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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2054: Warum bleiben die Reichen immer reich?


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8 Juli/August 2016
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Sowas kommt von sowas, oder:
Warum bleiben die Reichen immer reich?

Von Manfred Dietenberger


Eines der beliebtesten und am häufigsten erzählten bundesrepublikanischen Märchen ist das von der Marktwirtschaft als einer Leistungsgesellschaft, in der sich die Tüchtigen durchsetzen und die anderen eben zurückfallen. Wär's kein Märchen, müsste es eigentlich eine rege Durchlässigkeit zwischen Ober- und Unterschicht geben. Doch nur im Märchen steigen dumme und böse Reiche ab und kluge und tüchtige Arme auf.


Die soziale Wirklichkeit in unserem Land belehrt uns eines Besseren. Beruflicher Erfolg ist erblich. Insbesondere in Deutschland gilt: Wer reiche/gut gebildete Eltern hat, der wird selber reich und gut gebildet. Umgekehrt läuft's umgekehrt. Rund die Hälfte aller Kinder von Eltern mit Hauptschulabschluss erreichen ebenfalls höchstens einen Hauptschulabschluss, viele bleiben ganz ohne offizielle Qualifikation. Daraus folgen Arbeitslosigkeit, Hartz IV, Leiharbeit. Reichtum und Armut vererben sich jedoch nicht nur innerhalb einer Generation, sondern auch über Hunderte von Jahren hinweg. Es stimmt eben nicht, wovon bürgerliche Ökonomen träumen, dass sich nämlich der Vererbungseffekt innerhalb weniger Generationen abschwächen würde. Nun haben italienische Ökonomen herausgefunden, warum.

Zwei bürgerliche Ökonomen der italienischen Notenbank, Guglielmo Barone und Sauro Mocetti, gingen der spannenden Frage nach, warum die reichsten Familien in Florenz noch immer die gleichen sind wie vor 600 Jahren, und haben dafür einen ganz langen Blick in die Vergangenheit geworfen. Für ihre wissenschaftliche Untersuchung verglichen sie eine digitalisierte Liste der Florentiner Steuerzahler von 1427 mit jener aus dem Jahr 2011. Mit dieser Liste hatten sie Zugriff auf eine lückenlose Aufstellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse und die Berufe von damals 10.000 Familien und 40.000 Bürgern.


In Florenz, in England...

Angelegt wurde die Liste, weil die Stadtrepublik Florenz, vom Krieg gegen Mailand geschwächt, im frühen 15. Jahrhundert kurz vor der Pleite stand. Um diese zu verhindern und den Bürgern Geld aus der Tasche zu ziehen, um die Staatskasse aufzufüllen, ließ die Stadtregierung eine Steuererhebung durchführen. Sie listeten auf: Name, Alter, Beruf, Einkommen in Florin (der damaligen Währung) und geschätztes Vermögen. Auf der Steuerliste fanden sich alle wieder: die erfolgreichen Bankiers, Wollhändler und Tuchweber in ihren mächtigen Gilden, Goldschmiede und Schuster, Anwälte und Apotheker.

Die Wissenschaftler fanden heraus: Die fünf heutigen Spitzenverdiener von Florenz sind Nachkommen von Mitgliedern der Gilde der Schuh-, Wolle- und Seidenhändler und der Juristen, die bereits im 15. Jahrhundert die höchsten Einkommen erzielten. Aber auch Feuerwehrleute, Hilfsarbeiter und Dienstboten. In der Studie erscheint der Name Bernardi für die reichsten, Grasso für die ärmsten Familien.

Dieses Ergebnis erstaunt nun nicht nur die zwei Wirtschaftswissenschaftler, sondern die ganze Zunft der bürgerlichen Ökonomen. Denn dieser Sachverhalt passt so gar nicht zur gängigen bürgerlichen Lehrmeinung, wonach sich die aus der Abstammung herrührenden wirtschaftlichen Vor- oder Nachteile nach spätestens drei Generationen ausgleichen würden. Guglielmo Barone und Sauro Mocetti stellen diese These deshalb in Frage und gehen auch noch einen Schritt weiter: "Florenz scheint kein Einzelfall zu sein." Sie sind überzeugt, dass ihre Forschungsergebnisse sich auch auf andere westliche Industrienationen übertragen lassen. Als Beleg für diese These zogen sie eine Studie von Gregory Clark und Neil Cummins aus dem Jahr 2013 heran, die ähnliches für England feststellte. Gegenstand deren Untersuchung war der Vergleich der Familiennamen der Studenten an den Universitäten Oxford und Cambridge in den Jahren von 1170 bis 2012. Ihr wichtigster Befund war der Nachweis, dass der soziale Status der Studenten sich stärker vererbt als zum Beispiel deren Körpergröße. Über mehr als acht Jahrhunderte hinweg kamen die Studenten vorwiegend aus den gleichen Familien.

