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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1391: Die Rolle der Spekulanten


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4 - April 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Die Rolle der Spekulanten

Von Angela Klein


Es gibt keinen Grund, selbstgerecht mit dem Finger auf die Griechen zu zeigen. Deren Regierung hat nichts anderes getan, als unsere Kommunalpolitiker seit Einführung des Euro auch tun: Sie versuchen an Geld zu kommen, indem sie die Einnahmen aus Häusern, Schienennetzen und anderer öffentlicher Infrastruktur 30 Jahre lang Heuschrecken überlassen, die ihnen dafür mit einem einmaligen Betrag aus der Klemme helfen. Sie machen das unter strenger Geheimhaltung, hinter dem Rücken der Stadträte und der Öffentlichkeit, d.h. sie betrügen.

Ist das so anders als das, was die konservative Regierung Simitis getan hat, in deren Amtszeit von 1996 bis 2004 die Einführung des Euro fiel? Diese hat Goldman Sachs erst die Einnahmen aus der staatlichen Lotterie (2000), dann die Einnahmen aus den Landegebühren auf allen griechischen Flughäfen (2001) gegen einen Kredit überlassen, der die realen Schulden verstecken sollte. Die Deals tragen poetische Namen wie Äeolos, der Wind, oder Ariadne, die dem athenischen Königssohn Theseus half, mit einem roten Wollfaden aus dem Labyrinth des Minotaurus herauszufinden. Goldman Sachs war nur eine von zwölf involvierten Banken, wenngleich wahrscheinlich die größte.

Ein Staat kann natürlich mehr als eine Kommune. Der Deal, der Griechenland 2001 in die Eurozone hob, war deshalb besonders pikant, weil er mit einer Währungsoperation unterfüttert war: Die griechische Regierung emittierte Anleihen in Yen und US-Dollar, die nach einer gewissen Zeit gegen Euro getauscht wurden. Nach mehreren Jahren sollte der Tausch rückgängig gemacht werden. Es heißt, dass Goldmans Konkurrenten, Lazard, JP Morgan, die Deutsche Bank, die Sache gegenüber dem Spiegel verpetzt hätten.

Die Deals wurden mehrere Male verlängert - einmal am Schuldentropf und unter der ständigen Knute des Stabilitätsprogramms der EU wird eine Regierung zum Junkie. 2005 verkaufte Goldman Sachs der griechischen Nationalbank einen Zins-Swap. Anfang 2009 bekam der Swap eine legale Existenz in Form einer Zweckgesellschaft mit Namen Titlos PLC und Sitz in London. Titlos (griech. für Inschrift) emittierte Kreditverbriefungen in Höhe von 5,1 Mrd. !EU\ (Laufzeit bis 2039), um in den Genuss von Liquiditätsspritzen der EZB zu kommen. Letztere hatte in der Finanzkrise viel Geld in das Bankensystem gepumpt. Das war ein ganz legales Geschäft, zu dem die Europäische Zentralbank verholfen hat, dafür kann man nicht einseitig die griechische Regierung schelten, während diejenigen, die die Gewinne eingestrichen haben, und die EZB, die auch nach dem Finanzkrach solche Geschäfte noch begünstigt hat, ungeschoren bleiben.

Im November 2009 schaute Goldman Sachs bei der Regierung Papandreu noch einmal vorbei, mit einem neuen Deal im Rucksack, diesmal sollten die Miesen im Gesundheitswesen umgeschuldet werden. Er kam nicht mehr zustande. Die im Oktober gewählte neue Regierung entdeckte, dass die Schulden doppelt so hoch waren, wie von der ausgehenden konservativen Regierung angegeben. Als sie das am 3.12. bekannt gab, begannen die Halter von Kreditausfallversicherungen darauf zu wetten, dass Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen könne. Daraufhin schnellten die Kosten für griechische Staatsanleihen in die Höhe (derzeit über 6%); im Februar begann die Spekulation gegen den Euro.

Spekulanten und ihre Wirtschaftspresse rechtfertigen sich damit, sie würden die Probleme nicht schaffen, sondern nur aufzeigen. So wie Hacker sich damit rechtfertigen, dass ihre Einbrüche in fremde Computer nur deren Sicherheitslücken aufdecken. Das stimmt nur insofern, als solche Geschäfte überhaupt nur möglich sind, wenn es starke wirtschaftliche Gefälle und Konkurrenz gibt. Griechenland ist nicht in die Bredouille gekommen, weil es krumme Geschäfte mit Goldman Sachs getrieben hat, es hat krumme Geschäfte mit Goldman Sachs gemacht, weil es chronisch im Defizit war. Das Defizit hat hauseigene Ursachen, und der Beitritt zum Euro hat sie noch um ein Vielfaches verschärft.

Griechenland hätte dem Euro niemals beitreten dürfen. Dass es dies tat, geschah jedoch nicht nur auf Druck der griechischen Reeder und Banker, sondern ebenso der deutschen und französischen Banken und Konzerne, die die Chance witterten, ohne zusätzliche Währungskosten den griechischen Markt übernehmen zu können.


