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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1352: Krise der US-Autoindustrie


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.12/Nr.1 - Dezember 2009/Januar 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Krise der US-Autoindustrie
Interview mit Dianne Feeley

Von Angela Klein


Dianne Feeley hat bei American Axle gearbeitet, ein ausgeliagerter Zulieferer von General Motors. Mit ihr sprach Angela Klein.


SOZ: Wie sind derzeit die Zustände in der amerikanische Autoindustrie?

DIANNE FEELEY: 30 Jahre lang, seit die Krise in der Autoindustrie begann, hat die Automobilarbeitergewerkschaft UAW keine andere Strategie verfolgt, dieser Krise zu begegnen, als mit Zugeständnissen. Die haben keinen einzigen Arbeitsplatz gerettet: Vor 30 Jahren waren bei GM noch 485.000 Arbeiter beschäftigt, 2008 noch 62.000 und bis 2011/12 sollen es noch 42.000 sein - das heißt: 90% der Jobs wurden gekillt, trotz Zugeständnissen!

Gründe für die Arbeitsplatzvernichtung gibt es viele: die technologische Erneuerung, das Outsourcing der Abteilungen, die enorme Steigerung der Arbeitshetze, die Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer, um die Konkurrenz zwischen den Beschäftigten zu schüren, z.B. um die Frage: Wer darf das neue Modell bauen? In den 90er Jahren wurden die Zulieferer verkauft, dennoch sind sie, wie American Axle, wo ich gearbeitet habe, völlig von GM abhängig geblieben.

Vor 30 Jahren, nach der ersten großen Weltwirtschaftskrise, übernahmen US-Autobauer japanische Unternehmensmethoden: Lohngruppen wurden zusammengelegt, die Arbeit entwertet. In den USA sollten nur die rentabelsten Kraftfahrzeuge hergestellt werden: die Trucks, die SUVs, die Luxusklassen; mit jedem einzelnen Fahrzeug dieser Art wurden mindestens 10000 Dollar Gewinn gemacht.

Gleichzeitig haben ausländische Konzerne begonnen, Fabriken in den USA zu bauen: Das war der dynamische Teil der Autoindustrie in den USA, und er wurde immer größer. Die Belegschaften, die dort arbeiten, sind gewerkschafflich nicht organisiert; sie wurden gut dafür bezahlt, dass die Gewerkschaft außen vor blieb. Sie bekommen in etwa den gleichen Lohn wie bei GM, aber keine Krankenversorgung im Rentenalter. Bei Toyota z. B. gibt es keine Betriebsrente und keine betrieblich gesicherte Krankenversicherung im Alter. Dafür investieren die Beschäftigten in Aktien oder Rentenpapiere, und der Unternehmer tut etwas dazu, eine Art Sparbuch.

Die Hälfte der US-Autoproduktion wird inzwischen von ausländischen Konzernen hergestellt.


SOZ: Wie werden Arbeiter in den USA bezahlt?

DIANNE FEELEY: Bei GM erhalten die Arbeiter einen Grundlohn, der wird an die Preissteigerungsrate angepasst, das erfolgt automatisch alle drei Monate. Bei gewerkschaftsfreien oder ausländischen Unternehmen gibt es keine solche Anpassung. Wenn der Verkauf gut gelaufen ist, bekommen die Arbeiter außerdem zum Jahresende eine Prämie. Nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit können sie in Rente gehen.

Zusätzlich zu diesem Nettolohn erhalten sie eine betriebliche Krankenversicherung, die auch für die Familie gilt - eine gesetzliche Krankenversorgung gibt es nur für Menschen über 65 (sie deckt allerdings nicht Augen und Zähne). Dazu erhalten sie eine Betriebsrente (pension) zusätzlich zur gesetzlichen Rente (social security), letztere sichert aber nur 47% des letzten Lohns. Auch die gesetzliche Rente steigt jährlich um die Inflationsrate.

Ich bekomme nach 10 Jahren, die ich für American Axle gearbeitet habe, 1527 Dollar aus der gesetzlichen Rentenversicherung, plus 580 Dollar aus der betrieblichen Rentenversicherung. Da ich über 65 bin, komme ich auch noch in den Genuss einer staatlichen Krankenfürsorge.

Der Mindestlohn hingegen wird nicht an die Inflation angepasst. Er beträgt derzeit 8,25 Dollar, gilt aber nicht für Bedienung, Farmer, Heimarbeiter, Illegale usw.

Die Hauptforderung an die neue Regierung Obama ist die Aufstockung der gesetzlichen Sozialversicherung (Gesundheit und Rente), damit die Beschäftigten nicht mehr von betrieblichen Leistungen abhängen.


SOZ: Was bedeutet bei euch Rettung der Autoindustrie?

DIANNE FEELEY: Chrysler will 7 Werke in den USA schließen und stellt dafür eine großzügige Abfindung in Aussicht: 100.000 Dollar zzgl. Geld, um ein neues Auto zu kaufen. Chrysler hat wie GM Insolvenz nach Kap. 11 beantragt und Rettungsgelder der US-Regierung erhalten.

GM will 12 Werke schließen. Die Forschung und Entwicklung soll in Detroit bleiben; dort sollen auch Prototypen für Kleinwagen hergestellt werden. Die Hauptproduktion will GM aber nach Mexiko verlagern. So stirbt noch ein Stück mehr von Detroit, die einstmals eine der reichsten Städte der USA war; Für diese "Umstrukturierung" hat GM 17,5 Mrd. Dollar an "Rettungshilfe" erhalten.

Bei GM wie bei Chrysler war Bedingung für das Rettungspaket der Regierung, dass die Löhne der Belegschaften auf das Niveau nichtgewerkschaftlich organisierter Unternehmen fallen. Das bedeutet im Einzelfall: Für alte Arbeiter bleibt alles beim Alten; neue Arbeiter beginnen mit einem Einstiegslohn von 14 Dollar (früher: 26 Dollar) pro Stunde, ihre Betriebsrente wird abgespeckt, und sie haben weniger Urlaub.

Ford hat um Rettung nicht gebeten, will aber, dass seine Belegschaften dieselben Konzessionen machen.


SOZ: Wie wehren sich die Arbeiter?

DIANNE FEELEY: Das ist sehr unterschiedlich: Bei Chrysler kämpfen sie gegen Werksschließungen; da gibt es Demos und Unterstützung durch die lokale Politik. An Betriebsbesetzungen denken die meisten nicht. In den USA hat es nur eine erfolgreiche Betriebsbesetzung gegeben, das war 2009 bei Republican Doors + Windows, Chicago. Die Belegschaft bestand aus Afrikanern und Mexikanern, und sie hatten eine kleine, unabhängige und kämpferische Gewerkschaft, die sie unterstützte.

Es gibt Bewegungen für lokale oder regionale Mindestlöhne, gefordert werden 10-12 Dollar (ohne Krankenversicherung). Einige Städte haben das bereits angenommen.

Die soziale Opposition äußert Vorstellungen, wie der Rustbelt, der Gürtel um Detroit, Cleveland, Flint usw. wieder aufgebaut werden könnte: mit industrieller Produktion im Bereich des alternativen Massentransports und alternativer Energie. Doch die Firmen wollen das nicht, und die Regierung will es auch nicht.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12/1 24./25. Jg.,
Dez./Jan. 2009/2010, Seite 12
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2009