Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1781: Hat die polnische Linke eine Zukunft?


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12 - Dezember 2013
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Hat die polnische Linke eine Zukunft?
Die Palikot-Bewegung

Von Teresa Jakubowska
Übersetzung: Norbert Kollenda



Die 2010 gegründete Bewegung zur Unterstützung von Palikot (Ruch poparcia Palikota) hat trotz eines rechtsilberale Steuerprogramms vorwiegend linke Kräfte angezogen. Wie es dazu kommen konnte, schildert Teresa Jakubowska von der Racja Polskiej Lewicy (Ratio der Polnischen Linken), deren Vorsitzende sie bis 2011 war; jetzt engagiert sie sich sie in Hinblick auf das Zusammengehen mit Palikot dafür, dort linke Positionen durchzusetzen.


Die seit zehn Jahren geltende Wahlordnung und vor allem das Gesetz zur Parteienfinanzierung - verabschiedet in der Regierungszeit der sog. Linken, der SLD (2001-2005) - hat dazu geführt, dass die Parlamentsparteien aus dem Staatshaushalt finanziert werden, ihre Wahlkampfausgaben unterliegen praktisch keiner Kontrolle.

Die Bestimmungen über den formalen Zugang zu Wahlen in den Sejm (das polnische Parlament) oder ins Europaparlament schließen kleine und neue Parteien faktisch aus. Dazu zählt u. a. die Bestimmung, innerhalb von fünf Wochen 140.000 Unterschriften beibringen zu müssen. Bei Kommunalwahlen wie bei Parlamentswahlen gibt es eine 5%-Klausel, was dazu führt, dass sogar bekannte und engagierte Personen aus der Kommune keine Chance haben, weil die Parteien eine finanzielle Übermacht besitzen. Diese verschafft ihnen auch eine Übermacht in der Kommunalverwaltung und in den verbleibenden Staatsbetrieben.

Für diese Änderung des Wahlgesetzes und der Parteienfinanzierung wurde die SLD fast umgehend empfindlich bestraft. Bei den Wahlen von 2005 erlitt sie eine Niederlage. Parteichef Leszek Miller hatte sich auch persönlich darum verdient gemacht: Nach einer "Umschulung" in den Salons des reichsten Polen, Jan Kulczyk, wurde er zu einem Verfechter der linearen Steuer und vieler anderer neoliberaler Maßnahmen. Ein unbestrittenes Verdienst seiner Regierung ist die Konsolidierung der Staatsfinanzen mit Hilfe des Ökonomen Grzegorz Kolodko. Leider ging sie auf Kosten der Sozialleistungen, die vor allem Vizepremier Jerzy Hausner in der Regierung Marek Belka (SLD) zusammenstrich. So war es nicht verwunder'lich, dass die linken Wähler zu Hause blieben.

2005 betrat der Millionär und studierte Philosoph Janusz Palikot die politische Szene. Ich erinnere mich an die großen Reklametafeln, die ein Buch von Palikot während der Wahlkampagne anpriesen. Er wurde Abgeordneter der rechtsgerichteten liberalen Partei Bürger-Plattform (PO), die 2005 als Siegerin aus den Wahlen hervorging. Mit verschiedenen Eventauftritten sorgte er für seine Popularität. Diese Bilder zeigten unsere Medien gern, auch das staatliche Fernsehen. Kein Wunder also, dass ihm die vorgezogenen Wahlen 2007 einen noch größeren Erfolg bescherten.

Palikot fühlte sich jedoch vom Konservativismus der PO immer mehr eingeengt. Deren Partei- und Regierungschef Donald Tusk war zudem sehr erfolgreich darin, sich seiner Konkurrenten zu entledigen. Im Oktober 2010 trat Palikot deshalb aus der PO aus und gründete eine eigene Partei. Sie griff kontroverse Themen auf, die andere Parteien überhaupt nicht im Programm hatten: die Beschränkung der Rolle der katholischen Kirche im öffentlichen Leben, die Befürwortung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, die straffreie Zulassung von Marihuana. Er rechnete mit den Stimmen von Wählerinnen und Wählern, die bisher nicht wussten, für wen sie stimmen sollten.

Wegen der Einschränkungen durch die Wahlordnung begann Palikot, in ganz Polen Vereine ins Leben zu rufen. In einem knappen Jahr bewältigte er ein kolossales Pensum und zeigte große organisatorische Fähigkeiten. Erfolg konnte er aber nur erzielen, weil er dafür viel Geld hinlegte.

Im Frühjahr 2011 zog die Palikot-Bewegung (RP), die sich aus der Basis der Vereine entwickelt hatte, in den Wahlkampf. Die Umfragen gaben ihr nicht einmal 5%. So waren alle überrascht, als die Partei 11% bekam. Die Palikot-Bewegung zog als drittstärkste Partei mit 40 Abgeordneten in den Sejm ein. Zu ihrem Erfolg trug auch die bis dato einzige antiklerikale, linke Partei in Polen, Racja, deren Vorsitzende ich von 2009 bis 2011 war, bei.

