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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1404: Betriebsrats-Wahlen in der Autoindustrie


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 - Mai 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

BR-Wahlen in der Autoindustrie
Ergebnisse bei Daimler und Opel

Von Jochen Gester


Die Betriebsratswahlen ziehen sich noch bis Ende Mai hin, die bisherigen Ergebnisse erlauben allerdings schon ein vorsichtiges Resümee. Hier wollen wir uns die Daimler-Werke genauer ansehen.


Wie in der letzten SoZ berichtet, wollten oppositionelle Kolleginnen und Kollegen der IG Metall bei Daimler in Berlin und Sindelfingen mit einer eigenen Liste zu den Betriebsratswahlen antreten und wurden deswegen mit einem Ausschlussverfahren aus der Gewerkschaft bedroht. Welche Resonanz hatte die linke Opposition bei den Betriebsratswahlen 2010?

In einer Anzeige der IG Metall in Bild am Sonntag protestieren Betriebsratsvorsitzende dagegen, dass mit der Diffamierung und Bekämpfung von Betriebsräten der Versuch unternommen werde, die Betriebe zu demokratiefreien Zonen zu machen.

Diese Sichtweise erweckt den Eindruck, die Wahl von Betriebsräten sei ein Akt der Demokratie. Davon kann jedoch nicht die Rede sein, da die "Betriebsgemeinschaft" keine Gruppe von Gleichen ist, sondern die Besitzer der Produktionsmittel per Weisungsrecht ihre grundgesetzlich geschützte unternehmerische Freiheit ausüben. Sie steht bei Wahlen nicht zur Disposition. Das BetrVG dämmt die unternehmerische Macht lediglich ein. Auf die Schließung eines Betriebs, die massenhaft Arbeitslosigkeit hervorruft, hat der Betriebsrat keinen Einfluss.

Das BetrVG verpflichtet Betriebsräte in Paragraph 2 zur "vertrauensvollen Zusammenarbeit" mit dem Unternehmer und dazu, "zum Wohl des Unternehmens" beizutragen. Sie müssen einen "ernsten Willen" zur Einigung unter Beweis stellen und haben keinerlei Recht, zu Arbeitskämpfen aufzurufen.

Doch selbst die geringen Einflussmöglichkeiten der Betriebsräte und ihr Recht auf einen besonderen Kündigungsschutz erhöhen das Interesse an dieser Position - besonders in der Krise, angesichts des zunehmenden Bedürfnisses nach Schutz vor Abbau der Sozialstandards und drohender Arbeitslosigkeit.

Die Ergebnisse der aktuellen Betriebsratswahlen belegen das: Die Listen der IG Metall haben profitiert, weil die Organisationsmacht der Gewerkschaft Schutz verspricht. Die Krise ist nicht die Stunde des Wagemuts - wenn überhaupt wagen nur diejenigen Belegschaften etwas, die damit schon Erfahrung gesammelt haben.

Auf der Website der IG Metall verbreitet ein Nachrichtenticker die Wahlergebnisse. Gefragt nach seiner Einschätzung, verweist der Pressesprecher der IG Metall, Jörg Köther, auf folgende Trends: höhere Wahlbeteiligung und ein größerer Erfolg der Listen der IG Metall. Gegnerische Listen hätten an Bedeutung verloren oder seien ganz bedeutungslos geworden.

Diesmal gibt es viele Betriebe im Organisationsbereich der IG Metall, in denen die IGM-Listen sämtliche Sitze erobern konnten. Bei Opel in Rüsselsheim erzielte die IG Metall sogar ihr bestes Ergebnis seit Kriegsende: 86,6%. Nur in ganz wenigen Betrieben musste sich die IGM-Liste mit weniger als 50% zufrieden geben. Zumeist lag ihr Stimmenanteil bei rund 75%.

Diese Stimmen sind ein Vertrauensvorschuss der Beschäftigten, und man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass dieser Vorschuss durch den aktuellen Kurs der "gelebten Sozialpartnerschaft" (IGM) nicht rückerstattet werden wird.

Deshalb haben sich in einer ganzen Reihe von Daimler-Werken Gewerkschaftsmitglieder zu oppositionellen Gruppen zusammengeschlossen und bei den Betriebsratswahlen kandidiert. Wie haben sie abgeschnitten?


Wahlergebnisse von Oppositionellen

Im Werk Berlin-Marienfelde hat die seit 2006 bestehenden Gruppe Alternativer Metaller erstmals eigenständig kandidiert und ist neben der offiziellen IGM-Liste zweitstärkste Gruppe geworden. Sie erhielt 526 Stimmen und bekommt 5 Sitze im Betriebsrat. In bestimmten Produktionsbereichen entfielen auf die Alternative 80-90% der Stimmen. Etwa jeder zweite Beschäftigte in der Produktion, der zur Wahl gegangen ist, stimmte für einen stärker konfliktorientierten Kurs. Die offizielle Liste wurde von 1403 Beschäftigten gewählt und stellt nur noch 15 Betriebsräte. Die CGM (Christliche Gewerkschaft Metall) verhungerte bei 46 Stimmen. Doch der Erfolg der Alternativen blieb nicht ohne Folgen. Betriebsräte der offiziellen Liste haben jetzt den ersten Schritt zu einem Gewerkschaftsausschluss eingeleitet.

