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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1841: Gabriel macht Energiepolitik für die Konzerne


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6 - Juni 2014
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Gabriel macht Energiepolitik für die Konzerne
EEG-Novelle bestraft Verbraucher und schwächt Energiegenossenschaften

Von Wolfgang Pomrehn



Es war durchaus eine bunte und lebhafte Demonstration, die da am 10. Mai vom Berliner Hauptbahnhof an Kanzleramt, Bundestag und Brandenburger Tor vorbei zur CDU-Bundeszentrale zog. Sie war laut, und es waren Menschen aller Altersgruppen dabei. Aber es waren zu wenig.


Nur 12.000 Menschen hatten sich aus allen Ecken der Republik auf den Weg gemacht, um für die Verteidigung der Energiewende zu demonstrieren. Ihr Anliegen: Die zwei Tage zuvor erstmals im Parlament debattierte Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) zu Fall zu bringen.

Ob das noch gelingen kann, ist angesichts der schwachen Mobilisierung ungewiss. Fünf Monate zuvor, am 30. November, waren mit 16.000 etwas mehr auf die Straße gegangen, und am 22. März hatten bundesweit in sieben Landeshauptstädten 30.000 Menschen demonstriert. Der 10. Mai hat also gezeigt, dass eine anschwellende Kampagne nicht gelungen ist. Leider. Damit wird es fraglich, ob die schlimmsten Aspekte der EEG-Novelle noch aufgehalten werden können. Noch vor der Sommerpause soll das veränderte Erneuerbare-Energien-Gesetz durch Bundestag und Bundesrat gebracht werden, bereits zum 1. August soll das neue Gesetz in Kraft treten und manch eine der neuen Regelungen wird sogar für einige Monate rückwirkend gelten.


Wer sind die Kostentreiber?

Aber um was geht es eigentlich? Die Regierung verspricht eine Strompreisbremse, davon kann aber keine Rede sein, genauer: nicht für private Stromkunden und kleine Gewerbebetriebe. Industrielle Großverbraucher werden hingegen weiter entlastet. Zwar werden ihre Privilegien etwas umorganisiert, aber im wesentlichen bleibt es dabei, dass ihnen die sog. EEG-Umlage weitgehend erlassen bleibt. Mit der Umlage werden die Kosten für die Vergütungen finanziert, die Besitzer von Solar-, Biogas-, Windkraftanlagen u.ä. für ihren Strom bekommen. Die Privilegien für die Großverbraucher werden sich auch in Zukunft auf 5 Milliarden Euro oder mehr summieren, die von den übrigen Stromkunden geschultert werden müssen.

Auch ein anderer Kostentreiber bleibt unangetastet: die unsinnige Konstruktion der EEG-Umlage. Die Betreiber der Übertragungsnetze verwalten einen Topf, aus dem sie den Ökostrom an die Anlagenbetreiber bezahlen. Den Strom verkaufen sie an der Strombörse in Leipzig, die Einnahmen kommen in besagten Topf. Dort klafft allerdings ein großes Loch, das durch die Umlage aufgefüllt werden muss. Die Ursache: An der Strombörse sind wegen des Überangebots die Preise extrem niedrig, 2014 lagen sie meist unter 4 Cent pro Kilowattstunde, an einigen Tagen sackten sie sogar in den negativen Bereich. Das heißt, Abnehmern wurde Geld gezahlt, wenn sie Strom anforderten.

In diesen Genuss kommen allerdings nicht Otto Normalverbraucher und auch nicht die Frittenbude von nebenan, sondern nur Großbetriebe oder Versorger, die den Strom an Endverbraucher verkaufen.

Nun könnte man den Vorteil, den sie durch die niedrigen Preise abschöpfen, und besagten Topf dem EEG-Konto zugute kommen lassen, schon wäre die EEG-Umlage um einiges niedriger. Derzeit beträgt sie 6,24 Cent pro Kilowattstunde oder rund 250 Euro im Jahr bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 4000 Kilowattstunden. Man könnte auch die letzten, längst nicht mehr benötigten AKWs abschalten. Dann gäbe es nicht so ein unglaubliches Überangebot, der Börsenstrompreis wäre deutlich höher und das EEG-Konto würde nicht so stark belastet.


Belastungen für Eigenverbrauch und Kleinanlagen

Neu an der EEG-Novelle sind hingegen verschiedene Maßnahmen, die die Energiewende verlangsamen und in konzernfreundlichere Bahnen lenken soll. So beabsichtigt die Bundesregierung, künftig den selbst verbrauchten Strom aus Solaranlagen und Heizkraftwerken mit Abgaben zu belasten. Oder mit anderen Worten: Wer nicht auf dem Markt einkauft und die Netze entlastet, wird bestraft. Dabei könnte die Kraftwärmekoppelung einen Beitrag zu wesentlich mehr Energieeffizienz beim Heizen leisten und wäre zudem eine wichtige Ergänzung zum Solarstrom, von dem bekanntlich in der Heizperiode deutlich weniger anfällt.

