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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1655: Gewerkschaftsarbeit unter Leiharbeitern


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6 - Juni 2012
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Gewerkschaftsarbeit unter Leiharbeitern
Interview mit Karl-Heinz Fortenbacher von der IG Metall Augsburg

von Jochen Gester



In der letzten SoZ (5/2012) haben wir das Schwarzbuch Leiharbeit der IG Metall vorgestellt. Um zu erfassen, was darin Marketing und was real ist, bat Jochen Gester den IGM-Kollegen Karl-Heinz Fortenbacher um eine Einschätzung der Situation vor Ort. Fortenbacher hat in Augsburg den Stammtisch Leiharbeit mitinitiiert.


Jochen Gester: Im Schwarzbuch Leiharbeit der IG Metall heißt es, in vielen Städten gebe es Leiharbeiter, die sich zu Arbeitskreisen zusammen geschlossen haben. Darüber hinaus hätten die Betroffenen auch Leiharbeiterstammtische organisiert. Als Beispiel für solche Aktivitäten wird die Arbeit der Stammtische in der Augsburger Verwaltungsstelle der IG Metall beschrieben. Du bist einer der Initiatoren dieser für die IG Metall eher ungewöhnlichen Basisarbeit. Kannst du uns sagen, wie die Idee entstand?

Karl-Heinz Fortenbacher: Unter www.igmetall-zoom.de/zoom-vor-ort-zeitarbeiter-leiharbeiter-gewerkschaft-betriebsrat.html sind die Arbeitskreise eingetragen, die sich bei der IGM gemeldet haben. Aber ich glaube nicht, dass die alle funktionieren. Die sechs, die funktionieren, sind in Augsburg, Freiburg und Hamburg sowie Zwickau (VW-lastig), Erlangen und Regensburg (Betriebsräte bei der Leihfirma Tuja). Regensburg hatte bis zur Krise 2008 einen funktionierenden Arbeitskreis Leiharbeit (vor allem bei BMW). Aber BMW meldete damals seine 5000 bayernweit beschäftigten Leiharbeiter innerhalb von ein paar Monaten ab, und das war damals das Aus für den Arbeitskreis. Übriggeblieben ist nur eine Handvoll Betriebsräte von Tuja und Randstad.

Leiharbeiterstammtische gibt es nur in Augsburg. Das war ursprünglich ein Vorschlag der Leiharbeiter bei Premium Aerotec (ehemals EADS) aus dem Arbeitskreis «Menschen in Zeitarbeit» (MiZ), weil ihnen die monatliche Zusammenkunft zu wenig war, um im Einsatzbetrieb effektiv zu sein. Es wurde danach ein zweiter Stammtisch bei Eurocopter Donauwörth (EADS) initiiert, der aber fast wieder eingeschlafen wäre - nach der Krise wurde die Hälfte der 1600 Leiharbeiter abgebaut. Inzwischen stabilisierte er sich wieder bei etwa sechs Leiharbeitern. Ein dritter Stammtisch ist bei Fujitsu (PC-Werk) entstanden. Sie treffen sich aber nur alle zwei Wochen - vier Leiharbeiter, alle aus der gleichen Schicht.

Jochen Gester: War es möglich, durch diese Art der Organisation etwas zu erreichen, und wenn ja, was hat sie erreicht?

Karl-Heinz Fortenbacher: Die in den Stammtischen aktiven Leiharbeiter sind Ansprechpartner für die Inaktiven. Sie arbeiten etwa wie normale Vertrauensleute. Konkrete Verbesserungen wurden bei Premium Aerotec und Eurocopter in der Bezahlung der Akkordprämien erreicht. Die Aktiven haben die Entleih-Betriebsräte so lange bearbeitet, bis sie das Thema aufnahmen und in Verhandlungen mit der Geschäftsleitung eine Betriebsvereinbarung dazu abschlossen.

In der Regel werden in Entleihbetrieben mit Akkordarbeitsplätzen die Leiharbeiter dazu angehalten, im Akkord zu arbeiten. Sie werden aber nicht nach Leistung bezahlt. Wer das nicht mitmacht, wird abgemeldet. Dazu man muss wissen, dass die Leiharbeiter einen Rechtsanspruch auf die gleiche Akkordprämie haben wie die Stammarbeiter. Nach Arbeitnehmerüberlassungsgesetz kann von der Gleichbehandlung abgesehen werden, wenn es dazu eine tarifvertragliche Vereinbarung gibt. Es gibt aber in keinem Tarifvertrag der Leiharbeit Regelungen zum Akkord, sodass das Gleichbehandlungsgebot greift.

