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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1513: Quo vadis S-Bahn Berlin?


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 - März 2011
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Quo vadis S-Bahn Berlin?
Verschiedene Nachfolgemodelle stehen zur Diskussion

Von Jochen Gester


Drei Optionen liegen auf dem Tisch: die Ausschreibung eines Teils des Streckennetzes, die Vergabe der S-Bahn an die BVG und der Kauf der S-Bahn von der DB durch den Berliner Senat.


"Alle reden vom Wetter - wir nicht" - das war das Kampfmotto eines SDS-Plakats, das heute noch in einigen Zimmern der Leser dieser Zeitung hängen dürfte. Doch dieses Plakat mit den Klassikerköpfen von Marx, Engels, Lenin war nur eine ironische Abwandlung des Originals der Deutschen Bundesbahn, das statt der Köpfe einen dem Wetter trotzenden Intercity abbildete.

Daran mag sich so mancher erinnert haben, als der Vorstandsvorsitzende der Bahn AG, Rüdiger Grube, am 24. Februar im Verkehrsauschuss des Bundestags zu den Ursachen für den Dauernotfahrplan der S-Bahn befragt wurde. In Berlin geht mittlerweile der Witz um: "Kennst du die vier Hauptfeinde der Bahn AG?" Antwort: "Frühling, Sommer, Herbst und Winter".

Inzwischen verfügt der Senat über eine neun Seiten lange Liste über technische Mängel, doch Angaben über Fristen zu ihrer Behebung gibt es nicht. Die Erklärung Grubes, er könne keine genaueren Angaben darüber machen, wann die S-Bahn wieder zum Normalbetrieb zurückkehrt, klang wie ein Offenbarungseid. Auch nicht besonders überzeugend waren seine Schuldzuweisungen an die Hersteller. Schließlich wurden die Züge ohne Beanstandung von Sicherheitsingenieuren der Bahn abgenommen. Geradezu entsetzt zeigten sich Ausschussmitglieder darüber, welch geringe Sicherheitsmargen bei der Konstruktion der Züge gelten. Diese sind offensichtlich vom Abnehmer akzeptiert worden. Bei einigen Komponenten liegen sie bei nur 1% - und bekanntlich bestimmt sich die Festigkeit der Fahrzeuge nach der Haltbarkeit des schwächsten Gliedes. Der Bahn-Chef musste sich daran erinnern lassen, dass die mangelnde Fahrtüchtigkeit der Züge auch das Ergebnis einer Halbierung der Stellen im Wartungsbereich, der Verlängerung der Wartungsintervalle und der Ausdünnung der Fahrzeugflotte ist.

Laut Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) haben sich derweil die Gewinne aus dem S-Bahn-Betrieb von 2006 bis 2010 vervierfacht. Der auf die S-Bahn angewiesene Teil der Stadt ist abgenervt vom Mobilitätsnotstand und sehnt sich zur berechenbaren Normalität zurück. Doch da die Bahn AG gerade damit überfordert ist, gibt es nun eine Kontroverse über mögliche andere Eigentümer; die dürfte auch den Wahlkampf zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September mit bestimmen.


Wer darf die S-Bahn betreiben?

Eine zentraler Streitpunkt ist, ob weiterhin die Deutsche Bahn AG von den Ländern Berlin und Brandenburg mit dem Betrieb der S-Bahn beauftragt wird oder ob der Betreiber durch Ausschreibung ermittelt wird. Das Spektrum der Vorschläge folgt dem Links-Rechts-Raster insofern, als sich dabei Anhänger und Kritiker einer marktwirtschaftlichen Lösung gegenüberstehen. Speerspitze des Modells "Auschreibung jetzt" ist die IHK, die das Streckennetz in drei Streckenbündel aufteilen und so schnell wie möglich ausschreiben will - d.h. sie will auch den laufenden Verkehrsvertrag mit der Deutschen Bahn AG kündigen.

Obwohl dieser Verkehrsvertrag erst 2017 ausläuft, können bereits 2013 Lose ausgeschrieben werden. "Mit größter Sorge" werden im Ludwig-Ehrhard-Haus (Kommunikations- und Service-Center der Industrie- und Handelskammer Berlin und der Berliner Börse) Pläne des Senats verfolgt, sich selbst an der S-Bahn unternehmerisch zu beteiligen. Diese Position wird auch von der in beiden Bundesländern recht unbedeutenden FDP vertreten.

Eine Auschreibungslösung favorisieren auch die CDU und die Grünen. Die Grünen versprechen aber im Unterschied zu CDU und FDP in ihrem Berliner Wahlprogramm eine Ausschreibung, die ökologische und tarifliche Standards berücksichtigt. Darüber, welche Tarifstandards hier gelten sollen, schweigt sich das Programm aus. Bekanntlich gibt es auch Dumpingtarifverträge für Leiharbeiter. Die Grünen setzen unternehmerisch auf ein Modell, das erstmals bei der Stockholmer U-Bahn zum Einsatz kam. Die Stadt schaffte sich einen Fahrzeugpool an und schrieb lediglich das Betriebsmanagement aus. Dem Modell folgten in Deutschland die Länder Niedersachsen, Bremen und Hamburg. So erwarb die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen für den Konkurrenten der Bahn AG, die Metronom Eisenbahngesellschaft, Lokomotiven und Waggons und verpachtete sie an den privaten Anbieter. Im Grünen-Modell würde allerdings auch das S-Bahn-Netz aus dem Unternehmensbereich der Bahn AG herausgelöst.