Die ebenfalls erstmals angetretene Gruppe Alternativer Metaller in Sindelfingen kam auf 627 Stimmen, was jedoch nur einem Betriebsratsmandat entspricht, man hatte ein besseres Ergebnis erwartet. Dieses Ergebnis zeigt wohl, dass die Gruppe die Bedeutung des großen "Aufruhrs in Sindelfingen" (SoZ 2/10) nicht begriffen hat und hier kaum eine Rolle spielte. Auch gegen diese Liste ist ein Untersuchungsverfahren, d.h. ein erster Schritt zum Ausschluss eingeleitet worden. Die offizielle Liste der IG Metall bekam 44 von 55 Mandaten und 18.000 von 24.186 Stimmen.

Eine Liste der Alternativen gab es auch wieder im Werk Düsseldorf, sie konnte diesmal einen Sitz dazu erobern. Die Liste ist zusammen mit der CGM mit jeweils drei Sitzen zweitstärkste Gruppe. Die IGM-Liste bekam 24 Mandate.

Ein ähnliches Bild ergibt sich in Hamburg. Dort konnten die Alternativen die Zahl ihrer Mandate von drei auf fünf erhöhen (458 Stimmen). Die offizielle Liste der IG Metall stellt jetzt nur noch zehn Betriebsräte. Sie verlor sieben Sitze (854 Stimmen) und damit erstmals die absolute Mehrheit. Neben ihr gab es noch eine weitere Liste mit dem Namen "Belegschaftsrat", sie versammelte diejenigen, die bei den Machtkämpfen um Plätze auf der offiziellen IGM-Liste den Kürzeren gezogen hatten. Die CGM kam auf ein klägliches Ergebnis von 51 Stimmen. Ulf Witkowski von den Alternativen freut sich nun darüber, dass die bisherige Mehrheit im Betriebsausschuss nicht mehr schalten und walten kann, wie sie will.

An allen anderen Standorten kandidierten die Oppositionsgruppen im Rahmen der Persönlichkeitswahl auf der IG-Metall-Liste. Rainer Ilbig von der Gruppe "Innenspiegel" in Mannheim erhielt die drittmeisten Stimmen. Auch die Bremer Gruppe mit der Betriebszeitung Kollegen von Daimler informieren legte bei der Betriebsratswahl zu. Ihr Listenführer Gerhard Kupfer landete an zweiter Stelle, andere Kandidaten kamen unter die ersten zehn.

Die "Kollegengruppe" hatte erfolgreich die Unzufriedenheit der Belegschaft mit dem von der Betriebsratsmehrheit ausgehandelten Beschäftigungssicherungsvertrag zum Ausdruck gebracht. Diese Unzufriedenheit führte sogar zu einer Arbeitsniederlegung.

Eine gute Verankerung der Opposition zeigt auch das Ergebnis im Werk Kassel. Vincenzo Sicilia von der Gruppe mit der Betriebszeitung Nachrichten vom Mercedesplatz erhielt die meisten Stimmen, sogar mehr als der amtierende Betriebsratsvorsitzende. Gegen die Gruppe läuft ein Ausschlussverfahren.

Eine positive Wahlbilanz zieht auch Tom Adler von der Stuttgarter Alternative, eine der ältesten Oppositionsgruppen in der Daimler-Welt. Die Alternative hatte bei dieser Wahl auf eine eigene Kandidatur verzichtet, nachdem die Betriebsratsmehrheit nicht mehr die Einstellung der Betriebszeitung der Alternative forderte.

Die gemeinsame Liste der IG Metall bekam im Werksteil Mettingen, in dem die Alternative zuvor wegen ihrer konfliktorientierten Linie die Betriebsratsmehrheit gestellt hatte, satte 84%. Im Stammsitz Untertürkheim, dem Modellbetrieb für angewandtes Co-Management, gab es für die IGM-Liste lediglich 68,5%.

Tom Adler sieht damit auch die These widerlegt, eine kämpferische gewerkschaftliche Orientierung würde den gewerkschaftlichen Einflusses verringern. Zwei Sitze (552 Stimmen) entfielen auf die Liste Offensive Metaller, an deren Spitze der aus der IGM ausgeschlossene MLPD-Mann Volker Kraft steht. Zu erwähnen ist, dass erstmals eine Gruppe von Beschäftigten mit neofaschistischen Positionen als Liste Zentrum kandidierte und zwei Sitze (703 Stimmen) erhielt. Die Meinungsführer dieser Gruppe waren vorher bei der CGM, verließen sie aber, nachdem die Kollegen Alternative sie erfolgreich geoutet hatte.

Bei Opel Bochum blieb die Opposition klein. Bei einer hohen Wahlbeteiligung von 84,8% gab es große Zustimmung für die offizielle Liste mit dem BR-Vorsitzenden Rainer Einenkel, sie erhielt 21 Sitze. Die von der MLPD gestellte Liste Offensiv erhielt nur ein Mandat (234 Stimmen). Die GoG (Gegenwehr ohne Grenzen) ist mit 90 Stimmen erstmals seit über 30 Jahren nicht mehr im Betriebsrat vertreten.

Für das schwache Abschneiden der Opposition gibt es viele Gründe, einer davon ist die kluge Politik der Einenkel-Fraktion, die mit der Verlängerung der Kurzarbeiterregelung punkten konnte: Viele Opelaner können dadurch mit relativ geringen Abzügen bis Jahresende auf Kurzarbeit Null gehen. Auch dürfte der Einenkel'sche Realismus, das Überleben des Werks durch eine den Konkurrenzstandorten überlegene Produktivität zu erreichen, für viele ein Strohhalm sein.

Wichtig war wohl auch, dass trotz der begrenzten Anzahl an Sitzen 478 Kandidaten für die offizielle Liste antraten und als Multiplikatoren fungierten - offenbar in der Hoffnung, Kündigungsschutz zu bekommen oder ihn um ein paar Monate zu verlängern.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 25. Jg., Mai 2010, Seite 9
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2010