Diese Vereinbarungen bei Premium Aerotec und Eurocopter waren bisher die einzigen wirklichen Erfolge der Stammtische. (Die Akkordprämie der Stammarbeiter beträgt pro Stunde etwa 4 Euro). Bei Eurocopter hat der Betriebsrat allerdings nur die halbe Prämie per Betriebsvereinbarung durchgesetzt. Bei Eurocopter betraf es bis zu 600 Leiharbeiter, bei Premium Aerotec ca. 100. Ohne eine Zusammenarbeit mit den Betriebsräten sind Verbesserungen nur sehr schwer zu erreichen. Man ist damit natürlich auch von ihnen abhängig.

Jochen Gester: Wo liegen die Schwierigkeiten und die bisher sichtbaren Grenzen dieser Arbeit?

Karl-Heinz Fortenbacher: Die Schwierigkeiten liegen z.B. darin, eine personelle Kontinuität beizubehalten. Der Wechsel durch Abmeldungen, vor allem in einer Krisensituation, kann einen Stammtisch komplett auf Null reduzieren. Bei Übernahmen durch den Entleiher ist das weniger der Fall. Jedenfalls sind bei Premium Aerotec aktive Leiharbeiter übernommen worden. Sie führen den Stammtisch aber weiter.

Jochen Gester: Wie geht die Verwaltungsstelle damit um? Gibt es die üblichen Ängste über Kontrollverlust?

Karl-Heinz Fortenbacher: Von Seiten der Verwaltungsstelle gab es bisher keine Probleme wegen Kontrollverlust. Die waren eher froh, dass es Aktivitäten dieser Art gab, weil die IGM in den letzten Jahre Probleme hatte, ihre betrieblichen Vertreter (Betriebsräte und Vertrauensleute) für die Problematik zu sensibilisieren. Es gibt immer wieder mal den Vorstoß, nur IGM-Mitglieder zum Arbeitskreis MiZ zuzulassen. Bisher wurde das nicht umgesetzt.

Kontrolle fordern eher die betrieblichen Vertreter, denn die haben die Leiharbeiter vor Ort und sind mit aktiven Leiharbeitern konfrontiert. In der Regel betrachten Betriebsräte die Leiharbeiter genau so als personelle Manövriermasse wie die Personalabteilung (Ausnahmen gibt es natürlich). Den Leiharbeitern, ob aktiv oder nicht, ist das bewusst. Von den drei Stammtischen nimmt nur an einem (Fujitsu) der Betriebsrat relativ regelmässig teil - allerdings weniger zur Kontrolle, sondern weil es einzelne Kollegen gibt, die das Thema interessiert.

Jochen Gester: Wie beurteilen die Leiharbeiter in eurer Runde die offizielle Position des Vorstands, der ja Leiharbeit nicht grundsätzlich in Frage stellt, sondern sie nur fair ausgestalten möchte?

Karl-Heinz Fortenbacher: Mit der Politik des Vorstands haben die Aktiven bei uns nach meinem Eindruck weniger Probleme. Der ist vermutlich zu weit weg. Kritik gibt es eher daran, dass die Gewerkschaft zu wenig Manpower für die Leiharbeiter investiert. In den Verwaltungsstellen gibt es keine Sekretäre, die sich nur speziell mit dieser Frage befassen.

Jochen Gester: Siehst du grundsätzlich eine Chance dafür, in der IG Metall die Kultur eines ADAC der Arbeitswelt zu überwinden zugunsten einer Politik, bei der die Mitglieder aktiv werden, selbst entscheiden und für die Folgen ihrer Entscheidungen auch persönlich Verantwortung übernehmen? Oder sind dies nur Träume «realitätsverweigernder Altlinker»?

Karl-Heinz Fortenbacher: Ob in den Gewerkschaften nur ADAC-Politik gemacht wird oder nicht, wird auch von den Mitgliedern selbst entschieden. Stellen sie veränderte Anforderungen, wird es schon zu Konflikten kommen. Bei Leiharbeitern ist das aber meiner Meinung nach nicht zu erwarten, da ihre rechtliche Lage extrem schwach sind. Der Entleiher braucht die nur abmelden, und schon ist er sie los.


Karl-Heinz Fortenbacher (68) war als Facharbeiter seit 1978 bei Siemens (später Siemens-Nixdorf, dann Fujitsu-Siemens, jetzt Fujitsu) im Großrechnerwerk in Augsburg beschäftigt. Seit 2004 ist er in Rente. In den letzten vier Jahren bis 2004 war er Betriebsrat, davor Vertrauensmann der IG Metall. Bis Ende letzten Jahres war er ehrenamtlicher Leiter des 2002 gegründeten AK Menschen in Zeitarbeit (AK MiZ).

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 27. Jg., Juni 2012, Seite 8
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2012