Das Programm der Palikot-Bewegung war nicht mein Traumprogramm, denn RACJA war immer ausdrücklich links gewesen. Trotzdem nahm ich eine Zusammenarbeit mit Palikot auf, weil er ausdrücklich antiklerikale Positionen bezog, die von der überwiegenden Mehrheit der Mitglieder getragen wurden.

Janusz Palikot bezeichnete sich als Linker. Er dachte dabei wohl eher an eine allgemeine linke Befindlichkeit, denn das Programm der neuen Partei war nicht links, vor allem verfocht es rigoros das Konzept der linearen Steuer. Allerdings dachte ich, dass die Partei eine linke Entwicklung durchmachen würde, zumal eine weitere rechte Partei in Polen keinen Sinn gemacht hätte. Ich hatte und habe weiterhin die Hoffnung, dass die SLD und andere linke Gruppierungen sich einander annähern werden und, wenn schon nicht eine Partei, so zumindest ein Wahlbündnis für die Wahlen zum Sejm 2015 bilden.

Es gibt in Polen ein bedeutendes Potenzial linker Wähler. Im Gegensatz zu den westeuropäischen Ländern hat die Linke hier ein weites Betätigungsfeld, denn es ist ein Land mit krasser sozialer Ungerechtigkeit, was im Widerspruch zur Verfassung steht. Die Einkommensschere ist sehr groß, soziale Ausgrenzung fast schon erblich, zumal in der Bildung. Die Besteuerung der unteren Löhne ist besonders hoch - der Mindestlohn etwa wird mit 39% Steuern und Abgaben belastet, und das unabhängig von der Anzahl der Personen im Haushalt. Bis zu einem Jahreseinkommen von 85.528 Zloty (20.386 Euro) werden dagegen 18% Steuern erhoben, darüber sind es 32%. Kapital und Vermögen werden so gut wie gar nicht besteuert, eine Grundsteuer gibt es überhaupt nicht.

Sogar das Oberste Amt für Statistik zählt 5 Millionen Arme. Für diese Bevölkerungsgruppe hat sich die Lage im Verhältnis zum früheren System verschlechtert, denn wenn das Leben damals auch bescheiden war, war der Staat doch ein fürsorgender, der jedem eine Arbeit und ein Dach über dem Kopf gab. Heute grassiert die Wohnungslosigkeit und die Suche nach Arbeit in Westeuropa.

Leider bilden die Armen, die oft nur eine geringe Ausbildung haben, einen natürlichen Nährboden für die Kirche. Aber auch die Jugend, insbesondere die arbeitslose, ist ein Reservoir für nationalistische Bewegungen mit russophoben und homophoben Ansichten - in eine klerikale Brühe getaucht, suchen sie den Feind, aber nicht dort wo er ist. Eine gewisse programmatische Entwicklung hat die Partei von Palikot schon durchgemacht. Sie nennt sich jetzt "Deine Bewegung" (TR) und fordert in ihrem Programm eine progressive Besteuerung der persönlichen Einkommen, keine lineare mehr, was sicher auch ein bisschen mein Verdienst ist.

Unbestreitbar hat Palikot das Verdienst, dass die Haltung der Öffentlichkeit zur Kirche sich ändert. Die meisten Medien sprechen jetzt über pädophile Priester und ihre Straffreiheit - im Gegensatz zu den harten Strafen für andere pädophile Täter. Es wird über die Habsucht kirchlicher Funktionäre, über das Luxusleben der Bischöfe und auch über die Vermögenskommission gesprochen, die berufen war, kirchliche Güter rückzuübertragen, und dabei Gelder veruntreut hat. Vor zwei Jahren wäre dies noch unmöglich gewesen, obwohl zwei antiklerikale Wochenzeitungen, Nie und Fakty i Mity, seit Jahren darüber berichten.

Unabhängig davon, ob Janusz Palikot seine Ansichten wirklich geändert hat oder ob alles nur wahltaktisches Kalkül ist - sicher ist, er hat frischen Wind in einen der muffigsten Orte in Polen, den Sejm, gebracht.

Für mich ist klar: Die linken Bewegungen (unter ihnen auch die Grüne Partei) aus den unterschiedlichen Richtungen müssen gemeinsam zu Wahlen antreten, anders gibt es für sie keine Möglichkeit, in den kommenden Jahren Einfluss auf die politische Wirklichkeit in Polen zu nehmen.

*

Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12, 28. Jg., Dezember 2013, S. 16
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96
E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.sozonline.de
 
Die Soz erscheint monatlich und kostet 3 Euro.
SoZ-Probeabo: 3 Ausgaben für 10 Euro
Normalabo: 55 Euro
Sozialabo: 26 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2013