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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1320: Italien-Libyen - Vereint gegen Flüchtlinge


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9 - September 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Italien/Libyen
Vereint gegen Flüchtlinge

Von Angela Huemer


Zwei Monate nach dem offiziellen Beginn der gemeinsamen italienisch-libyschen Flüchtlingsabwehr treten ihre unmenschlichen und völkerrechtswidrigen Folgen offen zutage.


"Ungeeignet, enttäuschend und politisch blind." Mit diesen harten Worten quittierte Parlamentspräsident Gianfranco Fini Libyens Ablehnung seines Vorschlags, dass eine italienische Parlamentarierdelegation libysche Flüchtlingslager aufsuchen sollte, um zu sehen, ob die Menschenrechte und das Recht auf Asyl respektiert würden. Eine Delegation könne gerne kommen, so die Antwort Libyens, aber aus anderen Gründen, denn in diesen Zentren gäbe es keine politischen Flüchtlinge, es sei alles in Ordnung.

Dass dem nicht so ist, zeigt ein schlimmer Vorfall Anfang August in der libyschen Hafenstadt Benghazi: Bei einem Fluchtversuch aus dem Lager Ganfuda tötete die libysche Polizei mindestens 20 somalische Flüchtlinge. Die Somalier waren festgehalten worden, weil sie keine Papiere hatten. Fünf starben direkt im Kugelhagel der Polizei, die anderen erlagen den Misshandlungen durch Schlagstöcke und Messer.

Bekannt wurde der Vorfall zunächst durch eine somalische Internetseite in der Diaspora, die libyschen Behörden dementierten die Meldung. Ähnliche Vorfälle gab es bereits in der Vergangenheit: Im Juni 1996 starben Hunderte Gefangene im Gefängnis von Abu Salim in Tripolis.

Offiziell gibt es 18 Flüchtlingslager in Libyen. Wieviele Insassen aus welchen Ländern wie lange dort ausharren müssen, ist unklar. Es gibt Meldungen, wonach über 600 Eritreer schon seit drei Jahren in solchen Lagern ausharren, ebenso sind laut Berichten afrikanischer Medien rund 2000 Nigerianer aus dem Bundesstaat Edo in Libyen in Haft, jüngst gab es sogar das Gerücht, dass mehr als 200 Nigerianer wegen Immigrationsvergehen zum Tod verurteilt worden seien.

Mit einiger Verzögerung reagierte nun die EU: Deren Kommissar für Justiz, Jacques Barrot, hat klar gestellt, dass Abschiebungen auf hoher See nach Libyen illegal sind. Der italienische Innenminister Roberto Maroni von der Lega Nord wurde um Klärung gebeten, wie genau einzelne Boote, auf denen sich womöglich Asylwerber befunden haben, abgewiesen wurden. Doch die EU-Besorgnis hält sich in Grenzen. Denn sie sieht die Lösung der "Flüchtlingsfrage" in der Einrichtung von Asylbüros in Libyen - wenn möglich unter Einbeziehung des UN-Flüchtlingshochkommissariats.


Italienisch-libysche Zusammenarbeit

Als sich um das Jahr 2002 die neue Flüchtlingsroute Libyen-Lampedusa/ Sizilien konsolidierte, bot Rom Tripolis an, sich für die Abschaffung des Embargos gegen Libyen zu verwenden, im Gegenzug sollte Libyen beim "Kampf gegen die illegale Einwanderung" helfen. Bisweilen funktionierte das: So kamen im Juli 2003 zeitweise fast keine Menschen mehr über das Meer nach Lampedusa. In dieser Zeit stellte Italien Material für die Küstenwacht zur Verfügung: Jeeps, Schlauchboote, Ferngläser - und Leichensäcke; es finanzierte ein Festhaltelager für Immigranten nahe Tripolis, und zahlte Abschiebeflüge von Libyen aus - bis es dann im Herbst 2004 und Frühling 2005 sogar direkte Abschiebeflüge von Lampedusa nach Tripolis gab.