Des weiteren will die Regierung den Deckel für Solaranlagen von bisher 3500 Megawatt (MW) im Jahr auf 2500 MW senken. Für Windkraftanlagen soll erstmals einer von 2500 Megawatt p.a. eingeführt werden, und neue Biogasanlagen sollen zukünftig nur noch mit einer Gesamtleistung von lächerlichen 100 MW pro Jahr zugelassen werden.

Die Windbranche kann mit der Beschränkung vielleicht gerade noch leben, weil bisher in den meisten Jahren ohnehin weniger Anlagen gebaut wurden. Allerdings hat es gerade im letzten Jahr eine deutliche Beschleunigung des Neubaus gegeben, die mit dem neuen Gesetz ausgebremst würde.

Für die Solaranlagen, deren Neubau es 2010, 2011 und 2012 auf jeweils rund 7500 MW brachte, käme die Deckelung jedoch dem Abwürgen ihrer Ausbaudynamik gerade in dem Moment gleich, da neue Anlagen richtig billig werden. Inzwischen können sie nämlich Strom für etwa 9-13 Cent pro Kilowattstunde liefern. Damit sind sie eigentlich schon fast mit Kohle- oder Gasstrom konkurrenzfähig.

An den Börsen ist der Strompreis zwar deutlich niedriger, aber im Grunde genommen langfristig nicht wirklich kostendeckend. Deutschland braucht nämlich wie viele andere Industrieländer auf jeden Fall neue Kraftwerke, egal ob sie nun von Kohle, Sonne oder Wind angetrieben werden. Die derzeit laufenden Anlagen stammen meist aus den 70er und frühen 80er Jahren und werden in diesem oder im nächsten Jahrzehnt vom Netz genommen werden müssen.

Um aber den Neubau von Kohle- und Gaskraftwerken über den Strompreis finanzieren zu können, müsste dieser derzeit nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums zwischen 7 und 11 Cent pro Kilowattstunde liegen.

Schließlich sieht der Gesetzentwurf vor, dass künftig - voraussichtlich ab 2017 - größere Projekte wie Windparks ausgeschrieben werden müssen. Das würde die vor allem in Nordwestdeutschland sehr verbreiteten Bürgerwindparks sehr benachteiligen, da für die Ausschreibungen ein erheblicher Aufwand betrieben werden muss. Außerdem hätten die betroffenen Kommunen weniger Spielraum, möglichst viel Wertschöpfung und Steueraufkommen in der Region zu binden.


Proteste mit zu wenig Biss

Angesichts dieser Bedrohungen für das bisherige dezentrale Modell der Energiewende, hätte man sich am 10. Mai nicht nur mehr Masse, sondern auch ein bisschen mehr Biss erwartet. Es zeigt sich einmal mehr, dass die vier großen Energiekonzerne das größte Hindernis auf dem Weg in einen umweltfreundlichen und zukunftsfähigen Umbau der Stromversorgung sind. Umso wichtiger wird es, an allen Fronten für die Rekommunalisierung der Versorgung zu streiten.

Außerdem sollte angesichts der aktuellen Versuche der Konzerne, sich aus der Verantwortung für die AKWs und deren Hinterlassenschaften zu stehlen, lauter darüber nachgedacht werden, wie sie mit ihrem ganzen Vermögen haftbar gemacht werden können.

Oder wollen wir zusehen, wie sie noch ein paar Jahre reichlich Gewinne aus dem Altbestand der Kraftwerke ziehen, Dividenden auszahlen und ihre Unternehmen nach und nach entwerten, bis schließlich nicht mehr genug Substanz vorhanden ist, um die Abwicklung der AKW und die Unterbringung des Atommülls zu finanzieren? Oder glaubt jemand ernsthaft, dass die großen Energieversorger die Rückstellungen dafür wirklich krisensicher investiert haben?

Wie wäre es, wenn Vattenfalls deutsche Besitzungen sowie E.on, EnBW und RWE komplett in einen öffentlich-rechtlichen Fonds eingebracht werden, der sich um die nuklearen Sünden kümmert, dem Ausstieg aus der Kohlewirtschaft dient und zugleich die zentralistischen Strukturen der Konzerne zugunsten einer dezentralisierten, von den Bürgern kontrollierten Versorgung abwickelt?


Vom Autor erschienen zuletzt 2013 mehrere Beiträge in Energiewende - Was ist geschafft, was steht noch an - und was klappt nicht? als E-Book bei Telepolis. Und Anfang 2014 eine aktualisierte Neuauflage von Armutsrisiko Energiewende? Mythen, Lügen, Argumente (Reihe luxemburg argumente; kostenlos über die Rosa-Luxemburg-Stiftung zu beziehen).


