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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1662: Wer profitiert von den griechischen Schulden?


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6 - Juni 2012
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Wer profitiert von den griechischen Schulden?
Blockupy und die aktuelle Lage in Griechenland

Von Stephan Lindner



Geht es nach der Stadt Frankfurt, ist Demokratie entbehrlich. Lautstarker Protest gegen menschenverachtende Politik wäre einfach verboten. Egal ob ein Konzert von Konstantin Wecker, eine Mahnwache der Ordensleute für den Frieden, eine Diskussion besorgter Menschen über die Krise, eine internationale Großdemonstration oder das Besetzen von Straßen und Plätzen nach dem Vorbild von Occupy Wallstreet - nichts davon dürfte stattfinden. Zwar wahrscheinlich möglich, diese Rechte vor Gericht zu erstreiten, das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Versuch, Demokratie abzubauen derzeit ein weltweites Phänomen ist.


Als am 3. Mai die Europäische Zentralbank in Barcelona tagte, setzte die spanische Regierung kurzerhand das Schengen-Abkommen außer Kraft. Dutzenden Menschen wurde die Einreise nach Spanien verweigert, und 8000 Polizisten machten aus Barcelona "eine Art Schaufenster für Uniformen, Waffen, Helikopter und Polizeiwagen", wie El País schrieb. Dabei hatte die spanische Bewegung aufgrund der zeitlichen Nähe zum 12. Mai nicht einmal größere Aktionen geplant.

Telepolis berichtete vor kurzem, die spanische Regierung wolle die Strafgesetze so verschärfen, dass Aufrufe im Internet oder anderen Medien zu Protesten, die "ernsthaft den öffentlichen Frieden stören", wie es auch Blockupy vorgeworfen wird, als Bildung einer kriminellen Vereinigung gewertet werden können. "Dann drohen Haftstrafen von mindestens zwei Jahren, um sofort Untersuchungshaft verhängen zu können. Verhindert werden soll auch, dass die Strafen zur Bewährung ausgesetzt werden."


Hetze gegen SYRIZA

Gleichzeitig findet eine massive Verunglimpfungskampagne gegen das linke Parteienbündnis SYRIZA statt, das bei den Wahlen in Griechenland seine Stimmenzahl vervierfacht hat. Obwohl SYRIZA wiederholt erklärt hat, Griechenland in der Eurozone halten zu wollen, wird die Partei in fast allen Artikeln als antieuropäisch bezeichnet. Keine Kritik hört man hingegen, wenn wirklich antieuropäische Töne zu hören sind, nämlich bei den zahlreichen Drohungen deutscher Politiker wie EZB-Mitglied Jörg Asmussen, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble oder Außenminister Guido Westerwelle, Griechenland gegen seinen Willen aus dem Euro zu schmeißen, sollte dort auch nur eine Minute ernsthaft daran gedacht werden, gemäß dem Willen der Wählerinnen und Wähler auf einer Neuverhandlung des von der Troika diktierten Memorandums zu bestehen.

Für welche Inhalte SYRIZA wirklich steht, hat bisher auch wenig Aufmerksamkeit gefunden. Kein einziges namhaftes deutsches Medium, linke Tageszeitungen wie das Neue Deutschland und die junge Welt eingeschlossen, scheinen sich bisher für die fünf Punkte zu interessieren, die der Vorsitzende von SYRIZA, Alexis Tsipras, nach der Wahl zur Grundlage für seine Gespräche mit anderen Parteien erklärt hat.

Die ersten beiden Punkte bestehen darin, ab sofort keine Maßnahmen mehr umzusetzen, die zu weiterer Verarmung führen, wie die Kürzung von Renten oder Löhnen, und keine fundamentalen Rechte von Beschäftigten mehr zu schleifen, wie das Recht auf Tarifverhandlungen.

Außerdem fordert SYRIZA eine Erneuerung des politischen Systems. Das Bündnis möchte das Wahlrecht ändern und künftig soll es auch möglich sein, korrupte Minister vor Gericht zu stellen. Dass die stärkste Partei automatisch 50 von 300 Parlamentssitzen extra erhält, ist wohl einzigartig in Europa. Deshalb kommt die mit nur etwas mehr als 2% Vorsprung gewählte Nea Dimokratia (ND) mit 18,9% der Stimmen auch auf 108 Sitze, während auf das mit 16,8% an zweiter Stelle gelandete SYRIZA-Bündnis nur 52 Sitze entfallen. Diese Regelung soll die Vorherrschaft der Memorandums-Parteien ND und PASOK zementieren, die Griechenland seit Jahrzehnten wie einen Erbhof regieren.


