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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1722: "Kaum ein Asylantrag wird bewilligt"


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 - März 2013
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Kaum ein Asylantrag wird bewilligt"
Iris Biesewinkel vom ROM e.V. über den hiesigen Umgang mit asylsuchenden Roma-Familien

Von Larissa Peiffer-Rüssmann



Roma stehen in unserer Gesellschaft auf der alleruntersten Stufe. Geschürt durch die veröffentlichte Meinung, durch Politik und Behörden, gelten sie sozusagen als Freiwild und dienen dem Volkszorn als Blitzableiter. Pro NRW will jetzt eine "Volksinitiative gegen Asylmissbrauch" starten, um sich als rechtsextreme Partei im Vorfeld der Bundestagswahlen zu profilieren. Vom 9. bis 23. März sollen in 21 Großstädten von NRW Kundgebungen dazu stattfinden. Pro NRW sucht den Volkszorn u.a. mit der Behauptung zu schüren, Asylbewerber würden auf Kosten der Steuerzahler in Drei-Sterne-Hotels untergebracht.

Iris Biesewinkel leitet die Sozialberatungsstelle für Roma und Sinti beim ROM e.V. Köln, das Team umfasst weitere drei Kollegen. Das Spektrum der Beratung reicht von einfachen Hilfeleistungen im Alltag bis zu Hilfe bei Asylanträgen, beim Aufenthaltsstatus oder bei drohenden Abschiebungen. Beraten werden Roma-Gruppen aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawien (Kosovo, Montenegro, Bosnien, Serbien, Mazedonien) und aus den neuen EU-Ländern wie Bulgarien, Rumänien, Ungarn.

Im Gespräch mit Larissa Peiffer-Rüssmann erzählt Iris Biesewinkel, unter welchen Bedingungen Roma-Familien tatsächlich hier leben müssen.


SOZ: Wie geht man bei uns mit Roma-Familien um, die einen Asylantrag gestellt haben? Wie regelt sich ihr Aufenthaltsstatus?

Iris Biesewinkel: Es gibt Flüchtlingsfamilien, die einen Asylantrag stellen, und solche, die mit einer Duldung hier sind, also keinen Asylantrag gestellt haben. Das ist jeweils eine unterschiedliche Ausgangsposition. Es gibt Menschen mit Duldung, die zwanzig Jahre und länger hier leben, also sog. Kettenduldungen haben - das ist die eine ganz große Gruppe. Jahrelang ging es gar nicht um Asylanträge, weil solche kaum Chancen hatten. Zur Zeit gibt es aber einen erhöhten Zulauf von Menschen aus Mazedonien, Serbien und Bosnien. Wenn sie ankommen, stellen sie einen Asylantrag. Wir empfehlen immer, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen, denn bei der Menge der Fälle können wir gar nicht alle begleiten.

Im Moment gibt es das sog. beschleunigte Asylverfahren ausschließlich für Roma aus Serbien und Mazedonien, weil gesagt wird, die kommen jetzt nur, weil es Visafreiheit gibt. Sie werden als Asylschmarotzer abgestempelt, sowohl in der Presse, aber auch, das ist das Schlimme, durch Politiker.


SOZ: Macht sich diese negative Propaganda auch bei den Behörden bemerkbar?

Iris Biesewinkel: Natürlich, gesteuert vom Bundesamt für Flüchtlingsangelegenheiten und den zentralen Ausländerbehörden. Umsetzen müssen deren Vorgaben dann aber die kommunalen Behörden. Man muss immer gucken, mit welchem Sachbearbeiter man es zu tun hat, das wiederum hat Einfluss darauf, was man für die Familie erreichen kann, denn es gibt eigentlich immer einen Ermessensspielraum, und der wird, je nach Sachbearbeiter, ausgeschöpft oder nicht.


SOZ: Der Umgangston ist also unterschiedlich?

Iris Biesewinkel: Ja, der ist komplett unterschiedlich. Hier in Köln ist es für uns wesentlich einfacher als in vielen anderen Ausländerbehörden. Wir haben hier Zulauf von Beratungssuchenden aus der ganzen BRD und - salopp gesagt - kann ich bei manchen Ausländerbehörden nur mit den Ohren schlackern, was deren Hintergrundwissen angeht - da ist nämlich überhaupt keines, außer Reproduktion von Vorurteilen und üblichen Klischees.


SOZ: Könntest du das konkretisieren?