Haltet den Dieb

Die Spekulanten haben sich am griechischen Defizit noch einmal eine goldene Nase verdient, indem sie den Preis für Staatsanleihen bewusst in die Höhe getrieben haben. Die vielzitierten Kreditausfallversicherungen (CDS) werden in dem Maße teurer, gewinnen also an Wert, wie sich abzeichnet, dass die Zinsen auf die Kredite nicht bedient werden können. Die Käufer solcher Papiere haben deshalb ein Interesse daran, dass der Wert der versicherten Anleihen herunter geredet wird. Innerhalb kürzester Zeit haben sie es vermocht, eine Pressekampagne zu lancieren, die den griechischen Staatsbankrott herbeigeredet hat, begleitet von einer wahrhaften Schmähkampagne gegen "die" Griechen und ihre Mentalität. Damit haben sie auch die Zinsen für die Staatsanleihen (mithin die Verschuldung) in die Höhe getrieben, woran sie ein weiteres Mal verdienen.

Diese Angriffe sind der Form nach legal. Sie waren möglich, weil die Staats- und Regierungschefs der reichen Länder es auch eineinhalb Jahre nach der Lehman-Pleite nicht geschafft haben, Hedge Fonds und den Derivatehandel zu verbieten. Die Verantwortlichen für die jetzige Krise des Euro sitzen in Washington, London und Berlin. Die Rettungspakete, die sie geschnürt haben, haben die Banken den Regierungen diktiert - in Deutschland ebenso wie in den USA. US-Präsident Obama hat seine Administration mit den Personen ausstaffiert, die für den Finanzkrach 2OO8 verantwortlich waren. Jörg Asmussen ist in Deutschland nicht etwa dafür gefeuert worden, dass er den Handel mit solchen Papieren zur Zeit der Regierung Schröder zugelassen hat, sondern er wurde zum stellvertretenden Finanzminister befördert und sitzt jetzt in der Kommission, die die "Fetakrise" lösen soll.

Übrigens hat Goldman Sachs, nachdem Präsident Obama im Januar angekündigt hat, den Geschäftsumfang der großen US-Banken beschneiden zu wollen, 10 Mrd. Dollar in Form von Gehältern und Boni rückwirkend für 2009 an seine Angestellten verteilt.

Anstelle der Griechen hätte es viele andere Staaten treffen können (und kann es immer noch treffen): Griechenlands Gesamtverschuldung (öffentliche und private Schulden zusammen genommen) ist geringer als die Spaniens und das Land ist zahlungsfähig. Statt einer Kampagne gegen die Täter (die Spekulanten) und die Nichttäter (die Regierungen) hört man die interessierten Kreise zum altbekannten Angriff blasen: Sie singen auf allen Kanälen die neoliberale Litanei vom aufgeblähten Staatsapparat und dem "anstrengungslosen Wohlstand" der Beschäftigten und Rentner: Der öffentliche Dienst muss zerstört, Löhne und Renten auf ein Mindestmaß reduziert werden.

Was die Länder Lateinamerikas in den 80er und 90er Jahren durchmachen mussten, traf in den 90er Jahren Osteuropa, trifft jetzt Irland, Island, Griechenland - und bald vielleicht Portugal, Spanien, Italien.


Exportquoten 2009 in % des BIP
Euroland                                                         
Deutschland                                                      
Frankreich                                                       
Österreich                                                       
Belgien                                                          
Niederlande                                                      
Luxemburg                                                        
Griechenland                                                     
Irland                                                           
Portugal                                                         
Spanien                                                          
27,0
34,2
17,7
36,0
56,3
52,2
31,4
8,0
48,6
19,9
15,3

Außenschuld 2009 in % des BIP
Deutschland                                                      
Frankreich                                                       
Griechenland                                                     
Irland                                                           
Portugal                                                         
Spanien                                                          
3,4
8,3
12,7
12,5
8,0
11,2



Haushaltsdefizit in % des BIP

LAND

Belgien
Deutschland
Frankreich
Griechenland
Irland
Italien
Luxemburg
Niederlande
Österreich
Portugal
Spanien
1999 
-0,4 
-1,5 
-1,8 
-1,8 
2,4 
-1,7 
3,7 
0,7 
-4   
-2,8 
-1,2 
2000 
0,2 
1   
-1,4 
-4,1 
4,4 
-0,6 
6   
2,2 
-1,5 
-2,8 
-0,9 
2001 
0,6 
3   
-1,6 
-6,1 
0,8 
-3,2 
6,1 
-0,2 
0   
-4,2 
-0,5 
2002 

O     -2,9 
-3,2 
-4,9 
-0,4 
-2,7 
2,1 
-2   
1   
-2,8 
-0,3 
2003 
0,1 
-3,8 
-4,2 
-5,7 
0,2 
-3,2 
0,2 
-3,2 
-1,2 
-2,9 
0   
2004 
0   
-4,1 
-3,6 
-6,6 
1,4 
-3,2 
-0,6 
-2,1 
-1   
-3   
-0,1 
2005 
0   
-3,7 
-3,2 
-3,7 
-0,4 
-4,3 
-2,3 
-1,8 
-1,9 
-6   
-0,2 
2006 
1   
-3,9 
-3,5 
-3,8 
-0,3 
-4,2 
-2   
-1,9 
-1,8 
-5   
-0,4 
2007 
-0,3 
-3,7 
-3,5 
-3,8 
0,3 
-4,6 
-2,2 
-1,5 
-1,4 
-4,8 
-1,9 
2008 
-0,5 
-3,3 
-7,7 
-7,7 
-2,7 


-2,7 
-4,1 
2009



-12,7
-12,5
-5,3


-8  
-11,2

Quelle: Österreichische Nationalbank (1999-2007), Wikipedia (2008-2009)


*


Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 25. Jg., April 2010, Seite 13
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. April 2010