Die griechischen Banken

An vierter Stelle fordert Tsirpas die öffentliche Kontrolle der Banken und die Veröffentlichung einer Untersuchung, die BlackRock kürzlich über den Zustand des griechischen Bankensektors durchgeführt hat.

Diese Untersuchung wurde von der griechischen Zentralbank in Auftrag gegeben. Sie ist eine wichtige Berechnungsgrundlage für die Staatshilfen, die die griechischen Großbanken gerade erhalten. Die Mittel für diese Hilfen stammen aus den Krediten, die der EFSF zulasten der griechischen Regierung aufnimmt und der europäische Steuerzahler verbürgt. Von den 130 Mrd. Euro, die die griechische Regierung gemäß dem zweiten Memorandum noch erhalten soll, sind bis zu 50 Mrd. Euro für die griechischen Großbanken reserviert. Davon wurden 25 Mrd. Euro kurz vor der Wahl ausgezahlt, der Rest sollte eigentlich kurz danach folgen.

Echtes Mitspracherecht bei den Banken soll die Regierung im Gegenzug für diese Hilfen aber nicht erhalten. Denn das Memorandum schreibt auch die Verabschiedung eines Gesetzes vor, das für den Fall, dass der Staat im Gegenzug für seine Zahlungen Aktien erhalten sollte, deren Stimmrechte beschneidet. Das Bankensystem soll auf jeden Fall privat bleiben.

Deshalb ist im Memorandum auch geregelt, dass der Staat, je nach der Höhe seiner Anteile, diese nach spätestens drei oder fünf Jahren wieder verkaufen muss. Ob er dabei ein gutes oder ein schlechtes Geschäft macht, ist der Troika egal. Schließlich geht es ja auch nur um eine Summe, die in etwa den Einnahmen eines kompletten griechisches Staatshaushalts entspricht, und sollte dabei etwas schief gehen, gibt es ja auch noch die Bürgschaften der anderen Eurostaaten und des IWF.


Black Rock

Und wer ist BlackRock? Laut einem Artikel im Handelsblatt vom Juni 2011 ist das mit einem verwalteten Vermögen von 3,65 Billionen Dollar der mittlerweile größte Vermögensverwalter der Welt. Zum Vergleich: Das Bruttoinlandsprodukt von Deutschland betrug 2011 gerade einmal 3,28 Billionen Dollar. Da den von BlackRock verwalteten Fonds auch signifikante Teile aller 30 im deutschen Aktienindex DAX notierten Firmen gehören, bezeichnet das Blatt den Finanzkonzern auch als den "heimlichen Herrn des Dax".

Die Deutsche Bank gibt z.B. in ihrem letzten Jahresbericht an, Ende 2011 habe BlackRock 5,14% ihres Kapitals gehalten. Bei der Commerzbank sollen es 3,07% gewesen sein. Auch in Griechenland ist BlackRock einer der größten ausländischen Investoren, wie IPREO für 2010 berichtet. Allein BlackRock Fund Advisor soll in dem Jahr mehr als 150 Mrd. Dollar in Griechenland investiert haben.

Die New York Times hat berichtet, unter welch konspirativen Umständen das Gutachten über das griechische Bankensystem zustande kam.

Demnach tarnte BlackRock das Büro, das es für seinen griechischen Auftrag nutzte, als Solarfirma. Wie das Unternehmen mit Interessenkonflikten umging, die sicher zahlreich vorhanden sind, wenn der größte Vermögensverwalter der Welt die Kreditportfolios zahlreicher Großbanken durchforstet, ließ die Zeitung im Dunkeln.

Dabei war der Auftrag in Griechenland, für den BlackRock 17 Mio. Dollar kassiert haben soll, bei weitem nicht der einzige seiner Art. In derartiger Mission war BlackRock auch schon in Irland aktiv. Dort soll es die Zahlengrundlagen für das Rettungspaket der irischen Banken geliefert haben, wegen dem sich Irland dem Diktat der Troika beugen musste. Die spanische Tageszeitung El Mundo berichtete vor kurzem, es werde schon über ein weiteren Auftrag in Spanien verhandelt.

Dieses Vorgehen wirft die Frage auf, in welchem Zustand sich die europäische Bankenaufsicht befindet. Würde die nämlich funktionieren, müsste sie eigentlich selber wissen, wie es um die Bankensysteme der Krisenstaaten bestellt ist. Aufträge im zweistelligen Millionenbereich an einen Finanzkonzern wie BlackRock wären dann überflüssig.