Iris Biesewinkel: Ja. Ich habe einen jungen Mann hier gehabt, der war bei einer Ausländerbehörde im Ruhrgebiet und sollte abgeschoben werden. Der junge Mann hat hier in Köln, seit er Kind war, illegalisiert bei seinen Großeltern gelebt, ist aber in Köln zur Schule gegangen, ins Jugendzentrum und zum Fan-Projekt des 1. FC Köln. Dann hat er seine Mutter wiedergefunden, die im Ruhrgebiet lebt. Bei der hat er sich gemeldet, da war er schon fast volljährig. Er ist zur Ausländerbehörde gegangen, um sich anzumelden und hat seine Geschichte erzählt, aber dort hat man gesagt: Nee, das glauben wir nicht. In dem Protokoll, das uns vorliegt, steht wortwörtlich, dass Menschen, die dieser ethnischen Gruppe angehören, nicht so lange illegalisiert hier leben können, ohne polizeilich in Erscheinung getreten zu sein.

Da ist mir die Spucke weggeblieben. Ich habe mich dann an die Härtefallkommission im Düsseldorfer Landtag gewandt und detektivische Arbeit betrieben, im Jugendzentrum und im Fan-Projekt des 1. FC Köln nachgefragt und Sozialarbeiter gefunden, die den jungen Mann kannten. Sie haben mir genau aufgeschrieben, wie lange sie ihn bereits kannten. Sie wussten nicht, dass er illegal hier lebte, aber sie konnten mir nur Gutes über ihn berichten, also eine vorbildliche Integration.

Wir haben es geschafft, dass er eine Aufenthaltserlaubnis bekommen hat, aber es war ein harter Weg mit vielen Hürden - allein hätte er das niemals regeln können.


SOZ: Wie groß ist denn die Chance auf Asyl für Roma-Familien?

Iris Biesewinkel: Es kommt zum einen darauf an, mit welcher Begründung die Asylanträge gestellt werden und wie detailliert die Asylgründe sind. Wir haben hier einen hohen Anteil von Antragstellenden mit frauenspezifischen Gründen, wo Frauen misshandelt wurden und wo es um Schutzgelderpressung durch Gruppen mit mafiösen Strukturen gegenüber dieser ethnischen Minderheit geht. Da wird gedroht, wenn ihr das Geld nicht aufbringt, vergreifen wir uns an euren Frauen, was dann auch zum Teil passiert.

Diese Mädchen und jungen Frauen fühlen sich nicht imstande, vor einer Behörde im Detail zu erzählen, was ihnen passiert ist. Wir versuchen dann, die Geschichte aufzuschreiben. Das sind sehr belastende Geschichten, auch für mich. Die Niederschrift wird dem Asylantrag hinzugefügt. Ein solcher Vorfall darf aber nicht mehr als drei Monate zurückliegen, schon bei vier Monaten gilt er nicht mehr als Asylgrund. Ist der Asylantrag abgelehnt, müssen wir versuchen, mit humanitären Gründen eine Abschiebung zu verhindern. Dafür müssen wir auch mit Rechtsanwälten zusammenarbeiten, im letzten Jahr hatten wir 370 Familien in der Beratung.


SOZ: Auf die Art der Unterbringung und den Ort haben die Flüchtlingsfamilien keinen Einfluss?

Iris Biesewinkel: Nein. Wenn sie in Köln ankommen und sich bei der Ausländerbehörde gemeldet haben, geht das Verfahren an die Bezirksregierung und das Bundesamt. In einem Computerprogramm wird nachgesehen, in welchem Bundesland und in welcher Kommune noch Plätze frei sind. Sie werden dann zugewiesen. Es kann aber auch sein, dass sie in Köln ein paar Wochen in der Warteschleife sitzen, Gutscheine, Essenspakete oder Sammelverpflegung bekommen und auf ihren endgültigen Zuweisungsort warten.


SOZ: Hast du erlebt, dass Roma-Flüchtlingsfamilien einen Asylantrag auch mal positiv beschieden bekamen?

Iris Biesewinkel: Ja, bei einer Frau, wo es im Rahmen einer Schutzgelderpressung um sexuelle Nötigung ihrer beiden minderjährigen Töchter ging. Noch während des Verfahrens wurde die Familie in die tiefste Eifel versetzt. Zum Glück lag zu diesem Zeitpunkt der Bericht schon schriftlich vor, und weil der Anwalt hier in Köln war, haben wir den Kontakt aufrechterhalten können. Diese Familie hat dann Asyl erhalten. Was den Erfolg insgesamt anbetrifft, da gibt es eine neue Zahl: 0,01% der Asylanträge von Roma-Familien werden bewilligt.


SOZ: Ich war einmal in einem Flüchtlingsheim und muss sagen, ich war entsetzt über die Kargheit und Trostlosigkeit, absolut ungeeignet als Umgebung für Kinder.

Iris Biesewinkel: Es gibt sehr unterschiedliche Heime. Teilweise leben Familien ohne abgeschlossene Wohneinheiten und teilen sich Gemeinschaftsräume wie z.B. die Küche. Oft treffen neu hinzugekommene Familien auf solche, die schon 15 Jahre dort wohnen. Ich persönlich kenne mehrere Familien, die mehr als zehn Jahre in solchen Heimen leben.