Ende 2007 unterzeichnete Giuliano Amato, Innenminister der Mitte-Links-Regierung Romano Prodis, ein Abkommen mit Libyen, um der "heimlichen Einwanderung entgegen zu treten" Darin wurde vereinbart, den Libyern sechs Schiffe zu übergeben, gemeinsame Patrouillen unter libyscher Leitung durchzuführen und mithilfe der EU ein Grenzüberwachungssystem einzurichten. Niemand kümmerte sich damals um den Hinweis von NGOs, dass allein 2006 rund 60000 Personen in Libyen verhaftet und in Flüchtlingsgefängnisse gepfercht, dort misshandelt oder abgeschoben wurden - teilweise einfach in der Wüste ausgesetzt.

All diese Abkommen konnten den Flüchtlingsstrom nicht eindämmen. 2008 kamen 75% mehr Flüchtlinge nach Lampedusa und Süditalien, 75% davon waren Asylbewerber; die Hälfte erhielt humanitären Status oder Asyl.

Im Januar 2009 ratifizierte das italienische Parlament ein historisches Abkommen mit Libyen, wonach Italien 5 Mrd. Euro an Libyen zahlt, um einen Schlussstrich unter die koloniale Vergangenheit zu ziehen - ein großer Teil davon wird in Form von Aufträgen zur Verbesserung der Infrastruktur wieder zurück nach Italien fließen. Unter anderem soll ein elektronisches Kontrollsystem an der Wüstengrenze zwischen Libyen und Niger errichtet werden - die Hälfte davon soll die EU zahlen. Diese bot Anfang Februar 2009 in der Person ihre Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner dem libyschen Staat ein Hilfspaket von 20 Mio. Euro für die "Bekämpfung illegaler Einwanderung" an.

Am 14. Mai 2009 begann offiziell die gemeinsame italienisch-libysche Flüchtlingsabwehr. In den Monaten davor erreichten besonders viele Flüchtlinge Lampedusa und Sizilien, es gab sehr viele Tote. Libyen erhielt zunächst drei Schiffe, drei weitere sollen folgen. Auf italienischer Seite arbeiten die Marine und die Finanzpolizei mit Libyen zusammen, offiziell geschieht das "mit vollem Respekt für die Gesetze (Italiens) sowie der EU und die internationalen Abkommen" Genau das ist jedoch fraglich, denn eigentlich müssten die Flüchtlinge identifiziert werden und die Möglichkeit haben, beim jeweiligen Bootskommandanten um Asyl zu bitten.


Kommt noch jemand?

Jetzt gibt es nur noch wenige Berichte darüber, was tatsächlich auf dem Meer passiert. Am 16. Juli erreichte ein Boot mit bis zu 150 Eritreern und Somalis unbemerkt einen Naturpark nahe der sizilianischen Stadt Syrakus, am 27. Juli kamen 25 Kurden nach Africo Nuovo in Kalabrien, Anfang August kamen 20 Flüchtlinge nach Lampedusa. Mitte August rettet die maltesische Marine 115 Menschen vor dem sicheren Ertrinken, die Agenturen sprechen vom ersten Fall von Bootsflüchtlingen seit Wochen, erwähnen jedoch im selben Atemzug, dass nur wenige Tage zuvor die italienische Marine ein Boot mit 84 Menschen an Bord nach Libyen "zurückschickte". Seit Mai hat man nun schon mindestens 1216 Flüchtlinge nach Libyen zurückgeschickt.

In Libyen ist die Wahrnehmung eine gänzlich andere; das zeigte sich beim Staatsbesuch Ghaddafis im Juni in Rom. Dort erklärte er: "Die Rede von Asylwerbern ist eine verbreitete Lüge ... Die Afrikaner haben keine politischen Probleme, sie haben keine Identität, sie kommen aus den Wäldern und sagen sich, im Norden gibt es Reichtum, lasst uns dort hingehen." Berlusconi ergänzte: "Seit dem Beginn der Zusammenarbeit gibt es keine neuen Ankünfte von Clandestini. In Libyen gibt es eine Agentur der Vereinten Nationen; wer Fakten vorweisen kann, die zeigen, dass er ein Recht auf Asyl hat, wird identifiziert. Und Italien akzeptiert absolut, dass diese benachteiligten Bürger eine Zuflucht in unserem Land finden."


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9, 24.Jg., September 2009, Seite 13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2009