Schuldenaudit

Tsipras' letzter Punkt ist die Forderung nach einem Schuldenaudit. Eine internationale Expertenkommission soll in einem transparenten und öffentlichen Verfahren klären, wie es zu dem griechischen Schuldenberg gekommen ist. Bis dahin soll es ein Moratorium geben, während dessen keine weiteren Tilgungen und Zinszahlungen mehr geleistet werden. Was danach mit den Schulden passiert, wäre abhängig vom Ausgang der Untersuchung. Schulden, die illegal, illegitim, auf verwerfliche Art und Weise zu Stande gekommen oder einfach nicht tragfähig sind, müssten gestrichen werden.

Dass eine derartige Schuldenstreichung nicht, wie beim kürzlich erfolgten Schuldenschnitt, völlig intransparent, sondern in einem öffentlichen und transparenten Verfahren erfolgt, liegt auch im Interesse der Menschen im Rest der Eurozone. Die bürgen nämlich mittlerweile, gemeinsam mit den Anteilseignern des IWF, zu etwa drei Vierteln für den bei der griechischen Regierung aufgelaufenen Schuldenberg. Sollte es zu einem weiteren Schuldenschnitt kommen, was sehr wahrscheinlich ist, wären auch die EFSF-Kredite betroffen und die zugesagten Bürgschaften fällig.

Ein Schuldenaudit könnte dazu beitragen, herauszufinden, wie groß der Schaden ist, der Griechenland durch Steuerhinterziehung und Korruption entstanden ist. Könnten die entgangenen Einnahmen eingetrieben werden, könnte die Schuldenquote schneller auf ein tragfähiges Niveau gesenkt werden. Verbunden wäre damit auch, dass die Strukturen aufgedeckt und zerschlagen werden, die für die derzeitige Lage mitverantwortlich sind. Ob das wohl der Grund ist, warum man in Deutschland so wenig darüber hört?


Siemens & Co.

Die Liste der deutschen Konzerne, die in Griechenland in Bestechungsskandale verwickelt sind, ist lang. Ganz oben auf der Liste steht Siemens, das im letzten Jahrzehnt in Griechenland 100 Mio. Euro Schmiergelder verteilt haben soll. Ein Untersuchungsausschuss des griechischen Parlaments schätzte den dabei entstandenen Schaden auf bis zu 2 Mrd. Euro.

Im März einigte sich der Konzern mit der griechischen Regierung auf die Zahlung von 270 Mio. Euro. Im Gegenzug erklärte die griechische Regierung Siemens wieder zum sauberen Konzern und stellte alle Ermittlungen ein. Dabei besteht knapp ein Drittel der Summe aus einem Verzicht auf Forderungen, die zwischen Siemens und der griechischen Regierung ohnehin strittig waren. Bei weiteren 100 Mio. Euro handelt es sich um Investitionen, die Siemens plant, und die ihm sicher keine Verluste bringen sollen. Mit den verbleibenden 80 Mio. Euro sollen unter anderem Initiativen gegen die Korruption finanziert werden. An diejenigen, für deren Renten wegen solcher Machenschaften derzeit das Geld fehlt, wurde hingegen erst einmal nicht gedacht. Dafür ließ der nächste Großauftrag an Siemens nicht lange auf sich warten. Der Konzern soll für 41 Mio. Euro Signaltechnik und elektronische Komponenten für die Modernisierung der Athener U-Bahn liefern, bezahlt zu etwa 70% mit EU-Subventionen.

Währenddessen droht der Ausverkauf Griechenlands immer mehr an Fahrt aufzunehmen. Erst kürzlich wurden wieder Anteile an wichtigen Infrastruktureinrichtungen an den Privatisierungsfonds Hellenic Republic Asset Development Fonds übertragen, dessen einziger Zweck darin besteht, nach dem Vorbild der deutschen Treuhand staatlichen Besitz zu privatisieren. Der Fonds lässt sich unter anderem von der Deutschen Bank und der bundeseigenen Außenwirtschafts-Förderagentur Germany Trade and Invest (GTAI) beraten. Er hat, neben vielen anderen Einrichtungen, schon seit längerem die Häfen und Wasserwerke von Athen und Thessaloniki im Angebot.

Auch hier gibt es einen strikten Zeitplan der Troika, bis wann was verkauft sein muss. Noch zieren sich die meisten potenziellen Käufer, weil sie glauben, dass die Preise noch weiter fallen. Auch weitere 25% des Athener Flughafens stehen zum Verkauf. Dem Essener Baukonzern HochTief hat seine Beteiligung an diesem Flughafen in den letzten Jahren deutlich zweistellige Renditen eingebracht. 2010 ergab die ausgeschüttete Dividende sogar eine Kapitalrendite von über 50%.


Der Autor Stephan Lindner ist Mitglied im bundesweiten Koordinierungskreis von Attac Deutschland.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 27.Jg., Juni 2012, Seite 14
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2012