Warum das so ist, erklärten Clark und Cummins wie folgt: Bis zum Beginn der industriellen Revolution (in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts) sei die Gesellschaft statisch gewesen, da habe es keine Durchlässigkeit von oben nach unten gegeben. Mit Beginn der industriellen Revolution hätte sich das nach gängiger Lehrmeinung nachhaltig ändern müssen. Doch selbst die Einführung einer kostenlosen öffentlichen Schule und staatliche finanzielle Unterstützung für Studierende haben so wenig an diesem Sachverhalt geändert, dass es weiterer 600 Jahre bedürfte, bis die alten Geschlechternamen nicht mehr überdurchschnittlich häufig in den Namensregistern auftauchen.


...und in Deutschland

Ist es hierzulande anders? Nein. Auch in Deutschland ist der Befund ähnlich. Als Marko Reimer und Utz Schäffer 2015 in einer Studie die Herkunft von mehr als 600 Topmanagern aus börsennotierten deutschen Firmen wissenschaftlich untersuchten, konnten sie am Ende folgendes Fazit ziehen: Mehr als die Hälfte der Unternehmensführung entstammt dem Bürger- und Großbürgertum, nur 29% der Mittelschicht und 14% der Arbeiterklasse. Auch die Mittelschicht ist also heutzutage unterrepräsentiert. Das verwundert nicht, denn auch in Deutschland gilt der Spruch: Wer hat, dem wird gegeben.

Dazu veröffentlichte der World Wealth Report 2015 folgende Zahlen: In Deutschland leben 123 Milliardäre. Lediglich jeder vierte Milliardär hat sich sein Vermögen in diesem Land selbst erarbeitet. Ein Großteil hat den Reichtum einfach geerbt. Und daher sind die Vermögen in Deutschland extrem ungleich verteilt: Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) gehören den reichsten 10% der Haushalte bereits bis zu 74% des gesamten Vermögens. Und diese Milliarden bleiben zumeist in der Familie und werden weitervererbt. Geschätzte durchschnittlich 363.000 Euro dürften in den nächsten zehn Jahren in jedem Erbfall an die nächste Generation weitergereicht werden. Das klingt stattlich. Doch das Geld ist sehr unterschiedlich verteilt: In 13% der Erbfälle ist gar kein Vermögen oder es sind sogar Schulden da, in weiteren 25% maximal 25.000 Euro. Am anderen Ende geht es hingegen um Millionenbeträge: Ein Drittel der 2.100 Mrd. Euro, die bis 2024 an die nächste Generation vererbt werden, dürften bei nur 2% der Erben landen.

Das wird die Ungleichheit weiter zementieren. Allein die drei allerreichsten Milliardärs-Clans sitzen in Deutschland auf 65,5 Milliarden Euro Vermögen (Quandt/Klatten, BMW: 26,5 Mrd.; Georg und Maria Schaeffler: 20 Mrd; Albrecht und Hester, Aldi Süd: 19 Mrd.). Zusammen besitzen sie mehr Vermögen als die 20 Millionen ärmsten Haushalte. Unter dem Patronat der Großen Koalition bleibt die Erbschaftsteuer - erst recht nach den jüngsten Änderungen - eine lächerliche Bagatellsteuer. Und so wird sich an dieser Schieflage nichts ändern, solange nicht endlich zumindest die von der Partei Die LINKE vorgeschlagene Millionärssteuer durchgesetzt wird: Die erste Million ist steuerfrei, auf das weitere Vermögen sind 5% zu bezahlen. Wenn dieser Grundsatz auf die 500 reichsten Deutschen angewandt würde, wären 33 Milliarden mehr in der Stadtkasse, die für Soziales ausgegeben werden könnten.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, 31. Jg., Juli/August 2016, S. 22
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2016

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