KASTEN
 
VON WEGEN KOSTENBREMSE

Die Strompreise sind in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen, eine Tatsache, die als wichtigster Aufhänger einer massiven Kampagne gegen den Ausbau der erneuerbaren Energieträger herhalten musste. Neben verschiedenen Industrieverbänden, der FDP und dem Wirtschaftsflügel der Union tat sich hierbei auch die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) hervor, die nicht nur der Linken seit langem wegen ihren aggressiv neoliberalen PR-Aktionen auffällt. Derzeit bemüht sie sich besonders, die partielle und lediglich temporäre Herabsetzung des Renteneintrittalters auszuhebeln.
Auch die Bundesregierung ist auf diesen Zug aufgesprungen und begründet die EEG-Novelle vor allem mit den steigenden Kosten für die privaten Verbraucher und für die Industrie. Was letztere angeht, muss wie üblich der internationale Wettbewerb herhalten. Ein genauerer Blick zeigt allerdings, wie verlogen das Argument ist: 2013 zahlten Industriekunden im Durchschnitt, sofern sie nicht von der Befreiung von der EEG-Umlage und von vergünstigten Netzentgelten profitierten, nur 14,87 Cent pro Kilowattstunde. Der stromintensiven Industrie wurden sogar nur 9,3 Cent berechnet, private Stromkunden mussten durchschnittlich aber 28,73 Cent zahlen. Für sie stiegen die Preise zwischen 2008 und 2013 um gut 7 Cent, für die nichtprivilegierten Industriekunden gerade mal um rund 1,6 Cent pro Kilowattstunde. (Alle Zahlen nach Angaben des unverdächtigen Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft.)
Inzwischen, im Frühjahr 2014, liegen die durchschnittlichen Strompreise für private Endverbraucher und kleine Gewerbetreibende schon bei etwas über 29 Cent pro Kilowattstunde. Ohne die Ausnahmen für die Industrie läge die EEG-Umlage für alle etwa 1,5 Cent pro Kilowattstunde niedriger. Statt die Energiekosten der kleinen Leute zu drosseln, wie die SPD noch im Wahlkampf versprochen hatte - vielleicht nicht wörtlich, aber sie hatte zumindest den Anschein erweckt, als sei ihr das ein Anliegen -, werden sie durch weitere Geschenke an die Großindustrie noch in die Höhe getrieben.
Dabei hätte die Bundesregierung durch aus diverse Hebel zur Hand, mit denen sie die Verbraucher relativ einfach entlasten könnte: 1,2 Cent pro Kilowattstunde oder eine Erleichterung um etwa 48 Euro im Jahr für einen Durchschnittshaushalt würde es bringen, wenn der Bund darauf verzichten würde, auch noch Mehrwertsteuer auf die EEG-Umlage zu erheben. Sollte das aus Gründen der Steuersystematik nicht möglich sein, könnte der Mehrwertsteuersatz auf Strom wenigstens von 19% auf 7% gesenkt werden. Schließlich ist Strom ja auch eine Art Lebensmittel, oder? Das würde den Strom um annähernd 3 Cent pro Kilowattstunde verbilligen und für den Durchschnittshaushalt schon 120 Euro Ersparnis im Jahr ausmachen.
Im Zusammenhang mit der Kampagne gegen die erneuerbaren Energieträger haben zahlreiche Medien und bürgerliche Politiker, die sonst kaum der Sympathien mit dem ärmeren Teil der Bevölkerung verdächtig sind, auf einmal ihr Herz für Hartz-IV-Empfänger entdeckt. Selbst das neoliberale Propagandaschlachtschiff INSM verwies, um Stimmung gegen die Energiewende zu machen, auf die vielen Stromsperren und konnte damit auch bei manchen Linken Verwirrung stiften. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass der Zusammenhang zwischen den Stromabschaltungen - die im übrigen verboten werden müssten - und der Höhe des Strompreises gar nicht so eng ist, wie man meinen könnte. 2006 gab es nämlich schon eine ähnlich hohe Zahl von Haushalten, denen der Strom wegen nicht bezahlter Rechnungen abgedreht wurde.
Damals lag der durchschnittliche Strompreis aber noch bei 19,5, 2012 hingegen schon bei 25,9 Cent pro Kilowattstunde. Die EEG-Umlage stieg in dieser Zeit von 0,88 auf 3,59 Cent pro Kilowattstunde. Offensichtlich ist das zentrale Problem nicht der jüngste Preisanstieg, sondern die zunehmende Armut im allgemeinen. Insbesondere sind viele Mieter gezwungen, ihr Wasser mit Durchlauferhitzern zu erwärmen, was energetisch sehr ineffizient ist und zugleich ihre Stromkosten in die Höhe treibt. Statt oft bevormundender Ratschläge zum individuellen Stromsparen bräuchte es eher gesetzliche Regeln, die die Vermieter dazu zwingen, Durchlauferhitzer und Stromheizungen durch günstigere und umweltfreundlichere Varianten zu ersetzen. (wop)

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 29. Jg., Juni 2014, Seite 3
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2014