SOZ: Erhalten die Familien Sozialhilfe?

Iris Biesewinkel: Ja, und zwar nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das bewilligte früher rund 30% weniger als der Hartz-IV-Satz, aber seit letztem Jahr ist dieser Satz durch ein Urteil des Verfassungsgerichts angeglichen worden, allerdings wird das Urteil noch nicht flächendeckend umgesetzt. Außerdem gibt es immer noch Diskrepanzen, denn die Antragstellungen können nur im Notfall zum Arzt gehen. Eine Operation, die nicht zwingend lebenserhaltend ist, wird nicht gemacht.

Ein Beispiel: Ich hatte hier in der Sozialberatung einen Familienvater aus einer anderen Stadt mit einem schulpflichtigen Kind, der hatte zwei total kaputte Hüften. Er hatte eine verpfuschte Operation in Serbien hinter sich, wo er alles verkauft und sich gleichzeitig verschuldet hat, um die Operation zu bezahlen. Danach konnte er gar nicht mehr laufen und sitzt im Rollstuhl. Die Ärzte hier haben den Pfusch bestätigt, aber die Stadt, in der er untergekommen ist, verweigert ihm die rettende Operation mit dem Argument, er lebe ja und könne im Rollstuhl sitzen. Seine Situation galt nicht einmal als Abschiebehindernis, nur über den Petitionsausschuss konnte die Abschiebung vorläufig verhindert werden. Der Antrag auf Operation läuft noch, und die Familie ist bereit, notfalls gemeinsam mit uns an die Presse zu gehen.


SOZ: Müssen sich die Betroffenen während des Asylantrags oder bei einer Duldung in bestimmten Zeitabständen melden?

Iris Biesewinkel: Meistens alle drei Monate oder, das haben wir auch erlebt, alle vier Wochen. Dieses Verfahren soll demoralisieren, vergraulen, verunsichern und signalisieren, ihr seid hier nicht willkommen. Diese Situation kann Jahre dauern und führt dazu, dass die Menschen nicht mehr in der Lage sind, eigene Perspektiven zu entwickeln. Wenn man dann bedenkt, dass einige 10, 15, 20 Jahre in einem solchen Duldungsstatus leben, dann kann man die enorme psychische Belastung ermessen.

Wer einen Asylantrag gestellt hat, bekommt für die Dauer des Verfahrens eine Aufenthaltsgestattung. Bei Ablehnung des Asylantrags gibt es entweder eine vorübergehende Duldung oder die Aufforderung, die BRD freiwillig zu verlassen. Ist auch die Klage ohne Erfolg, kommt es zur zwangsweisen Abschiebung.


SOZ: Dürfen die Betroffenen hier arbeiten?

Iris Biesewinkel: Lange Zeit durften sie das nicht, aber jetzt haben sie eine kleine Chance, dann aus der Kettenduldung zu einem Aufenthaltsstatus zu kommen, wenn sie es schaffen, ihre gesamte Familie zu ernähren, und natürlich wenn sie in den letzten Jahren ganz "brav" waren. Wer aber nichts gelernt hat und durch die Maschen des Bildungssystems gefallen ist, ohne Schulabschluss und ohne Ausbildung, wie soll der eine Arbeit finden?


SOZ: Das heißt, das Gesetz ist Hohn!

Iris Biesewinkel: Ja, es ist verhöhnend für die Betroffenen. Aber es gibt trotzdem einige wenige, die es schaffen, und davor habe ich den größten Respekt. Große Familien, vielleicht noch mit Kranken, haben kaum eine Chance. Hinzu kommt, dass Sippenhaft gilt, d.h. ist einer in der Familie straffällig geworden, wird die ganze Familie vom Bleiberecht ausgeschlossen.


SOZ: Was wünschst du dir für deine weitere Arbeit?

Iris Biesewinkel: Mein Wunsch wäre an Medien und Politik, sensibler mit diesem Thema umzugehen, damit wir nicht immer dieselben Mauern einrennen müssen. Ich wünsche mir, dass genauer hingeschaut wird, dann sieht man, dass es nicht nur Armutsflüchtlinge sind, die denken, sie könnten sich hier ein tolles Leben machen, sondern dass es wirklich um Diskriminierung und Verfolgung einer ethnischen Minderheit in den Herkunftsländern geht.

Und ich wäre sehr erfreut, wenn differenziert würde zwischen den Begriffen Begleiten und Unterstützen. Ich werde oft gefragt: Wie viele betreut ihr denn? Ich betreue überhaupt nicht, denn diese Menschen brauchen keine Betreuung, sondern Unterstützung. Sie scheitern nicht an ihren kognitiven Fähigkeiten, sondern an den Rahmenbedingungen hier.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 28. Jg., März 2013, S. 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2013