Der Berliner SPD-LINKE-Senat will im März seine Entscheidung darüber bekannt geben, wie es mit der S-Bahn weitergehen soll. Zur Diskussion stehen drei Optionen: Die Ausschreibung eines Teils des Streckennetzes, die Vergabe der S-Bahn an die BVG und der Kauf der S-Bahn von der Deutschen Bahn. Die Brandenburger SPD-Landesregierung will so bald wie möglich eine Teilauschreibung des Netzes, die aber "kein gnadenloser Wettbewerb" werden dürfe. Der Landesparteitag der Berliner SPD hat sich gegen eine vollständige Auschreibung ausgesprochen, und auch die Linkspartei will nicht über Teilausschreibungen hinausgehen.


Gewerkschaften uneins

Die Entscheidung wird auch durch die Tatsache beinflusst, dass es mittlerweile ein Vergaberecht der EU gibt, das ab einer bestimmten Auftragssumme eine Ausschreibungspflicht vorschreibt, die im Fall der S-Bahn gegeben sein dürfte. Auch der Bundesgerichtshof hat in seinem aktuellen Urteil diese Rechtsposition bekräftigt und will Direktvergaben nur in Ausnahmefällen zulassen. Diese Auflagen ließen sich jedoch zumindestens für einen Teilbereich dadurch umgehen, dass der Senat im Zuge eines sog. Inhouse-Geschäfts den Betrieb von S-Bahn-Strecken der landeseigenen BVG überträgt.

Eine Lösung für das Gesamtnetz wird dadurch blockiert, dass die Bahn AG sich bisher weigert, Züge abzugeben. Sie möchte auch die Zusage dringend notwendiger Investitionen davon abhängig machen, dass sie den Zuschlag für die Weiterführung des S-Bahnbetriebs ab 2017 erhält.

Die Senatsparteien liebäugeln mit der Idee eines landeseigenen, regional eigenständigen Unternehmens, das - so die verkehrspolitische Sprecherin der Linkspartei, Mattuschek - die S-Bahn aus den Renditekreisläufen der Bahn AG herauslöst.

Die in diesem Bereich tätigen Gewerkschaften stehen dieser Idee mehrheitlich positiv gegenüber. Ver.di, tonangebende Gewerkschaft bei der BVG, lehnt die Privatisierung von Teilnetzen ab und fordert ein von der Bahn AG unabhängiges landeseigenes Verkehrsunternehmen. Auch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG, der Zusammenschluss von Transnet und GDBA) ist gegen jegliche Privatisierung von Netz und Schienenbetrieb, aber für den Verbleib der S-Bahn im DB-Verbund. Der EVG-Vorstand sieht die Bahn AG auf einem guten Weg zur Überwindung der Krise, weil sich der Bahnvorstand einen großen Teil der Gewerkschaftsforderungen zu eigen gemacht habe. Dem widerspricht jedoch die innergewerkschaftliche Opposition, die einen substanziellen Kurswechsel der Bahn nicht erkennen mag.

Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ist gegen eine vorzeitige Aufkündigung des Verkehrsvertrags, weil sie befürchtet, dass die S-Bahn dann völlig aus ihrer Verantwortung für die Instandhaltung entbunden wird. Zur Frage der Landesgesellschaft macht sie keine direkte Aussage.

Eine erfreuliche Initiative haben jetzt aktive S-Bahner aus dem Bereich der EVG und Ver.di-Kollegen bei der BVG ergriffen. Sie haben ein Sofortprogramm für die Berliner S-Bahn formuliert (www.trend.infopartisan.net). Darin fordern sie einen Bahnbetrieb, der nicht mehr länger privatwirtschaftlichen Interessen unterworfen ist, und benennen die wichtigsten personellen und finanziellen Maßnahmen, um das Mobilitätsinteresse der Bürger zu sichern und die unerträglichen und gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten zu beenden.

Um zu verhindern, dass diese Forderungen blockiert oder umgangen werden, soll ein Kontrollausschuss gebildet werden, der sich aus Vertretern des Verkehrsausschusses des Bundes und des VBB, aus Vertretern der Gewerkschaften und des Betriebsrats sowie aus Technikern und anderen kompetenten S-Bahnern zusammensetzt. Die Geschäftsführung der S-Bahn und der Bahn AG sollen dem Ausschuss rechenschaftspflichtig sein.

Geplant ist jetzt die Konstituierung eines öffentlichen Ausschusses zum Thema "Zukunft der S-Bahn". Anfang März soll dieser auf einer Veranstaltung gebildet werden, zu der die Initiative "Bahn für alle", Attac, der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg, die beteiligten Gewerkschaften und der Betriebsrat der S-Bahn aufrufen.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 26.Jg., März 2011, S. 7
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. März 2011