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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2154: Arbeitszeitverkürzung geht nur international


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6 · Juni 2017
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Angst vor der Konkurrenz
Arbeitszeitverkürzung geht nur international

SoZ-Interview mit Jutta Schneider


Gegen die internationale Konkurrenz sieht die IG Metall kein Kraut gewachsen. Sie setzt deshalb mit voller Kraft darauf, dass die deutsche Industrie den Konkurrenzkampf auf dem Weltmarkt gewinnt. Die SoZ fragte Jutta Schneider nach den möglichen Alternativen.


Frage: Wie ist denn der europäische Kontext der Diskussion über die Arbeitszeiten? Die verlängern sich ja überall ...

Jutta Schneider: Ein Hauptproblem der IG Metall ist, dass sie das Thema Arbeitszeitverkürzung nicht international anpackt. Das muss man aber, wenn nicht eine neue Welle im Standortpoker angestossen werden soll. Wenn einzelne Länder die die 32-Stunden-Woche einführen, müssen die anderen Länder nachziehen, in einer Art Staffel. Also muss man dafür sorgen, dass daraus ein europäisches Projekt wird, das Projekt einer europäischen Gewerkschaftsbewegung für gemeinsame Standards. Dann würden sich auch viel mehr Arbeitnehmer dafür engagieren.

Wenn du heute die Leute im Betrieb fragst: Wollt ihr eine 30-Stunden-Woche, dann sagen sie, die würden wir schon wollen, aber dann machen sie uns hier platt. Die haben sofort im Kopf, dass ihre Arbeit dann an anderen Standorten gemacht wird, und diese Erpressung ist real. Deshalb kannst du Arbeitszeitverkürzung nicht machen, ohne international zu arbeiten.

Dabei gibt es in anderen Ländern Initiativen, die weiter gehen als die IG Metall. Die österreichischen Gewerkschaften z.B. fordern die 32-Stunden-Woche, ähnlich in Belgien und Frankreich. Es wäre also durchaus möglich, sich stärker zusammenzuschließen.

Ich arbeite ja bei Attac in der Arbeitsgruppe für europäische Arbeitszeitverkürzung («30 Stunden für Europa») mit. Im Oktober 2016 haben wir und andere in Brüssel eine Konferenz zu den Thema organisiert. Dort kamen Leute aus ganz vielen Ländern zusammen.

Frage: Auch Gewerkschaftsvertreter?

Jutta Schneider: Die eingeladenen deutschen IGM-Vertreter haben sich ein bißchen gedrückt, Ver.di war dabei, Österreicher von zwei Gewerkschaften waren da, aus Belgien waren die Christlichen und die Unchristlichen (die Sozialisten) da, aus Frankreich CGTGruppen, auch deren Erwerbslosengruppen und das Collectif Roosevelt. Die hatten die schöne Parole: «Travailler moins pour travailler tous» (Weniger arbeiten, damit alle arbeiten). Das traut sich ja heute bei uns keiner mehr zu sagen: Arbeit für alle. Das war früher aber unsere Parole.

Frage: Es freut mich zu hören, dass ihr an der europäischen Fragestellung dran geblieben seid. Heute will ja ein großer Teil der sich als radikal verstehenden Linken von europäischen Initiativen nichts mehr wissen und verdeckt ihre Provinzialität auf diesem Gebiet hinter der angeblich radikalen Parole «Raus aus der EU».

Jutta Schneider: Mit dieser Politik macht man ganz viel kaputt. Unsere Gewerkschaften sind in gewissem Sinn daran mitbeteiligt. Das ist ein Gebiet, auf dem der DGB viel aktiver sein müsste. Der kriegt von den Einzelgewerkschaften aber immer weniger Geld und kann deswegen nur wenige gute Leute beschäftigen und keine eigene Politik machen.

Und das ist in ganz Europa so. Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) und die andern Bündnisse sind politisch eine Nullnummer. Es gibt ein paar Papiere, da stehen richtige Sachen drin, aber die konkreten Bausteine ihrer Umsetzung werden nicht benannt und nicht verfolgt. Da müsste dann ja drinstehen: Wir wollen eine andere Steuerpolitik, Arbeitszeitpolitik, eine europäische Arbeitslosenversicherung usw.

Frage: Wie man hört, hat die Europäische Kommission einen Entwurf für eine europäische Arbeitslosenversicherung in der Schublade, aber ich glaube nicht, dass der uns gefallen würde...

Jutta Schneider: Ich war lange im Europäischen Betriebsrat. Mit diesem Gremium könnte man viel mehr machen, wenn man mehr darein investieren würde und solche Gremien nicht nur zum Schaulaufen benutzen würde. Viele Europäische Betriebsräte machen nur Schaumeetings, die werden etwa nach Brüssel eingeladen, kriegen einen Tag lang Filme gezeigt über den Erfolg des Unternehmens, abends dürfen sie mit dem Management beim Dinner sitzen und am nächsten Tag fahren sie nach Hause. Die müssten eigentlich die Forderung nach Arbeistzeitverkürzung rausschreien, weil sie ja im Standortpoker ständig die Arschkarte ziehen, wenn es dann wieder heißt: Wir sind viel zu teuer, die Polen, Bulgaren usw. arbeiten länger, ohne Schichtzuschläge, und das noch sonntags.

Die europäischen Betriebsräte könnten sehr gut eine andere Politik mit auf den Weg bringen. Dazu fehlt ihnen jedoch häufig das Selbstbewusstsein, die Selbstbefähigung und die gewerkschaftliche Beratung.

Die Gewerkschaften fördern das nicht genug und verkennen ihre Chancen. Dabei sind das so einfache Mittel, mit denen wir unsere Arbeit verbessern können... Natürlich muss man dafür auch etwas Geld locker machen, für Reisen, für Dolmetscher, das wäre gut investiertes Geld.

Frage: Wächst nicht auch ein bisschen Widerständigkeit in der IG Metall?

Jutta Schneider: Mal sehen, was sich ereignet. Die Tarifabschlüsse zum Thema Arbeitszeit sollen ja bis 2018 unter Dach und Fach sein. Ich könnte mir schon vorstellen, dass Unzufriedenheit aufkommt - im Osten wie im Westen -, wenn kürzere Arbeitszeiten von der Familiensituation abhängig gemacht werden. Das würde sich aber erst auf dem Gewerkschaftstag 2019 bemerkbar machen.

In Schweden haben sie etwas ganz Tolles gemacht, das zeigt, was möglich ist. Da hat der Stadtrat von Göteborg in einem Altenpflegeheim den 6-Stunden-Tag eingeführt. Er hat vorgerechnet, was es kostet und was es mehr bringt, und kam zum Schluss: Für wenige Prozent Mehrkosten haben wir zufriedenere Pflegekräfte, zufriedenere Bewohner und ein Superprojekt. Zuerst wurden die Befristeten fest eingestellt, dann auch neue Arbeitskräfte geholt. Nach drei Jahren soll Bilanz gezogen werden. Solche Beispiele muss man bekannter machen. Dies Beispiel wurde übrigens in der Brüsseler Konferenz berichtet, von der vorhin die Rede war. Die Folgekonferenz wird im Juni 2018 sein...

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 32. Jg., Juni 2017, S. 9
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2017

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