das ihnen mitteilte, binnen kurzem würden alle Aktivitäten der alteingesessenen Metallfabrik eingestellt. Die Arbeiter reagierten sofort: Sie eroberten das von privaten Sicherheitsleuten bewachte Werk und führten den Betrieb in Selbstverwaltung dreieinhalb Monate weiter. Am 17. September 2008 vertrieb die Polizei sie und versiegelte die Fabrik. Daraufhin richteten sich die Arbeiter in einem bewachten Werkseingang ein und trafen sich täglich um zu verhindern, dass der Besitzer die Maschinen verkaufte und damit jede Möglichkeit einer Weiterführung des Betriebs verhinderte.

Die Arbeiter von INNSE blieben ebenso hartnäckig wie ihre Kollegen aus Bellinzona. "Der Streik dauert so lang, bis der ganze Plan zurückgenommen wird", hatten die Schweizer geschworen. Sie erreichten das in 33 Tagen, die Italiener brauchten dafür 14 Monate.


Der zündende Funke

Am 2. August dieses Jahres wurden die Besetzer auf brutale Weise von der Polizei vertrieben. Dabei gelang es vier Arbeitern und einem Gewerkschaftsvertreter, unbemerkt in das Gelände einzudringen und einen hohen Laufkran zu besetzen. Während halb Italien auf Urlaub war, hielten sie acht Tage in der Augusthitze aus.

Die plötzliche und brutale Räumungsaktion vom 2. August wirkte auf einen Teil der Linken dieser Stadt, die durch ihren sozialen Egoismus so gefühllos geworden ist, wie ein Erdbeben. Dies ist umso wichtiger, als die Stadt und die Provinz Mailand derzeit von einer Welle der Arbeitslosigkeit geradezu verwüstet wird. Ganz viele Firmen schließen ihre Pforten, entlassen ihre Beschäftigten und sind mit den Arbeiterprotesten konfrontiert.

Im Fall von INNSE zog der Protest zunächst Dutzende, später Hunderte Jugendliche an, auch kämpferische Gewerkschafter, Delegierte der FIOM und der Basisgewerkschaften, Vertreter der Centri sociali und Studenten.

Es bildete sich eine offene, ständige Versammlung, bei der über den aktuellen Kampf und viele andere Dinge diskutiert wurde. Die Versammlung war absolut geschlossen, man trank, man aß, man diskutierte, man stritt. Aber als es darum ging, der Polizei und den Carabinieri gegenüber zu treten, war es eine geschlossene Front.

Die Entscheidungen trafen die Arbeiter von INNSE gemeinsam mit der Delegation der FIOM, anschließend wurden sie den Unterstützern mitgeteilt.

Auf die Initiative, in der Nacht des 2. August in die Fabrik einzudringen, den Laufkran zu besetzen und das Geschehen somit zu dramatisieren, folgte ein zweistündiger Solidaritätsstreik, den die FIOM auf Provinzebene ausgerufen hatte. Dies ermutigte wiederum die Beschäftigten der INNSE und gab ihrem Kampf eine landesweite Sichtbarkeit.

Nun beteiligten sich Hunderte Menschen Tag und Nacht an der Besetzung. Vom Ort der Besetzung aus machten sich einige auf den Weg, um den Verkehr zu blockieren, vor der Provinzverwaltung zu protestieren oder vor dem Bahnhof Milano-Lambrate. Die Solidarität mit diesen sturen Arbeitern, die sich nicht damit abfinden wollten zu verschwinden, war sichtbar in diesem Stadtviertel an der Peripherie, aber auch im Zentrum, wo man den Kampf mit einer gewissen Aufmerksamkeit betrachtete.


Die Macht des Vorbilds

Als die Arbeiter am Abend des 11. August staubig und erschöpft den Laufkran verließen, gab es ein Volksfest. Endlich hatte es eine Einigung gegeben. Nun gibt es einen seriösen Käufer, die Stahlgruppe Camozzi. Deren Gründer, Attilio Camozzi, würdigte den Kampf der fünf Kran-Stürmer: "Geld kann man öfter verlieren, das Gesicht nur einmal. Die Arbeiter der INNSE haben viele Verdienste und mein vollstes Verständnis. Mit ihrem Kampf haben sie das Gewissen vieler Menschen geweckt, auch meines. Sie hatten gute Gründe, nicht zuzulassen, dass ein Unternehmen einfach so demontiert wird; das wäre ein echtes Verbrechen gewesen." Mit sofortiger Wirkung kauft die Stahlgruppe Camozzi die Maschinen von Silvano Genta und die Anlage sowie weitere Grundstücke von der Immobilienfirma Aedes. Der neue Eigentümer garantiert eine Weiterführung der Fabrik bis 2025, alle 49 Arbeiter werden am 1. Oktober wieder eingestellt.

Wie sehr diese Art des Protestes in Italien Wirkung zeigt, sieht man am Fall der Firma CIM in Marcellina bei Rom, die Verputz herstellt. Die Region Lazium hatte ihr nach Unkorrektheiten die Lizenz entzogen, die Schließung des Betriebs wäre die Folge gewesen. Aus Protest bestiegen einige Arbeiter einen fast 50 Meter hohen Turm - zu einem Zeitpunkt, an dem auch ihre Mailänder Kollegen noch auf dem Kran ausharrten - und erreichten damit ebenfalls ihr Ziel.

Der Kampf der INNSE zeigt, wie der kommende Herbst angegangen werden kann: mit der Koordinierung der Belegschaften der Firmen, die von der Krise betroffen sind, um eine gemeinsame Plattform für gemeinsame Ziele und Vorgehensweisen zu schaffen. Der Kampf lehrt uns, dass es in der Krise eine Verbindung gibt zwischen der Verteidigung des Arbeitsplatzes und der Notwendigkeit, auf die Eigentumsstrukturen Einfluss zu nehmen: durch Vorschläge, wie man die Produktion neu organisieren kann und auf der Basis dessen, was die Arbeiter brauchen, nicht was dem Firmenprofit dient.


*


Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9, 24.Jg., September 2009, Seite 11
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96, Telefax: 0221/923 11 97
E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.soz-plus.de

Die Soz erscheint monatlich und kostet 3 Euro.
SoZ-Probeabo: 3 Ausgaben für 10 Euro
Normalabo: 55 Euro, inkl. SoZ Hefte
Sozialabo: 26 Euro, inkl. SoZ Hefte


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2009